Praxistaugliche Übergangsfristen für eine wettbewerbsfähige Industrie
Der BDI appelliert für Übergangsfristen von mindestens 48 Monaten.
Kurze Übergangsfristen gefährden Wettbewerbsfähigkeit der Industrie
Um neue gesetzliche Anforderungen an Produkte möglichst zeitnah zu implementieren, neigt der Gesetzgeber immer häufiger dazu, kurze Übergangsfristen vorzuschreiben Bedingt durch verschiedene Faktoren kollidieren die vom Gesetzgeber vorgeschlagenen Übergangsfristen mit der unternehmerischen Realität und damit verbundenen Entscheidungsanforderungen Daraus ergeben sich negative Auswirkungen auf die Chancen der Industrie, nach Ablauf der Übergangsfrist, Produkte auf dem Europäischen Binnenmarkt in Verkehr zu bringen und zu vermarkten
Ein Produkt kann erst in Verkehr gebracht werden, wenn die Konformität des Produktes mit der Europäischen Gesetzgebung nachgewiesen ist Grundsätzlich stehen der Industrie bewährte Verfahren zur Verfügung: die Herstellerselbsterklärung und die Erlangung der Vermutungswirkung durch Anwendung europaweit harmonisierter Normen
Herstellerselbsterklärung und Nutzung harmonisierter Normen
Durch die Anwendung des Konformitätsbewertungsmoduls A (Herstellerselbsterklärung), gemeinsam mit der Anwendung europaweit harmonisierter und im EU-Amtsblatt referenzierter Normen, profitiert der Hersteller von der Vermutungswirkung Ausnahmen existieren in Fällen, in denen der Gesetzgeber die Nutzung von Konformitätsbewertungsmodul A an die Nutzung von im EU-Amtsblatt gelisteter harmonisierter Normen knüpft Der Prozess zur Erarbeitung und Listung europaweit harmonisierter Normen (hEN) ist komplex und unternehmerisch teils unplanbar. Die Expertinnen und Experten benötigen durchschnittlich bis zu 36 Monate für die Erstellung einer hEN. Es folgen aktuell weitere 17 Monate für die formelle Prüfung durch die Europäische Kommission. Nach durchschnittlich 53 Monaten erfolgte in den vergangenen Jahren die Listung im EU-Amtsblatt. Erst mit der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt haben Unternehmen die Gewissheit, von der Vermutungswirkung zu profitieren bzw. in Fällen, in denen die Wahl des Konformitätsbewertungsmoduls A von der Anwendung im Amtsblatt gelisteter harmonisierter Normen abhängt, die Gewissheit Ihre Produkte nach Modul A in Verkehr bringen zu können. Auch können sich Unternehmen erst dann diese technischen Regeln in ihre Entwicklungs- und Produktionsprozesse zur Herstellung konformer Produkte integrieren, ohne mit weiteren Anpassungen rechnen zu müssen
Einbeziehung einer Benannten Stelle
Sofern ein Rechtsakt die Nutzung von Konformitätsbewertungsmodul A an die Anwendung im EUAmtsblatt gelisteter harmonisierter Normen knüpft, ist bei nicht vorliegenden harmonisierten Normen (hEN) eine Benannte Stelle (Zertifizierer) verpflichtend in die Konformitätsbewertung einzubeziehen Liegt eine hEN nicht mit ausreichend Vorlauf vor, nehmen in solchen Fällen die Bewertungsanfragen
Praxistaugliche Übergangsfristen für eine wettbewerbsfähige Industrie
bereits in der Übergangszeit zu einem neuen Rechtsakt zeitweise exponentiell zu und führen zu einer Spitzenbelastung Unter diesen Umständen wird für eine Vielzahl von Produkten eine rechtzeitige Konformitätsbewertung zunehmend von der Verfügbarkeit Benannter Stellen abhängig. Gleichzeitig hat das Fehlen von Normen Auswirkungen auf die Arbeit Benannter Stellen, die sich häufig an Anforderungen in Normen orientieren, um eine Einheitlichkeit bei der Bewertung sicherzustellen. Weiter benötigen Benannte Stellen in der Regel eine Akkreditierung, ausgestellt durch nationale Akkreditierungsstellen, bevor diese als benannte Stelle durch die nationalen Behörden benannt werden. Insbesondere für neue Regulierungsbereiche (z.B. Künstliche Intelligenz, Cybersicherheit) laufen Akkreditierungsverfahren schleppend an.
Praxistaugliche Übergangsfristen sicherstellen
Bedingt durch die zuvor geschilderten Faktoren droht eine Disruption des Binnenmarkts, verbunden mit innovations- und wettbewerbshemmenden Entwicklungen für die deutsche Industrie. Um die deutsche Industrie zukunftssicher aufzustellen, braucht es realitätsnahe und praxistaugliche Übergangsfristen. Insbesondere zum delegierten Rechtsakt 2022/30 unter der Funkanlagenrichtlinie, dem Cyber Resilience Act (CRA) sowie dem EU AI Act sieht die deutsche Industrie akuten politischen Handlungsbedarf:
Übergangsfristen von mindestens 48 Monaten
Verzögerungen im Prozess der Anwendung eines Rechtsaktes dürfen nicht zu Lasten der Hersteller, deren Gesellschafter und deren Mitarbeiter ausgetragen werden. Übergangsfristen müssen mit Blick auf die Zahl der zu überarbeitenden bzw. erstmalig zu erarbeitenden Normen angemessen sein. Gerade bei neuen Regulierungen im Digitalbereich, insbesondere de delegierten Rechtsakt 2022/30 unter der Funkanlagenrichtlinie, dem CRA sowie dem EU AI Act, bei denen auf alle Akteure neue Anforderungen zukommen, appelliert die deutsche Industrie, Übergangsfristen von mindestens 48 Monaten vorzusehen Hier besteht die Herausforderung, dass eine große Zahl an Produkten drittstellenpflichtig sind bzw. bei denen die Wahl des Konformitätsbewertungsmoduls von der Listung harmonisierter Normen abhängt. Um eine reibungslose Implementierung neuer Rechtsakte zu ermöglichen, ist allen Beteiligten – Industrie, Normung, Akkreditierung, Benannten Stellen, Marktüberwachungsbehörden – die notwendige Zeit zu geben, sich auf die neuen Anforderungen einzustellen Alternativ könnte ein stufenweises Vorgehen nach Kritikalität, bezogen auf die Einstufung, helfen. Insbesondere sind auch innerhalb der Gesetzgebung einheitliche Übergangsfristen vorzusehen.
Vorhandene Kapazitäten nutzen und Bottlenecks auflösen
Unabhängig von der Frage, wie und durch wen die Konformitätsbewertung durchgeführt wird, bleibt der Hersteller in der alleinigen Verantwortung für die Konformität der Produkte. Die Durchführung einer Konformitätsbewertung durch den Hersteller hat sich in vielen Europäischen Rechtsakten bewährt. Die Nutzung der zeit- und kostenintensiveren Drittstellenzertifizierung hat zudem erhöhte Transaktionskosten in der Lieferkette zur Folge. Insbesondere bei KMU und Herstellern mit kleinen Produktionsmengen machen sich diese Kosten deutlich bemerkbar. Die deutsche Industrie appelliert daran, die Anforderung in Abwesenheit harmonisierter Normen, eine Benannte Stelle heranziehen zu müssen, anhand objektiver Kriterien festzulegen. Gleichzeitig sehen wir es auch weiterhin als zielführend an, bei kritischen Komponenten, die kritische Funktionen oder systemrelevante Aufgaben in Kritischen Infrastrukturen erfüllen, auf eine Drittstellenzertifizierung zu setzen. Die Prüfung durch eine Drittstelle sollte jedoch die Ausnahme und nicht die Regel sein.
Praxistaugliche Übergangsfristen für eine wettbewerbsfähige Industrie
Über den BDI
Der BDI transportiert die Interessen der deutschen Industrie an die politisch Verantwortlichen. Damit unterstützt er die Unternehmen im globalen Wettbewerb. Er verfügt über ein weit verzweigtes Netzwerk in Deutschland und Europa, auf allen wichtigen Märkten und in internationalen Organisationen. Der BDI sorgt für die politische Flankierung internationaler Markterschließung. Und er bietet Informationen und wirtschaftspolitische Beratung für alle industrierelevanten Themen. Der BDI ist die Spitzenorganisation der deutschen Industrie und der industrienahen Dienstleister. Er spricht für 40 Branchenverbände und mehr als 100.000 Unternehmen mit rund acht Mio. Beschäftigten. Die Mitgliedschaft ist freiwillig. 15 Landesvertretungen vertreten die Interessen der Wirtschaft auf regionaler Ebene.
Impressum
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Stellv. Abteilungsleiter
Digitalisierung und Innovation
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BDI Dokumentennummer: D1794