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„Dual
Use“ Forschungsförderung
Die Perspektive der Deutschen Industrie zum Weißbuch der EU Kommission für eine verstärkte Unterstützung von Forschung und Entwicklung zu Technologien mit potenziell doppeltem Verwendungszweck
22. April 2024
Richtungsweisende Initiative benötigt klare Rahmenbedingungen
Der BDI unterstützt die Initiative der Europäischen Kommission zur effektiveren Förderung von Technologien mit potenziell doppeltem Verwendungszweck („Dual Use“). Es ist ein richtiger Schritt, die Synergien zwischen ziviler und nicht-ziviler Forschung zu stärken Ziel muss es dabei sein, die SpillOver Effekte aus der Verteidigungs- und Dual-Use-Forschung für den zivilen Bereich und wechselseitig die aus der zivilen Forschung für die Verteidigung zu generieren und zu stärken. Dabei ist unbedingt zu vermeiden, dass die Stärkung der Forschung für den Verteidigungsbereich am Ende auf Kosten der zivilen Forschung geht.
Nach Ansicht des BDI erscheinen alle drei von der EU vorgeschlagenen Optionen nicht voll überzeugend, um den grundsätzlichen Rückstand in der Entwicklung von wettbewerbsfähiger Technologie mit potenziell doppeltem Verwendungszweck wettzumachen. Für den Erfolg der Maßnahmen kommt es am Ende auf die konkrete Ausgestaltung dieser an.
Nur das Angehen der folgenden Probleme, kann eine leistungsfähige Forschungslandschaft in Europa schaffen:
1. Kannibalisierung der Fördermittel als Folge mangelnder Finanzierung ausschließen
2. Entschiedene Investitionen der EU und der EU-Mitgliedsstaaten in die Forschung, insbesondere in Zukunfts- und Schlüsseltechnologien.
3. Hohe Komplexität der Bürokratie der Forschungsprogramme gezielt reduzieren.
4. Stärkerer Fokus auf den gewünschten Output und Unterstützung über den gesamten Entwicklungszyklus hinweg bis zur Marktreife
Hintergrund
Am 24. Januar 2024 stellte die EU-Kommission das European Economic Security Package als Konkretisierung der Strategie für wirtschaftliche Sicherheit vom Juni 2023 vor. In diesem Zusammenhang hat die Kommission das Weißbuch über Optionen für eine verstärkte Unterstützung der Forschung und Entwicklung von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck vorgelegt. Die EU-Kommission schlägt drei Optionen für Fördermaßnahmen vor, die die Entwicklung von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck strategisch unterstützen sollen: 1. die Überarbeitung bestehender Systeme, 2. die Öffnung des Horizont Europa Nachfolgeprogramms und 3. die Schaffung eines neuen Förderprogrammes. Ziel des Weißbuchs ist es, Synergien zwischen der zivilen und nicht-zivilen Forschung besser zu nutzen, um bei der Produktmarktreife und dem Markthochlauf wettbewerbsfähiger und geopolitisch unabhängig zu werden.
Bislang existieren zivile und nicht-zivile Forschung und Entwicklung, sowie deren Forschungsförderung, weitgehend voneinander getrennt. So fördert beispielsweise das Rahmenprogramm Horizont Europa ausschließlich zivile Forschungsprojekte. Das schließt allerdings nicht aus, dass ein Forschungsergebnis am Ende eines Forschungsprojekts eventuell auch für Anwendungen mit doppeltem Verwendungszweck genutzt werden kann, soweit das Forschungsziel bzw. das Forschungsprojekt ursprünglich zivil gewesen ist Daneben ist der Europäische Verteidigungsfonds (EDF) auf die Förderung explizit nicht-ziviler Forschung ausgelegt. Mit einem Budget von 7,9 Milliarden Euro für den Zeitraum von 2021-2027, bietet der EDF allerdings im Vergleich zu Horizont Europa mit 95,5 Milliarden Euro für denselben Zeitraum nur einen Bruchteil der Förderungsmöglichkeiten.
Grundsätzliche Erwägungen
Der BDI teilt die Einschätzung der EU-Kommission, dass die Fähigkeit zur Herstellung und Kontrolle von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck für die wirtschaftliche Sicherheit Europas wesentlich ist Bei allen Maßnahmen ist dabei das Ziel wichtig, den Spill-Over Effekt aus der zivilen Forschung für die Verteidigung und reziprok aus der Verteidigung für zivile Verwendung zu erhöhen. Dies geht nur durch die Schaffung von Synergien, auch in Absprache mit engen sicherheitspolitischen Partnern. Die bewährte Trennung von ziviler und nicht-ziviler Forschungsförderung wurde seitens der Industrie stets begrüßt. Sollte die EU Kommission erwägen, neue Instrumente neben den existierenden Programmen zur zivilen- und nicht-zivilen Forschung zu schaffen, muss der konkrete Mehrwert dazu kritisch geprüft und klare Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Bestehende wichtige Förderprogramme nicht gefährden
In Anbetracht der zu erwartenden schwierigen Gemengelage für den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen ist fraglich, wie sich die Optionen des Weißbuchs finanziell auf Ausschreibungen und Arbeitsprogramme bestehender Forschungsprogramme auswirken würde. Auf keinen Fall dürfen die Optionen dazu führen, dass Mittel zur zivilen Forschungsförderung gekürzt werden. Es braucht ein klares Bekenntnis der EU und der EU-Mitgliedsstaaten dazu, massiv in Forschung, insbesondere in Zukunftsund Schlüsseltechnologien zu investieren. Dies ist für die Erreichung einer innovativen, resilienten und global wettbewerbsfähigen europäischen Wirtschaft essenziell Eine Kannibalisierung bestehender Förderprogramme und Projekte, insbesondere in Zukunfts- und Schlüsseltechnologien muss trotz angespannter Haushaltslage unbedingt ausgeschlossen werden.
Dual Use Definition
Der BDI bewertet es positiv, dass das Weißbuch nicht mehr den Begriff „dual-use research”, sondern jetzt “research and development involving technologies with dual-use potential” verwendet, denn so schafft sie eine klare Abgrenzung zum Begriff „dual-use research of concern“ der WHO, der explizit auch Produkte mitumfasst, die potentiell negative Konsequenzen für Mensch, Tier und Umwelt umfassen können und daher mit besonderen Anforderungen verbunden ist
Die Notwendigkeit einer gemeinsamen Definition von Dual-Use-Technologien in der Forschungsförderung ist gleichsam fraglich, da der militärische Charakter einer Technologie erst dann zum Tragen kommt, wenn sie technologisiert und für einen militärischen Zweck anwendungsreif gemacht wird. Vor diesem Zeitpunkt kann jede Technologie potenziell auch einen doppelten Verwendungszweck haben. Der BDI spricht sich im Sinne der Rechtssicherheit daher für die Beibehaltung der bestehenden Unterscheidung zwischen ziviler und militärischer Forschung aus
Bewertung der Optionen
Option 1: Überarbeitung bestehender Instrumente
Option eins könnte ein schnelles Vorgehen ermöglichen, da es weder eine wesentliche Umstrukturierung des EU-Rahmenprogramms bedarf noch ein neuer Fonds aufgesetzt werden müsste Die potenzielle Förderung durch die EIB-Gruppe und das zur Verfügung stellen von InvestEU-Mitteln könnte positive Auswirkungen haben, wird aber entscheidend von dessen konkreter Ausgestaltung abhängen. Unbedingt dabei zu vermeiden, ist die Schaffung neuer bürokratischer und administrativer Hürden. Ob die Einführung eines Kennzeichnungsmechanismus „dual-use flagging mechanism“ zielführend ist, ist fraglich. Es muss das Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Dual Use von der intendierten Nutzung und vom Willen des handelnden Subjekts abhängt, ob eine Innovation helfend eingesetzt oder zu Terrorzwecken missbraucht wird. Ein richtiger Schritt ist, die Forschung für diese Thematik in alle Richtungen zu sensibilisieren. Mit dieser Option könnte, die von der Industrie befürwortete, weitgehende Trennung von ziviler und nicht-ziviler Forschungsförderprogramme erhalten bleiben Der Erfolg dieser Option wird allerdings stark von deren konkreten Ausgestaltung und klarer Rahmenbedingungen abhängen.
Option 2: Öffnung des Horizont Europa Nachfolgeprogramms
Option zwei böte einer Vielzahl von forschenden Unternehmen weitreichendere Förderungsmöglichkeiten für ihre Dual-Use-Projekte in einem bekannten Rahmen. Für nicht-zivil Forschende würde allerdings zusätzliche Bürokratie durch verschiedene Bewerbungsverfahren im allgemeinen Rahmenprogramm und EDF bedeuten. Auch könnte der EDF dadurch generell weniger attraktiv oder gar gänzlich obsolet werden. Aufgrund der Tatsache, dass im Forschungsökosystem Zivilklauseln in der Breite sowohl im akademischen als auch im industriellen Bereich bestehen und genutzt werden, ist die Beibehaltung der etablierten Instrumente und der Trennung von ziviler- und nicht ziviler Forschung empfehlenswert, denn sie erleichtert die Abgrenzung beider Forschungsrahmen
Option 3: Schaffung eines neuen Förderprogrammes
Option drei schafft die Möglichkeit der gezielten Förderung von Dual-Use-Technologien durch ein eigens dafür eingerichtetes Fördermittel neben den bewährten existierenden Instrumenten Horizont Europa und EDF Die Einführung eines neuen Förderprogramms könnte den Vorteil haben, eine (Teil-) Öffnung des EU-Forschungsrahmenprogramms Horizont Europa für nicht-zivile Forschung zu umgehen und die Möglichkeit schaffen, sich auf die explizite Schaffung von Synergien zu fokussieren Wesentlich wäre dabei, die Schaffung klarer Rahmen- und Antragsbedingungen. Gleichzeitig bleibt fraglich, ob ein neues Förderprogramm überhaupt einen Mehrwert bieten würde. Das wäre dann der Fall, wenn es Projekte gäbe, die weder über de EDF noch über Horizont Europa eine Förderung erhalten könnten. Ob es überhaupt solche Projekte gibt, ist fraglich. Oft kommt das Potenzial einer ursprünglich rein zivilen Technologie, für den Verteidigungssektor erst im Laufe des Forschungsprojekts zu tage Ferner besteht bei dieser Option ebenfalls die Gefahr, dass für die Finanzierung des neuen Programms Mittel aus dem bestehenden Forschungsrahmenprogramm umverteilt wird. Diese Praxis hat in der Vergangenheit zu immensen Planungsunsicherheiten geführt. Dies gilt es unbedingt zu vermeiden. Neue Prioritäten brauchen auch neues Geld.
Synergien schaffen, Komplexität reduzieren
Das Ziel des Weißbuchs zur besseren Nutzung von Synergieeffekten erfährt durch wissenschaftliche Experten in Deutschland Unterstützung. Dies war bereits 2023 eine zentrale Handlungsempfehlung einer Expertenkommission von unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in einem Gutachten für den Bundestag.1 Bei allen Maßnahmen zur Steigerung von Synergieeffekten ist wesentlich, dass sie klare rechtliche Rahmenbedingungen und Prozesse schaffen, ohne die Komplexität der Förderprogramme zu erhöhen. Die bewährten Programme zur Förderung ziviler und nicht-ziviler Forschung sollten beibehalten werden. Auf keinen Fall dürfen etwaige Maßnahmen zur Förderung von Dual-Use-Forschung dazu führen, dass Mittel zur zivilen Forschungsförderung gekürzt werden. Es muss massiv in Forschung, insbesondere in Zukunfts- und Schlüsseltechnologien investiert werden, damit Europa auch in Zukunft resilient und wettbewerbsfähig im globalen Wettbewerb bleibt Auch wenn grundsätzlich die politische und strategische Prioritätensetzung wichtig und richtig ist, dürfen bestehende strategisch wichtige Forschungsaktivitäten dadurch nicht gefährdet werden
1 Expertenkommission Forschung und Innovation (2023) Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2023; URL: https://dserver.bundestag.de/btd/20/075/2007530.pdf (aufgerufen am 27.02.2024).
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