Potenziale und Herausforderungen industriellen Transfers

Page 1

Potenziale und Herausforderungen industriellen Transfers

Begriff. Rolle. Umsetzung. Zukunft. – Handlungsempfehlungen für erfolgreiche industrielle Innovation auf Basis wissenschaftlicher Forschung

13. März 2024

Was versteht der BDI unter „Transfer“?

Die Industrie versteht unter dem Begriff Transfer den Prozess, durch den Forschungsergebnisse, technisches Wissen, wissenschaftliche Erkenntnis oder Ideen zur Lösung von Problemen (Inventionen) in Dienstleistungen (Services), Prozesse oder Produkte umgesetzt werden. Daher wird eine „Übersetzung“ von Wissen oder Ideen in die Anwendung oft auch als „Translation“ bezeichnet. Am Ende des Transferprozesses steht die (z. B. inkrementelle oder disruptive) Innovation, das erstmalige Erscheinen einer neuen Lösung oder eines neuen Angebotes am Markt.

Der Transfer ist ein integraler Teil des Innovationsprozesses. Dieser Prozess endet nicht mit dem Markteintritt, sondern setzt sich im Rahmen des Innovationszyklus (z. B. Einführung, Wachstum, Degeneration, Ausscheiden vom Markt) über die Lebensdauer der Innovation fort.

Warum ist Transfer wichtig und welche Bedeutung hat er besonders für die Industrie?

Deutschland ist mit seinen hohen Energie- und Arbeitskosten sowie einer alternden Bevölkerung besonders auf innovationsbasierte Wertschöpfung angewiesen. Durch Transfer können Wertschöpfung, Produktivität, Arbeitsplätze, Einkommen, Wohlstand und Nachhaltigkeit gesteigert werden – im Gesundheitssystem zum Beispiel jüngst durch die Anwendung des Wissens zur Bekämpfung von CoronaViren in einem wirksamen Impfstoff Angesichts sehr schneller Innovationszyklen und des Übergangs in eine digitale und nachhaltige Wirtschaft ist die deutsche Volkswirtschaft in ihrer Struktur wesentlich von wissensbasierten Innovationen abhängig, um gesellschaftlichen Wohlstand in der Mitte des 21. Jahrhunderts zu erhalten.

Erfolgreicher Transfer ist ein Schlüsselfaktor für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie, denn er führt dem unternehmerischen Wertschöpfungs- und Produktivitätsprozess das zur Innovation nötige Wissen zu. Für die Industrie bewirkt Transfer, dass Forschungsergebnisse, technisches Wissen, wissenschaftliche Erkenntnis sowie Ideen von der Industrie in Problemlösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit, zur Bedarfsdeckung von Kundinnen und Kunden sowie zur Wahrung der eigenen Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit verwandelt werden kann.

Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.

Dr. Carsten Wehmeyer | Digitalisierung und Innovation | T: +49 30 2028-1580 | c wehmeyer@bdi.eu | www.bdi.eu Philipp Schweikle | Digitalisierung und Innovation | T: +49 30 2028-1632 | p.schweikle@bdi.eu | www.bdi.eu DISKUSSIONSPAPIER | INNOVATIONSPOLITIK | TRANSFER

Welche Formen und Methoden des Transfers gibt es und welche haben sich für die Industrie besonders bewährt?

Der direkteste Transfer findet in den forschenden Unternehmen selbst statt. Die Investitionen der Industrie in Forschung und Entwicklung (FuE) stellen in Deutschland zwei Drittel der Gesamtinvestitionen in Forschung und Entwicklung dar. Die Industrie trägt damit erheblich dazu bei, Deutschland im internationalen Innovationswettbewerb bestmöglich am Markt zu platzieren. In den wenigsten Fällen steht aber das gesamte erforderliche Wissen im Unternehmen selbst zur Verfügung. Aufgrund der Komplexität und Vielschichtigkeit des Innovationsprozesses baut die Industrie zunehmend Partnerökosysteme auf und nutzt externe Forschungsleistungen. In Deutschland steht ihr hierfür eine leistungsfähige Forschungslandschaft zur Verfügung.

▪ Der anwendungsorientierten Forschung in Forschungseinrichtungen außerhalb der Unternehmen (Hochschulen, private, staatliche sowie öffentlich geförderte Forschungseinrichtungen) kommt eine besondere Bedeutung zu, denn sie beschäftigt sich explizit damit, Erkenntnis zum Zweck der Umsetzung aufzubereiten. Sie schafft damit eine leistungsfähige Schnittstelle zwischen Forschung und Unternehmen.

▪ Ein Transferpfad, den die anwendungsorientierte Forschung beschreiten kann, ist die Ausgründung, in der die Kommerzialisierung einer Invention aus einer (gemeinnützigen) Forschungsorganisation in eine Unternehmensgründung betrieben wird.

▪ Eine weitere Methode ist die Auftragsforschung. Unternehmen (Auftraggeber) geben in diesem Fall der forschenden Einrichtung (Auftragnehmer) eine durch Forschung zu lösende Fragestellung vor, mit dem Ziel, das Ergebnis für neue oder bestehende Angebote am Markt zu nutzen und damit einen Wettbewerbsvorteil zu erreichen. Dabei zahlen Unternehmen für den entstehenden Forschungsaufwand und erhalten im Gegenzug die Rechte an der Nutzung der Ergebnisse.

▪ Im sogenannten vorwettbewerblichen Bereich können sich auch Forschungseinrichtungen und Unternehmen zu thematischen Clustern in Kooperationsprojekten, spezifischen Innovationsökosystemen (z. B. Silicon Saxony, Batteriestandort Münster etc.) oder auch PublicPrivate-Partnerships zusammenschließen und damit Fachwissen aus Industrie und Forschung zusammenführen Ein Beispiel für diese Form der Zusammenarbeit stellt die industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF) dar. In ihr formulieren in der Regel Unternehmen einer Branche, die nicht über ausreichende eigene Forschungskapazitäten verfügen, Bottom-Up ihren gemeinsamen Forschungsbedarf und lassen sich von Hochschulen oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen Problemlösungen erarbeiten, die nach einer kurzen Sperrfrist auch allen Unternehmen außerhalb des Förderprogramms zur Verfügung gestellt werden. Die enge Einbindung der Industrie von Projektbeginn an unterstützt den Transfer nachhaltig und die im Forschungsprozess ausgebildeten Fachkräfte der Wissenschaft stehen im Nachgang auch der Wirtschaft zur Verfügung („Transfer über Köpfe“). Neben mittelstandsorientierten Clusteransätzen existieren in Deutschland auch ähnliche Ansätze zwischen großen Unternehmen.

▪ Daneben wurden in der Hochschullandschaft in der Vergangenheit sogenannte Transferstellen und Patentverwertungsorganisationen (PVO) gegründet. Sie haben den Auftrag, das in der Hochschulforschung entstandene und (möglicherweise) zur Weiterverwertung nutzbare Wissen zu erfassen, zu bewerten, schutzrechtlich zu sichern und zu vermarkten. Sie spielen

Potenziale und Herausforderungen industriellen Transfers 2

auch für Standardisierung und Normierung eine entscheidende Rolle, was den Weg für einen erfolgreichen Transfer frühzeitig ebnet.

▪ Mit zunehmender Komplexität von Projekten im Kontext der ökologischen und digitalen Transformation ist die Bedeutung von Pilot- und Demonstrationsprojekten sowie Reallaboren gewachsen. Diese sind entscheidend, um wirtschaftlichen und technologischen Risiken, die während des Transfers von Forschung zu Anwendung entstehen, für Unternehmen zu mindern. Ferner ermöglichen sie die frühzeitige Erprobung technologischer Lösungen unter realen Bedingungen. Zusätzlich senken sie die Gefahr von privatwirtschaftlichen und staatlichen Fehlinvestitionen und ermöglichen eine schnellere Entwicklung von Projekten im hohen Technology-Readiness-Level (TRL) Zugleich reduzieren sie aus Industriesicht die Gefahr einer frühzeitigen Regulierung neuer Technologien, bevor diese in ihrer potenziellen Leistungsfähigkeit sowie in ihrer Anwendungsbreite hinreichend verstanden sind.

Für die Industrie haben sich besonders diejenigen Transferwege bewährt, die auf einer an den wechselseitigen Bedarfen orientierten, langfristigen Partnerschaft, zur Erarbeitung von Forschungsergebnissen und ihrer rechtssicheren Nutzung basieren. Die Rolle eines vertrauensvollen Umgangs und einer klaren Regelung des geistigen Eigentums (u. a. Patentierung) ist im Transferprozess entscheidend, denn erst die rechtliche Absicherung der Erfindung sichert ihre kommerzielle Nutzung. Dabei bewährt es sich, Nutzungsrechte oder die Ausgestaltung eines Patentes im Sinne der Verwertung möglichst frühzeitig zu klären

Handlungsempfehlungen

Zur Stärkung des Transfers empfehlen wir Bund und Ländern, folgende Maßnahmen zu ergreifen:

▪ Transferstrukturen und Transferstellen an den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen nach dem Vorbild erfolgreicher Standorte professionalisieren. An Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen bedarf es einer effektiveren Förderung von Ausgründungen Bei der Formulierung von relevanten Schutzrechten muss frühzeitig eine Einbindung der Industrie ermöglicht werden, um eine spätere Übertragung an den Rechtenehmer sowie die wirtschaftliche Verwertung sicherzustellen.

▪ Mittelstandsorientierte Forschungsförderung ausbauen Förderungs- und Transferprogramme, wie die Industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF) und das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM), müssen gestärkt und ein größerer Fokus auf den produzierenden Mittelstand gelegt werden. Es muss berücksichtigt werden, dass die öffentliche FuE-Förderung einen zentralen Hebel des Ökosystems darstellt und Katalysator für frühzeitige Innovation ist.

▪ Forschungsförderung stärken. Das Instrument der steuerlichen Forschungsförderung (Forschungszulagengesetz) soll gestärkt werden, um den Anreiz für die Kooperation zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen im Rahmen der Auftragsforschung zu erhöhen

▪ Staatliche Förderinstitutionen weiterentwickeln. Die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) sollte komplementär in das Gesamtbild der bestehenden staatlichen Forschungsfördermaßnahmen eingebettet werden. Die Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) und öffentlich geförderte Forschungseinrichtungen sollten ihre Leistungen bekannter machen und die Vernetzung mit der Industrie forcieren. Zur stärkeren Diffusion von

Potenziale und Herausforderungen industriellen Transfers 3

Ergebnissen aus geförderten Projekten sollte der Transfer von Anfang an konsequent mitgedacht werden.

▪ Reallabore-Gesetz im ersten Halbjahr 2024 veröffentlichen und mit Regulatory Sandboxes der EU verzahnen. Die Bundesregierung muss zwingend noch im ersten Halbjahr 2024 einen Gesetzesvorschlag zum Reallabore-Gesetz vorlegen und es um eine Förderung von Testanwendungen ergänzen Zusätzlich ist eine Harmonisierung mit den europäischen Regulatory Sandboxes, an denen die Europäische Kommission parallel arbeitet, zu gewährleisten.

▪ Forschungsförderung im Haushalt priorisieren. Die Förderung von Forschungs- und Transferprogrammen muss als zentraler Aspekt der Standortsicherung und zur Stärkung der nationalen Wettbewerbsfähigkeit anerkannt und dementsprechend vorrangig berücksichtigt werden. Kürzungen und Unsicherheiten im Haushalt bedrohen Kooperationsnetzwerke und zerstören bereits etablierte Forschungsökosysteme. Das Ziel muss es deswegen weiterhin sein, dass der Anteil der Forschungsausgaben am nationalen BIP mindestens 3,5% erreicht

▪ Effizienz des Forschungsfördersystems heben. Förderleistungen müssen über digitalisierte Angebote bereitgestellt, beschleunigt und flexibilisiert werden. Dazu zählt der rein elektronische und digitale Schriftverkehr, einschließlich der Akzeptanz elektronischer Unterschriften. Insgesamt steckt die Digitalisierung der Förderverfahren noch in ihren Anfängen.

▪ Forschungsprogramme und Fördermaßnahmen unter Einbeziehung der Industrie weiterentwickeln Auch in Deutschland bedarf es umfassender ressortübergreifender Förderprogramme, die Großprojekte ganzheitlich von der Forschung bis in die Anwendung ermöglichen. Zudem soll eine Nutzung von (Groß-)Forschungsinfrastrukturen für gemeinschaftliche FuE von Industrie und Forschungsorganisationen mit anschließender Verwertbarkeit der Resultate ermöglicht werden.

▪ Skalierung von Startups forcieren. Die Wachstumsfinanzierung muss stärker berücksichtigt und insbesondere die Bereitstellung von Risikokapital forciert werden. Zusätzlich ist die Schaffung eines europäischen digitalen Binnenmarktes für vereinfachte Skalierbarkeit digitaler Geschäftsmodelle voranzutreiben

▪ Beteiligung an Standardisierungs- und Normierungsgremien bzw. -aktivitäten fördern Eine Beteiligung an Standardisierungs- und Normierungsgremien muss beispielsweise durch die Anwendung der Forschungszulage auch für Normungsaktivitäten unterstützt werden. Nur so kann der Transfererfolg international gesichert werden.

▪ Innovationserfolg der Unternehmen durch die Förderung von Demonstrations- und Pilotanlagen erhöhen. Wo immer möglich, sollte der Staat Demonstratoren und Pilotanlagen in jeder Weise unterstützen.

Potenziale und Herausforderungen industriellen Transfers 4

Impressum

Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI)

Breite Straße 29, 10178 Berlin www.bdi.eu

T: +49 30 2028-0

Lobbyregisternummer: R000534

Redaktion

Dr. Carsten Wehmeyer

Referent Digitalisierung und Innovation

T: +49 30 2028-1580

c.wehmeyer@bdi.eu

Philipp Schweikle

Praktikant Digitalisierung und Innovation

T: +49 30 2028-1632

p.schweikle@bdi.eu

BDI Dokumentennummer: D 1891

Potenziale und Herausforderungen industriellen Transfers 5
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.