Wettbewerb und Antitrust in China
Hintergründe und Implikationen für europäische Unternehmen
4. November 2022
Hintergrund
Seit Amtsantritt von Staats und Parteichef Xi Jinping hat die chinesische Regierung ihren Staats sektor durch eine Reihe von "Megafusionen" reorganisiert und die staatliche Kontrolle in strategischen Wirtschaftssektoren konsolidiert. Gleichzeitig wurden die Antimonopolgesetzgebung und die Fusionskontrolle weiterentwickelt und neue Behördenstrukturen geschaffen. Die Verfahren haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen, die erst kürzlich vorgenommenen Reformen des chinesischen Anti Monopol Gesetzes bringen weitere Verschärfungen mit sich.
Dabei konzentriert sich die Rechtsdurchsetzung in erster Linie auf den privaten Sektor, während insbesondere die großen zentralstaatlich gelenkten staatseigenen Betriebe bislang kaum im Fokus der Behörden standen. Vor allem im privaten Tech Sektor gab es in den letzten Jahren empfindliche Strafen für Unternehmen, die ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchten. Dabei ist nicht auszuschließen, dass das Wettbewerbsrecht auch gezielt zu Gunsten oder zu Lasten einzelner Marktteilnehmer ausgelegt wird.
Hinzu kommt, dass sich die Konzentration und das Wachstum chinesischer Unternehmen, sowohl staatlich als auch privat, zunehmend auf die globalen Märkte auswirken und zu einer Verschiebung der Markt und Wettbewerbsstrukturen führen. Durch Megafusionen entstehende chinesische „Champions“ können europäische Unternehmen von den globalen Märkten verdrängen. Hochsubventionierte chinesische Unternehmen können europäische Konkurrenten bei Übernahmen oder in öffentlichen Auftragsverfahren ausbooten. Internationale Fusionen müssen zudem immer öfter auch von chinesischen Behörden genehmigt werden. Die Überschneidungen unterschiedlicher Rechts und Wirtschaftsmodelle und somit Konfliktpotential und Reibungspunkte werden in den nächsten Jahren weiter zunehmen.
Abteilung Recht, Wettbewerb und Verbraucherpolitik | Abteilung Internationale Märkte | Büro Peking
Inhaltsverzeichnis
Hintergrund 1 Staatskapitalismus, Megafusionen und Super SOE 3 Wichtige Akteure zur Steuerung der Staatsunternehmen..................................................................... 3 Entwicklung des Staatssektors in China 4 Ziele der Megafusionen 5 Implikationen für Deutschland und die EU 5
Staatliche Koordinierung und kartellrechtliche Absprachen .........................................................6
Der Privatsektor und das chinesische Wettbewerbsrecht..............................................................6
Stärkere Anwendung des Wettbewerbs und Antimonopolrechts 7 Revision des Anti Monopol Gesetzes (AML) 7 Staatliches Zentralamt für Marktregulierung (SAMR) 8
Benachteiligung ausländischer Unternehmen 9
Chinesische Staatsunternehmen im internationalen Kontext und die EU-Fusionskontrolle 9
Fazit ....................................................................................................................................................10 Impressum .........................................................................................................................................12
Staatskapitalismus, Megafusionen und Super-SOE
Chinas öffentlicher Sektor und staatseigene Betriebe (SOE) nehmen etwa 40 Prozent der Gesamtwirtschaft ein und sind ein wesentlicher Bestandteil der ökonomischen Aktivität. Im Jahr 2019 standen den 266.000 staatseigenen Unternehmen rund 20 Millionen Privatunternehmen gegenüber und machten über 60 Prozent der Marktkapitalisierung aus. Im Jahr 2021 waren 82 chinesische SOE unter den Fortune Global 500 Unternehmen.
In der Praxis werden zentralstaatliche SOE oft von chinesischen Wettbewerbsgesetzen ausgenommen, die für private chinesische oder ausländische Unternehmen gelten. Das chinesische Mischmodell wird deswegen oft auch als Staatskapitalismus oder Hybridwirtschaft bezeichnet.
Merkmale der staatlich koordinierten Wirtschaftsbereiche sind vor allem die ineffizienten Abläufe, steigende Verschuldung und moralischen Risiken. Dafür übernehmen SOE häufig wichtige Aufgaben und helfen der Regierung bei der Erreichung von staatlichen Zielen. Im besten Fall garantieren sie Beschäftigung, Preisstabilität, Versorgungssicherheit und Skaleneffekte. Im Zuge der Belt and Road Initiative sind die SOE auch ein zentrales Instrument bei der Umsetzung von Großprojekten im Ausland, vor allem in den Bereichen Energie, Logistik, Bankwesen, Transport und Infrastruktur.
Im Rahmen der WTO und von Seiten der OECD Länder gab es immer wieder Kritik an Chinas Modell. Allein schon aufgrund der hohen Subventionen für chinesische SOE kommt es, auch außerhalb Chinas, zu starken Wettbewerbsverzerrungen. Als Antwort bemüht die chinesische Regierung häufig den von der OECD geprägten Begriff der „kompetitiven Neutralität“. Faktisch existierte diese in der Praxis in China jedoch kaum. Der Einfluss des Staates ist an vielen Stellen spürbar, auch wenn man es aufgrund eines hohen Grades an Intransparenz des chinesischen Systems oft nicht im Detail messen oder belegen kann. Auch den im WTO Beitrittsprotokoll vorgeschriebenen Meldepflichten zu Subventionen kam China lange nicht nach, und wenn, dann äußerst lückenhaft. Für Außenstehende ist es deswegen kaum möglich, genaue Aussagen zum gesamten Ausmaß des Staatseinflusses auf die Wirtschaft zu treffen.
Wichtige Akteure zur Steuerung der Staatsunternehmen
Die Entscheidung für das chinesische Wirtschaftsmodell und die große Bedeutung des Staatssektors stammt aus dem leninistischen Erbe der Kommunistischen Partei (KPCh), die seit ihrer Machtergreifung im Jahr 1949 die chinesische Wirtschaft komplett verstaatlicht und kollektiviert hat. Sie bestimmt auch heute noch, wie groß der Staatssektor sein soll, wie er zusammengesetzt ist und welche Rolle die Staatsunternehmen spielen. Über Parteikomitees (Parteizellen) und die Besetzung von Schlüsselpositionen im Management wird sichergestellt, dass die SOE immer die Linie der Partei vertreten und staatliche Ziele umsetzen. Umsatz und Profit der SOE sind dabei eher eine nachgelagerte Komponente.
Kontrolle wird aber auch über offizielle Regierungsinstitutionen ausgeübt, die unterhalb des Staatsrates liegen. Hier werden die Grobsteuerung und Zielsetzung der Kommunistischen Partei und des Staatsrates in Verwaltungsprozesse gegossen. Für die SOE besonders relevant sind die Staatliche Kommission für Vermögensaufsicht und Verwaltung (SASAC), die Nationale Kommission für Entwicklung und Reform (NDRC) sowie das chinesische Finanzministerium (MOF).
Die SASAC verwaltet und reguliert hauptsächlich das staatseigene Vermögen der SOE. Unter ihrer Verwaltung stehen fast alle staatlichen Unternehmen auf zentraler Ebene und zahlreiche Unternehmen auf Provinz und Lokalebene. Die NDRC koordiniert daneben die zentrale Wirtschaftsplanung, setzt
die wichtigsten innenpolitischen Entwicklungsmaßnahmen und steuert Märkte, Marktstrukturen und Marktakteure. Außerdem legt sie Preisbänder für wichtige Rohstoffe und Waren fest, die auch die allgemeine Kostenstruktur der chinesischen Wirtschaft beeinflussen. Über das MOF werden die Geldströme gelenkt. Vor allem die fünf großen Staatsbanken und zahlreiche Entwicklungsbanken spielen hier eine zentrale Rolle bei der Allokation. Das MOF ist aber auch für die öffentliche Auftragsvergabe verantwortlich und koordiniert Investitions und Finanzierungsaktivitäten im Rahmen der Belt and Road Initiative.
Abbildung 1: Kontrolle / Aufsicht im Staatssektor (grob)
Kommunistische Partei (KPCh) (Grundsatzentscheidung und nationale Ziele)
Chinesische Regierung (Staatsrat) (Kontrolle und Grobsteuerung)
SASAC (Eigentum)
NDRC (Markt und Preisplanung)
MOF (Beschaffungswesen, BRI)
Staatssektor / SOE (Rüstung, Versorgung, Transport, Infrastruktur, Finanzwesen, Medizin, TK, …)
Quelle: BDI
Entwicklung des Staatssektors in China
Um den heutigen Staatssektor besser zu verstehen, hilft es einen Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahre zu werfen. Die Umstrukturierung staatlicher Unternehmen in China begann 1978 mit der Einleitung marktorientierter Wirtschaftsreformen durch Deng Xiaoping. Die Reformen der staatlichen Unternehmen in den 1980er Jahren waren durch Änderungen der Management und Gewinnbeteiligungssysteme gekennzeichnet, gefolgt von Konsolidierung und Privatisierung in den 1990er Jahren, als viele kleine und ineffiziente staatliche Unternehmen geschlossen, fusioniert oder verkauft wurden. Gleichzeitig begann die Regierung mit dem Aufbau einer Gruppe großer staatlicher Industrieunternehmen, die sich auf kritische Wirtschaftssektoren konzentrierten, die als relevant für die nationale Sicherheit und die wirtschaftliche Entwicklung angesehen wurden. In den 1990er und 2000er Jahren gingen diese Reformen in eine Reihe von Maßnahmen zur Förderung des Wettbewerbs zwischen staatlichen Unternehmen über. Diese Maßnahmen führten im Rückblick jedoch nicht zu effizienteren Staatsbetrieben, sondern zu einer verstärkten staatlichen Kontrolle.
Unter Präsident Hu Jintao (2003 2013) nahmen Einfluss und Vermögen staatlicher Unternehmen trotz des Versprechens, Monopole aufzulösen und den Wettbewerb auf dem Markt zu verstärken, erheblich zu. 2003 wurde die Kommission zur Überwachung und Verwaltung staatlicher Vermögenswerte (SASAC) beim Staatsrat eingerichtet, um die Rechte der Regierung als Mehrheitsaktionär der staatlichen Unternehmen auszuüben und die Aktivitäten der staatlichen Unternehmen zu verwalten.
Seit Amtsantritt von Präsident Xi Jinping im Jahr 2013 hat dann eine noch nie dagewesene Anzahl von Megafusionen stattgefunden, an denen die größten staatlichen Unternehmen Chinas in Schlüsselsektoren wie Verkehr, Energie und Schifffahrt beteiligt waren. Chinesischen Staatsmedienberichten zufolge forderte die SASAC eine Beschleunigung der SOE Konsolidierung, um die Zahl der direkt der Zentralregierung unterstehenden SOE auf 80 Unternehmen zu reduzieren. 2018 gab es so nur noch 97 zentralstaatliche SOE, während es bei der Gründung der SASAC im Jahr 2003 noch 189 waren.
Ziele der Megafusionen
Mit Megafusionen werden zwei wirtschaftliche Ziele verfolgt: Erstens soll die Leistung der Unternehmen verbessert werden, indem überschüssige Industriekapazitäten abgebaut, der Wettbewerb zwischen den staatlichen Unternehmen in China minimiert und Größenvorteile (und damit niedrigere Preise) erzielt werden. Zweitens wird versucht, größere, wettbewerbsfähigere "nationale und internationale Champions" zu schaffen, die über mehr Volumen und Marktanteile verfügen. Durch diese Bemühungen hofft die chinesische Regierung, Schulden zu reduzieren und die Effizienz des staatlichen Sektors zu steigern.
Die Konsolidierung staatlicher Unternehmen bringt aber auch erhebliche politische Vorteile mit sich, insbesondere eine stärkere staatliche Kontrolle der Kommunistischen Partei über die Wirtschaft. Wie Präsident Xi in seinen Ausführungen auf einem Parteitag im Oktober 2017 erklärte: "Regierung, Militär, Gesellschaft und Schulen, Norden, Süden, Osten und Westen die Partei führt sie alle."
Die Kommunistische Partei kann dabei die Geschäftsentscheidungen staatlicher Unternehmen durch eine Reihe politischer und finanzieller Druckmittel beeinflussen und den Unternehmen Anreize bieten, politische statt kommerzieller Ziele zu verfolgen. So behält sie sich zum Beispiel auch das Recht vor, alle leitenden Angestellten in zentralen und lokalen staatlichen Unternehmen zu ernennen. Und Vorsitzende oder Geschäftsführer dieser Unternehmen leiten oft gleichzeitig die Parteikomitees ihrer Unternehmen. So kommt es auch immer wieder vor, dass chinesischen Regulierungsbehörden den staatlichen Unternehmen Vorteile gewähren. Darunter kann zum Beispiel auch eine flexiblere Auslegung des Monopol oder Konkursrechts fallen.
Implikationen für Deutschland und die EU
China verfolgt in zentralen Bereichen wie Energie, Transport, Telekommunikation und Versorgung eine Strategie des Staatskapitalismus, die von staatlichen Monopolen dominiert wird. Die politischen Entscheidungsträger in Deutschland und Europa sollten diesen Trend verfolgen, sowie Unterschiede und Implikationen für Märkte und Wettbewerb im europäischen Markt und auf Drittmärkten analysieren. Außerdem sollte die zunehmende Konzentration und somit nominale Abnahme der SOE in China nicht ausschließlich wie von der chinesischen Propaganda kolportiert als Privatisierungsbemühungen interpretiert werden. Dieses Narrativ wird gerne bemüht, um Druck aus Gesprächen oder Verhandlungen zu nehmen.
SOE Megafusionen untergraben zudem die Wettbewerbsfähigkeit von deutschen und europäischen Unternehmen, die im Einklang mit Marktkräften arbeiten. Die staatliche Unterstützung ermöglicht es sogar verschuldeten SOE, ausländische Unternehmen zu übernehmen, bei Ausschreibungen mit Kampfpreisen zum Zuge zu kommen oder Produkte weit unter den Marktpreisen anzubieten. Europäische Unternehmen verlieren dadurch nicht nur Marktanteile oder Umsätze, sondern laufen Gefahr, mittelfristig aus den Märkten gedrängt zu werden (Crowding Out).
Auf der anderen Seite werden chinesische Staatsunternehmen in China oft noch durch Marktzugangsbarrieren vor ausländischer Konkurrenz geschützt oder bevorzugt behandelt. Daraus entsteht ein weiterer Nachteil für ausländische Privatunternehmen, die im globalen Wettbewerb konkurrieren und nicht die gleichen Skalen und Wachstumseffekte genießen können wie ihre chinesischen Konkurrenten.
Wenn dieser Trend zu Megafusionen und Protektionismus anhält, wird es für europäische Wettbewerber aus dem Privatsektor in Zukunft noch schwieriger, zu konkurrieren. Dieser Trend stellt deswegen eine direkte Bedrohung für die globale Wettbewerbslandschaft dar, die zunehmend ins Ungleichgewicht gerät. Die globale Wirtschaftspolitik steht an einem Scheideweg, wenn sie es nicht schafft, die systemischen Unterschiede über entsprechendes Schnittstellenmanagement zu überbrücken.
Staatliche Koordinierung und kartellrechtliche Absprachen
Während in Europa Kartellabsprachen streng reguliert bzw. verboten sind, ergibt sich in Chinas System eine ganz andere Situation. Aus dem Zusammenspiel von parteistaatlichen Plänen, staatlichen Behörden und staatlichen Unternehmen ergibt sich relativ schnell die Frage, wann und inwiefern ein bestimmtes Vorgehen wettbewerbsrechtlich zum Tragen kommt, vor allem, wenn es sich gegen ausländische Wettbewerber richtet oder internationale Märkte betrifft. Wie in Abbildung 1 dargestellt, ist die Koordinierung chinesischer Akteure systemisch bereits angelegt und politisch vorgesehen. Mit dieser Struktur kann das Wettbewerbsverhalten von SOE relativ einfach durch den Staat beeinflusst und mit nationalen Plänen und Zielen in Einklang gebracht werden.
Gegen Absprachen, Kartellverhalten und abgestimmtes Vorgehen auf dem chinesischen Binnenmarkt können weder die EU noch europäische Unternehmen etwas ausrichten. In China bestimmt die KPCh, welches Wirtschafts und Rechtssystem verwendet wird. Dabei spielt es für die chinesische Regierung kaum eine Rolle, ob das eigene System mit anderen Wirtschafts und Rechtssystemen kompatibel oder im Einklang ist.
Rechtlich relevant werden die Auswirkungen des chinesischen Systems aus europäischer Sicht spätestens dann, wenn sie auf den Binnenmarkt oder Drittmärkte ausstrahlen. Dort kann es zu einer deutlichen Veränderung bzw. Verzerrung des Wettbewerbs kommen. Ein großes Problem ist jedoch auch der Mangel an Transparenz. Europäische Behörden haben nur wenig Einblicke darüber, welche Absprachen in China bzgl. der Strategien auf Auslandmärkten getroffen werden. Und fehlen notwendige Fakten und Beweise, können auch keine erfolgversprechenden behördlichen oder gerichtlichen Verfahren angestrengt werden
Der Privatsektor und das chinesische Wettbewerbsrecht
Der größte Teil des Wirtschaftswachstums in China wird dem privaten und teilweise halb privaten Sektor zugeschrieben. Während Staatsunternehmen nach wie vor bedeutende Sektoren der Wirtschaft dominieren, konnten besonders die Privatunternehmen und Mischunternehmen auf subnationaler Ebene deutlich an Bedeutung gewinnen.
Um den Stellenwert des chinesischen Privatsektors zu beschreiben wird häufig Zahlenkombination 60/70/80/90 verwendet: Er trägt 60 Prozent zum chinesischen BIP bei und ist für 70 Prozent der Innovationen, 80 Prozent der städtischen Beschäftigung und 90 Prozent der neuen Arbeitsplätze verantwortlich. Hinzu kommen noch 70 Prozent der Investitionen und 90 Prozent der Waren.
Mit der wachsenden Bedeutung des Privatsektors sieht die chinesische Regierung auch immer mehr Bedarf, den Wettbewerb zwischen den Privatunternehmen zu regulieren und auf Entwicklungen, die sie als negative Auswüchse oder unkontrollierte Machtkonzentration ansieht, einzuwirken.
Stärkere Anwendung des Wettbewerbs- und Antimonopolrechts
Im Jahr 2021 hat sich das Staatliche Zentralamt für Marktregulierung (SAMR) medial einen Namen gemacht. Im März verhängte SAMR Geldstrafen wegen "illegalen monopolistischen Verhaltens“ gegen 12 Unternehmen. Zu diesen Firmen gehörten die Suchmaschine Baidu und der Tech Gigant Tencent. Gegen den Online Händler Alibaba wurde im April eine Geldstrafe von 2,8 Mrd. USD wegen Missbrauchs marktbeherrschender Stellung verhängt, gefolgt im Oktober von einer Geldstrafe von 530 Mio. USD für die Shopping Plattform Meituan wegen eines ähnlichen Verstoßes.
Im Oktober 2021 wurde dann auch der Entwurf zur Änderung des Anti Monopol Gesetzes (AML) zur öffentlichen Stellungnahme veröffentlicht, und im November 2021 gründete Peking inmitten von Diskussionen über eine Verschärfung des Anti Monopol Gesetzes ein Anti Monopol Büro. "Monopole sind der große Feind der Marktwirtschaft" verkündete die chinesische Volkszeitung, eines der Sprachrohre der chinesischen Regierung. Obwohl China bereits zur Aufnahme in die WTO versprochen hatte, entsprechende Gesetze in China zu formulieren und zu implementieren, hat es 20 Jahre gedauert, bis man das Thema ernst genommen hat. Es ist davon auszugehen, dass sich der Trend im Privatsektor nochmal weiter verstärken wird, zumal die Ressourcen der Regierung in diesem noch relativ jungen Bereich gerade weiter aufgestockt werden.
Revision des Anti-Monopol-Gesetzes (AML)
Das aktuell gültige AML trat 2008 in Kraft und die Arbeit an der Revision begann etwa 2017. Jedoch erst seit Ende 2021 ist China Zeuge einer umfassenden Reform des Kartellrechts, mit der China die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts weiter verschärfen möchte. Anzumerken ist, dass sich das AML, das bereits eine Bedingung für den WTO Beitritt Chinas war, stark am EU Wettbewerbsrecht orientiert, auch wenn sich die Anwendungspraxis teilweise sehr deutlich unterscheidet. Die Änderungen des AML sind im August 2022 in Kraft getreten, überarbeitete Durchführungsverordnungen sollen folgen.
Im Vergleich zu früheren Änderungsentwürfen wurden zwar keine wesentlichen Änderungen der Artikel im AML vorgenommen, jedoch wurde die Haftung für alle Arten von unzulässigen Praktiken deutlich erhöht. Nicht nur der Bußgeldrahmen wurde stark angehoben, sondern es wurden auch neue Haftungstatbestände, wie das Verbot von Hub and Spoke Kartellen, und härtere Sanktionen eingeführt, einschließlich Sanktionen für Einzelpersonen. Bei einem „extrem schweren“ Kartellrechtsverstoß kann das Bußgeld nun mit einem Faktor zwischen „2“ und „5“ multipliziert werden. Auch die Fusionskontrolle wurde durch die Einführung eines „Stop the Clock“ Mechanismus, der Möglichkeit der behördlichen Kontrolle auch unterhalb bestehender Aufgreifschwellenwerte und höhere Bußgelder verschärft; im Gegenzug wurden die Aufgreifschwellenwerte erhöht
Das AML soll Monopole verhindern und fairen Wettbewerb sowie die Konsumentenwohlfahrt schützen. Für die Kommunistische Partei bzw. die chinesische Regierung sind aber auch wettbewerbsfremde Ziele relevant. So soll das Gesetz auch zur „gesunden Entwicklung der sozialistischen Marktwirtschaft“ beitragen und „makroökonomische Steuerung“ ermöglichen. Breite Formulierungen und Generalklauseln sind in China in vielen Gesetzen zu finden. Bei Konflikten mit anderen Zielen besteht also ein weiter behördlicher Entscheidungsspielraum.
Staatliches Zentralamt für Marktregulierung (SAMR)
Das Schicksal der Tech Unternehmer und Internet Giganten liegt seit jeher in den Händen Pekings. Trotz ständiger Spannungen zwischen dem Staat (der vor allem Stabilität anstrebt) und den Tech Unternehmern (die sich in einem harten Wettbewerb um Marktanteile gegenseitig bekämpfen) gelang es lange Zeit, unter dem Banner des Wirtschaftswachstums einen Mittelweg zu finden. So konnte sich der Sektor zunächst unbelastet von einschränkender Regulierung zur jetzigen Form entwickeln. Beamte und gut vernetzte Investoren spielten dennoch stets eine wichtige Vermittlerrolle und ermöglichten es den Regulierungsbehörden, die Tech Giganten nur dann zu zügeln, wenn rote Linien überschritten wurden (z. B. bei internationalen Streitigkeiten mit Plagiaten). Dieses Arrangement geriet ins Wanken, als Ende 2015 der Aktienmarkt abstürzte und die Regierung zu der Überzeugung gelangte, prinzipiell stärker ins Wirtschaftsgeschehen eingreifen zu müssen, um wieder mehr Kontrolle zu erlangen. Es folgten Kampagnen gegen Online Spiele, private Schulen und Nachrichteninhalte. Einschlägige Gesetze und Verordnungen wurden geändert und deutlich verschärft.
Im Zuge der Entwicklungen entstand auch das Staatliche Zentralamt für Marktregulierung (SAMR), eine dem Staatsrat der Volksrepublik China direkt unterstellte Behörde auf Ministerebene, die für die Regulierung von Bereichen wie Marktwettbewerb, Monopole und Marktüberwachung zuständig ist. Sie wurde im Rahmen der chinesischen Verwaltungsreform von 2018 durch den Zusammenschluss von drei bestehenden Regulierungsbehörden als neue Super-Behörde für die Marktregulierung gegründet und verfügt über weitreichende Befugnisse gegenüber dem Privatsektor des Landes in den Bereichen Antimonopolrecht und unlauterem Wettbewerb.
Seit Ende 2020 ist die Behörde auch medial immer wieder in Erscheinung getreten. Im Fokus von Ermittlungen lagen, wie schon erwähnt, vor allem große Internet Unternehmen wie Didi, Alibaba, JD.com, Bytedance oder Tencent. Die meisten Fälle drehten sich um Praktiken der Marktabschottung, Preisabsprachen, Fusionen und Umstrukturierungen oder Nutzung von Daten, die als unlauterer Vorteil angesehen werden.
Abbildung 2: Kontrolle / Aufsicht im Privatsektor (grob)
Kommunistische Partei (KPCh) (Grundsatzentscheidung und nationale Ziele)
Chinesische Regierung (Staatsrat) (Kontrolle und Grobsteuerung)
SAMR (Marktregulierung)
NDRC (Marktplanung)
Staatsnahe Equity Fonds (Eigentum, Steuerung)
( )
Private chinesische oder ausländische Unternehmen / Joint Venture (Automobil, Produktionsgüter, Maschinenbau, Konsumgüter, Elektronik, Luxus, …)
Quelle: BDI
Für SAMR soll in Zukunft die Antitrust Politik Vorrang gegenüber der Industriepolitik haben. Staatliche Stellen sollen sich also „wettbewerbsneutral“ verhalten (competitive neutrality). Zentralstaatliche SOE, die augenscheinlich größten Monopole, wurden bisher aber nicht von SAMR belangt. Hier sind deutlich die Trennlinien zwischen den staatskapitalistischen Teilen und den privatwirtschaftlichen Teilen innerhalb des hybriden chinesischen Wirtschaftssystems zu erkennen.
Benachteiligung ausländischer Unternehmen
Zwar ist die Gesetzgebung und vor allem die praktische Anwendung noch sehr jung, doch befürchten ausländische Akteure in China eine Benachteiligung. Merkmale dafür können lange Verfahrensdauern bei komplexen Fusionen, hohe (verhaltensbezogene) Auflagen für die Freigabe von Fusionen oder die faktische Immunität für heimische SOE sein. Daraus entfaltet sich möglicherweise auch ein abschreckender Charakter, der dazu führt, dass Fusionsvorhaben im Vorfeld aufgegeben werden, aus Sorge, SAMR würde als einzige Behörde weltweit nicht genehmigen.
Es bleibt allerdings zu prüfen, ob sich die Befürchtungen in der Praxis so eindeutig belegen lassen. Bei der geplanten Fusion der Mobilitätssparten von Siemens und Alstom zum Beispiel hatte die chinesische Wettbewerbsbehörde ihre Zustimmung gegeben, der Zusammenschluss ist dann jedoch an der Untersagung durch die EU Kommission gescheitert. Allerdings ist zu erwähnen, dass die chinesische Wettbewerbsbehörde auch ohne besonderen lokalen Nexus Fusionen in Drittstaaten prüft. Fusionen zwischen ausländischen Unternehmen müssen angemeldet werden, wenn die allgemeinen Umsatzschwellen erreicht sind. Die Schwellenwerte für die Anmeldung setzen voraus, dass beide Parteien einen (geringen) Umsatz in China erzielen. Allerdings gibt es keinen zusätzlichen "Auswirkungstest". Bestimmte Transaktionen zwischen ausländischen und chinesischen Unternehmen können als "einfache Fälle" eingestuft werden, wenn die Transaktion keinen Anlass zu erheblichen Wettbewerbsbedenken gibt.
Nicht auszuschließen ist auch eine politische Konnotation von Entscheidungen. Sollten Unternehmen in Ungnade fallen, sei es aufgrund ihrer Verbindung zu einem bestimmten Herkunftsland oder aufgrund eines bestimmten Verhaltens, das in China politisch missbilligt wird, könnte es zu einer schärferen Anwendung oder Ausnutzung der weiten Ermessenspielräume des gesetzlichen Regelwerks kommen.
Chinesische Staatsunternehmen im internationalen Kontext und die EU-Fusionskontrolle
Staatlich koordinierte Fusionen chinesischer SOE zur Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf den globalen Märkten werfen eine Reihe schwieriger Fragen im Rahmen der weltweiten Fusionskontrollsysteme auf.
Die Überprüfung der Fusionskontrollpraxis der Europäischen Kommission zeigt zahlreiche Fälle, in denen sie bei der Bewertung der wettbewerblichen Auswirkungen von Übernahmen seitens chinesischer Staatsunternehmen in Europa von der Existenz einer "wirtschaftlichen Einheit" mehrerer chinesischer Staatsunternehmen ausging (single economic entity). Die Bestimmung der "wirtschaftlichen Einheit" ist zum Zweck der Berechnung des Gesamtumsatzes für die Anwendbarkeit der EU-Fusionskontrolle wichtig, wirft im Verhältnis zu chinesischen SOE aber einige Fragen auf.
Die EU Fusionskontrolle bietet bislang keine Handhabe, den Hintergrund von Finanzflüssen und staatlicher Subventionspolitik zu überprüfen. Gerade bei Übernahmen brauchen europäische Unternehmen aber faire Chancen und Wettbewerbsgleichheit im Binnenmarkt, das weder durch europäische noch
durch drittstaatliche Unternehmen verzerrt werden darf. Während Subventionen der Mitgliedstaaten und ihre Wirkung auf den Wettbewerb in der EU der strengen EU Beihilfenkontrolle unterliegen, besteht für im Binnenmarkt wirkende Drittstaatsubventionen keine vergleichbare Kontrolle. Zum Schutz des Wettbewerbs im Binnenmarkt vor Verzerrungen durch Drittstaatssubventionen bedarf es daher effektiver Kontrollmechanismen.
Um die bestehende Regelungslücke zu schließen hat der Europäische Rat die Europäische Kommission im März 2019 damit beauftragt, neue Instrumente zu erarbeiten, mit denen den wettbewerbsverzerrenden Auswirkungen drittstaatlicher Subventionen im Binnenmarkt begegnet werden kann. Die Europäische Kommission hat im Mai 2021 einen Vorschlag über eine Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen (Foreign Subsidies Instrument) vorgelegt. Diese Verordnung soll fairere Wettbewerbsbedingungen innerhalb der EU schaffen und gleichzeitig die Offenheit des Binnenmarkts nach außen erhalten, die für die europäische Wirtschaftskraft so wichtig ist. Auf diese Weise soll die Resilienz Europas zunehmen. Die Europäischen Institutionen einigten sich Ende Juni 2022 im Trilog auf den finalen Verordnungstext. Die neuen Regeln werden voraussichtlich im Laufe des Jahres 2023 in Kraft treten.
Auf der Grundlage der neuen Verordnung soll die Kommission befugt sein, finanzielle Zuwendungen zu prüfen, die in der EU wirtschaftlich tätige Unternehmen von Behörden eines Drittstaats direkt oder indirekt erhalten, und gegebenenfalls die wettbewerbsverzerrenden Auswirkungen solcher Zuwendungen, insbesondere im Zusammenhang mit Unternehmenszusammenschlüssen (Fusionen) und Angeboten in öffentlichen Vergabeverfahren, abzuwenden.
Ein weiterer Meilenstein ist das nun abschließend verhandelte neue International Procurement Instrument (IPI) als wichtiger Beitrag zur Schaffung eines ausgeglichenen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen in der EU und in Drittländern sowie zur Verhinderung künftig drohender Abhängigkeiten europäischer Beschaffungsmärkte von Unternehmen aus Drittländern. Das dürfte vor allem chinesische SOE treffen, die sich seit Jahren zunehmend an öffentlichen Ausschreibungen im EU Binnenmarkt beteiligen. Nun kommt es darauf an, dass das Instrument auch im Praxistest besteht und danach konsequent angewendet wird. Wie und ob das funktioniert, bleibt allerdings abzuwarten.
Fazit
In Chinas, wie es sich selbst deklariert, „Sozialismus mit chinesischer Prägung“, besteht nach wie vor keine Rechtsstaatlichkeit oder Gewaltenteilung im Sinne der westlichen Marktakteure. Recht und Justiz müssen sich stets dem Willen der Kommunistischen Partei unterordnen, deren Akteure quasi außerhalb der chinesischen Gerichtsbarkeit stehen.
Dreh und Angelpunkt des Staatssektors bleibt in China vor allem die Staatliche Kommission für Vermögensaufsicht und Verwaltung (SASAC). Unter ihr ist der Besitz an den SOE zusammengefasst und hier wird letztendlich die Entscheidungskontrolle umgesetzt. Wettbewerbsrechtlich können die chinesischen zentralstaatlichen SOE deswegen als wirtschaftliche Einheit (single economic entity) betrachtet werden.
Das Kartellrecht steht seit Gründung der chinesischen Super Regulierungsbehörde SAMR im Jahr 2018 weit oben auf der Agenda der chinesischen Regierung und wird in den kommenden Jahren zunehmend zu einem Thema für ausländische Unternehmen. Dennoch hat es noch lange nicht den ihm gebührenden Stellenwert erlangt. Es besteht auch die latente Gefahr, dass das Kartellrecht als Instrument zur Schwächung privater (inländischer und ausländischer) Unternehmen eingesetzt wird.
Eine weite Auslegung und schärfere Anwendung des Anti Monopol Gesetzes geben der chinesischen Regierung darüber hinaus ein mächtiges Instrument an die Hand, den Wettbewerb gezielt zu Gunsten oder zu Lasten bestimmter Akteure zu beeinflussen. Ausländische Unternehmen, die aufgrund ihrer Popularität, Technologie oder Patenten eine marktbeherrschende Stellung haben, laufen Gefahr, in Zukunft noch stärker in den Fokus der Wettbewerbsbehörden zu geraten.
Bisher wurde das AML kaum auf zentralstaatliche SOE angewendet. Paradoxerweise fördert die Regierung hier sogar noch die Konzentration zu monopolistischen Super SOE, um sie im globalen Wettbewerb besser zu positionieren. Jedoch sorgen seit 2021 vor allem Fälle aus dem privaten Tech Sektor für Schlagzeilen. Auch lokale SOE werden, anders als die zentralen SOE, nicht vom Gesetz verschont und mit Strafen und Bußgeldern belegt. Ob die neuen Antitrust Reformen in China an dem großen Ermessen und einer möglichen willkürlichen Handhabung des Gesetzes sowie der fehlenden gerichtlichen Durchsetzung grundsätzlich etwas ändern werden, bleibt abzuwarten.
China wird auf unbestimmte Zeit an seinem hybriden System festhalten. Das bedeutet, dass dem Staatssektor in Zukunft weiterhin eine Kernrolle in Chinas Wirtschaftssystem zukommt und starke staatliche Markt und Lenkungseingriffe zu erwarten sind. Hoffnungen, dass sich China im Sinne von „Reform und Öffnung“ dem westlich geprägten System weiter angleicht und Marktkräften eine entscheidende Rolle zukommen lässt, gibt es mittlerweile kaum noch. Da wir keinen Einfluss darauf haben, wie China sein System organisiert, muss die Konsequenz sein, dass zumindest wir unseren Binnenmarkt in Zukunft so resilient machen, dass es zu keiner Benachteiligung für deutsche und europäische Unternehmen kommt.
Die EU Kommission hat bereits vor Jahren erkannt, dass der EU Binnenmarkt und das chinesische Hybridmodell kollidieren. Gegenreaktionen der Europäischen Union, wie die Anwendung des „single economic entity test“ und handels und wettbewerbspolitische Defensivinstrumente mögen deswegen einen Weg in die Zukunft weisen, sind aber zugleich Ausdruck einer gewissen Hilflosigkeit.
Im Kern hat man zu lange den Umstand vernachlässigt, dass beide Wirtschaftssysteme nicht kompatibel sind, und es bei Überschneidungen oder Vermischung zwangsläufig zu Wettbewerbsverzerrungen kommen muss. Die EU sollte deswegen ihre Defensivinstrumente so gestalten, dass sie einerseits in der Praxis noch anwendbar sind, aber gleichzeitig das „Level Playing Field“ für europäische Unternehmen garantiert bleibt. Die Zeit drängt.
Impressum
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Redaktion
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Dr. Ulrike Suchsland
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BDI Dokumentennummer: D 1678