Patentpaket EU-Kommission: EU-Regime für Zwangslizenzen

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Stellungnahme

Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung über die Vergabe von Zwangslizenzen für das Krisenmanagement sowie zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 816/2006

BDI-Stellungnahme

Kommissionsvorschlag für EUZwangslizenzverordnung

Langtitel, Beispiel: (Arial, 20 Pt, fett)

Referentenentwurf/ Regierungsentwurf

Transparenzregisternummer: 1771817758-48

Gesetz zur Modernisierung der Netzentgeltstruktur

Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.

Stand: 07.07.2023

BDI-Stellungnahme Kommissionsvorschlag für EU-Zwangslizenzverordnung Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung 3 Patente fördern Innovationen und schaffen Transparenz 3 Patente fördern den Technologietransfer 3 Patente fördern Unternehmenskooperationen 3 Patente fördern Entstehung und Entwicklung innovativer KMU........4 Patente sind ein Schlüsselfaktor für die globale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen ...............................4 Patente bieten gesellschaftlichen Mehrwert und sichern Qualität und Sicherheit 4 Allgemeine Anmerkungen............................................................6 Keine Notwendigkeit für Einführung eines EU-Regimes für Zwangslizenzen 6 Verhältnismäßigkeit und Bestimmtheitsgrundsatz 8 Im Einzelnen...............................................................................10 1. Anwendungsbereich / Geschäftsgeheimnisschutz 10 2. Ermächtigungsnorm ...............................................................12 a) Nicht finale und unbestimmte EU-Kriseninstrumente ...........12 b) Fehlende spezifische Voraussetzungen für Zwangslizenzerteilung 13 c) Abschließende Liste von EU-Kriseninstrumenten.................14 3. Zuständige Stelle....................................................................15 4. Allgemeine Bedingungen für Zwangslizenzerteilung................16 5. Beratungsgremium.................................................................16 6. Entschädigung 17 7. Beziehungen zwischen dem Rechteinhaber und Lizenznehmer 18 8. Buß- und Zwangsgelder 19 9. Überprüfbarkeit von Zwangslizenzentscheidungen 19 Über den BDI ..............................................................................20 Impressum..................................................................................20

Vorbemerkung

Geistiges Eigentum und dessen Schutz sind das Fundament für Innovation und damit für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas. Um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können, müssen die Unternehmen ihre Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen schnell und effektiv in marktfähige Produkte umsetzen und ihren Wettbewerbsvorsprung absichern. Patente, Marken, Gebrauchsmuster, eingetragene Designs / Geschmacksmuster, Urheberrechte und verwandte Schutzrechte sowieSchutzvorschriften für Geschäftsgeheimnisse stellen hierfür den rechtlichen Rahmen zur Verfügung. Der Schutz geistigen Eigentums dient aber nicht nur der Absicherung von Investitionen, sondern auch dem Wissens- und Innovationszuwachs der Allgemeinheit und dem Technologietransfer zwischen Unternehmen. Patenten kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu:

Patente fördern Innovationen und schaffen Transparenz

Ein strukturiertes und transparentes Patentsystem bildet die Grundlage für eine breite, faire und durchschlagskräftige Innovationskultur in der Gesellschaft.

Patente fördern den Technologietransfer

International arbeitsteilige Entwicklungspartnerschaften sind heutzutage in praktisch allen Industriebranchen verbreitete Realität. Gemeinsam tragen Entwicklungspartner unterschiedlichster Größenordnungen dazu bei, dass komplexe Endprodukte von den Bändern laufen und sichern so die Technologieführerschaft Deutschlands und Europasauf den Weltmärkten auf vielen Gebieten der Technik. Die in diesen „Innovations-Ökosystemen“ erfolgende Nutzung innovativer Technologien auf unterschiedlichen Ebenen komplexer Wertschöpfungsketten erfordert zwingend rechtssichere Zugangs- und Übertragungsmöglichkeiten. Patente sind hierfür unverzichtbar, denn sie machen aus einer Idee ein handelbares Gut, das in einer arbeitsteiligen Wirtschaft zwischen den Akteuren ausgetauscht werden kann. Ohne Patente wäre ein verlässlicher, strukturierter und fairer Transfer von Technologien nicht möglich.

Patente fördern Unternehmenskooperationen

Ein weiterer Mehrwert von Patenten liegt in einer Erleichterung von vielfältigen Unternehmenskooperationen. Durch die Kombination der eigenen Technologie mit Technologien anderer Unternehmen – ob einseitig oder gegenseitig durch Austausch von Rechten an Erfindungen (Kreuzlizenzen) –

Bundesverband der Deutschen Industrie e.V Mitgliedsverband

BUSINESSEUROPE

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Ansprechpartner Ines Nitsche

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entsteht eine Vielfalt neuer, innovativer Produkte, die die Wettbewerbsfähigkeit deutscher und europäischer Unternehmen fördert und auch den Verbrauchern durch mehr Auswahl und geringere Preise zugutekommt. Der Weg zu einer nachhaltigeren Wirtschaft ist ohne diese Kooperationen undenkbar.

Patente fördern Entstehung und Entwicklung innovativer KMU

Patente sind nicht nur für Großunternehmen, sondern gerade auch für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) von herausragender Bedeutung. Sie sind in den meisten Fällen die einzige Möglichkeit für Gründerinnen und Gründer sowie für KMUohne große Kapitaldecke, ihre innovativen Produkte und Technologien inAlleinstellung und imWettbewerbmitetablierten Wettbewerbern auf den Markt zu bringen. Damit bilden Patente die Grundlage für spätere Umsätze und den Erfolg dieser Unternehmen. Insbesondere im Hinblick auf den Zugang zu Finanzmitteln sind Patente in der Regel für kleinere Unternehmen eine essenzielle Voraussetzung und ebnen ihnen so den Weg zum geschäftlichen Durchbruch.

Patente sind ein Schlüsselfaktor für die globale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen

Die Wirtschaftskraft Deutschlands und der EU basiert auf innovativen, zumeist technischen Produkten, die international mit Partnern in Drittländern vermarktet werden, die mit deutschen und europäischen Unternehmen zusammenarbeiten möchten. Unsere Unternehmen investieren signifikante Summen in Forschung, Entwicklung und Produktvermarktung, gerade auch am Standort Deutschland,und müssendieErgebnisse vor Nachahmern schützen können, um die Investitionen zu amortisieren. Ohne Patente ist die Forschung und Entwicklung in Hochlohnländern nicht finanzierbar und wertvolle Arbeitsplätze wandernin Niedriglohnländer ab. Patente gelten weltweit als Maßstab für die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit technisch orientierter Unternehmen und Staaten und sind elementar dafür, dassdeutsche Unternehmen im globalen Innovationswettbewerb bestehen können.

Patente bieten gesellschaftlichen Mehrwert und sichern Qualität und Sicherheit

Aber geistiges Eigentum schafft nicht nur einen wirtschaftlichen Wert. Dahinter stehen viele gesellschaftliche Ziele, die durch hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung gefördert werden. Angefangen von

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Innovationen im Bereich der grünen Technologien für den Kampf gegen den Klimawandel bis hin zur Entwicklung innovativer Arzneimittel für die Bekämpfung von Krankheiten. Der Patentinhaber oder Lizenznehmer hat ein Interesse daran, für eine solide und rechtssichere Nutzung der Patentrechte zu sorgen und auch zu kontrollieren, wer berechtigt ist, die innovativen Produkte beziehungsweise Services bereitzustellen. Damit sichert ein effektiver Schutz geistigenEigentumseine gleichbleibend hohe Qualität von Produkten beziehungsweise Dienstleistungen und gewährleistet deren Sicherheit.

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Allgemeine Anmerkungen

Der BDI unterstütztim Grundsatz dasBestrebender EU-Kommission imFall künftiger EU-weiter Krisen, schnell und effizient Maßnahmen zur Krisenbewältigung ergreifen zu können, z. B. durch die Versorgung der EU-Bevölkerung mit komplexen Produkten. Jedoch ist die Einführung eines zusätzlichen Systems für EU-weite Zwangslizenzen nach Ansicht der deutschen Industrie weder geeignet noch erforderlich, um eine effiziente Krisenbewältigung innerhalb der EUzu gewährleisten. In der COVID-19-Pandemie ist der Schutz geistigen Eigentumsder Garant dafür gewesen, dass in beispiellos hoher Geschwindigkeit COVID-19-Impfstoffe entwickelt wurden und zur Verfügung standen. Die Industrie hat sehr schnell und umfassend auf die durch COVID19 verursachte akute Krisensituation reagiert, u. a. durch freiwillige Unternehmenskooperationen, Technologietransfers und den Aufbau neuer Produktpartnerschaften.

Keine Notwendigkeit für Einführung eines EU-Regimes für Zwangslizenzen

Nach dem bewährten internationalen Schutzsystem geistiger Eigentumsrechte kommen Zwangslizenzen nur in Einzelfällen in Frage im Falle eines konkreten Marktversagens zur Verfolgung übergeordneter Allgemeinwohlinteressen. Mit Artikel 31 und 31a des TRIPS-Abkommens existieren bereitsinternationale Rahmenregelungen für die Erteilung von Zwangslizenzen in bestimmten Situationen, die dem Ausnahmecharakter von Beschränkungen des Patentschutzes zugunsten übergeordneter öffentlicher Interessen angemessen Rechnung tragen. Die EU-Mitgliedstaaten haben diese Rahmenbedingungen in ihren nationalen Rechtssystemen implementiert (DE: § 24 Absatz 1 Patentgesetz (PatG)). Die Tatsache, dass die Regelungen der EUStaaten nationale Besonderheiten aufweisen, ist Ausdruck der Gesetzgebungskompetenz der Mitgliedstaaten und begründet als solches keinen EUweiten Harmonisierungsbedarf. Nach Einschätzung der BDI-Mitglieder haben sich die vorhandenen Instrumente für Zwangslizenzierungen in den EUMitgliedstaaten in der Vergangenheit bewährt und in grenzüberschreitenden Krisensituationen nicht alshinderlich erwiesen. Sonstige zwingende Gründe, die die Einführung einesEU-weit einheitlichen Zwangslizenzinstrumentsfür eine angemessene Krisenbewältigung erfordern, sind nicht ersichtlich und wurden von der EU-Kommission auch nicht dargelegt. Auch die von derEUKommission beauftragte Studie „Compulsory licensing of intellectual

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property rights“1 vermag eine Notwendigkeit zur Einführung eines EU-weiten Systems für Zwangslizenzen nicht zu belegen. Im Gegenteil: Die dort referenzierten Daten zu vergangenen Fällen von Zwangslizenzen in der EU zeigen, dass dieses Zwangsinstrument bisher keine praktische Relevanz in der EUhatte. Selbst in Zeiten der COVID-19-Pandemie hat diese Maßnahme keine maßgebliche Bedeutung für die Krisenbewältigung erlangt. Die Analyse der nationalen Regelungen in den EU-Mitgliedsstaaten zu Zwangslizenzen ist unter akademischen Gesichtspunkten sicherlich aufschlussreich. Wie bereits ausgeführt, vermögen die nationalen Besonderheiten für sich genommen jedoch keinen Handlungsbedarf auf EU-Ebene zu begründen. Dementsprechend hatte auch das EU-Parlament in seiner Entschließung zum Aktionsplan für geistiges Eigentum zur Förderung von Erholung und Resilienz der EU die EU-Kommission lediglich dazu aufgefordert, „mögliche Optionen zu analysieren und zu prüfen, mit denen die Wirksamkeit und eine bessere Koordinierung der Zwangslizenzierung in der EU sichergestellt werden können, wobei Fälle, in denen in der EUauf die Zwangslizenzierung zurückgegriffen wurde, die diesbezüglichen Gründe und die Voraussetzungen für die Erteilung von Zwangslizenzen sowie die wirtschaftlichen Folgen der Zwangslizenzierung und die Frage, ob damit die gewünschte Wirkung erzielt wurde, zu berücksichtigen sind“2 . Der von der EU-Kommission vorgelegte Verordnungsentwurf ignoriert diesen Vorschlag zum faktenbasierten Tätigwerden und geht inhaltlich weit über die Empfehlungen des EU-Parlaments hinaus. Ebenso wenig berücksichtigt die EU-Kommission die Ergebnisse der vorangegangenen öffentlichen Konsultation, bei der sich ein Großteil der Teilnehmer nur für eine koordinierende Rolle der EU-Institutionen und nicht für eine beschlussfassende Rolle ausgesprochen hat3

Weitere Zwangsmaßnahmen beziehungsweise zusätzliche Ausnahmen vom Patentschutz, wie die geplante Einführung eines Systems für Unionszwangslizenzen, würden das Schutzsystem geistiger Eigentumsrechte weiter schwächen und branchenübergreifend künftige Innovationstätigkeiten gefährden, mit gravierenden negativen Effekten für Wirtschaft und Gesellschaft.

1 Vandermeulen, B., Mangal, N., Guichardaz, R., Dagher, J., Ligonnière, S., Peeters, R. (2022), „Compulsory licensing of intellectual property rights”, Studie im Auftrag von DG Grow (EU-Kommission), Brüssel.

2 Entschließung des EU-Parlaments v. 11.11.2021 zu einem Aktionsplan für geistiges Eigentum zur Förderung von Erholung und Resilienz der EU (2021/2007(INI)), Rdnr. 50.

3 Begründung zum Kommissionsentwurf einer ZwangslizenzVO, Ziff. 3.

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Der BDI spricht sich daher schon dem Grunde nach gegen die beabsichtigte Einführung eines Systems für Unionszwangslizenzen aus.

Verhältnismäßigkeit und Bestimmtheitsgrundsatz

Staatlich gelenkte Beschränkungen des von der Rechtsordnung garantierten und geschützten geistigen Eigentums stellen einen massiven Eingriff in die unternehmerische Freiheit dar und müssen eingedenk der gesetzgeberischen Wertentscheidung auch künftig Ultima Ratio bleiben. Der Verordnungsentwurf der EU-Kommission zur Einführung einesUnionszwangslizenzsystems zur Krisenbewältigung (ZwangslizenzVO) nimmt für sich zwar ausdrücklich in Anspruch, als letztes Mittel in EU-weiten Krisensituationen ausgestaltet zu sein. Tatsächlich wird der Vorschlag diesen Anforderungen jedoch nicht gerecht. Der sachliche Anwendungsbereich für künftige Unionszwangslizenzen wird im Vergleich zur bisherigen Rechtslage (vgl. § 24 Absatz 6 PatG) ohne sachliche Rechtfertigung erweitert u. a. auf veröffentlichte Patentanmeldungen. Überdies ist die Rechtsgrundlage für die Erteilung von Unionszwangslizenzen denkbar unbestimmt, so dass der Kommissionsvorschlag in der vorliegenden Form mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit für dieRechteinhaber verbunden wäre. Hier ist zu berücksichtigen, dass derzeit nicht alle EU-Kriseninstrumente des Annexes, die nach der Mechanik desGesetzgebungsvorschlagsdie Basisfür die Erteilung von Unionszwangslizenzen bilden sollen, verabschiedet sind und daher keine abschließende Beurteilung erlauben.Insbesonderederaufgeführte VorschlagderEUKommission für die Verordnung zur Einführung des neuen Kriseninstruments für den Binnenmarkt („SMEI-VO“) ist jedoch als solcher zu unbestimmt und begegnet erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht nur seitens der europäischen Industrie, sondern auch des Juristischen Dienstsdes EU-Ministerrats selbst4

Aber auch die weiteren im Annex in Bezug genommenen Kriseninstrumente mit ihren unterschiedlichen Begriffsbestimmungen von Krise, Notfall, gesundheitliche Notlage auf EU-Ebene oder Halbleiterkrise werfen im Zusammenhang mit der Ermächtigungsnorm für die Erteilung von Zwangslizenzen erhebliche Zweifel im Hinblick auf die Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit des Kommissionsvorschlags auf. Die dort definierten

4 Auszugsweise veröffentlichte Stellungnahme des Juristischen Dienstes des Rats abrufbar unter https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-7515-2023-INIT/en/pdf

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Ausnahmesituationen verfolgen jeweils unterschiedliche Schutzzwecke und sehen sektorspezifisch zum Teil noch einmal gesonderte Eskalationsstufen vor, die im Rahmen der ZwangslizenzVO nicht abgebildet werden. Entscheidend ist jedoch, dass keine von den gesetzlich geregelten bzw. geplanten Krisenszenarien dasfür dieErteilungeiner Zwangslizenzmaßgebliche ErforderniseinesMarktversagensim konkreten Einzelfall alsVoraussetzung beinhalten. Spezifische Kriterien für die Erteilung von Unionszwangslizenzen lässt auch die ZwangslizenzVO der EU-Kommission vermissen. In der jetzigen Entwurfsform ist nicht sichergestellt, dass nach dem Ausruf eines EU-weiten Krisen- oder Notfallmodus im Rahmen eines Erteilungsverfahrens für Unionszwangslizenzen stets geprüft wird, ob die Erteilung einer Zwangslizenz im konkreten Einzelfall geeignet, erforderlich und angemessen ist.

Zusätzlich wirft der Verordnungsvorschlag zahlreiche Fragen im Hinblick auf dietatsächliche Reichweite und damit wiederum ausreichende Bestimmtheit beim materiellen Anwendungsbereich, auf die Zusammensetzung und Arbeitsweise des jeweils zuständigen Beratergremiums, die Höhe der Lizenzgebühren, eine ausreichende Beteiligung der Wirtschaft und die Nachprüfbarkeit von Zwangslizenzbeschlüssen der EU-Kommission auf.

Nachfolgend nimmt der BDI zu einzelnen ausgewählten industrierelevanten Themenbereichen Stellung.

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Im Einzelnen

1. Anwendungsbereich / Geschäftsgeheimnisschutz

Gemäß Artikel 2 ZwangslizenzVO soll der sachliche Anwendungsbereich nicht nur Patente, sondern auch veröffentlichte Patentanmeldungen, Gebrauchsmuster und ergänzende Schutzzertifikate umfassen. Damit würde der sachliche Anwendungsbereich für Unionszwangslizenzen über die nationalen Vorgabenzur Erteilung von Zwangslizenzen hinausgehen,verbundenmit einem zusätzlichen Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsrechte der Unternehmen. Dies gilt jedenfalls insoweit, als dass von der Erteilung von Unionszwangslizenzen künftig auch veröffentlichte Patentanmeldungen betroffen sein sollen. § 24 Absatz 6 PatG bestimmt ausdrücklich,dassdieErteilungeiner Zwangslizenzerst nach derErteilungeines Patents zulässig ist. Soweit die EU-Kommission den weiten sachlichen Anwendungsbereich auf EU-Ebene ganz allgemein mit Effizienzerwägungen begründet, vermag dies nicht evidenzbasierte Erkenntnisse zu ersetzen, die den zusätzlichen Eingriff in die Eigentumsrechte der Unternehmen rechtfertigen können.

Soweit der Verordnungsvorschlag vorsieht, dass eine unionsweite Zwangslizenz für eine veröffentlichte Patentanmeldung sich auf das erteilte Patent erstrecken soll (Artikel5 Absatz2 ZwangslizenzVO), darf diesjedochnur dann gelten, wenn das krisenrelevante Produkt weiterhin den jeweiligen Patentansprüchen unterliegt. Ein entsprechender Hinweis befindet sich bereits in Erwägungsgrund (EG) 12, sollte jedoch aus Gründen der Rechtssicherheit unmittelbar im verfügenden Teil der Verordnung aufgenommen werden, verbunden mit einem entsprechenden Prüfauftrag für die EU-Kommission und klar geregelten Verfahrens- und Beteiligungsvorschriften.

Überdies lassen die unbestimmten Rechtsbegriffe in weiteren Vorschriften des Verordnungsentwurfs erhebliche Zweifel aufkommen, ob der sachliche Anwendungsbereich künftig tatsächlich auf die in Artikel 2 aufgeführten geistigenEigentumsrechte beschränkt bleibt und nicht auf weitere geschützte Rechte, insbesondere Geschäftsgeheimnisse, ausgedehnt werden wird.

So heißt es zum Regelungsgegenstand in Artikel 1 ganz allgemein, die Verordnung würde Verfahren und Voraussetzungen für die Erteilung von Unionszwangslizenzen für „intellectual property rights that are necessary for the supply of crisis-relevant products to the Member States…“ festlegen. Auch werden in Artikel 2 Absatz 2 ZwangslizenzVO nur die Vorschriften über das

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Urheberrecht und verwandte Schutzrechte explizit vom Anwendungsbereich der geplanten Verordnung ausgenommen. Zusätzlich bestimmt der Verordnungsvorschlag in mehreren Vorschriften sehr allgemein, dass die EU-Kommission ergänzende Maßnahmen zur Zwangslizenz ergreifen könne, die zur Zweckerreichung erforderlich seien (vgl. u. a. Artikel 8, Absatz 1 (h); Artikel 14 Absatz 2). Schließlich ist auch die in Artikel 13 geregelte Kooperationspflicht zwischen Rechteinhaber und Lizenznehmer derart unbestimmt und unbeschränkt geregelt, dassvon der Kooperationspflichtquasi durchdie Hintertür auch Geschäftsgeheimnisse umfasst sein könnten. Die Ausführungen in EG 32, nach denen die EU-Kommission auch im Zusammenhang mit der Zusammenarbeitspflicht der Vertragsparteien zur Ergreifung zusätzlicher Maßnahmen, insbesondere der Anforderung weiterer, zur Zielerreichung der Zwangslizenz unerlässlicher Informationen, befugt sein soll, stützen diese Befürchtung zusätzlich.

Die durch die Richtlinie (EU) 2016/943 geschützte Vertraulichkeit von Geschäftsgeheimnissen ist für die deutschen Industrieunternehmen elementar. Etwaige Einschränkungen des Geschäftsgeheimnisschutzes stellen einen massiven Eingriff in die unternehmerische Freiheit dar, denn eine Preisgabe von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen geht regelmäßig mit der Schwächung bzw. Verlust deswirtschaftlichen Wertsder Information einher und ist unumkehrbar. Der Geheimnischarakter ist für deren Schutz konstitutiv. Eine Veröffentlichung von Geschäftsgeheimnissen hat zwangsläufig den irreversiblen Verlustder Schutzfähigkeit unddamit die AufhebungdesSchutzrechts zur Folge. Daher dürfen Geschäftsgeheimnisse auch künftig nicht RegelungsgegenstandvonZwangslizenzenoder sonstiger staatlicher Zwangsmaßnahmen sein. Um insoweit Rechtssicherheit zu schaffen, sollte in Artikel 2 Absatz 2 auch die Richtline (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Verordnungsvorschlags ausgenommen werden. Außerdem sollte in den weiteren Ermächtigungsvorschriften explizit klargestellt werden, dass Geschäftsgeheimnisse im Sinne der Richtlinie (EU) 2016/943 nicht Gegenstand ergänzender Maßnahmen der EU-Kommission sein dürfen. Die Zusammenarbeitspflicht von Lizenzgeber und Lizenznehmer in Artikel 13 sollte ebenfallsangemessen beschränkt werden und die Preisgabe von Geschäftsgeheimnissen im Sinne der Richtlinie (EU) 2016/943 von der Pflicht zur Zusammenarbeit ausdrücklich ausnehmen.

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2. Ermächtigungsnorm

Die Ermächtigungsnorm für die Erteilung von Zwangslizenzenist unter mehreren Gesichtspunkten zu unbestimmt und mit großer Rechtsunsicherheit für die betroffenen Unternehmen verbunden.

a) Nicht finale und unbestimmte EU-Kriseninstrumente

Nach der im Verordnungsvorschlag bisher vorgesehenen Mechanik soll die Möglichkeit zur Erteilung einer Unionszwangslizenz seitens der EU-Kommission durch die Aktivierung bzw. Ausrufung eines Krisen- oder Notfallmodus gemäß den im Anhang aufgeführten EU-Kriseninstrumenten ausgelöst werden. Die in den EU-Kriseninstrumenten desAnnexesgeregelten Krisen- bzw. Notfallszenarien weisen hierbei jeweils völlig unterschiedliche Schutzrichtungen auf und sind teilweise sehr weitreichend und unbestimmt. Erschwerend kommt hinzu, dass zum jetzigen Zeitpunkt nicht alle EU-Kriseninstrumente des Anhangs final verabschiedet sind5, was eine abschließende Bewertung der ZwangslizenzVOzum jetzigen Zeitpunkt geradezu unmöglich macht.

Nach dem aktuellen Stand bestehen, insbesondere hinsichtlich der geplanten Einbettung der ZwangslizenzVO in das künftige Notfallinstrument für den Binnenmarkt (SMEI-VO), erhebliche Bedenken im Hinblick auf Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit. Der Vorschlag für eine SMEI-VO enthält in Artikel 3 Absatz 1 eine sehr weit gefasste Krisendefinition ohne Bezüge zum angestrebten Schutz des EU-Binnenmarkts mit einem erheblichen Auslegungsspielraum Es ist danach schon unklar, welche Ereignisse als „Krise“ gelten sollen, die einen Überwachungs- oder Notfallmodus nach Artikel 9 oder Artikel 13 SMEI-VO auslösen können6 .

Überdies wirft die ZwangslizenzVO im Hinblick auf die angestrebte Kohärenz mit den bestehenden bzw. geplanten EU-Kriseninstrumenten, insbesondere mit dem SMEI-Vorschlag der EU-Kommission, erhebliche

5 Vgl. Allgemeine Ausrichtung des EU-Ministerrats v. 6.06.2023 mit erheblichen Modifikationen des Kommissionsvorschlags, abrufbar unter Single Market Emergency Instrument: Council adopts its negotiating position - Consilium (europa.eu).

6 Für Einzelheiten zur Bewertung der SMEI-VO seitens der europäischen Industrie vgl. Stellungnahme von BusinessEurope zum SMEI-Entwurf der EU-Kommission, abrufbar unter https://www.businesseurope.eu/publications/single-market-emergency-instrumentsmei-businesseurope-position-paper.

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Zweifel auf. Die geplante SMEI-VO verfolgt einen dreistufigen Ansatz für dasKrisenmanagementmit entsprechendenEinzelmaßnahmen. Die Basisfür alle drei Stufen bildet das Vorhandensein einer fast konturenlos definierten Krise. Auf der höchsten Eskalationsstufe der Krisenbewältigung ist der Notfall-Modus nach Artikel 13 SMEI-VO vorgesehen. Dessen Aktivierung setzt weitreichende Auswirkungen einer Krise auf den Binnenmarkt voraus unter anderem verbunden mit einer ernsthaften Störung des freien Binnenmarktverkehrs (vgl. Artikel 3 Absatz 3 SMEI-VO). Nach dem Vorschlag für eine SMEI-VO sind somit Krise und Notfall nicht gleichbedeutend, sondern jeweilsmitabgestuften Risiken verbunden. Die Ausrufung einesBinnenmarktNotfalls setzt das Vorhandensein einer Krise voraus.

Demgegenüber wird die Einleitung eines Verfahrens zur Erteilung einer Zwangslizenz nach Artikel 4 ZwangslizenzVO an einen „Krisen- oder Notfallmodus“,gemäß denimAnhangaufgeführten EU-Kriseninstrumenten, geknüpft. Die Begriffe werden in der ZwangslizenzVO damit als Synonyme verwendet, ohne die nach dem Entwurf der SMEI-VO damit verbundene abgestufte Gefahrenlage zu berücksichtigen. Auch insoweit wird der Kommissionsvorschlag für eine ZwangslizenzVO nicht dem eigenen Anspruch gerecht, Zwangslizenzen nur als Ultima Ratio zur Krisenbewältigung einzusetzen und begegnet auch insoweit erheblichen Bedenken im Hinblick auf Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit. Die Defizite bei der Bestimmtheit und Kohärenz der Begriffsbestimmung von Krise und Notfall wirken sich unmittelbarauf die weitere zentrale Legaldefinitionder „krisenrelevanten Produkte“ in Artikel 3 a) ZwangslizenzVO aus, die wiederum kritisch unter Bestimmtheits- und Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten erscheint.

b) Fehlende spezifische Voraussetzungen für Zwangslizenzerteilung

Die referenzierten Definitionen von „Krise“ und „Notfall“ in denEU-Kriseninstrumenten weisenüberdieskeinerleispezifische Kriterien fürdieErteilung einer Zwangslizenz auf. Auch im Fall einer Krise kommt die Erteilung einer Zwangslizenz grundsätzlich nur im Falle eineskonkreten Marktversagens bei der Lizenzierung des betroffenen Schutzrechts und einer daraus resultierendenKnappheit anrelevantenProdukten in Frage. Esmuss regulativ abgesichert werden, dassder mit der Erteilungeiner Zwangslizenz verbundene Eingriff in das von der Rechtsordnung garantierte und geschützte geistige Eigentum stets im konkreten Einzelfall zur Bewältigung der bestehenden Krise geeignet, erforderlich und angemessen ist. So können

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beispielsweise fehlende Infrastruktur oder Hindernisse in der Logistikkette, wie in der COVID-19-Krise bei den Impfstoffen vorhanden, nicht durch staatliche Beschränkungen geistiger Eigentumsrechte gelöst werden. Auch muss sichergestellt werden, dass mögliche Hindernisse für den Einsatz von Zwangslizenzen im konkreten Einzelfall, z. B.lange Implementierungszeiten für zwangslizenzierte Technologien, in die konkrete Prüfung mit einfließen und niederschlagen

Zwar klingt im Rahmen der Zuständigkeiten des Beratungsgremiums (Artikel 6 ZwangslizenzVO) und der allgemeinen Verfahrensregeln zur Erteilung einer Unionszwangslizenz (Artikel 7 ZwangslizenzVO) auch die Prüfung der NotwendigkeiteinerZwangslizenzerteilungan. Jedochlässt der Verordnungsvorschlag völlig offen, nach welchen Kriterien diese Prüfung erfolgen soll. Auch ist Adressat der Prüfungsvorgaben explizit das Beratungsgremium und damit eine demokratisch nicht legitimierte Stelle, die gegenüber der EU-Kommission alsfür die Erteilung zuständigen Behörde lediglich eine beratende Funktionzukommt. DieEU-Kommission soll gemäß Artikel7 Absatz 7 ZwangslizenzVO eine Zwangslizenz im Wege eines Durchführungsrechtsaktserteilen, wenn sie feststellt, dassdie Voraussetzungen für eine unionsweite Zwangslizenzerfüllt sind. Welche diessind und welche im Verhältnis zum Beratungsgremium zusätzlichen Prüfungen die EU-Kommission auf Basiswelcher Grundlagen vorzunehmen hat,lässt der Verordnungsvorschlag jedoch offen.

Würde entgegen der Einschätzung des BDI die Notwendigkeit der Einführung einesEU-Regimes zur Erteilung von Zwangslizenzen im Grundsatz bejaht werden, wäre esaus Sicht der deutschen Industrie angesichts desmit der Erteilung einer Zwangslizenz verbundenen Eingriffsin die verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsrechte des betroffenen Rechteinhabers zwingend erforderlich, die maßgeblichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Zwangslizenz unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unmittelbar in der Verordnung selbst zu regeln und die Prüfungspflicht direkt der für die Erteilung der Zwangslizenz zuständigen Stelle aufzuerlegen.

c) Abschließende Liste von EU-Kriseninstrumenten

Die von derEU-Kommission,mitderVerweisung aufbestehende undderzeit noch im Gesetzgebungsverfahren befindliche EU-Kriseninstrumente, angestrebte Rechtssicherheit (vgl. EG 8) kann nur unter der Bedingung erreicht werden, dass die Liste im Anhang zum Kommissionsvorschlag abschließend

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ist. Insoweit bestehen jedoch erhebliche Bedenken, da der Kommissionsvorschlag neben dem für dieim Anhang aufgeführten Kriseninstrumente zuständigen Beratungsgremium auch die Einsetzung eines „Ad-hoc-Beratungsgremiums“ vorsieht. Diessoll gemäß Artikel 6 Absatz 5 ZwangslizenzVOerfolgen, wenn „kein zuständiges Beratungsgremium zur Verfügung“ steht. Da sämtlicheim Anhangaufgeführten Kriseninstrumente jedocheinjeweils„zuständiges Beratungsgremium“ vorsehen, sind Fälle für die Einsetzung eines „Ad-hoc-Beratungsgremiums“ nur denkbar für weitere Krisen- und Notfallsituationen, die von den bisher aufgelisteten Kriseninstrumenten nicht umfasst und derzeit noch gar nicht absehbar sind. Da dies mit der Aussage der EU-Kommission, durch die Verweisungstechnik Rechtssicherheit schaffen zu wollen, nicht im Einklang stünde, sollte zumindest in den Erwägungsgründen eine explizite Klarstellung erfolgen, dass die im Anhang aufgeführten Kriseninstrumente abschließend sind.

3. Zuständige Stelle

Allein zuständige Stelle für dieErteilung von Unionszwangslizenzen soll gemäß Artikel 4 ZwangslizenzVO die EU-Kommission sein. Demgegenüber hat die von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie zu Zwangslizenzen7 erwiesen, dass in den meisten EU-Mitgliedsstaaten ein Gericht bzw. ein Rechtsprechungsorgan für die Prüfung und Erteilung von Zwangslizenzen zuständig ist. Da sich das System einer unabhängigen richterlichen Überprüfung und Entscheidung über die Erteilung einer Zwangslizenz demnach in der Mehrzahl derEU-Mitgliedstaaten bereits bewährt hat und in Anbetracht der verfassungsrechtlichen Implikationen der Erteilung einer Zwangslizenz, sollte nach Ansicht der deutschen Industrie auch für das beabsichtigteEU-Regime eine Kompetenzübertragungauf dieJudikativeerwogen werden, sofernan der Einführung einesEU-Regimesfür Zwangslizenzen entgegen der BDI-Position festgehalten werden soll.

Jedenfalls sollte die Kompetenz der EU-Kommission explizit beschränkt werden auf Rechtsakte, die die Erteilung, Überwachung oder Rücknahme einer Zwangslizenz betreffen. Wie bereits oben dargelegt, wird der Kommission an mehreren Stellen desVerordnungsentwurfsdie Befugniseingeräumt, weitere Maßnahmen zur Zwangslizenz zu ergreifen, die zur

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7 Vandermeulen, B., Mangal, N., Guichardaz, R., Dagher, J., Ligonnière, S., Peeters, R. (2022), „Compulsory licensing of intellectual property rights”, a.a.O.

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Zweckerreichung erforderlich sind. Dies erscheint aus Gründen der Rechtssicherheit und Verhältnismäßigkeit bedenklich und sollte korrigiert werden.

4. Allgemeine Bedingungen für Zwangslizenzerteilung

Artikel 5 ZwangslizenzVO stellt allgemeine Bedingungen u. a. für den Umfang, die Geltungsdauer und den räumlichen Geltungsbereich einer Zwangslizenz auf, um den damit verbundenen Eingriff in die Rechte der betroffenen Unternehmen zu beschränken. Ungeachtet der fehlenden Notwendigkeit für die Einführung eines EU-Regimes für Zwangslizenzen, vermögen diese Vorgaben nicht die durch die oben dargelegten Defizite zentraler Regelungen hervorgerufene Unbestimmtheit und Unverhältnismäßigkeit des Verordnungsvorschlags zu kompensieren. Soweit Artikel 5 Absatz 1 (f) bestimmt, dass eine Zwangslizenz nur so genannten qualifizierten Personen erteilt werden solle, lässt der Verordnungsentwurf auch offen, wie die Prüfung und Kontrolle dieser allgemeinen Bedingung erfolgen sollen.

Wie bereitsobenzu Ziffer 1 ausgeführt, sollte aus Gründen der Rechtssicherheit unmittelbar in Artikel 5 Absatz 2 ZwangslizenzVO der beschränkende Hinweis von EG 12 aufgenommen werden, dass eine Erstreckung einer unionsweiten Zwangslizenz füreineveröffentlichtePatentanmeldung auf daserteilte Patent nur dann erfolgt, wenn das krisenrelevante Produkt weiterhin den jeweiligen Patentansprüchen unterliegt.

5. Beratungsgremium

Gemäß Artikel 6 ZwangslizenzVO soll die EU-Kommission ein Beratungsgremium konsultieren, wenn sie die Erteilung einer Unionszwangslizenz in Betracht zieht. Dabei soll jeweils das Gremium zuständig sein, was nach den im Anhang aufgeführten EU-Kriseninstrumenten zur Unterstützung der Kommission in den dort bestimmten Krisen- und Notfallsituationen zuständig ist (zuständiges Beratungsgremium)

Dem Beratungsgremium werden im Rahmen der Prüfung der Erteilung einer Zwangslizenz zentrale Aufgaben übertragen, die nicht nur Expertise im Umgang und der Bewältigungvon Krisensituationenerfordert,sondernauch spezifische Marktkenntnisse sowie Fachkenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet des Patentrechts voraussetzen. Mit Blick auf die im Anhang aufgeführten EU-Kriseninstrumente bestehen erhebliche Zweifel, ob die für die Beurteilung der Notwendigkeit einer Zwangslizenz erforderliche

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spezifische Expertise auf patentrechtlichem Gebiet in den jeweiligen Beratungsgremien vertreten ist.

Außerdem ist nach dem aktuellen Verordnungsentwurf keine ausreichende Beteiligung der Industrie mit ihrem Markt- und Fachwissen innerhalb desBeratungsgremiumssichergestellt. Gemäß Artikel 6 Absatz 4 b) kann die EU-Kommission zwar u. a. Vertreter von Wirtschaftsbeteiligten, Rechteinhabern und potenziellen Lizenznehmern als Beobachter zu Sitzungen des Gremiums einladen. Um sicherzustellen, dass die Industrie sich mit ihrer Erfahrung und Expertiseumfassendin den PrüfprozessdesBeratungsgremiums einbringen kann, sollte ihr jedoch explizit die Rolle eines vollwertigen Mitglieds des Beratungsgremiums zuerkannt werden.

Sofern kein zuständiges Beratungsgremium existiert, sollen die Aufgaben des Beratungsgremiums von einem durch die EU-Kommission einzurichtenden Ad-hoc-Beratungsgremium wahrgenommen werden. Wie bereits oben ausgeführt (s. Ziffer 2 c)) ist nach der bisherigen Konzeption des Verordnungsvorschlags schon unklar, in welchen Fällen die Einberufung eines solchen Ad-hoc-Beratungsgremiums relevant werden sollte. Jedenfalls gelten hinsichtlich der Zusammensetzung des Ad-hoc-Beratungsgremiums die obigen Ausführungen entsprechend.

Schließlich lässt der Verordnungsvorschlag auch offen, nach welchen Verfahrensregeln das Beratungsgremiums seine Aufgaben zu erfüllen hat, was mit zusätzlicher Rechtsunsicherheit für die betroffenen Unternehmen verbunden ist.

6. Entschädigung

Nach Artikel 9 soll der Lizenznehmer dem Rechteinhaber eine angemessene Entschädigung zahlen, deren Höhe von der EU-Kommission festgelegt werden soll. Zusätzlich wird eine Kappungsgrenze festgelegt, die bei vier Prozent der gesamten Bruttoeinnahmen, die der Lizenznehmer mit den betreffenden Tätigkeiten im Rahmen der EU-Zwangslizenz erzielt, liegen soll.

Im Hinblick auf die erstmalige Einführung einer Obergrenze für die Lizenzgebühren ergeben sich schon im Grundsatz Bedenken hinsichtlich deren Vereinbarkeit mit dem TRIPS-Abkommen: Artikel 31 Buchstabe h) des TRIPS-Abkommens sieht vor, dass "dem Rechtsinhaber … eine nach den Umständen des Falles angemessene Vergütung zu leisten [ist], wobei der wirtschaftlicheWert derErlaubnisin Betracht zu ziehen ist“. Nach TRIPSist

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demnach keine Kappungsgrenze für Lizenzgebühren bei Zwangslizenzen vorgesehen. Schon aus diesem Grund sollte die Entschädigungsobergrenze aus dem Verordnungsvorschlag gestrichen werden.

Im Übrigen erscheint die Kappungsgrenze von vier Prozent auch willkürlich ohne Berücksichtigung der Realität, insbesondere im Hinblick auf die Gewinnmargen in den Industriebranchen, festgesetzt. Auchmit Blickauf die für die Geldbußen festgelegte Obergrenze in Höhe von sechs Prozent desim vorangegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes erscheint die Kappungsgrenze für die Entschädigung der Höhe nach unverhältnismäßig und sollte auch aus diesem Grund gestrichen werden.

Die in Artikel 9 Absatz 3 ZwangslizenzVO aufgeführten Kriterien für die Festsetzung der Entschädigung sind außerdem zu unbestimmt und räumen der EU-Kommission einen zu weitreichenden Ermessenspielraum ein. Der nach Artikel 9 Absatz 3 (c) zu berücksichtigende Aspekt des „Umfangs, in dem sich die Entwicklungskosten des Rechteinhabers amortisiert haben“ hat bei der Bemessung einer angemessenen Entschädigung keinerlei Relevanz und sollte gestrichen werden.

7. Beziehungen zwischen dem Rechteinhaber und Lizenznehmer

Artikel 13 Entwurfs-VO sieht eine Zusammenarbeit „nach Treu und Glauben“ des Rechteinhabers und des Lizenznehmers bei der Wahrnehmung der Rechte und Pflichten nach der ZwangslizenzVO vor, um das Ziel der Zwangslizenz zu erreichen. Diese Zusammenarbeitspflicht kann gemäß Artikel 16 Absatz 1 b mit einem Zwangsgeld durchgesetzt werden, ein Verstoß gegen diese Pflicht soll gemäß Artikel 15 Absatz 1 (b) bußgeldbewehrt sein.

Der denkbar unbestimmte Umfang und Inhalt der zwangs- und bußgeldbewehrten Zusammenarbeitspflicht von Rechteinhaber und Lizenznehmer stößt seitens der deutschen Industrie auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Wie bereits oben, unter Ziffer 1 ausgeführt, besteht die erhebliche Gefahr, dass diese uferlose Zusammenarbeitspflicht sich letztlich auch auf die durchdie Richtline (EU) 2016/943geschütztenGeschäftsgeheimnisse der Rechteinhaber erstreckt. Verstärkt werden diese Bedenken durch EG 32, der die Zusammenarbeitspflicht derart konkretisiert, dass die EU-Kommission zusätzlicheMaßnahmenzur Zielerreichung der Zwangslizenzergreifen kann. Wenngleich sich diese nach dem Wortlaut von EG 32 „im Einklang mit dem Unionsrecht“ befinden müssen, erscheint es aus Gründen der

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Rechtssicherheit dringend erforderlich, unmittelbar in Artikel 13 eine Klarstellung aufzunehmen, dass die Preisgabe von Geschäftsgeheimnissen im Sinne der Richtlinie (EU) 2016/943 von der Pflicht zur Zusammenarbeit ausdrücklich ausgenommen ist.

8. Buß- und Zwangsgelder

Erhebliche Bedenken hinsichtlich Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit bestehen auch bei den Buß- und Zwangsgeldvorschriften der Artikel 15 und 16 ZwangslizenzVO. Angesichts der im Verordnungsentwurf enthaltenen Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe wirddenNormadressateneinverordnungskonformes Verhalten nahezu unmöglich gemacht. Überdies sind auch die in Artikel 15 Absatz 2 festgelegten Kriterien für die Bemessung des Bußgelds nicht konkret genug und unvollständig. Da die geplante Verordnung in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbares Recht darstellt, erscheint esnach rechtsstaatlichen Prinzipien erforderlich, die Kriterien für die Bemessung des Bußgelds unmittelbar in der Verordnung selbst zu präzisieren.

9. Überprüfbarkeit von Zwangslizenzentscheidungen

Während der Verordnungsvorschlag für die Überprüfung von Bußgeld- und Zwangsgeldentscheidungen Regelungen zum Verfahren und der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs enthält (Artikel 19 ff.), fehlt es an (klaren) Vorgaben bezüglich der Überprüfbarkeit von Zwangslizenzentscheidungen. Sollte an dem PlaneinesEU-Regimesfür Zwangslizenzen entgegen der Ansicht des BDI festgehalten werden, sollten aus Gründen der Rechtssicherheit undauch hinsichtlich der Überprüfbarkeit der Zwangslizenzentscheidung konkrete Vorgaben zum Verfahren und der gerichtlichen Zuständigkeit in die Verordnung aufgenommen werden.

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Über den BDI

Der BDI transportiert die Interessen der deutschen Industrie an die politisch Verantwortlichen. Damit unterstützt er die Unternehmen im globalen Wettbewerb. Er verfügt über ein weit verzweigtes Netzwerk in Deutschland und Europa, auf allen wichtigen Märkten und in internationalen Organisationen. Der BDI sorgt für die politische Flankierung internationaler Markterschließung. Und er bietet Informationen und wirtschaftspolitische Beratung für alle industrierelevanten Themen. Der BDI ist die Spitzenorganisation der deutschen Industrie und der industrienahen Dienstleister. Er spricht für 40 Branchenverbände und mehr als 100.000 Unternehmen mit rund acht Mio. Beschäftigten. Die Mitgliedschaft ist freiwillig. 15 Landesvertretungen vertreten die Interessen der Wirtschaft auf regionaler Ebene.

Impressum

Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI)

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www.bdi.eu

T: +49 30 2028-0

Lobbyregisternummer: R000534

Ansprechpartner

Ines Nitsche

Rechtsanwältin (Syndikusrechtsanwältin)

Abteilung Recht, Wettbewerb und Verbraucherpolitik

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i.nitsche@bdi.eu

BDI Dokumentennummer: D1795

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