Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie

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Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie

Bewertung aus Perspektive der deutschen Industrie

Vorbemerkung

Mit dem heutigen Kabinettsbeschluss wurde die Nationale Wasserstoffstrategie (NWS) überarbeitet. Angesichts der veränderten Rahmenbedingungen – wie dem vorgezogenen Klimaneutralitätsziel, der Anhebung der 2030-Klimaziele, dem Inflation Reduction Act in den USA sowie den Auswirkungen des Ukrainekrieges auf den Energiemärkten – war eine Fortschreibung überfällig geworden Bereits im März 2023 hat der BDI eine Stellungnahme zu einem zuvor bekannt gewordenen Entwurf erarbeitet und in den Prozess eingebracht.

Folgende Aspekte sind aus Sicht des BDI zu begrüßen:

▪ Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass die Bundesregierung mit vorliegendem Entwurf ihre Pläne konkretisiert, das heimische Elektrolyseziel bis 2030 auf 10 GW zu verdoppeln, und nun auch Wasserstoff-Derivate in ihren Maßnahmen mitdenkt.

▪ Die Priorisierung der Wasserstoffanwendung bis 2030 im Industrie- und Verkehrssektor, während zugleich die Nutzung wasserstoff-basierter Wärmeerzeuger nicht grundsätzlich ausgeschlossen und – in Verbindung mit kommunaler Wärmeplanung – unter bestimmten Bedingungen als sinnvoll erachtet wird, ist richtig Richtig ist ebenfalls, den Einsatz von grünem Wasserstoff (H2) im Raffineriebereich zum Ersatz von grauem H2 als kurzfristige Maßnahme zu priorisieren.

▪ Es ist sehr positiv, dass die NWS nun auch explizit blauen, türkisenen und orangenen H2 berücksichtigt und in begrenztem Umfang (u. a. über die Klimaschutzverträge) fördern will.

▪ Es gilt zu begrüßen, dass die Idee einer staatlichen Netzgesellschaft nicht länger verfolgt wird. Die Entwicklung eines H2-Kernnetzes bei gleichzeitiger Vermeidung prohibitiv hoher Netzentgelte ist ein gangbarer Weg.

Folgende Aspekte sind aus BDI-Perspektive verbesserungswürdig bzw. im weiteren politischen Prozess zu beachten:

Cara Bien | Energie- und Klimapolitik | T: +49 30 2028-1727 | c.bien@bdi.eu | www.bdi.eu
26. Juli 2023
STELLUNGNAHME
| ENERGIEPOLITIK | WASSERSTOFF

▪ Die NWS sollte das 10-GW-Ziel bis 2030 mit möglichst konkreten Mengenzielen untermauern. Auch für die Hochlaufphase bis 2035 braucht es eine klare Perspektive auf Abnehmerseite, mit welchen Verfügbarkeiten gerechnet werden kann. Die NWS sollte also möglichst konkrete Zahlen auch über das Zieljahr 2030 hinaus nennen, um Planungssicherheit für Unternehmen zu schaffen.

▪ Kritisch zu sehen ist, dass die NWS viele bereits angestoßene oder umgesetzte Maßnahmen enthält und alle Maßnahmen weiterhin unter Haushaltsvorbehalt stehen. Sie sind daher nur umsetzbar, soweit sie im jeweiligen Einzelplan bzw. Sondervermögen im Rahmen der geltenden Haushalts- und Finanzplanung finanziert bzw. gegenfinanziert werden können. Vor diesem Hintergrund ist nicht gesichert, dass bereits geplante Förderprogramme mit genügend Mitteln hinterlegt sind und zur Erreichung des 10 GW Ziel bis 2030 ausreichen. So liegt beispielsweise die Ausführungsverordnung für die ersten in 2023 geplanten Ausschreibungen sog. „systemdienliche“ Elektrolyseure noch nicht vor

▪ Der Fokus auf Systemdienlichkeit beim Elektrolyse-Ausbau bis 2030 ist unverändert zu stark – ohne konkreten Vorschlag zur Umsetzung Die Offenheit, die „näheren Bestimmungen von Anforderungen an die Systemdienlichkeit“ erst nachgelagert zu konkretisieren, bedroht Projekte mit arbiträren Eingriffen in die Standortwahl und in das Einsatzverhalten der Anlagen. Statt hier zu stark in die Standortwahl und Fahrweise der Elektrolyseure einzugreifen, sollte die Bedeutung von verbrauchsnaher Elektrolyse insbesondere in der Hochlaufphase nicht unterschätzt und der Stromnetzausbau gestärkt werden.

▪ Ein entscheidender Hebel für die Anreizung von Investitionen in Elektrolyse ist die rasche Umsetzung des DA zum Art. 27 (3) RED II durch die Änderung der 37. BImSchV. Hier sollte die Bundesregierung prüfen, ob eine 1:1-Umsetzung in nat. Recht und insbesondere der Anrechnungsfaktor "2" im europäischen Standortwettbewerb ausreichend ist. Im Hinblick auf die Grünstromkriterien (zeitliche und geografische Korrelation, Zusätzlichkeit) sollte die Bundesregierung hingegen auf keinen Fall hinausgehen.

▪ Für den H2-Hochlauf in der Industrie sind nicht nur finanzielle Fördermaßnahmen notwendig, sondern ebenso staatliche Absicherungsinstrumente für den Abschluss von langfristigen Bezugsverträgen. Um die Anschubfinanzierung perspektivisch und zeitnah zu lösen, sollte die NWS solche Instrumente (z. B. Bürgschaftsprogramme) daher ebenfalls adressieren.

▪ Es ist positiv, dass die Rolle von H2 im Bereich Nutzfahrzeuge im Vergleich zu vorherigen NWSEntwürfen stärker herausgearbeitet wurde. Richtig ist auch weiterhin der starke Fokus auf Luft- und Seeverkehr. Im Hinblick auf die Nutzung des heimischen H2 ist diese Priorisierung zumindest nachvollziehbar. Spätestens im Rahmen der Importstrategie bleibt die Bundesregierung jedoch aufgefordert, die Bedarfe an H2 und dessen Derivate für den gesamten Straßenverkehr, insbesondere für die Dekarbonisierung der Bestandsflotten von Pkw und Nutzfahrzeugen, für mobile Maschinen wie Land- und Baumaschinen sowie für den klimaneutralen Schienenverkehr v. a. auf langen Strecken und für den Transport schwerer Lasten zu berücksichtigen.

▪ Im Hinblick auf die Nutzung von Wasserstoff in der Stromerzeugung bleibt die NWS hinter den Notwendigkeiten zurück. Der Verweis, erst mittelfristig und auf Basis der Diskussion in der Plattform Klimaneutrales Strommarktdesign Maßnahmen zur Refinanzierung von steuerbaren, klimaneutralen Kapazitäten zu prüfen, wird den Anforderungen nicht gerecht. Sollen bis 2030 über die WasserstoffSprinterkraftwerke wasserstofffähige Gaskraftwerke zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit in Betrieb gehen, müssen die notwendigen Voraussetzungen noch in diesem Jahr vorliegen und spätestens Anfang 2024 der Bedarf ausgeschrieben werden. Gleichzeitig ist im Rahmen des

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Wasserstoffkernnetzes ihr Anschluss an ein H2-Kernnetz und eine entsprechende Transportleistung zu gewährleisten – beides erscheint im bislang vorliegenden Planungsstand nicht gewährleistet, sollte aber in der NWS als wesentliche Maßnahme Berücksichtigung finden.

▪ Es ist zu begrüßen, dass die NWS im Bereich der H2-Betankungsinfrastruktur ankündigt, die europäischen Anforderungen der EU-Verordnung über die Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR) bei der nationalen Umsetzung übertreffen zu wollen. Hierbei sollten neben einer initialen Betankungsinfrastruktur für die priorisierten Verkehrsanwendungen Luft- und Schifffahrt sowie für den Schwerlastverkehr auch die Betankungsinfrastruktur für alle Fahrzeugklassen einschließlich Pkw und leichten Nutzfahrzeugen Berücksichtigung finden. Ergänzend zur Tankinfrastruktur für gasförmigen Wasserstoff mit 350 und 700 bar gilt es, Tankinfrastruktur für Flüssig-Wasserstoff (LH2) aufzubauen. Zudem braucht es Tankinfrastrukturen für den Schienenverkehr und mobile Maschinen. Für einen raschen Aufbau braucht es klare Genehmigungsrichtlinien und beschleunigte Genehmigungsverfahren (bis hin zur Tankstelle), die Forcierung der technischen Standardisierung sowie eine erhöhte Flächenverfügbarkeit auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene.

▪ Es ist positiv, dass die NWS H2-Derivate mitdenkt. Bei einzelnen Formulierungen hätte dies noch deutlicher herausgearbeitet werden können, so sollte sich z.B. auch das Wasserstoffspeicher-Konzept mit H2 und H2-Derivaten befassen. Zudem sollte der starke Fokus auf schiffsbasierte Wasserstoffimporte in Form von Ammoniak bis 2030 nicht zu verringerten Bemühungen bzgl. Pipeline-Importe aus europäischen Nachbar- und anderen Anrainerstaaten führen. Gleichzeitig darf das Ziel „nachhaltiger Transportwege“ den schiffsbasierten Import von H2 und seinen Derivaten v. a. bis 2030 nicht ausbremsen (z. B. Vorlaufzeiten für die Beschaffung bzw. Umrüstung von Schiffen, Verfügbarkeit grüner Kraftstoffe). Beim Aufbau von Importterminals sollte sich die NWS nicht nur auf die Umwidmung von LNG-Terminals fokussieren, sondern ebenso Importterminals für Flüssig-Wasserstoff (LH2) berücksichtigen.

▪ Laut NWS müssen bei der Produktion von blauem H2 Kriterien für den Umgang mit abgeschiedenem CO2 definiert werden. Dabei wird auf die Carbon Management Strategie und ggf. zusätzliche delegierte Rechtsakte aus Brüssel verwiesen. Obgleich Strategien der Bundesregierung eng miteinander verzahnt werden müssen, sollte dies nicht dazu führen, dass Entscheidungsprozesse verlangsamt werden. Auch in Brüssel sollte die Bundesregierung – wo immer notwendig – auf zeitnahe und v. a. pragmatische Lösungen hinarbeiten.

▪ Die in der NWS angekündigten und bereits angestoßenen Maßnahmen müssen nun zügig realisiert werden. Um den Aufbau des H2-Kernnetzes zu gewährleisten, muss nicht nur das Energiewirtschaftsrecht noch in diesem Jahr geändert, sondern v. a. das Finanzierungsmodell rechtlich geklärt und verankert werden. Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass ein Konzept für Wasserstoffspeicher erarbeitet werden soll, welches die sukzessive Umrüstung bestehender Gasspeicher und den notwendigen Neubau von Wasserstoffspeichern integriert. Allerdings fehlen bislang weiterführende Details, insbesondere im Hinblick auf den Zeitplan und die vorgesehenen Volumina.

▪ Auch die angekündigte Importstrategie sollte aufgrund ihrer Wechselwirkungen mit der Gestaltung der heimischen Wertschöpfungsketten nun sehr schnell erarbeitet werden und klare Mengenziele benennen. Dabei sind neben Risikominimierung durch Diversifizierung auch die Folgen für den deutschen Industriestandort zu berücksichtigen und Instrumente zur Deckung der Kostenlücke wie H2Global zur verstetigen, um Planungssicherheit zu schaffen.

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Impressum

Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI)

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www.bdi.eu

T: +49 30 2028-0

Lobbyregisternummer: R000534

Redaktion

Frau Cara Bien

Referentin Energie- und Klimapolitik

T: +49 30 2028-1727

c.bien@bdi.eu

Frau Petra Richter

Stv. Abteilungsleiterin Mobilität und Logistik

T: +49 30 2028-1514

p.richter@bdi.eu

BDI Dokumentennummer: D 1806

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