Für eine neue Handelsagenda der EU

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POSITION | AUSSENWIRTSCHAFTSPOLITIK | EUROPA

Für eine neue Handelsagenda der EU

Gestaltung moderner handelspolitischer Strategien für ein starkes Europa im internationalen Wettbewerb

September 2024

Handelspolitische Forderungen an die nächste EU-Kommission

Die Europäische Union muss sich in den kommenden fünf Jahren in einem Umfeld mit verschärftem globalem Standortwettbewerb, zunehmenden industriellen Überkapazitäten und internationalen Marktverzerrungen sowie anwachsenden geopolitischen Verwerfungen neu orientieren. Eine zentrale Voraussetzung, damit eine solche Neuorientierung gelingen kann, ist eine umfassende und moderne handelspolitische Agenda.

Der BDI hält weiterhin an der zentralen Rolle von Freihandel und Freihandelsabkommen (FHA) als Schlüsselinstrumente der Handelspolitik fest. Zusammen mit dem Prinzip der Offenheit des europäischen Marktes sind sie die Voraussetzungen für den Erhalt und den Ausbau Europas wirtschaftlicher Basis und der Prosperität seiner Bürgerinnen und Bürger. Sie helfen, die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu sichern. Neben Offenheit muss sich die EU allerdings auch handlungsfähig zeigen, um ihre Industrie vor unfairem Wettbewerb zu schützen und resilienter zu machen. Ein Umbau der EU-Industrie in Richtung Klimaneutralität und eine Sicherung der EU-Wettbewerbsfähigkeit kann nur erreicht werden, wenn es gelingt, die wachsenden außenhandelspolitischen Herausforderungen und die eigenen offensiven und defensiven Interessen zu adressieren.

Diese strukturellen Herausforderungen durch sich verändernde weltpolitische Gegebenheiten erfordern – ebenso wie die Transformation der globalen Industrie – neue Denkansätze. Dem politischen Willen zu Veränderung, Diversifizierung und Stärkung der Resilienz muss ein pragmatischer Fahrplan zur Umsetzung neuer Ansätze in der Handelspolitik und vorausschauender Regelsetzung folgen. Dies zwingt erstens zur intensiven Überprüfung, Weiterentwicklung und ggf. zum neuen Austarieren bestehender und bewährter Positionen. Zweitens erfordert es Anpassungen an den Verfahren der Handelspolitik. Und drittens kann es helfen, gänzlich neue Wege zu gehen, zum Beispiel unterschiedliche Politik- und Handlungsfelder zusammenzudenken.

Die folgenden Punkte sind aus Sicht der deutschen Industrie unverzichtbare Bausteine einer modernen Handelsagenda:

 Laufende Verhandlungen von Freihandelsabkommen zügig zu einem Abschluss bringen. Dazu zählen allen voran die Abkommen mit den MERCOSUR-Staaten, Indonesien, Indien und die Modernisierung des Abkommens mit Mexiko. Auch die Gespräche mit Australien müssen wieder aufgenommen werden. Die EU muss zwingend mehr Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in die Verhandlungen einbringen und die Mitgliedstaaten entsprechend deutlicher die Vorteile dieser Abkommen in der Öffentlichkeit herausstellen, um den Rückhalt in der europäischen Bevölkerung für mehr Freihandel zu sichern. Ein wichtiges Ziel muss dabei die vollständige Zollliberalisierung für Industriegüter und die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen sein.

 Auch neue „Mini“-Freihandelsabkommen und sektorspezifische Handelsabkommen sollten als mögliche Optionen geprüft werden, um ggf. Partnerschaften mit Drittländern aufzubauen oder zu sichern. Sie sollten jedoch den Regeln der WTO entsprechen. Etwaige Initiativen in Rat und EU-Kommission sind unterstützenswert, um statt neuer langwieriger Verhandlungen, zügigeren Abschlüssen den Vorzug zu geben und um dann umgehend von der Umsetzung und Nutzung von Freihandelsabkommen zu profitieren. Das Ziel sollte jedoch immer der Abschluss von Freihandelsabkommen sein, Mini-Deals hingegen nur ein letztes Mittel.

 Eine neue Balance zwischen Nachhaltigkeitsanforderungen und Wirtschaftsinteressen bei FHA-Verhandlungen. Nachhaltigkeitskapitel müssen für beide Seiten gut handhabbar gemacht und eine Überfrachtung vermieden werden. Die EU muss realistische Forderungen und unterschiedliche Startpositionen und Bedarfe der Partnerländer beachten. Einen „One-size fits all“Ansatz für Freihandelsabkommen kann es nicht geben. Auch die Vereinbarkeit von FHA mit anderen Regulierungsvorhaben der EU sollte frühzeitig berücksichtigt, ausbalanciert und mögliche Auswirkungen stärker in den Fokus genommen werden (aktuelles Beispiel: Entwaldungsverordnung). Autonome EU-Instrumente mit Wirkung auf den Handel haben in den letzten Jahren die Beziehungen zu (potenziellen) Handelspartnern belastet. Darüber hinaus sollten keine sanktionsbewehrten Mechanismen (z. B. eine Aussetzung von Zollliberalisierungen) für den Fall von Verstößen gegen die Vereinbarungen zu Handel und nachhaltiger Entwicklung in Freihandelsabkommen integriert werden.

 Stärkung des globalen Handels und der Widerstandsfähigkeit von internationalen Wertschöpfungsketten Um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, sollte die EU-Kommission multilaterale, plurilaterale – im besten Fall im Rahmen der WTO – und bilaterale Bemühungen (z. B. im Rahmen von Freihandelsabkommen wie mit den MERCOSUR-Staaten) unternehmen, um neue Märkte zu erschließen. Der BDI ist besorgt über die zukünftige Effektivität der WTO und bekräftigt seine Unterstützung für ein regelbasiertes multilaterales Handelssystem. Eine umfassende Reform der WTO bleibt weiterhin Priorität. Bis hier deutliche Fortschritte erreicht werden, sollte die EU im Rahmen der WTO plurilaterale Vereinbarungen abschließen und sich dafür einsetzen, dass das WTO-Moratorium für elektronische Transaktionen für alle WTO-Mitglieder verstetigt wird. Solange kein voll funktionsfähiges WTO-Streitbeilegungssystem geschaffen ist, ermutigen wir die EU-Kommission, ihre Bemühungen um eine Stärkung des Multi-Party Interim Appeal Arbitration Arrangement (MPIA) fortzusetzen

 Eine Splittung der Abkommen in EU-only und gemischte Abkommen ermöglicht einen schnelleren Abschluss einiger Abkommen und trägt auch dazu bei, eine Überfrachtung der einzelnen Abkommen zu reduzieren und wieder stärker die klar abgrenzbaren Fragen des Handels mit Waren und Dienstleistungen in den Mittelpunkt der Verhandlungen zu stellen.

 Neue Initiativen für Handel und Investitionen starten Die EU muss eine Führungsrolle zur Stärkung des multilateralen Handelssystems übernehmen. Besonders Schwellen- und Entwicklungsländern sollten attraktive handels-, investitions- und rohstoffpolitische Angebote unterbreitet werden. Ein Beispiel kann der von der Gruppe der Business7 (B7) unter japanischer Präsidentschaft vorgeschlagene „Club für freien und fairen Handel und Investitionen“ sein, in dessen Mittelpunkt die G7-Mitglieder und die EU stehen In den G7-Gremien sollten die Industrie- und Handelspolitiken der Länder stärker zusammengedacht und strategisch genutzt werden

 Wirksamen Handelsschutz durchsetzen. Wachsende Überkapazitäten – vor allem in Asien –verzerren zunehmend den internationalen Handel und führen verstärkt zu Verwerfungen auf dem europäischen Markt. Auf diese gravierenden Entwicklungen, wenn sie keiner marktwirtschaftlichen Logik unterliegen, muss die EU-Handelspolitik wirksame Antworten finden. Es braucht ein wirkungsvolles Vorgehen gegen Überkapazitäten und unfaire Handelspraktiken durch konsequenten Einsatz der zur Verfügung stehenden Instrumente und – wo nötig – deren Weiterentwicklung Entscheidend ist auch der fortlaufende Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit der EU

 Schutz vor unfairem Wettbewerb stärken und Marktzugang für attraktive Wirtschaftsentwicklungen in den Fokus nehmen. Die EU hat Handelsschutzinstrumente entwickelt, um faire Wettbewerbsbedingungen auf dem EU-Markt herzustellen. Sie hat sich dabei stets auf dem Boden des WTO-Rechts bewegt. Der BDI unterstützt diese Art des rechtskonformen Vorgehens, da er allen Wirtschaftsbeteiligten einen ausgewogenen und nachvollziehbaren Prozess zur Abwehr von unfairem Wettbewerb unter Beteiligung aller interessierten Parteien bietet. Gleichzeitig ist die EU gefordert, ihre Schutzinstrumente weiterzuentwickeln, um neuen, strukturellen Verwerfungen zu begegnen. Dabei sollten die Interessen der europäischen Industrie angemessen berücksichtigt werden.

 Die EU darf ihren Fokus jedoch nicht ausschließlich auf den Schutz des eigenen Marktes legen. Die drei Säulen der europäischen Strategie für wirtschaftliche Sicherheit – promote, protect, partner – müssen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Marktzugang muss ebenfalls eine starke Rolle in der EU-Industriepolitik einnehmen. Bessere Strategien für die Öffnung von Drittmärkten, die Zusammenarbeit mit Partnerländern und der Schutz vor Risiken durch ein umfassend gedachtes De-Risking sind unabdingbar. Die EU muss Antworten finden, wie sie mit solchen Ländern umgehen will, die sich ihrerseits nicht an die etablierten Regeln der Handelspolitik halten.

 Die Politikfelder Entwicklungs- und Handelspolitik stärker miteinander verknüpfen und strategischer aufstellen, um langfristig neue Märkte zu erschließen – ohne dabei jedoch Abkommen zusätzlich mit nicht-handelsbezogenen Anforderungen zu überfrachten bzw. neue Hürden aufzubauen. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind zusammengenommen die größten Geldgeber für internationale Entwicklungszusammenarbeit. Leider bleiben die Potentiale dieser Bemühungen unausgeschöpft. Wir sind der Meinung, dass die Mittel, die wir für die Entwicklungszusammenarbeit einsetzen, auch unserem Interesse an nachhaltigem Handel mit neuen Partnern dienen sollten.

 Für den Landwirtschaftssektor und seine Rolle in Freihandelsabkommen müssen neue und innovative Regulierungs- und Verhandlungspfade entwickelt werden, die aber nicht zu weiteren protektionistischen Maßnahmen von Seiten der EU führen dürfen Es sollte verhindert werden, dass globale Subventionen immer weitere Höhen erreichen (FAO-Schätzung 1,8 Billionen USD bis 2030). Die WTO-Regeln für den Agrarhandel sollten ebenfalls modernisiert werden, um den aktuellen und künftigen Herausforderungen der Nachhaltigkeit und Klimaneutralität gerecht zu werden. Solange beide Handelspartner nicht den gleichen wettbewerblichen Regeln unterliegen, können zukünftige Freihandelsabkommen nicht zu einer weiteren Öffnung des EU-Marktes führen

 Projekte im Rahmen von Global Gateway schneller umsetzen und finanzielle Ausstattung verbessern. Zugang zu Projekten für alle Unternehmen gleichberechtigt und unbürokratisch gestalten; regelmäßig auf mehrere europäische Kreditinstitute aufgeteilte Finanzierung über OneStop-Lösungen regeln und besser finanziell ausstatten. Sowohl bei Projekten der internationalen Entwicklungszusammenarbeit als auch bei Projekten von Global Gateway ist sicherzustellen, dass diese Projekte mit lokalen oder EU-Unternehmen umgesetzt werden und nicht Unternehmen aus Drittstaaten davon profitieren.

 Stärkung der europäischen Rohstoffversorgung: Existierende EU-Rohstoffpartnerschaften stärker mit Leben füllen und weitere Bezugsmärkte erschließen. Europäische und nationale Bemühungen müssen eng verzahnt werden, um eine nachhaltige Rohstoffversorgung zu sichern. Hierfür muss privatwirtschaftliches Engagement politisch flankiert und durch verschränkte Instrumente der Entwicklungsfinanzierung sowie Außenwirtschaftsförderung größere Anreize gesetzt werden. Der weitere Abbau von Handelsschranken kann Diversifizierung hier unterstützen.

Impressum

Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI)

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T: +49 30 2028-0

Lobbyregisternummer : R000534

EU Transparency Register: 1771817758-48

Redaktion

Matthias Krämer

Abteilungsleiter Außenwirtschaftspolitik

T: +49 30 2028-1562

M.Kraemer@bdi.eu

Patricia Schetelig Referentin Außenwirtschaftspolitik

T: +32 2 792 1008

P.Schetelig@bdi.eu

BDI-Dokumentennummer: D 1939

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