Closing the Deep Tech Gap

Page 1


Closing the Deep Tech Gap

Ein Pflichtenheft für das deutsche Innovationssystem

Januar 2025

Closing the Gap

Der Bundesverband der deutschen Industrie e.V. (BDI) – in Kooperation mit der ESMT Berlin und der Fraunhofer Gesellschaft – haben am 22. Mai 2024 zum Deep Tech Summit geladen. Auf diesem Summit wurden die Grundbausteine eines Pflichtenhefts für das deutsche Deep Tech-Ökosystem gelegt. Dieses Pflichtenheft adressiert mit konkreten Zielstellungen Akteure aus Wissenschaft, Industrie und Politik

Das Deep Tech Gap

Deutschland zählt zu den weltweit führenden Forschungsnationen, bekannt für herausragende wissenschaftliche Arbeiten und bahnbrechende Forschungsergebnisse. Doch trotz dieser wissenschaftlichen Exzellenz zeigt sich eine deutliche Kluft zwischen der Qualität der Forschung und deren erfolgreicher Verwertung und Kommerzialisierung. Diese Diskrepanz wird als „Deep Tech Gap“ bezeichnet

Das Deep Tech Gap beschreibt das Phänomen, dass technologische Durchbrüche in Deutschland oft nicht den Weg von der Forschung in den Markt finden. Während deutsche Universitäten und Forschungsinstitute beeindruckende Ergebnisse liefern, scheitert es häufig an der praktischen Umsetzung und der wirtschaftlichen Nutzung dieser Ergebnisse. Aus bahnbrechenden Inventionen entstehen keine marktfähigen Innovationen – ein entscheidender Faktor für globale Wettbewerbsfähigkeit.

Diese Schwäche führt dazu, dass Länder wie die USA und China deutlich effektiver in der Verwertung und Skalierung von Technologien agieren. Sie gewinnen so einen erheblichen Vorsprung, während Deutschland in wirtschaftlicher Hinsicht zunehmend an Boden verliert. Es gilt, diesen Innovationsstau zu überwinden, um das enorme Potenzial der deutschen Forschung stärker in wirtschaftlichen Erfolg zu übersetzen.

Das Deep Tech Gap lässt sich anhand unterschiedlicher Phasen und Handlungsfelder entlang der Innovations-Wertschöpfungskette beschreiben:

▪ Effektivierung des Technologietransfers

▪ Steigerung der Gründungsaktivität

▪ Venture-Finanzierung in der Früh- und Wachstumsphase

▪ Deep Tech Global skalieren

Durch die Umsetzung von gezielten Maßnahmen in diesen Handlungsfeldern kann sich Deutschland nicht nur seine technologische Souveränität sichern, sondern auch seine Position als führende Innovationsnation stärken. In den folgenden Kapiteln werden auf Basis der Beiträge und Diskussionen des Deep Tech Summits konkrete Handlungsempfehlungen entwickelt, um die identifizierten Lücken zu schließen und ein nachhaltiges, dynamisches Innovationsökosystem zu schaffen.

Deep Tech Start-ups als integrale Player im Innovationssystem

Wenn wir Deep Tech sagen, so meinen wir das gesamte Spektrum an technologie- und wissenschaftsintensiven Innovationen von der Künstlichen Intelligenz, bis hin zum Halbleiter-Bereich oder der Biotechnologie. Diese fortschrittlichen und neuartigen technologischen Lösungen haben oft das Ziel tiefgreifende gesellschaftliche, insbesondere industrierelevante Herausforderungen zu adressieren. Die Geschäftsmodelle sind meist B2B-Kooperationen. Deep Tech Start-ups sind auf Skalierung und Wachstum ausgerichtete innovative, bis zu zehn Jahre junge Gründungen des produzierenden

Gewerbes und der unternehmensorientierten wissensintensiven Dienstleistungen, die die Entwicklung der Industrie durch neue oder deutlich verbesserte Produkte vorantreiben.1

Deep Tech beginnt mit einer längeren F&E-Phase (meist im akademischen Kontext) und hat lange und unsichere (über 5 Jahre) Produktentwicklungszyklen. Häufig müssen komplexe Transferwege von der Forschung in die Anwendung / Groß-Industrie überwunden werden. Die zugrundeliegenden wissenschaftlichen oder technologischen Probleme, die von Deep Tech Start-ups gelöst werden, schaffen wertvolles geistiges Eigentum und sind schwer zu reproduzieren.

Die Skalierungsgeschwindigkeit ist durch die kapital- und zeitintensive Entwicklung von Hardware und / oder geistigem Eigentum gehemmt. Die hohen Kapitalinvestitionen, bevor Deep Tech-Produkte erfolgreich vermarktet werden können, sind höher als bei anderen industrienahen Start-ups. Die Produkte unterliegen meist branchenspezifischen Regulierungen und sind stark abhängig von industriepolitischen Entscheidungen. Im Vergleich zu konventionellen Unternehmen sind Deep Tech Start-ups auf einen höheren Anteil an technischem Personal angewiesen.

Effektivierung des Technologietransfers

Trotz des hohen Engagements ambitionierter Teams, ihre Technologien auf den Markt zu bringen, stehen sie vor zahlreichen Herausforderungen, die den Technologietransfer erschweren. Um in Deutschland deutlich mehr Kommerzialisierungserfolge zu erzielen, muss das Universitätssystem reformiert werden.

Drei konkrete Maßnahmen bilden die Essenz dessen, was wir den Impulsen und Meinungen beim Deep Tech Summit entnehmen konnten:

1. Market – to lab: Ein gezieltes Matching von Science und Business soll mehr Markt- und unternehmerische Expertise in die Labore bringen. Wissenschaft liefert Technologien, unternehmerische Expertise kann Forschung in marktreife Produkte überführen

2. Gründungen an Universitäten und Hochschulen incentivieren: Notwendigkeit der Incentivierung oder Key Performance Indicators (KPI) zur Gründungsförderung von Professorinnen und Professoren. In Berufungsverfahren sollen unternehmerische Fähigkeiten als Auswahlkriterium mit aufgenommen werden. Neben Forschung und Lehre müssen Transfer und Ausgründungen als gleichgewichtetes Ziel für das universitäre Prestige verankert werden.

3. Datengetriebene Analyse des Ökosystems: Um Durchlässigkeit der Systeme Wissenschaft und Wirtschaft zu schaffen, braucht es eine Erhöhung der Transparenz und Effizienz durch eine bessere Organisation und Nutzung von Daten. Ein systematischer, datengetriebener Ansatz zur Erhöhung der Transparenz und Effizienz kann helfen, die vorhandenen Stärken besser zu nutzen und das Innovationssystem insgesamt zu verbessern.

1 https://www.eitdeeptechtalent.eu/wp-content/uploads/gb/2023/02/deeptech-definitions.pdf https://dealroom.co/uploaded/2023/01/Dealroom-deep-tech-report-2023-europe.pdf https://bdi.eu/media/themenfelder/digitalisierung/publikationen/20161104_Publikation_Industrie-Startups_staerken.pdf

Steigerung der Gründungsaktivität in Deutschland

Nicht nur der Technologietransfer im Allgemeinen, sondern speziell die Kommerzialisierung von neuen Technologien über Gründungen spielt eine entscheidende Rolle beim Schließen des Deep Tech Gaps. Jede Gründung ist für sich genommen herausfordernd, doch die Spezifika von Gründungen in Deep Tech, auf die wir zu Beginn bereits eingegangen sind, erhöhen die Komplexität zusätzlich. Inspiriert von den Experten und Expertinnen beim Deep Tech Summit fassen wir folgende zwei konkrete Maßnahmen zusammen:

1. Schaffung und Förderung von spezialisierten Orten für Innovation und Gründung, die über die notwendige Infrastruktur wie Labore, Inkubatoren und analytische Geräte verfügen. Diese Zentren sollten geografisch verteilt und gut bekannt sein, sodass Talente aus verschiedenen Disziplinen einfachen Zugang haben.

2. Einführung flexiblerer und gründerfreundlicherer Regulierungen, die es einfacher machen, Start-ups zu gründen und bei Bedarf zu schließen. Hierzu gehören die Vereinfachung von Bürokratie, die Einführung von risikofreien Darlehen und die Anpassung des Beihilferechts, um eine Zusammenarbeit zwischen Universitäten und Start-ups zu erleichtern.

3. Integration unternehmerischer Inhalte in die Ausbildungsprogramme von Universitäten und Schulen sowie die aktive Förderung von Role Models aus der Gründerszene. Dies beinhaltet Vorlesungen, Workshops und Mentoring-Programme, die Wissenschaftler inspirieren und ihnen das notwendige Wissen und die Fähigkeiten vermitteln, um erfolgreiche Gründerinnen und Gründer zu werden.

Venture

Finanzierung in der Früh- und Wachstumsphase

Neueste Studien zu CVC-Aktivitäten in Deutschland zeigen, dass die Risikokapitalfonds deutscher Unternehmen immer noch mehr in US-amerikanische als in europäische Start-ups investieren. Seit 2010 haben die fünf wertvollsten deutschen Unternehmen 498 Investitionen in US-Start-ups getätigt, gegenüber 129 Investitionen in europäische Start-ups. Im Jahr 2022 tätigten diese fünf CVCs 13 Investitionen in europäische Start-ups (mit einem Gesamtvolumen von 603 Millionen USD) gegenüber 35 in US-Start-ups. In diesem Jahr hat die Gruppe jedoch bisher nur sechs Investitionen in Europa getätigt, die sich auf 161 Millionen USD belaufen – ein Rückgang von 75 Prozent 2

Die Investitionen in Start-ups bieten strategische unternehmerische Wettbewerbsvorteile wie schnelle Exploration neuer Technologien, Erschließung neuer Märkte, Optimierung des Kerngeschäfts, Transformation und Digitalisierung. Rückläufige F&E Aktivitäten der etablierten Unternehmen wirken sich negativ auf die Innovationslandschaft in Deutschland aus. Etablierte Industrieunternehmen entscheiden durch F&E und M&A über die langfristige Entwicklung des Industriestandort Deutschland.

2 https://sifted.eu/articles/germany-cvcs-investing

1. Etablierung eines Monitorings der Zusammenarbeit von Start-ups und Corporates: Wie viel Wertschöpfung passiert durch wen, wann und wie lange? Erste Erhebungen, beispielsweise durch einen Report von Glasdollar zu Impact of Venture Clienting, zeigen, dass eine erhöhte Transparenz über die Wertschöpfung, die durch die Zusammenarbeit von Start-ups und Corporates entsteht, entscheidend ist. Dies könnte auch einen Wettbewerb unter den Unternehmen fördern, ihre Kooperationen und Investitionen zu verbessern.

2. Dreiklang aus Kunde, Kooperation und Finanzierung zur Skalierung von Deep Tech-Innovation: Der deutsche Mittelstand, das Rückgrat unserer Industrie, birgt enormes Potenzial, das sichtbar gemacht werden muss. Wir benötigen Vorbilder und Erfolgsgeschichten, um das Wachstum zu beschleunigen.

3. Aufbau von First Time Deep Tech Funds: Um dies zu erreichen, sollte eine signifikante Förderung von First-Time-Funds im Deep Tech-Bereich bereitgestellt werden. Technologieinvestoren sollten stärker sensibilisiert werden, insbesondere über Institutionen wie die KfW, um die notwendige finanzielle Unterstützung zu gewähren und Vertrauen in die Fähigkeiten der Investoren zu setzen. Passend dazu gibt es einen Bedarf an mehr Venture Capitalists mit technischem Hintergrund, die komplexen Technologien verstehen und effektiv in diese investieren können. Es wird vorgeschlagen, Karrierewege für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Ingenieurinnen und Ingenieure im Bereich Venture Capital zu schaffen.

Deep Tech global skalieren

Deutschland und Europa haben in der Vergangenheit bedeutende Innovationen hervorgebracht, doch heute kämpfen sie damit, radikale neue Ideen und Deep Tech Start-ups global zu skalieren. Viele deutsche und europäische Start-ups, insbesondere im Deep Tech-Bereich, stehen vor erheblichen Herausforderungen, wenn es darum geht, radikale Innovationen international durchzusetzen.

Die Technologie allein garantiert keinen Erfolg. Der entscheidende Faktor ist die erfolgreiche Umsetzung (Execution). Viele innovative Technologien scheitern, weil sie nicht marktorientiert entwickelt wurden. Es bedarf umfassender Unterstützung in der Umsetzung und Markteinführung, damit die Technologie den Bedürfnissen der internationalen Kunden entspricht. Die Industrie könnte auch hier als starker Hebel fungieren, um die Skalierungslücke zu schließen. Deutschland muss mehr Möglichkeiten schaffen, um starke deutsche und europäische Start-ups durch Börsengänge oder andere Finanzierungsmethoden zu unterstützen und deren Abwanderung zu verhindern.

1. Zwei Verdoppelungen erforderlich: Gefordert wird die Verdopplung des Venture Capital Investments in Deutschland von Corporate Investors in Fonds oder direkt in Fonds. Die zweite Verdoppelung ist die Verdoppelung des Umsatzes, den deutsche Deep Tech Unternehmen mit der deutschen Industrie machen. Die Rolle des Staates als Erstkunde ist in den USA und auch in China ein entscheidender Erfolgsfaktor. In Deutschland fehlt oft diese Art der staatlichen Unterstützung. Programme wie Pre-Commercial Procurement (PCP), bei denen der Staat Produkte und Dienstleistungen kauft, bevor sie vollständig marktreif sind, könnten erheblich zur Förderung von Deep Tech-Start-ups beitragen.

2. Weg von M&A hin zu National Unicorns: Um Start-ups in Deutschland zu Unicorns mit einer Bewertung von einer Milliarde Euro oder höher zu entwickeln, ist es notwendig, den Weg zur Kapitalbeschaffung über den Kapitalmarkt, insbesondere durch Börsengänge, zu erleichtern. M&A-Deals allein werden nicht ausreichen, da Unternehmen in der Regel nicht so hohe Summen für Start-ups zahlen. Es müssen also Mechanismen geschaffen werden, um Start-ups zu incentivieren und den Investoren gleichzeitig attraktive Exit-Möglichkeiten zu bieten. Dies wird das Wachstum und die Skalierung von Start-ups in Deutschland unterstützen.

3. Entwicklung einer wettbewerbsfähigen Private Equity Szene, die als Exit-Kanal für Venture Capital und Start-ups dient. Durch das Lernen von internationalen Vorbildern können wir diese Bereiche stärken und wettbewerbsfähiger machen

Impressum

Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI)

Breite Straße 29, 10178 Berlin www.bdi.eu

T: +49 30 2028-0

Lobbyregisternummer: R000534

Redaktion

Sarah Hölzl

Referentin Digitalisierung und Innovation

T: +49 30 2028-1401

S.Hoelzl@bdi.eu

Dr. Mariia Shkolnykova

Referentin Digitalisierung und Innovation

T: +49 30 2028-1623

M.Shkolnykova@bdi.eu

Dr. Anke Soemer

Senior Advisor Transfer und Innovationsmanagement

Fraunhofer-Gesellschaft

T: +49 89 1205-4024 anke.soemer@zv.fraunhofer.de

Dr. Thorsten Lambertus

Managing Director, Institute for Deep Tech Innovation ESMT Berlin thorsten.lambertus@esmt.org

Die Inhalte des Papiers basieren auf den Diskussionen und Impulsen, die während des Summits von den folgenden Expertinnen und Experten angeregt wurden:

Alexander Türpe

Britta Bomhard

Christian Bogatu

Dr. Thomas Lange

Dr.-Ing. Matthias Unbescheiden

Florian Uri

Harald Holzer

Ingeborg Neumann

ExciteLab

Encourage Ventures

SPRIND

Achleitner Ventures

Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung

Fraunhofer-Gesellschaft, AHEAD

HIGHEST

Peppermint Group

Josua Vieten

Martin Rahmel

Prof. Dr. Bastian Halecker

Prof. Dr.-Ing. Sabine Kunst

Prof. Stefan Hecht

Dr.-Ing. Sophie Hippmann

Romy Schnelle

Travis Todd

Ulrich Kruse

Prof. Dr.-Ing. Thomas Bauernhansl

Valerie Daldrup

BDI Dokumentennummer: D 1974

exomatter.ai

Chemical Invention Factory

XU Exponential University in Potsdam

Joachim Herz Stiftung

Xolo

Fraunhofer-Gesellschaft

HTGF

Fraunhofer Heinrich Hertz Institute HHI

Trumpf Venture

Fraunhofer‐Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA

Universität Jena

Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.