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Kleine Quellenkunde zur Archäologie der Zwangslager
Die Verantwortlichen der großen Wanderausstellung zum Thema »Zwangsarbeit« glaubten noch im Jahr 2010 auf Überreste der materiellen Kultur zur Vermittlung ihrer Inhalte verzichten zu können, und hielten sie sogar für »irreführend«27 – in Verkennung der Tatsache, dass originale Funde u.a. den Schlüssel zum Schicksal von Einzelpersonen und damit zum Interesse des Publikums liefern. An anderer Stelle werden im selben Band die Verdienste der »Grabe wo Du stehst-Bewegung« gewürdigt. Der Autor lobt etwas von oben herab die »Graswurzel-Historiker« für die »Verortung« der Lagergeschichte im Gemeinwesen. Dass diese Hobby-Archäolog*innen aber die Lagerstandorte in der Landschaft verorten, lokalisieren, das entgeht ihm.28 Bauliche Überreste der Lager werden nur als Gedenkorte in der musealen Landschaft gesehen, nicht als Objekte eines primären Denkmalschutzes. Immerhin greift die Dauerausstellung des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Berlin Schöneweide seit 2013 auf aktuelle archäologische Funde und Ergebnisse, auch aus Brandenburg, zurück.29 Das Archäologische Fachamt weiß aber mittlerweile um die auratische Qualität der Funde und Befunde, und wird deswegen offensiv tätig, um seine Zuständigkeit für Orte der Kriegs- und Terrorgeschichte zu demonstrieren. Sie rückt sie in den Fokus der Landesarchäologie, nicht nur im gesetzlich definierten Öffentlichen Interesse, sondern verstärkt im Lichte eines echten Interesses der Öffentlichkeit. Dies trägt der in der Kulturentwicklungskonzeption des Landes Brandenburg formulierten Aufgabe des Fachamtes Rechnung, Angebote zur Identitätsstiftung zu machen – was andere Träger öffentlichen Interesses in ihrem Bemühen um diese Denkmale keineswegs ausschließt, z.B. die Gedenkstättenstiftungen.30
Nicht zuletzt deswegen wurde gemeinsam mit dem Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide (unter dem Dach der Topographie des Terrors, Berlin), dem Landesdenkmalamt Berlin und dem Lehrstuhl für Zeitgeschichtliche Archäologie der Universität Wien seit 2018 eine umfassende Ausstellung zur Archäologie der NS-Zwangslager erarbeitet, die im Mai 2020 pünktlich zum 75jährigen Jubiläum der Befreiung der Lager eröffnet werden konnte.31 Sie resümiert bisherige Ergebnisse aus Berlin und Brandenburg, und wandert seitdem – zweisprachig konzipiert, samt umfassendem Begleitband in deutscher und englischer Sprache – um diese gesellschaftliche Relevanz zu demonstrieren. Nach der Topographie des Terrors Berlin (Dokumentations-Zentrum NS-Zwangsarbeit) von Mai 2020 bis April 2021 und dem Archäologischen Landesmuseum im Paulikloster Brandenburg an der Havel (Mai bis Oktober 2021) stehen weitere Stationen auf der Liste (Falkensee bei Berlin 2022, smac 2023, Frankfurt am Main 2023/24 etc.).
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Die Erforschung materieller Hinterlassenschaften von Krieg und Terror des 20. Jahrhunderts in Brandenburg erfolgt in Zusammenarbeit mit den Universitäten Berlin und Wien, auch um den eigenen Kompetenzerwerb des Landesamtes abzusichern. Hier sind vor allem die Auswertung von Lage- und Funktionsmerkmalen in Kooperation mit der Universität Wien zu nennen32 sowie gemeinsame Projekte mit der Freien Universität Berlin.33
Dies dient gleichermaßen dem gesellschaftlichen Auftrag Denkmalschutz und dem wissenschaftlichen Interesse, und zielt auf die systematische Erfassung der Lagerstandorte in Brandenburg. Zu diesem Zweck kann eine breite Palette an Quellen herangezogen werden, die von ganz unterschiedlichen Institutionen und gesellschaftlichen Gruppen bereitgestellt werden, und auch aus ganz unterschiedlichen Motivationen und Absichten gesammelt wurden. Für die Landesarchäologie ist neben den gesellschaftlich im Vordergrund stehenden Thematiken des Leidens der Opfer und der Schuld der Täter aber vor allem die lagegenaue Lokalisierung der Orte von Belang, weil nur so die materiellen Quellen als archäologische Denkmale gelistet und geschützt werden können.
Um an diese oft versteckten Informationen zu gelangen, müssen alle Quellen genau ausgewertet und miteinander kombiniert werden, da der genauen Lage der Tatorte (denn um solche handelt es sich) z.B. in den Schriftquellen oft nur sekundäre Bedeutung beigemessen wird. Ein Problem ist, dass in Arbeiten über Konzentrations- und Außenlager die »anderen« Zwangsarbeitslager sowie die Kriegsgefangenenlager nicht behandelt werden und umgekehrt (selbst
Abb. 3 Quellenkunde zur Archäologie der Zeitgeschichte
wenn es sich um denselben Standort handelt) – es scheint, als seien die Historiker*innen manchmal gefangen in einer Art NS-Lager-Systematik, die von der Quellenlage her sicher nachvollziehbar und praktisch ist, aber den Blick auf einen Gesamtansatz verstellt. Die das Land Brandenburg betreffenden Standardwerke zu den KZ-Außenlagern34 erwähnen Lageangaben nur selten und ungenau. Auch die großen Datenbanken des United States Holocaust Memorial Museums (USHMM) in Washington geben dazu wenig Aufschluss; der frei zugänglichen Encyclopedia of Camps and Ghettos ist im Reader´s Guide eigens die umfangreiche Checkliste für die Autoren beigefügt, die für eine bestmögliche basic information zu den Lagern sorgen soll – eine Frage nach der genauen Lage ist allerdings leider nicht dabei.35
Die Zusammenstellungen der Bundeszentrale für Politische Bildung zu den Gedenkstätten von NS-Verbrechen (1999) sowie der Brandenburgischen Landeszentrale für Politische Bildung36 geben manchmal Hinweise auf Orte. Die historischen Aufarbeitungen und Verzeichnisse historischer Quellen (Akten etc.) der Landeshauptarchive Berlin und Brandenburg37 sowie der Gedenkstätten38 nennen manchmal postalische Adressen, die aber oft Unterbringungen in bestehenden festen Gebäuden betreffen, und die so zunächst für die Archäologie kein Thema sind. Zur Lokalisierung müsste also idealerweise eine Aufsuchung im Gelände und zuvor ein Absuchen historischer Luftbilder und des Digitalen Geländemodells (DGM) am Rechner hinzukommen. Alliierte Bilder der 1940er Jahre und die sowjetische Befliegung 1953 werden ebenso wie das DGM vom Landesbetrieb Geobasisinformation (LGP Potsdam) bereitgestellt, sind aber natürlich nicht lückenlos vorhanden, und in keiner Weise thematisch erschlossen. Wenn es in der historischen Literatur oft heißt »nichts am Ort erinnert mehr an das Geschehen« oder ähnlich, ist dies der eigentliche Beginn der archäologischen Arbeit39 – und häufig stimmt es einfach gar nicht.
Zeitgenössische Pläne mit eingezeichneten Lagerstandorten wären der Idealfall, und dass es so etwas gibt, zeigt z.B. ein Stadtplan von 1942 für Brandenburg an der Havel, der dort im Stadtarchiv aufbewahrt wird.40 Er zeigt außer Straßen, Plätzen und Sehenswürdigkeiten (und, offenbar ganz wichtig, den Ortsgruppen der NSDAP) vor allem, händisch nachgetragen, die »unabhängige Löschwasserversorgung für die
auswärtigen Löschkräfte« – es sind also die geeigneten Wasserentnahmestellen entlang der Gewässer und die Hydranten-Standorte hervorgehoben (s. Katalog Abb. 11). Außerdem, und dies ist für unseren Zusammenhang entscheidend, und auch für die Löschkräfte wegen der erhöhten Brandgefahr wichtig, sind ebenfalls händisch die »Lage und Belegschaftsstärke der Zivil-Kriegs-gefangenen Läger« (sic!) vermerkt. Dies wurde mit rechteckigen Signaturen vorgenommen, die entweder blau-weiß-rot und mit K bezeichnet sind, oder gelb mit einem Z darin. Es gibt auch blaue Rechtecke mit einem U, wahrscheinlich für Unterbringungslager. Während die Signaturen für Kriegsgefangenenlager immer relativ gleich klein sind, variieren die gelben Rechtecke in der Größe, wohl um die Lagergröße anzudeuten (aber nicht annähernd maßstäblich), zudem stehen darüber oder daneben die Belegungszahlen, manchmal mit »m« und/oder »w« für männlich und weiblich, von 13 bis über 3550 (beim Lager Wilhelmshof).
Die gelben Rechteck-Signaturen mit dem altertümlich geschwungenen »Z« darin erwecken Assoziationen an den ähnlich gestalteten »Judenstern« mit dem ähnlich gestalteten »J«, was bestimmt kein Zufall ist.
Bei Orten im unmittelbaren Umkreis von Berlin kann als Quelle auch die Funktion der Zeitleiste auf der Homepage von Google Earth genutzt werden: Dort sind die 1953er Bilder von Berlin eingebunden, die noch einen gewissen Flächenanteil draußen vor der Stadtgrenze abbilden, wo sich noch manches Lager finden lässt.
Die ebenfalls digital bereitgestellten Topografischen Karten 1:10.000 aus der DDR-Zeit bieten oftmals wertvolle Informationen: Hier finden sich z.B. Hinweise in Form damals noch übrig gebliebener und genutzter (oder ungenutzter) Lagergebäude und Wege, Feuerlöschteiche etc., von Strukturen also, die zumeist heute obertägig nicht mehr vorhanden sind.
Hinweise lokaler Initiativen ergänzen diese Informationen, oft ist das Wissen um das Vorhandensein solcher Plätze in der ortsansässigen Bevölkerung über die Generationengrenze weitergegeben worden.41 Gerade aus der sogenannten Grauen Literatur, im Selbstverlag mit kleinsten Auflagen und geringer Reichweite, oft ohne Angabe des Erscheinungsdatums, kommen häufig wichtige Hinweise, weil die Autoren ganz nah an der lokalen Geschichte dran sind. Mittlerweile werden diese Schriften ergänzt durch Internetseiten von Hobbyforschern, die manchmal durchaus wertvolle Lageinformationen liefern. Hier beginnt auch schon die Grau- (oder vielleicht besser »braune«) Zone zum dark tourism, wo Gruselorte der NS-Zeit einem interessierten Publikum nahegebracht werden.42 Hinzu kommen in den letzten Jahren Hinweise aus der Szene des sogenannten geo-caching, wo bisweilen Standorte bekannt sind, die wir noch nicht kennen (z.B. das Märkische Walzwerk Strausberg, das Stalag Groß Schulzendorf und andere mehr).
Oft initiieren und betreiben lokale Initiativen Jugendprojekte, auch unter dem Dach des Landesjugendringes Brandenburg, der verschiedene Förderformate anbietet, um Schüler die lokale Vergangenheit erforschen zu lassen (seit Jahren erfolgreich sind z.B. »Zeitensprünge« oder »überLAGERt«), und die sich den lokalen Lagerstandorten und Zeitzeugen widmen. Hier hat das Archäologische Fachamt das Potential erkannt, und lädt die Jugendgruppen ins Landesmuseum im Paulikloster in Brandenburg an der Havel ein, um ihnen dort die Arbeitsweise der zeitgeschichtlichen Archäologie zu erklären, sie anhand von Originalmaterial die Geschichte im wahrsten Sinne begreifen zu lassen – und ganz nebenbei von ihren lokalen Kenntnissen zu profitieren. Etliche Lagerstandorte verdanken ihre Eintragung als Bodendenkmal diesen Kontakten (z.B. mehrere Lager in Königs Wusterhausen, in Biesenthal und Lanke, und andere mehr).
Schließlich gibt es nicht wenige Ehrenamtliche Beauftragte der Landesarchäologie, die sich mit Interesse auch diesem Thema widmen und entsprechende Fundmeldungen von Lagerstandorten ans Ortsarchiv senden, die dann ggf. beim Betroffensein von Planungen professionell archäologisch bestätigt werden können, und/ oder geschützt bzw. ausgegraben werden.
Alle diese Quellenstudien zielen auf die Eintragung des Lagerstandortes als Fundplatz, Verdachtsfläche bzw. als Bodendenkmal in die Landes-Denkmalliste Brandenburg ab, um eine dauerhafte Erhaltung sicherzustellen. Gleichrangiges Ziel dabei muss aber auch die Vermittlung sein – entweder am originalen Ort, im Landesmuseum im Paulikloster oder in geeigneten Formaten bei den Gedenkstätten.