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ENTWICKLUNG DER LAGER IN BRANDENBURG
II. PHASEN
ENTWICKLUNG DER LAGER IN BRANDENBURG
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» W o immer wir leben, wir haben es nicht weit zu einem Lager oder einem, mehreren Nebenlagern.« … »Wo immer man gräbt, man findet etwas.« Diese beiden Zitate von Jan Philipp Reemtsma (das zweite nach Arnulf Baring) aus seinem Aufsatz »Wozu Gedenkstätten?«1 charakterisieren auch sehr gut die Situation der brandenburgischen Landesarchäologie. »Das Lager ist ein serialisierter Schnittpunkt von Architektur und Polizei, von Recht und Politik, von Kunst und Biologie, an dem die Strategien des Produzierens, Konservierens, Ausstellens und Verwaltens ineinandergreifen, um das Provisorische einzugrenzen und zu verstetigen, das Einzelne sicherzustellen und die Ausnahme zu normalisieren«2. Lager werden oft als vorübergehende Aufenthaltsorte in einem Verwaltungssystem mit erzieherischer Absicht geplant, in denen willkürlich aufgestellte Regeln und Ordnungsstrukturen die Insassen kontrollieren, die als verdichtete Masse mit wenigen technischen Mitteln, Inszenierung von Macht und Anwendung physischer Gewalt von Widerstand und eigenen Entscheidungen abgehalten werden.3
Der Diskurs der Historiker*innen über das »Jahrhundert der Lager«4 hat einen eingängigen und sicher zutreffenden Terminus geprägt: Er beleuchtet aber natürlich in erster Linie, welche Rolle Lager als machtpolitische Instrumente einer Biopolitik in der Geschichte der Menschen spielen, welche Funktion sie haben, was sie mit den Menschen in physischer und psychischer Hisicht machen. Er behandelt also sozialgeschichtliche, soziologische, psychologische und letztlich auch philosophische Themen – angesichts prominenter Autoren und ihrer Publikationen5 ist leicht zu erkennen, welche Wissenschaftsdisziplinen und herausragende Koryphäen sich auf höchstem intellektuellen Niveau mit dieser Thematik befassen.
Nach Hanna Arendt liegt ein typischer moderner »Lager-Raum« vor, wenn Bevölkerungsgruppen bürokratisch die Möglichkeit der Teilnahme am politischen Leben verwehrt wird, ihnen die Möglichkeit spontanen Handelns in der Öffentlichkeit entzogen und ihr Menschsein systematisch in Frage gestellt wird.6
Bei Michel Foucault ist das Lager das Modell einer Architektur, die Macht ausübt, die Individuen so transformiert, dass sie sich im Sinne der Macht verhalten, wobei der Aspekt der Bio-Politik hinzutritt – die Züchtung einer normierten Masse erfordert die Eliminierung biologischer Gefahren; diese gängige biopolitische Mechanik sei vom NS-Staat nur ins Extrem getrieben worden.7
Giorgio Agamben zieht daraus den Schluss, dass das Lager »nicht als eine historische Tatsache und Anomalie anzusehen ist, die der Vergangenheit angehört, sondern als verborgene Matrix, als ›nómos‹ des politischen Raumes, in dem wir auch heute noch leben«. Es ist die Verräumlichung des Ausnahmezustandes: »das Lager ist der Raum der sich öffnet, wenn der Ausnahmezustand zur Regel wird«8. Auch Agamben sieht schon das Ausgeschlossensein der Eingeschlossenen,9 das zum Titel unserer Ausstellung ab 2020 führte, die heute noch wandert.
Angesichts des bekannten dramatischen, makabren und verbrecherischen Höhe- (aber offenbar nicht End-) Punktes der Lagergeschichte unter deutscher Verantwortung ist diese Ausrichtung der Diskussion und ihr geistiger Anspruch – nämlich mit dem Fokus auf dem Menschen – nur angemessen und notwendig. Weniger in Betrachtung gezogen wurde und wird dabei die Materialität der Lager vor dem Hintergrund ihres weitgehenden Verschwindens aus dem Blickfeld, von der Erdoberfläche und letztlich aus der Erinnerung – dies aber ist ein klassisches Thema der archäologischen Denkmalpflege.