4 minute read

Forschung contra Erhaltung? Der Zugang der Archäologischen Denkmalpflege

Dass die Archäologie hier wirklich Substanzielles beizutragen hat, wird bisher auch von hellsichtigen Beobachtern und Kommentatoren des öffentlichen Diskurses übersehen71 – was aber nur bedeutet, dass es der Archäologie bisher nicht gelungen ist, dieses Potential zu vermitteln und in die öffentliche Wahrnehmung einzubringen.

Forschung contra Erhaltung? Der Zugang der Archäologischen Denkmalpflege

Advertisement

Der in der Praxis oft als »Lagerarchäologie« bezeichnete Forschungs- und Arbeitsbereich weist eine Besonderheit auf: Er stellt die Schnittstelle von Archäologie, Baudenkmalpflege und Gedenkstätten mit ihren jeweiligen Sicht- und Vorgehensweisen dar.

Sein Hauptthema ist der Schutz der archäologischen Substanz, der in der Regel zu kurz kommt, weil Archäologie eben immer noch zu sehr mit Ausgraben (»Forschen«) und zu wenig mit Erhalt in situ im Boden identifiziert wird.72 Es braucht aber keine Diskrepanz zu geben zwischen Erhalten und Erforschen – beides kann gut miteinander funktionieren.

Die Archäologie muss sich heute im Sinne des Denkmalschutzes sowie in Anbetracht der personellen und finanziellen Situation auf unbedingt notwendige Aufgaben und Ausgaben konzentrieren. Aufgabe der Archäologischen Denkmalpflege ist eine flächige Inventarisation NS-zeitlicher Lagerstandorte, die erst einen umfassenden Schutz dieser Denkmalgruppe ermöglicht. Ausreichend ist es, zunächst sämtliche bekannte Lagerstandorte in niedriger Auflösung zu erfassen, um in der Bauleitplanung entsprechend auf vorhandene Strukturen reagieren zu können. In Brandenburg ist man auf diesem Wege schon sehr weit, bundesweit macht sich die unterschiedliche Herangehensweise in den einzelnen, für den Denkmalschutz zuständigen Bundesländern im unterschiedlichen Stand bemerkbar.

Provokante Forderungen wie »Standardsenkungen bei Grabungen in Gedenkstätten«, »Fundverbleib zur pädagogischen Arbeit bei diesen«, »Freilassen nach Freilegung«, die sich gegen einen vermeintlichen AlleinvertretungsAnspruch der Archäologie richteten, regten die Diskussion zwischen Gedenkstätten und Denkmalämtern an, weil sie die unterschiedlichen Herangehensweisen auf den Punkt bringen.73 Die Archäologie ist aber nicht zur »Gewinnung von Exponaten für geplante Gedenkstätten« da.74 Dennoch, bei der Kooperation zwischen Gedenkstätten und Denkmalamt wird gerade in Brandenburg schon seit Jahren erfolgreich ein neuer Weg beschritten.75

Gedenkstätten und Landesarchäologien haben ja ein gemeinsames Interesse an Erhaltung und Vermittlung, und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ist unverzichtbar. Dabei darf und kann es aber keine Hierarchie der Belange geben. Die Gedenkstätten dürfen einerseits ihre originalen Ressourcen nicht in der täglichen Bildungsarbeit verbrauchen. Die Landesarchäologien müssen und werden aber auch dem Sonderstatus dieser eben nicht ganz normalen Bodendenkmale Rechnung tragen, wobei sie von ihrer emotionalen Qualität in der Vermittlung auch selbst profitieren – ein solch direkter Bezug und Beitrag der Archäologie zur gesellschaftlichen Realität auf dem Feld politischer Bildung ist neu und wertvoll für alle Beteiligten.

Anmerkungen

1 Vgl. Bernbeck 2017, 7; Pollack 2014, 53 2 Benz 1999 3 Kotek/Rigoulot 2001 4 Kotek/Rigoulot, 2001; Greiner/Kramer 2013 5 Kersting 2021, 253 6 Kersting 2015b 7 Sofsky 1993, 70 8 Stellvertretend für zahlreiche ähnliche Fälle ausgewertet von Betscher 2004, 42ff. 9 Blank/Quinkert 2021 10 Vgl. Bernbeck 2017, 53 11 Jaspers 1960, 94f. 12 s. Abb. 57 bei Stein 2014, 68 13 Baganz 2009, 252f. 14 Zur Lagerbauaktion 1942 s. Bräutigam 2003, 37f. 15 Kersting et al. 2016 16 Dressler/Kersting 2021 17 Hier und im Folgenden nach Kersting et al. 2018b, 52 18 Vgl. die Karte 6.1 bei Theune 2018, 68 19 Morsch 2015; ders. 2016 20 Vgl. Schute 2017, 594 21 Kersting 2015a; Kersting/Müller 2015; s. auch Meller/

Bunnefeld 2020 22 Oebbecke 1995; Antkowiak/Meyer 2007 23 VLA 1995 24 z.B. in Mahlow, am Ort des sogenannten Ausländerkrankenhauses; U. Kersting 2021 25 z.B. im Lager Uckermark, s. Abb. 3 bei Morsch 2016, 19;

Abb. 2 bei Kersting 2016a, 57 26 Vgl. Gaede 2016, 131ff., der sich mit Sichtbarem und Unsichtbarem an den Lagerstandorten befasst 27 Vgl. Knigge/Lüttgenau/Wagner 2010, 9 28 Heusler 2009, 196 29 Alltag Zwangsarbeit 2013, 114, 138, 164 30 s. u. https://mwfk.brandenburg.de/sixcms/media. php/9/Kulturbericht.pdf 31 Katalog: Ausgeschlossen 2020 32 Theune-Vogt 2012 33 Bernbeck 2017 34 Benz/Distel 2006, im Wesentlichen Bd. 3 und Bd. 4 zu den Lagersystemen Sachsenhausen, Ravensbrück und

Buchenwald 35 Encyclopedia 2009, xxxvii 36 Scheer 2003 37 Bräutigam 2003; Kubatzki 2001; Meyer/Neitmann 2001 38 Morsch/Ohm 2014 39 »the starting point for archaeologists« Schute 2017, 595 40 Unter der Bezeichnung K 5.0. 162; erwähnt schon bei Heß 2001, 460 41 Vgl. Pollack 2014, 71 42 Vgl. Bernbeck 2017, 415 43 Sturdy-Colls/Colls 2013, 128ff.; Carr/Jasinki 2014 44 Kersting/Theune et al. 2016; vgl. in diesem synonymen

Sinne auch Knigge 2010, 11f; vgl. auch Hansen/Heitzer/

Nowak 2016, 11 45 Hier und im Folgenden nach Lobinger 2015 46 Hier und im Folgenden nach Kersting 2020c, 2020d 47 Hirte 1999, 12, Anm. 15 48 Kunow 1996, ders. 2000 49 Oebbecke 1995 50 Müller 2016 51 So auch z.B. Poggel 2020, 11 52 Kersting/Müller 2015 53 Vgl. »forgotten camp sites« bei Schute 2017, 595 54 Antkowiak/Keil/Götze 2002 55 DGUF 2021; darin Kersting 2021 56 Vgl. Bernbeck 2017, 222 57 So zuletzt auch Meller/Bunnefeld 2020, 103 58 Siehe Bernbeck 2017, 92ff. 59 Diese Idee schon bei Hirte 1999, 77; auch bei Hansen/

Heitzer/Nowak 2016, 10 60 So auch Wagner 2016, 170; vgl. Schute 2017, 594 61 Schute 2017, 598 62 Heyl 2010 63 So jedoch Wagner 2016, 169 64 Drieschner 2016 65 So auch zuletzt sowohl zur Architektur als auch zum Lager-Alltag Legendre 2017, 51 66 Hier und im Folgenden nach Kersting et al. 2018b, 57 67 Vgl. Bernbeck 2017, 434 68 Vgl. Jürgens/Müller 2020 69 Allmeier et al. 2016, 21 70 Hier und im Folgenden nach Kersting et al. 2018b, 59 71 Vgl. z.B. Welzer 2010 72 Vgl. dagegen Bernbeck 2017, 364f. 73 Morsch 2016 74 Poggel 2020, 13 und 18 75 s. Kersting/Schopper/Theune 2016

This article is from: