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Zur Geschichte
deren Außenlager, Kriegsgefangenenlager des 2. Weltkrieges, Zwangsarbeiterlager, Arbeitserziehungslager und weitere NS-zeitliche Kategorien. Diese sollte man sich als Archäolog*in nicht unbedingt zu eigen machen – einerseits, um sich nicht der damaligen verschleiernden Terminologie zu bedienen, andererseits, weil meist in ein und demselben Lager zahlreiche Funktionen und Menschengruppen sowie unterschiedliche Bedingungen bestanden, sowohl nacheinander als auch gleichzeitig und nebeneinander. Auch gibt es eigens für jüdische Menschen eingerichtete Zwangsarbeitslager, die auf weiterbenutzten Hachschara-Stätten basierten, regelrechte Vernichtungsstätten und anderes mehr (s.u. Entwicklung in Brandenburg).
Zur Geschichte
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Etwa 13 Millionen Männer, Frauen und Kinder, die meisten von ihnen aus dem Ausland, mussten während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland Zwangsarbeit leisten. Über die großmaßstäbige Geschichte unterrichten ausführlich große Standardwerke und neuere Ausstellungskataloge. Zur Zwangsarbeit und den damit verbundenen Lagern die Bücher von Ulrich Herbert 1985 und Mark Spoerer 2001 sowie zwei Kataloge: der zur großen internationalen Wanderausstellung zum Thema von 2010 und der des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide »Alltag Zwangsarbeit« von 2013. Zu den sowjetischen Kriegsgefangenen ist das Buch von Christian Streit von 1978 (Neuausgabe 1991) grundlegend, sowie der neue Ausstellungskatalog »Dimensionen eines Verbrechens«9; die Ostarbeiter behandelt die Publikation von Memorial International, Moskau und der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin »Für immer gezeichnet« von 2019. Zu den Konzentrationslagern sind die Bände 3 und 4 »Der Ort des Terrors« von 2006 verbindlich (Benz/Distel), das System der Konzentrations-Außenlager behandelt Marc Buggeln 2012. Für unseren Raum unverzichtbar sind die Arbeit von H. Bräutigam 2003 und die Quellensammlungen von R. Kubatzki 2001 und F. Schmidt 1998. Die Ausführungen an dieser Stelle folgen denen im Katalog der Ausstellung »Ausgeschlossen« (2020, 56f.). Die nationalsozialistischen Machthaber und Sicherheitsbehörden hatten große Bedenken, »Fremdvölkische« ins Land zu holen. Man befürchtete, dass sich die »Andersrassigen« mit den Deutschen vermischen könnten, hatte Angst vor Sabotage und anderen Feindseligkeiten. Doch der zunehmende Mangel an Arbeitskräften führte zu der Entscheidung, entgegen der NS-Ideologie ausländische Arbeiter*innen einzusetzen. Um sie aus der »deutschen Volksgemeinschaft« ausgeschlossen zu halten10 und besser kontrollieren zu können, wurden sie möglichst in Lagern untergebracht.
Das »Ausgeschlossen-Sein« war für den Philosophen Karl Jaspers ein Charakteristikum des nationalsozialistischen Terrors, der alle Lebensbereiche – Staat, Wirtschaft und Gesellschaft – durchdrang.11 Tatsächlich gab es allein in Berlin und der Provinz Brandenburg etwa 4.000 nationalsozialistische Zwangslager, in denen die Ausgeschlossenen leben mussten. In der NS-Terminologie selbst wurde man beispielsweise vom Wehrdienst unehrenhaft »ausgeschlossen« (und nicht etwa »befreit«, wie lange in der Bundesrepublik), mittels eines »Ausschließungsscheins«12 .
Die nationalsozialistischen Zwangslager bilden in dieser Arbeit den Schwerpunkt. Die nationalsozialistische Ideologie teilte Menschen rassistisch ein, die Wertigkeit auf einer fiktiven Skala bestimmte, welche Stellung man in der Gesellschaft einnahm. An der Spitze standen die sogenannten »arischen« Deutschen, denen in der NS-Ideologie die Herrschaftsposition zufiel, ganz unten Jüd*innen und Sinti und Roma, Sintezze und Romnija. Sie wurden unter der NSHerrschaft nicht nur aus der deutschen, sondern nach und nach auch aus der europäischen Gesellschaft ausgeschlossen, erst entrechtet und ausgegrenzt, dann interniert und schließlich in Konzentrations- und Vernichtungslager oder an Erschießungsorte deportiert und dort ermordet.
Auch die osteuropäischen Völker wurden als minderwertig angesehen, sowjetische Kriegsgefangene galten als »Untermenschen«. Pol*innen waren, wie die zur Zwangsarbeit verschleppte Zivilbevölkerung aus den Ländern der Sowjetunion, ebenfalls diskriminierenden Gesetzen unterworfen. Sie sollten den Deutschen als Arbeitssklaven dienen. Alle diese »rassisch« angeblich unterlegenen Menschen sollten möglichst getrennt von den Deutschen leben, damit die sogenannte »arische Rasse” rein blieb. Eine große Sorge der NS-Regierung, der SS und Poli-
zei war, dass es zu Kontakten, Freundschaften oder gar Liebesbeziehungen zwischen Deutschen und »Andersrassigen« oder »Fremdvölkischen« kommen könnte. Kontakte wurden als verbotener Umgang unter harte Strafen gestellt – besonders hart wurden Liebesbeziehungen verfolgt, bis hin zu Todesstrafen für osteuropäische Männer, die mit deutschen Frauen Kontakte hatten.
Zwangslager waren unter diesen ideologischen Rahmenbedingungen eine Möglichkeit, die Zwangsarbeitenden getrennt von den Deutschen zu halten. Sie ermöglichten, die Menschen zu separieren, zu kontrollieren und sie dennoch zur Zwangsarbeit einsetzen zu können. Zwangsarbeitslager, d.h. KZ-Außenlager, Kriegsgefangenenkommandos und Lager für zivile Zwangsarbeiter*innen entstanden direkt neben den Arbeits- und Produktionsorten. Im Laufe des Krieges, mit zunehmendem Mangel an Arbeitskräften und immer größerem Einsatz von Zwangsarbeiter*innen, vervielfältigte sich die Zahl der NS-Zwangslager auf ca. 30.000 im ganzen NS-Herrschaftsbereich. Allein in Berlin hat es um 3000 Lager und Sammelunterkünfte für Zwangsarbeiter*innen gegeben. Dabei wurden an manchen Produktionsstandorten KZ-Häftlinge, zivile Zwangsarbeiter*innen und Kriegsgefangene gleichzeitig eingesetzt, so dass viele unterschiedliche Lagertypen direkt neben-, in- und »durcheinander« bestanden.
Die Verwaltung der Zwangslager war ganz unterschiedlich organisiert. Konzentrationslager unterstanden seit 1935 der Inspektion der Konzentrationslager und diese wiederum sowohl der SS als auch der Gestapo. Die Kriegsgefangenenlager standen in der Verantwortung der Wehrmacht. Zwangsarbeitslager wurden von den Profiteuren der Zwangsarbeit eingerichtet und betrieben: von Privatfirmen, kommunalen Behörden oder anderen staatlichen Einrichtungen, aber z.B. auch von Kirchengemeinden. Beschickt wurden sie aus ca. 24 im Reich verteilten sogenannten Durchgangslagern, in denen die ausländischen Menschen eintrafen, und auf die Bedarfsträger verteilt wurden – sicher war für Brandenburg das Durchgangslager in Berlin Wilhelmshagen zuständig.13 Auch der Generalbauinspekteur des Reiches, Albert Speer, baute und betrieb seit 1942 Zwangsarbeitslager in Berlin und Brandenburg. In diesen Lagern wurden Zwangsarbeiter*innen untergebracht, die für den GBI arbeiteten, aber auch Räume und Betten an andere Firmen vermietet.14
Grundlage der Identifizierung und Verwaltung der Insassen in den Lagern war die Nummerierung. Kriegsgefangene bekamen Stalagmarken: Kennmarken mit einer laufenden Nummer sowie der Kennung des Stalag (MannschaftsStammlager), in dem sie zuerst inhaftiert waren. Nach internationalem Kriegsgefangenenrecht sollte der Aufenthalt von Gefangenen jederzeit nachvollziehbar sein. Offiziell bemühte sich die Wehrmacht, zumindest für die westeuropäischen Kriegsgefangenen, diese Vorschrift einzuhalten. Sowjetische Kriegsgefangenen, deren Leben der Wehrmacht nicht viel wert war, fielen durchs Raster und wurden oft gar nicht registriert. Zivile Zwangsarbeitende wurden meist bei Ankunft mit einer Kennnummer erfasst, die aber nicht überregional oder zentral erfasst wurde. Sie behielten jedoch ihren Namen, der in ein Arbeitsbuch eingetragen wurde, dieses wies nach, an welchem Arbeitsort sie eingesetzt wurden. Im Konzentrationslager ersetzte die KZ-Nummer den Namen der Häftlinge – sie sollten durch den Raub des Namens ihre Identität verlieren und damit ihr Selbstwertgefühl.
In der unmittelbaren Folgezeit nach dem Krieg wurden bestehende Lager weitergenutzt oder auch neu gebaut, um NS-Täter oder andere missliebige Personen unterzubringen, Speziallager des NKWD folgen ab Mitte 1945. Andererseits aber musste man der enormen Bevölkerungsverschiebungen Herr werden, so wurden gleichzeitig Vertriebenen- und Auffanglager eingerichtet, denen man sich nicht entziehen konnte.
Ein Charakter als Zwangslager ist auch für die sogenannten Waldlager der Roten Armee nicht auszuschließen, immerhin haben sich die Soldaten dort nicht freiwillig aufgehalten, zudem wurden dort auch Repatrianten, heimkehrende Gefangene aus allen Teilen Deutschlands, wieder in die Armee eingegliedert.15
Konsequenterweise kann man auch die DDR-Grenzanlagen als lineare Begrenzungen im Sinne einer Einschließung einer (sehr großen) Menschengruppe hier anschließen, und in der Tat sind ja auch hier archäologische Grabungen erfolgt.16