Lagerland (Leseprobe)

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LAGERLAND

Archäologie der Zwangslager des 20. Jahrhunderts in Brandenburg –Eine Einführung BeBra Wissenschaft Verlag

Herausgegeben vom Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseum

Gefördert von der Stiftung »Demokratie von unten bauen«, Rheinsberg und der Archäologischen Gesellschaft in Berlin und Brandenburg e. V.

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© be.bra wissenschaft verlag GmbH Berlin-Brandenburg, 2022 Asternplatz 3, 12101 Berlin post@bebraverlag.de Lektorat: Anika Strehlow, Berlin Satz und Umschlag: typegerecht berlin Schrift: Meta Pro Druck und Bindung: Finidr, Český Těšín ISBN 978-3-95410-297-6

www.bebra-wissenschaft.de

INHALT

I. GEDANKEN 9

Einleitung und Danksagung an die Ausgräber 9 Was sind Lager? 10 Zur Geschichte 11

Voraussetzungen und Grundlagen 13 Kleine Quellenkunde zur Archäologie der Zwangslager 15 Archäologie von Krieg und Terror 18 Forschung contra Erhaltung? Der Zugang der Archäologischen Denkmalpflege 24

II . PHASEN

ENTWICKLUNG DER LAGER IN BRANDENBURG 27

Kriegsgefangenenlager des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 28 Kriegsgefangenenlager des 1. Weltkriegs 28 Internierungslager der 1920er Jahre 28 Arbeitslager Jüdischer Hilfsorganisationen 29 Lager von NS-Formationen 30

Frühe Konzentrationslager 30 Konzentrationslager und Außenlager 30 Zwangsarbeitslager 30 Arbeitserziehungslager 31

Kriegsgefangenenlager 31 Vernichtungsstätten 31 Waldlager der Roten Armee 32 Speziallager 32

Heimkehrer- und Vertriebenenlager 32 Gefangenenlager DDR / Kalter Krieg 32 Grenzanlagen 33

III . GESCHICHTEN

FORSCHUNGS GESCHICHTE UND LERNPHASEN 37

Initialphase 38

Orientierungsphase 38 Konsolidierungsphase 40 Parallel-Welt 42 Routine-Phase 43

Initiativ-Phase 43

Aufgaben 46

. DENKMALE

LAGERSTANDORTE ALS ARCHÄOLOGISCHE DENKMALE UND ZUGRIFF DER ARCHÄOLOGISCHEN DENKMALPFLEGE

Theorie: Zur Klärung des Lagerbegriffs 49 Praxis: Anlässe archäologischer Untersuchungen

V. ORTE

SPUREN, RESTE, BEFUNDE 59

Lager-Grundrisse 61

Gliederung der Befunde im Lager 62

Lagerbegrenzung: Mauer, Tor, Türme und Zaun 62 Zäune und Interne Abgrenzung 63 Funktionsgebäude 65 Baracken und ihre Gründungen 69

Streifenfundamente 73

Sanitärbereiche 76

Zeltstandorte 79 Kultgebäude 79

Infrastruktur: Leitungen – Wasser, Abwasser, Strom 79 Infrastruktur: Straßen, Wege, Freiflächen, Pflaster 82 Planierungen und Brandschichten 84 Unterirdische Befunde 86 Feuerlöschteiche 86

Splitter-/Luftschutzgräben 87 Müll-Gruben 88 Vernichtungsorte / Leichenbrand 91

VI . DINGE

MATERIELLE ÜBERRESTE, FUNDMATERIAL 99

Einleitung 99 Material und Gliederung 100 Keramik 101 Glas 111 Metall 116 Kunststoff 145 Textilien 155 Andere Materialien 155

IV
49
51

Materielle Reste und Lager-Typen 161 Materielle Reste und Funktionen 164

VIII . MENSCHEN 169

Namen und Schicksale 169 Jüdisches Leben? 198

IX . LEBEN

LEBENSSPHÄREN IM LAGER 207

Verwaltung: Infrastruktur – Ausstattung – Bewachung – Gewalt 208

Verpflegung: Ernährung – Aufnahme – Verteilung – Mangel 210

Versorgung: Kleidung – Körperpflege – Hygiene – Medizin 213

Vergewisserung: Selbstbehauptung – Identitätsschutz – Lebensqualität –Demonstration 214 Ausnutzung: Produktion – Profiteure – Adaptionen – Parallelwelten 217

Auflösung: Hoffnung – Befreiung – Auslöschung – Erinnerung 218

Aus den Lagern in die Lager: Repatrianten in den Waldlagern der Roten Armee 220

X. ERINNERUNG

ERFASSEN UND BEGREIFEN FUNKTIONIERT 225

Kollektive Erinnerung und Erinnerungsort 225 Erinnerungsarbeit Zeithistorische Archäologie 228

KATALOG 233

ANHANG 339

Ortsregister 339 Literaturverzeichnis 341 Bildnachweis 355 Übersichtskarten 356 Der Autor 360

VII . INTERAKTIONEN 161

I. GEDANKEN

Dass unter der sichtbaren Landschaft zahl reiche, auf den ersten Blick nicht sicht bare Schichten liegen, ist Archäolog*in nen ein vertrauter Gedanke. Dass mehr oder weniger die gesamte Landschaft »kontaminiert« ist mit der Geschichte des Terrors, mit ihrem Missbrauch zu Zwecken der Exklusion und Aus beutung von Menschen, mit dem Ziel bzw. unter Inkaufnahme ihrer völligen Vernichtung – das ist ein Gedanke, der sich aufdrängt, wenn man ver sucht, die Stätten des Terrors in der Landschaft aufzuspüren.1 Die »Allgegenwart des Konzentra tionslagers«2 ist eine Tatsache – und eine Auf gabe der Archäologie. Und doch sind sie nur ein Teil der Vielfalt an Bodendenkmalen aus dem kriegerischen 20. Jahrhundert, die im branden burgischen Boden erhalten sind. Alle hier ver merkten Beispiele sind in den letzten 20 Jahren von der Landesarchäologie hierzulande schon untersucht worden.

Einleitung und Danksagung an die Ausgräber

Das 20. Jahrhundert gilt als das »Jahrhundert der Lager«3. Die vorliegende Arbeit soll das im Archäologischen Landesamt angesammelte und gespeicherte archäologische Wissen über Lager standorte der Zeitgeschichte im Zuständigkeits gebiet des BLDAM verfügbar machen. Sie ersetzt keine wissenschaftliche Aufarbeitung der ein schlägigen Befunde und Funde, der räumlichen Verteilung der Phänomene, der inneren Struk turen, einer möglichen Chronologie und Choro logie oder weiterer denkbarer Fragestellungen. Auch eine Einbeziehung bzw. ein Abgleich mit historischen Quellen kann hier nicht flächen deckend erfolgen. Sie soll lediglich, ausgehend von den zahlreichen archäologischen Untersu chungen seit den 1990er Jahren und basierend auf den Ausgrabungsdokumentationen, eine ubiquitäre – überall im Land vorhandene – Bo

dendenkmalgattung erschließen und den Inter essierten leichter zugänglich machen.

Die Ausgräber*innen im Gelände, die diese Dokumentationen und Grabungsberichte er arbeitet haben, stellten sich tatkräftig und en gagiert einer gänzlich neuen Thematik, für die niemand von ihnen an der Universität ausgebil det worden war. Sie werden hier (vor allem im Katalog) immer wieder zitiert, und ihrer gedul digen, gewissenhaften und kleinteiligen Arbeit ist diese Zusammenstellung zu verdanken und gewidmet: Matthias Antkowiak, Rainer Bartels, Rene Bräunig, Torsten Dressler, Axel Drieschner, Anja Grothe, Lisa Kirsch, Hartmut Lettow, Gun hilt Merker, Wolfgang Schmiederer (†), Barbara Schulz, Eberhard Völker, Johannes Weishaupt und sicher noch viele andere.

Anne-Kathrin Müller war die Erste, die 2010 eine Auswertung von Lagerfunden in Branden burg vorlegte, und ihre Betreuerin Claudia Theune (damals Humboldt-Universität Berlin, heute Universität Wien) begann in Brandenburg Anfang der 2000er Jahre ihre Beschäftigung mit dem Thema Archäologie der Zeitgeschichte –beiden danke ich für die enge Zusammen arbeit seitdem. Lena Sommerfeld und Juliane Hauboldt-Stolle verdanke ich die interessante gemeinsame Erfahrung der Kuratierung der Ausstellung »Ausgeschlossen – Archäologie der NS-Zwangslager« (ab April 2020 im Doku mentationszentrum NS -Zwangsarbeit Berlin Schöneweide, ab Mai 2021 im Archäologischen Landesmuseum im Paulikloster Brandenburg an der Havel). Nicht zuletzt danke ich Franziska Ferdinand, Anja Sbrzesny und Silke Schwarz länder (vom Archäologischen Informations- und Dokumentationszentrum im BLDAM) für ihre akribische Prüfung von Dokumentationen und zahlreichen Fundmeldungen, das Zusammen stellen von Abfragen, Hilfe bei der Handhabung des GIS und der Endkontrolle bei der Eintragung von Fundplätzen, Verdachts- und Bodendenk malflächen.

Einleitung und Danksagung an die Ausgräber 9

Archäologie des 20. Jahrhunderts: Herausforderung Auswahl

WAFFENPRODUKTION

Industrieanlagen

DIKTATUR

Fluchttunnel

Glienicke

Relikte von Krieg und Terror im Boden: Denkmalwert Gefangenenlager

Kraftwerk Vogelsang

Flugzeugproduktion

Kleinmachnow, BrieskowFinkenheerd, etc……

Militärischer Forschungskomplex

Gottow b. Kummersdorf

Keller

Zwangsarbeiterlager

DDRGrenzanlagen

NKWD Speziallager

Ravensbrück, Lieberose

Konzentrationslager

Sachsenhausen, Ravensbrück

Bombenkrieg, Häuserkampf

SchlachtFelder

Waldlager

Außenlager

Gefangenenlager

Lagerplätze Todesmarsch Belower Wald

ShukowBunker Reitwein

Flugzeugwracks

1. Weltkrieg: Wünsdorf, Dyrotz, Döberitz, Frankfurt/O.

Schützengräben WELTKRIEGE

Abb. 1 Bodendenkmale der Moderne

Was sind Lager?

Rote Armee 1945

2. Weltkrieg: Luckenwalde, Fürstenberg/Oder, Mühlberg/Elbe

Müllkippen

Deponie Klandorf Lagermüll RavensbrückLuftschutzbunker Wünsdorf, Ludwigsfelde

Gräber Soldaten

Gräber Zivilopfer Lieberose

Unter dem Titel »Zwangslager des 20. Jahrhun derts« versammeln sich hier ganz unterschiedli che Lagerkategorien, die im Land Brandenburg vertreten sind, deren materielle Reste aber aus Sicht der Archäologie ganz unvoreingenommen gemeinsam betrachtet werden können – ohne dabei den historischen und theoretischen Überbau aus den Augen zu verlieren, der die sem Thema gewidmet wurde.4 Immer geht es um Areale mit temporärer Abgrenzung, die ein Drinnen und Draußen definieren,5 wo Personen gruppen ein- und gleichzeitig ausgeschlossen wurden. Zwangslager stellen sozusagen eine Umkehrung des Drinnen-Draußen-Prinzips dar, das die Geschichte der Grenzziehungen be herrscht: Hier sind die drinnen gerade nicht die jenigen, die die Grenze gezogen haben. Wenn es bei Abgrenzung sonst in unterschiedlichem Maßstab um den Schutz der Eigenen und die Ausgrenzung von Fremden ging, also um Ex klusivität, sind die Lagerareale der NS-Zeit eine Steigerung im Sinne einer Perversion: Sie sind eine »Un-Landschaft«, in der nur noch Täter und Opfer Zugang hatten – und letztere in der Regel keine Möglichkeit zu entkommen. Eine

Krankenhaus Mahlow

TERROR

Täterorte Carinhall

Nazi-Verstecke Stolpsee, Ludwigsfelde, etc.

»Terror-Landschaft« wird definiert,6 oder wie es W. Sofsky formuliert: »Die geschlossene Grenze ist unabdingbar für die Entgrenzung absolu ter Macht.«7 So wurden Bereiche geschaffen, Nicht-Orte, die für die benachbarte Bevölkerung tabu waren, die sie in der Regel nicht aufsuchte, und aus ihrem Bewusstsein ausklammerte, in welchem eine Art neue Landkarte mit blinden Flecken entstand – und das mit Auswirkung bis heute, wie aus Zeitzeugeninterviews hervor geht.8

Hier in Brandenburg sind Beispiele aus allen Phasen der modernen Lagerhaltung von Men schen vorhanden: Abgesehen von ersten Unter bringungen Kriegsgefangener aus dem deutschfranzösischen Krieg 1870/71 am Quenzsee bei Brandenburg/Havel sind frühe Lager in der Phase einer aufgeklärten und fortschrittlichen militärischen Nutzung im 1. Weltkrieg eingerich tet worden, in der aber auch schon die Weichen in Richtung der späteren Perversion gestellt wur den. Die Übergangszeit zwischen den Weltkrie gen ist belegt mit einem Lager zur Internierung »unerwünschter Ausländer« in Cottbus, den Schwerpunkt aber bildet die NS-Zeit mit ihrer in neren Entwicklung: frühe Konzentrationslager, die späteren großen Konzentrationslager und

10 I. Gedanken

deren Außenlager, Kriegsgefangenenlager des 2. Weltkrieges, Zwangsarbeiterlager, Arbeits erziehungslager und weitere NS-zeitliche Kate gorien. Diese sollte man sich als Archäolog*in nicht unbedingt zu eigen machen – einerseits, um sich nicht der damaligen verschleiernden Terminologie zu bedienen, andererseits, weil meist in ein und demselben Lager zahlreiche Funktionen und Menschengruppen sowie unter schiedliche Bedingungen bestanden, sowohl nacheinander als auch gleichzeitig und neben einander. Auch gibt es eigens für jüdische Men schen eingerichtete Zwangsarbeitslager, die auf weiterbenutzten Hachschara-Stätten basierten, regelrechte Vernichtungsstätten und anderes mehr (s. u. Entwicklung in Brandenburg).

Zur Geschichte

Etwa 13 Millionen Männer, Frauen und Kinder, die meisten von ihnen aus dem Ausland, muss ten während des Zweiten Weltkriegs in Deutsch land Zwangsarbeit leisten. Über die großmaß stäbige Geschichte unterrichten ausführlich große Standardwerke und neuere Ausstellungs kataloge. Zur Zwangsarbeit und den damit ver bundenen Lagern die Bücher von Ulrich Herbert 1985 und Mark Spoerer 2001 sowie zwei Kata loge: der zur großen internationalen Wander ausstellung zum Thema von 2010 und der des Dokumentationszentrums NS -Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide »Alltag Zwangsarbeit« von 2013. Zu den sowjetischen Kriegsgefange nen ist das Buch von Christian Streit von 1978 (Neuausgabe 1991) grundlegend, sowie der neue Ausstellungskatalog »Dimensionen eines Verbrechens«9; die Ostarbeiter behandelt die Publikation von Memorial International, Mos kau und der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin »Für immer gezeichnet« von 2019. Zu den Konzentra tionslagern sind die Bände 3 und 4 »Der Ort des Terrors« von 2006 verbindlich (Benz/Distel), das System der Konzentrations-Außenlager be handelt Marc Buggeln 2012. Für unseren Raum unverzichtbar sind die Arbeit von H. Bräutigam 2003 und die Quellensammlungen von R. Ku batzki 2001 und F. Schmidt 1998. Die Ausfüh rungen an dieser Stelle folgen denen im Katalog der Ausstellung »Ausgeschlossen« (2020, 56 f.).

Die nationalsozialistischen Machthaber und Sicherheitsbehörden hatten große Beden

ken, »Fremdvölkische« ins Land zu holen. Man befürchtete, dass sich die »Andersrassigen« mit den Deutschen vermischen könnten, hatte Angst vor Sabotage und anderen Feindseligkei ten. Doch der zunehmende Mangel an Arbeits kräften führte zu der Entscheidung, entgegen der NS-Ideologie ausländische Arbeiter*innen einzusetzen. Um sie aus der »deutschen Volks gemeinschaft« ausgeschlossen zu halten10 und besser kontrollieren zu können, wurden sie möglichst in Lagern untergebracht.

Das »Ausgeschlossen-Sein« war für den Philosophen Karl Jaspers ein Charakteristikum des nationalsozialistischen Terrors, der alle Lebensbereiche – Staat, Wirtschaft und Ge sellschaft – durchdrang.11 Tatsächlich gab es allein in Berlin und der Provinz Brandenburg etwa 4.000 nationalsozialistische Zwangslager, in denen die Ausgeschlossenen leben muss ten. In der NS-Terminologie selbst wurde man beispielsweise vom Wehrdienst unehrenhaft »ausgeschlossen« (und nicht etwa »befreit«, wie lange in der Bundesrepublik), mittels eines »Ausschließungsscheins«12

Die nationalsozialistischen Zwangslager bil den in dieser Arbeit den Schwerpunkt. Die na tionalsozialistische Ideologie teilte Menschen rassistisch ein, die Wertigkeit auf einer fiktiven Skala bestimmte, welche Stellung man in der Gesellschaft einnahm. An der Spitze standen die sogenannten »arischen« Deutschen, denen in der NS-Ideologie die Herrschaftsposition zu fiel, ganz unten Jüd*innen und Sinti und Roma, Sintezze und Romnija. Sie wurden unter der NS Herrschaft nicht nur aus der deutschen, sondern nach und nach auch aus der europäischen Ge sellschaft ausgeschlossen, erst entrechtet und ausgegrenzt, dann interniert und schließlich in Konzentrations- und Vernichtungslager oder an Erschießungsorte deportiert und dort ermordet.

Auch die osteuropäischen Völker wurden als minderwertig angesehen, sowjetische Kriegsgefangene galten als »Untermenschen«. Pol*innen waren, wie die zur Zwangsarbeit ver schleppte Zivilbevölkerung aus den Ländern der Sowjetunion, ebenfalls diskriminierenden Ge setzen unterworfen. Sie sollten den Deutschen als Arbeitssklaven dienen. Alle diese »rassisch« angeblich unterlegenen Menschen sollten mög lichst getrennt von den Deutschen leben, damit die sogenannte »arische Rasse” rein blieb. Eine große Sorge der NS-Regierung, der SS und Poli

Zur Geschichte 11

zei war, dass es zu Kontakten, Freundschaften oder gar Liebesbeziehungen zwischen Deut schen und »Andersrassigen« oder »Fremdvöl kischen« kommen könnte. Kontakte wurden als verbotener Umgang unter harte Strafen ge stellt – besonders hart wurden Liebesbezie hungen verfolgt, bis hin zu Todesstrafen für ost europäische Männer, die mit deutschen Frauen Kontakte hatten.

Zwangslager waren unter diesen ideologi schen Rahmenbedingungen eine Möglichkeit, die Zwangsarbeitenden getrennt von den Deut schen zu halten. Sie ermöglichten, die Men schen zu separieren, zu kontrollieren und sie dennoch zur Zwangsarbeit einsetzen zu können. Zwangsarbeitslager, d. h. KZ-Außenlager, Kriegs gefangenenkommandos und Lager für zivile Zwangsarbeiter*innen entstanden direkt neben den Arbeits- und Produktionsorten. Im Laufe des Krieges, mit zunehmendem Mangel an Ar beitskräften und immer größerem Einsatz von Zwangsarbeiter*innen, vervielfältigte sich die Zahl der NS-Zwangslager auf ca. 30.000 im gan zen NS-Herrschaftsbereich. Allein in Berlin hat es um 3000 Lager und Sammelunterkünfte für Zwangsarbeiter*innen gegeben. Dabei wurden an manchen Produktionsstandorten KZ-Häft linge, zivile Zwangsarbeiter*innen und Kriegs gefangene gleichzeitig eingesetzt, so dass viele unterschiedliche Lagertypen direkt neben-, inund »durcheinander« bestanden.

Die Verwaltung der Zwangslager war ganz unterschiedlich organisiert. Konzentrationsla ger unterstanden seit 1935 der Inspektion der Konzentrationslager und diese wiederum so wohl der SS als auch der Gestapo. Die Kriegs gefangenenlager standen in der Verantwortung der Wehrmacht. Zwangsarbeitslager wurden von den Profiteuren der Zwangsarbeit eingerichtet und betrieben: von Privatfirmen, kommunalen Behörden oder anderen staatlichen Einrichtun gen, aber z. B. auch von Kirchengemeinden. Be schickt wurden sie aus ca. 24 im Reich verteil ten sogenannten Durchgangslagern, in denen die ausländischen Menschen eintrafen, und auf die Bedarfsträger verteilt wurden – sicher war für Brandenburg das Durchgangslager in Berlin Wilhelmshagen zuständig.13 Auch der General bauinspekteur des Reiches, Albert Speer, baute und betrieb seit 1942 Zwangsarbeitslager in Ber lin und Brandenburg. In diesen Lagern wurden Zwangsarbeiter*innen untergebracht, die für

den GBI arbeiteten, aber auch Räume und Bet ten an andere Firmen vermietet.14

Grundlage der Identifizierung und Verwal tung der Insassen in den Lagern war die Numme rierung. Kriegsgefangene bekamen Stalagmar ken: Kennmarken mit einer laufenden Nummer sowie der Kennung des Stalag (MannschaftsStammlager), in dem sie zuerst inhaftiert waren. Nach internationalem Kriegsgefangenenrecht sollte der Aufenthalt von Gefangenen jederzeit nachvollziehbar sein. Offiziell bemühte sich die Wehrmacht, zumindest für die westeuropäi schen Kriegsgefangenen, diese Vorschrift ein zuhalten. Sowjetische Kriegsgefangenen, deren Leben der Wehrmacht nicht viel wert war, fielen durchs Raster und wurden oft gar nicht regist riert. Zivile Zwangsarbeitende wurden meist bei Ankunft mit einer Kennnummer erfasst, die aber nicht überregional oder zentral erfasst wurde. Sie behielten jedoch ihren Namen, der in ein Ar beitsbuch eingetragen wurde, dieses wies nach, an welchem Arbeitsort sie eingesetzt wurden. Im Konzentrationslager ersetzte die KZ-Nummer den Namen der Häftlinge – sie sollten durch den Raub des Namens ihre Identität verlieren und damit ihr Selbstwertgefühl.

In der unmittelbaren Folgezeit nach dem Krieg wurden bestehende Lager weitergenutzt oder auch neu gebaut, um NS-Täter oder andere missliebige Personen unterzubringen, Spezial lager des NKWD folgen ab Mitte 1945. Anderer seits aber musste man der enormen Bevölke rungsverschiebungen Herr werden, so wurden gleichzeitig Vertriebenen- und Auffanglager eingerichtet, denen man sich nicht entziehen konnte.

Ein Charakter als Zwangslager ist auch für die sogenannten Waldlager der Roten Armee nicht auszuschließen, immerhin haben sich die Soldaten dort nicht freiwillig aufgehalten, zu dem wurden dort auch Repatrianten, heimkeh rende Gefangene aus allen Teilen Deutschlands, wieder in die Armee eingegliedert.15

Konsequenterweise kann man auch die DDR-Grenzanlagen als lineare Begrenzungen im Sinne einer Einschließung einer (sehr großen) Menschengruppe hier anschließen, und in der Tat sind ja auch hier archäologische Grabungen erfolgt.16

12 I. Gedanken

Voraussetzungen und Grundlagen

Die Landesarchäologie Brandenburg ist sozu sagen im ehemaligen »Zentrum des Bösen« tätig, wo sich im Umkreis der Reichshauptstadt alle Arten von Zwangslagern, aber auch die Überreste des Krieges und der Zeit unmittel bar danach konzentrieren. Sie hat daher eine besondere Verantwortung für diese Denkmäler wahrzunehmen.17

Im heutigen Land Brandenburg lagen gleich zwei große nationalsozialistische Konzentrati onslager, nämlich Sachsenhausen bei Oranien burg und Ravensbrück bei Fürstenberg/Havel. Zu diesen beiden Lagern wurden nach und nach insgesamt über 100 Außenlager angelegt.18 Sie wurden offiziell seit 1959 bzw. 1961 Gedenkstät ten der NS-Verbrechen. Nach der Wende sind hier – meist veranlasst durch gestalterische Maßnahmen – jeweils größere Untersuchungs-, Forschungs- und Restaurierungsprojekte auf dem Gedenkstättengelände durchgeführt wor den, zunehmend auch mit Methoden und Fra gestellungen der archäologischen Disziplin.19 Noch vor etwa 25 Jahren spielte die Archäologie im Zusammenhang mit der Erforschung von NS Hinterlassenschaften fast keine Rolle. Mittler weile aber, nach einer ganzen Reihe erfolgrei cher Ausgrabungen in ehemaligen Lagerarealen (nicht nur) in Brandenburg, ist die Archäologie integraler Bestandteil der Forschung gewor den.20 Eine analytische Zusammenschau des dabei Erreichten steht noch aus, sowohl auf Bundes-, als auch auf Landesebene, und kann auch an dieser Stelle nicht umfassend geliefert werden. Interessant ist aber auch, die Reaktio nen der Öffentlichkeit auf dieses neue Thema zu verfolgen.21

Generell ist nicht damit zu rechnen, dass zeitgenössische Dokumentationen aller Ände rungen, Erweiterungen und Neubauten, die an den ehemaligen Lagern vorgenommen wurden, aufbewahrt wurden oder überhaupt existierten. In vielen Fällen, insbesondere bei temporären Bauten, sind sie gar nicht dokumentiert worden, und gerade deswegen kann die Archäologie hier entscheidende Erkenntnisse bringen. Zwar exis tiert umfangreiches schriftliches Quellenmate rial, das über die Vorgänge und Verbrechen der NS-Zeit gut informiert. Tatsächlich aber herrscht ein ausgesprochener Mangel an Schriftquellen, Karten, Plänen und Bildmaterial, vor allem an

Bauakten, welche die Errichtung und Existenz der Lager betreffen.22

Viele Dokumente wurden von den Tätern 1945 in letzter Minute zerstört; aus Bewusstsein der Schuld, zur Geheimhaltung und Verschleie rung wurden Papiere und Akten vernichtet und stehen als historische Quellen nicht mehr zur Verfügung. Die Alliierten haben schriftliche Quellen als Beweismaterial sichergestellt, die der zeitgeschichtlichen Forschung bis heute nicht komplett zur Verfügung stehen. Die Be triebsarchive der beteiligten Konzerne werden nur selten der Forschung zugänglich gemacht, und die mündlichen Quellen sind nur ein kleiner und sehr subjektiver Bruchteil der Gesamtge schichte. Der archäologische Befund muss also zum Sprechen gebracht werden, und bei Unter suchungen an Lagerstandorten in Brandenburg wurden z. B. immer wieder Unterschiede zwi schen den zeitgenössischen Plänen und der konkreten Bauausführung in den archäologi schen Ergebnissen dokumentiert.

Da in Brandenburg aufgrund der Nähe zur damaligen Reichshauptstadt Berlin die Dichte derartiger Spuren mit Denkmalcharakter außer gewöhnlich groß ist, hat sich die brandenburgi sche Bodendenkmalpflege im Laufe der 1990er Jahre der zunächst völlig neuartigen Aufgabe gestellt und sich mittlerweile in Deutschland eine gewisse Vorreiterrolle beim spezifischen Umgang mit dieser Denkmalgattung sichern können.23

Ein Denkmalschutzgesetz (von 1991, das erste in den neuen Bundesländern) ohne zeit liche Begrenzung der Denkmale ermöglicht (und erfordert!) es, im Zusammenhang mit der Führung der Denkmalliste als Aufgabe des Fachamtes, alle zur Kenntnis gelangenden La gerstandorte als Bodendenkmale abzugrenzen und auszuweisen. In Zusammenarbeit mit For schungseinrichtungen kann man angesichts der Vielfalt dieser Denkmalgattung, deren Er forschung noch am Anfang steht, das ganze Potential des historischen und archäologischen Methodenspektrums nutzen, um die vielen komplizierten Aspekte des NS-Lagersystems zu erforschen – auch, um die Ergebnisse der Öf fentlichkeit zu präsentieren.

Die Orte des Unrechts, um die es hier geht, sind als Untersuchungsobjekte nicht »neutral«, sondern bergen Konfliktpotential durch die Einbindung verschiedener Interessengruppen

Voraussetzungen und Grundlagen 13

(Denkmalpflege, Gedenkstätten, Eigentümer, Investoren, gesellschaftliche Gruppen wie z. B. Opfer- bzw. Hinterbliebenenvereine; vgl. Abb. 5). Für eine Institution wie das Landesamt spielt ihr politischer Charakter eine nicht unwesentli che Rolle, gerade ihr Charakter als »Opferorte« macht es dem Fachamt derzeit leicht, sie unter Schutz zu stellen – hier wird niemand widerspre chen, um nicht Beifall »von der falschen Seite« zu bekommen. Im Gegenteil – häufig verspüren im heutigen Brandenburg Gemeinden und ihre Bürger einen gewissen Legitimationsdruck, sich »gegen rechts« zu positionieren, und begrüßen die Ausweisung entsprechender Bodendenk male in ihrer Funktion als Erinnerungsort.24 Notwendig und nützlich ist es, durch ge zielte Öffentlichkeitsarbeit die Bedeutung zeit geschichtlicher Komplexe, die mit Krieg und Ter ror verbunden sind, für die Landesarchäologie

stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Immer noch werden z. B. wertvolle Informatio nen zu Lagerstandorten nicht an das zuständige Fachamt weitergeleitet, weil Privatpersonen, Vereine oder Institutionen – bei ihrem lobens werten Bestreben, so schnell und so viel wie möglich Gedenkorte zu schaffen25 – sich nicht darüber im Klaren sind, dass diese Orte auch Belange der Landesarchäologie und der Denk malpflege berühren.

Dabei ist immer wieder festzustellen, dass überall dort, wo mit archäologischen Methoden zeitgeschichtliche Kenntnis- und Forschungs lücken geschlossen und Unsichtbares sichtbar gemacht wird, neue Fragen formuliert werden.26 Neben der wissenschaftlichen Relevanz stellt sich sofort auch eine öffentliche Wahrnehmung ein, die über die der »normalen ur- und frühge schichtlichen Archäologie« weit hinausreicht.

14 I. Gedanken
Abb. 2 Karte Bodendenkmale des 20. Jh. (S. Schwarzländer AIDZ BLDAM)

Die Verantwortlichen der großen Wanderaus stellung zum Thema »Zwangsarbeit« glaubten noch im Jahr 2010 auf Überreste der materiellen Kultur zur Vermittlung ihrer Inhalte verzichten zu können, und hielten sie sogar für »irrefüh rend«27 – in Verkennung der Tatsache, dass ori ginale Funde u. a. den Schlüssel zum Schicksal von Einzelpersonen und damit zum Interesse des Publikums liefern. An anderer Stelle werden im selben Band die Verdienste der »Grabe wo Du stehst-Bewegung« gewürdigt. Der Autor lobt etwas von oben herab die »Graswurzel-Histori ker« für die »Verortung« der Lagergeschichte im Gemeinwesen. Dass diese Hobby-Archäolog*in nen aber die Lagerstandorte in der Landschaft verorten, lokalisieren, das entgeht ihm.28 Bauli che Überreste der Lager werden nur als Gedenk orte in der musealen Landschaft gesehen, nicht als Objekte eines primären Denkmalschutzes. Immerhin greift die Dauerausstellung des Doku mentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Berlin Schöneweide seit 2013 auf aktuelle archäolo gische Funde und Ergebnisse, auch aus Bran denburg, zurück.29 Das Archäologische Fachamt weiß aber mittlerweile um die auratische Quali tät der Funde und Befunde, und wird deswegen offensiv tätig, um seine Zuständigkeit für Orte der Kriegs- und Terrorgeschichte zu demonstrie ren. Sie rückt sie in den Fokus der Landesarchäo logie, nicht nur im gesetzlich definierten Öffent lichen Interesse, sondern verstärkt im Lichte eines echten Interesses der Öffentlichkeit. Dies trägt der in der Kulturentwicklungskonzeption des Landes Brandenburg formulierten Aufgabe des Fachamtes Rechnung, Angebote zur Iden titätsstiftung zu machen – was andere Träger öffentlichen Interesses in ihrem Bemühen um diese Denkmale keineswegs ausschließt, z. B. die Gedenkstättenstiftungen.30

Nicht zuletzt deswegen wurde gemeinsam mit dem Dokumentationszentrum NS-Zwangs arbeit Berlin-Schöneweide (unter dem Dach der Topographie des Terrors, Berlin), dem Lan desdenkmalamt Berlin und dem Lehrstuhl für Zeitgeschichtliche Archäologie der Universität Wien seit 2018 eine umfassende Ausstellung zur Archäologie der NS-Zwangslager erarbeitet, die im Mai 2020 pünktlich zum 75jährigen Ju biläum der Befreiung der Lager eröffnet werden konnte.31 Sie resümiert bisherige Ergebnisse aus Berlin und Brandenburg, und wandert seit dem – zweisprachig konzipiert, samt umfassen

Quellenkunde

dem Begleitband in deutscher und englischer Sprache – um diese gesellschaftliche Rele vanz zu demonstrieren. Nach der Topographie des Terrors Berlin (Dokumentations-Zentrum NS-Zwangsarbeit) von Mai 2020 bis April 2021 und dem Archäologischen Landesmuseum im Paulikloster Brandenburg an der Havel (Mai bis Oktober 2021) stehen weitere Stationen auf der Liste (Falkensee bei Berlin 2022, smac 2023, Frankfurt am Main 2023/24 etc.).

Kleine Quellenkunde zur Archäologie der Zwangslager

Die Erforschung materieller Hinterlassenschaf ten von Krieg und Terror des 20. Jahrhunderts in Brandenburg erfolgt in Zusammenarbeit mit den Universitäten Berlin und Wien, auch um den ei genen Kompetenzerwerb des Landesamtes ab zusichern. Hier sind vor allem die Auswertung von Lage- und Funktionsmerkmalen in Koopera tion mit der Universität Wien zu nennen32 sowie gemeinsame Projekte mit der Freien Universität Berlin.33

Dies dient gleichermaßen dem gesellschaft lichen Auftrag Denkmalschutz und dem wis senschaftlichen Interesse, und zielt auf die systematische Erfassung der Lagerstandorte in Brandenburg. Zu diesem Zweck kann eine breite Palette an Quellen herangezogen werden, die von ganz unterschiedlichen Institutionen und gesellschaftlichen Gruppen bereitgestellt wer den, und auch aus ganz unterschiedlichen Mo tivationen und Absichten gesammelt wurden. Für die Landesarchäologie ist neben den gesell schaftlich im Vordergrund stehenden Themati ken des Leidens der Opfer und der Schuld der Täter aber vor allem die lagegenaue Lokalisie rung der Orte von Belang, weil nur so die ma teriellen Quellen als archäologische Denkmale gelistet und geschützt werden können.

Um an diese oft versteckten Informationen zu gelangen, müssen alle Quellen genau ausge wertet und miteinander kombiniert werden, da der genauen Lage der Tatorte (denn um solche handelt es sich) z. B. in den Schriftquellen oft nur sekundäre Bedeutung beigemessen wird. Ein Problem ist, dass in Arbeiten über Konzen trations- und Außenlager die »anderen« Zwangs arbeitslager sowie die Kriegsgefangenenlager nicht behandelt werden und umgekehrt (selbst

Kleine
zur Archäologie der Zwangslager 15

wenn es sich um denselben Standort handelt) –es scheint, als seien die Historiker*innen manchmal gefangen in einer Art NS-Lager-Syste matik, die von der Quellenlage her sicher nach vollziehbar und praktisch ist, aber den Blick auf einen Gesamtansatz verstellt. Die das Land Brandenburg betreffenden Standardwerke zu den KZ-Außenlagern34 erwähnen Lageangaben nur selten und ungenau. Auch die großen Daten banken des United States Holocaust Memorial Museums (USHMM) in Washington geben dazu wenig Aufschluss; der frei zugänglichen Encyc lopedia of Camps and Ghettos ist im Reader´s Guide eigens die umfangreiche Checkliste für die Autoren beigefügt, die für eine bestmögliche basic information zu den Lagern sorgen soll –eine Frage nach der genauen Lage ist allerdings leider nicht dabei.35

Die Zusammenstellungen der Bundeszent rale für Politische Bildung zu den Gedenkstätten von NS-Verbrechen (1999) sowie der Branden burgischen Landeszentrale für Politische Bil dung36 geben manchmal Hinweise auf Orte. Die historischen Aufarbeitungen und Verzeichnisse historischer Quellen (Akten etc.) der Landes hauptarchive Berlin und Brandenburg37 sowie der Gedenkstätten38 nennen manchmal posta

lische Adressen, die aber oft Unterbringungen in bestehenden festen Gebäuden betreffen, und die so zunächst für die Archäologie kein Thema sind. Zur Lokalisierung müsste also idealer weise eine Aufsuchung im Gelände und zuvor ein Absuchen historischer Luftbilder und des Di gitalen Geländemodells (DGM) am Rechner hin zukommen. Alliierte Bilder der 1940er Jahre und die sowjetische Befliegung 1953 werden ebenso wie das DGM vom Landesbetrieb Geobasisinfor mation (LGP Potsdam) bereitgestellt, sind aber natürlich nicht lückenlos vorhanden, und in kei ner Weise thematisch erschlossen. Wenn es in der historischen Literatur oft heißt »nichts am Ort erinnert mehr an das Geschehen« oder ähn lich, ist dies der eigentliche Beginn der archäo logischen Arbeit39 – und häufig stimmt es ein fach gar nicht.

Zeitgenössische Pläne mit eingezeichneten Lagerstandorten wären der Idealfall, und dass es so etwas gibt, zeigt z. B. ein Stadtplan von 1942 für Brandenburg an der Havel, der dort im Stadtarchiv aufbewahrt wird.40 Er zeigt außer Straßen, Plätzen und Sehenswürdigkeiten (und, offenbar ganz wichtig, den Ortsgruppen der NSDAP) vor allem, händisch nachgetragen, die »unabhängige Löschwasserversorgung für die

16 I. Gedanken
Abb. 3 Quellenkunde zur Archäologie der Zeitgeschichte

auswärtigen Löschkräfte« – es sind also die ge eigneten Wasserentnahmestellen entlang der Gewässer und die Hydranten-Standorte hervor gehoben (s. Katalog Abb. 11). Außerdem, und dies ist für unseren Zusammenhang entschei dend, und auch für die Löschkräfte wegen der erhöhten Brandgefahr wichtig, sind ebenfalls händisch die »Lage und Belegschaftsstärke der Zivil-Kriegs-gefangenen Läger« (sic!) vermerkt. Dies wurde mit rechteckigen Signaturen vorge nommen, die entweder blau-weiß-rot und mit K bezeichnet sind, oder gelb mit einem Z darin. Es gibt auch blaue Rechtecke mit einem U, wahr scheinlich für Unterbringungslager. Während die Signaturen für Kriegsgefangenenlager immer relativ gleich klein sind, variieren die gelben Rechtecke in der Größe, wohl um die Lagergröße anzudeuten (aber nicht annähernd maßstäb lich), zudem stehen darüber oder daneben die Belegungszahlen, manchmal mit »m« und/oder »w« für männlich und weiblich, von 13 bis über 3550 (beim Lager Wilhelmshof).

Die gelben Rechteck-Signaturen mit dem al tertümlich geschwungenen »Z« darin erwecken Assoziationen an den ähnlich gestalteten »Ju denstern« mit dem ähnlich gestalteten »J«, was bestimmt kein Zufall ist.

Bei Orten im unmittelbaren Umkreis von Berlin kann als Quelle auch die Funktion der Zeitleiste auf der Homepage von Google Earth genutzt werden: Dort sind die 1953er Bilder von Berlin eingebunden, die noch einen gewissen Flächen anteil draußen vor der Stadtgrenze abbilden, wo sich noch manches Lager finden lässt.

Die ebenfalls digital bereitgestellten Topo grafischen Karten 1:10.000 aus der DDR-Zeit bie ten oftmals wertvolle Informationen: Hier finden sich z. B. Hinweise in Form damals noch übrig gebliebener und genutzter (oder ungenutzter) Lagergebäude und Wege, Feuerlöschteiche etc., von Strukturen also, die zumeist heute obertä gig nicht mehr vorhanden sind.

Hinweise lokaler Initiativen ergänzen diese Informationen, oft ist das Wissen um das Vor handensein solcher Plätze in der ortsansässi gen Bevölkerung über die Generationengrenze weitergegeben worden.41 Gerade aus der soge nannten Grauen Literatur, im Selbstverlag mit kleinsten Auflagen und geringer Reichweite, oft ohne Angabe des Erscheinungsdatums, kom men häufig wichtige Hinweise, weil die Autoren

ganz nah an der lokalen Geschichte dran sind. Mittlerweile werden diese Schriften ergänzt durch Internetseiten von Hobbyforschern, die manchmal durchaus wertvolle Lageinformatio nen liefern. Hier beginnt auch schon die Grau(oder vielleicht besser »braune«) Zone zum dark tourism, wo Gruselorte der NS-Zeit einem inte ressierten Publikum nahegebracht werden. 42 Hinzu kommen in den letzten Jahren Hinweise aus der Szene des sogenannten geo-caching, wo bisweilen Standorte bekannt sind, die wir noch nicht kennen (z. B. das Märkische Walz werk Strausberg, das Stalag Groß Schulzendorf und andere mehr).

Oft initiieren und betreiben lokale Initiati ven Jugendprojekte, auch unter dem Dach des Landesjugendringes Brandenburg, der ver schiedene Förderformate anbietet, um Schüler die lokale Vergangenheit erforschen zu las sen (seit Jahren erfolgreich sind z. B. »Zeiten sprünge« oder »überLAGERt«), und die sich den lokalen Lagerstandorten und Zeitzeugen widmen. Hier hat das Archäologische Fachamt das Potential erkannt, und lädt die Jugendgrup pen ins Landesmuseum im Paulikloster in Bran denburg an der Havel ein, um ihnen dort die Arbeitsweise der zeitgeschichtlichen Archäolo gie zu erklären, sie anhand von Originalmaterial die Geschichte im wahrsten Sinne begreifen zu lassen – und ganz nebenbei von ihren lokalen Kenntnissen zu profitieren. Etliche Lagerstand orte verdanken ihre Eintragung als Bodendenk mal diesen Kontakten (z. B. mehrere Lager in Königs Wusterhausen, in Biesenthal und Lanke, und andere mehr).

Schließlich gibt es nicht wenige Ehrenamt liche Beauftragte der Landesarchäologie, die sich mit Interesse auch diesem Thema widmen und entsprechende Fundmeldungen von Lager standorten ans Ortsarchiv senden, die dann ggf. beim Betroffensein von Planungen professionell archäologisch bestätigt werden können, und/ oder geschützt bzw. ausgegraben werden.

Alle diese Quellenstudien zielen auf die Eintragung des Lagerstandortes als Fundplatz, Verdachtsfläche bzw. als Bodendenkmal in die Landes-Denkmalliste Brandenburg ab, um eine dauerhafte Erhaltung sicherzustellen. Gleich rangiges Ziel dabei muss aber auch die Vermitt lung sein – entweder am originalen Ort, im Lan desmuseum im Paulikloster oder in geeigneten Formaten bei den Gedenkstätten.

Kleine Quellenkunde zur Archäologie der Zwangslager 17

Ganz ähnlich, nämlich als Non-Invasive-Ap proach, beschreiben z. B. die Forschenden auf den Spuren der Reste deutscher Internierungs lager auf den britischen Kanal-Inseln ihren An satz.43

Archäologie von Krieg und Terror

Fokus Gedächtnis

Diesem Thema trugen schon unsere Tagung –gemeinsam mit den Gedenkstättenstiftungen von Berlin und Brandenburg – von 2015 und der zugehörige Tagungsband 2016 Rechnung, dem wir absichtlich im Titel das ambivalente Wort »Gedächtnis« hinzugefügt haben, um uns sein Bedeutungsfeld von »Erinnerung bis Gedenken« zunutze zu machen.44

Der Zugang zu diesem Thema ist an dieser Stelle aber dezidiert der sehr pragmatische und eher »theorieferne« der Archäologischen Denk malpflege.45 Für diese ist es ja der entscheidende, denkmalbegründende Faktor, dass materielle Reste etwas über die Geschichte des Menschen aussagen, wie es meist in den DenkmalschutzGesetzen formuliert wird. Dazu gehören die so genannten authentischen Orte der NS-Diktatur, die in der Geschichtsvermittlung und der Erinne rungskultur einen hohen Stellenwert genießen. Ergänzend und in Zukunft stellvertretend für die Zeitzeugen, von denen nur noch wenige leben, beglaubigen und veranschaulichen die Orte das historische Geschehen anhand ihrer Materiali tät. Um die Aussagekraft der Dinge zu erschlie ßen, die ja nicht von sich aus zu uns sprechen, benötigen wir aber weitere Quellenauswertun gen, um ihr Wesen zu verstehen. Ebenso ist es notwendig, über die unterschiedlichen mögli chen Bedeutungen, die den materiellen Dingen eingeschrieben sind, spekulieren zu dürfen und sie zu interpretieren. Quellen sind immer kritisch zu hinterfragen und dieser Reflexionsprozess muss auch für das Publikum der Gedenkstätten und die Rezipienten unserer Forschungen offen gelegt werden. Bei der Frage »Was erhalten wir? Was vermitteln wir? Was erzählen uns die Re likte?« und damit auch indirekt der Frage »Was erforschen wir?« sollte der Aspekt der Erzählung im Vordergrund stehen, man kann die Besucher der Orte nicht mit Versinnbildlichung und Selbst interpretation allein lassen. Dabei stehen häufig Rekonstruktionen neben und auf originalen bau

lichen Überresten, was in einem vielfach zu be obachtenden» Fleckenteppich aus Zeitfenstern und Nachzeichnungen« (so J. Chr. Wagner auf der Tagung 2015) zum Ausdruck kommt. Denk malpflegerisch und vermittlungsorientiert sind unbedingt sämtliche Zeitschichten eines Ortes zu zeigen. Eine ergebnisoffene Interpretation ist aus Sicht der Archäologischen Denkmalpflege unverzichtbar, die jeweiligen zeitgebundenen Deutungen müssen stets als Ergebnis eines of fenen Prozesses gekennzeichnet werden.

Fokus Methodologie und Legitimation

Die Archäologische Denkmalpflege befasst sich wenig mit Methodologie, denn es ist ihre Auf gabe, vorhandene Denkmale zu schützen, wobei sie diese natürlich erst einmal (er)kennen muss, und auch den Umstand, dass sie dafür zustän dig ist, was nicht immer so war.46 Schon 1999 (oder erst, je nach Sichtweise) erkannte R. Hirte, dass »bei Prähistorikern die Beschäftigung da mit praktisch begründet sein mag, werden sie doch – besonders als Bodendenkmalpfleger –direkt damit konfrontiert. Sich dem Thema zu entziehen, solche Objekte zu vernachlässigen, erscheint heute und hier eher schwierig«47.

Die Anlässe für die reagierende Tätigkeit des Archäologischen Fachamtes kommen in der Re gel von außen:

Bauplanungen an Standorten ehemaliger Lager wurden uns zu Anfang oft erst bei der Realisierung bekannt.

Der Wandel der musealen und ideologischen Konzeption der Gedenkstätten erfordert an scheinend unbedingt immer neue Gestaltun gen, in der Regel mit Bodeneingriffen. workcamps mit bester pädagogischer Ziel setzung greifen in den Boden ein. Raubgrabungen erfolgen an bestimmten Tä terorten (z. B. Karinhall).

Sachverhaltsaufklärungen an NS-Tatorten sind manchmal erforderlich.

Nachsuch-Genehmigungen nach kriegsbe dingten Einlagerungen von privater Seite werden beantragt.

Lokale Initiativen wollen forschen und gra ben – regelrechte universitäre Forschungs grabungen sind die Ausnahme.

Auch die Absicht, lediglich Informationsta feln aufzustellen, bringt dokumentations pflichtige Bodeneingriffe mit sich.

18 I. Gedanken

Schließlich ist die Landes-Denkmalliste eine ständige systematische InventarisierungsAufgabe der Archäologischen Denkmal pflege.

Erst seit Beginn der 1990er Jahre sind die Hin terlassenschaften der NS-Zeit in den Blick ge rückt: erstens aufgrund der Definition des Bo dendenkmalbegriffs ohne Altersbegrenzung im Brandenburgischen Denkmalschutzgesetz 1991, zweitens infolge der veränderten Konzeption der Gedenkstätten bei ehemaligen Konzentrati onslagern. Nach der politischen Wende, die zur deutschen Einheit führte, war nämlich, letztlich aus ideologischen Gründen, auch ein Wechsel der Schwerpunkte in den Gedenkperspektiven unausweichlich, was sich natürlich sofort in Bau maßnahmen manifestieren musste, und daher mit Bodeneingriffen einherging. In diesem Zu sammenhang formulierte der damalige Landes archäologe Jürgen Kunow: »Wir mussten erstmal verstehen, dass bis dahin lediglich die Gedenk stättengestaltung aus den 1950er Jahren unter Denkmalschutz stand, nicht aber die originalen Reste des Lagers im Boden« (betr. Sachsenhau sen, sinngemäß aus der Erinnerung des Autors zitiert aus einer Dezernats-Besprechung 1995).

Erst nach und nach konnte die Archäologi sche Denkmalpflege auch den Blick der anderen Verantwortlichen für die Bedeutung der emp findlichen Strukturen schärfen und ihr eigenes Methodengerüst ausbauen.48 Trotz mittlerweile gewachsener methodischer Erfahrungen im Um gang mit Kriegs- und Terror-Denkmalen wirft das Bemühen um Schutz, Erhaltung und Präsenta tion weiterhin Fragen auf. Ein zentraler Aspekt dabei ist das Problem der Masse: Wie ist mit der Vielzahl der Fundplätze und des Fundmaterials umzugehen? Dabei müssen im ständigen Dialog zwischen Gedenkstätten und Facharchäologie praktikable Standards für die Freilegung und den Erhalt archäologischer Denkmale mit Laien und ihrem Einsatz in der Vermittlungsarbeit ent wickelt und verankert werden. Perspektivisch ist eine kontinuierliche facharchäologische Betreu ung der Gedenkstätten mit eigenem Personal eigentlich unverzichtbar.

Gerne wird betont, dass bei der Archäo logie der NS-Zeit eine lückenhafte (und damit eigentlich sehr typische) Quellenlage vorliegt: »Überall wo Regelverstöße vorkommen, wo il legales passiert, gibt es Dokumentationslü

cken«49. An der wissenschaftlichen Bedeutung, neben dem Denkmalwert, der Reste im Boden besteht gerade wegen dieser Dokumentations lücken kein Zweifel, denn von anderer Seite (als der archäologischen) ist kaum Quellenzuwachs mehr zu erwarten (was allerdings angesichts ungesichteter Archivmaterialien schwer zu be urteilen ist).

Methodisch-konservatorisch stellt sich grundsätzlich die Frage: Wie kann man die Fund-Plätze erhalten? Primärschutz bedeutet den Erhalt in situ an Ort und Stelle, dies kann z. B. sichtbar geschehen. Daraus ergibt sich dann die Frage nach Präsentation und Erhaltung nach der Ausgrabung. Oder aber unsichtbar: in dauerhafter Erhaltung der meist nur knapp unter der Oberfläche verborgenen Strukturen ohne Offenhaltung originaler Substanz, even tuell mit Markierung an der Oberfläche. Archäo logisch gewonnene Erkenntnisse liefern häufig planungsrelevante Daten für den Primärschutz. Sekundärschutz (eine sogenannte Rechtsfik tion) bedeutet den Erhalt in Form von Dokumen tation und Funden, unter Opferung der Original substanz. Fundmaterialien neuen Typs fallen an, teilweise neue Materialien, mit einem für archäologische Objekte ungewöhnlich engen Datierungsrahmen bzw. kurzer Laufzeit. Dazu kommt allerdings das Problem der Restaurie rung und Konservierung, und das Problem der Erhaltung und Aufbewahrung von großen Fund massen darf nicht in vorauseilendem Gehorsam von den begrenzten Kapazitäten der Landesäm ter abhängig gemacht werden.50

Die Analyse des Fundmaterials des 20. Jahr hunderts ist bei weitgehendem Fehlen spezia lisierter Archäolog*innen schwierig,51 erste An sätze einer antiquarischen Fundansprache sind aber vorhanden. Eine genaue Datierung kann unter Umständen erst zur Deutung als NS-Lager führen, Ziel ist ja die Klärung der Frage, wozu die Plätze dienten und wie sie zu interpretie ren sind. Hier stellt sich oft das Problem der Nachnutzung, insbesondere durch alliiertes, in Brandenburg sowjetisches Militär, das die Lager abgetragen bzw. zerstört und durch Neu bau militärischer Anlagen überprägt hat (z. B. im Lager Uckermark). Stellenweise traten auf diese Weise neue Täter-Opfer-Konstellationen ein (die sowjetischen »Speziallager« an Standorten ehe maliger KZs), die zudem eine eigene Gedenkpro blematik aufwerfen.

Archäologie von Krieg und Terror 19

Diesen Umständen kann letztlich eine denk malbegründende Wirkung zukommen. Soge nannte Täter-Orte sind als Denkmale problemati scher und ihre Vermittlung schwieriger, da keine Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erwarten ist (hoffentlich ändert sich das nicht zukünftig). Bei Opfer-Orten ist dies anders, eine Akzeptanz ist mittlerweile meist gegeben, was aber natürlich als Denkmal-Kriterium im Denkmalschutzgesetz nicht vorgesehen ist.52

Vor Beginn von Ausgrabungen – die künftig weniger aus pädagogischen oder Forschungs interessen, sondern nur noch aus Gründen des Denkmalschutzes unternommen werden soll ten – sind methodische Konzepte über den spä teren Umgang mit den freiliegenden Befunden sowie mit eventuellen Fundmassen zu erarbei ten, dies betrifft auch die Auswahl für Erhalt und Restaurierung. Einigkeit zum Umgang mit Objek ten der industriellen Massenkultur besteht nur insoweit, dass bei Entscheidung zur Entsorgung überzähliger Fundmaterialien die Auswahl sorg fältig dokumentiert werden muss. Zeitgeschicht liche Ausgrabungen von Zwangslagern müssen fach- und sachkundig geführt werden, jedoch sind derzeit nur sehr wenige Archäolog*innen, besonders in den Landesämtern, darauf spezia lisiert. Auch in Gedenkstätten selbst ist geschul tes Personal notwendig, um archäologische Re likte fachgerecht zu vermitteln.

Ein Legitimationsproblem aber hat die Lan desarchäologie in Brandenburg dabei nicht mehr, seit der Durchsetzung von ersten Maß nahmen an vergessenen Lagerstandorten53 und deren sehr erfolgreicher öffentlichen Präsenta tion in Ausstellungen54 – wenn auch in der be sorgten Fachwelt bis in jüngste Zeit Tagungen stattfanden unter dem Titel »Wollen und Brau chen wir mehr Archäologie der Moderne?«55

Fokus Material oder Mensch Archäologie beschäftigt sich zwangsläufig mit Material, das entspricht ihrer Fachdefini tion – sie braucht keinen material turn, um Geschichte zu erforschen,56 es ist ihre Normali tät. Dass unser Thema eigentlich die Menschen sind und nicht die Scherben, kann nicht oft genug betont werden. Der Umstand, dass wir als Archäolog*innen, die sich der Hinterlassen schaften von Krieg und Terror annehmen, die Schicksale unserer Forschungsobjekte kennen, kann für den einzelnen zwar auch emotional

belastend sein, ist aber eine große Chance, in Bezug auf die Publikumswahrnehmung.57 Archäologische Denkmalpflege findet zwar rein rechtlich gesehen im Öffentlichen Interesse statt, das Interesse der Öffentlichkeit aber ist bei diesen zeitlich nahestehenden Themen der Archäologie ein ganz anderes als bei den sonst von der herkömmlichen Archäologie angebo tenen Themen, wenn es sich nicht um Schatz funde handelt.

Die materiellen Reste sind immer unmittel bar mit den Menschen und ihren Schicksalen verknüpft, dies gilt nicht nur für die hier betrach tete Phase, nur kennt man hier den historischen Kontext, der mit Leiden und Verbrechen zu tun hat. Damit sind viele Fragen, auch zu einem ethi schen Umgang der Archäologie mit ihren Objek ten verbunden.58 Die Bodendenkmalstrukturen sind quasi mit »Schicksal und Geschichte auf geladen«59, was sich sowohl im Charakter des Fundmaterials als auch auf die Befundstrukturen des Bodendenkmals auswirkt – schließlich kön nen Funde auch Beweisstücke sein, und Befunde können als wichtige Tatortspuren interpretiert werden60. So vollzieht die Archäologie der Zeit geschichte hier eher einen forensic turn61 – als Antwort auf das Verschwinden der Zeitzeugen. Neben dem Begriff der Politischen Bildung be schreibt hier die Formel einer »Forensischen Bil dung« noch besser das Potential dieser Reste.62

Diese Konstellation bewirkt, anders als bei herkömmlichen Bodendenkmalen, dass sich das Interesse der Öffentlichkeit oft (zu) früh in Richtung Schaffung eines Gedenkortes be wegt, weil die vermeintliche Authentizität des Ortes Beglaubigung und Ansatzpunkt liefert. Die Funde selbst sind in einem bisher für die Archäologie unbekannten Ausmaß emotiona lisierend und vielfach sogar personalisierbar (z. B. mit Inschriften versehen etc,), nämlich Individuen und Einzelschicksalen zuweisbar; in vielen Fällen in der jüngeren Vergangenheit so gar bis hin zur Entschädigungsrelevanz.

Eine sakralisierte Aufladung kann Relikte unnötig zu Reliquien überhöhen, aber ein »Fe tischismus der Relikte« ist der Erhaltungsgrund satz der Denkmalpflege sicher nicht.63 Es geht vielmehr um die Erkenntnis-Funktionen archäo logischer Funde und Befunde, die sich als von einer Indikator- über eine Orientierungs- bis zu einer Korrekturfunktion reichend beschreiben lassen.64

20 I. Gedanken

Archäologie Zwangslager

BODENDENKMAL

FUNDMATERIAL

Baureste ohne Kontext

Funktions-Material

Bewachung: Stacheldraht, Lampen, … Verwaltung: Adrema-Tafeln, Ausweise individualisiert

Alltagsgegenstände der Häftlinge: improvisiert, individualisiert

Personal: Industrieware, anonym Ansatzpunkte

Einzel-Schicksale Leiden und Verantwortung

historisch aufgeladen

Täterzone: Gute Qualität Gute Erhaltung Nutzung

Opferzone: Schlechte Qualität Schlechter Zustand „Sekundär-Erhaltung“ Macht-Abstufung Rassistische Abstufung Ansatzpunkte Tatort Rechtliche Relevanz

FUNDORT

Baureste in situ obertägig

Erd-Befunde: Baureste im Boden Barackenfundamente Splittergräben Abfallgruben Bahngleise (Lager)Straßen Infrastruktur

Wasser/Abwasser/Strom Zäune außen und innen Ansatzpunkte Gedenken Authentizität des Ortes

Öffentliches Interesse = Interesse Öffentlichkeit

Abb. 4 Bodendenkmal Lagerstandort: Aufladung mit Geschichte

In den Lagern verbrachten die nach politi schen und rassistischen Kriterien unterschiede nen Gruppen von Häftlingen und Zwangsarbei tern einen wesentlichen Teil ihres Lebensalltags. Die bauliche Beschaffenheit, die Ausstattung und Organisation der Lager beeinflussten ihre Überlebenschancen unmittelbar. Auch deshalb werden die baulichen Befunde der Lager, ihre räumliche Verteilung und funktionale Differen zierung in den Blick genommen.65

Originale NS-Lagerstandorte erzeugen u. a. auch wegen dieser Aufladung verschiedene Interessensfelder, die teilweise untereinander korrespondieren und interagieren, und diverse Interessenträger im öffentlichen Raum mobili sieren, sich an der (Be-/Aus-)Nutzung des Bo dendenkmals Lagerstandort für ihre Zwecke zu beteiligen.

Der originale Ort unterliegt häufig einer wirtschaftlichen Nutzung, die mit dem Denk malschutz abgeglichen werden muss. Die Au thentizität des Ortes begründet den Denkmal charakter, aber auch eine emotionale Wirkung,

die dem Gedenken, aber manchmal auch dem Leugnen der Geschichte Ansätze bietet. Die Trä ger der Politischen Bildung schließlich profitie ren von dem damit verbundenen Zeugniswert.

Fokus Gewalt und Krieg Eigentlich ist Archäologie (und die Geschichts wissenschaft genauso) immer in weiten Berei chen eine Beschäftigung mit Zeugnissen des Krieges und der Gewalt gewesen: einfach, weil in (fast?) allen antiken Gesellschaften dieser Lebensbereich eine so große Rolle spielte, dass sich in Gräbern und Befestigungen eine kriegeri sche Elite verewigte.66 Deren Funde und Befunde stießen lange auf das volle und unhinterfragte Interesse der älteren Forschergenerationen, weil diese auch in ihren eigenen politischen und ge sellschaftlichen Strukturen nichts anderes ge wohnt waren. »Geschichte und Archäologie sind allzu oft Siegergeschichte«67. Erst seit jüngerer Zeit sind solche Themen tabuisiert, leicht er klärbar durch den Missbrauch der Archäologie in der jüngeren deutschen Geschichte und die

Archäologie von Krieg und Terror 21

mit vorherigen Kriegen nicht mehr vergleichba ren Erfahrungen des 2. Weltkrieges.

Heute widmen wir uns dem Thema allerdings glücklicherweise mit anderen Vorzeichen.

In der Tat scheint sich die Archäologie der Zeitgeschichte derzeit auf das Thema Krieg, Ter ror, Diktatur zu fokussieren. Theoretisch spricht nichts dagegen, auch andere Aspekte des 20. Jahrhunderts mit archäologischen Mitteln zu erforschen, und das geschieht ja auch.68

Aus Sicht der Archäologischen Denkmal pflege aber müssen, um tätig zu werden, ma terielle Hinterlassenschaften im Gelände – laut Denkmalschutzgesetz Brandenburg »von Boden oder Wasser bedeckt« – vorhanden sein, denen ein geschichtlicher und wissenschaftlicher Wert und damit eine Schutzwürdigkeit zukommt. Dies trifft z. B. durchaus auch für Standorte von Auf fanglagern für Flüchtlinge und Umsiedler nach dem 2. Weltkrieg zu, aber prinzipiell auch für aufgegebene Industrierelikte einer abgeschlos senen Geschichtsperiode wie der DDR-Zeit.

Für die Landesarchäologie in Brandenburg sind die Objekte der Kriegs- und NS-Zeit insofern gut handhabbar, als sie derzeit (endlich) ohne öffentliche Gegenwehr unter Schutz gestellt, er

forscht, ausgegraben werden können, weil nicht nur das Öffentliche Interesse – quasi als Auf traggeber – dies fordert, sondern auch ein ech tes Interesse der Öffentlichkeit daran vorhanden ist. Die originalen Orte und ihre materiellen Hin terlassenschaften sind gerade wegen der mit ihnen verbundenen Gewaltverbrechen und des dort angerichteten Leids heute unverzichtbar für eine – letztlich auch auf archäologischer For schung basierenden – Vermittlung bei der poli tischen (eigentlich ja menschlichen) Bildung nachfolgender Generationen. Der Wunsch nach anschaulicher Vergegenwärtigung führt zur Wie derentdeckung einer Vielzahl bislang unbeach teter Orte. Einen wesentlichen Beitrag zu dieser Spurensuche leisteten lokale bürgerschaftliche Initiativen. Auf dem Weg über eine fachliche Er forschung, die über Erkenntnis zur Vermittlung führt, nehmen sie aber gerne die Abkürzung, die direkt zur Gedenkeinrichtung führt.

Die buchstäbliche, aber auch gesellschaft liche Funktion und Wirkung der Archäologie besteht ja gerade und vor allem darin, zwi schenzeitlich Verdecktes wieder sichtbar, er kennbar zu machen. Lagerstandorte und ihre Geschichte(n) werden wieder im Bewusstsein

22 I. Gedanken
Archäologie Forschung Bodendenkmalpflege Forstamt Förster Gemeinde Kreisbehörden BaudenkmalPflege Eigentümer Pächter Öffentlichkeit Bürger Kirchen LandesJugendring Stiftung Gedenkstätten Schulen Heimatforscher Zeitzeugen Ehrenamtler Neonazis Leugner Wirtschaft Nutzung DenkmalSchutz Politische Bildung Gedenken Emotion Interessenausgleich Zeugniswert Boden-Authentizität denkmal NS-Lager Abb. 5
Bodendenkmal
Lagerstandort: Interessenten und Interessensfelder

Chance: Interesse der Öffentlichkeit

Gesellschaftlicher Wandel

Bürgerschaftliches Engagement

Anti Nazis

Geschichte von unten

Selber Buddeln

Lokale Initiative

Legitimationsdruck

Modernes DSchG

Dt. Einheit

IdentitätssucheIdentitätsstiftung

GRUNDLAGEN

Interesse der Öffentlichkeit

Wandel des Gedenkens

Relikte von Krieg und Gewaltherrschaft Bodendenkmale

Öffentliches Interesse Wissenschaftliches Interesse

Geschichte Archäologie

ANWENDUNGEN

Schützen Erhalten

Auswahl Täter –Opfer?

Gedenken

Lernen

Publikumswirkung

Quellenlage Ermitteln Lokalisieren

Kompetenz

Erforschen Ausgraben

Dokumentieren

Rechtsaspekt Tatort

Abb. 6 Bodendenkmal Lagerstandort: Interesse der Öffentlichkeit

der Öffentlichkeit verankert. Es »bedarf nun ein mal des Wissens, um Sehen zu können.«69 Der Anschauungs- und Demonstrationswert, die Be greifbarkeit (trotz Klischee zutreffend) originaler Lager-Reste wird im Rahmen von workcamps er folgreich als Einstieg ins Thema für Jugendliche funktionalisiert.

Es geht also nicht um eine modische Kon junktur der Kriegs- und Terror-Thematik, sondern um reale gesellschaftliche Anliegen, zu denen die Archäologie (endlich!) etwas Positives bei tragen kann.

Politisierung der Archäologie –neue Aufgabe?

Natürlich ist sich die Archäologie des 20./21. Jahrhunderts stärker der politischen Implikatio nen bewusst, weil sie die politischen Kontexte und persönlichen Schicksale ihrer Forschungs gegenstände, nämlich der Menschen, in groben Zügen kennt, und diese mit aktuellen Kontexten spiegeln kann – Kriegsverbrechen, Ausgren zung, Lager, Massengräber gab und gibt es leider immer noch an vielen Orten in der Welt.70

Vor dem Hintergrund dieses Wissens haben auch die Archäologien älterer Perioden ihre

Auswahl Funde

Erinnern Visualisieren

Musealisieren

Publizieren

Emotionale Qualität Rechtsaspekt Entschädigung

früher zwangsläufige (zwanghafte?) Fixierung auf antiquarische Analysen längst erweitert, und versuchen die möglichen Schicksale ihrer Menschen in den Blick zu nehmen. Auch Feuer steindolch und Bronzeschwert sind nicht nur Machtsymbole, sondern reale Mordwerkzeuge gewesen.

Wenn sich die Archäologie in der Vergangen heit politisch positionierte (Drittes Reich, DDR), geschah das oft in vorauseilendem Gehorsam, freiwillig oder gezwungen, in Zustimmung zum jeweiligen System. Heute hat gerade die Ar chäologische Denkmalpflege auf dem Feld der zeitgeschichtlichen Archäologie die Möglich keit, bürgerschaftliche Initiativen (im oben ge schilderten Sinne) aufzunehmen und zu unter stützen. Eine Politisierung hat darüber hinaus einen positiven Effekt für die Wahrnehmung der Archäologie, die sonst in der Berichterstattung meist nur einen Stellenwert als kulturelles Kurio sum vor dem Wetterbericht besitzt. Wenn es bis lang Konsens war, dass Konflikte friedlich gelöst werden sollten, Ausgrenzung schlecht ist und Integration gut, wäre ein Beitrag der Archäolo gie zur Bewahrung dieser überkommenen Werte nur willkommen.

Archäologie von Krieg und Terror 23

Dass die Archäologie hier wirklich Substan zielles beizutragen hat, wird bisher auch von hellsichtigen Beobachtern und Kommentatoren des öffentlichen Diskurses übersehen71 – was aber nur bedeutet, dass es der Archäologie bis her nicht gelungen ist, dieses Potential zu ver mitteln und in die öffentliche Wahrnehmung einzubringen.

Forschung contra Erhaltung?

Der Zugang der Archäologischen Denkmalpflege

Der in der Praxis oft als »Lagerarchäologie« be zeichnete Forschungs- und Arbeitsbereich weist eine Besonderheit auf: Er stellt die Schnittstelle von Archäologie, Baudenkmalpflege und Ge denkstätten mit ihren jeweiligen Sicht- und Vor gehensweisen dar.

Sein Hauptthema ist der Schutz der archäo logischen Substanz, der in der Regel zu kurz kommt, weil Archäologie eben immer noch zu sehr mit Ausgraben (»Forschen«) und zu wenig mit Erhalt in situ im Boden identifiziert wird.72 Es braucht aber keine Diskrepanz zu geben zwi schen Erhalten und Erforschen – beides kann gut miteinander funktionieren.

Die Archäologie muss sich heute im Sinne des Denkmalschutzes sowie in Anbetracht der personellen und finanziellen Situation auf un bedingt notwendige Aufgaben und Ausgaben konzentrieren. Aufgabe der Archäologischen Denkmalpflege ist eine flächige Inventarisation NS-zeitlicher Lagerstandorte, die erst einen umfassenden Schutz dieser Denkmalgruppe ermöglicht. Ausreichend ist es, zunächst sämt liche bekannte Lagerstandorte in niedriger Auflösung zu erfassen, um in der Bauleitpla

nung entsprechend auf vorhandene Strukturen reagieren zu können. In Brandenburg ist man auf diesem Wege schon sehr weit, bundesweit macht sich die unterschiedliche Herangehens weise in den einzelnen, für den Denkmalschutz zuständigen Bundesländern im unterschiedli chen Stand bemerkbar.

Provokante Forderungen wie »Standard senkungen bei Grabungen in Gedenkstätten«, »Fundverbleib zur pädagogischen Arbeit bei diesen«, »Freilassen nach Freilegung«, die sich gegen einen vermeintlichen AlleinvertretungsAnspruch der Archäologie richteten, regten die Diskussion zwischen Gedenkstätten und Denk malämtern an, weil sie die unterschiedlichen Herangehensweisen auf den Punkt bringen.73 Die Archäologie ist aber nicht zur »Gewinnung von Exponaten für geplante Gedenkstätten« da.74 Dennoch, bei der Kooperation zwischen Gedenkstätten und Denkmalamt wird gerade in Brandenburg schon seit Jahren erfolgreich ein neuer Weg beschritten.75

Gedenkstätten und Landesarchäologien ha ben ja ein gemeinsames Interesse an Erhaltung und Vermittlung, und eine interdisziplinäre Zu sammenarbeit ist unverzichtbar. Dabei darf und kann es aber keine Hierarchie der Belange ge ben. Die Gedenkstätten dürfen einerseits ihre originalen Ressourcen nicht in der täglichen Bildungsarbeit verbrauchen. Die Landesar chäologien müssen und werden aber auch dem Sonderstatus dieser eben nicht ganz normalen Bodendenkmale Rechnung tragen, wobei sie von ihrer emotionalen Qualität in der Vermitt lung auch selbst profitieren – ein solch direkter Bezug und Beitrag der Archäologie zur gesell schaftlichen Realität auf dem Feld politischer Bildung ist neu und wertvoll für alle Beteiligten.

24 I. Gedanken

Anmerkungen

Vgl. Bernbeck 2017, 7; Pollack 2014, 53

Benz 1999

Kotek/Rigoulot 2001

Kotek/Rigoulot, 2001; Greiner/Kramer 2013

Kersting 2021, 253

Kersting 2015b

Sofsky 1993, 70

Stellvertretend für zahlreiche ähnliche Fälle ausgewertet von Betscher 2004, 42 ff.

Blank/Quinkert 2021

Vgl. Bernbeck 2017, 53

Jaspers 1960, 94 f.

s. Abb. 57 bei Stein 2014, 68

Baganz 2009, 252 f.

Zur Lagerbauaktion 1942 s. Bräutigam 2003, 37 f.

Kersting et al. 2016

Dressler/Kersting 2021

Hier und im Folgenden nach Kersting et al. 2018b, 52

Vgl. die Karte 6.1 bei Theune 2018, 68

Morsch 2015; ders. 2016

Vgl. Schute 2017, 594

Kersting 2015a; Kersting/Müller 2015; s. auch Meller/ Bunnefeld 2020

Oebbecke 1995; Antkowiak/Meyer 2007

VLA 1995

z. B. in Mahlow, am Ort des sogenannten Ausländerkran kenhauses; U. Kersting 2021

z. B. im Lager Uckermark, s. Abb. 3 bei Morsch 2016, 19; Abb. 2 bei Kersting 2016a, 57

Vgl. Gaede 2016, 131 ff., der sich mit Sichtbarem und Un sichtbarem an den Lagerstandorten befasst

Vgl. Knigge/Lüttgenau/Wagner 2010, 9

Heusler 2009, 196

Alltag Zwangsarbeit 2013, 114, 138, 164

s. u. https://mwfk.brandenburg.de/sixcms/media. php/9/Kulturbericht.pdf

Katalog: Ausgeschlossen 2020

Theune-Vogt 2012

Bernbeck 2017

Benz/Distel 2006, im Wesentlichen Bd. 3 und Bd. 4 zu den Lagersystemen Sachsenhausen, Ravensbrück und Buchenwald

Encyclopedia 2009, xxxvii

Scheer 2003

37 Bräutigam 2003; Kubatzki 2001; Meyer/Neitmann 2001

Morsch/Ohm 2014

»the starting point for archaeologists« Schute 2017, 595

Unter der Bezeichnung K 5.0. 162; erwähnt schon bei Heß 2001, 460

Vgl. Pollack 2014, 71

Vgl. Bernbeck 2017, 415

Sturdy-Colls/Colls 2013, 128 ff.; Carr/Jasinki 2014

Kersting/Theune et al. 2016; vgl. in diesem synonymen Sinne auch Knigge 2010, 11 f; vgl. auch Hansen/Heitzer/ Nowak 2016, 11

Hier und im Folgenden nach Lobinger 2015

Hier und im Folgenden nach Kersting 2020c, 2020d

Hirte 1999, 12, Anm. 15

Kunow 1996, ders. 2000

Oebbecke 1995

Müller 2016

So auch z. B. Poggel 2020, 11

Kersting/Müller 2015

Vgl. »forgotten camp sites« bei Schute 2017, 595

Antkowiak/Keil/Götze 2002

DGUF 2021; darin Kersting 2021

Vgl. Bernbeck 2017, 222

So zuletzt auch Meller/Bunnefeld 2020, 103

Siehe Bernbeck 2017, 92 ff.

Diese Idee schon bei Hirte 1999, 77; auch bei Hansen/ Heitzer/Nowak 2016, 10

So auch Wagner 2016, 170; vgl. Schute 2017, 594

Schute 2017, 598

Heyl 2010

So jedoch Wagner 2016, 169

Drieschner 2016

So auch zuletzt sowohl zur Architektur als auch zum La ger-Alltag Legendre 2017, 51

Hier und im Folgenden nach Kersting et al. 2018b, 57

Vgl. Bernbeck 2017, 434

Vgl. Jürgens/Müller 2020

Allmeier et al. 2016, 21

Hier und im Folgenden nach Kersting et al. 2018b, 59

Vgl. z. B. Welzer 2010

Vgl. dagegen Bernbeck 2017, 364 f.

Morsch 2016

Poggel 2020, 13 und 18

s. Kersting/Schopper/Theune 2016

Forschung contra Erhaltung? Der Zugang der Archäologischen Denkmalpflege 25
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II. PHASEN

ENTWICKLUNG DER LAGER IN BRANDENBURG

Wo immer wir leben, wir haben es nicht weit zu einem Lager oder einem, meh reren Nebenlagern.« … »Wo immer man gräbt, man findet etwas.« Diese beiden Zitate von Jan Philipp Reemtsma (das zweite nach Arnulf Baring) aus seinem Aufsatz »Wozu Gedenkstätten?«1 charakterisieren auch sehr gut die Situation der brandenburgischen Lan desarchäologie. »Das Lager ist ein serialisierter Schnittpunkt von Architektur und Polizei, von Recht und Politik, von Kunst und Biologie, an dem die Strategien des Produzierens, Konser vierens, Ausstellens und Verwaltens ineinan dergreifen, um das Provisorische einzugrenzen und zu verstetigen, das Einzelne sicherzustellen und die Ausnahme zu normalisieren«2. Lager werden oft als vorübergehende Aufenthaltsorte in einem Verwaltungssystem mit erzieherischer Absicht geplant, in denen willkürlich aufge stellte Regeln und Ordnungsstrukturen die In sassen kontrollieren, die als verdichtete Masse mit wenigen technischen Mitteln, Inszenierung von Macht und Anwendung physischer Gewalt von Widerstand und eigenen Entscheidungen abgehalten werden.3

Der Diskurs der Historiker*innen über das »Jahrhundert der Lager«4 hat einen eingängi gen und sicher zutreffenden Terminus geprägt: Er beleuchtet aber natürlich in erster Linie, wel che Rolle Lager als machtpolitische Instrumente einer Biopolitik in der Geschichte der Menschen spielen, welche Funktion sie haben, was sie mit den Menschen in physischer und psychischer Hisicht machen. Er behandelt also sozialge schichtliche, soziologische, psychologische und letztlich auch philosophische Themen –angesichts prominenter Autoren und ihrer Publikationen5 ist leicht zu erkennen, welche Wissenschaftsdisziplinen und herausragende Koryphäen sich auf höchstem intellektuellen Niveau mit dieser Thematik befassen.

Nach Hanna Arendt liegt ein typischer mo derner »Lager-Raum« vor, wenn Bevölkerungs gruppen bürokratisch die Möglichkeit der Teil nahme am politischen Leben verwehrt wird, ihnen die Möglichkeit spontanen Handelns in der Öffentlichkeit entzogen und ihr Menschsein systematisch in Frage gestellt wird.6

Bei Michel Foucault ist das Lager das Mo dell einer Architektur, die Macht ausübt, die Individuen so transformiert, dass sie sich im Sinne der Macht verhalten, wobei der Aspekt der Bio-Politik hinzutritt – die Züchtung einer normierten Masse erfordert die Eliminierung biologischer Gefahren; diese gängige biopoliti sche Mechanik sei vom NS-Staat nur ins Extrem getrieben worden.7

Giorgio Agamben zieht daraus den Schluss, dass das Lager »nicht als eine historische Tat sache und Anomalie anzusehen ist, die der Ver gangenheit angehört, sondern als verborgene Matrix, als ›nómos‹ des politischen Raumes, in dem wir auch heute noch leben«. Es ist die Ver räumlichung des Ausnahmezustandes: »das La ger ist der Raum der sich öffnet, wenn der Aus nahmezustand zur Regel wird«8. Auch Agamben sieht schon das Ausgeschlossensein der Einge schlossenen,9 das zum Titel unserer Ausstellung ab 2020 führte, die heute noch wandert.

Angesichts des bekannten dramatischen, makabren und verbrecherischen Höhe- (aber of fenbar nicht End-) Punktes der Lagergeschichte unter deutscher Verantwortung ist diese Aus richtung der Diskussion und ihr geistiger An spruch – nämlich mit dem Fokus auf dem Men schen – nur angemessen und notwendig. Weniger in Betrachtung gezogen wurde und wird dabei die Materialität der Lager vor dem Hintergrund ihres weitgehenden Verschwindens aus dem Blickfeld, von der Erdoberfläche und letztlich aus der Erinnerung – dies aber ist ein klassisches Thema der archäologischen Denkmalpflege.

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Die hier interessierenden Lager der Moderne entstanden im 19. Jahrhundert im militärischen Bereich als Regelinstrumente für Hygiene und Sozialkontrolle mit dem Mittel einer einschlie ßenden Ausschließung unter Nutzung von Baracken – einer modernen, flexiblen und be weglichen, nicht an den Ort gebundenen Bau form.10 Die frappierende Ähnlichkeit im Entwurf des Layouts und des temporären Charakters zu den klassischen Truppen-, Legions- und Marsch lagern der Römer scheint übrigens allen aktuell am Diskurs Beteiligten entgangen zu sein – ob wohl doch auch jede/r Nicht-Archäolog*in sei nen/ihren Asterix kennen sollte.

Dabei waren Ein- und Ausschluss gleicher maßen von Anfang an mit einem Schutzgedan ken verbunden – bei der Nutzung als Lazarett für die darin Eingeschlossenen, bei Nutzung als Quarantänelager (wie sie im späten 19. Jahrhun derts z. B. in Hamburg aufkamen) vor den darin Eingeschlossenen.11

Das Gebiet des heutigen Landes Branden burg spielte eine wichtige Rolle in der Ent wicklungsgeschichte des Phänomens Lager, hierzulande sind Beispiele aus allen Phasen vorhanden und teilweise auch archäologisch er forscht worden.

Kriegsgefangenenlager des DeutschFranzösischen Krieges 1870/71

Ein Kriegsgefangenenlager des Krieges 1870/71 am Quenzsee wird in einem Zeitungsartikel erwähnt (Artikel MAZ 26. März 2018 »Einge pfercht am Quenzsee«), weiter ist über das La ger nichts bekannt; auch nicht, ob hier schon die gerade um 1870 neu entwickelte »trans portable Lazareth-Baracke«12 verwendet wurde. Der deutsch-französische Krieg von 1870/71 hatte das Problem der Kriegsgefangenen – die in nie gekannten Mengen über weite Strecken ins Hinterland transportiert wurden (u. a. bis nach Nidden in Ostpreußen, heute Litauen) –erstmalig in das Bewusstsein der europäischen Öffentlichkeit gebracht. Aus der Tätigkeit inter nationaler Organisationen für die Kriegsgefan genenfürsorge entwickelten sich Bestrebungen, zu dauerhaften Abmachungen über die Behand lung von Kriegsgefangenen zu kommen. Im Juni 1872 wurde in Paris eine »Societé internationale pour l’amelioration du sort des prisonniers de

guerre« gegründet, deren Ziel es war, einen Ver trag über die Behandlung von Kriegsgefangenen zustande zu bringen, welcher der Genfer Kon vention von 1864 über den besonderen Schutz und die Pflege der Verwundeten entsprechen sollte.13

Kriegsgefangenenlager des 1. Weltkriegs

Der 1. Weltkrieg sorgte – auch und gerade wegen der in der Genfer Konvention geforderten huma nitären Behandlung von Kriegsgefangenen – für eine ubiquitäre Verbreitung dieser modernen und effektiven Unterbringungsform, nicht nur in Deutschland.14 Meist wurden die Lager auf Trup penübungsplätzen angelegt – auch in Branden burg kennen wir mehrere lokalisierte Standorte, von denen einer auch archäologisch untersucht ist, das sogenannte Halbmondlager in Wüns dorf. Hier sollten gefangene muslimische Solda ten der Engländer, Franzosen und Russen gegen ihre Kolonialherren aufgewiegelt und instru mentalisiert werden. Es begann auch schon die Degradierung von Menschen zu Objekten der Forschung: Hier ging es zum größten Teil noch um Ethnologie, es wurden aber auch schon an thropologisch-rassenkundliche Forschungen unternommen, die bekanntlich in einem späte ren Lagertyp zur Perversion ausuferten.

Auf einer der für die Zeit typischen Postkar ten aus dem erwähnten Lager am Quenzsee in Brandenburg an der Havel, das auch im Ersten Weltkrieg genutzt wurde, sieht man interes santerweise Gefangene vor »Erdwohnungen« posieren. Es handelt sich offenbar um russische Soldaten, denen diese Bauform von zu Hause vertraut war15 – und die sich möglicherweise heute noch an Ort und Stelle archäologisch nachweisen lassen, wie in den Waldlagern der Roten Armee 1945.

Internierungslager der 1920er Jahre

Auch an der weiteren Entwicklung der Lager zu frühen Sicherungsmaßnahmen gegen miss liebige Bevölkerungsgruppen ist Brandenburg beteiligt. Nach der Revolution in Russland und dem Ende des 1. Weltkrieges waren hunderttau sende Jüd*innen aus Osteuropa in den Westen

28 II. Phasen

gelangt, was zusammen mit der deutschen Nie derlage den Antisemitismus beförderte. Man knüpfte hier an einen Gedanken aus den 1880er Jahren an, »Quarantänelager für Ostjuden« zu schaffen, um sie über die Häfen abzuschieben. So wurden ab 1921 Internierungslager für un erwünschte Ausländer eingerichtet – in Bran denburg z. B. in Cottbus-Sielow in einem ehe maligen Barackenlager des Ersten Weltkrieges für kriegsgefangene Russen.16 Eigentlich hatten zunächst freiwillige Barackenarbeitslager ein gerichtet werden sollen, auch in Kooperation mit jüdischen Hilfsorganisationen.17 In diesem Zusammenhang wurde 1920 interessanterweise auch ein Lager in Zossen genutzt, bei dem es sich entweder um das Halbmond- oder das Weinberglager gehandelt haben muss, denn beide standen schon seit 1915 zur Verfügung. Bezeichnenderweise wird hier auch schon die Bezeichnung »Konzentrationslager« verwendet, wenn auch nur vom »Völkischen Beobachter«.18 Das Lager als Ort des Ausschlusses »Gemein schaftsfremder« war jedenfalls bereits in der Weimarer Republik politische Praxis.

Arbeitslager Jüdischer Hilfsorganisationen

Freiwillige Arbeitslager Jüdischer Hilfsorganisa tionen gab es wie oben erwähnt schon seit den 1920er Jahren. Zur Vorbereitung auf ein Leben in Palästina gab es nicht nur im Umkreis von Ber lin eine ganze Reihe sogenannter Hachschara(hebräisch Vorbereitungs-) Stätten, an denen Gartenbau und Landwirtschaft gelehrt wurde. Ein nicht-archäologischer Dachbodenfund von Archivalien aus Belzig gibt hier schlaglichtartig Einblicke.19 Hier konnten dann praktischerweise die überall auf dem Reichsgebiet entstehen den ersten Zwangsarbeitslager für Jüd*innen anknüpfen. Sie unterschieden sich dabei er heblich von den späteren Lagern in den be setzten Gebieten. Aber bereits vor Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden jüdische Männer in Deutschland unter der Regie der Reichsarbeits verwaltung zur Zwangsarbeit herangezogen und in Lagern untergebracht.20 Diese meist kleinen und oft nur wenige Monate bestehenden Lager wurden entweder von kommunalen Einrichtun gen oder von Privatunternehmen getragen, im »geschlossenen Arbeitseinsatz« und von ande

ren Belegschaften abgesondert.21 Den Hinter grund für diese Maßnahmen bildete die antise mitische Politik der Entrechtung der jüdischen Bevölkerung, die – vor allem im Zuge des stei genden Bedarfs an Arbeitskräften – verbunden war mit dem Ziel, die Arbeitskraft der jüdischen Bevölkerung maximal auszubeuten. Durch den seit 1938 von den Nationalsozialisten vorange triebenen Ausschluss aus dem Wirtschaftsleben wurden immer mehr jüdische Menschen in Er werbslosigkeit und Armut gedrängt. Auf dem Gebiet des Deutschen Reiches mussten Jüd*in nen ab Herbst 1940 unter anderem auch in der Rüstungsindustrie arbeiten. Nach Kriegsbeginn wurden auch die von jüdischen Vereinen zur Auswanderungsvorbereitung und später von der Reichsvereinigung der Jüd*innen in Deutsch land getragenen Umschulungslager zunehmend in das System der Zwangsarbeit integriert und von den Nazis entsprechend reorganisiert. Die Funktion der im Reichsgebiet für Jüd*innen ein gerichteten Lager verschob sich ab 1941 von reinen Arbeits- hin zu Wohn- und Arbeitslagern, in denen Frauen, Männer und Kinder im Zuge der Deportationsvorbereitungen »konzentriert« wurden. Im Zuge der Deportation der jüdischen Bevölkerung in das besetzte Polen ab 1942 wur den die Arbeitslager im Reichsgebiet schließ lich bis auf wenige Ausnahmen bis Mitte 1943 aufgelöst. In Brandenburg sind als Standorte von Arbeitseinsatzlagern für Jüd*innen außer Neuendorf im Sande z. B. auch das Gut Garzau im Havelland bekannt.22 Dass es auch so etwas gab wie ein »Jüdisches Forsteinsatzlager« bei Kersdorf/Briesen, wo es heute noch einen »Ju denwald« geben soll, kann man im Internet der sogenannten Grauen Literatur entnehmen.23 Ar chäologische Untersuchungen fehlen bis heute.

Dennoch gab es am Ende Lager wie Bries kow-Finkenheerd, wo jüdische Arbeitskräfte zunächst für den Autobahnbau,24 dann für das Recycling von Flugzeugschrott noch einmal ins Reich zurückgeholt wurden. Das sollte zu dem Zeitpunkt doch eigentlich schon »judenfrei« sein, eine zentrale ideologische Forderung, das selbe ist auch bei der Untertageverlagerung der Jagdflugzeugproduktion zu beobachten.25 Diese Rückbewegung hing am Ende des Krieges auch mit der Auflösung von KZs im Westen und Osten zusammen.26

Arbeitslager Jüdischer Hilfsorganisationen 29

Lager von NS-Formationen

Im NS-Staat waren Lager die Verkörperung der »totalen Gesellschaft« unter einer totalen Herr schaft.27 Dies in beiderlei Hinsicht auf Inklusion und Exklusion: Die temporären Lagergesell schaften des Reichsarbeitsdienstes, der NS-Ju gendorganisationen, der berufsständischen Organisationen und des Militärs dienten einer Vereinheitlichung, einem Zusammenschluss der Bevölkerung unter den demonstrativen Symbolen des Regimes. Die Zwangsarbeits-, Umerziehungs- und Konzentrationslager dien ten dagegen dem Ausschluss und der Ausnut zung missliebiger Bevölkerungsgruppen bis zu ihrer Vernichtung. Beide aber dienten der Ent individualisierung der Einzelnen und der Ver fügbarmachung ihrer Arbeitskraft und Energie, wobei das Mittel des Zwangs auch schon in den vermeintlich zunächst inklusiven Lagern, wie denen der HJ und des RAD, wirksam war, trotz teilweise großzügigerer Gestaltung.28 Solche Lagerstandorte sind in Brandenburg sicherlich in großer Zahl vorhanden, sie werden aber nur nebenbei archäologisch als Fundplatz erfasst und bislang nicht untersucht.

Frühe Konzentrationslager

Auch bei der Pervertierung des ursprünglichen Ansatzes des modernen Lagergedankens, einer »einschließenden Ausschließung«, spielte wie derum Brandenburg keine kleine Rolle. Hier er folgten wichtige Weichenstellungen: An mehre ren Orten wurden schon 1933 einige der frühen Konzentrationslager eingerichtet,29 darunter das in der Stadt Oranienburg, das später vom Mus ter und Vorbild aller Lager, Sachsenhausen, ab gelöst wurde. Der Standort des Frühen Konzen trationslagers in Oranienburg wird aktuell bei Umbauten der dort typischerweise noch heute befindlichen Polizeistation in 2020/21 archäolo gisch untersucht. Bei den anderen Standorten ist das bislang nicht möglich gewesen, einer ist auch durch Überbauung wahrscheinlich völlig verschwunden (Meissnerhof bei Hennigsdorf).

Konzentrationslager und Außenlager

Das in Sachsenhausen (Gemarkung Oranien burg) 1936/37 gebaute Konzentrationslager, als »Mutter aller Lager«, folgte noch einem architektonisch anspruchsvollen Gesamtkon zept, dem Layout eines Panopticons, welches dem berühmten Lagerdreieck zugrunde liegt.30 Schon bei dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück (Gemarkung Fürstenberg/Havel) wich man davon ab, es hatte sich wohl als un zweckmäßig erwiesen,31 und folgte dem Layout von Dachau, das von da an als multiples Modell verbindlich blieb.32 An diesen Lagerstandorten, wozu auch das in der NS-Terminologie verharm losend sogenannte »Jugendschutzlager Ucker mark« bei Ravensbrück (auf der Gemarkung Neu Thymen) gehört, mit ihren Außenlagersystemen, hat die große Mehrzahl aller archäologischen Untersuchungen stattgefunden. Dazu zählen KZ-Außenlager wie in Biesenthal, Kleinmachnow und Rathenow, die aber gleichzeitig auch die Zwangsarbeitslager großer Firmen wie Siemens und BMW waren. Dies zeigt, dass die offizielle NS-Kategorisierung auch dazu führt, Zuständig keiten und Verantwortung zu verschleiern.

Zwangsarbeitslager

In ganz Brandenburg waren Zwangsarbeitsla ger in allen Größen und von allen denkbaren Betreibern eine alltägliche Erscheinung – von mehreren Tausend muss ausgegangen werden, davon befanden sich allerdings viele in be stehenden Gebäuden (sogenannte Saallager). Auf neu angelegten Standorten wie Basdorf, Groß Schönebeck, Germendorf, Hohensaaten, Treuenbrietzen und anderen mehr mussten aus den verschiedensten Gründen archäologi sche Untersuchungen unternommen werden, deren Ergebnisse in vielfacher Hinsicht denen in KZ-Außenlagern entsprechen. Einen Sonder fall bildet das »Krankenhaus des Gesundheits amtes der Reichshauptstadt Berlin« in Mahlow, auch seinerseits ein Zwangsarbeitslager, in dem nicht-invasive archäologische Forschungen zu Beginn der universitären Forschung zu diesem Thema hierzulande stattfanden.

30 II. Phasen

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