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How to cope with uncertainty in operations
from WINGbusiness Heft 01 2022
by WING
Bildquelle: IIM, TU Graz
Hugo Karre
Learning factory based teaching approach in the context of agile operations and manufacturing industry1
Die Auswirkungen von Unsicherheiten auf Industrieunternehmen nehmen zu
Zwischen den Jahren 19601 und 2000 hat sich die Volatilität der Umsätze in US-Firmen verdoppelt. Dieser Trend hält bis heute an und spätestens seit der Finanzkrise 2008 ist Volatilität die neue Normalität im Geschäftsleben. Zu der Markt- und Kundenvolatilität kommen auch immer häufiger Disruptionen.
Ein bekanntes Beispiel einer solchen Disruption aus der jüngsten Vergangenheit ist die COVID-19 Pandemie die mittlerweile beinahe jeden Aspekt des privaten- und beruflichen Lebens beeinflusst. Beispielsweise wurde der, nach wie vor akute Mangel and Computerchips für die Automobilindustrie, zu einem großen Teil durch Entscheidung in den ersten Tagen der Pandemie verursacht. Als Konsequenz mussten Hersteller aus Mangel an Teilen Werke schließen [1].
1 Dieser Artikel ist basiert auf der gleichnamigen Doktorarbeit, eingereicht im Jahr 2021 an der Technischen Universität Graz
Auch die Blockade des Suezkanals durch das Schiff „Evergiven“ im Jahr 2021 zeigt, wie fragil globale Supply Chains sind. Die Sperrung des Suezkanals hatte nicht nur Auswirkungen auf die weltweite Schifffahrt oder die ägyptische Wirtschaft, sondern auch auf Hersteller bis hin zu Einzelhändlern, Supermärkten und Konsumenten. [2]
All diese Entwicklungen bieten sowohl eine Chance als auch eine Bedrohung für Unternehmen. Daher ist die Bewältigung von Unsicherheiten ein notwendiges Mittel, um einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen.
Agile Operations als ein Konzept um mit Unsicherheiten umzugehen.
Das Konzept der "Agile Operations" bietet das Potenzial, mit Veränderungen umzugehen, und findet in der Industrie und in der Wissenschaft zunehmend Beachtung [3].
Am Institut für Innovation und Industrie Management (IIM) der Technischen Universität Graz ist das Thema "Agile Operations" seit 2014 ein Forschungsschwerpunkt. In den Jahren 2014 bis 2017 hat eine Forschungsgruppe gemeinsam mit Industriepartnern am Thema "Agile Operations" gearbeitet. Die Forschungsaktivitäten mündeten in der Veröffentlichung eines Fachbuches "Erfolgsfaktor Agilität" (Ramsauer et al. 2017) welches erstmals die wissenschaftlichen Grundlagen für die Bewältigung von Unsicherheiten anhand von Praxisbeispielen und möglichen Lösungsansetzen zusammenfasst. Die Ergebnisse dieser Forschungsaktivitäten zum Thema Agilität bilden auch den Ausgangspunkt für diesen Artikel und die gleichnamige Doktorarbeit betrachtet. Dabei versteht man unter Agilität:
„[…] die Fähigkeit eines Unternehmens, sich proaktiv auf Unsicherheiten vorzubereiten und schnell auf Veränderungen zu reagieren, um die wirtschaftliche Situation zu optimieren, indem das gesamte Produktionsnetzwerk genutzt wird.“ [4]
Um die wirtschaftliche Situation proaktiv und schnell optimieren zu können, werden in der Literatur die
Abbildung 1: Beziehung zwischen der realen Fabrik und der modellierten Lernfabrikumgebung [basierend auf 5] zwei Themengebiete (1) "Sensing", um Veränderungen frühzeitig zu erkennen und (2) "Responsiveness" als Fähigkeit Ressourcen schnell umzuverteilen, um Wettbewerbsvorteile zu erlangen, hervorgehoben. Zu den damit verbundenen Aktivitäten gehört die funktionsübergreifende Zusammenarbeit über die gesamte Wertschöpfungskette. Agile Operations sieht deshalb ein Unternehmen als Teil eines Gesamtsystems und nicht als isolierten Akteur auf dem Markt. Die aktuelle Literatur konzentriert sich jedoch eher darauf, was ein Agilitätssystem enthalten sollten, als darauf, wie ein solches System zu gestalten ist.
Lernfabriken als Befähiger für Agile Operations
Die zugrundeliegende Literatur der verfassten Arbeit weist darauf hin, dass geeignete Trainings und Ausbildung die Schlüsselfaktoren für Verbesserungsprojekte im Bereich von z.B. Lean oder Six Sigma sind. In ähnlicher Weise benötigen MitarbeiterInnen Kenntnisse und Fähigkeiten, um ein Agile Operations System zu entwickeln. Die durchgeführte Literaturstudie hat gezeigt, dass es keine Forschungsarbeiten gibt, die sich mit der Entwicklung von Kompetenzen bei der Gestaltung eines Agile Operations Konzeptes befassen.
Im Bereich des Produktionsmanagement hat sich in der Praxis gezeigt, dass Erfahrungsbasiertes Lernen vielversprechende Ergebnisse bei der Entwicklung entsprechender Kompetenzen liefert. Erfahrungsbasierte Lernaktivitäten beinhalten in diesem Zusammenhang, dass die TeilnehmerInnen aktiv im Lehr-Lernprozess involviert sind, Erfahrungen sammeln und Konzepte zur Lösung von Problemen auf der Grundlage von gelebten Erfahrungen selbst ableiten. Geeignete Lernumgebungen müssen also die theoretischen Informationen mit praktischem Kontext verknüpfen, um den Lernprozess entsprechend unterstützen zu können. Dementsprechend haben sich in der Praxis sogenannte „Lernfabriken“ etabliert, um verwandte Kompetenzen zu entwickeln.
Lernfabriken sind realitätsnahe Abstraktionen von Abschnitten industrieller Wertschöpfungsketten. Eine solche Lernumgebung ermöglicht eine entsprechende Abwechslung von Verstehens-, Erkenntnis-, Anwendungs- und Reflexionsprozessen, um das Lernen in domänenspezifischen Kontexten zu verbessern.
Ziel der Arbeit
Das Forschungsziel der verfassten Arbeit ist die Entwicklung eines auf einer Lernfabrik basierenden Trainingskurses, der die Entwicklung von Kompetenzen im Hinblick auf die Gestaltung eines Agile Operations Systems zur Bewältigung von Unsicherheiten in Unternehmen ermöglicht. Es wurden zwei Hauptforschungsfragen formuliert. Die erste Forschungsfrage zielte darauf ab, die Faktoren der Lernumgebung zu charakterisieren. Dabei ist auch die Formulierung von entsprechenden (Teil-)Kompetenzen und die Ableitung von Anforderungen des Themas Agile Operations an die Lernumgebung inbegriffen. Die zweite Hauptfragestellung zielt darauf ab, Elemente eines solchen lernfabrikbasierten Settings zu diskutieren, die die Kompetenzentwicklung in Bezug auf ein Agile Operations System unterstützen.
Forschungsvorgehen und Forschungsansatz
Die Arbeit basiert auf einer umfangreichen Literaturanalyse der Bereiche „Agile Operations“, „Kompetenzentwicklung“ und „Lernfabriken“ (1). Zur Entwicklung des angestrebten Trainingskonzeptes wurde aus der Literatur das Vorgehensmodell nach Tisch 2018 [5] ausgewählt (2). Im nächsten Schritt wurden auf Basis einer strukturierten Literatursuche (Teil-)Kompetenzen identifiziert sodass die Teilnehmer des Trainings in der Lage sind, ein Agile Operations System zu entwickeln, um mit Unsicherheiten umzugehen (3). Basierend auf den identifizierten (Teil-)Kompetenzen wurden Anforderungen an eine Lernumgebung abgeleitet (4).
Abbildung 3: Action Research Forschungszyklus [basierend auf 6]
Auf der Grundlage der formulierten (Teil-)Kompetenzen und der daraus abgeleiteten Anforderungen an die Lernumgebung wurde schließlich als Herzstück der Arbeit der geplante Trainingskurs iterativ entwickelt (5 & 6). Das Forschungsvorgehen der Doktorarbeit ist in Abbildung 3 dargestellt.
Der entwickelte Trainingskurs wurde in einer Lernfabrik getestet und weiterentwickelt. Für diese Weiterentwicklung wurde ein handlungsorientierter Forschungsansatz gewählt. Die empirische Untersuchung besteht aus zwei Forschungszyklen (Entwicklung und Planung von Handlungen, dem Durchführen von Handlungen und der Datenerfassung, sowie der anschließenden Auswertung der durchgeführten Handlungen). „Handlungen" beziehen sich im Kontext dieser Arbeit auf die durchgeführten Trainingskurse. In Summe nahmen 50 TeilnehmerInnen an dem entwickelten Trainingskonzept in der Lernfabrik der Technischen Universität Graz (LEAD Factory) teil.
Umsetzung in der LEAD Factory
Authentische Problemsituation -
Die Teilnehmer beschäftigen sich mit einem realen und greifbaren
Problem in einer erfahrungsorientierten Lernumgebung Wechsel von Denken und Handeln - Kurze, miteinander verknüpfte Theorieeinheiten liefern
Tabelle 1: Merkmale von spezifische Erweiterungen der Lernfabrik zur Abbildung des Konzepts Agile Operations
Erweiterungen Charakteristika
Case Study: fiktionale Geschäftsumgebung - Informationen zum Produktionsprogramm - Definierte Lieferanten, Produktionsnetzwerk und Vertriebskanäle - Detaillierte Informationen über die Logistik (Inbound & Outbound) - Detaillierte Kundenanalyse - Informationen über das fiktive Lernfabrik-Unternehmen (z.B. Strategie)
Die Hauptvorteile von Lernfabriken als Lernumgebungen für das Konzept Agile Operations sind: (1) die Anwendung von Prinzipien des Erfahrungslernens, (2) die Schaffung authentischer Problemsituationen, (3) die Steigerung der Motivation und des Engagements der Teilnehmer und (4) die Dynamisierung der Trainings durch die Möglichkeit der Beeinflussung von Szenarien. Die Herausforderung bestand nun darin, die gesamte Bandbreite des Themas Agile Operations authentisch abzubilden. Die Durchsicht verwandter Studien hat gezeigt, dass Aspekte zur Einbindung von Kontext (z.B. fiktive Unternehmensfallstudien) in Lernfabrikskursen anwendbar sind. Dennoch zeigen bestehende Studien auch Herausforderungen im Bereich der begrenzten Abbildbarkeit von Lernfabriken in Bezug auf die notwendigen Ressourcen (Agile Operations beinhaltet Maßnahmen über die gesamte Wertschöpfungskette), Zeit (externe/strategische Veränderungen sind zeitabhängig) und Lösungen (das Lernfabrikskonzept basiert auf von den Teilnehmenden selbst entwickelten und auch selbst umgesetzten Lösungen).
Um diese Merkmale entsprechend zu berücksichtigen, wurden im Rahmen dieser Forschungsstudie mehrere Unterrichtselemente und technische Systeme entwickelt und erprobt (siehe Tabelle 1).
Der gewählte Lösungsansatz kombiniert die entwickelten Methoden, darunter eine Fallstudie über das fiktive Unternehmensumfeld, ein Rollenspiel und ein Planspiel zu Agile Operations. Der daraus resultierende Zustand der Lernfabrik ("agiler Zustand") kombiniert physische und virtuelle Elemente und kann daher als "hybride Lernfabrik" betrachtet werden, wobei die Schnittstelle zwischen dem physischen Aufbau und den virtuellen Elementen eine sorgfältige Abstimmung erfordert. Ein schematischer Ablauf ist in Abbildung 4 dargestellt.
Durch die teilweise Virtualisierung der Inhalte konnte das breite Aufgabengebiet eines Agile Operations Systems für die Teilnehmer erlebbar gemacht werden. Darunter auch die Auswirkung von längerfristigen strategischen Entscheidungen (z.B. Miteinbeziehung von Auftragsfertigern) als auch Auswirkungen von Disruptionen entlang der Wertschöpfungskette auf das entwickelte Produktionssystem. Die drei Hauptmerkmale des entwickelten Trainingskonzepts sind:
Rollenspiel - Vordefinierte Rollen: Arbeiter, Produktionsleiter, Einkaufsleiter, Geschäftsführung - Detaillierte spezifische Informationen für jede Rolle (z. B. Einkaufsleiter - Lagerbestand) - Jede Rolle erhält mögliche Aktionen und Ziele, die sie während der Übung erfüllen muss um die Lernsituation als gesamtes zu fördern Monitoring System - Zur Überwachung des fiktiven Geschäftsumfelds basiert das entwickelte Überwachungssystem auf RSS-Feeds - Die Teilnehmer identifizieren und priorisieren Unsicherheiten, definieren Triggerpunkte und richten das Überwachungssystem unter Verwendung bestimmter Schlüsselwörter und Schlüsselwortkombinationen ein Business Game - Basierend auf einem Planspielansatz werden die Auswirkungen von Unsicherheiten auf die Lernfabrik und die Wirkung von Gegenmaßnahmen (agile Betriebshebel) dargestellt - Zur Modellierung des fiktiven Unternehmens (Verknüpfung von operativer Performance mit finanziellen KPIs) wird ein KPI-Baum als Grundlage verwendet - Die Teilnehmer analysieren das Geschäftsumfeld, das fiktive Unternehmen der Lernfabrik, definieren einen geeigneten Agilitätsbedarfslevel und entscheiden über die Implementierung von agilen Betriebshebeln zur Bewältigung von Unsicherheiten - Der Erfolg der TeilnehmerInnen und der von ihnen gewählten Kombination von agilen Hebeln wird als "Übereinstimmung mit der Nachfragekurve" und der erzielten Rendite auf das investierte Kapital für Agilität dargestellt
Abbildung 4: Konzept zur Verbindung von physischen und virtuellen Handlungen, Simulation und entsprechenden Ergebnissen
Input für die von den Teilnehmern durchgeführten praktischen
Tätigkeiten Gelegenheiten zur Reflexion - Die
Teilnehmer strukturieren und analysieren die gemachten Erfahrungen, um auf der Grundlage ihrer Erkenntnisse neue Problemlösungen zu entwickeln
Insgesamt nahmen 50 Teilnehmer an vier Trainings teil. Zur Bewertung der Entwicklung einer bestimmten Kompetenz müssen deren Teilkompetenzen, die entsprechenden Wissenselemente und die ausgeführten Handlungen bewertet werden müssen (siehe z.B. Glass und Metternich 2020, S. 39). Die im Rahmen dieser Studie erhobenen Daten bestanden daher aus einer Kombination von Wissenstests und der Beobachtung durchgeführter Handlungen.
Die Ergebnisse der Evaluierung zeigen, dass der entwickelte Trainingskurs die Kompetenzentwicklung der TeilnehmerInnen in Bezug auf die Entwicklung eines Agile Operations Systems fördert und damit Teilnehmenden die Möglichkeit bietet, Unternehmen auf Unsicherheiten vorzubereiten.
Quellen:
[1] Want to Buy a Car? You Might Have to Get on a Plane to Claim It. Available online at https://www. nytimes.com/2021/12/22/business/ economy/car-chip-shortage-pandemic.html] [2] The cost of the Suez Canal blockage. Available online at https://www. bbc.com/news/business-56559073 [3] Prange, C.; Heracleous, L. T. (Eds.) (2018): Agility.X. How organizations thrive in unpredictable times. Cambridge: Cambridge University Press. [4] Ramsauer et al. [5] Tisch, M. (2018): Modellbasierte Methodik zur kompetenzorientierten Gestaltung von Lernfabriken für die schlanke Produktion. Dissertation. [1. Auflage] (Schriftenreihe des PTW). [6] Coghlan, D.; Brannick, T. (2014): Doing action research in your own organization. 4th edition. Los Angeles, London, New Delhi, Singapore, Washington DC: Sage.
Autor:
Dipl.-Ing. Dr. Hugo Karre studierte Wirtschaftsingenieurwesen-Maschinenbau mit den Schwerpunkt Produktionstechnik und promovierte im Jahr 2021 an der TU Graz. In seiner Forschungsarbeit beschäftigt sich Hugo Karre mit Agilität in der Produktion und Capability Building. Seit 2018 leitet Hugo Karre am Institut für Innovation und Industrie Management die Abteilung Industrie Management.