Wingbusiness Heft 01 2017

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ISSN 0256-7830; 50. Jahrgang, Verlagspostamt A-8010 Graz; P.b.b. 02Z033720M

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WING

business

Smart Production and Services

Paper: Smart Intralogistics

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Roadmap Industrie 4.0

I4.0 – Flexible Produktion durch Entflechtung 20

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PURSUING EXCELLENCE GLOBALLY

With our products, global partners and by approaching excellence, we (r)evolutionize the adjustable furniture market. We enthusiastically aspire to ensure the improvement of life and work environments with more than half of our team dedicated to Research and Development. LOGICDATA is constantly striving to create the better, the next, the unexpected.

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Editorial

Smart Production and Services

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Siegfried Vössner Liebe Leserin, lieber Leser, Ingenieure (und wahrscheinlich Ingenieurinnen auch) sind eher konservative Menschen. Das heißt aber keineswegs, dass sie nicht innovativ sind. Schließlich haben Ingenieurkunst und Ingenieurwissenschaft die letzten paar hundert Jahre so stark geprägt, wie keine andere Disziplin. Gleichzeitig sind wir auf Nachhaltigkeit bedacht: Unsere Artefakte – seien es Maschinen, Bauwerke oder was auch immer, sollen nützlich, haltbar und ungefährlich sein. Und so etwas muss eben gut geplant werden. Und da gut Ding Weile braucht, haben wir Jahrhunderte benötigt, um die Windenergie nutzbar zu machen, halbe Jahrhunderte, um aus der Verbrennung von Kohle und Erdöl Nutzen zu ziehen und auch mehr als ein halbes Jahrhundert, um die Bedeutung und das Potential der Informatik zu begreifen. Langsam aber stetig, haben mittlerweile Daten, Netzwerke und Informationsverarbeitung in alle Ingenieurbereiche und Produkte Einzug gehalten. Damit haben sich sprungartig neue Möglichkeiten aber auch neue Herausforderungen ergeben. Während wir schon seit etwa 1700 unseren Studenten das Newtonsche Gesetz (Impulssatz) und seit 1775 das Eulersche Gesetz (Drallsatz) als Grundlagen mitgeben, hat uns auch der Sog der Informatisierung bzw. der Digitalisierung der Welt trotz langem hartnäckigem Negieren erfasst. Haben zig Generationen mit Rechenschieber, Bleistift und Tusche das Auslangen finden müssen, so wurde der Computer in den letzten 25 Jahren das wichtigste Werkzeug der Ingenieure. Nach dem großen Schock, dass sich plötzlich Informatiker von dem oftmals belächelten und fehlerumwitterten „Programmieren“ zu Systemarchitekten zu entwickeln begannen und damit auch die Informatik zur führenden und erfolgreichsten Ingenieurdisziplin wurde, versuchte man das Ruder wieder zu übernehmen und Informatik als ein weiteres Gestaltungswerkzeug ins Repertoire aufzunehmen. Mittlerweile ist die Informatik an allen Universitäten ein unverzichtbares und zentrales Grundlagenfach für alle Ingenieurdisziplinen geworden – so auch an der TU Graz. Obwohl wir, wie eingangs behauptet, so konservativ sind, widerspricht fast niemand mehr diesen Tatsachen – die letzten Zweifler gehen bald in den Ruhestand und ihre Vorbehalte mit ihnen.

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Seit einigen Jahren, besinnt man sich wieder der eigenen Stärken und beginnt beispielsweise die alten CAM (Computer Aided Manufacturing) Konzepte der Wirtschaftsinformatik aus den 1970er Jahren zu verstehen und im Angesicht des technischen Fortschritts (in den Informationswissenschaften), neu zu interpretieren. Das hat einerseits den Vorteil, das damalige „not-invented-here“ Phänomen zu vermeiden und bietet andererseits die Möglichkeit, den Ansatz ganzheitlicher und anwenderbezogen zu schärfen. In diesem Zusammenhang kam man in den letzten Jahren zum Schluss, dass nicht so stark die Industrie oder das Produkt, sondern vielmehr der Anwendernutzen oder wie von manchen progressiven Geistern sogar behauptet wird, der Mensch selbst im Mittelpunkt der Ingenieurwissenschaften stehen sollte. Maschinen um ihrer selbst willen zu bauen ist unmodern geworden (wenn es ohnehin nicht schon immer so war). Dienstleistungen treten in den Vordergrund. Anstelle des „Autos“ tritt beispielsweise die „Mobilität“. Mobiltelefone sind zu Trägerplattformen für Dienste (Apps) geworden. Diese Änderung unserer Betrachtungsweise ist für mich eine zweite, nicht minder große, Revolution. Wir sprechen plötzlich nicht nur bei Telefonen von „SMART“-phones: Auf einmal wurde Vieles in unserer technischen Umwelt in Ermangelung anderer, noch nicht besetzter, Marketinghülsen „SMART“. In der Produktion ist man gerade dabei zu lernen, aus den Segnungen der modernen Informatik substantielle Vorteile zu ziehen. Dies betrifft auch die Produkte und Dienstleistungen selbst, also SMART-Produktion und SMART-Dienstleistung. Und damit sich das Deutsch-Englisch Gemisch nicht so spießt, haben wir uns auf „Smart Production and Services“ geeinigt – so klingt es auch gleich bedeutsamer. Nachdem wir uns in den letzten beiden Jahren öfters mit dem Bereich der Produktion beschäftigt haben, möchten wir, davon ausgehend, neue Entwicklungen, die auf SMARTAnsätzen beruhen, vorstellen sowie auch gleich die Dienstleistungen mit einbeziehen und diesen Themenkomplex zum Schwerpunkt dieser WINGbusiness Ausgabe machen. Wir haben dazu Experten aus Wissenschaft und Praxis eingeladen, auf den folgenden Seiten aktuelle Herausforderungen und Lösungsansätze vorzustellen. An dieser Stelle möchte ich mich bei FH-Prof. Mag. Dr. Martin Tschandl und seinem Team von der von der Fachhochschule JOANNEUM für die Unterstützung bei der Zusammenstellung dieses Heftes bedanken. Wir hoffen, dass Ihnen die Beiträge, die wir für Sie in diesem Heft zusammengestellt haben, gefallen. Ich verbleibe im Namen des Redaktionsteams mit freundlichen Grüßen und wünsche Ihnen ein frohes und gesegnetes Osterfest. Ihr Sieg fried Vössner (\_/) =(°.°)= („)_(„)

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TOP-THEMA: Smart Production and Services Uwe Brunner, Daniela Wilfinger, Johannes Dirnberger

Paper: Smart Intralogistics – Digitale Vernetzung verschiedener Produktionsressourcen zur Optimierung der Wertschöpfung

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Martin Tschandl, Ernst Peßl, Siegfried Baumann

Roadmap Industrie 4.0 - Strukturierte Umsetzung von Smart Production and Services in Unternehmen

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Christian Bischof, Gottfried Obmann, Herbert Kohlbacher

Potenziale der Digitalisierung für das Management von Lieferantennetzwerken

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Christian Theuermann

Additive Fertigungsverfahren heben Potenziale im Produktionsprozess

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Einsatz, Möglichkeiten und zukünftige Entwicklung der 3D-Drucktechnologie in österreichischen Industrieunternehmen

Barbara Mayer, Andreas Leitner

I4.0 – Flexible Produktion durch Entflechtung

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Simple ist das neue Agile

Sabrina Romina Sorko, Azucena Pérez-Alonso, Birgit Rabel

Kann Digitalisierung ohne den Menschen funktionieren? Hannes Hunschofsky, Gernot Mauthner, Christoph Magnet

HOERBIGER 1-1-1 für eine smarte Produktion

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Wie aus der Produktion ein strategischer Wettbewerbsvorteil wird

Herbert M. Richter, Magdalena Gabriel, Michael Friedmann

Service Engineering 4

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Inhaltsverzeichnis EDITORIAL

Smart Production and Services

FÜHRUNG/PROFESSION

Werner Vogelauer

INTERVIEW

Interview mit Herrn Dipl.-Ing. Walter Oblin, Österreichische Post AG

Coaching und Führung

CALL FOR PAPERS Themenschwerpunkt „Erfolgsfaktor Agilität“ in WINGbusiness Heft 03/2017

UNINACHRICHTEN

Martin Tschandl

WINGnet

Manuel Happacher

Institut Industrial Management | Industriewirtschaft

WINGnet Villach: Firmenbesuch beim Kooperationspartner MAHLE Filtersysteme Austria GmbH

ESTIEM: Vienna meets Poznan & Gdansk

Studieren und Probieren

WINGnet Graz: Skiausflug Heiligenblut, Jänner 2017

Cyrus Gitinaward

Fabian Siebert

Philipp Wörgötter

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Dominik Siedlik TIMES

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IMPRESSUM

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Impressum

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Führung/Profession

Foto: Werner Vogelauer

Werner Vogelauer

Coaching und Führung Der Unterschied von Führung und Coaching wird dargestellt sowie auf die wichtigen Punkte für Coaching eingegangen. Coaching wird in seiner konkreten Form wie auch mit den Fallen und Grenzen beschrieben. Wesentliche Punkte zur Auswahl des Coach wie auch zur Situation in den deutschsprachigen Ländern werden dargestellt. 1) Einleitung In Zeiten der ständigen Veränderung ist Führung wie Coaching immer wieder in aller Munde. Oft wird von Mitarbeitern/ innen-Coaching gesprochen (und man meint partizipatives Führen). Führung ist einerseits „unfein“ geworden („anschaffen tut man nicht mehr“) und andererseits wird streng nach Richtlinien Druck auf Mitarbeiter/innen zu mehr Leistung gemacht. Das zeigt auch die Widersprüchlichkeit von Change-Prozessen auf. Einerseits „soll“ etwas „verändert“ werden – mit Außendruck -, andererseits geht „Entwicklung“ nur „von innen heraus“. Coaching wird manches Mal dazu missbraucht, dass „Veränderung von Mitarbeiter/innen“ gefordert wird. Coaching im Kern ist Begleitung durch eine andere (kompetente) Person, die unterstützt, dass der Coachee seinen eigenen wirksamen Weg im Umfeld und zu seinen Fragen findet. 2) Was heißt Führung? Was heißt Coaching? In Organisationen, auch mit minimaler Hierarchie oder auch nach den moder-

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nen Gesichtspunkten der Organisationsentwicklung mit (Teil)-autonomen Arbeitsgruppen, gibt es jemanden, der „das Sagen hat“. Ist dies formal durch die Hierarchie geregelt als sogenannte/r „Vorgesetzte/r“ oder freiwillig in autonomen Arbeitsgruppen als „partieller Leader“. Jemand hat situativ, auch manchmal permanent, für bestimmte Themen oder für alle Aufgaben die Entscheidungs-Hoheit. Die Entscheidung liegt bei der „Führungskraft“. Im Coaching liegt die inhaltliche Gestaltung und Entscheidung immer beim Kunden, sprich Coachee, während der Coach eine prozessuale Steuerung übernimmt. Er greift nicht ein und entscheidet inhaltlich nichts, sondern unterstützt durch Fragen, Spiegelungen, Fokussierungen, Zusammenfassungen u.a. kommunikativen auch visuellen Methoden. 3) Coaching in Organisationen – durch wen? Durch Komplexität und auch durch zunehmende Geschwindigkeit in der Organisationsarbeit nach innen wie außen steigt der Bedarf an effektiver und wirkungsvoller Arbeit wie Entscheidung.

Der Druck, der auf Mitarbeiter/innen wie Führungskräfte „ausgeübt“ wird, führt oft zu „Hüftschuss“-Entscheidungen, die sich später als falsch oder zu einseitig herausstellen. Die Personen haben jedoch durch den Zeitdruck keine „Inkubationszeit“ für die Entscheidung, bspw. einmal Überschlafen oder Nachdenkzeit zum Abwägen der Einflüsse usw. In den 80er Jahren entstand in den USA die Nachfrage von oberen Führungskräften nach einem „sounding-board“ oder einen „Katalysator“. Der „Coach“ war geboren. Berater stellten sich Führungskräften zur Besprechung ihrer Fragen bzw. Situationen zur Verfügung. Sie stellten ungewohnte Fragen, spiegelten das Verhalten bzw. Denken der Führungskräfte, fokussierten Aussagen oder halfen durch Methoden, Übungen oder Feedback. Der Beginn des Coachings war also obere Führungskräfte durch externe Begleiter (Unternehmensberater) bei ihrer Arbeit zu unterstützen. So begann auch der Erfolgslauf des Coachings in den 90er Jahren in Europa. Zurück geblendet an den ethnologischen Ausgangspunkt kommt der Begriff „Coaching“ aus dem ungarischen („koch szeker“, der Wagen aus Koch, einer Wagenherstellung in

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Führung/Profession der k.u.k.-Monarchie des 18. Jahrhunderts) und meinte damals „Kutsche“. Als Lehnwort ist dies in verschiedenen Sprachen noch heute existent (bspw. „coach“, engl., für Wagen). Wenn wir auf diesen Ursprungsbegriff zurückgehen, heißt Coaching eigentlich „ich fahre als Fahrgast mit der Kutsche und sage, wo diese hinfährt und der Kutscher begleitet und führt mich dorthin“. In Organisationen ist der beste Coach auch der, der Distanz zur Situation und Organisation einbringen kann, sich jedoch einfühlen und hinein denken kann – eine spezielle Form von Berater, der nicht Ratschläge verteilt, sondern dem Gesprächspartner hilft eigene Ideen, Wege zu Entscheidungen zu finden (da er die Situation ja am besten und detailliert kennt). Eine Person, die das alles „auch kennt“ ist oft einseitig, emotional gehandicapt und manches Mal auch fixiert auf eigene Lösungen. Interne Coachs haben ev. einen Vorteil der Kultur- und Struktur-Kenntnis der Organisation. Der Nachteil der Subjektivität und fehlenden emotionellen Distanz ist jedoch größer. Umso mehr, wenn auch direkt oder indirekt Abhängigkeiten zwischen „Coach“ und „Coachee“ existieren. Hat der Coach „Sanktionsgewalt“, fällt Coaching sowieso aus. Die Fragen und Ziele kommen vom Coachee und nicht von Dritten. Weder von dessen Führungskraft, noch aus der Personalentwicklung, noch vom obersten Boss. Daraus ergibt sich, dass eine Führungskraft die eigenen Mitarbeiter/innen nicht coachen kann1, bestenfalls ein offenes, partizipatives Gespräch über die Situation führt und ev. die eine oder andere Analyse-Methode anbieten und einbringen kann.

Verfügung stehen. In all unseren TrigonCoaching-Befragungen2 der letzten Jahre bei Coachees/Kunden, Personalentwickler/innen oder Coachs sind Lebenserfahrung, Empathie und situatives Eingehen Hauptelemente. Themen im Coaching sind – auch als Punkte der letzten Coaching-Befragungen -Verhaltensfragen in Gesprächen, Führungsentscheidungen, Selbstorganisations-Situationen, (innerer) Ärger, Streß bzw. Angstsituationen, gemachte Fehler, Probleme bzw. Schwierigkeiten mit Personen oder sachlichen Aspekten, eigene (hindernde) Muster bzw. „Glaubenssätze“, Problemlösungen, die nicht funktionierten, im Kreis drehen, sich klein machen, andere negieren/ abwerten, eigene Unsicherheit oder auch Ziele erreichen können, Vorhaben realistisch umsetzen, Entscheidungen im Umfeld absichern, Konkretisieren von Maßnahmen usw. 5) Effektiver Ablauf von Coaching-Prozessen Aus den Erfahrungen des Autors seit den 80er Jahren haben sich folgende Coaching-Schritte und folgender Gesamtprozess bewährt (siehe Abb. 1 und Abb. 2).

chings zu fokussieren und eine am besten schriftliche Vereinbarung, die dem Prozess zugrunde liegt, abgeschlossen werden. Schriftlich deshalb, um die Ziele meist präziser zu formulieren und verschiedene Punkte festzuhalten, die zu unnötigen Nachgesprächen führen könnten. In den Einzelgesprächen, die in der Regel zwischen ein oder zwei Stunden dauern, wird dann die eine oder andere Zielsetzung aufgegriffen. Der Coachee mit seinen Fragen, Problemen und Beispielen bestimmt hier den Inhalt. 6) Was sind Fallen, Grenzen des Coaching Die Falle „interner Coachs“ bzw. auch von Führungskräften liegt bei der Subjektivität und Kenntnis der zu coachenden Person. Man nennt dies auch (positive) Vorurteile, also Einschätzungen und Bewertungen die „vorher“ schon da sind und nicht erst das „Bild der Gegenwart“. Bei Führungskräften sind es auch die schon vorher genannten Fallen, seine eigenen Mitarbeiter/innen zu coachen von Hierarchieabhängigkeit bis

Die fünf Phasen des Coaching

4) Wichtige Punkte, um Coaching in Anspruch zu nehmen Viele Personen, nicht nur Führungskräfte, tragen ungelöste Fragen oder Probleme mit sich herum. Bei vielen dieser oft auch persönlichen Fragen (die „man etwa im Unternehmen ungerne mit Kollegen/innen besprechen will“) kann ein professioneller Gesprächspartner mit entsprechendem Hintergrund hilfreich zur 1 dagegen stehen die 5 Fallen einer Füh-

rungskraft, eigene Mitarbeiter/innen zu coachen wie hierarchische Abhängigkeit, Ziel fürs Coaching kommt vom Chef, Subjektivität, Chef mit „richtigem Weg“ (Grandiosität) und Driften zur Sachlösung und Rationalität WINGbusiness 1/2017

© Trigon Entwicklungsberatung

Ein Vorgespräch zwischen Coachee und Coach scheint wichtig, um einander persönlich kennen zu lernen und auch verschiedene Punkte wie Hintergrund des Coach, Schwerpunkte und Bedürfnisse des Coachee, Dauer und Kosten des Coachings, Vorgehen und Grenzen u.ä.m. abzuklären. In diesem ersten Gespräch sind die Ziele des Coa2 Trigon-Coaching-Befragung 2016 – Kernergebnisse veröffentlicht auf www.coaching.at; Details unter Trigon Salzburg, johannes.narbeshuber@trigon.at kaufbar

zu Grandiosität dem/der Mitarbeiter/in gegenüber (siehe Fußnote 1). Bei internen Coachs ist auch die Vorkenntnis der Organisationssituation und die Erfahrung mit Mitgliedern der Organisation eine mögliche Falle. Wenn der Coach von bestimmten Personen bestimmte Eindrücke aus der Vergangenheit hat, kann das zu Vorurteilen führen, da er/sie innerlich nicht mehr frei ist, sich neutral einzustellen und daraus mit der Situation

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Führung/Profession 7) Wie komme ich zum passenden Coach?

Die 5 Schritte im Coaching-Gespräch

© Trigon Entwicklungsberatung

Aktuelles Zum Einstimmen und warming up ist es angebracht, mit dem Kunden zu Beginn seine emotionale Einstiegslandschaft, das was ihn derzeit beschäftigt oder neueste Situationen, Erfahrungen und Fragen aufzugreifen. Gleichzeitig ist es wichtig, dafür nicht übermäßig viel Zeit aufzuwenden. Sollte sich daraus ein Thema für die Stunde ergeben, ist es aufzugreifen, allerdings auch darauf zu achten, dass dies nicht regelmäßig passiert und damit eine ständige Ablenkung vom eigentlichen Coaching Ziel passiert. Anknüpfen Was hat der Kunde sich letztes Mal vorgenommen? Wie ist es ihm damit ergangen? Welche Erfahrungen, Erfolge bzw. Schwierigkeiten hat er gesammelt? Das kann zum Übergang in ein spezielles Nachbearbeitungsthema führen oder dem Kunden einfach den Erfolg und die Freude auskosten lassen. Ziel-/Problembearbeitung Hier liegt der Kern des Coaching-Gesprächs, der sich aus den Zielsetzungen der Coaching Vereinbarung ergibt. Vorhaben Der Kunde nimmt sich etwas vor. Er macht mich sich eine Vereinbarung, bei der ich „Zeuge“ bin. Als Coach kann ich helfen, präziser zu werden. Oft werden die Vorhaben sehr allge-mein formuliert und verpuffen bzw. scheitern im Alltag. Die W-Fragen sind hier ein probates Mittel zur Konkretisierung. Transfer, Ausblick Zum Abschluss kann es wichtig sein, den nächsten Termin zu vereinbaren, einen Ausblick auf nächste Themen zu erfassen und ev. Vorarbeiten dafür bzw. auch eine kurze Reflexion der Stunde und Evaluation durchzuführen.

und dem Coachee zu arbeiten. Eine weitere Falle kann die „Vorgabe“ von oberen Führungskräften oder aus der Personalentwicklung sein, dass die zu coachende Person bestimmte eben von außen kommende Veränderungen durchführen müsste. Eine direkte oder indirekte Beratung des Coachee könnte eine weitere Falle sein. Durch Kenntnis der Situation, der Organisation, der Personen, die im Coachee Bericht vorkommen, können Ideen, wie „man mit dem umgeht“ leicht innerlich entstehen. Wenn der Coachee nun auch noch hilflos wirkt, sich Ideen wünscht oder vielleicht auch „unpassende Überlegungen“ anstellt, ist die Gefahr besonders groß. Grenzen des Coachings liegen in der missbräuchlichen Verwendung des Begriffs für (partizipative) Führung, für die Führung von Einzelgesprächen oder für die beratende und vorschlagende Aktivität. So manche

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Führungskraft geht gerne in die Rolle des „Besserwissers“ mit Vorschlägen, Ratschlägen oder anderen Vorgehensweisen als bisher gegenüber diesen Personen (in der Organisation), gleichgültig ob Zeitdruck für die Führungskraft da ist oder der Mitarbeiter nicht sofort mit „richtigen“ Lösungen reagiert oder die Führungskraft den/die Mitarbeiter/ in innerlich für unfähig hält, selbst die angesprochene Situation zu ändern. Ein wesentlicher Teil des Coachings liegt einerseits in der Unterstützung Coachees selbst Problemlösungen und Ideen finden zu lassen und andererseits im Prozess der Vorbereitung (im Coaching-Gespräch) und Reflexion (im Folge-Gespräch) sowie der dazwischenliegenden Umsetzung durch den Coachee. Einzelgespräche sind eigentlich kein Coaching, sondern bestenfalls „Problemlösungs- oder EntwicklungsGespräche“.

Es gibt seit mehr als 10 Jahren in allen deutschsprachigen Ländern fachlich fundierte Verbände und Vereine, die auf eine Vielzahl von ausgebildeten und professionellen Coachs zurückgreifen können3. Folgende Aspekte sind bei der Auswahl eines Coachs und vor dem Start des Coachings beachtenswert: Wie geht der/die Coach auf meine Bedürfnisse und Fragen ein? Wie stellt er sich selbst dar? Was sagt der/die Coach zur Länge des Coachings und wie gestaltet er/ sie das Gespräch? Was wird wie abgemacht? Was kostet das Coaching für welche Leistung? Welche Stornoregelungen gibt es? Wie reagiert er auf meine sachlichen bzw. emotionalen Themen? Ein guter, erfolgreicher und empathischer Coach wird den/die Kunden/ in nach seinen Bedürfnissen und Themen bzw. Zielen fragen und selbst keine langen Erklärungen zu sich und Erfolgsversprechungen zum Coaching abgeben. Er/sie wird fragen was der Coachee von ihm/ihr hören möchte. Im Erstgespräch ist deutlich erkennbar, dass er auf meine Fragen, Bedürfnisse und Probleme eingeht und den Weg bzw. die Arbeit im Coaching aufzeigt und auch den Zeitrahmen nennt. Der Stundentarif ev. mit Fahrtspesen wird klar angesprochen. Ein schriftlicher Vertrag ist Basis, dazu legt der Coach ein Leer-Formular vor, das vom Coachee nach bspw. einer Woche Nachdenk- und Überprüfungszeit zu Zielen usw. von beiden unterschrieben wird, wo auch die Stornoregelungen klar ersichtlich sind. 8) Der deutschsprachige Coaching-Markt Coaching wird in Deutschland, der Schweiz und Österreich ziemlich ähn3 In Österreich ist es der österr. Dachverband für Coaching mit seiner Mitgliederliste (www.coachingdachverband.at), in Deutschland ist der DBVC federführend (www.dbvc.de), ISO-Zertifizierung in Österreich bzw. Akkreditierungen der ICF (www.coachfederation.org) sind ebenso Orientierungsgrößen WINGbusiness 1/2017


Führung/Profession lich gesehen. Im Vordergrund steht die Bearbeitung von Themen und Zielen des/der Kunden/in als „Katalysator“, für einen wirkungsvollen Prozess zu sorgen, wo der Coachee reflektiert, Ideen entwickelt und seine Vorhaben konkretisiert. Die Coaching-Verbände DBVC-deutscher Berufsverband für Coaching bzw. der ACC (österr. Coaching-Dachverband) prägen heute inhaltlich den jeweiligen Markt der Coachs. Es gibt über Webpages und Unterlagen sowie über Mitgliederlisten einen guten Überblick über professionelle Coaching-Anbieter wie inhaltlich präzise. Es gibt nach wie vor eine große Dunkelziffer von Coachs nach eigener Definition, die keine vollwertige Aus- und Weiterbildung genossen haben, sondern auf Grund von anderen Ausbildungen bzw. Eigendefinition glauben, das Gespräch mit dem Coachee nach Zufall, Gutdünken oder nach eigener (psychologischer) Einschätzung führen zu können. Alleine die 8 Coaching-Kompetenzen, die der österr. Coaching-Dachverband der ISO-Prüfung von Coachs (nach Din 17024) zugrunde legt, sind beredtes Zeugnis.4 Jeder Coach sollte diese 8 Kompetenzen einbringen und anwenden können. Dies zeigt auch von einem hohen Komplexitätsgrad den der/ die Coach erfüllen muss, um wirksam im Prozess sein zu können. Auf mehreren Ebenen wie Inhalt, Beziehung und Prozess denken und handeln zu kön4 Coach-Kompetenzen des österr. Dachverbandes: a) Ziel- und Vereinbarungskompetenz b) BeziehungsgestaltungsKompetenz c) Interaktions-Kompetenz d) Interventions-Kompetenz e) Struktur- und Prozessführungs-Kompetenz f) Vernetzungs-Kompetenz g) Reflexions- und Transfer-Kompetenz h) Human-Kompetenz

nen oder vielfältige Einf lussfaktoren und die Übersicht ins Bild bekommen (und ev. visuell darzustellen, um den Coachee aus der Vogelperspektive einen anderen Blickwinkel auf sein/ihr Thema zu ermöglichen).

Dkfm. Dr. Werner Vogelauer Executive-Coach

9) Ausblick Führen und Coachen sind zwei nicht zueinander passende Begriffe. Wer führt führt (und wird damit seiner Aufgabe in der Organisation gerecht), wer coacht coacht (und ist als Außenstehender Katalysator oder sounding board). Die Führungskraft kann in der Eigenentwicklung und im Lernen von Coaching-Verhaltensweisen und –methoden in dem einen oder anderen Gespräch die partizipative und fordernd-fördernde Haltung einbringen, vielleicht auch die eine oder andere „Coaching-Methode“ zur Praxisreflexion bzw. zum Überblick der Situation einsetzen. Im Begleiten von Mitarbeiter/innen als Coach sollte die Führungskraft lieber die Finger lassen, um nicht in die Fallen hineinzutappen und damit dem Coaching nicht gerecht werden und die effektive Problemlösung sogar zu verhindern. Als Führungskraft selbst ist es angeraten, die eine oder andere Frage (Problem, griech. = sich eine Frage vorlegen) mit einem externen, neutralen, nicht befangenen Menschen, sprich Coach, durchzugehen. Ein/e Freund/in kann ein Coach sein, ist meist emotio-

nal und beziehungsmäßig gehandicapt – und hat zumindest das Bedürfnis, dass es dem Coachee besser geht (damit vielleicht zu viele Angebote, Ideen, Vorschläge…macht). Oft ist die externe Person leichter Gesprächspartner/in als intern jemanden von „Problemen“ oder „inneren Fragen“ zu berichten Kollegen/innen oder Vorgesetzte/r - wo unterbewusst Ängste vor Veröffentlichung, Unangenehmes durch die Darstellung von „Schwäche“ oder in den Augen des Anderen Unfähigkeit der Lösung o. ä. hoch kommen. Autor: Werner Vogelauer, Dkfm. Dr., Executive-Coach mit jahrelanger Führungserfahrung, Lehr-Coach (österr. Coaching-Dachverband), Senior-Coach (DBVC), lehrender und supervidierender Transaktionsanalytiker (TSTA-O), Mitglied der Trigon Entwicklungsberatung, Salzburg, Buchautor von „Methoden ABC im Coaching“ (6. Auflage) wie von „Coaching-Praxis“ (6. Auflage) und zahlreichen Artikeln zu Coaching, Transaktionsanalyse und Arbeitsmethoden, Anschrift: werner.vogelauer@ trigon.at

Schwerpunkt-Themen WINGbusiness 2017

Heft 02/2017: „Social Entrepreneurship“

Heft 03/2017: „Erfolgsfaktor Agilität“

Heft 04/2017: „Betriebswirtschaftslehre am Bau“

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Leute/Köpfe

WINGbusiness Interview

Dipl.-Ing. Walter Oblin Finanzvorstand (CFO) Österreichische Post AG Wirtschaftsingenieur Foto: Ian Ehm

Das Gespräch führte Herr Dipl.-Ing. Dr. Hans-Jörg Gress

Die Österreichische Post ist der landesweit führende Logistik- und Postdienstleister für die Beförderung von Briefen, Werbesendungen, Printmedien und Paketen. Das Unternehmen beschäftigt knapp 22.000 Mitarbeitende und ist in elf weiteren europäischen Ländern mit Brief- und Paketnetzen tätig. Herr Dipl.-Ing. Oblin, Sie sind seit 2012 Finanzvorstand der börsennotierten Österreichische Post AG. Wie kamen Sie als Wirtschaftsingenieur zu dieser Funktion? Das Wirtschaftsingenieurstudium ist eine exzellente Vorbereitung für Managementaufgaben, weil man eine solide wirtschaftliche Grundausbildung bekommt und die technische Ausbildung fundierte Kenntnisse und ein sehr analytisches Denkvermögen schafft. Mein persönlicher Werdegang war nach dem Studium eine MBA-Ausbildung in den USA, danach verbrachte ich 14 Jahre in der Unternehmensberatung bei McKinsey, anschließend war ich Kaufmännischer Vorstand bei einem Start-Up in Deutschland, kam dann als Leiter Strategie zur Österreichischen Post AG und wurde 2012 zum Finanzvorstand bestellt. Sprechen wir vom Unternehmen: Automatisation und Digitalisierung prägen die Wirtschaft sehr stark. Wie veränderte sich das Marktumfeld für Ihr Unternehmen? Die Post ist wie kaum ein anderes Unternehmen durch die Digitalisierung gefordert. Wir haben zwei Megatrends, die uns bewegen. Dies ist einerseits

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die e-substitution, die Substitution des physischen Briefes durch die digitale Kommunikation, und andererseits der e-commerce, der uns im Paketgeschäft große Chancen eröffnet. Mit welcher Strategie antwortet die Österreichische Post auf diese Veränderungen? Wir haben 4 strategische Stoßrichtungen definiert. Erstes Element ist die Verteidigung der Marktführerschaft im Kerngeschäft, dem heimischen Briefund Paketgeschäft. Zweitens verfolgen wir zur Kompensation der rückläufigen Briefmengen den Ausbau des Paketgeschäftes in Auslandsmärkten sowie die Weiterentwicklung von elektronischen Dienstleistungen, drittes Element ist die permanente Effizienzsteigerung und Verbesserung der Kostenstruktur, viertes Element ist die Kundenorientierung und die Innovation im Leistungsportfolio, um das Service für die Kunden ständig zu erhöhen. Diese Innovation und Internationalisierung erfordern aber auch signifikante Investitionen….. Ja, die Post investiert jedes Jahr massiv in ihre Zukunft. Das jährliche Investiti-

onsvolumen beträgt etwa 100 Millionen Euro. Es umfasst vor allem Automatisierung und Ausbau in unseren Verteilzentren, Erneuerungen im Fuhrpark, wo wir der größte Elektroflottenbetreiber des Landes sind, Erweiterungen und Innovation in der IT - kein Brief, kein Paket macht seinen Weg ohne IT - sowie Investitionen im Filialnetz und bei den digitalen Lösungen. Welche Modernisierungsprojekte haben Sie in Ihrem Bereich vorangetrieben? Mein Funktionsbereich beinhaltet die gesamten Finanzfunktionen, den Einkauf, IT, Immobilien und Recht. In allen Bereichen ist die Digitalisierung der Prozesse im Vordergrund, um das Ziel zu erfüllen, die Leistungen schneller, innovativer und effizienter zu erbringen. Die Österreichische Post AG gehört zu den bedeutenden Werten an der Wiener Börse. Welche Attraktivität bieten Sie Ihren Investoren? Die Österreichische Post ist stolz darauf, ihren Investoren seit dem Börsegang vor knapp 11 Jahren einen Total Return to Shareholder von über 175 %

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Leute/Köpfe gebracht zu haben. Wir haben eine sehr klare Kapitalmarktpositionierung als defensiver Dividendenwert. Wir stehen für Stabilität, wir stehen vor allem für ein attraktives Dividendenversprechen. Dieses Wertversprechen Stabilität und attraktive Dividende ist Ausgangspunkt für unsere Unternehmensführung mit dem Fokus auf der Generierung eines stabilen Cash Flows. Was sind Ihre Erfolgsrezepte im Management? In seinem Managementbuch „Good to Great“ stellte Jim Collins fest, dass die Leiter sehr erfolgreicher Unternehmen das Prinzip „First who, then what“ anwenden. Das bedeutet, dass es das Wichtigste ist, die richtigen Leute an den Start zu bringen und diese zum Team zusammenzuschweißen. Erst dann geht es darum, diesen Personen, die Energie in das System eintragen müssen, die richtigen Impulse für ihre Aufgaben mitzugeben. Umgekehrt bedeutet dies, dass mit den falschen Leuten auch die besten Konzepte nicht realisierbar sind. Haben Sie persönliche Führungsgrundsätze? Ich denke, dass offene Kommunikation und ein partizipativer, teamo-

rientierter Führungsstil wesentliche Grundpfeiler meiner Führung sind. Werden in Ihrem Unternehmen Wirtschaftsingenieure eingesetzt? Ja, zwei von vier Vorstandsmitgliedern sind Wirtschaftsingenieure und von Investor Relations bis in die Logistik sind Wirtschaftsingenieure in unserem Unternehmen erfolgreich tätig. Gerade für ein Unternehmen wie die Post, das sehr technisch-logistische Abläufe und Produkte hat, bringt der Wirtschaftsingenieur ein exzellentes Ausbildungsprofil mit und kann wirkungsvolle Beiträge liefern. Welche Erwartungen hat Ihr Unternehmen an die jungen akademischen Berufseinsteiger? Als Unternehmen sind wir gefordert uns schnell und radikal zu verändern, weil sich unser Markt massiv verändert. Diese Veränderung kann nicht nur von oben kommen, sondern muss in der Breite des Unternehmens erfolgen. Jeder Mitarbeiter ist gefordert, Impulse zur Weiterentwicklung zu liefern. Wir suchen deshalb auch junge Akademiker, die mit Energie die Dinge selbständig und verantwortungsbewusst vorantreiben und nicht nur auf die Vor-

gaben von oben warten und die auch ihre Kompetenz durch Fortbildung ständig weiterentwickeln. Wie finden Sie Entspannung von Ihrem Beruf? Wenn man etwas gerne macht, muss man nicht jeden Tag am Abend abschalten und aktiv in den Entspannungsmodus. Aber ich habe eine Familie mit drei größeren Kindern, die mir hilft zu entspannen, ich habe ein Portfolio von sportlichen Aktivitäten wie laufen und Rennrad fahren und ich bin Hobbygärtner, der sich am Wochenende ganz gerne erdet, indem er mit Erde arbeitet. Dipl.-Ing. Walter Oblin, Wirtschaftsingenieur, 47 1988 – 1993 Studium Wirtschaftsingenieurwesen-Maschinenbau TU Graz 1993 – 1994 MBA-Studium in den USA 1994 – 2008 Unternehmensberater und Partner bei McKinsey & Company, Wien 2008 – 2009 Kaufmännischer Vorstand SorTech AG, Deutschland 2009 – heute Österreichische Post AG 2009 Bereichsleiter Strategie und Konzernentwicklung 2012 Finanzvorstand (CFO)

Call for Papers Themenschwerpunkt: Erfolgsfaktor Agilität in WINGbusiness 03/2017 Beschreibung Für die Ausgabe 03/2017 laden wir Autoren herzlich ein, ihren Beitrag zum Themenschwerpunkt „Erfolgsfaktor Agilität“ einzureichen. Von Interesse sind Artikel zu Projekten und Forschungstätigkeiten, die Strategien zur Steigerung von Agilität beschreiben bzw. sich mit der operativen Umsetzung der Agilität in Industrieunternehmen beschäftigen.

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Es können zwei unterschiedliche Beitragsarten übermittelt werden: Die Verfassung eines Textes als Bericht aus der Praxis. Die Einreichung eines wissenschaftlichen Beitrages in Form eines wissenschaftlichen Papers (WINGPaper mit Reviewverfahren; die Ergebnisse des Reviewverfahrens erhalten Sie 4-8 Wochen nach der Einreichfrist).

Vorlagen zur Erstellung eines WINGPapers und konkrete Layout-Richtlinien sind als Download unter http://www.wing-online.at/de/wingbusiness/medienfolder-anzeigenpreise/ oder unter der e-mail office@wing-online.at verfügbar.

Hinweise

Annahmeschluss: 19.06.2017

für

AutorInnen:

Bitte senden Sie Ihre Beiträge als PDF an office@wing-online.at.

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Top-Thema

Smart Intralogistics – Digitale Vernetzung verschiedener Produktionsressourcen zur Optimierung der Wertschöpfung Uwe Brunner, Daniela Wilfinger, Johannes Dirnberger

Abstract—Das Dilemma ist alt, die Rahmenbedingungen neu. Jahrzehntelang haben Techniker – oft mit anerkannten Verfahren der Investitionsrechnung – vorgerechnet, wie sehr sich Investitionen in neue Produktionsanlagen lohnen und sich dadurch die Betriebseffizienz erhöht. Logistische Infrastrukturen wurden seltener erweitert oder ausgebaut, was vielerorts heute noch als „veraltete Infrastruktur“ zu erkennen ist. Mittlerweile haben viele Unternehmen gerade durch die Industrie-4.0-Debatte erkannt, dass es zwischen Produktion und Kunden viele Schnittstellen gibt, die zum Gelingen einer durchgängigen Integration Beachtung finden müssen. „Smart Production“ benötigt somit auch „Smart (Intra-)Logistics“, um moderne Prozesse durchgehend zu realisieren. Gegenstand des Beitrages ist es, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie intralogistische Prozesse auf ihre digitale Reife geprüft werden können und welcher Nutzen durch smarte Lösungen entstehen kann. Index Terms—Nutzenpotenziale, Reifegradmodelle, Smart Intralogistics, System-Modelle.

I. BEGRIFFSVIELFALT UND „SMART INTRALOGISTICS“ Die weltweite digitale Vernetzung zwischen Produktionsressourcen und Produkten sowie zwischen Anbietern, Logistikund Transportdienstleistern, Lieferanten und Kunden wird als wichtiger Innovationshebel gesehen. Im DACH-Raum werden Initiativen mit dieser Zielsetzung vorwiegend unter den Schlagwörtern „Industrie 4.0“ und „Internet der Dinge“ stark vorangetrieben, während beispielsweise in den USA von „Advanced Manufacturing“ und „Industrial Internet“ die Rede ist (Emmerich et al. 2015). Offen ist die Diskussion über den Ausgangspunkt der Entwicklung: Sind es die technologischen Möglichkeiten, welche zu einer fortschreitenden (flexiblen) Automatisierung der Produktion führen und somit auch das Forschungs- und Praxisfeld der Intralogistik nachhaltig prägen (Hausladen 2014)? Oder ist es der Trend zu individualisierten Produkten sowie Dienstleistungen in kürzester Lieferzeit und ständiger Verfügbarkeit, der den Bedarf an vernetzten, flexibel automatisierten und effizienten Logistiksystemen sichtbar macht? Oder handelt es sich gar, wie Kritiker meinen, um eine „Verordnung des Fortschritts von oben“ (Lotter 2015)? Unabhängig davon, welche Begriffe für die Forcierung der Paper was accepted on 02/02/2017 by Siegfried Vössner. The paper was revised once.

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digitalen Vernetzung in der Industrie verwendet werden und wo der Ursprung digitalen Wandels letztlich liegt; wesentlich ist ihr technologischer Hintergrund und die damit verbundenen Chancen für Unternehmen, ihre Wettbewerbspositionen durch den Einsatz „smarter“ Lösungen zu festigen oder auszubauen. Was verbirgt sich hinter „Smart Intralogistics“? Während der Begriff „Intralogistik“ im deutschen Sprachraum durch den VDMA definiert wurde, gibt es für „Smart Intralogistics“ noch keine allgemein anerkannte Definition. Daher ist es zur Strukturierung der Diskussionen über „Smart Intralogistics“ notwendig, die wesentlichen Begriffe vorab zu erläutern. Die Promotorengruppe Kommunikation der Forschungsunion Wirtschaft–Wissenschaft beschreibt Industrie 4.0 als „die technische Integration von cyber-physischen Systemen (CPS) in die Produktion und Logistik sowie die Anwendung des Internets der Dinge in industriellen Prozessen.“ (Promotorengruppe Kommunikation der Forschungsunion Wirtschaft– Wissenschaft 2013). Wesentlicher Kernpunkt ist dabei die Vernetzung der gesamten Wertschöpfungskette über den gesamten Lebenszyklus von Produkten (Köhler-Schute 2015). Hinsichtlich Vernetzung sind es cyber-physische Systeme, die durch eingebettete Soft- und Hardware die physische Welt mit der virtuellen verknüpfen. Mittels Sensoren können Daten der Umwelt erfasst und den netzbasierten Diensten zur Verfügung gestellt werden. Mit Hilfe von Aktoren wirken CPS auf die reale Welt ein (Acatech 2011 und Greisberger et al. 2012). Das Internet der Dinge ist dabei die für den Datenaustausch erforderliche Infrastruktur und ermöglicht die Interaktion zwischen physischen Objekten wie Sensoren, Aktoren, Maschinen und Transportmitteln, die über eine Schnittstelle zum Internet – oder anderen internetähnlichen Strukturen – verfügen (Sendler 2013). Kontrollieren computergestützte Systeme Prozesse vollautomatisch oder steuern diese gar autonom, kann schließlich von „smart“ die Rede sein. Aus Sicht der Logistik dienen cyber-physische Logistiksysteme (CPLS) der Vernetzung von Transport- und Bearbeitungsprozessen. Unter CPLS versteht man „die Ansammlung von Logistikelementen […], die jeweils die Kriterien cyberphysischer Systeme erfüllen, miteinander mit Produktionselementen […] sowie dem Menschen kommunizieren und unter

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Berücksichtigung der ökonomischen, ökologischen und sozialen Zielerreichung autonom (re)agieren.“ (Veigt et al. 2013). Durch die stärkere Verbindung der überbetrieblichen Transportlogistik mit der innerbetrieblichen Produktionslogistik kann der Einsatz von CPLS die gesamte Wertschöpfungskette – wie im Sinne von Industrie 4.0 erforderlich – abdecken. Bezogen auf die „smarte Intralogistik“ bedeutet dies den Einsatz intelligenter Lösungen, deren Spezialität in der Fähigkeit zur Selbstoptimierung liegt (QRC-Group 2014). Wodurch kennzeichnet sich die smarte Intralogistik (von morgen) – Anwendungsfälle Die Intralogistik hat als Branche schon heute Systeme und Technologien in Verwendung, die nach den Visionen von Industrie 4.0 gestaltet sind, um intelligente Anlagen einer Smart Factory material- und informationsflusstechnisch zu vernetzen. Zu diesem Zweck sind funktionsorientierte modularisierte Fördertechnikkomponenten, dezentrale Steuerungskonzepte und Software-Dienste für die Koordination zwischen Fördertechnikmodulen und Transporteinheiten charakteristisch für neue intralogistischte Systeme (Materialfluss 2014). Die steuernde Rolle innerhalb des Logistiksystems wird von den zu transportierenden Gütern übernommen – von smarten Objekten. Diese können beispielsweise mittels RFID jederzeit identifiziert, lokalisiert und überwacht sowie Statusänderungen entlang der Transportkette nachvollzogen werden. Durch Remote-Positioning-Verfahren oder GPS-basierte Lösungen kann die konventionelle Rückverfolgung von Objekten für transparente Prozesse sorgen und logistische Probleme aufklären (Redelberger 2014). Smarte Objekte nutzen „bewusst“ die Transportdienste der Fördertechnikmodule, um an ihren Endpunkt zu gelangen. Die Abstimmung zwischen den Fördertechnikmodulen findet direkt zwischen den Maschinen mittels Machine-to-Machine (M2M)-Kommunikation statt, um dem Transportgut die kürzeste, schnellste oder ressourcenschonendste Beförderungsmöglichkeit zu bieten (Günthner et al. 2014). Durch die Verwendung von Sensorik an Werkstückträgern können zusätzlich die Umweltbedingungen (Erschütterungen, Temperaturen …) erfasst und per Alarm gemeldet werden (Veigt et al. 2013). Im Bereich der Kommissionierung ermöglicht der Einsatz kleiner, aber robuster Roboter den Transport des Warenregals zum Mitarbeiter („Ware-zur-Person“), der nur mehr die benötigte Ware entnimmt und sie versandfertig macht. Dadurch wird der Prozess der Auftragsbearbeitung beschleunigt und weniger störanfällig (Rodenhäuser et al. 2015). Aber auch Assistenzsysteme für Mitarbeiter bergen enorme Potenziale durch die entsprechende digitale Vernetzung. Mittels Augmented Reality können Mitarbeitern Informationen bedarfsorientiert und effizienzsteigernd zugänglich gemacht werden, wie es durch traditionelle Handbücher und Verfahrensanweisungen niemals möglich wäre. Im Bereich des innerbetrieblichen Transports, wo in zahlreichen Industriebetrieben nach wie vor das Bild unzähliger Unstetigförderer, die hohe Personalressourcen binden, vorherrscht, können durch den Einsatz zellularer Fördertechnik enorme Potenziale gehoben werden. Zellulare Fördertechnik

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bezeichnet Schwärme autonom agierender Fahrzeuge, die beispielsweise durch Laserscanner, Infrarotsensoren und RFIDChips ihre Umgebung eigenständig erfassen und sich autonom zu ihren jeweiligen Zielen bewegen. Die Transportaufträge werden dabei dezentral zwischen den Fahrzeugen koordiniert. Bei Störung reagiert der Fahrzeugschwarm selbständig (Intralogistik 2014). Durch den Einsatz dieser Technologien kann eine Steigerung des Automatisierungs- und Flexibilisierungsgrads in intralogistischen Prozessen erreicht und so der Lohnkostenanteil an den Gesamtkosten gesenkt werden. Das entlastet den innerbetrieblichen Transport, die Lagerverwaltung oder Umschlagsund Versandaktivitäten, was vor allem für Hochlohnländer in Mitteleuropa von großer Bedeutung ist (Redelberger 2014). Die Intralogistik-Branche zeigt somit einerseits, dass sie in vielerlei Hinsicht als technologischer Industrie-4.0-Vorreiter heute schon Innovationen anbietet, die anwenderseitig Prozessoptimierungen nach sich ziehen und folglich die Wertschöpfung optimieren (können). Andererseits ist auch in der Intralogistik die Relation Industrie-4.0-Anwendungen und deren praktische Umsetzung ambivalent. Obwohl Unternehmen in der Logistik/Lagerhaltung – nach der Produktion – das zweitgrößte Potenzial für Industrie-4.0-Anwendungen sehen, gab in einer Studie lediglich ein Drittel der Unternehmen an, konkrete Anwendungen in diesem Bereich bereits umgesetzt bzw. in Planung zu haben. Im Vergleich dazu setzen bereits über 90 % der Unternehmen im Bereich der Produktion auf Industrie-4.0-Anwendungen (Staufen AG 2014). II. PROBLEMFELDER AM WEG ZUR SMARTEN INTRALOGISTIK Wenn technologische Investitionen in 4.0-Anwendungen verstärkt notwendig sind, um unternehmerische Erfolgspotenziale aufzubauen, welche Herausforderungen müssen Unternehmen bewältigen, um in der Intralogistik die Potenziale zu erkennen und konkreten Nutzen für sich abzuleiten? Klassisch ist das Problem, dass Investitionen aufgrund des hohen Kapitalbedarfs und dessen Bindung über längere Zeiträume kritisch für den zukünftigen Unternehmenserfolg sind (Poggensee 2015). Dem stehen in der Intralogistik enorme Potenziale im Bereich der Effizienz (z.B.: Zeit- und Kostenreduktion) und Effektivität (z.B.: Bestandsoptimierung) gegenüber. Jedoch sind Investitionen in diesem Bereich meist besonders kostenintensiv und daher gewissenhaft zu planen. Zusätzlich zeigen sich bei der digitalen Transformation eines Unternehmens weitere Problemfelder (siehe Abb. 1):

Abb. 1. Problemfelder am Weg der digitalen Transformation im Unternehmen (Ehmann et al. 2016)

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Mangelnde Informationsverfügbarkeit und mangelnde Konkretisierung der Anwendungsbeispiele von smarten Technologien In einem Ländervergleich liegt Österreich hinter Deutschland und der Schweiz an dritter Stelle, wenn es um die Vorbereitung der Unternehmen auf Industrie 4.0 geht (CSC 2015). Anwenderseitig zeigt sich in Österreich ein Informationsmangel hinsichtlich neuer Möglichkeiten in der Intralogistik durch den Einsatz smarter Technologien. Gleichzeitig fehlt es an Benchmarks, die als Nutzennachweis herangezogen werden können. In Bezug auf Intralogistik-Investitionen begünstigen diese Faktoren in Österreich aktuell ein Klima des Abwartens. In der Konsequenz kann dies zukünftig negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen nach sich ziehen. Mangelnde Nutzenerkennung von smarten Technologien und Methoden zum Nutzennachweis Um eine Investition als sinnvoll zu erachten, muss ein allfälliger aus ihr zu erwartender Nutzen eruiert werden. Die Anwendung von smarten Technologien in der Intralogistik kann zu folgenden Nutzenpotenzialen führen: Tabelle 1. Nutzenpotenziale Smart Intralogistics Smarte Intralogistik-Prozesse Selbstoptimierende und automatisierte Prozesse Die richtige Ware just-in-time am richtigen Ort Assistenz-Systeme zur Unterstützung und Entlastung von MitarbeiterInnen in diesem Bereich Vollständige IT-Unterstützung in den intralogistischen Prozessen

Identifikation und Lokalisierung der Produkte innerhalb des Unternehmens

Erwarteter Nutzen Erhöhung der Effizienz

Erhöhung der Effektivität

Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit

Erhöhung der Transparenz von Beständen sowie der Auslastung und Verfügbarkeit von Maschinen und Anlagen

Erhöhung der Rückverfolgbarkeit (traceability)

Neben der Nutzenerkennung von Optimierungsmaßnahmen und insbesondere der Identifikation optimaler Lösungen stehen viele Betriebe vor der Herausforderung, den Technologieeinsatz vorab zu bewerten. Investitionsentscheidungen in zukünftige Technologien, wie etwa die Einbindung von smarten intralogistischen Prozessen in die Unternehmung, bedürfen einer intensiven Auseinandersetzung mit den ökonomischen Nutzenaspekten (Pape 2011). Bei Wirtschaftlichkeitsberechnungen von IT-Investitionen können allerdings Probleme bei der Datenerfassung auftreten (Hirnle 2006):  Maßgrößenproblem: Speziell für IT-Investitionen entstehen spezifische Nutzen- und Kosteneffekte. Allerdings besteht die Schwierigkeit, geeignete Indikatoren zu finden.  Innovationsproblem: Innovationen eröffnen weiterführende Möglichkeiten, die auf den Bereich der strategischen Wettbewerbsvorteile zielen (z.B. Aufbau von

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Eintrittsbarrieren für andere Marktteilnehmer). Die Quantifizierung dieses Nutzens im Kontext des Gesamtsystems ist komplex. Situationsproblem: Die ganzheitliche Bewertung aller Kosten- und Nutzeneffekte ist problematisch, da einerseits neue Kostenarten (z.B. Opportunitäts- oder Komplexitätskosten) auftreten und es andererseits möglich ist, dass besondere Kostenaspekte (evtl. Opportunismus) eine verstärkte Bedeutung gegenüber anderen Indikatoren erleben müssen. Verbundproblem: Auch für IT-Investitionen in der Intralogistik müssen die Teilsysteme der Kooperationspartner miteinbezogen werden. Eine Verschärfung der Zurechnungsproblematik der Kosten- und Nutzeneffekte über das Netzwerk ist das Resultat. Ganzheitlichkeitsaspekt: Hirnle führt an, dass auch gesamtwirtschaftliche Aspekte mit in eine ganzheitliche Wirtschaftlichkeitsbetrachtung einbezogen werden müssen.

III. NUTZEN-/REIFEGRADMODELL SMART INTRALOGISTICS ZUR OPTIMIERUNG DER WERTSCHÖPFUNG Die individuelle Bewertung des Nutzens einer neuen Technologie erschließt sich folglich als problematisch. Ein Vorgehensmodell zum Nutzennachweis neuer Intralogistik-Technologien soll bei einer ganzheitlichen Betrachtungsweise von smarten intralogistischen Prozessen unterstützen (siehe Abb. 2). Erstes Kernelement ist das Nutzen-Modell Smart Intralogistics. In einem zweiten Schritt wird dieses mit einem Reifegrad-Modell Smart Intralogistics gekoppelt. Drittens legen Unternehmen basierend auf den integrierten Handlungsempfehlungen konkrete Maßnahmen zur Optimierung ihrer Intralogistik durch den Einsatz von Industrie-4.0-Technologien fest.

Abb. 2. Nutzen-/Reifegradmodell Smart Intralogistics

Nutzenmodell Smart Intralogistics Mit den herkömmlichen Instrumenten zur Bewertung von neuen Technologien werden Prognosen quantitativ und anhand von Vergangenheitswerten erstellt. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit Wechselwirkungen auf den kompletten Wertschöpfungsprozess wird zumeist nicht erwogen. Intralogistische Systeme sind üblicherweise dadurch gekennzeichnet, dass eine Vielzahl an Systemelementen miteinander

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verknüpft und diese in weiterer Folge auch mit der Systemumgebung, wie beispielsweise Produktionseinrichtungen und Transportmitteln, verbunden sind. Durch dieses komplexe System an Elementen und Schnittstellen sind entsprechende Nutzenbetrachtungen vorab schwierig. Eine eindimensionale Betrachtung, die ausschließlich anhand monetärer Gesichtspunkte erfolgt, greift daher zu kurz. Mithilfe von System-Modellen, wie etwa dem Causal-LoopDiagramm (CLD), gelingt es, ein Verständnis der Systemstruktur herzustellen, da wesentliche Faktoren und Variablen, die das System beeinflussen, identifiziert werden. Anhand der Pfeile werden Kausalzusammenhänge zwischen einzelnen Variablen aufgezeigt und somit Wirkungszusammenhänge zwischen den Variablen und den qualitativen Auswirkungen von veränderten Variablen im System grafisch dargestellt (Stermann 2000 und Georgiadis et al. 2004). Die Vorteile dieses Modells im Intralogistik-Umfeld: Die Potenzialfelder können anhand dieser Systemmodelle systematisch abgeleitet werden. Die Auswirkungen und das Systemverhalten durch den Einsatz von neuen intralogistischen Prozessen, beispielsweise die Auswirkung einer automatisierten Materialbereitstellung für die Produktion, ist schrittweise simulierbar. Durch die Modellierung der Prozesse vor Inbetriebnahme neuer bzw. Optimierung laufender Systeme in der Intralogistik können so Fehleinschätzungen und letztendlich ungeplante Kosten vermieden werden. In einem nächsten Schritt bietet das Nutzen-Modell Smart Intralogistics Use-Cases, welche den Prozess und den Nutzen durch die Anwendung von neuen Technologien quantitativ klar beschreiben. Diese Anwendungsbeispiele werden für die Szenarienbetrachtung an das Causal-Loop-Diagramm gekoppelt und dienen so als Ideen-Generator für die zukünftige Intralogistik im Unternehmen. Die ganzheitliche Betrachtung kann nun um quantitative (monetäre) Aspekte erweitert werden. Möglichkeiten dazu bieten spezielle Logistikkennzahlen der VDI-Richtlinien 4490 (Wehking et al. 2009 und VDI-Gesellschaft Fördertechnik 2007). Aber auch andere betriebswirtschaftliche Kennzahlen und Kennzahlensysteme, wie beispielsweise das DuPont-Kennzahlensystem oder der Geschäftswertbeitrag-Treiberbaum von Siemens, können eine fundierte Entscheidungsunterstützung sein (Horzella 2010 und Horváth 2002). Durch dieses vorgestellte Nutzen-Modell können zuvor erwähnte Problemfelder am Weg der digitalen Transformation beseitigt bzw. vermindert werden: Use-Cases helfen bei mangelnder Informationsverfügbarkeit sowie mangelnder Konkretisierung der Anwendungsbeispiele von smarten Technologien. Das Causal-Loop-Diagramm zeigt den qualitativen Nutzen einer Investition auf – gekoppelt mit Kennzahlen kann so der Nutzen auch quantitativ bewertet werden.

oder ganze Organisationen zu optimieren. Zu diesem Zweck werden spezifische Dimensionen bzw. Kategorien entwickelt, die wiederum durch Kriterien beschrieben werden. In der Regel werden diese gewichtet, um einzelne Faktoren in den Fokus zu rücken. Jedes Kriterium wird durch mehrere Reifegradstufen beschrieben. Zur Reifegradermittlung werden Skalen verwendet, wobei die Höhe der Stufe den Reifegrad des Unternehmens bzw. des Prozesses ausdrückt (z.B. von „Anfänger“ bis „Vorreiter“). Zur Statusbestimmung können Unternehmen ihren Reifegrad durch Selbstbewertung im Rahmen eines moderierten Workshops ermitteln, indem sie für jedes Kriterium den Umsetzungsgrad der definierten Reifegradstufen ermitteln (Allweyer et al. 2009). Zur Zielbestimmung wird für jedes Kriterium der gewünschte Reifegrad, respektive Soll-Zustand, definiert. Durch Gegenüberstellung von Ist- und Soll-Profil lassen sich Potenziale mittels Gap-Analyse identifizieren und Prioritäten festlegen. Basierend auf dem Delta zwischen Ist- und Soll-Profil werden Maßnahmen festgelegt und dargestellt (Feld et al. 2012). Dieser Ansatz findet sich in gängigen Reifegradmodellen wieder. Bekannte Beispiele sind das European Foundation for Quality Management (EFQM)-Modell, das Process and Enterprise Maturity Model (PEMM) oder das Capability Maturity (CMMI)-Modell. Das speziell für Smart Intralogistics entwickelte Reifegradmodell basiert auf drei strategischen und elf operativen Zieldimensionen, wobei die operativen Dimensionen an Intralogistik-Prozesse (Lagerverwaltung, innerbetrieblicher Transport; …) angelehnt wurden. Alle Dimensionen wurden in weiterer Folge durch charakterisierende Objekte im Detail beschrieben. Die Skala wurde durch die Entwicklung von Fragestellungen zu den einzelnen Reifegradstufen je Zieldimension festgelegt. Als Bewertungslogik wurde die Methode des PEMM nach Michael Hammer angewandt, da es Unternehmen durch fünf konkret ausformulierte Reifegradstufen je Zieldimension eine genaue Beschreibung des allgemeinen und des gewünschten unternehmensindividuellen Reifegrads ermöglicht. Weiter bietet das PEMM drei Ausprägungsmöglichkeiten, wodurch mehrere Aspekte je Reifegradstufe – rot: „im Wesentlichen unwahr“, gelb: „geringfügig wahr“ und grün: „im Wesentlichen wahr“ – abgefragt werden können (Hammer 2007). Abb. 3 zeigt die strategischen und operativen Zieldimensionen des Reifegradmodells Smart Intralogistics und deutet die entwickelten fünf Reifegradstufen je Dimension an.

Reifegradmodell Smart Intralogistics Für die Implementierung konkreter Industrie-4.0-Anwendungen in Unternehmen werden vermehrt Reifegradmodelle als Werkzeug verwendet (Lichtblau et al. 2015; Feld et al. 2012; VDMA 2015 und Bechtold et al. 2014). Diese dienen erstens der Status- und zweitens der Zielbestimmung, um Prozesse

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Abb. 3. Reifegradmodell Smart Intralogistics

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Empfehlungen für Anwender Reifegradmodelle können einzeln verwendet oder in eine Roadmap zur Umsetzung von Industrie 4.0 eingebettet werden (Bechtold et al 2014). Letztere Systematik unterstützt Unternehmen zum einen dabei, den Intralogistik-Status zu identifizieren und Verbesserungspotenziale aufzuzeigen. Zum anderen werden klare Rahmenbedingungen anhand von Folge(pilot-)Projekten geschaffen und so die Institutionalisierung der Transformation erheblich gefördert. Der Neuheitswert des hier skizzierten Vorgehensmodells ergibt sich v.a. durch zwei Aspekte: 1. Das Nutzen-/Reifegradmodell Intralogistik 4.0 beinhaltet ein integriertes Nutzenmodell für die Intralogistik, welches den Mehrwert durch den Einsatz neuer Technologien für Unternehmen aufzeigt. 2. Das Nutzen-/Reifegradmodell Intralogistik 4.0 bettet die Intralogistik-Reifegradermittlung in eine „Roadmap Industrie 4.0" mit klaren Schnittstellen zu weiteren Handlungsfeldern ein. Dieses Vorgehensmodell ermöglicht Unternehmen somit, die Vorteile smarter Intralogistik-Technologien strukturiert zu identifizieren und deren Nutzen zu bewerten. Dadurch lässt sich die Lücke zwischen Handlungsbedarf in der Intralogistik und konkreten 4.0-Transformationsaktivitäten überbrücken. IV. AUSBLICK: HANDLUNGSBEDARF FÜR DIE INTERNE LOGISTIK Die fortschreitende Automatisierung und Technisierung der gesamten Industrie prägt speziell das Forschungs- und Praxisfeld der Intralogistik (Hausladen 2014). Viele Industrieunternehmen haben erst begonnen, sich mit neuen Lösungen zur Integration der Wertschöpfungskette, insbesondere der Automatisierung und Digitalisierung der Intralogistikprozesse, auseinanderzusetzen. Sie haben mitunter Schwierigkeiten, den Nutzen und die gegenseitigen Einflussfaktoren abzuschätzen. Das entwickelte Vorgehensmodell Smart Intralogistics hilft mit seinen dargestellten drei Stufen, dieses Problem zu lösen, wodurch einerseits allgemeine Handlungsempfehlungen für die interne Logistik abgeleitet und andererseits ganz konkrete Optimierungsmaßnahmen durch den Einsatz neuer, smarter Technologien aufgezeigt werden können. Es besteht die Hoffnung das aufgrund der Fokussierung vieler Aktivitäten auf die Integration der Supply Chains, diesmal nicht nur Produktionsinvestitionen alleine betrachtet werden, sondern die dafür erforderlichen Investitionen in Logistiksysteme miteinbezogen werden. Demnach werden sich wahrscheinlich die Amortisationszeiten erhöhen, aber die langfristige Wettbewerbsfähigkeit europäischer und insbesondere österreichischer Unternehmen ebenfalls zunehmen. REFERENCES Acatech (eds.) 2011. Cyber-Physical Systems – Innovationsmotoren für Mobilität, Gesundheit. Energie und Produktion. Heidelberg u.a., Springer Verlag.

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Allweyer, T. / Knuppertz, T. 2009. EDEN – Reifegradmodell für Prozessmanagement: Prozessorientierung in Unternehmen. White Paper. Bechtold, J., Kern, A., Lauenstein, C., Bernhofer, L. 2014. Industry 4.0 – The Capgemini Consulting View – Sharpening the Picture beyond the Hype. CSC 2015. Studie „Industrie 4.0“ Ländervergleich DACH, Ergebnisse. Ehmann, R.; Wiedmann, N. 2016. Bedürfnisse der Intralogistik. Studie der IWL AG. Emmerich, V., Döbele, M., Bauernhansl, T., Paulus-Rohmer, D., Schatz, A., Weskamp, M. 2015. Geschäftsmodelle-Innovation durch Industrie 4.0 – Chancen und Risiken für den Maschinen- und Anlagenbau. München. Feld, T., Hoffmann, M., Schmidt, R. 03/2012. Industrie 4.0 – Vom intelligenten Produkt zur intelligenten Produktion, eds. IM Information Management und Consulting. 03/2012, 38 – 42. Georgiadis, P., Tagaras, G., Vlachos, D. 2004. Long-term Analysis of Closed-loop Supply Chains, eds. Dekker, R., Fleischmann, M., Inderfurth, K., van Wasenhove, L. Reverse Logistics – Quantitative Models for Closed-Loop Supply Chains. Springer, Berlin Heidelberg, 313-331. Greisberger, E., Broy, M., eds, 2012. Integrierte Forschungsagenda Cyber-Physical Systems. Günthner, W., Klenk, E., Tenerowicz. 2014. Adaptive Logistiksysteme als Wegbereiter der Indusrie 4.0, eds. Bauernhansl, T., ten Hompel, M., Vogel-Heuser, B. Industrie 4.0 in Produktion, Automatisierung und Logistik. Springer Vieweg, Wiesbaden. Hammer, M. 2007. The Process Audit. Harvard Business Review. 04/2007, 111 – 123. Hausladen, I. 2014. IT-gestützte Logistik: Systeme – Prozesse – Anwendungen. Wiesbaden. Hirnle, C. 2006. Bewertung unternehmensübergreifender ITInvestitionen: Ein organisationsökonomischer Zugang. Springer, Wiesbaden. Horváth, P. 2002. Controlling. Vahlen, München. Horzella, A. 2010. Wertsteigerung im M&A-Prozess – Erfolgsfaktoren – Instrumente – Kennzahlen. Gabler Wiesbaden. Intralogistik: Industrie 4.0 – Die Transportlogistik im Wandel, Retrieved February 08, 2016 http://intralogistik.tips/industrie-40/. Köhler-Schute, C. (eds) 2015. Industrie 4.0 – Ein praxisorientierter Ansatz. KS-Energy-Verlag, Berlin. Lichtblau, K., Stich, V., Bertenrath, R., Blum, M., Bleider, M., Millack, A., Schmitt, K., Schmitz, E., Schröter, M. 2015. Industrie 4.0-Readiness. Aachen, Köln. Lotter, W. 2015. Schichtwechsel in Brand Eins, Schwerpunkt Maschinen. 07/2015, 30-40. Materialfluss: Industrie 4.0 in der Intralogistik. Retrieved February 8, 2014, http://www.materialfluss.de/news/industrie-4-0 in-der-intralogistik/. Pape, U. 2011. Grundlagen der Finanzierung und Investition. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München. Poggensee, K. 2015. Investitionsrechnung: Grundlagen – Aufgaben – Lösungen. Springer Gabler, Wiesbaden.

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Promotorengruppe Kommunikation der Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft (eds) 2013. Umsetzungs-empfehlungen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 – Abschlussbericht des Arbeitskreises Industrie 4.0. QRC Group 2014. Industrie 4.0 = Logistik 4.0. Retrieved February 1, 2016. http://www.qrcgroup.com/2014/11/industrie-4-0-logistik-4-0/. Redelberger, J. 2014. Industrie 4.0 im Kontext Logistik – Connected Supply Chain. Retrieved February 1, 2016, https://www.de.capgemini-consulting.com/blog/digital-transformation-blog/2014/08/industrie-40-im-kontext-logistikconnected-supply-chains. Sendler, U. (eds.) 2013. Industrie 4.0: Beherrschung der industriellen Komplexität mit SysLM, Springer Verlag, Berlin Heidelberg. Rodenhäuser, B., Rauch, C. 2015. Supply Chain 2025: Eine Studie des Zukunftsinstituts für den Verband der WellpappenIndustrie. Retrieved February 2, 2016. http://www.modelgroup.com/files/VDW_Zukunftsstudie-Supply-Chain2025.pdf. Stermann, J. 2000. Business Dynamics – Systemes Thinking and Modeling for a Complex World. McGraw-Hill, Boston. VDI-Gesellschaft Fördertechnik Materialfluss Logistik 2007. VDI 4490 – Operative Logistikkennzahlen von Waren-eingang bis Versand, VDI-Handbuch Materialfluss und Fördertechnik. Band 8, Beuth Verlag, Berlin. Veigt, M., Lappe, D., Hribernik, K., Scholz-Reiter, B. 2013. Entwicklung eines cyber-physikalischen Logistiksystems, Industrie Management. 29, 15-18. Staufen AG 2014. Deutscher „Industrie 4.0“ Index, Studie. Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) 2015. Leitfaden Industrie 4.0 – Orientierungshilfe zur Einführung in den Mittelstand. VDMA Verlag, Frankfurt am Main. Wehking, K., Siepenkort, A. 2009. Branchenunabhängiger Vergleich von Distributionszentren zur Standortbewertung und –optimierung. Logistics Journal. 01.

Mag. Daniela Wilfinger studierte Wirtschaftspädagogik (Abschluss 2006) mit den Schwerpunkten Controlling und Internationales Management an der Karl-Franzens-Universität Graz, Österreich. Ein Auslandsemester an der University of Arkansas, USA rundete ihre Ausbildung ab. Arbeitserfahrungen sammelte sie unter anderen bei einer Wirtschaftstreuhandkanzlei sowie diversen Praktika in der Industrie. Seit sechs Jahren ist sie Researcherin an der FH JOANNEUM, Österreich am Institut Industrial Management.

Dipl.-Ing. Johannes Dirnberger studierte International Industrial Management (Abschluss 2016) mit den Schwerpunkten Supply Chain Management, Controlling und Business Systems an der FH JOANNEUM, Österreich. Überdies legte er im Rahmen eines DoubleDegrees das Diplom an der Universität in Udine ab. Seit März 2016 ist er als Researcher am Institut für Industriewirtschaft-Industrial Management an der FH JOANNEUM in Kapfenberg. Dipl.-Ing. Dirnberger ist WING-Mitglied und Geschäftsführer des Industrial Management Club (IMC).

Dipl.-Ing. (FH) Uwe Brunner studierte Industrial Management (Abschluss 2001) mit den Schwerpunkten Logistik und Prozessmanagement an der FH JOANNEUM, Österreich. Danach war er Bereichsleiter Logistik und SCM von Saint-Gobain Rigips Austria und Universitätslektor an der Montanuniversität Leoben. Seit acht Jahren ist er nun als Hochschullehrender an der FH JOANNEUM/Industrial Management in Kapfenberg und Graz beschäftigt Er leitet die Expertenrunde Transportmanagement des Vereins Netzwerk Logistik und ist als Sachverständiger und Gutachter tätig. Dipl.Ing. (FH) Brunner ist WING-Mitglied und auch Vizepräsident des WING Industrial Management Clubs.

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Foto: © Team Assigal/Kapfenberg

Martin Tschandl

Institut Industrial Management | Industriewirtschaft Die Studiums- und Forschungsschwerpunkte des Instituts Industrial Management / Industriewirtschaft der FH JOANNEUM am Campus Kapfenberg liegen in einer General-Management-Kombination von Technik und Wirtschaft, ergänzt um zwei Fremdsprachen, um der internationalen Ausrichtung der heimischen Industrie Rechnung zu tragen. Die bestehenden Schwerpunktthemen des Wirtschaftsingenieur-Instituts behandeln die Optimierung der Wertschöpfungskette, vor allem mittels Enterprise Resource Planning (ERP) und Prozessmanagement, Logistik und Supply Management, Controlling sowie Technischem Einkauf und Vertrieb. Ab 2017 werden im Master-Studium zusätzlich die Vertiefungen „Smart Production & Services“ und „Supply Chain Engineering“ angeboten, sowie die Industrie-4.0Lehr- und Forschungsfabrik „Smart Production Lab“ in Betrieb genommen.

1. „Zukunft braucht Herkunft“ Dieses Credo des deutschen Philosophen Odo Marquard gilt auch für Industrial Management. Der erste Jahrgang startete 1995 im ehemaligen Böhler-F&E-Gebäude in Kapfenberg und somit im Zentrum einer der größten Industrieregionen Österreichs. Seit damals führte die Entwicklung von einem Studiengang mit 160 Studierenden zu einem Institut mit fünf Studiengängen, mit 350 Studierenden und über 30 Mitarbeitern (siehe Abbildung 1). Die am Institut in Lehre und Forschung tätigen Professoren und Dozenten waren zumeist Führungskräfte in der heimischen und internationalen Industrie und werden von Lecturern und wissenschaftlichen Mitarbeitern in den jeweiligen Forschungsgruppen unterstützt. Gemeinsam mit Lehrbeauftragten aus der Praxis werden am Institut Industrial Management pro

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Abbildung 1: Entwicklung von Curricula (Studienpläne) / Jahrgängen / Studierenden bei IWI im Zeitverlauf Jahr über 280 Lehrveranstaltungen in allen fünf Studiengängen – zwei Bachelor of Engineering, zwei Master of Industrial Management / Diplomingenieur, jeweils Vollzeit und Berufsbegleitend sowie ein berufsbegleitender Weiterbildungsmaster für Einkauf/MSc – durchgeführt.

2. Die Lehre… Ein Spezifikum der Lehre ist ihre prozessorientierte Organisation, die einen erfolgreichen Abschluss in der vorgesehenen Studiendauer von 6 Semestern für das Bachelor- und 4 Semestern für das Master-Studium gewährleistet.

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Top-Thema Dies wird durch eine vordefinierte Reihenfolge der Lehrveranstaltungen sowie eine verpflichtende Anwesenheit von zumindest 80 % erreicht. Im Master-Studium bestehen außerdem zahlreiche thematische Wahlmöglichkeiten im Rahmen des Industrieprojekts, in den Vertiefungsrichtungen, in Wahlpflicht- und in freiwilligen Fächern.

sammeln. Es bestehen Double-DegreeAbkommen mit Universitäten in Taiwan, Mexico und Italien sowie Austauschprogramme mit Universitäten in Kolumbien, Südkorea und über 15 Universitäten und Hochschulen in Europa. Die Hälfte der Lehrveranstaltungen im Master-Studium findet in englischer Sprache statt.

Der Fokus des Bachelor-Studiums liegt in der Vermittlung der relevanten Grundlagen. Die Besonderheiten sind somit ... …die spezielle Technik-WirtschaftKombination (60:40), …die starke internationale Ausrichtung mit zwei Fremdsprachen und Auslandssemester-Möglichkeiten bei ca. 20 Partner-Universitäten/Hochschulen, …die speziellen Themen-Ausprägungen Produktionstechnik-Automatisierung, Prozessmanagement/ ERP-Systeme (SAP), Logistik und Controlling.

4. …und wird von angewandter Forschung angeleitet

Das Master-Studium betont die Optimierung der Wertschöpfungskette im Unternehmen und in der Supply Chain. Er fokussiert dabei speziell auf… …den technischen Einkauf und technischen Vertrieb (Vertiefung Supply Chain Engineering) …und auf die Digitalisierung/Industrie 4.0 (Vertiefung Smart Production & Services). Das Master-Studium ist seit 2016 mit dem goldenen Premium-Siegel der FIBAA, einer europäischen, international ausgerichteten Agentur für Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung in der wissenschaftlichen Bildung, zertifiziert. 3. …ist international ausgerichtet Im Verlauf des Bachelor- und MasterStudiums sind insgesamt bis zu vier Auslandssemester möglich, wobei Im Bachelor überwiegend europäische Partneruniversitäten und -hochschulen angeboten werden. Neben dem Auslandssemester wird häufig auch das Praxissemester (bis zu sechs Monate) im Ausland absolviert. Der Master „International Industrial Management“ bietet weitere Möglichkeiten, akademische und praxisorientierte internationale Erfahrungen zu

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Die Forschungsaktivitäten am Institut Industrial Management sind in Forschungsgruppen gebündelt und führen laufend zu zahlreichen Projekten und Publikationen. Die seit über 15 Jahren betriebenen Schwerpunktthemen „Vertikale IT-Integration“ (vom Shopfloor/SCADA-Ebene über MES/ERP/ Big Data zur Managementebene) und „Horizontale IT-Integration“ (über die Supply Chain, aber auch im Shopfloor selbst) werden im Rahmen der aktuellen Smart-Production-Strategie des Instituts durch die Themen Lean Production, Rüsten sowie Service Engineering ergänzt. Zusätzlich ist seit fast 20 Jahren ein Forschungsschwerpunkt zu modernen Methoden/Ansätzen des Controllings etabliert. Nach dem Planungs-/Budgetierungsschwerpunkt der letzten Jahre wird im Rahmen der International Group of Controlling und in Kooperation mit der EBS Universität für Wirtschaft & Recht und der Universität St. Gallen am Thema „Standards im Controlling“ gearbeitet. In methodischer Anlehnung an das Massachusetts Institute of Technology (MIT) werden zudem jährlich bis zu 20 Praxis- und F&E-Projekte mit Industrieunternehmen transdisziplinär und häufig gemeinsam mit den Bachelor-/ Master-Studierenden durchgeführt. Bisher konnten rund 370 dieser Projekte erfolgreich abgeschlossen werden. 5. Die Weiterbildung Die dritte Säule nach Lehre und Forschung ist an der FH JOANNEUM die Weiterbildung.

Neben projektbezogenen Weiterbildungsformaten für spezifische Zielgruppen (oft EU- oder FFG gefördert) bietet das Institut seit vielen Jahren eine knowledgefactoryIWI als jährliche Reihe von rund 15 Kurzseminaren/-workshops für den Transfer von der Hochschule in die Praxis an. Zusätzlich können über Kurzlehrgänge Zertifikate erworben werden, heuer „I4.0 – Innovation Specialist“ und „ERP/SAP“ als HochschulZertifizierung oder als Vorbereitung für TERP10-Zertifizierungen. Regelmäßige Fachtagungen (z.B. ERP-Roundtable, I4.0-Roundtable, Einkaufstagung Supply Management) und die Abendvortragsreihe „Unternehmensführung in der Praxis“ sollen die Praxis-Wirkung der Weiterbildung verstärken. Weiterbildung, aber auch Forschungsprozesse und -ergebnisse sind Anknüpfungspunkte für die bisher über 1.000 AbsolventInnen, von denen viele seit bald 20 Jahren im institutseigenen Absolventenverein Industrial Management Club (IMC) und im Österreichischen Verband der Wirtschaftsingenieure organisiert sind. Aktuelle IWI-Events im Audimax Kapfenberg: 23.3.2017 Industrie-4.0-Roundtable 4.4.2017 Abendvortrag „Wie relevant sind Innovation und neue Technologien für unsere Industrie?“, DI Rotter, Vorstand voestalpine AG 3.5.2017 Einkaufstagung „Supply Management“, (IWI mit VNL) 23.5.2017 Abendvortrag zu Industrie 4.0, Dr. Herlitschka, CEO Infineon Austria

FH-Prof. Dr. Martin Tschandl Leiter des Wirtschaftsingenieur-Instituts Industrial Management, FH JOANNEUM, Kapfenberg

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Top-Thema

Foto: © IWI FH JOANNEUM Kapfenberg

Martin Tschandl, Ernst Peßl, Siegfried Baumann

Roadmap Industrie 4.0 - Strukturierte Umsetzung von Smart Production and Services in Unternehmen Industrie 4.0 ist ein Marketing- bzw. Kommunikationslabel, das seit 2011 in (Wirtschafts-)Politik und Wissenschaft die seit Jahrzehnten fortschreitende Automatisierung und Digitalisierung in Produktionsunternehmen beschreibt und weiter vorantreibt. Zusammengefasst soll es Unternehmen unterstützen, die Produktivität zu erhöhen (Effizienz), stärker auf individuelle Kundenwünsche einzugehen (Flexibilität), neue Geschäftsfelder zu erschließen und für (potenzielle) Mitarbeiter attraktiver zu werden. Auf ihrem Weg zu „Smart Production and Services“ müssen Unternehmen in einem spezifischen Strategieprozess eine Industrie-4.0-Standortbestimmung vornehmen. Die dann zu definierenden Ziele und Strategien werden für jedes Unternehmen unterschiedlich sein. Mit einem Framework zur Entwicklung einer individuellen Roadmap zur Einführung von Industrie 4.0 können Unternehmen relevante Handlungsfelder – Einkauf, Produktion, Intralogistik, Vertrieb und Mensch – hinsichtlich deren Industrie-4.0-Reife untersuchen und daraus Ziele und Maßnahmen ableiten. 1. Einführung Verfolgt man den aktuellen Hype rund um Industrie 4.0, entsteht der Eindruck, die industrielle Fertigung der Zukunft bewege sich in Richtung Science-Fiction: Big Data, Cloud-Lösungen, Mobile Computing und das Internet der Dinge legen neben Technologiesprüngen in der Sensorik den Grundstein zur sogenannten vierten industriellen (R)Evolution. Die Fabrik der Zukunft ist quasi eine Kommunikationsfabrik: Cyber-Physical Systems (CPS), Radio Frequency Identification (RFID), Embedded Systems (ES), Sensoren, Aktoren, mobile Endgeräte und Produktionsanlagen sind miteinander – über das Internet der Dinge (IoT) – verbunden und tauschen Daten inner- und außerhalb der Werkshallen aus. Autonome

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Objekte (Werkstücke, Lager- und Fördersysteme, Roboter sowie Maschinen und Betriebsmittel), mobile Kommunikation und Echtzeitsensorik erlauben neue Paradigmen der dezentralen Fertigungssteuerung (Bauernhansl 2014, Roth 2016, Spath et al. 2013). Die Wucht der potenziellen technologischen und organisatorischen Veränderungen hat bisher einen Teil der Unternehmen davon abgehalten, eine explizite Industrie-4.0-Strategie zu generieren oder systematisch in Industrie4.0-Fähigkeiten zu investieren (AK4.0 2016). Folgende Gründe sind anzuführen, warum die Potenziale von „Smart Production and Services“ – speziell bei der Digitalisierung der vertikalen (unternehmenseigenen) Wertschöpfung und den horizontalen Wertschöpfungsketten zwischen Unternehmen – teil-

weise brach liegen (Tschandl & Mallaschitz 2016): hohe Investitionskosten aufgrund mangelnder Industrie-4.0-Tauglichkeit der bestehenden Produktionsinfrastruktur, fehlende Transparenz bzw. Quantifizierbarkeit des Nutzens von Industrie 4.0, Bedenken zur organisatorischen Veränderungsfähigkeit in den Unternehmen und zur (IT-)Sicherheit bei der Implementierung. Eine systematische Einführung bzw. Realisierung von Industrie 4.0 stellt daher für viele Unternehmen eine große Herausforderung dar. Vermehrt tritt die Frage nach einem Reifegrad- bzw. Vorgehensmodell zur strukturierten Umsetzung von Industrie 4.0 auf.

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Top-Thema 2. Vorgehensmodelle Reifegradmodelle dienen zur Standortund Zielbestimmung und bestehen aus mehreren Kriterien, die zu Dimensionen (z.B. Produkte, Abteilungen) zusammengefasst werden. Jedes Kriterium wird durch mehrere Ausprägungsstufen (Reifegrade oder Reifestufen) beschrieben. Bekannte Reifegradmodelle aus anderen Fachdisziplinen sind das European Foundation for Quality Management (EFQM)-Modell, Process and Enterprise Maturity Model (PEEM, Hammer 2007) oder das Capability Maturity (CMMI)-Modell. Vorgehensmodelle hingegen unterstützen Unternehmen bei der Umsetzung konkreter Vorhaben, indem sie die Vorgehensschritte zum Erreichen eines Zieles modellhaft abbilden. Die Gesamtaufgabe wird in einzelne kleine Prozessschritte – einfaches Beispiel: Ist-Analyse, Soll-Profil-Ermittlung und Ableitung von Maßnahmen – unterteilt und beschrieben. Dadurch wird die Komplexität des Vorhabens reduziert sowie die Planung und das Controlling des Projektes gefördert. Zusätzlich bilden Vorgehensmodelle auch den Rahmen für den Einsatz von Methoden und Werkzeugen in den einzelnen Phasen des Implementierungsprozesses (Leimeister 2012). Reifegradmodelle können isoliert verwendet oder in ein Vorgehensmodell zur Umsetzung von Industrie 4.0 eingebettet werden. Für den Einsatz von Reifegradmodellen in der betrieblichen Praxis ist die methodische Gestaltung von großer Bedeutung. Im konkreten Projekt wird eine fünfstufige Skala zur Reifegradermittlung von Industrie 4.0 im Unternehmen verwendet, wobei „Stufe 1“ als Basis und „Stufe 5“ als maximale Ausprägung definiert ist. Jede dieser Reifegradstufen enthält Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit die Stufe als erreicht gilt. Unternehmen können durch Selbstbewertung/Assessments ihren Reifegrad ermitteln, indem für jedes Kriterium die vorhandene Ausprägungsstufe dargestellt wird. Je stärker die einzelnen Kriterien ausgeprägt sind, desto höher ist der Reifegrad im Unternehmen (Allweyer & Knuppertz 2009). Abbildung 1 zeigt einen Auszug von Reifegrad- und Vorgehensmodellen zur Selbstbewertung und Umsetzung von Industrie 4.0 in Unternehmen.

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Abbildung 1: Reifegrad- und Vorgehensmodelle Die dargestellten Ansätze unterscheiden sich hinsichtlich Umfang (Reifegrad- oder Vorgehensmodell), Vorgehen (Phasen) und auch Schwerpunkten (Technologie, Strategie und Prozesse). Ein allgemeingültiges Konzept ist für die Umsetzung von Industrie 4.0 im Unternehmen nicht anwendbar. Daher bedarf es eines individuellen Transformationsprozesses zu Industrie 4.0, um die spezifischen Industrie-4.0-Potenziale ermitteln, bewerten und nutzen zu können (Seiter et al. 2016). 3. Roadmap Industrie 4.0 Das Institut Industrial Management der FH JOANNEUM entwickelte im Zuge eines angewandten Forschungsprojektes gemeinsam mit einem international renommierten Industrieunternehmen eine Roadmap zur Einführung von Industrie 4.0 (Abb. 2). Die drei Phasen Roadmap-Analyse, Ziele und Umsetzung sind in sechs Teilschritte (Steps) unterteilt, die sequenziell zu durchlaufen sind. Dadurch wird eine Systematik beim Identifizieren der aktuellen Industrie-4.0-Reife im Unternehmen und der vorhandenen Kompetenzen sowie bei der Definition von Soll-Zuständen gewährleistet. Den Kern der Roadmap bilden fünf Reifegradmodelle. Sie decken die Handlungsfelder Einkauf, Produktion, Intralogistik, Vertrieb und Mensch ab und sind aus dem Ansatz der Wertstromanalyse abgeleitet (Erlach 2010). In diesen Handlungsfeldern wird der Fokus auf die interne vertikale IT- und die unternehmensübergreifende horizontale IT-Integration gelegt. Das ergänzende Reifegradmodell Mensch ist

handlungsfeldübergreifend und deckt die notwendigen Kompetenzen und organisatorischen Anforderungen ab. Dieses wird separat dargestellt, um die Position und Relevanz des Menschen als zentralen Bestandteil bei Industrie 4.0 zu unterstreichen (Spath et al. 2013). Die Roadmap stellt einen BottomUp-Ansatz dar, indem die Fachbereiche sowohl den Ist-Zustand analysieren als auch selbständig den Soll-Zustand – natürlich im Rahmen der Unternehmensstrategie – definieren. Die fünf Reifegradmodelle ermöglichen, den Betrachtungsumfang im Unternehmen individuell und flexibel zu gestalten. Somit können im Transformationsprozess sowohl einzelne ausgewählte Bereiche berücksichtigt als auch alle fünf Handlungsfelder gleichzeitig bearbeitet werden. Im Anschluss an die Festlegung der Soll-Zustände werden die erforderlichen Maßnahmen zur Umsetzung abgeleitet. Diese gilt es in weiterer Folge zu bewerten, um Schwerpunkte zu setzen und Maßnahmen zu filtern. In der letzten Phase werden die bewerteten Maßnahmen ausgewählt und in eine Balanced Scorecard aufgenommen. Schließlich wird die individuelle Roadmap für das Unternehmen definiert – das heißt, die zeitliche Reihenfolge der geplanten Maßnahmen in Form von konkreten Projekten festgelegt. In Step 1 gilt es, ein Bewusstsein für Industrie 4.0 im Unternehmen und bei den direkt beteiligten Mitarbeitern zu schaffen. Ein Startworkshop soll hierfür einen Impuls erzeugen, indem die wesentlichen Inhalte, Konzepte und Technologien von Industrie 4.0 vorgestellt werden. Der Workshop enthält

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Top-Thema

Abbildung 2: Roadmap Industrie 4.0 auch eine stetig wachsende Sammlung an Industrie 4.0-Use Cases, um einerseits die praktische Umsetzung von I4.0-Technologien zu zeigen und dadurch das Thema greifbarer zu machen und andererseits, um den erzielbaren Nutzen durch die Anwendung von (neuen) Technologien (beispielsweise intelligente smarte Produkte) für Unternehmen aufzuzeigen. Zudem ist es wichtig, im Startworkshop den Umfang des geplanten Vorhabens – die Anzahl der Handlungsfelder (Step 2) – zu definieren und zu kommunizieren, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter frühzeitig in den Change-Prozess eingebunden sind und der Transformationsprozess zu Industrie 4.0 nachhaltig abgesichert ist. Durch diesen Impuls werden im Zuge eines erweiterten Industrie-4.0-Strategieworkshops auch die Chancen und Risiken (externe Sicht) von I4.0 für das Unternehmen sowie deren Stärken und Schwächen (interne Sicht) erarbeitet (Rusch et al. 2016). In Step 2 geht es darum, den Status und die vorhandenen Kompetenzen im Unternehmen in Hinblick auf Industrie 4.0 zu erheben. In jedem der fünf entwickelten Reifegradmodelle für die Handlungsfelder Einkauf, Produktion, Intralogistik, Vertrieb und Mensch gibt es spezifische Fragen zu strategischen Überlegungen und operativen Prozessen im Unternehmen. Für jede Fragestellung sind wiederum fünf Reifestufen formuliert, die aufeinander aufbauen. Stufe 1 beschreibt einen Zustand mit wenig bis keiner IT-Nutzung und sehr anlassbezogen gesteuerten Prozessen. Ab Stufe 3 wird ein Enterprise Resource Planning (ERP)-System,

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soweit möglich, verwendet. Zusätzlich laufen die Prozesse strukturiert und geplant ab, und es muss nicht mehr kurzfristig auf Ereignisse reagiert werden. In Stufe 4 werden die vorhandenen Möglichkeiten aktueller, spezifischer IT-Systeme wie Supplier Relationship Management (SRM) für den Einkauf, Manufacturing Execution System (MES) für die Produktion, Customer Relationship Management (CRM) für den Vertrieb und Warehouse Management System (WMS) für die Intralogistik genutzt. Stufe 5 stellt die maximale Ausprägung dar – einen teilweise noch visionären Ansatz auf Grund möglicher Technologien von Industrie 4.0. Auf Grund der Tatsache, dass Industrie 4.0 ein langfristiger Entwicklungsprozess ist und zukünftige technologische Entwicklungen noch nicht vorhergesagt werden können, beschreiben die Reifegradmodelle einen aktuellen Zustand dieser Entwicklung. Daher wird es notwendig sein, „Stufe 5“ zukünftig weiterzuentwickeln und die vorhandenen Reifestufen jeweils um eine Stufe zurück zu reihen – das heißt, die aktuelle Stufe 5 wird zukünftig die Stufe 4 beschreiben (VDMA Forum 2015). Es ist in der Entwicklung und Formulierung der Reifestufen für die jeweiligen Handlungsfelder von Relevanz, den Reifestatus hinreichend realistisch zu evaluieren, um Unternehmen „abzuholen“ und einen für sie möglichen Entwicklungspfad in Richtung Industrie 4.0 aufzuzeigen. In der Unternehmenspraxis kommt es vor, dass bestimmte Anforderungen je Reifestufe nur teilweise erfüllt werden, bzw. Reifestufen nicht vollständig im gesamten Unternehmen umgesetzt

sind, weshalb die Bewertungslogik von Hammer (2007) Anwendung findet. Demnach gilt eine Reifestufe bei über 80 % Umsetzungsgrad der Ansätze als vollständig, zwischen 20 % und 80 % als teilweise und bei weniger als 20 % der Kriterien als nicht erfüllt. In Step 3 ist der Soll-Zustand je Handlungsfeld zu definieren. Im Rahmen der Unternehmens- und Industrie4.0-Strategie erörtern interdisziplinäre Expertengruppen in Workshops, welche zukünftigen Soll-Zustände erreicht werden müssen, damit deren Fachbereiche einen Beitrag zur Erfüllung der geplanten Industrie-4.0-Strategie leisten. Das Reifegradmodell des jeweiligen Handlungsfelds dient hier auch der Bestimmung der Soll-Zustände, indem für jede Zieldimension eine Reifestufe als Ziel definiert wird. Dabei ist die maximale Ausprägung (Reifestufe 5) als genereller Soll-Zustand zu vermeiden. Vielmehr können aufgrund unternehmensspezifischer Schwerpunkte und Strukturen auch niedrigere Reifestufen die Anforderungen des betrachteten Handlungsfeldes erfüllen. Auf Basis der definierten Soll-Profile je Handlungsfeld ist es in Step 4 notwendig, konkrete Maßnahmen abzuleiten, zu dokumentieren und zu bewerten, um das Delta zwischen Ist und Soll zu eruieren. Mögliche Maßnahmen können dabei teilweise direkt aus den Formulierungen der Reifestufen abgeleitet werden oder sind bei Bedarf zu ermitteln. Die Maßnahmen werden hinsichtlich Aufwand (0… gering - 6…hoch) und Nutzen (0…gering - 6…hoch) bewertet und mit den geschätzten Kosten dargestellt. Durch diese Darstellungsform lassen sich erste „Quick Wins“ identifizieren. In Step 5 werden die zuvor definierten Ziele (Soll-Profil) und Maßnahmen hinsichtlich Relevanz und Beitrag zur Unternehmensstrategie selektiert. In weiterer Folge wird vorgeschlagen, die ausgewählten Ziele und Maßnahmen in eine Balance Scorecard (BSC) aufzunehmen, ergänzt um Kennzahlen und konkrete Zielvorgaben zur Überprüfung der Umsetzung und Zielerreichung. In Step 6 des Vorgehensmodells wird die konkrete Umsetzung mit Industrie4.0-Projekten geplant und mit Budgets verbunden bzw. verbindlich gemacht. Es empfiehlt sich, mit Pilotprojekten zu starten und die gewonnenen Er-

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Top-Thema fahrungen aus den verschiedenen Teilprojekten jeweils in die nächsten Planungs- und Umsetzungsintervalle im Rahmen der Gesamtmigration einfließen zu lassen. Dadurch können auftretende Probleme beim Rollout in einem Unternehmensbereich frühzeitig erkannt und behoben werden. Ergänzt um Kosten-Nutzen-Betrachtungen für abgeschlossene Pilot- oder Teilprojekte sind diese Erfahrungen wichtig für die Umsetzungsplanung zukünftiger Projekte (Bildstein & Seidelmann 2014). 4. Fazit Die Verfolgung einzelner Industrie4.0-Vorhaben in einem Unternehmen führt nicht zwangsläufig zu einem hohen Industrie-4.0-Status. Denn bei der konkreten Umsetzung und Operationalisierung definierter Industrie4.0-/Digitalisierungsprojekte scheitern Unternehmen oft an der Herausforderung, aus den breit formulierten Themenstellungen den richtigen Mix aus messbaren, handhabbaren Projekten zu definieren. Das entwickelte Konzept einer Industrie-4.0-Roadmap erlaubt Unternehmen, über fünf wesentliche Handlungsfelder (Einkauf, Produktion, Intralogistik, Vertrieb und Mensch) und deren Industrie-4.0- Reife, Digitalisierungsziele und budgetwirksame Maßnahmen zu deren Erreichung abzuleiten. Dabei wird der Fokus auf die interne vertikale IT- und die unternehmensübergreifende horizontale ITIntegration gelegt, da hier in vielen Unternehmen wesentliche Potenziale der Digitalisierung liegen: Effizenz, Flexibilität und neue Geschäftsmodelle. Referenzen: AK4.0 (2016): Der Arbeitskreis „Industrie 4.0 – Betriebswirtschaftliche Fragestellungen im Fokus“ umfasst Institute der Universität Ulm, 20 Industriepartner, IHK Ulm und den Internationalen Controller Verein (ICV): http:// www.ipri-institute.com/ak40/. Allweyer, T. & Knuppertz, T. (2009): EDEN – Reifegradmodell für Prozessmanagement: Prozessorientierung in Unternehmen, White Paper. Bauernhansl, T. (2014): Die Vierte industrielle Revolution – Der Weg in ein wertschaffendes Produktionsparadigma. In: Bauernhansl, T. & ten Hompel, M. & Vogel-Heuser, B. (Hrsg.): Industrie 4.0 in Produktion, Auto-

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matisierung und Logistik, Wiesbaden, S. 5-35. Bildstein, A. & Seidelmann, J. (2014): Industrie-4.0-Readiness: Migration zur Industrie-4.0-Fertigung. In: Bauernhansl, T. & ten Hompel, M. & VogelHeuser, B. (Hrsg.): Industrie 4.0 in Produktion, Automatisierung und Logistik, Wiesbaden, S. 580-597. Erlach, K. (2010): Wertstromdesign – Der Weg zur schlanken Fabrik, Berlin. Hammer, M. (2007): The Process Audit. In: Harvard Business Review, April 2007, S. 111-123. Leimeister, J. M. (2012): Dienst leistungsengineering und -management, Berlin/Heidelberg. Merz, S. L. (2016): Industrie 4.0 – Vorgehensmodell für die Einführung. In: Roth, Armin: Einführung und Umsetzung von Industrie 4.0, Berlin/ Heidelberg, S. 83-110. Roth, A. (2016): Industrie 4.0 – Hype oder Revolution? In: Roth, A. (Hrsg.): Einführung und Umsetzung von Industrie 4.0, Berlin/Heidelberg, S. 3-10. Rusch, M. , Treusch, O., David, U. & Seiter, M. (2016): Industrie 4.0 – Controllers Aufgaben. In: Controller Magazin, 3, S. 70-79. Seiter, M., Bayrle, C., Berlin, S., David, U., Rusch, M. & Treusch, O. (2016): Roadmap Industrie 4.0 – Ihr Weg zur erfolgreichen Umsetzung von Industrie 4.0, Hamburg. Spath, D., Ganschar, O., Gerlach, St., Hämmerle, M., Krause, T. & Schlund, S. (Hrsg.) (2013): Studie Produktionsarbeit der Zukunft – Industrie 4.0, Fraunhofer, Stuttgart. Tschandl, M. & Mallaschitz, C. (2016): Industrie 4.0: Controller als Treiber einer strategischen Neuausrichtung. In: Der Controlling-Berater, 43, S. 85-106. VDMA Forum Industrie 4.0 (2015): Leitfaden Industrie 4.0 – Orientierungshilfe zur Einführung in den Mittelstand, Frankfurt am Main.

FH-Prof. Dr. Martin Tschandl Leiter des Wirtschaftsingenieur-Instituts Industrial Management, FH JOANNEUM, Kapfenberg

Dipl.-Ing. (FH) Ernst Peßl Lehrender am Wirtschaftsingenieur-Institut Industrial Management, FH JOANNEUM, Kapfenberg

Dipl.-Ing. Siegfried Baumann Head of Global Procurement and Supply Chain Services bei Flex Autoren:

FH-Prof. Dr. Martin Tschandl ist Leiter des Wirtschaftsingenieur-Instituts Industrial Management an der FH JOANNEUM in Kapfenberg. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte: Controlling, strategische Unternehmensentwicklung und Industrie 4.0. Dipl.-Ing. (FH) Ernst Peßl ist Lehrender am Wirtschaftsingenieur-Institut Industrial Management an der FH JOANNEUM in Kapfenberg. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte: Industrie 4.0, Enterprise Resource Planning, Manufacturing Execution Systems. Dipl. Ing. Siegfried Baumann ist Head of Global Procurement and Supply Chain Services bei Flex mit dem Schwerpunkt Optimierung durch Digitalisierung der weltweiten Supply Chain.

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Foto: (c) die Industrie, Fotograf: Mathias Kniepeiss

Christian Bischof, Gottfried Obmann, Herbert Kohlbacher

Potenziale der Digitalisierung für das Management von Lieferantennetzwerken Sowohl in der betriebswirtschaftlichen Theorie als auch in der betrieblichen Praxis besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass dem aktiven Management der Lieferkette eine zunehmende Bedeutung einzuräumen ist. Vor allem die Frage, wie unternehmensübergreifende Zusammenarbeit zu steuern ist, um die Potenziale in der Supply Chain bestmöglich auszuschöpfen, wird intensiv diskutiert (Wildemann 2016). In den letzten Jahren hat sich zunehmend die Netzwerkebene als (die umfassendste) Betrachtungsebene des Supply-Chain-Managements etabliert, wobei es hier in Theorie und Praxis noch Auffassungsunterschiede gibt. Während in der Literatur unterschiedliche Definitionen von Netzwerken zu finden sind, ist in der Praxis oft das Phänomen anzutreffen, dass sich die Unternehmen – vor allem jene an den Rändern des Netzwerkes – oft gar nicht bewusst sind, dass sie über bilaterale Beziehungen Teil eines Netzwerkes sind.

1. Problemfelder des Managements von Lieferantennetzwerken Aufgrund ihrer Komplexität besteht für das Management von Lieferantennetzwerken Optimierungspotenzial, das sich aus den folgenden technologischen, ökonomischen und organisatorischen Problemfeldern ableiten lässt. Technologische Problemfelder bestehen vor allem darin, dass die technischen Voraussetzungen für die Einbindung in das Netzwerk sowie die hierfür erforderliche Infrastruktur auf Ebene der transaktionalen Systeme nicht definiert sind. Somit ist der elektronische Austausch von Daten in Echtzeit häufig nicht möglich oder wird nur unzureichend unterstützt. Besondere Herausforderungen stellen dabei die Kompatibilität und die Synchronisation der von

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den Netzwerkpartnern eingesetzten Enterprise-Resource-Planning-(ERP-) Systeme dar. Aufgrund des fehlenden oder inhaltlich und/oder zeitlich unzureichenden Datenaustausches zwischen den ERP-Systemen von Abnehmern und Lieferanten kommt es potenziell zu logistischen Verschwendungen oder abweichenden Produktionsmengen im Netzwerk. Diese Reibungsverluste an den Schnittstellen führen zu einer verminderten Netzwerkfähigkeit und in weiterer Folge zu erhöhten Transaktionskosten. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Volatilität der Einflussfaktoren ist es jedoch erforderlich, im Netzwerk sehr zeitnah auf relevante Veränderungen zu reagieren oder sie sogar zu antizipieren (Helmold & Terry 2016). Ökonomische Problemfelder sind beispielsweise durch die steigende

Bedeutung des Networking-CapitalManagements begründet und führen bereits heute – in Zukunft vermehrt – zu kleineren Stückzahlen auf Abruf. Zusätzlich verhindert die zunehmend geforderte Individualisierung der Produkte eine Produktion auf Vorrat. Um auf diese beiden beispielhaft genannten Entwicklungen zeitnah und flexibel reagieren zu können, bedarf es einer stärkeren Vernetzung und zeitnahen Kommunikation zwischen den Unternehmen. Ein fehlendes oder unzureichendes Management der Informations- und Materialflüsse führt auch in (schlecht) gemanagten Lieferantennetzwerken zu Bullwhip-Effekten, die wiederum Nachfrage- und Bedarfsschwankungen rückwärts in der Lieferkette verstärken. Die Konsequenzen sind längere Durchlaufzeiten und unterschiedliche Auslastungsgrade in der

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Top-Thema gesamten Supply Chain. In weiterer Folge steigt das Working Capital, z. B. durch höhere Lagerbestände, Inbound im Zukauf- oder Rohmateriallager und Outbound im Fertigwarenlager. Organisatorische Problemfelder entstehen in Lieferantennetzwerken vor allem dann, wenn ein datenorientierter und analytischer Managementansatz auf gewachsene Organisationsstrukturen trifft. Dieser Paradigmenwechsel erfordert einen Kulturwandel im Sinne eines wechselseitigen Vertrauens in die übermittelten Daten, die beispielsweise beim Lieferanten in Echtzeit in die Produktionsplanung und -steuerung einfließen. Ausgangspunkt weiterer organisatorischer Problemfelder in Netzwerken sind nicht harmonisierte Erfassungsmethoden von Leistungsdaten. Die Folge sind unterschiedliche Ergebnisse bei der Ermittlung betriebswirtschaftlicher Kennzahlen wie Liefertreue, Anlieferqualität oder optimaler Losgrößen und somit Probleme bei der Interpretation durch die Netzwerkpartner. 2. Ansätze der Digitalisierung im Lieferantennetzwerk Die Digitalisierung bietet nun Ansatzpunkte, um die angeführten Problemfelder zu reduzieren und dadurch das Optimierungspotenzial zu realisieren. Die digitale Transformation wird heute überwiegend im Zusammenhang mit Industrie 4.0 diskutiert und umfasst zum einen die technische Integration von cyberphysischen Systemen in Produktion und Supply Chain und deren Vernetzung über das Internet der Dinge sowie zum anderen die Implikationen auf die Wertschöpfung, Geschäftsmodelle, Arbeitsorganisation und nachgelagerte Dienstleistungen. Der potenzielle Nutzen der Digitalisierung liegt somit in einer höheren Effizienz bzw. Produktivität im Bereich der internen Organisation/Prozesse, einer größeren Flexibilität in Bezug auf sich ändernde externe Marktsituationen und Kundenbedürfnisse sowie neuen Geschäftsmodellen (Tschandl, Schentler & Bischof 2016). Es bedarf nicht nur einer, sondern einer Reihe moderner Technologien und Systeme – auf der operativen, der Beziehungs- und der strategischen Ebe-

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ne des Netzwerkes –, um die dargestell- Weise können unterschiedliche Szenaten Problemfelder des Managements rien im Sinne einer What-if-Betrachvon Lieferantennetzwerken zu beseiti- tung analysiert sowie ein Frühwarnsygen und die Optimierungspotenziale stem zur zielgerichteten Überwachung zu realisieren. Das daraus resultierende und Steuerung externer Volatilitäten Schichtmodell ist in Abbildung 1 darge- etabliert werden (Mehanna, Müller & stellt. Die schnelle und präzise Vorhersage von externen Marktentwicklungen sowie der daraus result ierenden Absatz- und Umsatzverläufe stellt in der Praxis eine zentrale Herausforder ung im Rahmen der Planung dar. Abbildung 1: Schichtmodell der Digitalisierung von In Lieferanten- Lieferantennetzwerken netzwerken wird diese Problematik durch den Tunco 2015, Möller & Pieper 2015). In Bullwhip-Effekt, d.h. das zunehmende Lieferantennetzwerken stellen diese Aufschaukeln von Nachfrage- bzw. Forecasts und Szenarien eine belastbare Bedarfsschwankungen entlang der Grundlage für die (deterministische) Supply Chain, noch verstärkt. Es wer- Planung und Koordination der nachden daher Ansätze benötigt, die auch gelagerten Materialflüsse im Netzwerk vor dem Hintergrund einer steigenden dar, bedingen jedoch eine rasche VerUnsicherheit und höheren Volatili- fügbarkeit der Prognoseinformationen tät sowie der Vielzahl relevanter Ein- (Ereth & Kemper 2016). flussfaktoren die Prognostizierbarkeit zukünftiger Markt- und Absatz- bzw. Ein weiteres wesentliches Element Umsatzentwicklungen (Möller et al. auf der operativen Ebene des vorge2016) ermöglichen. Dies wird durch stellten Schichtmodells für ein digiden Einsatz Big-Data-basierter Ansätze tales Management von Lieferantenwie Predictive Analytics erreicht. Darun- netzwerken sind Echtzeitsysteme. Ziel ter sind Ansätze zu verstehen, die auf des Einsatzes dieser Systeme im LiefeBasis statistischer Modelle und Algo- rantennetzwerk ist es, die Daten eines rithmen Beziehungen in historischen Prozesses allen relevanten NetzwerkDaten identifizieren und daraus Aus- partnern ohne wahrnehmbare Verzösagen über zukünftige Entwicklungen gerung zur Verfügung zu stellen. Dazu ableiten. Das Nutzenpotenzial von Pre- werden In-Memory-Datenbanken eindictive Analytics für das Management gesetzt, welche die gesamte Datenvon Lieferantennetzwerken liegt somit bank im Hauptspeicher verwalten. Die in der Erstellung von automatisierten, deutlich schnelleren Zugriffszeiten auf statistisch abgesicherten Prognosen auf den Hauptspeicher im Vergleich zu Basis interner und externer Daten, die herkömmlichen Plattenspeichern, der eine höhere Treffsicherheit haben als Wegfall des Übertragungsweges zwitraditionell erstellte Vorhersagen. Die- schen Festplatte und Hauptspeicher se Prognosen werden in weiterer Folge sowie die Weiterentwicklung von Dain werttreiberbasierte Planungs- und tenbankmodellen ermöglichen eine Simulationsmodelle übernommen, wel- hoch performante Verarbeitung großer che die Interdependenzen sowie Zeit- Datenmengen. Das Optimierungspoversatzeffekte der einzelnen Einflussfak- tenzial dieser Technologien in Lieferantoren und Elemente berücksichtigen. tennetzwerken besteht vor allem in der Die Teilelemente des Treiberbaumes signifikant schnelleren Durchführung werden über mehrere Stufen zu Key- des Manufacturing-Resource-PlanningPerformance-Indikatoren verdichtet (MRP-)Prozesses. Bisher wurden die und in Forecasts integriert. Auf diese hierfür erforderlichen Berechnungen

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Top-Thema und Verarbeitungsschritte entweder als Batch-Prozesse im ERP-System (aus Performancegründen häufig außerhalb der Betriebszeiten) durchgeführt oder auf Advanced-Planning-Systeme ausgelagert. Mit In-Memory-Computing ist es nunmehr möglich, den MRP-Lauf ohne wesentliche Zeitverzögerungen im ERP-System durchzuführen und somit auf veränderte Absatzprognosen sowie auf Unregelmäßigkeiten oder Unterbrechungen im Materialfluss unmittelbar zu reagieren. Durch die zeitnahe Weitergabe der aktualisierten Bedarfe an die Netzwerkpartner wird eine Optimierung der Supply Chain in zweifacher Hinsicht erreicht. Zum einen können die Reaktionszeiten entlang der Wertschöpfungskette reduziert werden, was zu einer höheren zeitlichen Flexibilität, zu niedrigeren Durchlaufzeiten sowie zu einer Erhöhung der Liefertreue führt. Zum anderen erhöht die Datenverarbeitung und -weitergabe in Echtzeit die Transparenz und Stabilität der Materialflüsse im Netzwerk, wodurch die Lagerbestände und somit das Net Working Capital gesenkt werden können (Alt & Österle 2004, Greiner 2016). Neben der Informationsverarbeitung kommt bei Lieferantennetzwerken also auch dem zeitnahen Informationsfluss eine besondere Bedeutung zu. Zwar werden bereits seit Jahren Technologien zum Datenaustausch wie EDI oder im SAP-Umfeld IDOCs (Intermediate Documents) eingesetzt, jedoch sind die solcherart realisierten Schnittstellen häufig wenig flexibel und/oder erfordern eine detaillierte Kenntnis der zu verbindenden Systeme hinsichtlich Datenstrukturen und funktionaler Prozeduren (Wegelin & Engelbrecht 2014). Aufgrund der bestehenden Heterogenität der von den Netzwerkpartnern eingesetzten IT-Systeme ist es für die Implementierung digitaler Integrationsszenarien zweckmäßig, offene und plattformübergreifende SchnittstellenTechnologien einzusetzen. In diesem Kontext haben sich Web-Services etabliert, die durch offene Standards wie XML und http(s) als Transportprotokoll eine breite Nutzung des Internets für die unternehmensübergreifende Integration von Daten und Funktionen ermöglichen. Nachdem viele SoftwareHersteller diese Standards bereits in

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ihre Produkte integriert haben, ist die Datenübermittlung über Web-Services einem erweiterten Nutzerkreis zugänglich. Parallel zu Web-Services etablieren sich zunehmend RepresentationalState-Transfer-(REST)-Services für den internet-basierten Datenaustausch zwischen Unternehmen. Da bei REST-Services die zu übertragenden Daten frei vereinbar und nur wenige Metadaten zu übertragen sind, reduziert sich das Datenvolumen. Die Entwicklung derartiger Schnittstellen wird fortlaufend vereinfacht und ist infolge dessen rascher realisierbar (Mathas 2007, Weinschenker 2012), woraus sich ein hohes Optimierungspotenzial für die Integration der unterschiedlichen, im Lieferantennetzwerk vorhandenen ITSysteme ergibt. Eine lediglich geringe Unterstützung durch digitale Technologien besteht derzeit auf der Beziehungsebene. Zwar sind bereits seit Jahren Enterprise-SocialMedia-Lösungen am Markt verfügbar, welche versuchen, die Kommunikation und Kooperation im und zwischen Unternehmen durch Werkzeuge wie Wikis, Instant Messaging, Teamräume oder Blogs zu fördern (Koch & Richter 2009), jedoch mangelte es hierbei tendenziell am Geschäfts- und Zielbezug. Das Optimierungspotenzial von Enterprise-Social-Media-Systemen für das Management von Lieferantennetzwerken besteht somit in der Integration strukturierter, geschäftsbezogener Informationen aus den Systemen der operativen Ebene wie ERP- oder Planungssystemen. Auf Basis von webbasierten Services können Businessobjekte, wie beispielsweise Lieferantenstammdaten, offene Bestellungen oder offene Zahlungen in interaktive Systeme eingebunden und dargestellt werden. Mit Hilfe der Benutzerverwaltung und -zuordnung im Enterprise-SocialMedia-System können diese Informationen flexibel und themenspezifisch einem ausgewählten Adressatenkreis innerhalb des Netzwerkes zur Verfügung gestellt werden. Bei Echtzeitintegration dieser Informationen – etwa in einen Blog – ist es den beteiligten Netzwerkpartnern somit möglich, auf Basis aktueller Daten effizient und zielgerichtet, jedoch trotzdem flexibel zu kommunizieren. Auf der strategischen Ebene des Lieferantennetzwerkes bietet sich der Einsatz von Supplier-Relationship-Ma-

nagement-(SRM-)Systemen an, deren Zielsetzungen in der Reduktion von Kosten und Durchlaufzeiten für strategische und operative Beschaffungsprozesse sowie in der Erhöhung der Prozessqualität liegen (Appelfeller & Buchholz 2011). Die Potenziale für das strategische Management von Lieferantennetzwerken bestehen somit zunächst in der Unterstützung bei der Suche und Integration neuer Lieferanten in das Netzwerk sowie in der Entwicklung bestehender Lieferanten. Darüber hinaus tragen SRM-Systeme auch zur Effizienzsteigerung und Qualitätssicherung strategischer und operativer Beschaffungsprozesse im Lieferantennetzwerk bei, beispielsweise durch die Integration der Netzwerkpartner in einem Lieferantenportal. 3. Fazit Unternehmen mit optimierten Supply Chains haben die besten Chancen, sich im globalen Wettbewerb durchzusetzen. Neben einer Abkehr von traditionellen Abnehmer-Lieferanten-Beziehungen hin zu Lieferantennetzwerken bedarf es hierzu auch des Einsatzes moderner digitaler Technologien. Bei der Implementierung dieser Technologien ist es zweckmäßig, einen sequenziellen Ansatz zu verfolgen, wobei auch hier wieder auf das in diesem Beitrag vorgestellte Schichtmodell der Digitalisierung von Lieferantennetzwerken zurückgegriffen werden kann. Am Beginn steht zunächst die grundlegende Entscheidung auf der strategischen Ebene, netzwerkartige Strukturen aufzubauen und (weitere) Lieferanten digital zu integrieren. Hierzu sind die traditionellen Kriterien um technologische Kriterien, wie Systemanforderungen, Schnittstellen oder Datensicherheit, zu ergänzen, um eine möglichst rasche und vollständige Integration in das Lieferantennetzwerk zu gewährleisten. In weiterer Folge empfiehlt es sich, mit der Implementierung digitaler Technologien auf der operativen Ebene des Lieferantennetzwerkes zu beginnen, da diese Ebene die technologische und/oder Datengrundlage für die darüber liegenden Ebenen des Schichtmodells darstellt. Darüber hinaus bestehen

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Top-Thema auf der operativen Ebene häufig wesentliche und kurzfristig realisierbare Optimierungspotenziale in Bezug auf Zeit und Kosten. Die Implementierung digitaler Technologien induziert jedoch bei vielen Unternehmen einen Technologiewandel mit entsprechenden Einstiegsbarrieren bzw. -kosten. Mögliche Lösungsansätze bestehen hier im Einsatz cloudbasierter ERP-Systeme sowie der Nutzung von Self-Service-Plattformen im Bereich von Big Data und Advanced Analytics. Auf der Beziehungsebene sind mit Hilfe digitaler Technologien in weiterer Folge Kommunikationsplattformen zu etablieren, die es ermöglichen, auch in einem komplexen und dynamischen Umfeld zeitnah auf die relevanten Informationen im Netzwerk zurückzugreifen. Neben einer höheren Flexibilität trägt ein intensiver und regelmäßiger Informationsaustausch dazu bei, ein besseres Verständnis sowohl für die internen Prozesse als auch die Ziele der Partner zu entwickeln, was sich positiv auf die langfristige Stabilität des Lieferantennetzwerkes auswirkt. Die Digitalisierung von Lieferantennetzwerken ist somit als ein Prozess der schrittweisen Einführung und kontinuierlichen Erweiterung moderner digitaler Technologien zu verstehen, um die Gesamtleistung der Wertschöpfungskette sowohl kurz- als auch langfristig zu optimieren. Referenzen: Alt R. & Österle H. (2004): Real-time Business: Lösungen, Bausteine und Potenziale des Business Networking (Business Engineering), Berlin Heidelberg. Appelfeller W. & Buchholz W. (2011): Supplier Relationship Management: Strategie, Organisation und IT des modernen Beschaffungsmanagements, 2. Auflage, Wiesbaden. Ereth, J. & Kemper H.-G. (2016): Business Analytics und Business Intelligence. In: Controlling – Zeitschrift für erfolgsorientierte Unternehmenssteuerung, Heft 8-9, 28. Jg., S. 458-464. Greiner E. (2016): SAP-Materialwirtschaft – Customizing, 3. Auflage, Bonn. Helmold M. & Terry B. (2016): Lieferantenmanagement 2030. Wertschöpfung und Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit in digitalen und globalen Märkten, Wiesbaden.

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Koch M. & Richter A. (2009): Enterprise 2.0 – Planung, Einführung und erfolgreicher Einsatz von Social Software in Unternehmen, 2. Auflage, München. Mathas C. (2007): SOA intern: Praxiswissen zu Service-orientierten ITSystemen, München. Mehanna, W., Müller F. & Tunco, C. (2015): Predictive Forecasting und die Digitalisierung der Unternehmenssteuerung. In: IM+io Fachzeitschrift für Innovation, Organisation und Management, Heft 4 | Dezember, S. 28-32. Möller, K., Federmann, F., Pieper, S. & Knezevic, M. (2016): Predictive Analytics zur kurzfristigen Umsatzprognose. In: Controlling – Zeitschrift für erfolgsorientierte Unter nehmenssteue rung, Heft 8-9, 28. Jg., S. 509-518. Möller, K. & Pieper, S. (2015): Predictive Analytics im Controlling. In: IM+io Fachzeitschrift für Innovation, Organisation und Management, Heft 4 | Dezember, S. 40-45. Tschandl, M., Schentler, P. & Bischof, C. (2016): Digitalisierung im Einkauf – Technologien und Anwendungsbeispiele. In: WINGbusiness, Heft 04, S. 29-33. Wegelin M. & Englbrecht M. (2014): SAPSchnittstellenprogrammierung, 3. Auflage, Bonn. Weinschenker J. (2012): https://blog.holisticon. de/2012/11/webservices-mit-rest-und-nicht-mitsoap/, abgerufen am 8. Februar 2017. Wildemann H. (2016): Vernetzte Wertschöpfung. Schlank – Nachhaltig – Digitalisiert: Erfolgsmuster, München.

Autoren: Dr. Christian Bischof ist Leiter des berufsbegleitenden Masterstudiums International Supply Management an der der FH JOANNEUM in Kapfenberg. Seine Forschungs- und Lehr-

Dr. Christian Bischof Leiter des berufsbegleitenden Masterstudiums International Supply Management, FH JOANNEUM, Kapfenberg

Dr. Gottfried Obmann Lehrender am Wirtschaftsingenieur-Institut Industrial Management, FH JOANNEUM, Kapfenberg

Ing. Herbert Kohlbacher, MSc Mitarbeiter am Wirtschaftsingenieur-Institut Industrial Management, FH JOANNEUM, Kapfenberg schwerpunkte: Internes Rechnungswesen, Enterprise Resource Planning, Big Data und Einkauf. Dr. Gottfried Obmann ist Lehrender am Wirtschaftsingenieur-Institut Industrial Management an der FH JOANNEUM in Kapfenberg. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte: Supply Management, Supply Chain Management und Einkauf 4.0. Ing. Herbert Kohlbacher, MSc ist Mitarbeiter am Wirtschaftsingenieur-Institut Industrial Management an der FH JOANNEUM in Kapfenberg und beschäftigt sich mit den Themenfeldern ERP, SRM und DataWarehouse sowie mit Programmierung & Integrationsszenarien im Umfeld von Industrie 4.0.

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Top-Thema

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Christian Theuermann

Additive Fertigungsverfahren heben Potenziale im Produktionsprozess Einsatz, Möglichkeiten und zukünftige Entwicklung der 3D-Drucktechnologie in österreichischen Industrieunternehmen

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ach der ersten industriellen Revolution durch die Entwicklung der Dampfmaschine und der Mechanisierung von Handarbeit durch Maschinen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, der zweiten industriellen Revolution durch die Nutzung elektrischer Energie um 1870 und der dritten industriellen Revolution ab 1970, welche die Automatisierung von Produktionsprozessen durch den Einsatz von Elektronik und IT brachte, steht aktuell die Ära der vierten industriellen Revolution an – das zweite Maschinenzeitalter (Theuermann 2016). Die Entwicklungen im Zusammenhang mit der industriellen Revolution werden zukünftig zu grundlegenden und tiefgreifenden Veränderungen im unternehmerischen Produktionsprozess führen und stellen Unternehmen vor neue Herausforderungen, ermöglichen aber auch neue Chancen und Entwicklungspotenziale für die heimische Wirtschaft – Digitaler Darwinismus (Kreutzer & Land 2016) prägt die künftige Unternehmenslandschaft. Die Bedeutung von Industrie-4.0-Lösungen wird in den nächsten Jahren erheblich zunehmen

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und neue, intelligente, vernetzte und effiziente Produktionstechnikenwerden die Fabrikhallen erobern. Im Bereich der Smart Production kommt dabei den additiven Fertigungsverfahren eine Schlüsselfunktion zu. Dadurch ergeben sich gravierende Änderungen in internen und externen unternehmerischen Funktionsbereichen, und es entsteht eine neuartige Qualität der Zusammenarbeit – Wertschöpfungsketten transformieren sich in weiterer Folge zu digitalen Wertschöpfungsnetzwerken (Theuermann & Lutzmayr 2016). Österreich ist bereit für Industrie 4.0 (Wilhelm & Brenner 2016). Welchen Einfluss, welche Bedeutung und welchen Reifegrad die 3D-Drucktechnologie in österreichischen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen aktuell hat und zukünftig einnehmen kann, stellt den Untersuchungsgegenstand dieser quantitativen empirischen Praxiserhebung1 dar. Als Untersuchungs1 Die kompletten Studienergebnisse der von der Studienrichtung Rechnungswesen & Controlling der FH Campus 02 durchgeführten Untersuchung sind unter https://www.campus02.at/ rechnungswesen/projekt/industrie-4-0/ ersicht-

objekte wurden in dieser Studie mittlere und große Unternehmen ausgewählt, die entweder dem produzierenden Gewerbe zugeordnet oder als in der Industrie tätige Dienstleistungsunternehmen kategorisiert werden können. Dazu wurden aus einer Grundgesamtheit von 1.044 Unternehmen, mittels einer einfachen Zufallsstichprobe 631 Unternehmen ausgewählt und befragt. Die Erkenntnisse und Ergebnisse zeigen den gegenwärtigen Stand zur additiven Fertigung sowie die zukünftige Erwartungshaltung der Industrieunternehmen branchenübergreifend auf. 1. Die 3D-Drucktechnologie als wesentlicher Bestandteil des Advanced Manufacturings Neue intelligente Produktionstechniken erobern die Fabrikhallen – Industrielle Revolution (Petri & Simpson 2013). Smart Production und das Additive Manufacturing, als spezifischer Herstellungsprozess mittels des 3D-Druckers, führen zu gravierenden Änderungen lich und ausgewählte Bereiche und Erkenntnisse dieser empirischen Erhebung sind Bestandteil dieses Artikels. WINGbusiness 1/2017


Top-Thema in internen und externen unternehmerischen Funktionsbereichen und unter Umständen zu einer verteilten Produktion, bei der die 3D-Drucktechnologie komplette Produktionsstraßen und Montagefließbänder ersetzen kann. Klassische Branchengrenzen verschwinden, es entstehen neue, übergreifende Handlungsfelder und Kooperationsformen. Es zeigt sich jedoch klar, dass additive Fertigungsverfahren ein wesentliches Element der Smart Production darstellen. Intelligente Produktion als Treiber der Flexibilisierung und Individualisierung in der Produktion und Dienstleistungsbranche haben durch den Einsatz der 3D-Drucktechnologie das Potenzial, traditionelle Fertigungsprozesse von Unternehmen abzulösen. Die Digitalisierung der klassischen Wertschöpfungskette wird zur globalen Herausforderung, bei der das Advanced Manufacturing zum Wegbereiter und Enabler bei der Umgestaltung und Weiterentwicklung des unternehmerischen Produktionsprozesses wird. Unter Umständen verschiebt die Einführung der 3D-Drucktechnologie den Schwerpunkt – weg vom Betrieb der Produktionsanlage und dem Supply Chain Management hin zu vermehrtem Engineering und detaillierterer Produktionsplanung (Theuermann & Lutzmayr 2016). Zentrale Entwicklungen und Tendenzen im Advanced Manufacturing in der österreichischen Unternehmenspraxis, unter Einbeziehung der 3D-Drucktechnologie, können wie folgt zusammengefasst werden: Additive Fertigungsverfahren verkürzen die Zeit zwischen der Fertigstellung einer Konstruktionszeichnung, dem Produktionsbeginn und der Verfügbarkeit erster Produkte. Dies führt in weiterer Folge zu einer Effizienzsteigerung in der gesamten Wertschöpfungskette. Die unternehmerischen Grenzen verschwimmen immer mehr. Die 3D-Drucktechnologie lässt die Unternehmensbereiche näher zusammenrücken. Entwicklung, Technik, Produktion und Beschaffung werden enger miteinander verflochten. Die Unternehmen gehen davon aus, dass die Bedeutung der additiven Fertigungsverfahren zukünf-

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Abbildung 1: Vorteile der 3D-Drucktechnologie im Produktionsprozess (Mehrfachnennungen möglich) tig erheblich zunehmen und diese die 3D-Drucktechnik als wertschaffend Technologie die gesamte Unternehcharakterisieren, da dadurch eine merkmensstruktur beeinflussen wird. liche Verbesserung in den Produktionsprozessen erreicht werden kann. 3D-Druck – Der zukünftige TechnikDie wesentlichen Vorteile (siehe trend (Puchleitner 2016)? Dadurch, dass Abbildung 1), die sich aus dem Einsatz jede Produkteinheit unabhängig vonei- der 3D-Drucktechnoligie ergeben, sind nander gefertigt wird, kann sie ohne vielfältig, wobei die Freiheit in der gegroßen Aufwand an verbesserte Kon- ometrischen Ausgestaltung der Druckzepte, spezielle Wünsche, andere Be- objekte (39 %) und die hohe Präzision, dürfnisse oder neue Modeströmungen welche durch dieses Fertigungsverfahangepasst werden. Außerdem ist der ren (36 %) erzielt werden können, am Aufwand für den Aufbau des Produk- häufigsten genannt sind. Weiters zeigt tionsumfelds bei weitem nicht so hoch sich, dass die 3D-Drucktechnologie wie bei herkömmlichen Produktions- in der Fertigung zu einem geringeren verfahren. Diese Vorteile (Jodlbauer & Nachbearbeitungsaufwand, einer hoStraßer 2016) spiegeln sich vor allem in hen Oberflächengüte sowie zu einer der Tatsache wider, dass die bis jetzt am Flexibilisierung in der Produktion weitesten verbreiteten Anwendungsge- führt und dadurch beispielsweise auch biete in der Produktion von Einzelpro- geringere Produktionskosten gegendukten, Prototypen und von speziellen über Spritzguss bei kleiner Losgröße Ersatzteilen liegen. Doch auch für grö- entstehen können. Insgesamt lässt ßere Produktionsmengen wird diese sich dadurch der Fertigungsprozess in Technologie zunehmend sinnvoll, da gewissen Bereichen wesentlich optiUnternehmen somit in der Lage sind, mieren bzw. effizienter gestalten. 3Dohne erhebliche Mehrkosten den Kun- Drucktechnologie ist darüber hinaus den eine wunschgemäße Fertigung für komplexe Arbeiten ideal geeignet. mit einer großen Vielfalt an Formen, Nicht zuletzt lassen sich mittels 3DFarben und Größen zu bieten. Des Druck auch Geometrien herstellen, die Weiteren ist es möglich, Erzeugnisse mit herkömmlichen Fertigungsverin einem Stück zu fertigen, ohne wie fahren nur sehr aufwändig oder unter bisher eine erhebliche Anzahl von sepa- Verwendung von Spezialwerkzeugen raten Bauteilen herzustellen und dann möglich wären. Es wird dadurch beizusammensetzen zu müssen (D’aveni spielsweise möglich, die Bauteilstärken 2015). auf die Kraftlinien der Belastung abDie 3D-Drucktechnologie kann hier zustimmen, damit ist auch extremer mit einem für Unternehmen immer Leichtbau möglich (Chua et al. 2010). wichtiger werdenden Nutzen gegenüber der klassischen Fertigung punkten 2. Additive Fertigungsverfahren – der Flexibilisierung und Individualisind bereits Bestandteil des besierung hinsichtlich der Kundenanfortrieblichen Produktionsprozesses derungen. Insgesamt zeigt sich, dass und verfügen über ein erhebmehr als ein Drittel der Unternehmen liches Wachstumspotenzial

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Top-Thema

Abbildung 2: Potenziale für Wettbewerbsvorteile durch den Einsatz der 3D-Drucktechnologie Die 3D-Drucktechnik, als Bestandteil des Fertigungsprozesses, hat die Experimentierphase verlassen, und deren erfolgreiche Integration führt zu einer Ausweitung des Produktionsspektrums. Wie weit diese reicht, hängt davon ab, an welcher Stelle in der Unternehmensorganisation der 3D-Druck eingesetzt wird und wie tiefgreifend der Integrationsprozess ausfällt. Der gegenwärtige industrielle Anwendungsgrad des 3D-Druckers zeigt, dass derzeit ca. 35 % der Unternehmen bereits Erfahrungen (Einsatz, Anwendung, Technik) mit additiver Fertigung haben. Weitere 29 % der Studienteilnehmer sehen hierbei für die eigene Anwendung ein primäres Einsatzgebiet. Ca. 2/3 der österreichischen Unternehmen stehen dem Einsatz der 3DDrucktechnologie sehr positiv gegenüber und generative Fertigungsverfahren weisen ein merkliches Wachstumspotenzial auf. Speziell unter Berücksichtigung der zentralen Anwendungskriterien für Industrieunternehmen zeigt sich, dass Schichtstärke, Genauigkeit, Druckgeschwindigkeit, Rohmaterialkosten, Handhabung der Drucktechnologie und Materialvielfalt die wesentlichen Treiber für den industriellen Einsatz der 3D-Drucktechnik sind. Diese Parameter beeinflussen merklich die Effizienz des gesamten Produktionsprozesses und werden künftig den Anwendungsgrad mitbestimmen sowie eine merkliche Auswirkung auf die Effizienz der Produktionsabläufe haben. Additive Fertigungsverfahren erschließen neue Produktionsmöglichkeiten und machen die Produktionsprozesse mitunter leistungsfähiger, schneller, einfacher, effektiver, effizi-

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enter, nachhaltiger, preisgünstiger und kundengerechter (individueller) als die klassischen Fertigungsprozesse. Die Kundenindividualität kann noch stärker berücksichtigt werden, wodurch sich Wettbewerbsvorteile für innovative Unternehmen ergeben. Der Trend zur Digitalisierung, neue Technologien sowie das Advanced Manufacturing mit der 3D-Druckechnologie hat auch Folgen für die internen Abläufe und wirkt sich auf die organisatorische Entwicklung in den Unternehmen aus. So lässt der 3D-Drucker den Einkauf, die Entwicklung, die Qualitätssicherung und die Produktion näher zusammenwachsen, wodurch sich für Unternehmen auch zahlreiche Chancen in Form von Wettbewerbsvorteilen (z. B. in der Materialentwicklung, Individualisierung der Produkte, Optimierung bzw. Verkürzung der Supply Chain, etc.) ergeben werden.

Eine engere Verflechtung der unternehmensinternen Bereiche (Produktion, Einkauf, Konstruktion, Controlling, etc.) sehen grundsätzlich mehr als 55 % der teilnehmenden Unternehmen bei der Anwendung der 3D-Drucktechnik im Fertigungsprozess. Die 3D-Drucktechnologie macht den Einkauf flexibler und führt dazu, dass in gewissen Situationen die Abhängigkeit von Lieferanten reduziert werden kann. Das der 3D-Drucker zu einer Steigerung der Flexibilität in der Beschaffungsorganisation führt, wird von ca. 62 % (trifft zu bzw. trifft eher zu) der untersuchten Unternehmen in Österreich bestätigt. So wird diese Technologie auch die Serienfertigung beeinflussen, da es mitunter wirtschaftlich sein wird, Produkte kundenspezifisch anzupassen und bedarfsgerecht zu fertigen. Dies führt dazu, dass die 3D-Drucktechnologie ein wesentlicher Aspekt im Zusammenhang mit künftigen Wettbewerbsvorteilen von Unternehmen einnehmen wird – Kundenindividualität kann effizienter umgesetzt werden. 3. Die 3D-Drucktechnik macht den Produktionsprozess leistungsfähiger Mögliches Zukunftsszenario – die Fabrikhalle von morgen ist ein einzelnes Gerät: 3D-Drucker ermöglichen die schnelle und präzise Produktion komplexer und leichter Bauteile (o. V. 2015). Der Industrie bieten die additiven Fertigungsverfahren dadurch zahlreiche Vorteile, und dies wirkt sich auch auf

Abbildung 3: 3D-Drucktechnologie hat erhebliche Auswirkungen auf den traditionellen Produktionsprozess

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Top-Thema den gesamten Fertigungsablauf in den Unternehmen aus. Insgesamt gehen 59 % der untersuchten Unternehmen davon aus, dass die 3D-Drucktechnik direkt oder indirekt einen Einfluss auf den zukünftigen Produktionsprozess haben wird. Mehr als 70 % der Unternehmen gehen davon aus, dass durch den Einsatz der 3D-Drucktechnologie die Produktionsprozesse zukünftig massiv beschleunigt werden können. Dass durch den Einsatz eines 3D-Druckers eine Optimierung bei den Kosten erzielt werden kann, wird von den Unternehmen grundsätzlich positiv gesehen. So sind insgesamt 64 % der Teilnehmer der Ansicht, dass Kosteneinsparungs- bzw. Optimierungspotenziale realisiert werden können. Die Mitarbeiterqualifikation wird bei Industrie 4.0 zum entscheidenden Engpass und zentralen Erfolgsfaktor. Einig ist sich die Unternehmenspraxis (ca. 90 %) dahingehend, dass die additiven Produktionsverfahren entsprechendes Know-how bzgl. der Technik und den Druckmaterialien in den Unternehmen erfordert (Abbildung 3). Rapid Prototyping ist eines der zentralen Anwendungsgebiete (ca. 65 %) der 3D-Drucktechnik und wird die Effizienz im gesamten Produktionsprozess in den Unternehmen erhöhen. Betrachtet man die Einsatzmöglichkeit hinsichtlich der Ersatzteilefertigung, so sehen 42 % der teilnehmenden Unternehmen hier das vordergründige Einsatzgebiet für die 3D-Drucktechnik. Jedoch erwarten 58 % der Unternehmen ein erweitertes Betätigungsfeld für den 3D-Drucker, welcher über die Ersatzteilproduktion hinausgeht. Unternehmen sehen durch den Einsatz des 3D-Druckers eine positive Auswirkung auf den Produktionsablauf, indem die Produktion innovativer und leistungsfähiger (mehr als 65 %), aber auch flexibler (ca. 64 %) wird. Insgesamt sind sich die die befragten Unternehmen einig, dass der Einsatz eines 3D-Druckers klar erkennbare Vorteile in der Fertigung entstehen lässt, da vor allem Prozesse beschleunigt, die Produktion verbessert und flexibler gestaltbar wird. Die additiven Fertigungsverfahren verkürzen die Zeit zwischen der Fertigstellung einer Konstruktionszeichnung, dem Produktionsbeginn und der Verfügbarkeit erster Produkte.

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Dies führt in weiterer Folge zu einer Optimierung der gesamten Wertschöpfungskette. 4. Zusammenfassung 3D-Drucker haben das Potenzial, ganze Fertigungsketten von Unternehmen zu revolutionieren. Das generative Fertigungsverfahren erlaubt die standortunabhängige Produkterstellung und wird die globale Wertschöpfungskette beträchtlich beeinflussen. Die nächste Entwicklungsstufe stellt die gezielte Anwendung der 3D-Drucktechnik in der industriellen Fertigung dar. Die Unternehmen (ca. 71 %) gehen davon aus, dass die Bedeutung der additiven Fertigungsverfahren zukünftig erheblich zunehmen und diese Technologie die gesamte Unternehmensstruktur beeinflussen wird. Im Zusammenhang mit den zukünftig großen Themenfeldern Digitalisierung, Industrie 4.0 und Big Data kommen auf Unternehmen wesentliche Herausforderungen zu. Diese reichen von Sicherheitsanforderungen über Risikomanagement, Business Continuity Management, Change Management, Logistik 4.0 bis hin zu ComplianceThemenfelder, die es bestmöglich zu bewältigen gilt. Referenzen: Theuermann, C. (2016): Smart Production: 3D-Drucktechnologie in österreichischen Unternehmen. In: industrie aktuell, 2, S. 12-16. Kreutzer, R.T. & Land, K.-H. (2016): Digitaler Darwinismus – Der stille Angriff auf Ihr Geschäftsmodell und Ihre Marke, 2. Auflage, Wiesbaden. Theuermann, C. & Lutzmayr, D. (2016): Chancen, Herausforderungen und Bedeutung der Industrie 4.0 – Derzeitiger Einsatz und zukünftige Entwicklung des 3D-Drucks in Industrie- und Dienstleistungsunternehmen in Österreich, Graz: FH CAMPUS 02, Studienrichtung Rechnungswesen & Controlling. Wilhelm, T. & Brenner, E. (2016): Österreich ist bereit für Industrie 4.0. In: Gewinn, 35. Jahrgang, April, S. 88-90.

Prof.(FH) Dipl.-Ing. Dr. Christian Theuermann Professor an der Fachhochschule CAMPUS 02 in Graz Petri, I.J. & Simpson, T.W. (2013): 3D-Printing disrupts manufacturing – How economies of one create new rules of competition. In: Research-Technology Management, Arlington, November-December, S. 1-6. Puchleitner, K. (2016): Disruptive Economy: Wie Alles anders wird. In: trend Nr. 22, S. 38-39. Jodlbauer, H. & Straßer, S. (2016): Geschäftsmodellinnovationen basierend auf Industrie 4.0 sichern zukünftigen Erfolg der Unternehmung. In: Gleich, R. & Losbichler, H. & Zierhofer, R. (Hrsg.): Unternehmenssteuerung im Zeitalter von Industrie 4.0, München, S. 109-122. D’aveni, R. (2015): 3D-Druck vor dem Durchbruch. In: Harvard Business Manager, Heft 7, S. 18-41. Chua, C.K. & Leong, K.F. & Lim, C.S. (2010): Rapid Prototyping: Principles and Applications, 3rd Edition. o. V. (2015): Die Zukunft der Arbeit in der Industrie 4.0, Veröffentlichung Handelsblatt und GE at work.

Autor: Prof.(FH) Dipl.-Ing. Dr. Christian Theuermann ist Professor an der Fachhochschule CAMPUS 02 in Graz und Fachbereichskoordinator für Transferkompetenz an der Studienrichtung Rechnungswesen & Controlling mit langjähriger Industrieerfahrung in leitender Position und Autor zahlreicher einschlägiger Publikationen. Er ist geschäftsführender Gesellschafter einer Beratungsunternehmung mit den Dienstleistungsschwerpunkten Beschaffung und Sourcing, Supply Chain Risk Management, CorporateRiskmanagement, Digitalisierung und Transformationsmanagement. Darüber hinaus ist er Trainer und Vortragender an Weiterbildungs- und Schulungseinrichtungen im In- und Ausland. E-Mail: christian.theuermann@campus02.at

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Top-Thema

Foto: (c) iStock.com/ cabral_augusto83

Barbara Mayer, Andreas Leitner

I4.0 – Flexible Produktion durch Entflechtung Simple ist das neue Agile 1. Einleitung Produzierende Unternehmen sind zunehmend mit stark schwankenden und sich ändernden Kundenanforderungen sowie hohem Wettbewerbsdruck konfrontiert. Dies zwingt sie zu agileren Produktionsprozessen möglichst ohne Kostenerhöhung (Ganschar et al. 2013). Die Automatisierung kann hier wesentlichen Anteil leisten. Herkömmliche Konzepte sind jedoch zu starr und erfordern Eingriffe auf Programmierebene, sobald Prozessänderungen erwünscht sind. Ein neuer Ansatz zur Entflechtung von Prozess- und Automatisierungsaufgaben ermöglicht eine flexible Produktion ohne EngineeringAufwand. 2. Herausforderungen der flexiblen Produktion Produzierende Unternehmen sind heute mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert. Größere Märkte sowie sich rasch änderndes Nutzerverhalten führen zu volatilen Kundenbedürfnissen und Nachfrageschwankungen. Produkte müssen daher einfach und rasch anpassbar oder sogar

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individualisierbar sein, um einerseits den Kundenanforderungen gerecht zu werden und andererseits gegenüber internationaler Konkurrenz bestehen zu können. Stetige Innovation der Produkte ist daher eine zentrale Aufgabe des Managements. Daraus folgt unweigerlich auch eine Adaptierung der damit verbundenen Produktionsprozesse, die es im Sinne eines effizienten und kostenminimalen Betriebs zu optimieren gilt. Denn nur wer flexibel und kostenoptimal produziert, wird auch zukünftig erfolgreich bleiben. Für die Automatisierung der Produktion führt dies zu erheblichen Herausforderungen, zumal zunächst bei baulicher Veränderung des Produktionsbetriebs oft noch nicht klar ist, wie die Prozesse später tatsächlich ablaufen sollen. Darüber hinaus sollen Automatisierungskonzepte einen Beitrag leisten, flexible Prozessabänderungen zu ermöglichen. Auf einer Anlage werden potenziell zeitgleich unterschiedliche Produkt- und folglich Produktionsvarianten realisiert, so dass Teilprozesse dynamisch eingebunden sind oder wegfallen. Daher ist ein hoher Flexibilisierungsgrad der Automatisierungs-

lösung für eine agile Produktion entscheidend. 3. Anforderungen an die Automatisierung Die VDI/VDE Gesellschaft sieht in ihrem Katalog für Handlungsfelder die Kernkompetenz der Automation gerade in der Umsetzung von vielschichtigen Kundenanforderungen in kosteneffiziente, sichere, informationsverarbeitende sowie vernetzte Systeme zur Prozessführung und -sicherung (VDI/VDE 2013). Was kann nun aus diesem Anforderungskatalog für die Automatisierung abgeleitet werden? Neben einem starken Anstieg an Sensoren, Daten und Kommunikationspartnern bedeutet der gewünschte hohe Flexibilisierungsgrad zusätzliche Anforderungen an die Automatisierung. Die Produktionssteuerung muss erweiterbar und dahingehend flexibel sein, Teilprozesse schnell und einfach integrieren zu können – und das ohne Engineering Aufwand zur Laufzeit. Dazu muss die Steuerungsebene so vorbereitet sein, dass bei Veränderung des Produktionsprozesses weder auf dieser

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Top-Thema

Abb. 1: Klassische Automatisierungspyramide (VDI/VDE 2013) Ebene eingegriffen noch die laufende Produktion unterbrochen werden muss. In den letzten Jahren wird darüber hinaus über die zukünftige Gültigkeit der klassischen Automatisierungspyramide (siehe Abbildung 1) diskutiert. Die Frage wird sein, ob in hierarchielose Kommunikationsstrukturen Produkte als cyberphysisches System selbst ihren Fertigungsweg suchen und finden. Dann würden die aktuellen Steuerungskonzepte wohl zu flexiblen, dezentral organisierten Unternehmenssteuerungsnetzwerken mutieren (Kleinemeier 2017). Werden Prozess- und Automatisierungsaufgaben jedoch von unterschiedlichen Softwarelösungen bearbeitet, erfordert dies eine Kommunikationsund Schnittstellenvereinbarung zwischen den (zumindest unmittelbar) im Austausch stehenden Softwarebausteinen. Klar erscheint hier, dass diese Medienbrüche heute in der Produktion hinderlich für einen effizienten Ablauf sind (Schlick et al. 2017). Integration

mehrerer Ebenen in einem IT-System ist aktuell zumeist noch nicht Stand der Technik, erfordert zahlreiche Schnittstellen und führt zu Fehlerquellen in der Kommunikation. Bezüglich der Systemarchitektur sind dezentrale Systemarchitekturen bereits ein erster Schritt zur flexibleren Automatisierung. Dennoch funktionieren diese Steuerungssysteme in der Regel derart, dass die Produktionssteuerung individuell für vorgegebene Produktionsprozesse ausgerichtet wird, indem Prozessleitsystem, SPS und Aktoren bzw. Sensoren eng miteinander verflochten sind. Kommt es jedoch zu einer Änderung der Prozesse, so müssen die Programme auf der Steuerungsebene modifiziert und die Prozessabbildungen auf Prozessleitebene (siehe Abbildung 1) adaptiert werden, was einen Eingriff von Spezialisten mit hohem Technik-Know-how erfordert. 4. Ansatz zur Entflechtung von Produktions- und Automatisierungsaufgaben

Abb. 2: Verquickung von Produktionsprozess und Basisautomatisierung

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Als Stand der Technik gilt bis dato der verfolgte Ansatz, sowohl die Basisautomatisierung der Anlage als auch den Produktionsprozess auf der Steuerungs- bzw. der Prozessleitebene zu implementieren. Die Kommunikation zur Produktionsleitebene erfolgt bidirektional datenpunktorientiert und konzentriert sich auf fix definierte Parameter sowie Soll-Werte und Rückmeldungen vom Shopfloor (siehe Abbildung 2). Der resultierende topologische Aufbau (siehe Abbildung 3) beinhaltet ein starres Softwarekonzept, da für jeden Anlagenteil (Station) getrennt SPS-Programme gemäß dem spezifischen funktionellen Produktionsablauf und den implementierten Automatisierungskomponenten im Feld entwickelt werden. Diese dezentralen Einheiten sind demnach mit leistungsstarken Steuerungseinheiten auszustatten, da sie sowohl für die Prozesssteuerung als auch die Haltung der Daten aus dem Feld verantwortlich sind. Um den gesamten Prozess abzudecken, ist eine klar definierte Querkommunikation zu den vorhergehenden bzw. nachfolgenden Stationen relevant, d. h. die auszutauschenden Datenlisten zwischen den Steuerungseinheiten sind einmalig fixiert. Ist nun eine Änderung des Produktionsprozesses gewünscht, so werden die Nachteile dieser Architektur offensichtlich: Sämtliche Steuerungsprogramme der einzelnen Stationen müssen aufgrund der mangelnden Modularität und Wiederverwendbarkeit unweigerlich adaptiert, alle datenbasierten Kommunikationen aufgrund ihrer Fehleranfälligkeit neu getestet werden. Auch die ausgeprägte Querkommunikation auf Stationsebene stellt bei jeder Anpassung eine immense Fehlerquelle dar, da Querbeeinflussungen zwischen den Stationen nicht ausschließbar sind. Am Ende stellt das modifizierte System wiederum eine geschlossene Prozesssteuerung dar, die Kunden kaum Möglichkeiten einzugreifen bietet. Um die diese Nachteile zu umgehen, ist eine Entflechtung (Unbundling) der Basisautomatisierung und des Produktionsprozesses notwendig. Dieser Unbundling-Ansatz sieht auf der Steuerungs- bzw. Prozessebene nur mehr die Implementierung von anlagenspezifischen Funktionen auf Basis der im Prozess berücksichtigten Sensorik- und Aktorikkomponenten vor,

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Top-Thema Zusammenfassend lässt sich sagen, dass durch diese Entflechtung eine klare Trennung zwischen der zeitzyklisch orientierten Anlagensteuerung im Fokus der Automatisierungstechniker und der prozessorientierten Produktionsprozessdefinition im Fokus der Produktions- bzw. Verfahrenstechniker erfolgt, womit sich jeder seine eigentlichen Stärken zuwenden kann. Für den Kunden resultiert der Ansatz in einer effektiveren und auch effizienteren Automatisierungslösung, welcher geringere Anschaffungskosten, vor allem aber einen ökonomischeren Betrieb versichert. Darüber hinaus wird erst mit dieser Entflechtung eine individuelle automatisierte Produktionsabfolge von Produkten mit kleiner Losgröße möglich. Aus dem reinen Prozessleitsystem entsteht ein voll integriertes Produktionsleitsystem völlig ohne Medienbrüche, das alle betrieblichen Abläufe zukünftig vielleicht sogar nach Anmeldung des Produktes in Echtzeit steuern, überwachen und führen kann – wichtige Schritte hin zu einer Fertigung nach dem Industrie-4.0-Ideal.

Abb. 3: Topologie mit dezentralen, querkommunizierenden Steuerungseinheiten d. h. produkt- bzw. produktionspro- chen dem Anlagenbauer, Funktionen zessrelevante Teile werden auf dieser und Befehle der Anlage unabhängig Ebene eliminiert. Der übergeordneten vom Produkt bzw. Produktionsprozess Produktionsleitebene stellt das System zu entwickeln und testen. eine standardisierte, serviceorientierte Besteht nun die Notwendigkeit einer Phasenschnittstelle zur Verfügung, Prozessänderung, so wird diese gänzwelche im Wesentlichen aus Befehlen lich ohne Veränderung funktioneller mit Parametern und Rückmeldungen SPS-Programme in der Produktionsleiüber den Anlagenstatus bestehen. tebene einfach umgesetzt. Die zentralen ProduktionsleitebeDer Produktionsprozess kann da- ne, die für die Befehlsübergabe an die 5. Realisierung mit auf höherer Ebene abstrakt gegen Steuerungsebene mit der Prozessleitedie vom Shopfloor über die Phasen- bene verschmilzt, bildet die gesamte Die Firma evon konnte diesen Unschnittstelle zur Verfügung gestellten Anlage für den Anlagenbetreiber ab bundling Ansatz bereits industriell Funktionen definiert werden, ohne die (siehe Abbildung 5). Dies erlaubt sogar erfolgreich im Auftrag der Firma voDetails der Anlagenautomatisierung zu oftmals eine Weiterentwicklung durch estalpine Special Wire realisieren. Für berücksichtigen. So kann beispielswei- den Kunden selbst. den Drahthersteller wurde innerhalb se in einer Getriebemontagelinie die Darüber hinaus steigert die Modula- von sechs Monaten ein von Ebene 1-3 Ölfüllstation simpel den Befehl „Ölfül- rität des Ansatzes die Wiederverwend- integriertes und variables System auflen“ mit den Parametern Menge und barkeit von Steuerungsbausteinen und gesetzt. Derzeit wird bereits an einer Ölspezifikation zur Verfügung stellen fördert Standardisierungen, die wiede- Erweiterung zur Kopplung an SAP – wie dies auf Anlagenebene bewerk- rum zu einer erheblichen Qualitätsstei- gearbeitet: Damit sollen künftig Aufstelligt wird, obliegt natürlich dem gerung führen. tragsdaten aus SAP in die Steuerung Anlagenbauer bzw. dem Automatisierungsspezialisten. Da in diesem Ansatz lediglich die funktionelle Basisautomatisierung auf Steuerungsebene abgebildet wird, besteht die resultierende Architektur (siehe Abbildung 4) aus schlankeren, kostengünstigeren Steuerungseinheiten, die eine flexible Topologie ermöglichen. Zentrale prozessabhängige Befehle kommen ausschließlich vom übergeordneten Manufacturing Execution System (MES), so dass es keiner Querkommunikation zwischen den dezentralen Steuerungseinheiten bedarf. Standar- Abb. 4: Entflechtung von Produktionsprozess und Basisautomatisierung disierte Phasenschnittstellen ermögli- mit Unbundling

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Top-Thema aus Sicht der Automation. http://www.vdi. de/uploads/media/Stellungnahme_CyberPhysical_Systems.pdf Zugegriffen am 10.02.2017

Autoren: Dipl.-Ing. Barbara Mayer ist Lehrende am Wirtschaftsingenieur-Institut Industrial Management an der FH JOANNEUM in Kapfenberg. Ihre Lehr- und Forschungsschwerpunkte beinhalten Automatisierung, prädiktive Regelung, Optimierung und Industrie 4.0.

Abb. 5: Topologie mit Unbundling-Ansatz. Dezentrale Steuerungseinheiten kommunizieren individuell mit Produktionsleitebene. und Informationen aus der Produktion in SAP eingespeist werden können. Die integrierte XAMControl-Lösung bietet darüber hinaus auch ein modulares Benutzeroberflächenkonzept, das die Darstellungen und die abrufbaren Daten je nach Nutzer individualisiert: So benötigt der Verfahrenstechniker etwa mehr Informationen zu den Abläufen als der Chemiker, der eher Materialwerte abruft. Dieses Produktionsleitsystem wird auch im Industrie-4.0-Labor des Instituts für Industriewirtschaft (IWI) in Kapfenberg realisiert. Das modulare Produktionssystem (MPS) von Festo wird voll vertikal integriert. So können Studierende bereits in naher Zukunft einerseits die Aufgaben und Facetten eines integrierten Produktionsleitsystems von der E/A bis zur Produktionsleitebene direkt an einer Mikrofabrik erleben, andererseits auch die Auswirkungen etwaiger Programmänderungen in Automatisierungsübungen analysieren, erkennen und optimieren – ein weiterer Schritt zur Bereicherung der Lehraktivitäten am Institut um Industrie-4.0-Inhalte bereits im Bachelorstudium.

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Dipl.-Ing. Andreas Leitner ist Geschäftsführer der evon GmbH in Gleisdorf. Seine Aufgabenschwerpunkte: Vertrieb, Marketing, Finanzen, Strategische Unternehmensentwicklung, Human Resources.

Referenzen: Ganschar, O., et al. (2013) in D. Spath (Hrsg.). Produktionsarbeit der ZukunftIndustrie 4.0. Stuttgart: Fraunhofer Verlag. Kleinemeier, M. (2017). Von der Automatisierungspyramide zu Unternehmenssteuerungsnetzwerken. Handbuch Industrie 4.0 Bd. 1. Springer Berlin Heidelberg. S.219-226. Schlick, J., et al. (2017) Industrie 4.0 in der praktischen Anwendung. Handbuch Industrie 4.0 Bd. 2. Springer Berlin Heidelberg.S.3-29. V DI / V DE- Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik (2013) CyberPhysical Systems: Chancen und Nutzen

Dipl.-Ing. Barbara Mayer Lehrende am Wirtschaftsingenieur-Institut Industrial Management, FH JOANNEUM, Kapfenberg

Dipl.-Ing. Andreas Leitner Geschäftsführer der evon GmbH, Gleisdorf

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Top-Thema

Foto: © die Industrie, Fotograf: Mathias Kniepeiss

Sabrina Romina Sorko, Azucena Pérez-Alonso, Birgit Rabel

Kann Digitalisierung ohne den Menschen funktionieren?

D

ie Vernetzung von Maschinen zu cyberphysischen Systemen (CPS) ist eine der wesentlichen Folgen der fortschreitenden Digitalisierung. CPS können in einem vorgegebenen Rahmen eigenständig Informationen austauschen und selbstgesteuert Entscheidungen treffen. Es entstehen cyberphysische Produktionssysteme (CPPS), welche „trotz dynamischer Rahmenbedingungen eine kundenindividuelle, reaktionsschnelle und umweltfreundliche industrielle Produktion unter Anwendung verteilter und teils stark heterogener Produktionsressourcen […] realisieren“. Dazu vernetzen CPPS die Produktion mit anderen Planungs- und Steuerungssystemen des Unternehmens und lösen auf diese Weise Veränderungen auf allen Ebenen des Unternehmens aus (Botthof 2015). Die Umsetzung von Digitalisierungszielen sollte in der Unternehmenspraxis anhand eines Vorgehensmodells erfolgen. In diesem wird der Veränderungsprozess klassisch in einzelne Prozessschritte – von der Analyse der Handlungsfelder über die Formulierung von Zielsetzungen bis zur Umsetzung – aufgeteilt und zum leichteren Verständnis visualisiert. Zur Standortund Zielbestimmung werden oftmals Reifegradmodelle eingesetzt, mit deren

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Hilfe Unternehmen durch Selbstevaluation ihr aktuelles Entwicklungsniveau einschätzen und Maßnahmen zur Weiterentwicklung ableiten können (Bechtold et al. 2014). Digitalisierung braucht mehr als ein Vorgehensmodell Jedoch ist für die erfolgreiche Digitalisierung eines Unternehmens die isolierte Anwendung eines Vorgehensmodells nicht ausreichend. Technisch induzierte Veränderungsprozesse sind von einem systematisch geplanten und evaluierten Change-ManagementProzess zu begleiten, um Widerstände der Mitarbeiter zu minimieren (Wolf 2013). In der Literatur haben sich verschiedene Modelle mit einer unterschiedlichen Anzahl an Phasen etabliert (ausführliche Beschreibungen bzw. einen Vergleich der Modelle bei Oechsler/ Paul 2015). Der fünfphasige Ansatz von Krüger (2006) erscheint für die Praxis besonders geeignet, da situativ flexibel reagiert und im Prozess zurückgegangen werden kann. Dadurch kann auf unvorhersehbare, extern oder intern gesteuerte Ereignisse reagiert werden.

Der hohe Grad der Mitarbeiterintegration vermindert zudem Widerstände. Ein Change-Management-Prozess setzt demnach zeitlich vor einem Vorgehensmodell ein und soll das Unternehmen bzw. die betroffenen Personen „initialisieren“. In Phase 1 des ChangeProzesses sind der Veränderungsbedarf zu ermitteln und die Prozessverantwortlichen (Wandlungsträger) zu definieren. Ziel ist es in dieser Phase, bei den Wandlungsträgern bereits ein Bewusstsein für die Notwendigkeit der Veränderung zu schaffen, da sie als Multiplikatoren bei den übrigen Betroffenen wirken. Je umfassender die gewünschte oder geplante Veränderung, desto wichtiger ist die Diversität der Wandlungsträger aus allen betroffenen Unternehmensbereichen, von der Produktion bis ins Management. Das erhöht in Konzeptphase 2 (Reifegrade-/Vorgehensmodell) die Wahrscheinlichkeit, dass die Maßnahmenplanung (auch) auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter abgestimmt ist und so eine breite Akzeptanz für die Neuerungen erzielt wird. Dazu sollen in der Mobilisierungsphase 3 alle betroffenen Personen mittels formeller und informeller Kommunikationswege systematisch über die geplanten Neuerungen

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Top-Thema frühestmögliche Integration der beteiligten Mitarbeiter und die damit verbundene i n n e r b e t r iebl ic h e Kommunikation sind Schlüsselfaktoren. Digitalisierung als Change-Prozess Dem vorgestellten generischen Konzept folgend, soll also bei den Mitarbeitern das Bewusstsein geschafAbbildung 1: Fünf Phasen des Change-Managements fen werden, dass Digitalisierung für das nach Krüger Unternehmen notinformiert werden. Im Unternehmen wendig ist. Dies zu entsteht im Idealfall das Bewusstsein, erreichen stellt eine große Herausfordass die geplante Änderung keine derung für die Unternehmen dar. VerBedrohung, sondern vielmehr eine änderungen verursachen Unsicherheit Bereicherung für die Menschen im bei den Mitarbeitern, die in Bezug auf Unternehmen und das Unternehmen die Digitalisierung zudem durch eine selbst darstellt. Ziel ist es, aus diesem tendenziell negative mediale Berichterpositiven Bewusstsein eine breite Ak- stattung verstärkt wird. Populärwissenzeptanz bei den Mitarbeitern zu schaf- schaftliche Berichterstattungen schüren fen, um so die optimale Umsetzung der die Angst, Roboter würden bestehende Maßnahmen zu gewährleisten. Die Ak- Arbeitsplätze vernichten und die Arzeptanz baut also auf der Möglichkeit beitslosenquote entsprechend erhöhen. für die Betroffenen auf, Input zu den Untermauert wird dies mit Studien, konzipierten Maßnahmen zu geben. die den möglichen Einfluss der zunehErst wenn die ersten drei Phasen posi- menden Digitalisierung auf bestehentiv durchlaufen sind – Rückschlaufen de Arbeitsplätze untersuchen. Häufig aufgrund neuen Inputs in Phase 3 zu zitiert ist beispielsweise die „OxfordPhase 2 sind allenfalls notwendig –, Studie“ von Frey/Osborne (2013), in der machen eine erfolgreiche Umsetzung über 700 Berufe quer durch alle Bran(Phase 4) und Verstetigung der Maß- chen in den USA analysiert werden. nahmen (Phase 5) Sinn (Krüger 2006, Die Autoren prognostizieren, dass Lauer 2014). sich die Digitalisierung mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb der Bewusstsein schaffen – Akzepnächsten 10 bis 20 Jahre auf knapp die tanz erreichen – Erfolgreich sein Hälfte der heute gängigen Berufe auswirkt. Weniger drastisch, aber doch beDas skizzierte Konzept baut also auf stätigend eine vergleichbare Studie in der Annahme auf, dass ohne das Be- Deutschland: Umgelegt auf die Tätigwusstsein und die Akzeptanz der be- keitsstrukturen sind demnach derzeit troffenen Personen ein Veränderungs- 42 % der Berufstätigen in Deutschland prozess nicht erfolgreich umgesetzt in Berufen mit einer hohen Automatiwerden kann. Hierzu zeigt die For- sierungswahrscheinlichkeit beschäftigt schung, dass mehr als ein Drittel aller (ZEW 2015). durchgeführter Change-Prozesse nicht Die Aussage, quasi jeder zweite Arerfolgreich ist, wobei Widerstände der beitsplatz werde durch die DigitaliMitarbeiter – die Bandbreite reicht von sierung verschwinden, ist jedoch zu nicht zufriedenstellender Arbeitslei- relativieren: Zunächst sprechen beide stung bis hin zu Streiks mit direkten Studien lediglich von einer theoretisch Umsatzverlusten – zu den Hauptgrün- möglichen Digitalisierbarkeit, welche den zählen (Wolf 2013). Unternehmen in der Praxis nicht auf alle Branchen sind daher gefordert, diesem Negativ- und Unternehmen gleichermaßen zuProzess aktiv entgegenzuwirken. Die treffen wird. Zahlreiche Faktoren wie

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die Unternehmensstruktur, der Standort, die Branchenzugehörigkeit oder das Investitionsbudget sind zu berücksichtigen. Weiters werden durch den Wandel neue Berufsbilder entstehen, unter anderem um die neuen Technologien herzustellen oder bestehende Geschäftsmodelle zu transformieren (ZEW 2015). Eine Studie der Boston Consulting Group prognostiziert, dass in Deutschland in diesen neuen Berufsfeldern über 390.000 Arbeitsplätze in den nächsten 10 Jahren entstehen werden (Boston Consulting Group 2015). Zusammengefasst kann davon ausgegangen werden, dass es zu einer Umverteilung der Arbeitsplätze kommt: Bestehende Tätigkeiten werden durch die Digitalisierung wegfallen, dafür werden neue Aufgaben entstehen. Gerade diese Aufgaben sind mit neuen beruflichen Anforderungen und Veränderungen für die Mitarbeiter verbunden (Horn/Serth 2015), auf welche diese von den Unternehmen vorbereitet werden müssen. Akzeptanz durch berufliche Weiterentwicklung Ein positives Bewusstsein und eine daraus resultierende Akzeptanz der Digitalisierung kann dann erreicht werden, wenn den Mitarbeitern die Angst des in den Medien angedrohten Arbeitsplatzverlustes genommen und in eine Motivation zur Weiterentwicklung umgewandelt werden kann. Dazu muss den Mitarbeitern transparent gemacht werden, welche Rolle sie in einem digitalisierten Unternehmen einnehmen können. Ein geeignetes Instrument ist das Mitarbeitergespräch, in dem informal kommunizierte Informationen berichtigt und individuelle Entwicklungsziele vereinbart werden: Welche neuen Anforderungen werden an die Mitarbeiter gestellt? Wie unterstützt das Unternehmen den Weiterentwicklungsprozess der einzelnen Personen? In diesem Zusammenhang wird immer häufiger der Terminus „digitale Kompetenzen“ genannt. Er umschreibt jene Kompetenzfelder, die im Zuge der Digitalisierung an Bedeutung gewinnen und zu Schlüsselkompetenzen werden (Kuhlang et al. 2014). Unter digitalen Kompetenzen werden also die Fähigkeiten und Fertigkeiten subsummiert, die nötig sind, um Cyberphysische Produktionssysteme zu

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Top-Thema gestalten, zu verwenden und zu überprüfen. Demnach finden sich digitale Kompetenzen in allen vier klassischen Kompetenzbereichen – fachlich, methodisch, sozial und persönlich – wieder: Fachlich müssen die Mitarbeiter über eine ausgeprägte Systemkompetenz verfügen, um Aufbau, Funktion und Zusammenhänge der CPPS verstehen, überwachen sowie Schwachstellen im System frühzeitig erkennen und beheben zu können. Als Teil der Methodenkompetenzen werden die Fähigkeit und Fertigkeit verstanden, mit großen Datenmengen umzugehen oder bestehende Geschäftsmodelle zu transformieren (Deuse et al. 2015). Die sozialen Kompetenzen beziehen sich nicht mehr nur auf die Interaktion mit anderen Menschen, sondern schließen auch intelligente Systeme mit ein (World Economic Forum 2016). Betreffend der persönlichen Kompetenzen kommen der Flexibilität, Problemlösungsorientierung sowie dem vernetzten Denken besondere Bedeutung zu (Kuhlang et al. 2014; World Economic Forum 2016). Diese digitalen Kompetenzen sind bei den Mitarbeitern meist nicht zur Gänze neu aufzubauen, sondern knüpfen an bereits bestehende Kompetenzen an. Welche Kompetenzbereiche individuell zu trainieren sind, kann lediglich durch eine offene Kommunikationskultur geprägt und durch aktives Zuhören erhoben werden. Transparenz und eine gute Vertrauensbasis sind hierfür unerlässlich. Es liegt im Verantwortungsbereich der unmittelbaren Führungskraft, eine solche innerbetriebliche Kommunikationskultur langfristig zu etablieren. Der so erhobene individuelle Weiterentwicklungsbedarf ist mit dem organisationalen Bedarf abzustimmen. Dem abgestimmten Bedarf kann dann eine adäquate Fördermaßnahme zugeordnet werden. Dies kann mit Hilfe des Modells der Life-Cycle-Personalentwicklung erfolgen, in dem kurz-, mittel- und langfristig realisierbare Fördermaßnahmen aufgezeigt werden. Strukturierte Mitarbeitergespräche sind beispielsweise kurzfristig, Maßnahmen wie Job-Enlargement oder Job-Enrichment sind in der Regel mittel- bis langfristig realisierbar. Welche Maßnahme konkret gewählt wird, ist mit dem Mitarbeiter abzustimmen, denn dies begünstigt Zufriedenheit und damit Akzeptanz gegenüber der Veränderung

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(Sorko/Kreil 2016). Das Modell wurde am Institut Industrial Management entwickelt und verbindet das Lebenszykluskonzept nach Graf (2007) mit gängigen Personalentwicklungsansätze (u. a. Becker 2013 und Tschumi 2014). Fazit Die Digitalisierung eines Unternehmens kann bei Mitarbeitern Ängste um ihren Arbeitsplatz auslösen. Das daraus resultierende fehlende Vertrauen wirkt sich potenziell negativ auf die Motivation der Mitarbeiter, die Qualität ihrer Arbeit und damit auf den Erfolg des Unternehmens aus. Eine langfristig erfolgreiche Implementierung von Digitalisierungsmaßnahmen ist so gefährdet. Will das Unternehmen also eine breite Akzeptanz für einen geplanten Digitalisierungsprozess schaffen, so sollten die Mitarbeiter aktiv eingebunden und ihre persönlichen Ängste berücksichtigt werden. Frei nach dem Motto „Culture eats strategy for breakfast“ ist das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines Digitalisierungsprozesses in der Unternehmenskultur zu verankern, um strategische Entscheidungen erfolgreich umsetzen zu können. Denn auch die beste Strategie scheitert, wenn diese einer negativen Grundhaltung der Mitarbeiter entgegensteht. Jede Form des Wandels hat Auswirkungen auf Mitarbeiter und Unternehmen und kann nur erfolgreich sein, wenn der ChangeProzess nicht neben, sondern mit den Mitarbeitern umgesetzt wird. Referenzen: Bechtold, J., Kern, A., Lauenstein, C. & Bernhofer, L. (2014): Industry 4.0 - The Capgemini Consulting View – Sharpening the Picture beyond the Hype, https://www.de.capgeminiconsulting.com/resource-file-access/resource/ pdf/capgemini-consulting-industrie-4.0_0.pdf. Becker, M. (2013): Personalentwicklung: Bildung, Förderung und Organisationsentwicklung in Theorie und Praxis, 6. Aufl., Stuttgart. Boston Consulting Group (2015): Organisation 2015. Designed to win, Düsseldorf.

MMag. Dr. Sabrina Romina Sorko Lehrende am Wirtschaftsingenieur-Institut Industrial Management, FH JOANNEUM, Kapfenberg Botthof, A. (2015): Zukunft der Arbeit im Kontext von Autonomik und Industrie 4.0. In: Botthof, A. & Hartmann, E. A. (Hrsg): Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0, Berlin, S. 3-8. Deuse, J., Weisner, K./Hengstebeck, A. & Busch, F. (2015): Gestaltung von Produktionssystemen im Kontext von Industrie 4.0. In: Botthof, A. & Hartmann, E. A. (Hrsg): Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0, Berlin, S. 99-109. Frey, C. B. & Osborne, M. A. (2013): The Future of Employment: How Susceptible are Jobs to Computerization?, University of Oxford. Graf, A. (2007): Lebenszyklusorientierte Personalentwicklung. In: Thom N. & Zaugg, R. J. (Hrsg.): Moderne Personalentwicklung: Mitarbeiterpotenziale erkennen, entwickeln und fördern, 2. Aufl., Wiesbaden, S. 265-281. Horn, S. & Serth, M. (2015): Resilienz im Job: Was wir brauchen, was uns guttut, Freiburg. Krüger, W. (2006): Excellence in Change. Wege zur strategischen Erneuerung, 3. Aufl., Wiesbaden. Kuhlang, P., Finsterbusch, T., Busenbach, M., Britzke, B., Mühlbrandt, T. & Kille, K. (2014): Die Arbeit (auch) vom Menschen her denken: Modellierung produktiver Arbeit – Eine Kernaufgabe bei Industrie 4.0. In: Kersten, W./ Koller, H. & Lödding, H. (Hrsg.): Industrie 4.0 – Wie intelligente Vernetzung und kognitive Systeme unsere Arbeit verändern, Berlin 2014, S. 14-37. Lauer, T. (2014): Change Management. Grundlagen und Erfolgsfaktoren, 2. Aufl., Aschaffenburg. Oechsler, W. A. & Paul, C. (2015): Personal und Arbeit, Einführung in das Personalmanagement, 10., Aufl., Oldenbourg. Sorko, S. R. & Kreil, M. (2016), Personalentwicklung im Wandel der vierten industriellen (R)Evolution. In: Fachhochschule des BFI Wien, Brücken bauen – Perspektiven gestalten, Tagungsband, http://ffhoarep.fh-ooe.at/ handle/123456789/744, [03.03.2017]. Tschumi, M. (2014): Praxisratgeber zur Personalentwicklung, Zürich.

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Top-Thema Wolf, K. (2013): Organisation, Management Unternehmensführung, 5. Aufl., Wiesbaden. World Economic Forum (2016): The Future of Jobs. Employment, Skills and Workforce Strategy for the Fourth Industrial Revolution, http://www3.weforum.org/docs/WEF_Future_of_Jobs.pdf, [03.03.2017]. ZEW Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (2015): Übertragung der Studie von Frey/Osborne (2013) auf Deutschland, Kurzexpertise Nr. 57, Mannheim.

Autoren: MMag. Dr. Sabrina Romina Sorko ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrende am WirtschaftsingenieurInstitut Industrial Management der FH JOANNEUM, Kapfenberg. Ihre Schwerpunkte in Forschung und Projekten: Auswirkungen von I4.0 auf den Menschen sowie Technik-Didaktik. FH-Prof. Azucena Pérez-Alonso ist Professorin für International Busi-

ness und Organizational Behaviour & Leadership am Wir t scha f t singineur-Institut Industrial Management, FH JOANNEUM, Kapfenberg Dipl.-Ing. (FH) Birgit Rabel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Wirtschaftsingenieur-Institut Industrial Management der FH JOANNEUM, Kapfenberg. Die Lehr- und Fors c h u n g s s c h w e rpunkte sind Angewandte Informatik, Industrie 4.0 und Internet of Things.

FH-Prof. Azucena PérezAlonso Professorin am Wirtschaftsingineur-Institut Industrial Management, FH JOANNEUM, Kapfenberg

Dipl.-Ing. (FH) Birgit Rabel Wissenschaftliche Mitarbeiterin am WirtschaftsingineurInstitut Industrial Management, FH JOANNEUM, Kapfenberg

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Top-Thema

Foto: HOERBIGER

Hannes Hunschofsky, Gernot Mauthner, Christoph Magnet

HOERBIGER 1-1-1 für eine smarte Produktion Wie aus der Produktion ein strategischer Wettbewerbsvorteil wird Industrie 4.0 ist in aller Munde. Neue Technologien versprechen die nächste industrielle Revolution. Trotz der immensen wissenschaftlichen und medialen Präsenz des Themas gelingt es nicht allen Unternehmen, die Vorteile der Technologien wertstiftend im Unternehmen umzusetzen. Vor allem kleinen und mittleren Unternehmen fehlen oft die finanziellen Mittel oder die benötigten Fachkräfte. HOERBIGER hat sich dem Thema Industrie 4.0 gestellt. Der Beitrag beschreibt die für die Produktion formulierte Vision 1-1-1. Dabei wird im Detail auf die Notwendigkeit enger Partnerschaften und Kooperationen eingegangen. Fazit: Zusammen machen wir aus der Produktion einen strategischen Wettbewerbsvorteil. 1. Einleitung Mit dem Begriff „Industrie 4.0“ bekamen ab 2011 Schlagwörter wie „Digitalisierung der Produktion“, „selbstorganisierende Fertigungszellen“ oder „smarte Produkte“ in Medien und Öffentlichkeit großflächige Publizität. Unabhängig von einer exakten Definition lässt sich festhalten, dass der durch „Industrie 4.0“ ausgelöste Hype ganze Konzerne, Industrien und Nationen antreibt, in die Zukunft der Produktion zu investieren. Große Unternehmen aus Deutschland, USA und Asien formten den Begriff der „digitalen Fabrik“ und setzten diese Idee in ersten Projekten in die Tat um. Doch was ist mit den kleinen und mittleren Unternehmen? Unternehmen, die auf mehrere Jahrzehnte des Erfolges zurückblicken und sich nun neu orientieren müssen? Unternehmen, die zurzeit aber noch nicht das Know-how oder die Fi-

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nanzierungsmöglichkeiten besitzen, um die Ideen der vierten industriellen Revolution wertbringend realisieren zu können? Als weltweit tätiger, global aufgestellter „Hidden Champion“, stellte sich HOERBIGER im Geschäftsfeld Kompressortechnik diesen Fragen im Zuge der Neuorganisation der globalen Produktionsabläufe. Ziel war es, die Ansätze und Technologien im Umfeld von „Industrie 4.0“ zu nutzen, um möglichst effizient und effektiv die steigende Komplexität in der Produktion verwalt- und steuerbar zu halten. 2. Komplexität – ein notwendiges Übel? HOERBIGER konnte sich seit der Unternehmensgründung vor mehr als 120 Jahren als innovativer Hersteller leistungsbestimmender Komponenten für in der Öl-, Gas- und Prozessindu-

strie eingesetzte Kolbenkompressoren etablieren. Das erfolgreiche Geschäftsmodell basiert unter anderem auf der individuellen Auslegung und Anpassung der Produkte an die jeweilige Kundenapplikation. Als Resultat entwickelte sich über die Jahre eine Variantenvielfalt, welche die Komplexität in den unterschiedlichen Unternehmensprozessen stetig in die Höhe trieb. Besonders der Produktion erschwert die Variantenvielfalt die Erreichung ihrer täglichen Ziele hinsichtlich Liefertreue, Qualität und Kosten. Ein Beispiel: Die zwölf globalen Produktionswerke fertigten vor der Neuorganisation kundenauftragsbezogen ungefähr 300.000 verschiedene aktive Teilenummern. Lieferzeiten zum Kunden reduzieren sich kontinuierlich – die Volatilität im Auftragseingang der Produktion ist hoch (+/- 30 % je Woche). Kundenindividuelle Produktdesigns resultieren in durchschnittlichen Produktionslos-

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Top-Thema Produktion von „Losgröße 1“ zu Kosten einer industriellen Massenfertigung. Aufbauend auf diesen Zielrichtungen wurde die „Vision 1-1-1“ entwickelt: Losgröße 1 – Durchlaufzeit 1 Tag – Nummer 1 in allen Bereichen der Wertschöpfungskette. Losgröße 1 beschreibt die NotwendigAbbildung 1: Die Transformation der klassischen Werk- keit neuer, flexibler Technologien stattfertigung in einen flexiblen, hoch-produktiven in der Produktion „Serienfertiger“. zur Reduktion größen von kleiner 10 und limitieren von Maschinenstillstandszeiten und Möglichkeiten zur Optimierung von Erhöhung des Automatisierungsgrades. Rüstzeiten, Maschinenlaufzeiten und Hand in Hand soll damit auch die Mehrmaschinenbedienung. Erschwert durchschnittliche Durchlaufzeit miniwurde die Ausgangssituation durch die miert werden – von zwei Wochen auf globalen Lieferketten in Europa, Ame- einen Tag. Um diese Zielsetzungen verrika und Asien, die neben den zumeist folgen zu können, gilt es, in allen Beglobal tätigen OEM-Herstellern mehre- reichen der Wertschöpfungskette nach re tausend Service-Kunden bedienten. Perfektion zu streben: in der TechnoloIn einem solchen Umfeld ist es aus gie, bei den Prozessen und in der Mitfinanzieller Sicht nicht vertretbar, der arbeiterentwicklung. Komplexität mit erhöhten Beständen in Roh-, Halbfertig- und Fertigteillager 4. Durch Kooperationen zum zu begegnen. Schränkt nun der Kunde Erfolg die Lieferzeiten weiter ein, steht die Produktion vor der Herausforderung, Zur Umsetzung der Vision 1-1-1 entdie benötigte Flexibilität bereitzustel- wickelte HOERBIGER speziell mit len. Dazu sind moderne, neuartige zwei Hochschulinstituten auf LangProduktionssysteme erforderlich, die fristigkeit ausgerichtete, enge Partnerden neuen Maßstäben hinsichtlich schaften. Gemeinsam werden auf unKundenorientierung, Flexibilität und terschiedlichen Ebenen Bausteine zur Produktivität entsprechen. Und hier Industrie 4.0 entwickelt und initiiert. kommt „Industrie 4.0“ ins Spiel. Das Institut für Fertigungstechnik und Hochleistungslasertechnik (IFT) der 3. HOERBIGER 1-1-1: Eine neue TU Wien unter der Führung von Prof. Vision für die globale Produktion Friedrich Bleicher, beschäftigt sich in der Forschung mit innovativen FertiGroße, ja vielleicht sogar notwendiger- gungsprozessen sowie den hierfür erweise radikale Veränderungen benöti- forderlichen Maschinentechniken und gen Zeit, Ressourcen, aber vor allem Produktionssystemen. Im Rahmen von auch eines: visionäre Zielsetzungen. Industrie 4.0 sind flexible, cyberphyHierzu wurden durch das Management sische Produktionssysteme, Re-Konfizunächst zwei wesentliche Zielrich- gurierbarkeit der Systeme sowie Virtutungen definiert: alisierung und Datenanalytik wichtige Überdurchschnittliche Steigerung Themen. Die zweite Partnerschaft der Produktivität, ohne die straverbindet HOERBIGER mit dem Wirttegisch notwendige Flexibilität in schaftsingenieur-Institut Industrial Mader Produktion zu verlieren (siehe nagement (IWI) der FH JOANNEUM Abbildung 1). Kapfenberg unter der Führung von

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Prof. Martin Tschandl, dessen Forschung im Bereich Industrie 4.0 auf die Themen vertikale IT-Integration (betriebliche Informationssysteme/ERP/ MES) und horizontale IT-Integration in der Wertschöpfungskette (SCM) fokussiert. Mit dem IFT setzte man den ersten Schritt 2016 durch die Erstellung eines „Industrie-4.0–Fahrplans“ für die Produktion. Ziel war es, den einzelnen Forschungsfeldern einen zeitlichen und logischen Rahmen in Form eines 3-phasigen Phasenmodells vorzugeben: (1) Konnektivität, (2) Virtualisierung und (3) Selbst-Organisation. Phase 1 beschreibt den flächendeckenden Einsatz moderner Sensorik, Datenplattformen und Algorithmen in der Produktion. Jedes Equipment im Produktionsnetzwerk muss eindeutig identifizierbar sein und in Echtzeit Daten über den Zustand und Prozesse bereitstellen, denn ohne Daten keine „Smart Production“. Hier konnten durch manuelle und computerunterstützte Datenanalysen bereits erste Optimierungen erarbeitet und ein Pilotprojekt zusammen mit der TU Wien und dem Unternehmen ATOS umgesetzt werden. In Phase 2 ist geplant, diese Daten in einer digitalen Infrastruktur mit Abbildern der realen Welt zu verknüpfen. Jedes Equipment existiert dann auch als digitaler Zwilling im Netz und ermöglicht Simulationen. Speziell bei hoher Variantenvielfalt und kleinen Losgrößen gibt es häufig unzählige Möglichkeiten, das Produktionssystem zu gestalten, und Simulationen geben Auskunft über die Vor- und Nachteile der einzelnen Möglichkeiten. Phase 3 hat die Aufgabe, die Informationen aus Phase 1 und die Simulationsergebnisse aus Phase 2 in konkrete Änderungsprogramme in der Fertigung umzuwandeln. Vorrangig spielt hierbei die Re-Konfigurierbarkeit des Produktionssystems sowie flexible Automatisierung eine entscheidende Rolle. Mit „Plug & Produce“ sollen Roboter, CNC-Maschinen oder Fördermittel in kurzer Zeit und idealerweise vollautomatisch von einem Rüstzustand in einen anderen wechseln, das Rüsten des gesamten Produktionssystems zum Standard werden. Für alle Phasen existieren am IFT bereits heute Demonstrationszellen, anhand derer der Stand der Technik weiter ausgebaut wird (exemplarisch zu Phase 3 siehe Abbildung 2).

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Top-Thema

Abbildung 2: „Plug & Produce“ Fertigungszelle in Laborumgebung am Institut für Fertigungstechnik und Hochleistungslasertechnik der TU Wien In der Umsetzung der einzelnen Phasen folgt HOERBIGER einem risikominimierenden Ansatz. Jede Phase beginnt mit einem (oder mehreren) Pilotprojekten in einem ausgewählten Produktionswerk. Die Finanzierung wird mit Fördermitteln Dritter, wie zum Beispiel der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), unterstützt. Am Ende der Pilotimplementierung folgt eine transparente Validierung der Ergebnisse hinsichtlich Wertstiftung im Unternehmen. Ist diese positiv, wird das Konzept zunächst im Pilotproduktionswerk und anschließend im Produktionsnetzwerk global ausgerollt. Weitere Kooperationsmöglichkeiten zwischen IFT und HOERBIGER ergeben sich durch die Marshallplan Foundation Stiftungsprofessur zum Thema „Intelligent Manufacturing Systems“, bei welcher der Wissenstransfer zwischen den USA und Österreich im Fokus steht. Seit 2016 stehen das neue HOERBIGER Produktionswerk und die Pilotfabrik 4.0 der TU Wien Seite an Seite in Aspern/Wien. Durch die geographische Nähe ergeben sich weitere Kooperationsmöglichkeiten im Rahmen der Prototypen- und Fertigungsprozessentwicklung. Darüber hinaus unterstützt HOERBIGER das der TU Wien 2016 zugesprochene K1 Kompetenzzentrum (COMET) CDP – Center for Digital Production, ein Forschungsprojekt zur Kooperation von Wirtschaft und Wissenschaft, ausgelegt auf acht Jahre und mit Fokus auf Virtualisierung der Produktion, flexible Automation und Maschinenkommunikation. Zur weiteren Stärkung der Zusammenarbeit entstehen auch immer wieder Möglichkeiten für Di-

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plomarbeiten oder industrienahe Dissertationen. Mit dem Institut Industrial Management (IWI) der FH JOANNNEUM verbinden HOERBIGER bereits seit über zehn Jahren Kooperationsaktivitäten. Neben Praxissemester und Bachelor-/ Diplomarbeiten werden Themen regelmäßig in Projekten bearbeitet: Optimierung des Fertigungsprozesses Laserzuschnitt, Automatisierung der Fertigungs- und Materialstammanlage in SAP, Global Capital Investment Management im Bereich Investitionscontrolling, Maintenance Excellence durch Entwicklung einer Beurteilungsmethodik, Programmierung eines Strategiefindungstools zur globalen Ermittlung von Instandhaltungsstrategien auf Maschinenebene oder die Analyse und Optimierung der Stabilität spezifischer Produktions- und Beschaffungsprozesse. Im angewandten Forschungsfokus vertikale IT-Integration ergeben sich mit neuen Technologien wie In-Memory Computing / Big Data / M2M (OPC UA) und Cloud Computing nachfolgende Forschungsthemenstellungen: Datenerfassung und Datentransfer in Echtzeit mittels moderner Protokolle (z. B. OPC UA/Streaming/Web Services) von Maschine zu Maschine (M2M) sowie in die darüber liegenden Ebenen der Automatisierungspyramide, wobei situativ unterschiedliche Topologien in Bezug auf Adressaten als auch Übertragungswege zu berücksichtigen sind. Dies ermöglicht eine Prozessüberwachung im Rahmen eines CEP (Complex Event Process)-Ansatzes. Unter Verwendung prädiktiver Verfahren werden in weiterer Folge Potenziale zur vorausschauenden Anpassung und Optimierung der Produktion untersucht.

Unterstützt wird dies durch die zunehmende technologische Konvergenz von ERP- und MES-Systemen und der damit verbundenen Grob- und Feinplanung. Im Bereich des Reporting liegt ein Forschungsschwerpunkt bei Advanced Analytics Methoden sowie der Bereitstellung von Rollen-, Standard- und objektbezogenen Informationen mittels mobilen Devices in Echtzeit. Daraus ergeben sich im Rahmen der Industrie4.0-Ziele für HOERBIGER zukünftige weitere Kooperationspotenziale. Doch die Technik alleine ist zu wenig. Zur Realisierung der Vision Industrie 4.0 und der diskutierten Technologien in der Industrie werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benötigt, die in der Lage sind, den dadurch erzeugten Wandel auch tatsächlich im Unternehmen umzusetzen. Hierzu bedarf es an Talenten mit Kompetenzen in den Bereichen Projektmanagement, Kommunikation sowie Interdisziplinarität zwischen Technik, Wirtschaft und Informationstechnologie. Und hier macht es speziell der Mix zwischen diesen Themen aus. Neben den bisherigen Themen Produktion und Supply Chain Engineering erwartet sich HOERBIGER aus der ab Herbst 2017 angebotenen Master-Vertiefungsrichtung „Smart Production & Services“ und der geplanten Lehr- und Forschungsfabrik „Smart Production Lab“ neue Ansätze für die vertikale und horizontale IT-Integration. Im Kernteam und damit beim Design und Aufbau des Labors eingebunden, sind Kooperationsstudenten des Instituts und HOERBIGER. Die Kooperation bietet den Studenten ein Arbeitspaket aus angewandter Forschung am Institut, Anwendung in der industriellen Praxis bei HOERBIGER in Wien und einem berufsbegleitenden Masterstudium im Bereich Industrial Management. Die bisherigen Erfahrungen mit den Absolventen sind sehr positiv – konnten sich doch einige bereits in führenden Positionen im HOERBIGER Konzern beweisen. 5. Die Produktion als strategischer Wettbewerbsvorteil für HOERBIGER? Gelingt es, gemeinsam mit den Partnern die Ideen und Ansätze entlang des „Industrie-4.0-Fahrplans“ in Richtung Vision 1-1-1 tatsächlich umzusetzen, hätte dies weitreichende Folgen.

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Top-Thema Was wäre, wenn die Produktion tatsächlich einen neuen Level hinsichtlich Flexibilität und Produktivität erreichen könnte? Welch hoher Kundenwert würde geschaffen, wenn Lieferzeiten deutlich verkürzt werden könnten? Was würde es für klassische industrielle Serviceleistungen bedeuten, wenn neue Produkte mit geringeren Produktionskosten erzeugt werden könnten? Die Beispiele zeigen: Produktion 4.0 – in Anlehnung an Industrie 4.0 – würde zum strategischen Wettbewerbsvorteil und gänzlich neue Geschäftsmodelle ermöglichen. Nicht jede Technologie wird sich durchsetzen. Nicht alles erzeugt gleich Mehrwert im Unternehmen. Aber jede Veränderung, so auch Industrie 4.0, startet mit einer Vision. Und: der beste Weg, die Zukunft vorherzusagen, ist – frei zitiert nach Peter Drucker – in ihrem Entstehungsprozess mitzuwirken. Für HOERBIGER ergeben sich daraus folgende Handlungsempfehlungen: Die Vision ist entscheidend: Definieren Sie ein klares Zielbild und halten Sie daran fest. Realistische Erwartungshaltung: Geben Sie Industrie 4.0 die notwendige Zeit, große Vorteile bringt vermutlich erst eine reife Ausbaustufe. Echter Wert: Industrie-4.0-Ansätze bieten unterschiedliche Technologien. Finden Sie heraus, was für Ihre spezifische Situation Wert stiftet. Pro-aktive Partizipation: Werden Sie Teil der Industrie-4.0-Community. Besuchen Sie Messen und Konferenzen. In Kooperationen erarbeitet sich ein neues Thema leichter. Kollaboration mit Partnern: Bilden Sie ein starkes wissenschaftliches Netzwerk mit Hochschulen und Industriepartnern. Stärken Sie damit Ihr technisches Team und schließen Sie Wissenslücken. Fördermöglichkeiten: Industrie 4.0 veranlasst Bund, Länder und Regionen, lokal wie global, zur finanziellen Unterstützung von Forschungsvorhaben. Nutzen Sie die Chancen und unterstützen Sie so die ersten Schritte. Innovationsführerschaft: Es ist nicht die Zeit, auf andere zu warten. Nehmen Sie die Aufgabe Industrie 4.0 selbst in die Hand.

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Hartnäckigkeit: Bleiben Sie standhaft, auch wenn es Rückschläge gibt. Kalkuliertes Risiko: Mehr Risiko – mehr Erfolg: klassische Methoden wie Projektmanagement helfen Ihnen, das Risiko zu minimieren. Eine spannende Zeit: Wir befinden uns in einem der größten industriellen Veränderungsprozesse der Geschichte. Genießen und nutzen wir die Möglichkeiten, die sich bieten, gemeinsam mit unseren MitarbeiterInnen und KollegInnen. Akzeptanz führt zu größerem Erfolg. Über HOERBIGER HOERBIGER ist weltweit in führender Position in den Geschäftsfeldern der Kompressortechnik, Antriebstechnik und Hydraulik tätig. Die Marke HOERBIGER steht für performancebestimmende Komponenten in Kompressoren, Industriemotoren und Turbinen, in Automobilgetrieben sowie in vielfältigen Anwendungen im Maschinen- und Anlagenbau. Innovationen in attraktiven technologischen Marktnischen sind die Basis für Komponenten, Systeme und Serviceleistungen mit hochwertigen Alleinstellungsmerkmalen und nachhaltigem Kundennutzen. w w w.ho erbiger. com

ter leistungsbestimmender Komponenten und Lösungen für Gasmotoren innerhalb der HOERBIGER Gruppe. Dipl.-Ing. Gernot Mauthner ist Leiter für Produktionstechnologie der Division Engine bei HOERBIGER und konzentriert sich in seiner Funktion auf flexible Fertigungstechnologien, Digitalisierung der Produktion und moderne Hochschul-Kooperationsmodelle. Dipl.-Ing. Christoph Magnet ist Leiter der Geschäftseinheit Engine Service bei HOERBIGER und führte davor als Direktor der Produktion neue Maschinenkonzepte in dem Leitwerk in den USA ein. In seiner Funktion ist er nun verantwortlich für das globale Serviceund Distributionsgeschäft von Gasmotoren und Komponenten.

Ing. Mag. Hannes Hunschofsky Leiter des Geschäftsbereiches Engine bei HOERBIGER

Dipl.-Ing. Gernot Mauthner Leiter für Produktionstechnologie der Division Engine bei HOERBIGER

Autoren: Ing. Mag. Hannes Hunschofsky ist Leiter des Geschä f t sb ereiches Engine, einem führenden Anbie-

Dipl.-Ing. Christoph Magnet Leiter der Geschäftseinheit Engine Service bei HOERBIGER

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Top-Thema

Foto: © Rosenbauer

Herbert M. Richter, Magdalena Gabriel, Michael Friedmann

Service Engineering Was ist unter Service Engineering zu verstehen? Welche Bedeutung haben die aktuellen Entwicklungen von Industrie 4.0 für Service Engineering? Wie lässt sich der Reifegrad eines Unternehmens hinsichtlich Service-Entwicklung erkennen und beschreiben? Vorliegender Beitrag bietet neben Antworten zu diesen Fragen ein Service-EngineeringFallbeispiel aus dem Unternehmen Rosenbauer.

1. Grundlagen Service Engineering Im Service Engineering wird, in Anlehnung an die industrielle Produktentwicklung, ingenieurwissenschaftliches Methoden- und Instrumenten-Knowhow zur systematischen Entwicklung und Gestaltung von Dienstleistungen verwendet, um somit die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu stärken (Fähnrich/Opitz 2006; Meyer/Böttcher 2011). Der Begriff Service Engineering steht für „[…] die Neugestaltung und Weiterentwicklung von Dienstleistungen/ Servicelösungen im Rahmen von interdisziplinären Strategie- und Kreativprozessen, wie zum Beispiel Bedarfsanalyse, Ideengenerierung, Wert- und Nutzenfindung usw., und für die modellgestützte und praxistaugliche Umsetzung bestehender und neuer Servicelösungen (=> Planung, Integration, Positionierung und Entwicklung von Geschäfts- und Ertragsmodellen usw.) im Sinne einer wertorientierten Un-

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ternehmensentwicklung“ (Richter et al. 2016, S.11). Durch die Anwendung von Methoden und Instrumenten des Service Engineerings entstehen in einem Designund Engineering-Prozess innovative Kombinationen aus Produkt und Service, welche auch als hybride Leistungsbündel bezeichnet werden. Durch sie kann ein neuer Mehrwert für Kunden und damit ein Alleinstellungsmerkmal (Differenzierung) im Wettbewerb erreicht werden (Leimeister 2012; Haller 2015). Weitere Nutzenpotenziale liegen in der Steigerung von Qualität und Kundenzufriedenheit durch eine stärkere Fokussierung auf die Kundenbedürfnisse und schließlich in einer Reduktion der Entwicklungskosten durch weniger Fehlentwicklungen. Jedoch ist nicht jedes neu entwickelte Service erfolgreich. Studien zeigen, dass rund 45 Prozent der neuen Services das erste Jahr ihrer Markteinführung nicht überstehen (Fraunhofer IAO 2013). Die Gründe hierfür sind vielfältig: So herrscht oftmals ein Mangel an geeig-

neten Methoden und Werkzeugen für die Serviceentwicklung im Unternehmen, weshalb Dienstleistungen „aus dem Bauch heraus“ entwickelt werden. Eine unsystematische Vorgehensweise führt in weiterer Folge dazu, dass Kundenbedürfnisse nicht ausreichend berücksichtigt werden oder Tests hinsichtlich möglicher Schwachstellen im Serviceprozess ausbleiben. Oft ist sich auch das Management der Wichtigkeit der Serviceentwicklung nicht bewusst bzw. sind die Strukturen in der Organisation unzureichend (Eversheim et al. 2006; Leimeister 2012). Bei der Entwicklung neuer Services empfiehlt sich somit ein ähnlich systematisches und stringentes Vorgehen, wie es bei der Entwicklung von industriellen Produkten schon lange üblich ist. Durch die Anwendung von geeigneten Modellen, Methoden und Vorgehensweisen soll vermieden werden, dass Dienstleistungen nach dem Trialand-Error-Verfahren entwickelt bzw. ohne ausreichende Berücksichtigung

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Top-Thema der Marktbedürfnisse angeboten werden. 2. Ein Reifegradmodell zur Weiterentwicklung Die aus einem systematischen ServiceEngineering-Prozess resultierenden hybriden Produkte können sowohl separate produktbegleitende Dienstleistungen zur Förderung des Absatzes als auch Performance-ContractingLeistungen, d. h. aus Sachleistung und produktbegleitenden Dienstleistungen bestehende Leistungsbündel, sein. Mit steigendem Umfang und Komplexität der angebotenen Services erhöhen sich auch die erforderlichen spezifischen Fähigkeiten der jeweiligen Organisation für die erfolgreiche Entwicklung und Durchführung der Services. Wenn diese Fähigkeiten in Stufen gruppiert werden und eine Stufe auf den Kompetenzen der darunterliegenden Stufe aufbaut, spricht man von einem Reifegradmodell (Richter/Tschandl 2017). Durch Reifegradmodelle wird es den Unternehmen ermöglicht, den aktuellen Status ihrer Dienstleistungen zu bestimmen und ihr Dienstleistungsportfolio mit den darüber liegenden Stufen zu erweitern. Im Folgenden wird ein Reifegradmodell für Dienstleistungen am Beispiel des Maschinen- und Anlagenbaus vorgestellt. Dieses ist in sechs Stufen unterteilt, wobei die Stufe 0 grundsätzlich keine wesentlichen Dienstleistungen außer einer eventuellen Ver-

kaufsberatung inkludiert. Die Stufen 1 bis Stufe 3 sind zur Gruppe Service als Zusatzleistung, Stufe 4 und Stufe 5 zur Gruppe Service als Geschäftsmodell zusammengefasst. Stufe 1 umfasst Services, welche die Herstellung von Maschinen und Anlagen direkt beim Kunden ermöglichen. Typische Beispiele sind Mitarbeiterschulungen, Services zur Montage und Inbetriebnahme oder das Angebot von Garantie- und Finanzierungsservices. In Stufe 2 wird die Aufrechterhaltung der Produktion beim Kunden unterstützt. Dies umfasst beispielweise klassische Dienstleistungen wie Ersatzteilmanagement, Wartung und Instandhaltung, Reparatur und Inspektion, aber auch Remote Services. In der Stufe 3 soll durch spezifische Serviceleistungen die Anwendung der Maschinen und Anlagen optimiert und dadurch die Kosten für den Kunden reduziert werden. Dies kann beispielweise durch Prozessoptimierungen, Modernisierung der Anlage oder weiterführende Remote Services (z. B. durch präventive Wartung) erzielt werden. Ab der Stufe 4 steht nicht mehr der Verkauf von Maschinen und Anlagen im Vordergrund, sondern deren Verfügbarkeit beim Kunden. So wird beispielweise durch Performance Contracting eine Leistungsvorgabe zugesichert (z. B. 98 % Verfügbarkeit der Anlage). Da der Kunde in Abhängigkeit der technischen Verfügbarkeit zahlt, ist es im Interesse des Herstellers, die Anlage

Abbildung 1: Reifegradmodell für stufenweise Erweiterung des Dienstleistungsangebots (Richter/Tschandl 2017, in Anlehnung an Spath/Demuß 2006; Schuh et al. 2016; Riedl/Tolba 2013)

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stets funktionsbereit zu halten. Contract Hire, welches ebenfalls in dieser Stufe einzuordnen ist, beschreibt eine Form des operativen Leasings für Maschinen und Anlagen, bei dem weitere Services, wie etwa die Wartung durch das Leasing-Unternehmen, inkludiert sind. In Stufe 5 stellt der Hersteller auch das Personal und betreibt die Sachleistung vollständig selbst. Dabei übernimmt er auch die Risiken, die im Zuge der Betriebsführung entstehenden können (z. B. durch Fehlbedienungen und Fehlnutzungen) sowie die anfallenden Betriebs- und Wartungskosten. Vom Kunden wird im Gegenzug eine Gebühr für die tatsächliche Nutzung bezahlt. Beispielsweise überträgt der Kunde beim Contract Manufacturing (Outsourcing) die Verantwortung für die Produktion einzelner Teile oder des gesamten Produktes gänzlich einem anderen Unternehmen, beispielsweise dem Hersteller der Sachleistung oder einem Logistikunternehmen (Schuh et al. 2016). 3. Neue Services im Kontext von Industrie 4.0 Durch die zunehmende Digitalisierung werden industrielle Maschinen und Anlagen vermehrt mit digitalen Komponenten und Datenverbindungen zu internen und externen Netzwerken ausgestattet. Folglich entstehen neue Möglichkeiten, um einerseits neue innovative Services unter Zuhilfenahme der neuen technologischen Möglichkeiten anzubieten und andererseits die Qualität von bestehenden Services zu steigern. Eine Studie des Fraunhofer Institutes (Bienzeisler et al. 2014) zeigt, dass der Einsatz neuer Technologien den technischen Service in den nächsten Jahren stark verändern wird. Als relevante Technologietrends werden von Seiten der Hersteller die Machine-to-MachineKommunikation (z. B. für Echtzeitüberwachungen), der Einsatz von Service-Apps und Service-Portalen (z. B. zur Dokumentation von Serviceeinsätzen, die Bereitstellung von Maschineninformationen oder zur Meldung von Maschinenstörungen), Recommender Systems (z. B. für kundenspezifische Serviceempfehlung) und Augmented Reality (z. B. für Assistenzsysteme zur Unterstützung von Produktions- und Servicemitarbeitern) wahrgenommen.

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Top-thema Diese Entwicklungen bieten somit ein großes Potenzial für die Neu- bzw. Weiterentwicklung von Services. 4. Service Engineering bei Rosenbauer Für die Firma Rosenbauer, dem Weltmarktführer für den mobilen abwehrenden Brandschutz, ist das Thema Service Engineering und daran anknüpfend Serviceinnovationen von entscheidender Bedeutung. Abgeleitet werden Ideen für Serviceinnovationen von einer Feuerwehrtrendmap, die in Expertenworkshops periodisch aktualisiert wird. Die Ideen werden jeweils nach ihrer Relevanz hinsichtlich der Feuerwehrtrends bewertet. Dabei vollziehen die ursprünglichen Serviceziele des Unternehmens, wie Erhöhung der Kundenzufriedenheit, Verbesserung des Images am Markt oder Steigerung der Wertschöpfung, in den letzten Jahren eine Transformation hin zu Customer Experience, Relevanz am Markt und Erhöhung des Kundennutzens. Bezogen auf diese neuen Ziele und in Hinblick auf die Feuerwehrtrends der Zukunft wird dem Trainingsbereich ein besonderes Augenmerk geschenkt. Als klares Technologie- und Zukunftsprodukt investiert Rosenbauer daher konsequent in die Entwicklung von Einsatz-Simulatoren. So können beispielsweise im Emergency Response Driving Simulator (ERDS), einem Simulator für die Einsatzfahrt, schwierige Verkehrssituationen gefahrlos trainiert werden. Um mobil zu sein, wurde der Simulator, der aus einer beweglichen LKW-Kabine mit Projektionssystem und einer InstruktorenStation besteht, in einen Container integriert. Zusätzlich wurde diese Station durch zahlreiche Services ergänzt und zu einem hybriden Produkt gewandelt welches der Stufe 1 des Reifegradmodells (Sales Support) entspricht. Dazu wurde das Trainingsangebot rund um den Einsatzfahrt-Simulator sukzessive ausgebaut und zum sogenannten Trainings-System driving4fire weiterentwickelt, das weit über das reine Simulator-Training hinausreicht. Wichtige Bausteine sind nicht nur ein parallel stattfindendes Fahrsicherheitstraining mit dem eigenen Einsatzfahrzeug auf einem Testgelände, sondern

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auch eine psychologische Schulung sowie eine Einweisung in die gesetzlichen Grundlagen der Einsatzfahrt. Als nächster Erweiterungsschritt wurde das Trainingskonzept um e-Learning-Module ergänzt. Dadurch wird der Feuerwehrmann schon vor dem Trainingstag auf das Thema eingestimmt, muss er sich doch durch Vorbereitungsaufgaben mit der Einsatzfahrt thematisch auseinandersetzen. Ein wichtiger Aspekt ist die Erlangung eines guten Überblicks über das eigene Einsatzgebiet mit Kennzeichnung besonderer Gefahrenstellen. Nach absolviertem Training erfolgt die Wissensüberprüfung über das hauseigene LMS (Learning-ManagementSystem). Durch diese schrittweise Weiterentwicklung des Trainingsangebotes rund um den Fahrsicherheits-Simulator konnte ein umfassendes Trainingskonzept und somit ein hybrides Produkt mit hohem Kundennutzen geschaffen werden. Hierbei ist auch bereits ein höherer Reifegrad der Serviceleistung erkennbar, welcher der Stufe 3 des Modells (Solution Support) entspricht. 5. Fazit Neue Services werden speziell für Lieferanten von Maschinen und Anlagen immer wichtiger. Damit sollen zusätzliche Gewinne erzielt und die Bindung der Kunden an den Hersteller langfristig gesichert werden. Notwendige Voraussetzungen bei der Entwicklung neuer Services sind Kreativität und eine ingenieurmäßige Umsetzung von Serviceideen. Das dargestellte Reifegradmodell für eine stufenweise Erweiterung des Serviceangebots soll für Unternehmen – mittels Darstellung von Servicebeispielen – eine Hilfestellung bei der Planung und Umsetzung von Servicestrategien sein. Verstärkt wird der Trend zu hybriden Leistungsbündel durch Digitalisierung, weil im Kontext zu Industrie 4.0 zunehmend neue Services entstehen. Referenzen

Dipl.-Ing. Dr. Herbert M. Richter Associate Professor am Wirtschaftsingenieur-Institut Industrial Management, FH JOANNEUM, Kapfenberg Bienzeisler, A./Gahle, B./Schletz, A.-K. (2014): Industrie 4.0 ready services Technologietrends, in: Fraunhofer IAO, Jg. 2014, Stuttgart. Eversheim, W./Liestmann, V./Winkelmann, K. (2006): Anwendungspotenziale ingenieurwissenschaftlicher Methoden für das Service Engineering, in: Bullinger, H.-J./Scheer, A.-W. (Hrsg.): Service Engineering – Entwicklung und Gestaltung innovativer Dienstleistungen, 2. Aufl., Berlin/Heidelberg, S. 423-442. Fähnrich, K.-P./Opitz, M. (2006): Service Engineering – Entwicklungspfad und Bild einer jungen Disziplin, in: Bullinger, H.-J./ Scheer, A.-W. (Hrsg.): Service Engineering – Entwicklung und Gestaltung innovativer Dienstleistungen, 2. Aufl., Berlin/Heidelberg, S. 85-112. Fraunhofer IAO (2013): Trends und Perspektiven des Service Engineering, in: ZWF Zeitschrift für wirtschaftlichen Fabrikbetrieb, 108. Jg., S. 193-194. Haller, S. (2015): Dienstleistungsmanagement. Grundlagen – Konzepte – Instrumente, 6. Aufl., Wiesbaden. Leimeister, J.-M. (2012): Dienstleistungsengineering und -management, Berlin/Heidelberg. Meyer, K./Böttcher, M. (2011): Entwicklungspfad Service Engineering 2.0 – Neue Perspektiven für die Dienstleistungsentwicklung, Leipziger Beiträge zur Informatik: Band XXIX, Leipzig. H. M. Richter/Martin Tschandl (2017): Service Engineering – Neue Services erfolgreich gestalten und umsetzen, in: Bruhn, M./ Hadwich, K. (Hrsg.): Forum Dienstleistungsmanagement 2017 – Dienstleistungen 4.0 – Springer Verlag, Berlin Heidelberg. Richter, H.-M./Tschandl, M./Platsch, M./Mallaschitz C. (2016): Erfolg durch neue Services: Service Design & Engineering – Methoden, Werkzeuge und Vorgehensweisen, Kapfenberg. Riedl, E./Tolba, H. (2013): Service Engineering, Projektendbericht, Kapfenberg. Schuh, G./Gudergan, G./Grefrath, C. (2016): Geschäftsmodelle für industrielle Dienstlei-

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Top-Thema stungen, in: Schuh, G./Guergan, G./Kampker, A. (Hrsg.): Management industrieller Dienstleistungen, 2. Aufl., Berlin/Heidelberg, S. 65-104. Spath, D./Demuß, L. (2006): Entwicklung hybrider Produkte – Gestaltung materieller und immaterieller Leistungsbündel, in: Bullinger, H.-J./Scheer, A.-W. (Hrsg.): Service Engineering – Entwicklung und Gestaltung innovativer Dienstleistungen, 2. Aufl., Berlin/ Heidelberg, S. 461-502.

Autoren: Dipl.-Ing. Dr. Herbert Michael Richter ist Associate Professor für den Bereich Technisches Marketing – Technischer Vertrieb am Wirtschaftsingenieur-Institut Industrial Management an der FH JOANNEUM in Kapfenberg. Dipl.-Ing. (FH) Magdalena Gabriel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrende am WirtschaftsingenieurInstitut Industrial Management an der FH JOANNEUM in Kapfenberg. Ihre Forschungs- und Lehrschwerpunkte:

Service Engineering, Innovationsmanagement und P r o z e s sm a n a g e ment. Michael Friedmann ist Senior Vice President der Bereiche Global Marketing, Product Management und Customer Service der Rosenbauer International AG. Das österreichische Unternehmen ist weltweit die Nummer eins im Brandund Katastrophenschutz durch richtungsweisende Innovationen und herausragende Fahrzeuge.

Dipl.-Ing. (FH) Magdalena Gabriel Lehrende am Wirtschaftsingenieur-Institut Industrial Management, FH JOANNEUM, Kapfenberg

Michael Friedmann Senior Vice President der Bereiche Global Marketing, Product Management und Customer Service, Rosenbauer International AG

Manuel Happacher

WINGnet Villach: Firmenbesuch beim Kooperationspartner MAHLE Filtersysteme Austria GmbH

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ür die Mitglieder des WINGnet Villach war es heuer ein Valentinstag der besonderen Art. Sie folgten der Einladung des Automobil Zulieferkonzerns MAHLE Filtersysteme Austria GmbH nach St. Michael ob Bleiburg. Zwischen dem WINGnet Villach und dem Kärntner Vorzeigeunternehmen besteht seit Oktober 2016 eine Kooperationspartnerschaft. Für die Studenten bedeutet dies die Möglichkeit, an sehr interessanten Projekten mitzuwirken und auf sich und ihre Fähigkeiten in praxisorientierten Bachelor- und Masterarbeiten aufmerksam zu machen. Die Kooperation ist somit eine Win-win-Situation für beide Seiten, denn als Leitbetrieb des MAHLE Konzerns hat der Standort in St. Michael ob Bleiburg einen hohen Bedarf an gut ausgebildetem und hoch qualifiziertem Personal. Das Berufsbild des Wirtschaftsingenieurs erfüllt diese Anforderungen natürlich optimal. Nach einem freundlichen Empfang wurden den Studenten zuerst die

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Struktur und die Firmengeschichte des MAHLE Konzerns sowie der im Jahr 1969 gegründeten Niederlassung in Unterkärnten erläutert. Im Anschluss konnten sie bei einer äußerst interessanten Werksführung einen Einblick in die Produktion von Filtersystemen bekommen. Hier setzt MAHLE auf einen Mix aus alt bewährten Produktionstechniken und einem hohen Grad an Automatisierung. Ein hoher Qualitätsstandard ist auch hier Voraussetzung um mit der Konkurrenz und dem hohen Preisdruck mithalten zu können. Deswegen verfolgt MAHLE hier eine Null-Fehler-Strategie und konnte sich mit mittlerweile ca. 2450 Mitarbeitern (in St. Michael und Wolfsberg) zum zweitgrößten Arbeitgeber Kärntens entwickeln. Die Mitglieder des WINGnet Villach konnten an diesem Tag ausgezeichnete Eindrücke für zukünftige, gemeinsame Projekte im Rahmen ihres

Studiums in einem renommierten Automobil Zulieferbetrieb sammeln. Mit der Tatsache, dass in jedem zweiten PKW eine Komponente des MAHLE Konzerns verbaut ist, wird der eine oder andere bestimmt etwas genauer hinsehen, wenn er das nächste Mal die Motorhaube seines Autos öffnet. Der Vorstand des WINGnet Villach bedankt sich bei seinem Kooperationspartner für den äußerst interessanten Abend und freut sich auf die nächsten gemeinsamen Veranstaltungen.

Foto: MAHLE Filtersysteme Austria GmbH

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WINGNET Cyrus Gitinaward

ESTIEM: Vienna meets Poznan & Gdansk

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m Sommer 2016 hatten wir über das Studentennetzwerk ESTIEM einen Exchange mit unseren Freunden aus Posen, Danzig und Kiew organisiert und diesen drei Local Groups unser schönes Wien gezeigt. Nun folgte die Einladung für unsere Gruppe nach Polen, um die Kultur näher kennenzulernen und die Beziehung zu den beiden Gruppen zu stärken. Mit großer Vorfreude starteten wir unseren Trip am Freitag, den 3.2.17 gegen 23 Uhr am Busbahnhof in Erdberg. Nach einem herzlichen Empfang in Posen, hatten wir eine kleine Einschulung über die Geschichte Polens und die Stadt Posen, sowie deren Highlights die es

zu sehen gibt. Am zweiten Tag gab es eine Sightseeingtour, bei der wir die kleine, jedoch sehr schöne Altstadt bewundern konnten. Am Abend wurden gruppendynamische Spiele organisiert, um die Kommunikations- und Teamfähigkeit zu stärken und eine Einheit zu bilden. Auch Bowling, Billard und eine Führung in der Lech Brauerei standen auf unserem Programmplan, bevor wir den Trip nach Danzig antraten. Nach sehr sehenswerten und spaßigen Tagen in Posen, wurden wir in Danzig ebenso herzlich empfangen und mit traditionellen Krauttaschen gut bekocht. Natürlich hatten wir auch hier eine Sightseeingtour und lernten viel über die sehr interessante Geschichte der Stadt Danzig. Trotz der Eiseskälte, waren die Mitglieder der Local Group topmotiviert uns so viel als möglich von ihrer Heimat zu zeigen und zu erzählen, was uns außerordentlich gefreut hat. Da Danzig eine Stadt am Meer ist, konnten wir uns einen Besuch des gefrorenen Schneestrands natürlich nicht entgehen lassen und so manch mutiger traute sich sogar ins

Eiswasser zu springen. Am letzten Tag vor unserer Abreise hatten wir ein Training, in dem wir den Unterschied zwischen einer Gruppe und einem Team erläutern sollten und im Team eine Aufgabe zu erfüllen hatten. Bei dieser Aufgabe ging es darum, anderen zu vertrauen und gemeinsam eine Lösung zu finden, um ein definiertes Ziel erreichen zu können. Da der Sport und Spaß nicht zu kurz kommen durfte, besuchten wir anschließend an unser Braintraining eine Jumpcity, in der wir Trampolinspringen konnten. Nach diesem sehr lustigen, jedoch auch anstrengenden Tag, ließen wir den letzten Abend bei einem gemütlichen Beisammensitzen ausklingen, bevor wir am nächsten Tag die Heimreise antraten. Alles in Allem war es ein äußerst gelungener und sehr spaßiger Exchange, den wir voll und ganz genossen haben.

erlernten Fähigkeiten im Team fächerübergreifend mit Teilnehmern aus dem gesamten deutschsprachigen Raum zu messen. Eine ganz besondere Freude ist es dann natürlich für alle Beteiligten, wenn man sich, wie es dieses Jahr an der TU Graz zum ersten Mal gelungen ist, gegen alle Mitbewerber durchsetzen und den ersten Platz bei diesem renommierten Wettbewerb erringen kann. Wenn zusätzlich Mitglieder des Wingnet Graz diese Gewinner stellen ist das natürlich auch für den Verein eine ganz besondere Freude und Ehre. Die Bearbeitung der Angabe „Projekt Schlossgarage“, einer zweistöckigen Tiefgarage aus Stahlbeton in Innenstadtlage, erfolgte dabei in einem Team aus drei Personen. Auszuarbeiten waren sowohl technische Kriterien wie die Schalungsplanung

oder Detaillösungen der Schalung, wie auch logistische Problemstellungen der Baustelleneinrichtung, Geräteeinsatzund Zeit- sowie Ressourcenplanung aber auch kalkulatorische Aufgaben wie die Erstellung eines Leistungsverzeichnisses und einer Kalkulation aller Leistungen mit vorangehender Kostenschätzung. Auch das in der Baubranche äußerst wichtige Claim-Management spielte eine Rolle, so war eine Nachtragsforderung für spezielle Fälle von

Der nächste Exchange steht daher schon bald bevor und wird in der schönen Stadt Kiew stattfinden. Wir freuen uns schon ganz besonders darauf!

Fabian Siebert

Studieren und Probieren

Probieren geht über Studieren“ ist ein gerne und oft strapaziertes Sprichwort, das natürlich auch, oder sogar gerade an einer technischen Universität wie der TU Graz hochgehalten werden sollte. Unter dieses Motto kann man auch das Engagement des Instituts für Baubetrieb und Bauwirtschaft setzen, das seine Studenten immer wieder anhält, praxisnahe Erfahrungen zu sammeln. Nicht ohne Grund werden jedes Jahr viele Exkursionen und Lehrveranstaltungen mit Experten aus der täglichen Baupraxis abgehalten. Unter genau jenem Motto kann man auch die Teilnahme an Studentenwettbewerben sehen. Ganz besonders der Wettbewerb der Firma DOKA, welcher alle zwei Jahre stattfindet ist hier ein Fixpunkt und die Teilnahme daran für mittlerweile viele Generationen an Studierenden eine große Möglichkeit ihre

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Foto: Doka GmbH

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WINGNET Störungen oder Änderungen des Bauablaufs durchzuspielen. Diese Aufgaben sollten in einem Bericht zusammengefasst und an DOKA gesandt werden, welche dann sowohl intern als auch in Zusammenarbeit mit einer externen Fachjury die fünf besten Teams zum Finale in das Hauptquartier nach Amstetten einluden und die Reihung nach einer Präsentation der Ergebnisse der Teams bekannt gaben. Dabei konnte vom Team der TU Graz, betreut von Prof. Dr. Christian Hofstadler und Dr. Markus Kummer nicht

nur der erste Platz, sondern auch ausgezeichnetes Feedback von der Fachjury erreicht werden. Als Belohnung folgte eine mehrtägige Reise nach Salzburg und Amstetten der fünf besten Teams mit spannenden Führungen bei DOKA und kulturellem Programm in Salzburg. All das ist natürlich eine große Wertschätzung der Leistungen der Teams, die sich in monatelanger Arbeit an dem Projekt neben ihrem Studium die Teilnahme an der Siegerfahrt erkämpft hatten. Auch für uns war es natürlich eine großartige Möglichkeit

viel zu lernen und Erfahrungen zu sammeln, die man während des Studiums in dieser Form wohl sonst nicht sammeln kann. Und so kann man wieder auf den einleitenden Satz zurückkehrend festhalten, dass es zwar die theoretischen Grundlagen des Studiums unbedingt braucht, wie viel man allerdings tatsächlich gelernt hat und ob man dieses Wissen auch vernetzt und im Team anwenden und umsetzen kann, zeigt sich erst bei der Erprobung unter realen Verhältnissen oder wie hier im Rahmen eines Wettbewerbs.

Philipp Wörgötter

WINGnet Graz: Skiausflug Heiligenblut, Jänner 2017

A

lle Jahre wieder fährt der WINGnet Graz ein Wochenende nach Heiligenblut am Großglockner. Dieses Jahr war es am 06.01.2017 so weit. Um 4 Uhr früh ging es in Graz mit 9 Mitgliedern des WINGnet Graz los in Richtung Kärnten. Dort angekommen präsentierte sich das Wetter von seiner kalten Schulter und bot uns bis zu -25 °C und

Foto: Philipp Wörgötter

Sturmböen über 80 km/h. Nichtsdestotrotz fuhren wir mit den Liftanlagen der Großglockner Bergbahnen auf über 2600 m.ü.A. hinauf, um die Pisten zu bezwingen. An dieser Stelle möchten wir den Großglockner Bergbahnen – besonders Herrn DI Dr. Peter Schmidl – danken, welche unseren Skiausflug Jahr für Jahr unterstützen. Nach einem ausgiebigen Skitag und einer etwas schwierigen Fahrt über eine Bergstraße zur gemieteten Almhütte Gipper, genossen wir bei Speis, Spiel und Trank einen gelungenen Abschluss des ersten Tages. Der nächste Tag begann mit strahlendem Sonnenschein, aber dennoch eisigen Temperaturen. Am Vormittag hatten wir noch Glück mit dem Wet-

ter und konnten bei strahlendem Sonnenschein die Pisten neben der Großglocknerhochalpenstraße genussvoll runterwedeln. Für die etwas geübteren Skifahrer unter uns, ging es dann neben den Pisten in den weitläufigen weißen Flächen weiter. Am Nachmittag verschlechterte sich zunehmend das Wetter und drängte uns in eine der Skihütten, bevor wir am Abend zur Almhütte abfuhren. In der zweiten Nacht schneite es am Berg bis zu 50 cm, was uns einen wunderbaren Pulverschnee bescherte. Diese Schwünge über die federweichen Pulverschneehänge waren einfach nur Genuss pur. In diesem Sinne hofft der WINGnet Graz auf einen weiteren gelungenen Skiausflug im nächsten Jahr.

Ziel ist es in kurzer Zeit die Aufgabenstellung zu erfassen und gemeinsam als Team eine Lösung zu generieren sowie ein geeignetes Konzept zu erarbeiten. In die Bewertung fließen sowohl „hard facts“ als auch „soft skills“ wie Präsentationstechnik oder Rhetorik ein.

Ausschließlich Over – Head Folien oder Flip – Charts. Für die diesjährige österreichweite Qualifikation konnte mit Deloitte ein hochkarätiger Partner für die Veranstaltung gefunden werden. Es traten 16 Studenten in 4 Teams gegeneinander an. Nach 3 Stunden Ausarbeitungszeit präsentierten die Teilnehmer ihre Lösungen einer erfahrenen Jury, angeführt von Hr. Dipl. Ing. Alexander Kainer, Partner bei Deloitte, Vizepräsident des WING sowie Regionalkreisleiter. Das Siegerteam repräsentierte Österreich (Local Group Vienna & Graz) erfolgreich vom 13. bis 16. Februar im Halbfinale in Lyon. Text Dominik Siedlik

TIMES Think Cases – Think Teams – Think Times. So lautet der Slogan für den größten Case Study Wettbewerb Europas. Erstmals im Jahre 1996 organisiert – avancierte TIMES schnell zu einem prestigeträchtigen, von hohem Niveau geprägtem, Event für die Wirtschaftsingenieursstudenten aus der ganzen Welt. Ausgetragen wird der Wettbewerb in 3 Stufen, beginnend mit der lokalen Ausscheidung in den jeweiligen Ländern, weiter über eines der 8 Halbfinal Events, bis hin zum großen Finale. Aus rund 300 Teams zu je 4 Personen in der ersten Runde ergeben sich 8 Teams die im Finale um den Titel „IEM Student of the Year“ kämpfen.

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Teilnahmebedingungen: Team bestehend aus 4 Teilnehmern (mind. 2 TU – Studenten) Case und Präsentation in Englisch Keine Hilfsmittel außer Wörterbuch und Taschenrechner Dauer: 3h 20 minütige Präsentation, sowie 15 Minuten für anschließende Fragen

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WINGnet

WING to your success

WINGbusiness Impressum

…wir sind für Sie garantiert von Nutzen …

Medieninhaber (Verleger) Österreichischer Verband der ­Wirtschaftsingenieure Kopernikusgasse 24, 8010 Graz ZVR-Zahl: 026865239

Gerade in Zeiten wie diesen stellen ein reizvoller Workshop, das Verteilen von lukrativen Flyern oder eine interessante Firmenpräsentation effiziente und kostengünstige Möglichkeiten zur Werbung für Unternehmen in Fachkreisen dar.Hervorzuheben ist der Zugang zur Technischen Universität als Innovations- und Forschungsstandort der besonderen Art, denn im Zuge von Bachelor- und/oder Masterarbeiten können Sie Studenten in Ideen für Ihre Firma miteinbeziehen und mit ihnen innovative Lösungen ausarbeiten. Nicht zuletzt wird auf diesem Weg auch für die Zukunft vorgesorgt. Denn schließlich sind es die heutigen Studenten der Technischen Universität, die morgen als Ihre Kunden, Händler oder Lieferanten fungieren. Mit WINGnet-Werbemöglichkeiten kann man diese nun schon vor dem Eintritt in das Berufsleben von sich und seiner Firma überzeugen und somit eine gute Basis für eine langfristige und erfolgreiche Zusammenarbeit schaffen. WINGnet Wien veranstaltet mit Ihrer Unterstützung Firmenpräsentationen, Workshops, Exkursionen sowie individuelle Events passend zu Ihrem Unternehmen. WINGnet Wien bieten den Studierenden die Möglichkeit- zur Orientierung, zum Kennenlernen interessanter Unternehmen und Arbeitsplätze sowie zur Verbesserung und Erweiterungdes universitären Ausbildungsweges. Organisiert für Studenten von Studenten.Darüber hinaus bietet WINGnet Wien als aktives Mitglied von ESTIEM (European Students

Editor Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Siegfried Vössner E-Mail: voessner@tugraz.at Redaktion/Layout Chefin vom Dienst & Marketingleiterin: Mag. Beatrice Freund Tel. +43 (0)316 873-7795, E-Mail: office@wing-online.at Redakteure Dipl.-Ing. Sigrid Swobodnik BSc E-Mail: sigrid.swobodnik@tugraz.at Dipl.-Ing. Thomas Böhm E-Mail: thomas.boehm@tugraz.at Dipl.-Ing. Harald Wipfler E-Mail: harald.wipfler@tugraz.at Dipl.-Ing. Julia Brugger BSc E-Mail: julia.brugger@tugraz.at Hanna Jöchlinger, MSc E-Mail: hanna.joechlinger@unileoben.ac.at Mag. Dipl.-Ing. Lena Paar E-Mail: lena.paar@tugraz.at Anzeigenleitung/Anzeigenkontakt Mag. Beatrice Freund Tel. +43 (0)316 873-7795,E-Mail: office@wing-online.at

of Industrial Engineering and Management) internationale Veranstaltungen und Netzwerke. In 24 verschiedenen Ländern arbeiten 66 Hochschulgruppen bei verschiedenen Aktivitäten zusammen und treten so sowohl untereinander als auch zu Unternehmen in intensiven Kontakt. Um unser Ziel - die Förderung von Studenten - zu erreichen, benötigen wir Semester für Semester engagierte Unternehmen, die uns auf verschiedene Arten unterstützen und denen wir im Gegenzug eine Möglichkeit der Firmenpräsenz bieten. Die Events können sowohl in den Räumlichkeiten der TU Wien als auch an dem von Ihnen gewünschten Veranstaltungsort stattfinden. Weiters können Sie die Zielgruppe individuell bestimmen. Sowohl alle Studienrichtungen als auch z.B. eine Festlegung auf Wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen ist möglich. Außerdem besteht die Möglichkeit eine Vorauswahl der Teilnehmer, mittels Ihnen vorab zugesandten Lebensläufen, zu treffen. Auf unserer Webseite http://www.wing-online.at/de/wingnetwien/ finden Sie eine Auswahl an vorangegangenen Events sowie detaillierte Informationen zu unserem Leistungsumfang WINGnet Wien: Theresianumgasse 27, 1040 Wien, wien@wingnet.at ZVR: 564193810

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Druck Universitätsdruckerei Klampfer GmbH, 8181 St. Ruprecht/Raab, Barbara-Klampfer-Straße 347 Auflage: 2.500 Stk. Titelbild: Fotolia WING-Sekretariat Kopernikusgasse 24, 8010 Graz, Tel. (0316) 873-7795, E-Mail: office@wing-online.at WING-Homepage: www.wing-online.at Erscheinungsweise 4 mal jährlich, jeweils März, Juni, Oktober sowie Dezember. Nachdruck oder Textauszug nach Rück­sprache mit dem Editor des „WINGbusiness“. Erscheint in wissenschaftlicher Zusammen­arbeit mit den einschlägigen Instituten an den Universitäten und Fachhochschulen Österreichs. Der Wirtschaftsingenieur (Dipl.-Wirtschaftsingenieur): Wirtschaftsingenieure sind wirtschaftswissenschaftlich ausgebildete Ingenieure mit akademischem Studienabschluss, die in ihrer beruflichen Tätigkeit ihre technische und ökonomische Kompetenz ganzheitlich verknüpfen. WING - Österreichischer Verband der Wirtschaftsingenieure ist die Netzwerkplattform der Wirtschaftsingenieure. ISSN 0256-7830

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A.T. Kearney: Ihr Partner für eine erfolgreiche Zukunft. Disruptive Veränderungen stellen Industrieunternehmen weltweit vor neue Herausforderungen. Industrie �.� ist in aller Munde, Roboter ersetzen zunehmend menschliche Arbeitskraft und innovative Unternehmen reißen klassische Branchengrenzen ein. Um diese Veränderungen frühzeitig zu erkennen und als Chance zu nutzen, braucht es einen starken Partner. A.T. Kearney verfügt über tiefgehende Branchenkenntnisse und nachhaltige Ansätze zur erfolgreichen Transformation in den Bereichen Operations, Procurement, Supply Chain und M&A im produzierenden Gewerbe wie der Energieversorgung, dem Maschinen- und Anlagenbau, der Automotive Branche und in der chemischen Industrie. Über �� Jahre Projekterfahrung mit unseren Kunden und weltweite Kompetenz machen uns zu einem vertrauensvollen Ansprechpartner für Ihr Unternehmen und einem attraktiven Arbeitgeber für Absolventen technischer Studienrichtungen. atkearney.at


Leidenschaft zählt.

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