s l Vö ählT... erz ALT UND JUNG IM GESPRÄCH
s l Vö ählT... erALTzUND JUNG IM GESPRÄCH EIN VORWORT „Völs erzählt – Mein Dorf und ich“ war das erste Projekt, mit dem 2016 der Bildungsausschuss Völs dazu animierte, mit dem Hilfsmittel der Fotografie Eindrücke von früher und von heute gegenüberzustellen. Das Ergebnis konnte in einer Ausstellung besichtigt werden, die zuerst in der Galerie Völs und später längs des Spazierweges unterhalb des Peterbühls gezeigt wurde. Nun können die Fotos im Gemeindegebäude besichtigt werden. Ende 2017 wurde die Idee zum Nachfolgeprojekt geboren: „Völs erzählt – Alt und Jung im Gespräch“. Das Projekt wurde in Zusammenarbeit von Bildungsausschuss und Bibliothek verwirklicht. Jugendliche und ältere Menschen haben sich in den Monaten Mai und Juni zusammengesetzt und über Themen des Alltagslebens gesprochen, immer aus der altersbedingten Perspektive. Das Themenspektrum umfasste verschiedene Themen wie Haushalt, Politik, Brauchtum, Vereine, um nur einige zu nennen. Die Gespräche wurden aufgezeichnet und transkribiert. Elke Wörndle hat durch ihre einfühlsame Art der Übertragung die Authentizität der Gesprächssituation gewährleistet. Ein großer Dank geht an Emma Kompatscher, die wertvolle Hilfe bei der Auswahl der älteren Gesprächspartner geleistet hat, an Sibille Huber, die ihren Jugendchor dazu motivierte vollzählig und sehr engagiert am Projekt mitzuarbeiten, und an Elmar Perkmann für seine fachkundige Gestaltung der Projektvorstellung; ein großer Dank auch dafür, dass er diese auf DVD gebrannt und sie dem Projektteam gespendet hat. Ein Dank schließlich an die Völser Gemeindeverwaltung und an die Raiffeisenkasse Schlern Rosengarten für die großzügige finanzielle Unterstützung zur Drucklegung der Broschüre. Ein abschließender und besonders herzlicher Dank geht an die jungen und älteren Gesprächsteilnehmer für ihr Interesse am Projekt und ihre begeisterte Teilnahme.
Reinhold Janek
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DIE THEMEN A L T ...
... U N D J U N G
EMMA KOMPATSCHER
JUDITH NICOLUSSI-MOZ
ADELHEID WEISSENEGGER
SOPHIA KORNPROBST
FRIDA KOMPATSCHER
MARTHA PLANÖTSCHER
MARIANNE PRIETH
SOFIE GASSER
HILDE SPITALER
VIKTORIA THEIL
HUBERT KOMPATSCHER
SARAH NICOLUSSI-MOZ
HANS FEDERER
BARBARA GAMPER
WALTER PRACKWIESER
SOPHIE GAMPER
ANTON KOMPATSCHER
NINA KOMPATSCHER
TONI FEDERER
MIRA WEISSENEGGER
HANS KRITZINGER
DAVID PENN ANGELA JANDAYAN PETRA LANTSCHNER NORA KÜNIG DENISE FEDERER ISABEL POLENTA
KINDHEIT UND ERZIEHUNG ... SEITE 6 ERNÄHRUNG ... SEITE 10 BRAUCHTUM ... SEITE 12 KIRCHE UND RELIGION ... SEITE 16 SCHULE ... SEITE 20 HAUSHALT ... SEITE 26 FREMDENVERKEHR ... SEITE 30 POLITIK ... SEITE 34 FEUERWEHR ... SEITE 38 SPORTVEREIN ... SEITE 42 MUSIKKAPELLE ... SEITE 46 VÖLSER CHORLEBEN ... SEITE 50 THEATERVEREIN ... SEITE 56
ANNA MITTERSTIELER HANNES VIKOLER ANNA KORNPROBST 4
LENA HARDER VIKTORIA KOMPATSCHER
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Emmas Erstkommunion 1949
Als Älteste von acht Moarkindern, 1942 in Völs geboren, selber Mutter von acht Kindern, weiß die Zimmmerlehner-Emma viel zu erzählen. Ihre Erinnerungen reichen detailgetreu zurück bis in ihre früheste Kindheit. Sie vermag es, Menschen mit ihrer bescheidenen Art mitzunehmen in ihre Welt, die von Achtsamkeit, Liebe und Glauben geprägt ist.
KINDHEIT UND ERZIEHUNG 6
EMMA KOMPATSCHER WWE. KOMPATSCHER, Zimmerlehner-Emma, Jahrgang 1942 JUDITH NICOLUSSI MOZ, Studentin SOPHIA KORNPROBST, Studentin
Emma: Wir waren zu acht, ein Bub und sieben Mädchen. Aber auch der Bub ist gleich streng erzogen worden. Folgen und Respekt waren die obersten Gebote, sonst gab es die Rute. Die Rute war allgegenwärtig. Auch den Knechten und Dirnen hatte man zu gehorchen. Manchmal stellte die Mutter den Vater an, uns zu blattern1, aber ich kann mich auch erinnern, dass die Mutter mir, als ich einmal beim Zippl gespielt habe und nicht rechtzeitig nach Hause kam, mit der Spülhuttl2 nachgerannt ist. Ich hab mich dann unter der Fensterbank versteckt. Freilich hat sie mich erwischt. Emma ist bei der Erziehung ihrer eigenen acht Kinder milder gewesen. Die Älteren spürten manchmal noch die Birkenrute, die zu Anfang immer auf der Kredenz bereitlag und die der damalige Knecht aus dem Wald mitgebracht hatte. Dieser alte Knecht sagte immer, die Kinder bräuchten mehr Wixe3. Aber als Emma dann einmal im Radio gehört hatte, dass man Kinder eigentlich nicht schlagen soll, dass das Schlagen ein Abreagieren für die Eltern ist, ist sie nachdenklich geworden. Die Rute ist daraufhin auf der Kredenz liegen geblieben. blattern: mit der Hand auf den nackten Hintern schlagen Spülhuttl: Bodenwischtuch 3 mehr Wixe: mehr Schläge 4 Tota: Patin
Emma: Ich habe mich dann mit anderen Strafen beholfen, so Emma. Im Zweiten Weltkrieg, als die Bomben auf Völs fielen, war Emma drei Jahre alt. Aber die Erinnerungen daran haben sich bei ihr tief eingeprägt. So erinnert sie sich, wie sie an einem Herbsttag mit ihrer Tota4 auf einer Wiese spielte, als plötzlich die Flieger ganz tief herangeflogen kamen. Sie eilten in einen danebengelegenen Stall und legten sich unter das Gewölbe am Boden nieder. Und einmal, ihr Bruder, der Hermann war erst ein oder zwei Monate alt, eilte die Mutter - der Vater war damals im Krieg - mit den Kindern in den Luftschutzkeller, dorthin, wo heute das Talhaus ist. Emma kann sich noch genau erinnern, wie eine Gitsch5, die ihre Mutter bei sich aufzog, nochmal zurückrannte um Schwetterlen6 für sie und ihre Schwester Paula zu holen. Es waren Sarnerlen7, Emmas hatte grüne Marienkäfer, Paulas hatte rote Knöpfchen. Im Luftschutzkeller war es dunkel, er war voller Menschen und alle haben gebetet. Eine alte Frau hatte eine Öllampe vor sich stehen und betete vor. Emma: In diesen Keller mussten wir nur einmal, sonst sind wir in unseren eigenen Keller gegangen, unter das Gewölbe. Eine unserer Dirnen8 war immer sehr neugierig. Sie ist immer schon vor der Entwarnung ins Freie gelaufen, um zu schauen, was passiert ist. Die Mutter einer unserer DienstGitsch: Mädchen Schwetterlen: Jäckchen 7 Sarnerlen: kleine, typische Jäckchen, rechts gestrickt 8 Dirnen: Mägde
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ihren Wein ausgetrunken haben. Ich war so lustig. Wir drei Mädchen haben bei der Porte14 hinunter gesungen. Zuhause hab ich mich auf den Divan niedergelegt und sofort geschlafen - mit dem weißen Kleid. Meine Mutter hat dann schon ein bisschen über die Männer geschimpft. Die Kinder des Moarbauern mussten bei der schweren Hausund Hofarbeit mit anpacken, obwohl immer viele Dienstboten zugegen waren, wurden die Kinder nicht verschont. Sie sollten ja auch die Arbeit erlernen.
Moargeschwister auf der Seiser Alm 1960
mägde war damals im Altersheim. Beim zweiten Abwurf der Bomben auf das Altersheim ist sie umgekommen. Die Fenster mussten immer verdunkelt werden, wir haben sie mit dunkelblauem Papier abgeklebt. Die Flieger haben bei den Bombardierungen Lametta9 abgeworfen. Das hat geglitzert. Das haben wir Kinder dann immer aufgesammelt. An Weihnachten wurde damit der Christbaum geschmückt. Schon in der Kindheit wurden Emmas Glaube und ihre Religiosität geprägt.
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Emma: Jeden Tag mussten wir zur Schulmesse. Sonntags mussten wir zweimal in die Kirche: Um halb neun war das Hochamt, alles in Latein. Um zwei Uhr am Nachmittag war dann die Andacht. Zwischen der Frühmesse um sechs Uhr und dem Hochamt wurde jede halbe Stunde die Kommunion ausgeteilt. Man hat extra kommen müssen, wollte man die Kommunion empfangen. Es gab auch die Kinderkommunion und einmal im Monat die Kinderbeichte. Diese war an unserem schulfreien Tag, am Donnerstagvormittag. Alle Völser Kinder sind dann zusammengekommen. Zuerst beichteten die Prösler, dann die Umser, die Kristanzner10, die Völser-Riedner, dann wir Obervölser und zum Schluss die Dorfkinder. Freitag während der Schulmesse bekamen wir die Kinderkommunion. Wenn Kinderkommunion war, mussten wir ab Mitternacht nüchtern (weder essen noch trinken) sein. Im Widum bekamen wir danach einen Kaffee, später hat uns die Messner-Tona immer einen Kaffee gemacht. Wir brachten dafür die Milch. Neben der Messner-Tona war das Daprà-Geschäft. Wir nannten die Besitzerin immer Frau Daprà. Sie war eine Sogenannte Düppel, Staniolstreifen: Sie dienten zur Radartäuschung Kristanzner: Bewohner aus St. Konstantin 11 aussi knien: Als Strafe musste man sich für alle sichtbar auf dem Kirchengang hinknien. 12 Polster, hier: ein besonderes Kissen, das auch bei Prozessionen getragen wird 13 Toatfall: Totenmahl
Kreuzwirtstochter und sie hatte zwei Geschäfte: In einem gab es Stoff, im anderen daneben Milch, Brot und Waffeln. Manchmal durften wir uns dort ein Nutella-Brot holen. Der Pfarrer war sehr streng. In die Kirche durfte man nie zu spät kommen, sonst musste man „aussi knien11“. Der Pfarrer hat auch auf dem Kirchplatz die Kinder geholt, die während der Messe draußen tobten. Die mussten dann im Gang auf dem kalten Boden knien. In der Adventszeit war der Rorategang ein Muss. Es hieß sehr früh aufstehen, um pünktlich in der Kirche zu sein. Das Glänzen und Leuchten und der Geruch des Weihrauches entschädigten sie für dieses Opfer. Emma: Alles glänzte, das war himmlisch, der Weihrauch riecht heute nicht mehr so gut, früher roch er viel besser. Emma erinnert sich noch genau an ihr Erstkommunionkleid. Damals durfte man es auch im Jahr darauf am Weißsonntag tragen. Und natürlich bei den fünf Prozessionen. Mein Kleid war so schön, dass ich es auch für meine vier Gitschn gerichtet habe, erzählt sie stolz. Auch bei den Beerdigungen einer ledigen Frau (Jungfrau) gingen drei Erstkommunionkinder in weißen Kleidern mit, sie hatten die Aufgabe den Polster12 vor der Jungfrauenfahne zu tragen. Schmunzelnd gibt Emma uns eine Anekdote preis.
Emma: An den Samstagen mussten wir beim großen Hausputz helfen, alles, was da anfiel. Im Mai durften wir immer den Maialtar schmücken, wir mussten regelmäßig die Blumen austauschen. Am Hof gab es viel Arbeit, wir gingen in den Stall, dort mussten wir striegeln und den Mist auflegen. Auf Wiesen, Feldern und Äckern fiel besonders viel Arbeit an: Wir Kinder mussten hüten, es hat ja noch keinen „Hüterzaun“ gegeben. Mit dem Wasserkandele15 mussten wir Wasser in die Äcker tragen, oft arbeiteten da 20 bis 30 Leute. Und im Sommer, wenn es heiß war, hatten die viel Durst. Als erstes bekam der Knecht das Wasser. Man musste den Dienstboten genauso folgen, wie den Eltern. Wehe, wenn man zurück geschnabelt16 hat, da gab es Schimpf oder die Rute. Um ein Uhr mussten wir den Männern den „Einser“ (langer Leps17) aufschenken, bevor sie nach einem kurzen Mittagsrasterle wieder aufs Feld gingen. Im „Langes“ mussten wir im Kleeacker Steine aufklauben, die Wiesen „raumen“, im Weizenacker grasen, den Mist „abrechen“, hinter der „Strange“ nachgehen, tschaschn18 … Doch auch das Spielen kam nie zu kurz bei den Kindern damals.
Emma: Nach der Beerdigung, bei der wir im weißen Kleid den Polster tragen mussten, war der Toatfall13 beim Turmwirt. Da haben uns die Männer mit einem Glas Wein angefüllt. Das genügte für einen kleinen Rausch. Zum Schluss hat der Totengräber nochmal gebetet. Davor mussten alle
Emma: Gespielt haben wir viel. Ich habe vor allem mit Puppen gespielt, ihnen Kleider genäht. Wenn die Ombrellenflicker19 und die Klomperer20 kamen, das war für uns Kinder immer das Größte. Denen schauten wir immer bei ihrer Arbeit zu. Besonders spannend waren die Tatlkrumer21“ mit ihrer Kiste, die sie auf dem Rücken trugen. Sie boten Ware feil: Krawatten, Hosenriemen... In den kleinen Tatln22 waren Kettelen, Ringelen, Broschen, Nähzeug. Das war was! Später dann, als wir Jugendliche waren, da hatten wir ein Radio mit Plattenspieler. Ich erinnere mich, wie wir nach
die Porte: das Prösler Tor, Dorfzugang hinter dem Hotel Rose Wenzer Wasserkandele: kleiner Wassereimer 16 zurück schnabeln: den Eltern dagegen reden 17 langer Leps: mit viel Wasser verdünnter Wein 18 tschaschn: Heu rechen
mbrellenflicker: Scheren- und Messerschleifer, er reparierte O auch Pfannen, Töpfe und Regenschirme. 20 Klomperer: Hausierer, die man alle möglichen Arbeiten anstellen konnte. Ihnen genügte meist ein Bett für die Nacht und eine Suppe. Sie waren willkommene Arbeitskräfte.
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dem Weizenschneiden den Plattenspieler eingeschaltet und in der Stube getanzt haben. Tanzen gelernt hat uns der Tata. Er hat noch mit über 80 Jahren auf dem Ball getanzt. Unser Leonhard hat erst am Tag vor seiner Hochzeit in der Dille23 auf der Alm das Tanzen gelernt. Isidor und Inge haben sich beim Tanzkurs kennengelernt und verliebt. Emma war eine gute Schülerin, besonders das Schreiben von Aufsätzen lag ihr. In der Nachkriegszeit gab es in Völs kein Schulgebäude, das wurde von den Bomben beschädigt. Bis zur Errichtung des neuen Schulgebäudes waren die Klassenräume in den Gasthäusern untergebracht. Die erste Klasse war beim Turmwirt, die zweite und vierte beim Wenzer, die dritte im gerade neu erbauten Altersheim, die fünfte beim Heubad. Auch die Sechst-, Siebt- und Achtklassler waren in einer Klasse im Altersheim untergebracht. Eine Klasse war dort für die italienischen Schüler aller Altersstufen. Man besuchte acht Jahre lang die Volksschule. Manche verließen die Schule an ihrem 14. Geburtstag, auch mitten im Jahr. Sie wurden zu Hause gebraucht, denn die Eltern empfanden einen Schulbesuch als unnötig. Emma erinnert sich auch daran. Emma: Die Waldner-Martha musste auch am Tag ihres 14. Geburtstages aufhören. Sie hat da bei uns als „Kindsdirn“ (Kindermädchen) angefangen. Ihr Vater ließ sie nicht mehr zur Schule gehen, Maiausflug durfte sie dann noch mitgehen. Die Pausen waren oft sehr lang, die Lehrer haben „geratscht“ und nicht auf die Uhr geschaut. Was haben wir in dieser Zeit gespielt …! Gasthaus, Mama und Tata, wir haben Sandkuchen gebacken und mit Blumen verziert, „gespeckert, Versteckelus, Invalidenderwischelus“ gespielt, ganz viel Völkerball oder „Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann“. Turnen hatten wir nicht, erst als das neue Schulhaus gebaut wurde, da war ich dann in der sechsten Klasse. Da haben sie uns auf dem Schulhof eine Stange zum Turnen gerichtet und zum Klettern in der Pause. Wir durften manchmal Peterbühel gehen, dort haben wir „Schwarzer Mann“ gespielt, das war herrlich, besonders im Frühjahr. Zur Pause hatten wir immer ein Brot mit Marmelade, das Brot war ein großer Laib aus Weizen und Roggen, den die Mama immer gemacht hat. Sie tat es uns in ein „Stoffsackl“. Manchmal haben wir Brote getauscht, denn die im Dorf hatten Semmeln. T atlkrumer: Hausierer mit reichem Angebot. Ihr Sortiment reichte vom Schuhband zum Nähgarn, vom Knopf bis zum Seidentüchel. Man brauchte nicht zum Einkaufen in die Stadt fahren. Sie versorgten die Menschen nicht nur mit Waren, sondern auch mit Neuigkeiten. 22 Tatl: Schublade 23 Dille: Scheune 21
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ERNÄHRUNG von EMMA KOMPATSCHER
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Unsere Ernährung hing hauptsächlich von den Produkten ab, die auf dem Bauernhof erzeugt wurden. Es wurden Roggen, Weizen, Gerste und Hafer angebaut und nach dem Roggen der Buchweizen und ein Streifen mit Krautrüben. Außerdem wurden Kartoffeln und Mais angebaut. Dann hatten wir Hühner, Kühe, Kälber, Ochsen, einen Zuchtstier, Schweine und einige Kaninchen. Wir hatten eine Hausmühle, in der das Korn zu Mehl gemahlen wurde. 3-bis 4-mal im Jahr wurde das Schüttelbrot gebacken. Die Gerste wurde in Seis bei einem Bauer, der eine eigene Vorrichtung hatte, gerändelt (von den Spreizen befreit). Der Hafer wurde zusammen mit Weizen von minderer Qualität grob gemahlen und an das Vieh als Kraftfutter verfüttert. Etwas Korn wurde dann wieder als Samen verwendet. Etwas Gerste mussten wir Kinder von Hand von den Unkrautsamen verlesen und sie wurde dann im Ofen oder im Backrohr auf einem Backblech zu Kaffee-Ersatz ge röstet.
Zum Mittagessen gab’s außer Sonntag und Freitag Speck- oder Fastenknödel (ohne Speck, weil diesen nicht alle mochten), manchmal „plentene“ Knödel. Dazu gab es im Sommer grünen Salat oder Kobis (Weißkohlsalat), Rohnensalat (Rote-Bete-Salat), Rettich mit Äpfeln gerieben und mit Essig und Öl angemacht. Im Winter gab es Sauerkraut mit Schweinernem oder Blutwurst nach dem „Schlachtigen“ (Schweine schlachten). Die Schwarten vom Speck wurden gekocht, in Streifen geschnitten und mit Zwiebel und Essig angerichtet. Vom Schwein wurde alles verwendet: Haut und Haar. Das Blut wurde zu Blutwurst, das Fett brauchte man für alles, was gebacken wurde (Krapfen, „Kiachl“ usw.), der Großteil wurde zu Speck verarbeitet. Auch Kopfteile wurden gepökelt und geselcht (geräuchert) für die Gerstensuppe im Sommer. Die Borsten holte sich meistens ein Mann ab, der sie dann zu Flaschenwischern verarbeitete.
Am Morgen gab es immer, außer sonntags, eine große Pfanne mit Mus aus Buchweizenmehl oder aus Maismehl vermischt mit Weizenmehl. Das Mus wurde mit heißer Butter abgeschmolzen, dazu gab es eine Tasse Milch zu trinken.
Freitags gab es oft eine Brennsuppe und in Fett Gebackenes oder Ofenplent oder Ofenschlutzer. Auch „Türkenplent oder Schwarzplent (Buchweizen)“ mit Butter abgeschmolzen und Milch dazu.
Zum Halbmittag (Vormittagsjause) gab es für die Dienstboten und Taglöhner Speck, Brot und meistens auch Pellkartoffeln, freitags Butter.
Abends gab‘s meistens „Friegele“ (Milchsuppe) oder Röstkartoffeln, samstags für uns Kinder Milchreis. Zur Marende (Nachmittagsjause) gab es auch Speck und Brot.
Die Mutter buk mindestens einmal in der Woche einen großen Laib Mischbrot (Roggen und Weizen) und einen großen Laib aus Weizenmehl als Knödelbrot. Als Schuljause bekamen wir zwei Scheiben vom dunklen Brot mit etwas Zwetschgenmarmelade. Manchmal bekamen wir ein Stück hartes Schüttelbrot (Fladenbrot aus Roggenmehl) und einen Apfel mit. Wir hatten „Stoffsackln“ für die Jause, Nylonsackln (Plastiktaschen) kannten wir noch nicht. Zugekauft wurde Salz, wenig Zucker, gesüßt wurde mit Saccharin (Süßstoff, von Schmugglern verkauft), Maggi, Essigessenz (damit wurde aus Wein und Wasser Essig hergestellt), Feigenkaffee und wenig Bohnenkaffee, um den Hauskaffee herzustellen. Davon wurde eine größere Kanne voll zubereitet, die für einige Tage für den Milchkaffee reichte. Diesen genossen wir Kinder, die Mägde und die Eltern meistens zur Marende mit aufgegrommeltem eingebrocktem Schüttelbrot, oder alle am Sonntag zum Frühstück. Sonntags gab es manchmal auch etwas gesüßtes Weißbrot mit Sultaninen drinnen. Germ (Hefe) und Backpulver, Öl für den Salat mussten natürlich auch zugekauft werden.
Jungschar waren wir auch, die war damals neu erfunden. Die Fundnatscherin war die Pionierin. Es war sehr interessant, wir haben viel gespielt und ein Büchlein zum Lesen bekommen: Es war ein Büchl zum Aufklären, mit Blumen, die bestäubt werden. Die Nachbarsbuben haben uns aber schon früher mit dem Stier und der Kuh aufgeklärt. Damals war ich geschockt. In der Jungschar dann, mit dem Büchl, das hat mir gut getan. … und Urlaub und Ausflüge, gab es das schon in Emmas Kindheit? Ja – das gab es. Emma erinnert sich an schöne Erlebnisse, an Maiausflüge, Baumfeste und daran, als sie mit neun Jahren zum ersten Mal mit dem Onkel auf den Schlern wandern durfte. Emma: Einmal durfte ich mit meiner „Tauftota“ zu einer Freundin meiner Mutter nach Tschötsch zur „Traubenkur“. Zweimal war ich bei meiner Firmpatin zu Gast, einmal in Gries und einmal in Rentsch. Auch auf der Alm beim Huaber war ich im Sommer zweimal für eine Woche. Im Winter durften wir mit dem Tata und seinem Rennschlitten nach Seis fahren, die alte Straße entlang. Wir hatten Decken und eiserne Bettflaschen für die Füße dabei. Beim Unterwirt gab‘s dann Kakao, das war herrlich! Oder einmal durfte ich mit zwei Tanten (Merl-Nannele und Tante Hedwig, die Turmwirtin) nach Bozen zur Halbbprobe meines Erstkommunionkleides fahren. Dann sind sie mit mir eine weiße Handtasche kaufen gegangen. Im Gasthaus bekam ich mein erstes Wiener Schnitzel mit Preiselbeermarmelade, die Kombination kannte ich nicht, das schmeckte
Emma 1943
komisch – aber gut. Hinunter sind wir zu Fuß bis nach Steg und mit dem Zug bis Bozen, nach Hause mit dem Bus. Die Busfahrt über Waidbruck dauerte ewig. Verliebt hat sich die Emma ganz früh, mit 15 Jahren schon, und zwar in ihren späteren Ehemann, den Zimmerlehner-Seppl. Geheiratet haben die beiden dann erst, als die Emma 24 und der Sepp 27 Jahre alt war. Wenn sie vom Heiratsantrag erzählt, glänzen ihre Augen. Auf der Alm bin ich eines Sonntags zur Messe zum Zimmerlehner. Dort hat der Seppl Sand aufgelegt, dann hat er mich auf den Knotten24 beim Dialer ums Heiraten gefragt. Ich habe geantwortet, später. Das erste Kind war eine Fehlgeburt, ich war damals sehr traurig. Meine Mama, deren erstes Kind bei der Geburt gestorben ist, hat mich dann mit dem Satz, den die Hebamme damals zu ihr sagte, getröstet: „Iez muasch a groaße Muaspfonne richtn25.“ Trotzdem hatte ich noch große Angst. Ich war dann 26, dann sind sie nacheinander gekommen. Es war eine schöne Zeit, anstrengend aber schön – und ganz viele Kinder. Vielen Dank, Emma, dass wir an deinem reichen Erinnerungsschatz teilhaben konnten.
EMMA KOMPATSCHER WWE. KOMPATSCHER Zimmerlehner-Emma, Jahrgang 1942
Zum Nikolaus gab’s ein paar Mandarinen und Orangen, Zuckerfeigen, die gekauft wurden und ein Prezede (feines Germgebäck) beim Bäcker. Die Bananen lernte ich erst kennen, als ich 15 Jahre alt war.
INTERVIEW Judith Nicolussi Moz Sophia Kornprobst
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Knotten: Berg, Gestein, Bergspitze Iez muasch a groaße Muaspfonne richtn. Sinngemäß: Ihr werdet viele Kinder bekommen.
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Resolut und abgeklärt, geprägt von einer kargen Kindheit am Bauernhof, lässt uns Adelheid am Jahreslauf, der bestimmt war von festen Riten und Bräuchen, teilhaben. Das harte und entbehrungsreiche Leben wurde aufgefrischt durch unantast bare, jahrhundertealte Traditionen, die heute einzubrechen drohen. Sie boten Erdung, Sicherheit und ein Gefühl der Dazugehörigkeit. Adelheid erzählt von dem, was sie und ihre Generation in der Kindheit begleitet und geprägt hat.
BRAUCHTUM ADELHEID KRITZINGER WEISSENEGGER, Peternoderin, Jahrgang 1936 MARTHA PLANÖTSCHER, Sprachengymnasium SOFIE GASSER, Sozialwissenschaftliches Gymnasium
Adelheid: Das Kirchen-Gehen ist immer wichtig gewesen. Das Religiöse war von der Früh bis zum Abend präsent. Selbstverständlich war, dass man sich beim Verlassen des Hauses und beim Heimkommen mit dem Weihwasser, das beim Hauseingang hing, bekreuzigte. Auch vor dem Schlafengehen haben uns die Eltern ein Kreuz auf die Stirn gezeichnet. Jeden Tag nach dem Abendessen wurde der Rosenkranz gebetet. Vor und nach jeder Mahlzeit dankte man dem Herrgott. In die Kirche ging man jeden Tag, um sechs Uhr war Frühmesse, wir Kinder mussten vor der Schule um sieben Uhr hin. Jeden Tag. Sonntags ging man vormittags und nachmittags in die Kirche. Das machten wir gerne. Sonst war ja nichts los. Da trafen sich die Leute. An Weihnachten mussten wir uns in der Stube hinknien und „aui beten27“: drei Vaterunser und den „Engel des Herrn“. Am Fest „Christi Himmelfahrt“ wurde in der Kirche mitten im Gang eine Christus-Statue hochgezogen, die dann im Himmel „verschwand“. An Pfingsten flog eine an einem Seil aui beten: Gebetsfolge Pflaster knien, auch aussi knien: Als Strafe musste man sich für alle sichtbar auf dem Kirchengang hinknien. 29 Confiteor: Schuldbekenntnis (bis 1970 in lateinischer Sprache) 27
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befestigte Holztaube mit bunten Bändern vom Himmel (Kirchengewölbe) aus etliche Male über die Köpfe der Kirchenbesucher. Prozessionen gab es noch viele, auch Bittgänge und Gerichtsumgänge. Da startete man um fünf Uhr morgens Richtung Prösels, Zimmerlehn, St. Konstantin und wieder ins Dorf. Mit Himmel (Baldachin) und Fahnen wurden wir im Altersheim empfangen und zogen in die Kirche. Wenn die Religion Alltag war, hat man da eigentlich nachgedacht, wieso man das alles tat? Adelheid: Ja, man hat das sehr ernst genommen. Der Pfarrer war auch sehr streng: Wir mussten „Pflaster knien28“ und während der Predigt hat er auf der Kanzel auf das Geländer geklopft. Gepredigt wurde immer von der Kanzel. Die Messen waren in Latein, am Altar stand der Pfarrer mit dem Rücken zu den Menschen. Und es waren immer ganz viele Ministranten, die das Confiteor29 beteten. Ich erinnere mich, wie wir im Winter froren. Mit nassen Schuhen und Trachtenröcken standen wir in der Kirche, Heizung gab es noch keine. Also waren früher viel mehr Menschen in der Kirche? Adelheid: Das kann man so nicht sagen … Früher war ja viel öfter eine Messe, dreimal täglich. Aber die Kirche war immer gut gefüllt. Heute ist sie voller. Aber eben nur noch einmal, am Sonntag. Heute ist auch mehr Andacht. Wer kommt, der hat auch Interesse. Früher kamen alle. Es war einfach Brauch.
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Beim Haarewaschen waren unsere Haare immer filzig. Die Mutter hat sie dann mühevoll auseinandergekämmt. Heute, mit meinen 82 Jahren, wasche ich mir einmal im Monat immer noch selber die Haare. Bei einem Frisör war ich noch nie! An den gewöhnlichen Werktagen trugen wir Dirndln. Damit haben wir auch gearbeitet. Hosen, nein, Mädchen trugen das nicht.
In Völs gab es damals fünf Geistlichkeiten (Priester). Einen Pfarrer, zwei Kooperatoren, einen Frühmesser und einen Brudermesser. Der Pfarrer und die Kooperatoren wohnten im Widum, das Frühmesserhaus war im Haus zwischen dem Hotel Rose Wenzer und dem heutigen „Bäckn-Haus“. Der Brudermesser wohnte unterm Waldmann. Für die Jugendlichen waren die Kooperatoren zuständig. Da gab es Vorträge, Spielnachmittage und gemeinsame Ausflüge. Sonntags fand nachmittags die „Feiertagsschule“ mit dem Kooperator statt. Adelheid: Wie gefällt Euch die Tracht? Gut! Wir finden es schön, wenn wir sie beim Chor singen und bei der Firmung anziehen dürfen.
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Adelheid: Früher hat man die Tracht jeden Sonntag getragen. Das Anziehen war heikel. An den normalen Sonntagen waren der blaue Schurz (die blaue Schürze), der kurze Rock und das weiße oder rote Tiachl30 ohne Fransen Pflicht. An besseren Feiertagen hatte man das Fransentüchlein mit den weißen Ärmeln und den „Tatzln“31 an. Bei Prozessionen trug man das seidene Tiachl und bei Hochzeiten hatte man die Tracht, die heute die Muttergottesträgerinnen bei den Prozessionen tragen: Bei den Frauen sind Schurz und Tüchlein 30 31
Tiachl: Schultertuch Tatzln: fein gestrickte, lange, fingerlose Handschuhe
aus demselben Seidenstoff. Und natürlich die lange Tracht. Im Winter hatte man die schwarzen Ärmel oder ein Schultertuch aus einem warmen Stoff, den man doppelt faltete. Später hat man gestrickte Schals getragen. Die Trachten wurden innerhalb der Familie weitervererbt. Meinen Trachtenrock habe ich mit 18 Jahren bekommen. Ich habe ihn damals aus dem Lodenstoff, der von unseren eigenen Schafen stammte, genäht. Den trage ich immer noch. Das Mieder und das Tscheapl32 habe ich an den Rock dran genäht. Das ist nicht immer so. Sehr heikel war das Stärken der Ärmel: Jede Woche mussten die weißen Ärmel neu gewaschen und gestärkt werden. Man hatte dafür ein Pulver. Heute macht man das mit Flüssigstärke. Dann musste man mit dem „Hansel“ den Bug bügeln. Ich erinnere mich aber, dass der Bug auch aus der Mode gekommen ist. Jetzt hat man ihn wieder. Wie wir jung waren, nach dem Krieg, hat die damalige Fundnatscherin, sie hatte keine Kinder, zwölf Tschörndl-Gitschn33 ausgestattet. Sie hat alles gekauft, den „Goller“, die Krönchen, die Pölster. Heute sind nicht mehr so viele Mädchen, die bei den Prozessionen in dieser Tracht mitgehen. Die Haare trugen wir immer lang, sie wurden nie geschnitten. Ich hatte aufgesteckte Zöpfe. Es gab nichts anderes. 32 33
Tscheapl: schwarze Winterärmel Tschörndl-Gitschn: Mädchen in der festlichen Jungfern-Tracht mit Krönchen
Zum Alltag gehörte auch der tägliche Schulgang. Eine halbe Stunde zu Fuß mussten die Salmseinerkinder marschieren, damit sie pünktlich zur Schülermesse und dann in die Schule kamen. Der Unterricht dauerte von acht bis zwölf Uhr, dann, nachmittags nochmal von zwei bis vier Uhr. Nach der Schule mussten die Kinder dann im Wald oder im Stall helfen, abends standen noch Hausaufgaben an. Auch an die Lehrer kann sich Adelheid noch genau erinnern: Die erste Klasse unterrichtete Helene Christanell, die zweite Frau Planck, die dritte Hedwig Damian, die vierte Josef Perkmann und ab der fünften Klasse war Antonia Psenner zuständig. Jedes Jahr gleich. Heute sagt Adelheid, auf ihre gewohnt pragmatische Art: „Das war gut so, denn wenn du jemanden nicht mochtest, dann warst du ihn nach einem Jahr los, das galt für die Schüler und auch für die Lehrer“. Schulgebäude gab es keines mehr. Die Bombensplitter hatten es im April 1945 zerstört. Man behalf sich mit anderen Räumlichkeiten. Adelheid ging beim Windischhaus (heutiges Metzgerhaus) in die erste Klasse, dann war sie beim Wenzer, beim Turmwirt, beim Heubad, beim Innerhoferhaus und im Spital, dem heutigen Seniorenheim. Not macht erfinderisch! Im Heubad, so erinnert sie sich, waren zwei Klassen untergebracht. Man musste immer ganz leise sein, weil die Bretterböden sehr hellhö-
rig waren und im unteren Stock Hühner einquartiert waren. Im Kriegsjahr 1943 sind die Salmseinerkinder in St. Konstantin zur Schule gegangen. Nach Völs zu gehen, das war zu gefährlich. Dann, mit 14, ist Adelheid als Arbeitskraft auf dem Salmseinerhof geblieben. Adelheid wollte Kindergärtnerin oder „Widenhäuserin“ (Pfarrhaushälterin) werden, aber sie wurde zuhause gebraucht. Das war so üblich. Manchmal durfte der Älteste zum Studieren. Adelheids Vater hat die Musik sehr geschätzt. Während des Krieges war das Musizieren verboten, deshalb legte er großen Wert darauf, seinen Kindern Takt und Noten beizubringen. In der Salmseiner-Stube stand eine Tafel mit Noten. Aber nur sechs Kinder hatten auf der Bank Platz. Adelheid war das siebte von zwölf Kindern. Sie ist nicht drangekommen. Die Brüder gingen alle zur Musikkapelle. Dort haben sie auch ihre Instrumente erlernt. Die Schwestern gingen zum Chor. So manches Opfer mussten sie auf sich nehmen, um pünktlich um acht Uhr abends zur Probe zu erscheinen, denn es war ein langer Fußmarsch. Auch Feste wurden in Völs gefeiert. An ein paar kann sich Adelheid noch erinnern: In der Kreitertischler-Wiese, später dann beim Wenzer im Garten, danach wurde der Christanell-Anger im Dorfzentrum zum fixen Festplatz34. In fester Erinnerung sind bei Adelheid auch noch die Kriegsjahre. Als Kind hat sie zugesehen, wie die Bomben abgeworfen wurden. Aber, ganz nach ihrer Art, hat sie sich nur wenig gefürchtet. Danke, Adelheid. Wir haben viel Neues aus deiner Jugendzeit erfahren können!
ADELHEID KRITZINGER WEISSENEGGER Peternoderin, Jahrgang 1936 INTERVIEW Martha Planötscher Sofie Gasser
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A uf dem heutigen Festplatz am Peterbühel wurde im Juni 1973 das erste Fest gefeiert.
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Erstkommunikanten mit Pfarrer Kassiel und Kooperator Otto Paßler
KIRCHE FRIDA DELAGO KOMPATSCHER, Jahrgang 1941 VIKTORIA THEIL, Sprachengymnasium SARAH NICOLUSSI MOZ, Sozialwissenschaftliches Gymnasium
Im Dorf kennt jeder die Kompatscher Frida35, wie sie mit Fleiß und Hingabe im Geschäft steht und geduldig Kunden bedient. Ruhig ist sie, zurückhaltend und von Schicksalsschlägen gezeichnet. Frida ist belesen, sie liebt die Musik, das Theater und hat das Privileg gehabt, manche Reise zu unternehmen. Gerne erzählt sie davon. Doch unser Thema ist, wie sie in ihrem Leben „Kirche“ wahrgenommen hat. Aus einer etwas anderen Perspektive, wuchs sie doch nicht im bäuerlichen Umfeld von Völs auf. Als Kind, bis zur zweiten Grundschule, lebte Frida als Kreuzwirtstochter in Völs. „Dort“, so erinnert sie sich noch gut, „sind wir von Pfarrer Ferdinand Kassiel mit dem Katechismus gedrillt worden.“ Sie mussten alles auswendig lernen. Die früheren Gottesdienste in Latein vermisst sie bis heute. Das dicke Gebetsbuch, „der Schott“, in Latein und Deutsch fällt ihr ein.
Predigten dauerten schrecklich lange. Es war mühsam, dem als Kind zu folgen. „Zum Altare Gottes will ich treten …“, der Beginn der Gottesdienste ist der Frida noch in sehr lieber Erinnerung – er hatte etwas Festliches. Die Mutter hatte besonderen Wert darauf gelegt, dass die Kinder die Roratemessen und die Maiandacht besuchten. Nach der Maiandacht gab es dann manchmal einen „gelato da dieci“ (10 Lire), das war köstlich. Beim Kirchengehen musste man immer Stutzen (Kniestrümpe) anziehen, mit nackten Beinen ging man nicht in die Kirche. „Wir waren ja keine Bauernkinder. Die Tracht oder ein Dirndl haben wir nie angezogen.“
Frida: Heute wird viel mehr für die Leute getan. Früher sind die Menschen in der Kirche gekniet, es wurde in Latein Messe gelesen und keiner hat etwas verstanden. Das „Confiteor“, das heutige Schuldbekenntnis, war ein sehr langes Gebet, alle konnten es auf Latein mitbeten und ganz viele haben es noch in Erinnerung: „Mein Vater, 1892 geboren, konnte bis zum Lebensende das Confiteor auswendig. Kein Wort hatte er richtig ausgesprochen und was er da sagte, wusste er nicht“, schmunzelt Frida heute. Die Messen dauerten manchmal über eine Stunde und die
Frida: Wir hatten in Bozen ein Gasthaus. Der Vater ließ es an Heiligabend geöffnet. Für die Armen, die alleine waren. Wir haben dann erst am Christtag-Nachmittag Weihnachten gefeiert. Da war das Gasthaus zu. Wir waren dann alle beieinander, die Mutter hat dann gut gekocht, es war sehr schön. Einmal ist ein Priester gekommen und hat gelesen. Das war ganz besonders. Ostern ist bei uns meist untergegangen. Das Hochamt hat nicht mehr aufgehört, aber in der Familie hat man nicht gefeiert, es war im Gasthaus zu viel zu tun …
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F rida schreibt sich mit kurzem „i“, da der damalige faschistische Gemeindesekretär von Völs sich weigerte, die deutsche Form „Frieda“, einzutragen.
Auch die Weihnachtsfeste sind Frida noch in guter Erinnerung.
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Fronleichnam war der Mutter immer wichtig, ich weiß nicht warum, man musste sich da schön anziehen. 1949 zog Frida mit ihrer Familie nach Bozen. Der dortige Seelsorger lobte sie immer: „Die Völserin kann alles auswendig. Das ist Pfarrer Kassiel zuzuschreiben!“ Die Religion und der Glaube haben sie durch all die Jahre begleitet. Die religiöse Erziehung war für sie prägend. Sie erinnert sich an die „Katholische Jugend“, an die Heimabende und an die Gemeinschaftsmessen, die sie als junge Menschen gestalten durften. In Bozen gab es damals einen Jugendseelsorger, der sich mit den Jugendlichen unterhalten und mit ihnen gesungen hat. „Er hat uns an der Hand gehalten, wenn wir Sorgen hatten. Das Beten war dann nicht so wichtig.“ Gemeinsame Ausflüge nach Maria Weißenstein mit Wimpel waren Höhepunkte für Frida. Manchmal musste sie auch vor der Kirche mit der Büchse stehen und Geld sammeln, das mochte sie nicht, da erfand sie alle Ausreden. Sie sagte damals immer, sie müsse nach Völs fahren. Sie hatte immer großes Heimweh nach Völs. Frida: Die Jungschar und die Katholische Jugend haben heutzutage andere Werte - früher war das sehr prägend. Wir hatten alle den Anstecker „Pax Christi“ – das war ein Bekenntnis und eine richtige Gemeinschaft, wir sind stolz darauf gewesen. Man ist sich beigestanden. Absolut. Da hat es nichts gegeben.
Bei der Katholischen Jugend war sie bis sie nicht mehr zur Schule gegangen ist. Danach kam sie wieder nach Völs und hat im Geschäft mitgearbeitet. Mit zwanzig Jahren hat Frida ihren Adolf geheiratet und eine Familie gegründet. Frida: Man war sehr religiös, es war einem wichtig. Sonntag sowieso. Man hat geschaut, dass die Kinder alle Tage in die Schulmesse gehen. Da waren noch zwei Frühmessen, um sechs Uhr und um halb acht Uhr. Man hat am Abend gebetet, beim Essen auch manchmal, das hat dann aufgehört. Aber mir war es wichtig, dass man vor dem Essen ein Kreuzzeichen machte … Sonntags ist man zur Kirche gegangen. Mit unserer Arbeit im Geschäft hatte man nicht immer Zeit, da haben wir die Messen am Samstagabend besucht. Das war fein. Da konnten wir alle zusammen gehen. Wie bei allen in meinem Alter hat die Religion immer eine große Rolle gespielt. Ich bin damit aufgewachsen“. Frida hat auch dunkle Stunden in ihrem Leben gehabt. Frida: Im Leben gibt es allerlei Sachen, die nicht so leicht zu ertragen sind, da war mir die Religion eine Stütze und Hilfe, ich habe das gebraucht. Das Gefühl, nicht allein zu sein, er ist immer für uns da, wenn es oft ganz fest weh tut, hadert man, dann kommt man sich verlassen und alleine vor.Jetzt bin ich bald achtzig und habe mehr Zeit, in die Kirche zu gehen, das ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Frida, danke, dass du uns so Vieles aus deinem Leben, auch Persönliches, erzählt hast.
FRIDA DELAGO KOMPATSCHER Jahrgang 1941 INTERVIEW Viktoria Theil Sarah Nicolussi Moz
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St. Peter auf dem Bühel in Festtagsstimmung
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Man spürt ganz viel Herzblut, wenn Marianne über die Schule spricht. Sie kann reden, Geschichten erzählen, die Dinge auf den Punkt bringen. Das Zuhören fällt ganz leicht bei Marianne, ihre Begeisterung ist schier ansteckend. 1955 ist sie eingeschult, in Ums. Damals gab es dort eine einklassige Schule. Das heißt, es gab nur einen einzigen Klassenraum. Die Erst- und Zweitklässler hatten nachmittags von eins bis fünf Uhr Unterricht, die Großen, also von der dritten bis zur achten Klasse, drückten vormittags von acht bis zwölf Uhr die Schulbank. Damals herrschte Lehrermangel in Südtirol. Man behalf sich mit Kursen für Hilfslehrer. Die Fortbildungen fanden an den Donnerstagen statt. Da hatte man dann schulfrei. Die Grundschule dauerte acht Jahre lang.
SCHULE 20
MARIANNA MAIR PRIETH, Hall-Marianne, Jahrgang 1949 BARBARA GAMPER, Realgymnasium SOPHIE GAMPER, Wirtschaftsfachoberschule
Nach der Pflichtschule mussten die meisten arbeiten, das Geld war knapp. Marianne war eine gute Schülerin. Sie sollte, wenn auch über Umwege, zu ihrem Traumberuf finden. Zuerst hat man sie nach Bozen geschickt, um einen Schnellkurs für Bürogehilfinnen zu absolvieren, eine Arbeit im Verkehrsbüro war ihr in Aussicht gestellt worden. Aber dann wurde in Südtirol die Mittelschule eingeführt.36 Marianne machte mit 15 Jahren die Aufnahmeprüfung in die Mittelschule in Kastelruth und kam so direkt in die zweite Klasse. Nach Abschluss der Mittelschule besuchte sie vier Jahre die LBA (Lehrerbildungsanstalt in Meran). Dort hat sie mit 21 Jahren ihre Matura (Abitur) gemacht. 36
Marianne erinnert sich gerne an ihre eigene Schulzeit zurück. Sie ist gerne zur Schule gegangen. Sie hatte eine sehr strenge Lehrerin, der die Schüler mit riesigem Respekt begegnet sind. Aber im Nachhinein ist sie ihr dankbar, sie hat viel gelernt, viel fürs Leben mitgenommen. Weil Marianne selber Lehrerin war, kann sie die Mühen der damaligen Hilfslehrer ganz gut nachvollziehen. Lehrmaterialien waren keine vorhanden, die Lehrmittel wurden von den Lehrern selbst hergestellt, nach den acht Stunden Unterricht mussten noch Vorbereitungen für alle acht Klassen getroffen werden. Aus heutiger Sicht eine nur schwer zu bewältigende Aufgabe. Marianne: Zwei Stunden in der Woche hatten wir Religionsunterricht, vier Stunden Italienisch. Ja, das Italienischlernen war ein Problem, damals. Die Eltern waren durch die Schikanen im Faschismus gegen die Italiener eingestellt. Der Italienischlehrer war nicht recht beliebt. Er hat das gespürt und er hat uns dann auch nichts beibringen wollen. In den Italienischstunden haben wir gemalt und gezeichnet und im Winter sind wir gerodelt. Als ich dann in Bozen zur Schule ging, hab ich schwer draufgezahlt. Ich habe kein Wort verstanden. Aber ich hatte dort eine Lehrerin, die sich sehr bemüht hat, dann habe ich alles aufgeholt. In der Mittelschule war ich dann eine der Besten in Italienisch. So manche Details wird Marianne nie vergessen:
1 963 wurde in Südtirol die Mittelschule eingeführt. Davor ging man bis zum 14. Lebensjahr in die Volksschule. Es gab acht Klassen. Von der sechsten bis zur achten Klasse waren die Schüler/-innen alle in einer Klasse und wiederholten mehr oder weniger jedes Jahr den gleichen Unterrichtsstoff.
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Marianne: Wir haben noch mit Feder und Tinte geschrieben. Ein Tintenfass war auf jeder Bank, man hatte einen Federstiel, da hat man eine Schreibfeder hinauf gesteckt und dann hat man sie in die Tinte eingedunkt37 und drei Buchstaben geschrieben. Wenn man zu viel Tinte genommen hat, gab es einen Klecks, dann hat die Lehrerin das Blatt rausgerissen. Erst in der dritten Klasse gab es die Füllfeder, eine aufzuziehen, das war himmlisch! Da konnte man eine ganze Weile schreiben. Die Lehrerin hat die Tinte mit Pulver und Wasser für alle abgemacht. Man besaß genau sechs Farbstifte, die hat meist der Nikolaus gebracht. Dann hatte man noch einen Bleistift, „Federlen“, einen Radiergummi und einen Spitzer. Das Baumfest hat es auch schon gegeben. Wir gingen immer zum Völser Weiher. Dort haben wir Bäume gepflanzt. Im alten Gasthof gab es Aranciata und Mortadella-Brote. Das bekam man sonst gar nie!
Dort, wo heute Mariannes Stube ist, war damals das Schullokal. Der Kachelofen wurde frühmorgens eingeheizt. Nach dem Unterricht mussten die Schüler das Holz in der Holzhütte aufstapeln. Schulhof gab es keinen. In den Pausen hat man auf dem Weg gespielt. Es wurde „gespeckert“, „Karpf und Raber“ und „Versteckelus“ gespielt und ein Spiel, das wir oft spielten hieß „Hutza treibm“. Ihre Lehrerin, Maria Weiß Vikoler, hat damals großen Wert auf die Hauptfächer gelegt. Lesen, Schreiben und Rechnen waren ihr sehr wichtig. Naturkunde, Erdkunde und Geschichte kamen dabei zu kurz.
Und das Highlight in jedem Jahr war Weihnachten!
Zeichnen, was Marianne so gerne hatte, gab es nur beim Italienischlehrer. Manchmal durfte man ins Freie, einen Turnraum gab es ja nicht. Turnunterricht hatten sie nie. Auch Bücher waren in dieser Zeit eine Rarität. In der ersten Klasse gab es ein Lesebuch, das hieß: „Lies und lerne“. Das Lesen erlernte man mit der Lautiermethode. Man hat zuerst die Laute und die Buchstaben gelernt und diese dann zusammengesetzt.
Marianne: Da haben wir jedes Jahr ein Krippenspiel aufgeführt, trotz der großen Arbeit. Der Hohenrainer-Simon und der Hans haben mit den Trompeten gespielt und Weihnachtslieder wurden gesungen. Es war wunderschön, wir sprechen heute noch davon!
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Die Schulräume waren zunächst im damaligen Gasthaus in Ums (heute das Haus der Familie Moser Pfeifer), dann beim Sagerer und ab 1950 beim Gstapin-Hof untergebracht, da wo Marianne jetzt zu Hause ist. Auch die Prösler kamen in Ums zur Schule, bis dann später in Prösels beim Drahner-Gasthof eine eigene Schule errichtet wurde. 37
eingedunkt: eingetaucht
Marianne: Ich erinnere mich, dass wir viel über die Natur, das Getreide und die Singvögel lernen mussten. Den Großteil der Zeit haben wir aber mit Mathematik, Deutsch und Schönschreiben zugebracht. Gesungen wurde sehr wenig. Was wir gerne getan hätten, Handarbeiten zum Beispiel, haben wir nie gehabt. Ich glaube, dass die Zeit dafür nicht da war.
Marianne: Später hat sich das alles gewandelt, da ist man dann von den Wörtern aus auf die Buchstaben gegangen, weiß Marianne. Marianne hat gerne gelesen. In Ums hat man durch Beziehungen nach Deutschland an die 15 Bücher geschenkt bekommen.
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Marianne: Ich habe dieselben Bücher drei- bis viermal gelesen, den Wilhelm Busch habe ich auswendig gekonnt, kann ich heute noch.
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Und Geschichteunterricht, gab es den? War der von den damaligen politischen Ereignissen geprägt? Marianne: Wir haben Andreas Hofer und die Freiheitskämpfer von 1809 ganz ausführlich gelernt, bis wir nicht mehr mochten. Vom Faschismus und vom Krieg hörten wir überhaupt nichts. Auch in der Oberschule haben wir über Österreich und Deutschland wenig gelernt, ausführlich über Italien. Das war politisch bedingt. Weil wir nur einen Klassenraum hatten, sind wir sehr selbstständig geworden, die Lehrerin hat immer mit einer Klasse gearbeitet, die restlichen Schüler mussten Stillarbeit machen. Das konnte auch ein Vorteil sein, da man sich gut konzentrieren musste. Auch Hausaufgaben und Diktate gab es reichlich, da war unsere Lehrerin top. Fünf war die schlechteste Note, Zehn die beste. Das Schuljahr war in Trimester eingeteilt: Zeugnisse gab es an Weihnachten, im März und am Schulende. So mancher blieb auch sitzen. Gute Noten forderten die Eltern nur in Religion und Betragen. Da musste man eine Zehn haben, sonst gab es zu Hause Gewitter. Prüfungen hatten wir in der zweiten und in der fünften Klasse – mit Kommission - und dann in der dritten Mittelschulklasse die Abschlussprüfung.
Das letzte Jahr der Volksschule war ich in Völs, da hat es eine sechste Klasse gegeben, in Ums musste man dreimal die fünfte Klasse machen - bis man 14 Jahre alt war. Da bin ich jeden Tag zu Fuß von Ums nach Völs gegangen, pünktlich zur Schulmesse, dann zum Unterricht, da war Oswald Baumgartner mein Lehrer. Marianne ist dann nach ihrer eigenen Schulzeit in den Schuldienst getreten. Ihre Schüler und Schülerinnen haben sie heute noch in Ehren und erinnern sich an eine engagierte, liebevolle, aber auch fordernde Lehrerin, die auch im Turnunterricht einen Rock trug.
Marianne: An mein erstes Unterrichtsjahr im Sarntal, auf 1500 Metern Meereshöhe, ohne Strom, kann ich mich noch genau erinnern. Da war ein einziger Raum für alle Schüler. Ich hatte die erste, zweite und dritte Klasse. Ich war wie ein Ochs vor dem Berg. Man hat in der LBA nicht viel Praxis gelernt. Zum Glück hatte ich eine Kollegin aus Tiers, die damals in Völser Aicha unterrichtet hat. Die hat mir manchmal ihre Vorbereitungshefte geliehen, das Lehrmaterial habe ich selbst gemacht. Dass es einen Lehrplan gab, das habe ich nicht gewusst... auch das Klassenbuch und der Monatsplan waren mir neu. Danach war ich vier Jahre in Barbian, dann kam ich nach Völs. Ich habe in Völs Schüler der Jahrgänge 1968, 1973, und 1978 unterrichtet. Viel Wert habe ich immer auf die Disziplin gelegt. Das können meine Schüler heute noch bestätigen. Gebastelt, gestaltet und gemalt habe ich mit meinen Schülern für mein Leben gern. Singen konnte ich nicht gut, da habe ich mir immer die Zimmerlehner-Veronika in die Klasse geholt. Da hat es gut geklappt. Außer Italienisch und Religion hatte ich alle Fächer. Das hatte Vorteile für die Schüler: Wenn ich beispielsweise in Mathematik ein neues Thema erklärt habe, konnte ich mir mehr Zeit einplanen. Dafür machten wir danach immer etwas zum Auflockern. Das ist der große Vorteil vom Ein–Lehrer-Modell. Mehrere Lehrer pro Klasse, wie es heute praktiziert wird, können für die Schüler von Nachteil sein. Jeder Lehrer fordert das Maximum, in jeder Stunde. Ich glaube, das überfordert die Schüler. Das ist meine Meinung. Früher, da war dieser narrische38 Druck noch nicht wie heute. Auch bei außerschulischen Tätigkeiten hatte man keine Angst, dass etwas passiert, oder etwa Angst vor den Eltern.
Einen Martinsumzug haben wir immer gemacht. Heute kann sich keiner mehr getrauen, diese Verantwortung auf sich zu nehmen. Das hat sich ganz gewaltig verändert, auch zu meiner Unterrichtszeit haben sich Schüler wehgetan, aber die Eltern hatten Verständnis. Als ich in Pension ging, musste ich mich Hals über Kopf entscheiden. Es war damals nicht klar, wie lange man sonst noch bleiben müsste. Mit nur 20 Dienstjahren bin ich dann in Pension gegangen. Ich musste quasi gehen - mit 41 Jahren. Da muss es einen Staat ja „auraumen“! Damals ist es mir nicht gut gegangen, ich bin im ersten Jahr meiner Pensionierung bis Weihnachten nicht mehr ins Dorf gegangen. Alles hat mir gefehlt: die Kollegen, die Schüler. Wir hatten in Völs immer eine wunderbare Harmonie.
Marianne, Vielen Dank, für den detaillierten Einblick in deine Schulzeit und in dein Berufsleben. Man kann deine Begeisterung immer noch spüren.
Du warst ja dann auch Lehrerin, was hat sich im Vergleich zu deiner Schulzeit verändert? Marianne: Die Bürokratie hat sich sehr verändert – ich hätte manchmal lieber länger Schule gehalten als den ganzen Schreibkram erledigt. Das hat mir viel abverlangt, aber ein schriftlich formuliertes Urteil kann gerechter sein, mit der Note muss man alles zusammenfassen. Die Strafen aus meiner eigenen Schulzeit habe ich auch nicht mitgenommen, das ist nichts, man kann sich den Respekt anders verschaffen, find ich.
MARIANNA MAIR PRIETH Hall-Marianne, Jahrgang 1949 INTERVIEW Barbara Gamper Sophie Gamper
Ihr allererstes Jahr als Lehrerin könnte man als kurios bezeichnen … 38
narrisch, hier: groß, riesig
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Backofen zu Pardell. Aufnahme von 1941
Von einer einfachen und kargen Kindheit voller Entbehrungen erzählt uns Hilde. Neun Kinder mussten in ihrer Familie von einem Arbeiterlohn leben. Diese Not hat ihre Eltern gezwungen, die Kinder schon sehr früh in den Dienst zu schicken, um auf Bauernhöfen mit anzupacken – für Kost und Logis. Knödel, Omeletten, Muas und Frigele kamen bei Hilde zuhause auf den Tisch. Zur Marende gab es Röstkartoffeln und Milch. Speck bekam nur der Vater und auch der nur selten.
HAUSHALT 26
HILDE MITTERSTIELER SPITALER, Grattweber-Bäuerin, Jahrgang 1947 NINA KOMPATSCHER, Realgymnasium MIRA WEISSENEGGER, Sprachengymnasium
Brot gab es wenig, meist ein Breatl, Marmelade machte man aus den Beeren, die der Wald hergab. Wenn die Kinder krank waren, da bekamen sie einen Löffel Honig. Ab und an machte die Mutter Krapfen oder Niggelen aus Germteig, aber das waren schon besondere Tage. An Weihnachten wurden Kekse gebacken, ganz einfache, aber für die Kinder war das etwas ganz Besonderes. Einmal in der Woche, an den Sonntagen, gab es Kaffee zum Frühstück. Der Mutter beim Kochen zur Hand gehen mussten die Kinder nicht. Hilde: Unsere Mutter hat fast immer alleine gekocht. Sie hat das recht gerne gemacht. Es wurde ganz einfach gekocht und gespart, weil nicht viel da war. Unser Vater war nur ein Arbeiter und wir waren neun Kinder. Wir sind deshalb früh in den Dienst geschickt worden. Das war bei meinen Kindern dann ganz anders, sie haben mir sehr viel geholfen beim Kochen. Dabei haben sie auch viel gelernt. 39 40
uas: Brei aus Mehl und Milch, Frigele: Milchsuppe M Moch mir amol den Bauer herkemmen: Der Bauer wurde vom Lehrer in die Schule zitiert
Mit nur 12 Jahren ist Hilde zu einem Bauern nach St. Vigil gekommen. Dort hat sie ihre ersten Erfahrungen im Kochen gesammelt. Es gab dort Gulasch mit Polenta, eingewecktes (eingelegtes) Fleisch und dazu Käse. Das alles war Hilde unbekannt. Hast du beim Bauern eine Entlohnung bekommen? Hilde: Nein, gar nichts. Wenig Essen und einen Schlafplatz habe ich bekommen. Ich musste im Garten helfen, auf seine Kinder schauen und überall mithelfen. Um halb sechs musste ich aufstehen, in den Stall gehen, die Schweine füttern und Muas39 kochen. All das bevor ich in die Schule ging. Die Hausaufgaben durfte ich erst am Abend erledigen, bis zehn Uhr bin ich meist daran gesessen. Ich war relativ gut in der Schule, aber irgendwann ist mir alles zu viel geworden. Ich hab es einfach nicht mehr gepackt. Mein Lehrer hat damals zu mir gesagt: „Moch mir amol den Bauer herkemmen40.“ Nach dem Gespräch ging es ein bisschen besser. Man hat sich früher nie getraut „nein“ zu sagen. Man ist ganz anders erzogen geworden. Man wurde ausgenutzt. Meine Brüder sind ganz früh schon zum Hüten gegangen und bekommen haben sie gar nichts. Nur das Essen und da ganz wenig. Mit 14 Jahren bin ich nach Bozen in einen Haushalt. Dort musste ich dann alleine kochen. Aber auch dort hat es meistens nur Knödel und Salat gegeben, oder mal eine Pastasciutta
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Hildes Erstkommunion
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oder einen Risotto mit Salat, Käse oder Wurst. Gemüse gab es aber nie. Zum Frühstück aß man Butter, Marmelade, Brot und Milch. Jeden Abend musste ich eine Grießsuppe kochen, ich konnte sie nicht mehr sehen. Freitags hat es dann Fisch mit Kartoffelsalat gegeben, sonntags Huhn mit Reis. Aber ganz einfach. Keine Vor- und Nachspeise. Ich habe in dieser Anstellung viel gelernt: Stricken, Nähen und Putzen.
Unsere Eltern hatte eine Matratze. Aber die Strohsäcke waren wärmer als die Matratzen.
War diese Arbeit auch so anstrengend wie beim Bauern? Hilde: Nein, aber es war schon auch anstrengend. Dort waren auch zwei Kinder und ich habe mich richtig wohl gefühlt. Das war eine schöne Zeit. Im Sommer sind wir zum Gschlieder zur „Summerfrisch“. Ich war in Bozen bis ich 17 Jahre alt war. Danach bin ich zum Gasthaus Völser Weiher gegangen. Dort habe ich dann richtig kochen gelernt.
Wie viele Schlafzimmer hattet ihr? Hilde: Wir hatten drei Schlafzimmer für neun Kinder und unsere Eltern, Stube hatten wir keine. Die Stube war praktisch dort, wo unsere Eltern schliefen. Dafür hatten wir einen ziemlich breiten Gang mit einem großen Tisch und einer Bank. Dort haben wir die Hausaufgaben gemacht. Wir hatten eine offene, sehr kleine Küche. Geheizt wurde nur im Zimmer der Eltern, deshalb war das für uns die Stube, obwohl wir uns dort auch nicht oft aufhielten. Unser Ofen war ganz alt. Ich sage immer, der wäre heute Gold wert. Oben drauf waren eine Art Kessel und ein Deckel, dort ist das Wasser reingekommen. Der Ofen ist aber mit der Zeit ausgebrannt und ein Eisenhändler hat den dann mitgenommen.
Hilde, kannst du dich an den Abwasch erinnern? Spülmaschine gab es keine, oder? Hilde: Nein, wir hatten keine Spülmaschine. Wir hatten nicht einmal Wasser im Haus. Wir holten es beim Brunnen und mussten es auf dem Herd erwärmen. Wir schütteten es dann in ein Schaff und haben uns dort alle gewaschen. Zweimal in der Woche hat die Mutter die Wäsche mit Seife gewaschen, natürlich hatten wir keine Waschmaschine. Für unsere Mutter war Sauberkeit sehr wichtig. Wenn das Wetter nicht gut war, musste die Wäsche im Haus trocknen. Das ganze Haus war dann voller Wäsche. Im Winter war es im Haus sehr kalt, eine Heizung gab es nicht. Wir Geschwister schliefen zu zweit in einem Bett, weil wir nicht viel Platz hatten. Als Bettflaschen benutzten wir Ziegel. Zuerst schob sie die Mutter in den Ofen, wenn sie dann heiß genug waren, kamen sie in ein Stoffsäckchen, das die Mutter selbst genäht hatte. Lange Zeit schliefen wir auf Strohsäcken, die wurden einmal im Jahr mit neuem Stroh gefüllt. Man schlief gut darauf und sie haben gut gerochen.
Waren die Polster auch aus Stroh? Hilde: Nein, die Polster und Betten waren aus Federn. Bei unserer Mutter zuhause waren Gänse, deshalb bekam sie immer Federn.
wurde das Haus gründlich geputzt. Da mussten wir alle mithelfen. Alle Holzböden haben wir da „rausgespült“. Aber wie gesagt, ich war selten daheim. Mit acht Jahren habe ich beim Gschlieder gekindst41 und mit zwölf Jahren bin ich ja schon nach St. Vigil. Von dort aus bin ich jeden Tag nach Seis zur Schule gegangen. In den ersten drei Klassen bin ich in St. Konstantin neben dem Perwanger (Tischlerei Unterkofler neben dem heutigen Hotel Perwanger) zur Schule gegangen. Danach sind wir nach Völs, jeden Tag zu Fuß. Um halb acht Uhr mussten wir in der Kirche sein. Und wenn wir zu spät kamen, mussten wir vorne auf dem Boden knien. Wir sind die meiste Zeit zu spät gekommen. Für das Mittagessen hat uns unsere Mutter einen Schmarren, eine Gerstensuppe, Ofenplent42 oder Plentenen Riebler43 mitgegeben. In Obervöls, beim Hall, haben sie es uns dann aufgewärmt. Zum Anziehen hatten wir auch nicht viel. Eine Frau sagte mal: „Dieses Jaggele44 habt ihr wohl alle getragen!“ Es war schwarz und aus Samt. Bei den Schuhen war es dasselbe. Entweder sie waren viel zu groß oder viel zu klein. Wir haben ständig gefroren. Auch wenn es oft „zach45“ war, es war eine sehr schöne Zeit. Hast du keine Kinderfotos von dir? Hilde: Ein einziges, da war ich eineinhalb Jahre alt. Sonst keine. Von der Erstkommunion auch keines? Hilde: Nein, leider nicht. Wir haben auch kein Familienfoto. Schade. Dafür ist kein Geld da gewesen. Wir hatten nur überlebenswichtige Dinge. Wir hatten einen kleinen Hof mit drei oder vier Kühen gepachtet. Draußen beim Miramonti.
Hattet ihr auch kein Auto? Hilde: Nein, wir sind immer zu Fuß gegangen. Wir hatten nur Kühe. Keine Pferde oder Esel. Das Heu hat der Vater auf dem Kopf nach Hause getragen. Hatte er keinen Rucksack? Hilde: Nein, er hatte ein langes Gestell aus Holz, eine Fergl. Dort gab er das Heu drauf, das wurde dann zusammengebunden und zusammengeklappt. Das haben wir sehr lange gehabt. Das Getreide haben wir mit den Kühen transportiert. Habt ihr alles, was ihr angebaut habt, für euch selber gebraucht oder auch etwas verkauft? Hilde: Nein, wir haben nichts verkauft. Das Getreide ließen wir mahlen. Beim Müller, neben dem Campingplatz. Lecka46 für unsere Kühe und etwas Mehl, das nur für uns reichte. Der Prosslinerbäck buk das Brot für uns: Jede Woche etwa 20 Breatln47 und sechs weiße Weggen, für die Knödel. Das holten wir mit einer Migrakraxl48. Später dann, als ich geheiratet habe, hatten wir Getreide, das wir bei der Moarmühle mahlen ließen. Für die Arbeit hat er einige Star49 Mehl zurückbehalten. Der Beckn-Willi hat damals für uns das Brot gebacken, auch er hat einen Teil Mehl für seine Arbeit zurückbehalten. Das war sehr aufschlussreich für uns. Man kann sich kaum vorstellen, wie viel sich in den wenigen Jahrzehnten verändert hat. Manche Dinge klingen für uns fast unglaublich. Danke, Hilde!
Habt ihr auch gebügelt? Hilde: Ja, aber nicht mit Kohle. Wir hatten ein normales, elektrisches Bügeleisen. Meine Schwiegermutter hat noch mit Kohle gebügelt.
HILDE MITTERSTIELER SPITALER
Ab wann gab es dann bei dir zuhause eine Waschmaschine? Hilde: Eine Waschmaschine hatte meine Mutter erst sehr spät. Erst mit ungefähr 74 Jahren. Wir Kinder waren da alle schon ausgezogen. Ich glaube, sie hatte sie maximal zehn Jahre. Wir Kinder haben ihr auch eine Dusche einrichten lassen und es gab dann auch Wasser im Haus. Hat es auch Frühjahrsputz oder Osterputz gegeben? Hilde: Ja, das hat es auch gegeben. Und jeden Samstag
Grattweber-Bäuerin, Jahrgang 1947 INTERVIEW Nina Kompatscher Mira Weissenegger
g ekindst: als Kindermädchen gearbeitet Ofenplent: Der Teig aus Milch, Eiern, Salz, Buchweizenmehl und Äpfeln wird im Ofen gebacken. 43 Plentener Riebler: Der Teig aus Milch, Eiern, Salz und Buchweizen (wenn man hatte auch Äpfel) wird in der Pfanne herausgebacken. 44 Jaggele: kleines Jäckchen
z ach: sehr hart, sehr schwierig Lecka: Kraftfutter für die Kühe 47 Breatln: Schüttelbrot 48 Migrakraxl: Holzgestell zum Transportieren von Waren 49 Star: Altes Getreidemaß
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Automobile Feriengäste am Völser Weiher 1956
Der Merl-Hubert, wie er im Dorf genannt wird, ist eine sehr eloquente Persönlichkeit. Ganz ruhig und bedächtig wählt er seine Worte, die von seiner Belesenheit und legeren Weltmännigkeit zeugen. Er ist ein wahrer Fachmann mit Weitsicht, was die Entwicklung und den Tourismus in Völs anbelangt.
FREMDENVERKEHR 30
HUBERT KOMPATSCHER, mehrjähriger Präsident des Völser Tourismusvereins, Jahrgang 1948 DAVID PENN, Realgymnasium ANGELA JANDAYAN, Sprachengymnasium
Wie hatte der Fremdenverkehr in Völs seinen Anfang? Hubert: Fremdenverkehr hat in Völs um 1900 im Allgemeinen mit den Dolomiten und dem Bergsteigen angefangen. 1901 hat mein Urgroßvater mit anderen Völsern und Bozner Bergsteigern den Verschönerungsverein in Völs gegründet. Man schaute Bäume zu pflanzen und die Gasthäuser vorwärts zu bringen. Die Gäste kamen damals mit dem Zug von Innsbruck bis nach Atzwang oder Blumau, dann sind sie zu Fuß nach Völs gewandert. Sie sagen, da konnte man profitieren. Wie ging es weiter? Hubert: 1903 haben Dr. Josef Clara, der damalige Gemeindearzt, und mein Urgroßvater die Heubäder neu aufgebaut. Diese Kur war schon bekannt in Ums und bei der Rose Wenzer. Die beiden haben eine bessere Badeanstalt errichtet. Dr. Clara hat damals finanziell vorgestreckt. Es war ein Aufhänger, um die Touristen anzulocken. So ist das peu à peu losge-
gangen. Im Krieg ist dann alles wieder zum Erliegen gekommen und in den 50ern hat man wieder angefangen nachzudenken, wie man Gäste herbringen könnte. Es war eine Möglichkeit, in ländliche Strukturen den Wohlstand herzubringen. Hubert: Man hat sehr schnell gemerkt, dass man durch Touristen zu einem Nebenverdienst kommt. Anfangs hatte man mit den Bauern und dem Pfarrer zu kämpfen. Sie waren stur. Man hat sich regelrecht bekämpft. Die Höfe hatten Jauchegruben und Mistlegen. Die sollte man entfernen, denn das Dorf sollte nicht stinken. Das hat damals viele Nerven gekostet. 1960 hat man sich mit dem ADAC und deutschen Reisebüros zusammengetan, so hat man für sich geworben, als Gastbetrieb, und Aufmerksamkeit bekommen. Welche persönliche Beziehung haben Sie zu ihrem Beruf und zum Fremdenverkehr? Hubert: Meine Eltern haben das Heubad vom Großvater Anton geerbt, dann ich. Ich bin mit 22 Jahren in den Ausschuss des Tourismusvereins eingetreten, 12 Jahre lang war ich Präsident. In dieser Zeit hat man versucht, Plakate und Werbeprospekte zu drucken, Reisejournalisten einzuladen, die über unser Dorf berichten. Schloss Prösels, den Völser Weiher, den Schlern, die Heubad-Kur, die Seiser Alm haben wir als Aufhänger gehabt.
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Erschließungsträume
Das waren echte Highlights. Man hat nicht die einzelnen Hotels in der Werbung angeführt, da hätte es wohl Neid gegeben. Gab es früher mehr Massentourismus, während heute mehr auf Qualität gesetzt wird? Hubert: In Völs hat man immer auf einen ruhigen Tourismus geschaut, einige unternehmungstüchtige Kollegen wollten mit Power vorgehen, aber wir sind ruhige, kulturbewusste Leute und haben einen sanften Tourismus angepeilt. Ab 1978 gab es das „Kuchlkastl“, das war eine gute Idee. Anfang September war vor 40 Jahren die Saison schon zu Ende, da haben wir es über die gastronomische Schiene versucht, somit sind im Herbst Leute gekommen. Das Landesverkehrsamt in Bozen hat die Herbst-Saison mit Törggelen aufgebaut. Das ist in die Masse gegangen, aber es hat alles geholfen. Irgendwann haben die Gastwirte ihre Hotels vergrößert und umgebaut. Heute haben wir guten Tourismus. 32
Ist in der Presse viel über Völs berichtet worden? Hubert: Vor 30 Jahren haben wir eine große Pressekonferenz mit Journalisten organisiert. Wir luden sie nach Völs ein und haben sie bewirtet. An die 20 Journalisten sind
gekommen, auch viele junge. Sie haben dann in den Reiseblättern über Völs berichtet. Sie haben gut geschrieben, seitenweise. Damals haben wir für diese Pressefahrt acht Millionen Lire bezahlt. Den Wert der Artikel hat man mit 320 Millionen umgerechnet. Das war sehr erfolgreich. Dann ist die Maschine losgegangen: Einzelne Journalisten sind gekommen, man hat sie gut bewirtet, sie haben gute Pressearbeit geleistet. Wir waren so immer im Gespräch; einzelne Inserate sind teuer und bringen nicht das, was redaktionelle Artikel bringen. Vor 30, 35 Jahren wurde der Campingplatz Seiser Alm errichtet. Das war ein anderes, die Freiheit liebendes Publikum und auch sehr gut. Durch seine Übernachtungen hat der Tourismusverein Völs viele Nächtigungen aufweisen können und dadurch vom Land mehr Beiträge bekommen. Damit hat man die Wanderwege pflegen können und, und, und … Welche Aufgaben hat der Tourismusverein für und neben Fremdenverkehr, was hat er in Völs alles getan? Hubert: Der Tourismusverein hat die Aufgabe, vor Ort alle Mitglieder, die Gastwirte, die Zimmervermieter, die Geschäftsleute und die Handwerker mit ins Boot zu nehmen. Man hat einen Schlüssel ausgearbeitet, dass auch der Flei-
scherladen, der Tabakladen usw. dafür bezahlen. Denn vom Tourismus profitiert die gesamte Wirtschaft. Die Bauern müssen nicht so bezahlen, denn man muss froh sein, dass sie die Felder und die Natur pflegen. Dann hat der Tourismusverein einen Trimm-dich-Pfad errichtet. Man musste sich mit den Bauern gut stellen, denn es war notwendig, die Durchgangserlaubnis einzuholen. Das Verständnis dafür hat es immer gegeben. Dann wollte man in Völs ein öffentliches Schwimmbad bauen. Die Einheimischen haben nämlich gejammert: Der Völser Weiher sei zu weit weg und ohne Aufsicht. Man sah entweder den Platz, wo jetzt der neue Friedhof ist, oder den Pfaffenbühel dafür vor. Aber es ist nix daraus geworden, da die Parteien sich bekämpft haben. So haben sich die Hotels selber die Schwimmbäder gebaut. In Telfen wurde ein öffentliches Schwimmbad gebaut und in St. Ulrich eines. Jede Gemeinde kann den Luxus nicht haben, das hat sich nicht mehr ausgezahlt. Damals wurden Tennisplätze errichtet, das war für Jung und Alt eine gute Sache. Die Touristen spielten damals noch mehr Tennis, weil Steffi Graf und Boris Becker wichtige Turniere gewonnen hatten. Dann ist die Golfgeschichte gekommen. Es hat geheißen, der Tourismusverein sollte einen Golfplatz bauen. Wir haben uns Gedanken gemacht, einen geeigneten Grund dafür zu suchen. Aber: Einen Golfplatz errichten, mit den Bauern reden, über Grundstücke, das haben wir dann nicht geschafft. Völs war zu schwach. Durch Privatinitiative wurde dann der Golfplatz gebaut zum Wohle des Tourismus im gesamten Schlerngebiet. Die Umlaufbahn brachte für den Wintertourismus einen großen Aufschwung. Anfang der 80er Jahre hatte Hanspeter Demetz die Idee des Oswald-von-Wolkenstein-Rittes. Überhaupt ist Demetz ein guter Ideenbringer, mit ihm habe ich viel zusammengearbeitet. Wir haben jetzt viel über Vergangenheit gespro chen, was ist Ihre Aussicht für die Zukunft? Hubert: Ein Rückgang kann oft schnell kommen. Den europäischen Ländern kommen zurzeit die Länder, die touristisch gemieden werden, zugute. Italien und Spanien sind hoch im Kurs und Südtirol ist natürlich auch dabei. Alte Gäste, die vor 40 Jahren mit ihren Kindern gekommen
Die neue Straße nach Bozen wurde 1953 eingeweiht
sind, besinnen sich wieder, nach Südtirol zu kommen. Man spricht Deutsch und fühlt sich aufgehoben. Gibt es so was wie zu viele Touristen, zu viel Fremdenverkehr? Hubert: Das liest man viel in letzter Zeit. Das geht vom Verkehrsaufkommen aus. Wenn man auf die Straßen schaut, jammern die Menschen über Stau, die Pässe sind voller Motorräder … Aber wie man das lenken kann, das weiß ich nicht. Das wird eine große Herausforderung für die Politik. Wir sind in Völs gut aufgestellt, was die Bettenanzahl gegenüber der Einwohnerzahl betrifft. Es ist sehr ausgeglichen. Nicht wie in Gröden, wo dreimal so viele Betten als Einheimische sind – in der toten Zeit ist es dann wie in einer Geisterstadt. Das ist auch nicht schön. Den Führungskräften im Völser Tourismusverein gebührt Dank und Anerkennung für ihren ehrenamtlichen und loyalen Einsatz. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kompatscher!
HUBERT KOMPATSCHER ehemaliger Präsident des Tourismusvereins Völs am Schlern, Jahrgang 1948 INTERVIEW David Penn Angela Jandayan
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Der Gemeindeausschuss von Völs am Schlern im Jahre 1988 (v.l.n.r.): Johann Federer, Walter Kompatscher, Bürgermeister Josef Kompatscher, Josef Aichner, Hermann Vieider, Gemeindesekretär Ferdinand Tribus
Schon immer haben ihn die Politik, das Mitgestalten und das Mitdenken im Dorf fasziniert. Heute schaut Johann Federer, der Plotzer-Hans, besonnen und abgeklärt darauf zurück. Das Leben hat ihn weise und gelassen gemacht. Man kann sich viel von ihm abschauen – vor allem seine schelmische und kritische Art, die Dinge zu erklären. „Nix verred sich leichter wie’s Maul“, so lacht er gleich zu Beginn, und man versteht gleich, dass er authentisch ist und zu den Dingen steht, die er sagt.
POLITIK JOHANN FEDERER, Plotzerbauer, Jahrgang 1942 PETRA LANTSCHNER, Studentin NORA KÜNIG, Studentin
Wie bei ihm alles begann, wer oder was das Interesse an der Politik geweckt hat, das kann er nicht mehr so genau sagen. Damals, als er noch ein Kind war, wurde bei ihm zu Hause nie über Politik gesprochen. Die Gründe dafür waren, so glaubt er heute, der Krieg und die Erlebnisse in den 30er Jahren. Als Bub hat er die Ereignisse in Sigmundskron und die Stimmung in Südtirol mitbekommen, aber das hat ihn damals noch kaum interessiert. Es waren bewegte Jahre, zu Anfang der 60er in Südtirol, als Hans als junger Mann zum Militär einberufen wurde.
Am 5. und 6. Mai 1963 waren Parlamentswahlen, alle durften nach Hause fahren, um zu wählen. Aber Hans war um vier Tage zu jung51. Er durfte nicht heim. Die SVP war nur in der Provinz Bozen wählbar und Hans imponierte, dass Landeshauptmann Magnago es zustande brachte, dass die Südtioler Rekruten aus ganz Italien nach Hause durften. Nach dem Militär ist Hans in die Landwirtschaftsschule gegangen. Zu Hause in Völs war kaum jemand mit Matura, die waren nicht mehr da, die sind fortgegangen oder weggeblieben. Da war man mit der Landwirtschaftsschule „ein kleiner Schreiberling“. So kam es, dass man ihn im Dorf brauchte. Er ist schon bald der erste Jugendreferent der SVP geworden, vom Parteiausschuss ernannt. Vierundzwanzig Jahre lang war Hans dann Mitglied im Parteiausschuss. 1974 wurde er in den Gemeinderat gewählt. Er erinnert sich heute: Hans: Da ging es oft hart auf hart. Die Meinungen gingen oft tiggisch52 auseinander. Ich dachte früher immer, es sei ganz einfach und dass die Mehrheit gewinne. Eine Erfahrung, die Hans prägte.
Hans: Am 3. März 1963 wurde ich zum Militär einberufen. Ganz hinunter, in den Süden Italiens mussten die Südtiroler Rekruten damals, wegen der Anschläge von 1961. Wir waren alle als dinamitardi50 verdächtig. Aber es war schön da unten. Wir kamen ja sonst nie nirgends hin. dinamitardi: diejenigen, die Bombenattentate verüben Damals hatte man erst mit 21 Jahren das aktive Wahlrecht. 52 tiggisch: heftig 50 51
Auch wir haben heuer zum ersten Mal gewählt. Es war schon schwierig für uns. Aber wie du sagst, Politik kann bewegen … Spürst du eine Veränderung in der Politik von früher im Vergleich zu heute?
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Walter Kompatscher Bürgermeister 1969–1980
Josef Kompatscher, Zimmerlehner Bürgermeister 1980–2005
Hans: Als Gewesener ist es heute unvorstellbar, in der Politik mitzumischen. Man lernt die Leute richtig kennen. Man sagt immer, Politiker lügen. Aber im Grunde will der Mensch auch belogen werden. Manche sind immer noch beleidigt mit mir, denn ich war immer geradeheraus und ehrlich.
Wenn du für eine Minute ein wichtiger Politiker wärst, was würdest du dann verändern? Hans: Nicht viel, (er lacht)... jeder hat seinen Stil. Soweit geht es uns gut, dass wir nicht jammern müssen. Die Bevölkerung aber jammert auf hohem Niveau.
Ja, weil die Leute sich gerne selber mit dem Positiven täuschen. Du warst in der Gemeinde politik tätig. Wolltest du nie weiter? Hans: Nein, dazu hätten meine Fähigkeiten nicht gereicht. 15 Jahre lang war ich Obmann-Stellvertreter der SVP, drei Jahre musste ich dann Obmann sein. Aber Parteiobmann, das war nicht mein Ding. Bauernbundobmann hingegen, das war ich gerne.
Die Entbürokratisierung wäre ein Wunsch? Hans: Ja, das ist ein großer Wunsch von allen. Versprechen tun es immer alle, schaffen tut es keiner. Das ist so, weil es immer schon Gauner gegeben hat, die jedes „Schlupflöchel“ gefunden haben, muss alle komplizierter gemacht werden.
Also hast du dich auch in Vereinen betätigt? Hans: Ja, ich hatte in vielen Vereinen Führungspositionen inne, viele Vereine trugen meine Handschrift. Ich war auch im Gemeindeausschuss, fünf Jahre lang. Irgendwann hab ich „Stopp“ gesagt. Nora will Politik studieren, was kannst du ihr auf den Weg mitgeben? Hans: Das ist schwierig. Da bin ich in der heutigen Zeit überfragt. Ja, es hat sich viel verändert, aber in Südtirol kaum, die SVP ist immer noch die stärkste Partei. Was ist der Grund dafür? Hans: Weil wir gegenüber Rom nur Forderungen stellen können, wenn wir zusammenhalten.
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Es ist vielleicht auch so, weil die SVP mittlerweile eine Stellung in Rom hat, das macht es leichter für Südtirol. Im Oktober sind Landtagswahlen, was erwartest du dir? Hans: Es wird ähnlich ausgehen. Es ist nicht viel Gscheideres ummer53 - einfach gesagt. Die SVP wird aber nicht mehr zulegen. 53
Gscheideres ummer: hier gemeint: Es gibt für Hans keine bessere Alternative zur SVP.
Man sagt, dass Jugend sich nicht mehr für Politik interessiert und dass früher alles besser war. Hans: Nein, das stimmt nicht. Früher war nicht alles besser. Wegen des Wohlstands ist die Jugend nicht mehr so politisch. Früher, nach dem Krieg, gab es gar nichts. Wir hatten schon zu essen. Es gab auch andere, die nichts hatten. Die Leute sind so aufgewachsen. Dann ist allerhand Neues gekommen. Das Interesse ist so gewachsen, man begann zu kämpfen – für den Wohlstand. Man wusste für was. Für viele ist heute die Autonomie logisch und normal … Hans: 1970 hat in den Ämtern niemand deutsch gesprochen, dann interessiert man sich schon. Ich lernte beim Militär ein bisschen Italienisch, aber viele konnten gar nichts.
nicht immer passen, aber der Grundgedanke ist absolut positiv.
Parteien können gut quasseln, das kommt schnell gut an. In der Regierung würden sie sofort gestutzt werden.
Der Umgang mit den Migranten ist eine schwierige Sache, wie stehst du dazu? Hans: Die Politik hat‘s nicht leicht, die Kriegsflüchtlinge sind für mich in Ordnung. Bei den reinen Wirtschaftsflüchtlingen, da wäre ich anderer Meinung. Aber wie war es bei uns vor dem Krieg, als damals 95 Prozent für die Option gestimmt hatten? Die Optanten wurden draußen auch nicht gerne gesehen. Das Glück für uns Südtiroler war, dass der Krieg ausgebrochen ist und der Staat das Geld nicht hatte, die Optanten abzulösen. Ausgewandert sind meistens die, die nichts hatten. Auch Verwandte von mir waren darunter, sie sind dann draußen geblieben. Auch meine Eltern hatten optiert. Der Hof wurde geschätzt, alles wurde aufgezeichnet. Dann ist zu unserem Glück alles eingeschlafen. Die Option war für den Staat nicht finanzierbar.
Alles ist in Zusammenhang mit den Flüchtlingen zu sehen... Hans: Ich hatte in der Bar Flora einmal eine Diskussion. Einer hat aufpomelitzt54, da sagte ich dann: „Waren unsere Verwandten willkommen draußen?“ Das vergessen die Leute. Man hat schon ein kleines bisschen Misstrauen bei gewissen Gestalten. Ein Albaner, ein Maurer, ein guter Arbeiter, hat mir erzählt: Man hat gar nichts - keine Perspektiven. Das nächste Ziel ist Italien, auch sprachlich ist das für sie am einfachsten. Aber dann muss man essen, was soll man tun? Dann stiehlt man etwas und wird eingesperrt. Im Gefängnis hat man etwas zum Essen und ein Bett. Bis man eine Arbeit bekommt, dauert es lange.
Wir hätten dadurch unserer Kultur verloren... Hans: Es gab auch Streit in Familien und in der Nachbarschaft. Bei uns wurde danach nie mehr darüber geredet. Aber gehört habe ich davon. Die Zimmerlehner waren Dableiber, sie haben keine Leute mehr bekommen, Weizen zu schneiden. Man hat sie als „Walsche“ beschimpft. Die rechten Parteien gewinnen in ganz Europa an Aufschwung. Ist es eine Phase, die sich wieder legen wird? Hans: Ich kann das nicht genau beurteilen. Die Parteien, die regieren müssen, bekommen Abnutzungserscheinungen. Natürlich machen sie Fehler. Die rechten, populistischen
Du hast die Entwicklung der EU mitbekommen, wir sind hineingeboren. Bist du ein EU-Befürworter? Hans: Ja, die EU ist absolut positiv, sonst müssten wir im Weltmarkt alles selber organisieren, speziell für Südtirol war es positiv. Früher, wenn wir über den Brenner wollten, musste man alles verzollen und die Ausweise zeigen. Einmal, da wurden wir am Brenner mit dem Bus angehalten, hinten im Bus wurde gelacht, das hat den Zollbeamten aufgestoßen. So mussten wir zwei Stunden warten, bis sie uns kontrolliert haben. Dann durften wir erst weiterfahren. Manchmal schafft die EU schon auch Dinge, die regional
Es wäre die Aufgabe der Politik, den Flüchtlingen diesen Weg zu erleichtern und zu beschleunigen … Was hältst du von den sogenannten „Fake News“? Hans: Ich bin voll überzeugt, dass die Medien an vieler Missgunst schuld sind. Sie schreiben alles, damit ihre Zeitung verkauft wird. Auch unsere Medien sind so. Sie bieten wenige Informationen. Sie wiegeln das Volk auf! Sie sollten sich ihrer Verantwortung bewusst sein und nicht nur an den Verkauf denken. Hans, wir bedanken uns, dass wir mit dir sprechen durften. Es war eine Bereicherung für uns!
JOHANN FEDERER Plotzerbauer, Jahrgang 1942 INTERVIEW Petra Lantschner Nora Künig
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aufpomelitzt: aufbegehrt
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Die alte „Spritzenhalle“ beim Kreuzbrunnen
FEUERWEHR JOHANN KRITZINGER, Zippl-Hans, mehrjähriger Feuerwehrkommandant, Jahrgang 1937 DENISE FEDERER, Sprachengymnasium ISABEL POLENTA, Sprachengymnasium
Wann und aus welchem Grund wurde der Verein Freiwillige Feuerwehr Völs am Schlern gegründet? Hans: Gegründet wurde die Freiwillige Feuerwehr Völs 1895. Der Auslöser war ein Großbrand beim Kreuzwirt. Die Holztreppen des Gebäudes waren vollkommen ausgebrannt, sodass ein Insasse, ein Onkel meines Vaters, aufgrund der Eisenstangen, die das Zimmer im Obergeschoss versperrten, keinen Ausweg fand und elend zugrunde ging. Doch nicht nur wegen dieses schrecklichen Ereignisses, sondern auch, weil zu
jener Zeit in mehreren Gemeinden des Landes Feuerwehren entstanden, kam bei den Bürgern von Völs der Gedanke oder vielmehr das Bedürfnis auf, eine Feuerwehr zu gründen. Du warst ja selbst auch Feuerwehrkommandant. Und das nicht nur einmal, richtig? Hans: Ja, ich wurde 1975 zum ersten Mal Kommandant, ehe ich dann 1985 erneut gewählt wurde und bis Ende des Jahres im Amt verblieb. Ein Jahr später ging ich dann selbst
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zur Feuerwehr. Während meiner Amtszeit wurde 1977 auch ein neues Vereinshaus gebaut. Und später dann, von 1996 bis 2000, war ich Kommandant-Stellvertreter. Wie sah die Ausrüstung des Vereins früher aus? Hans: Die Ausrüstung früher war relativ rar: einzelne Kübel zum Wassertransport, eine Handwasserpumpe, die auch heute noch existiert und funktioniert, aber natürlich nicht mehr in Gebrauch ist. Das Wasser konnte man damals dem Dorfbrunnen entnehmen. Die Leiter zum Ausziehen passte nicht in die Halle und wurde in die Pumpe gesteckt. Auch diese kann man heute als Ausstellungsstück in der Feuerwehrhalle betrachten. Sowohl die per Hand zu betätigende Wasserpumpe, als auch die Leiter sind beim Baurwindisch-Brand zugrunde gegangen. Auch ein Fahrzeug gab es bereits: eine uralte Campagnola Fiat, wo man im Winter immer das Wasser auslassen musste, weil das Fahrzeug sonst übergelaufen wäre. Letztendlich hat man sie dann auch anderen vermacht. Im Laufe der Jahre kamen noch weitere Fahrzeuge hinzu. Unter anderem ein VW Kombi, ein Fiat Daily und ein Tankwagen. Das Auto ist heute noch in Verwendung und funktioniert einwandfrei. Als ich 1975 Kommandant wurde, waren viele der Schläuche kaputt und so kam es, dass ein Handschlauch oftmals deutlich mehr Wasser verlor als er transportierte. Dies war auch die Ursache, warum ein Feuer manchmal nicht rechtzeitig gelöscht werden konnte. Inwiefern hat sich die Ausrüstung der Feuerwehrkräfte verändert? Hans: Die Ausrüstung, nicht nur was jene technische be-
trifft, sondern auch die Kleidung hat sich grundlegend erneuert und ist heute auf dem neuesten Stand. Wo man früher noch alte Mäntel trug, gibt es heutzutage gute Schutzkleidung, Helme, Gasmasken, usw. Wie konnte man früher und wie kann man heute einen Brand melden? Hans: Ganz früher waren es die Kirchenglocken. Später dann konnte ein Feuer ganz einfach mit der Sirene gemeldet und somit die Feuerwehr verständigt werden. Diese Sirene musste jedoch händisch betätigt werden. Heute hingegen geht alles über die Zentrale der Berufsfeuerwehr. Wie sieht der Tätigkeitsbereich der FF Völs aus? Hans: Der Tätigkeitsbereich ist sehr vielfältig, ob Unfälle im Straßenverkehr, Straßensäuberungen, teilweise auch nur Kleinigkeiten wie die Rettung einer Katze von einem Baum. Was war der schlimmste Einsatz, den Sie jemals miterlebt haben? Hans: Ganz schlimm waren die Brände im Jubiläumsjahr 1988. Damals gab es drei relativ große Brände: einen in Ums und zwei in Obervöls. Man geht zwar davon aus, dass es Schicksal war, aber man hat dennoch immer wieder von umgehenden Brandstiftern gehört.
Hans, wir bedanken uns für das interessante Gespräch!
JOHANN KRITZINGER Zippl-Hans, mehrjähriger Feuerwehrkommandant, Jahrgang 1937 40
INTERVIEW Denise Federer Isabel Polenta
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Völser Eisstocksportler am Huber Weiher
Es war keine leichte Geburt, die des Sports in Völs. Ein Dorf, das jahrhundertelang von bäuerlichen Werten und Strukturen geprägt war, tat sich schwer, Neues zu akzeptieren. Walter Prackwieser erzählt uns von Ameisenschritten und Titanenkämpfen – und davon, wieviel sich in den letzten 70 Jahren verändert hat.
SPORT Walter Prackwieser, mehrjähriger Präsident des Sportvereins Völs, Jahrgang 1942 Anna Mitterstieler, Sprachengymnasium Hannes Vikoler, Tischler
Wieviele Jahre hast du den Sportverein geleitet, wie kam es dazu? Walter: Den Sportverein habe ich fünf Jahre lang effektiv geleitet (1978 bis 1983). Davor war ich im Ausschuss. Es gab damals ja noch zwei Vereine. Den SC Völs und den Eisverein, den E.S.V. Völs. Da war der damalige Kreuzwirt, Christian Masoner, Präsident. Es hat immer Schwierigkeiten gegeben. Wir hatten mehr Kinder, der E. S. V. mehr Erwachsene. Ich habe dann den Zusammenschluss der beiden Vereine durchgezogen. Wir haben gemeinsame Statuten erarbeitet und Sektionen gemacht. Masoner wurde Vize. SV Völs hieß der Verein von da ab. Wir hatten fünf Sektionen: Rodeln, Skifahren, Fußball, Eisstockschießen und Eishockey – die waren damals sehr stark. Ich war von 1974 bis 1979 im Gemeindeausschuss und 55
Mords Affision: riesigen Einsatz
habe versucht den Sport zu unterstützen, ihn bekannt zu machen und Beiträge zu bekommen. 1977 hat man das Vereinshaus eingeweiht, da haben wir den Turnsaal bekommen. Das war ein Kampf! Aber wir machten alles freiwillig. Wir hatten eine Mords Affision55, damals. Vor allem auch der Ewald mit dem Rodeln. Man muss bedenken, uns haben ja die Infrastrukturen gefehlt. Bald schon aber hat man die Rodelbahn auf Tuff errichtet und dann die Skipiste bei der Bar Flora. Die Rennen waren vom Waldner hinunter in die Bachwiesen. So mancher ist über die Straße gesprungen. Ihr fragt mich, wie ich dazu gekommen bin … Ich war immer schon am Sport interessiert gewesen - in Völs waren das damals nicht viele. Es zählten mehr die Musikkapelle und die Sänger. Das Dorf war von der Landwirtschaft geprägt, da war noch wenig Verständnis für den Sport. Ich bin in Bozen zur Mittel- und zur Oberschule gegangen. Einige andere sind nach Neustift gegangen. Da gab es schon Turnunterricht. So haben wir das Interesse für Sport nach Völs gebracht. Besonders an die Anfangsschwierigkeiten erinnert sich Walter Prackwieser sehr gut. Die Schule, besonders der damalige
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den Bachwiesen immer Röcke tragen mussten. Hosen waren verpönt! Innerhalb von 70 Jahren hat sich viel getan. Ihr Jungen könnt euch das gar nicht vorstellen! Als ich dann mit 24 Jahren heiratete, habe ich schon an die Kinder gedacht. Es war die Zeit, als auf dem Hochplateau das mit dem Rauschgift begann. Ich dachte, wenn die Jungen Sport machen, kommen sie in eine Gemeinschaft und nicht auf andere, schlechte Gedanken. Das war mein Grund. Ja, man tat es für die Gemeinschaft, muss man sagen. Und dann hat man in der Schule immer den Satz gehört: „Mens sana in corpore sano“, „Ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper.“ - ich war davon überzeugt, und meine Kollegen auch.
Der Völser Fußballplatz
Direktor, hatte absolut kein Verständnis für den Sport. Und auch der Pfarrer nicht. Die Kinder könnten an den Sonntagen nicht Sport betreiben. Da mussten sie doch in die Kirche. Und dann war da noch das Hochplateau. Es gab drei Vereine, vor allem die Sektion Fußball versuchte man zusammenzulegen. Völs mit Seis oder Völs mit Kastelruth wäre gegangen, aber Seis mit Kastelruth war absolut unmöglich, die wollten nicht zusammen! Walter erzählt: Walter: Der damalige Bürgermeister, Walter Kompatscher, hatte schon immer Verständnis für den Sport. Aber die Bauernvertreter! Wie lange haben wir für den Fußballplatz gekämpft! Den haben wir selber gemacht. Nicht einmal das Holz, das wir draußen gefällt haben, durften wir behalten! Die Älteren sind früher auf die Jog-Wiesen gegangen, um Fußball zu spielen. Später ist der Hermann Thaler aus Deutschnofen gekommen. Er hat den Fußball übernommen. Ich habe der ersten Mannschaft, als mein Sohn sieben Jahre alt war, die ganze Ausrüstung spendiert.
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Langsam entstanden dann im Dorf Infrastrukturen, Tennisplätze, der Fußballplatz, die Turnhalle. Nicht ohne Widerstände. Vor der Errichtung der Turnhalle im neuen Kulturhaus, das 1977 eingeweiht wurde, hat es in Völs große Kämpfe gegeben: Walter: Da wäre der Pfarrer fast ausgerastet, genauso die Bauern. Heute ist es fein, heute wird nicht mehr ge-
schimpft. Die Bauern akzeptieren den Sport genauso wie alle anderen. Das wäre so früher nie möglich gewesen. Um die finanzielle Situation zu verbessern hat der Sportverein begonnen, Feste und Bälle zu organisieren. Der Sportball (Stephansball) wurde legendär, zumal die Kastelruther Spatzen es sich nicht nehmen ließen, ihn zu bespielen. Das machte sich bezahlt. Der Verein konnte sich bald einen eigenen Kleinbus leisten. Die Mitglieder wurden zahlreicher, an die 600 Mitglieder konnte Walter in seiner Zeit als Obmann verzeichnen. Was war für dich persönlich wichtig beim Sportverein? Walter: Persönlich war mir die Jugendarbeit immer wichtig. Ich war nicht ein starker Sportler. In der Oberschule habe ich Langlauf, 1000-Meter-Lauf und Querfeldeinlauf gemacht. Ich bin in Prösler Ried aufgewachsen. Da war Sport nichts, ich bin heimlich nach Blumau gelaufen, um zu trainieren. Ich hatte nie die Möglichkeit, das Schwimmen zu erlernen. Als die Buben damals mit kurzen Hosen zum Völser Weiher gingen, um zu schwimmen, hat der Kreiterbauer sie noch mit den Brennnesseln verfolgt. Schwimmen musste man heimlich. Meine Frau hat erzählt, dass sie damals beim Rodeln in
Walter, welche Veränderung siehst du im Sport früher und heute? Walter: Früher war das Verständnis für den Sport nur in den Städten da. Der bäuerlichen Bevölkerung hat er nichts gesagt. Es bedurfte damals großer Begeisterung, auch nur auf eine Piste zu kommen. Einige wenige besaßen Skier. Der Turmwirt, der Lehrer Oswald, der Adolf Kompatscher, der Hubert Mumelter... Sie sind Ski gefahren, sie haben es sich vermocht. Aber das waren die Ausnahmen – die Pioniere der ersten Stunde! Die nächsten Pioniere waren die Rodler: Ewald, Paul, die Kinder... dann Evi und ihre Schwestern. Sie haben alle hart angefangen. Es brauchte Freude. Keiner sagte ihnen damals: „Du musst.“ Heute wird der Sport gefördert, vom Land, von den Gemeinden, den Sponsoren. Er ist voll finanziert. Alles ist bequem geworden - die Umlaufbahn, die Lifte.
Völs und Rodeln: Ein untrennbarer Doppelpack. Völser Athleten dominierten die Disziplin.
Aber, um heutzutage weiterzukommen, braucht es viel mehr Einsatz als früher. Einen eisernen Willen und hartes Training. Als ich jung war, da gab es das alles nicht, auch nicht von zuhause. Keiner hat dir einen Ski gekauft. Am Ende gibt Walter uns noch weise Wort mit auf den Weg: Walter: Der Sport tut zweimal gut: Der Gesundheit und der Charakterbildung - der Durchschnittssport. Der Spitzensport, das ist etwas anderes - da bin ich anderer Meinung! Danke, Walter für den tiefen Einblick in deine und die Völser Sportwelt!
WALTER PRACKWIESER ehemaliger Präsident des Sportvereins Völs, Jahrgang 1942 INTERVIEW Anna Mitterstieler Hannes Vikoler
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untägige Deutschlandfahrt nach Franken im Novem
Unannehmlichkeiten mit sich brachte als positive
r Abfahrt an nicht alles wie gewünscht, was aus dem
icht hervorgeht. Die nächste Fahrt verlief wieder
ten kehrten mit guter Laune zurück. Man fuhr nach
, um dort beim Faschingsumzug teilzunehmen.
Worte über die alljährlichen Vollversammlungen, die
usgehen, geben einen guten Eindruck über den Zu
ei werden die Jungmusikanten oft aufgefordert fleißig über die Tracht und über den Zusammenhalt der
das heute das Jahreshauptkonzert der Völser Musik
es am Fronleichnamstag), fand in früheren Jahren am
äter auf den Ostersonntag verlegt und erst ab 1969
beschrieben. Die Böhmische war und ist ein wichtiges
Sizilienreise 1967
ets mit zahlreichen Ausrückungen – vor allem bei Allmählich verlagerte in den über 70er dernicht Festplatz vom Christanell-Anger Von 1961 bis 1996 waltete dersich Zimmerlehner-Toni die Jahren er sich 1961 mehr der Wahl und bei der Versammlung Geschicke der Musikkapelle Völs am Schlern. Heute erinnert er sich an seine erfüllte Zeit zurück. Sein Motto lautete immer: Wenn alle gschaffen56 und Geld genügend vorhanden ist, dann geht alles. 1956 ist der Toni mit 15 Jahren zur Musikkapelle gekommen, an Fronleichnam war sein erster Auftritt. Da durfte man immer anfangen. Im Herbst davor hat er begonnen sein Instrument zu erlernen, nach einem Winter durften die Neulinge dann mitmarschieren. Der Hohenrainer-Simon war der Lehrmeister. Damals, als Toni begann, waren 30 Männer bei der Musikkapelle, Frauen noch lange nicht. Die Auftritte waren spärlicher als heute. Geprobt wurde immer an den Samstagen. Zum Trinken gab es Wein. Jedes Register hatte einen Krug Wein bekommen. Den Jahreshöhepunkt bildete die Cäcilien-Marende. Anfangs, so erinnert sich Toni, als noch kein Geld da war, gab es im Probelokal eine Hauswurst. Später dann durften auch die Frauen mitfeiern. Es wurde getanzt und gelacht bis nach Mitternacht. Heutzutage ist um fünf Uhr fertig … sinniert Toni. Wie und warum er in das Obmann-Amt gerutscht ist, weiß Toni noch ganz genau:
hat es geheißen: Ein Junger soll’s machen. So wurde ich mit 20 Jahren zum Obmann gewählt. Später, als der Pepi-Walter für das Bürgermeisteramt kandidierte, das war 1969, hat er mich überredet, in die Gemeinde zu gehen, um dort zu arbeiten. Denn das gehe nicht, dass der Obmann der Musikkapelle in Bozen arbeitet.
ölser Straße in Friedberg durften die Völser Musikanten
hin zum Platz hinter dem Peter Bühl, auf dem heute noch die Feste abgehalten
den Feierlichkeiten Anfang Juli 1969 teil. Anlässlich
werden. Ein Sportereignis wurde im Februar 1971 am Völser Weiher von der Kapelle
10. Februar 1970 war die Kapelle bei einem Südtiroler
musikalisch umrahmt. Es fand dort die Europameisterschaft im Eisstockschießen statt So machte Toni die Abendmittelschule in Kastelruth und begann seine berufliche Laufbahn in der Völser Gemeindestube.
n vertreten. Dem beigelegten Programmblatt zufolge
Bei einem dreitägigen Aufenthalt im Juli 1971 in Montpellier (Frankreich) wo die
auf (Johann Wickers), Mein Heimatland (Sepp Thaler)
Musikanten beim Volksfest mitwirkten, wurden siezu„wie Gottundinsonntags, Frankreich“ damals nur zweit. Samstags immer waren verpflegt
(Erwin Trojan). Einen Monat später feierte die Völser
Bestehen. Die Kapelle umrahmte die Feier musikalisch
MUSIKKAPELLE
stlichkeit und anschließend spielte sie noch ein paar
schen Friedberg und Völs fand immer wieder statt.
ANTON KOMPATSCHER, Zimmerlehner-Toni, langjähriger Obmann der Musikkapelle Völs, Jahrgang 1941
Toni: Heute sind da an die zwanzig Angestellte, wir waren
wir disponibel. Da hat sich vieles geändert. Viele Jahrzehnte
lang sind Völser Bürgermeister immer15. bei derund Musikkapelle Die vierte Italienmeisterschaft in Naturbahnrodeln fand am 16. Jän gewesen, erst der Walter dann der Sepp. Da war es für mich in der Gemeinde praktisch, ich konnte für die Kapelle nebenher etwas tun, kopieren, telefonieren usw. Die ersten Kopiermaschinen waren mit Wasserbad. So habe ich damals die Noten kopiert. Immer auf der Gemeinde. Die Bürgermeister haben das immer unterstützt. Ins Schwärmen kommt Toni, wenn er von den Auswärtsfahrten der Musikkapelle erzählt. 1959, da war er 18, hat er seine erste Fahrt nach Friedberg mitgemacht. Da wurde im Bierzelt auf den Tischen gesungen und getanzt. Ab 1961 ist die Völser
ner 1972 in Völs statt, bei der die Kapelle die Rahmenveranstaltung übernahm. Sie spielte beim Fackelumzug und bei der Siegerehrung.
Am 23. November 1972 wurde in München dem bayerischen Ministerpräsi
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lle im Juni 1970 zu Gast in Völs und Gymnasium die Völser fuhren ANNA KORNPROBST, Sozialwissenschaftliches
Der Pepi-Walter war vor mir Obmann. Er ist mit dem denten Toni: Alfons Goppel ein Geschenk der Südtiroler Landesregierung überreicht, wo Kapellmeister nicht so gut ausgekommen. Deshalb stellte
de in die Partnerstadt.
die Völser Musikkapelle die Feierlichkeiten musikalisch umrahmte19. 56
gschaffen: miteinander auskommen
wo er hingerichtet werden sollte. Kurz vor der Vollstreckung erkannte man, dass man den Völser Pfarrer mit dem Valser Pfarrer verwechselt hatte. Als der Pfarrer zurückkehrte, empfingen die Völser ihn mit Musik und Fahnen. Früher haben die Bälle beim Kreuzwirt stattgefunden, immer sonntags am Abend. Dann aber haben wir den Ball am Samstag gemacht. Da ist der Pfarrer ausgerastet. Auch meine Mutter hat mich „geschumpfen“. Aber dann, nach 1969, setzte sich der Samstag durch. 1975, als der Naturpark Schlern eingeweiht werden sollte, kamen nur wenige Musikanten. Die Bauern waren nämlich gegen den Naturpark, mein Bruder, der Sepp, auch. Bei den Proben hat der Walter, damals Bürgermeister, Werbung für den Naturpark gemacht. Ich ließ ihn aber nicht abstimmen, ob wir zur Eröffnung ausrücken wollen. Es haben dann nur wenige gespielt. Wir aus Protest nicht. Das hat Walter uns oft vorgehalten.
Voller Konzentration Konzentration musizieren musizieren die die Musikanten Musikantenbeim beimJahreshauptkonzert Jahreshauptkonzertam amOstersonntag. Ostersonntag. Voller
8 8 Mit den Musikinstrumenten Musikinstrumenten im im Rucksack Rucksack wandert wandertjedes jedesJahr Jahreine einekleine kleineFormation Formationauf aufden denSchlern, Schlern,um umden denKirchtag Kirchtagmusikalisch musikalischzuzuumrahmen. umrahmen.Foto Fotoaus ausdem demJahr Jahr2008. 2008.
Musig57 dann jedes Jahr zu einer Auslandsfahrt eingeladen worden. Toni: Die Fahrten wurden immer bezahlt, geschlafen wurde in Privatunterkünften oder in Turnhallen. Zweimal waren wir in Sizilien, 1967 und 1979, beim Mandelblütenfest in den Tempeln von Agrigento - in der Völser Tracht. 1967 durften die Marketenderinnen nicht acht Tage lang mitfahren. So sind unsere Frauen mitgefahren. Es waren vier, drei davon waren schwanger … lacht Toni. Aber die waren bestens betreut, denn eine der Schwangeren war Hebamme. Die Hebamme hatten wir auch mit. Die Lies58 hat auf die schwangeren Frauen geschaut... es war sehr schön!
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Was war das Schwerste für dich als Obmann? Toni: Die Leute für die Proben und für die Auftritte zusammenzubringen. Damals mussten die Bauern abends immer das Vieh füttern, dann war es oft schwer für sie wegzukommen. Und auch das Geld. Ich erinnere mich, dass der Salmseiner in Neustift zur Schule gegangen ist und ein Horn kaufen sollte. Ich musste eine Ausschusssitzung halten, denn es hat zwei Millionen Lire gekostet. Wann hat sich die Musikkapelle dann so vergrößert? Völser Musig: Musikkapelle Völs am Schlern Lies: Elisabeth Kompatscher, Hebamme, Frau von Walter Kompatscher 59 Leibl: Weste bei der Männertracht 60 Waudel: Hutschmuck aus Federgras, auch Schmelbn genannt 57
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Toni: Als die Musikschulen professionell wurden. Wir in Völs hatten schon lange eine provisorische Musikschule. Eva Seberich und Auguste Vötter waren Lehrerinnen, neben Simon und Hubert Vikoler. Wann sind dann die Frauen zur Musikkapelle gekommen? Toni: 1979. Vorher durften sie nicht. Die ersten Mädchen waren Heidi Pigneter, Ulrike Mitterstieler und Edith Haselrieder. Sie hatten die Männertracht an: den Hut, das Leibl59, nur einen lodenen Rock anstelle der Hose. Sie hatten sogar den Waudel60 auf. Dann 1980 waren wir die ersten in Südtirol, die die Frauentracht erlaubten. Die Flötistinnen haben dann den „Stutzer“ angezogen, das mochten sie zuerst nicht so gerne. Die Flöten sind erst mit den Frauen in die Musikkapelle gekommen. Den Männern passte es, dass Frauen dazugekommen sind. Toni, kannst du einige besondere Meilensteine in der Geschichte der Musikkapelle nennen? Toni: Die erste Quelle, in der die Musikkapelle erwähnt wird, stammt von 1809. Da war diese Verwechslungsgeschichte mit dem damaligen Pfarrer Schneider. Der wurde der Aufwiegelung gegenüber den Franzosen beschuldigt. Daraufhin wurde er festgenommen und nach Bozen gebracht,
Wie hat sich eure Tracht entwickelt? Toni: Die Festtagstracht mit den kurzen Hosen gibt es seit 1952, nach dem Krieg. Das mit den „Leibln“ war ein „Gfrett“. Die Merl-Nandl war in Rom Dienstmädchen und hat dem Merl-Luis für sein Hochzeitsleibl diesen roten Stoff gekauft. Alle waren beeindruckt von dem schönen roten Leibl. Daraufhin beschloss man, für die Festtagstracht der gesamten Musikkapelle solche schneidern zu lassen. Ich finde ja, das ist eher ein Diwanstoff - obwohl, auf den Fotos schauen sie schon schön aus. Vorher trug man die „sumatn Leibln“, wie beim lodenen Gewand. Als seinen schönsten Moment nennt Toni die Audienz beim Papst in Rom.
Toni: Als wir aus Sizilien zurückgefahren sind, das war der Aschermittwoch 1967, haben wir in Rom Halt gemacht. Der Bürgermeister, eine Marketenderin und ich durften Papst Paul VI. die Hand reichen. Später war ich einmal mit der Tanzlmusik, mit dem Männerchor bei einer Privataudienz dabei, bei Papst Johannes Paul II. Zum Abschluss wird Toni nachdenklich … Toni: Ich habe nie gedacht, dass ich die Musik lassen könnte. Aber jetzt im Alter denk ich manchmal daran … na, na … aber solange ich mit der Schlossmusik spiele, muss ich sowieso üben, deshalb bleib ich halt … Ohne Musik könnte der Toni nicht. Danke, Toni, dass du dir Zeit genommen hast. Ich wünsche dir noch ganz viele Jahre voller Freude in deiner Musikkapelle!
ANTON KOMPATSCHER langjähriger Obmann der Musikkapelle Völs, Jahrgang 1941 INTERVIEW Anna Kornprobst
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Der Plotzer-Toni ist eine Institution in der Völser Musikwelt. Seine Biografie und sein Einsatz für den Chor zeugen von einer Liebe und Leidenschaft für die Musik und den Gesang, die sein Leben prägen und erfüllen. Stolz ist er auf das Chorleben in Völs, das so reich ist, wie in kaum einer anderen Gemeinde – was sicherlich auch Tonis Verdienst ist. Heute, mit fast 70 Jahren, sagt er: Ich würde nichts anders machen …
CHORLEBEN ANTON FEDERER, Plotzer-Toni, mehrjähriger Obmann des Kirchenchors und langjähriger Chorleiter des Kirchen- und Männerchors, Jahrgang 1949 LENA HARDER, Hotelfachschule VIKTORIA KOMPATSCHER, Sozialwissenschaftliches Gymnasium
Lena und Viktoria: Wir singen beide seit sieben Jahren im Chor, zuerst im Kinderchor, jetzt im Jugendchor. Toni, wie ist es bei dir losgegangen? Warst du auch beim Kinderchor? Toni: Als kleiner Junge, als es noch keinen Kinderchor gab, habe ich bei den Festtagsmessen gestaunt, wie der alte Grimmbauer die Soli gesungen hat, vor allem bei den Weihnachtsmessen. Schon damals hab ich gedacht, so schön singen würde ich auch gerne können. Als Ministranten haben wir manchmal auf Festen gesungen. Schön musste es nicht sein, nur laut genug! Im Jahre 1966 hat mich der damalige Kooperator von Völs, Thomas Huber, gefragt, ob ich zum Chor möchte. Er bildete junge Sänger aus und leitete den Chor. Ich kann mich jedoch nicht mehr erinnern, „ob i eppes gekennt hon61“. 1967 besuchte ich die Landwirtschaftsschule in Dietenheim und ich musste bei jeder Messe, gemeinsam mit einem Jun61
ob i eppes gekennt hon: ob ich auch singen konnte
gen aus Feldthurns, Vorsänger machen. Nach der Schule bin ich zum Militär und habe das Singen vernachlässigt. Meine Leidenschaft für das Singen habe ich erst dann richtig entdeckt, als ich meine Frau Veronika kennengelernt und geheiratet habe. Wir waren gemeinsam beim Chor, bis wir merkten, dass wir dort etwas ändern mussten. Der damalige Kapellmeister und Chordirigent, Franz Kompatscher, hat sich dafür entschieden, nicht mehr als Dirigent weiterzumachen und so hatten wir längere Zeit keinen Dirigenten. 1980 brachte mich der damalige Pfarrer, Leopold Neumair dazu, die Stelle als Chorobmann zu übernehmen. Auguste Vötter war in diesem Jahr Chorleiterin. 1981 hat er mich zur Kirchenmusikschule in Brixen angemeldet, die ich drei Jahre lang besuchte. Montags hatte ich Klavier- und Orgel unterricht und samstags hatte ich Theorieunterricht und Musiklehre. Und jetzt bin ich seit 1981 Chorleiter. Es war nie mein Traum, Chorleiter zu werden und ich habe auch nie darüber nachgedacht. Schon von 1978 bis 1982 habe ich fünf Kapellmeisterkurse besucht, sodass ich schon Erfahrung im Dirigieren hatte. 20 Jahre lang bin ich jeden Sommer drei Wochen zur Weiterbildung gegangen: Eine Woche Chor- und Stimmbildungswoche, eine Woche die kirchenmusikalische Schulungswoche in Brixen und eine Woche Chorleiterseminar mit Professor Max Frey von der Musikhochschule München, der mir die wichtigsten handwerklichen Notwendigkei-
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ten mitgegeben hat. Und dafür bin ich sehr dankbar. Nach diesen 20 Jahren habe ich eine kurze Pause in den Fortbildungen gemacht. Im Jahre 1982 hat der Toni Wörndle den Männerchor wieder zusammengerufen. Der Männerchor existierte schon, nur leider war er nicht mehr aktiv. Und auch hier habe ich die Chorleitung übernommen. Ich hatte mit den Chören sehr viele schöne Erlebnisse, sei es bei Konzerten, bei Ausflügen oder bei Begegnungen mit anderen Chören. Es war wirklich toll. Diese Erfahrung möchte ich nie missen. Du bist also seit 1982 Männerchorleiter? Toni: Ja, seit 36 Jahren bin ich jetzt Männerchorleiter. Beim Kirchenchor bin ich seit einem Jahr nicht mehr als Chorleiter tätig, da ich einerseits einem Jungen die Chance geben wollte, und auf der anderen Seite nicht wollte, dass mir eines Tages aufgrund von altersbedingten Unzulänglichkeiten jemand sagt: „Toni, iez wars Zeit zu lossen62“. Ich wollte selbst die Entscheidung treffen, den Schnittpunkt zu machen. Und ich bin überzeugt, dass es der richtige Schritt war. So kannst du auch sehen, wie es abläuft, wenn ein anderer den Chor leitet und du kannst auch selber mitsingen. Toni: Ja, ich bin überglücklich und Joachim macht es gut. Ich bin sehr froh, dass ich diesen Schritt gemacht habe. Hattest du neben dem Chor auch noch eine andere Arbeit? Toni: Das ist auch noch dazugekommen. Ich habe beim Sennereiverband in der Milcherzeuger-Beratung gearbeitet. Dafür musste ich oft sehr früh, auch schon um vier Uhr, zur Arbeit gehen. Erst um sieben Uhr abends bin ich nach Hause gekommen. Der Chor war für mich ein Ausgleich zur Arbeit. Ich würde nie sagen, dass ich, wenn ich an meiner Jugendzeit etwas ändern könnte, es tun würde. Hat es nie Zeiten gegeben, in denen du am liebsten alles hingeschmissen hättest? Toni: Das waren nur sehr kurze Momente, wenn es in den Vereinen kleine Streitereien und Diskussionen gab. Aber zum Glück traten diese Momente nur ganz selten auf. 52
Bewundernswert. Bei einigen kommt es nämlich schon manchmal zu Situationen, in denen sie am liebsten alles aufgeben würden. 62
Toni, iez wars Zeit zu lossen: Es wäre an der Zeit, das Amt niederzulegen.
Toni: Dazu kommt auch noch, dass meine Frau ab 1987 den Kinderchor 25 Jahre geleitet hat. Wir haben zu Hause immer eine gemeinsame Aufgabe, den Chor, gehabt. Der Kinderund Jugendchor sind für mich die Krönung. In unserem Dorf haben wir so ein großes Vereinsleben der Chöre. Ich glaube, wir finden kaum ein Gemeindegebiet, wo so viel Wert auf das Singen gelegt wird. Du warst auch bei der Musikkapelle, oder? Wie ist sich das ausgegangen? Haben sich manchmal Termine überschnitten? War für dich immer schon klar, dass der Chor vorgeht? Toni: Ich habe das mit den Funktionären der Musikkapelle geklärt: Wenn ich Chorprobe habe, dann kann ich nicht zu den Musikproben kommen. Mir war es wichtig, dass sie das berücksichtigen und akzeptieren. Dazu kommt noch, dass ich seit 1982 Organist bin und jeden Sonntag bei den Gottesdiensten die Orgel spiele. Unter der Woche war ich bei den Sommerkonzerten der Musikkapelle immer dabei. Ich habe in dieser Zeit Tagebuch geführt, in dem ich am Ende des Jahres Bilanz gezogen und aufgeschlüsselt habe, bei wie vielen Proben und Konzerten ich war. Ich habe ja auch bei der „Tanzlmusig“ gespielt, bei der wir ungefähr zwischen 30 und 70 Auftritte hatten. Ich hatte damals 580 Termine im Jahr. Zwischen Beruf, Proben und Konzerten, hat deine Familie darunter gelitten? Toni: Sehr selten bekam ich von meinen Kindern oder von meiner Frau diesen Vorwurf. Ich war jedoch kein Typ, der seine Freizeit in Bars verbracht hat, sondern war nach der Arbeit immer zu Hause. Ich habe schon darauf geachtet, dass ich so viel wie möglich Zeit mit meiner Familie verbringe. Aber sicher ist, dass die Familie etwas zurückstecken musste. Sonntags wollte ich keine Ausflüge machen, da ich die ganze Woche beruflich unterwegs war. Deine Kinder sind auch sehr musikalisch. Hast du Wert darauf gelegt, dass sie in die musikalische Richtung gehen oder war das ihre freie Entscheidung? Toni: Unser Einfluss war sicherlich stark, gezwungen haben wir sie jedoch zu gar nichts. Zu Hause wurde immer gesungen und die Musik hatte eine große Bedeutung für uns. Alle unsere vier Kinder haben das Konservatorium absolviert. Vor allem die Geige ist ein gemeines und strenges Instrument. Auch wenn die Jungs oft lieber Fußball gespielt
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sonst jeden Blödsinn im Kopf haben, sind beim Papst dann ganz demütig gewesen. Das hat mir gefallen.
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hätten, als zu üben, hab ich ihnen gesagt, sie sollen durchhalten, sie werden später dankbar sein. So sind heute mehr oder weniger alle in der Musik involviert und spielen zum Teil profimäßig, zum Teil aber auch hobbymäßig. Es ist schön zu sehen, wenn meine Kinder mit ihren Partnern gemeinsam Konzerte machen. So, jetzt habe ich lange geredet. Erzählt ihr einmal, wie ihr zum Chor gekommen seid und wie es euch dabei ergeht …
del Lago gesungen und in Perugia haben wir, nach einer kurzen Stadtführung, ein Straßenkonzert gegeben. Viele Menschen haben mitgesungen und getanzt. Das hat echt Spaß gemacht. Toni: Mich freut es besonders, dass ihr, als junge Musikanten, auch im Jugendchor singt, denn in der Musikkapelle ist das Singen leider oft abgewertet worden. Mir gefällt eure Passion.
Wir sind in der dritten Klasse der Grundschule durch Agnes zum Kinderchor gekommen. Veronika war ab und zu auch dabei. Oft hat sich die Musikschule mit dem Kinderchor überschnitten, dann sind wir auch manchmal zu spät gekommen. Wir waren bis zur dritten Klasse der Mittelschule im Kinderchor. In der dritten Klasse Mittelschule haben wir beim Projekt „Jugendchor“ für die Firmung mitgesungen. Im Sommer, bevor wir in die Oberschule kamen, gab es in der Völser Zeitung eine Anzeige, dass man in Völs einen Jugendchor gründen möchte. Da waren wir natürlich sofort dabei und haben uns sehr darüber gefreut. Vor kurzem hatten wir ein Stimmbildungswochen ende am Trasimeno-See. Das war ein ganz neues Er lebnis. Sonst trifft man sich einmal pro Woche zur Chorprobe und lernt sich dabei nicht so gut kennen. Das Wochenende hat uns zusammengeschweißt. Die Stimmung und die Harmonie waren sehr gut. Es hat Momente gegeben, in denen wir spontan losgesungen haben. Wir haben super Stimmbildner gehabt, von denen wir sehr viel gelernt haben. Es gab verschiedene Workshops, da wurden Stücke eingeübt. Wir haben bei einer Messe in Castiglione
Es ist schon manchmal schwierig, besonders, wenn sich Termine überschneiden. Aber wir schaffen das zeitmäßig eigentlich ganz gut, man muss halt manchmal Kompromisse finden. Toni: Ich wollte auch immer bei der Musikkapelle bleiben, weil ich dann nie Probleme hatte, für den Chor Bläser zu finden. Sie waren immer disponibel. Du hast eine ziemlich lange Chorlaufbahn hinter dir. Es gibt sicherlich so einige Anekdoten, die du uns erzählen kannst? Toni: Die erste Anekdote, die mir einfällt: Wir zwei frisch verheiratet, Veronika und Toni, verschlafen total den Cäcilien-Sonntag, wo der Chor ja singen muss! Das war uns wirklich sehr peinlich. Eine andere Anekdote vom Männerchor: Wir sind nach Finnland geflogen und im Flieger haben wir mit der „Tanzlmusig“ gespielt. Da haben die Leute im Flieger getanzt, sogar die Stewardess hat mitgetanzt. 1988 sind wir in Rom gewesen, bei Papst Johannes Paul II. Vorher haben wir die Stadt besichtigt, in der Völser-Tracht. Der Otto und der Manfred sind dabei über den Petersplatz marschiert, als wären sie Soldaten. Sofort ist Aufsichtspersonal gekommen. Wir haben dann schon geklärt, dass es nur Spaß war und keine Provokation. So manche Sänger, die
War es früher so einfach, eine Audienz beim Papst zu bekommen? Toni: So einfach war es gar nicht. Der damalige Hauptverantwortliche der Mercedes Italien hat es über eine andere höhere Geistlichkeit organisiert. So hatten wir direkt eine Privataudienz beim Papst. Die Bläsergruppe hat damals ein Stück gespielt und der Männerchor hat gesungen. Dann ging der damalige Bürgermeister, der Zimmerlehner-Sepp, einen Schritt nach vorne und sagte: „Heiliger Vater, wir bitten um den heiligen Segen.“ Und der Papst kommt auf uns zu und sagt schmunzelnd: „So, so, Segen auch, nicht nur Fotografie.“ Das war für uns sehr erheiternd, wie er das etwas spöttisch gebracht hat. Toni, hattest du in deiner Jugend musikalische Vorbilder? Toni: Ja, damals als Kind den alten Grimm und später den Kooperator und Organist Thomas Huber. Seit ich die Kirchenmusikschule besucht habe, ist der damalige Professor Knapp Josef ein Vorbild für mich, da er verstanden hat, was ein ganz gewöhnlicher Mensch imstande ist zu machen und er mir auch ganz einfache Sachen mitgegeben hat. Montagabends hatte ich bei ihm Klavierunterricht und beim Professor Ernst Überbacher Orgelunterricht. Ich habe ihnen gesagt, dass ich es mir einteilen kann mit der Arbeit, aber sie müssen damit klarkommen, dass ich nicht vorher noch nach Hause fahren kann, um zu duschen. Ich bin direkt von den Ställen gekommen. Für Professor Knapp war das kein Problem. Doch
einmal sagte er: „Heint stinksch ober gonz gewaltig63“. Natürlich, Vorbilder in der Musik sind dann ganz die großen Meister. Sei es Bach, seien es Haydn oder Mozart. Wenn man denkt, diese jungen Musiker sind nur 32 oder 33 Jahre alt geworden und haben solche Schaffensberge hinterlassen, von denen wir heute noch alle profitieren. Das ist unglaublich. Hast du auch teilweise Sachen komponiert? Toni: Nein, ich habe mich immer ein bisschen geweigert, weil meiner Meinung nach gibt es viel zu viele Schreiberlinge, die alle glauben, sie müssten etwas komponieren. Es gibt heute leider so viel schlechte Musik. Ich habe manchmal einfache Liedsätze umgesetzt, z. B. für den Männerchor. Könntest du dir ein Leben ohne Musik oder ohne das Singen vorstellen? Toni: Nein, das könnte ich mir wirklich nicht vorstellen. Momente, die wir mit der Musik erleben, die haben andere nicht. Das möchte ich nie missen. Es gibt viel mehr schöne und positive Momente, die einem in Erinnerung bleiben, als negative. Und ich habe mir auch angewöhnt, mich bei den negativen nie lange aufzuhalten. Vor allem bei den Stimmbildungswochenenden ist mir aufgefallen, wie schön es ist, miteinander zu singen. Es muss nicht jeder eine Solokarriere starten und es ist auch nicht wichtig, dass jeder super ist im Chor. Die Gemeinschaft im Chor zählt. In meinem Leben dreht sich derzeit sehr viel um Musik. Ohne würde nicht gehen. Jetzt haben wir sehr viele Antworten auf unsere Fragen bekommen. Vielen Dank.
ANTON FEDERER Plotzer-Toni, mehrjähriger Obmann des Kirchenchores und langjähriger Chorleiter des Kirchen- und Männerchores, Jahrgang 1949 INTERVIEW Lena Harder Viktoria Kompatscher
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„Heint stinksch ober gonz gewaltig“: Heute stinkst du aber!
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Der Zippl Hons in seinen zahllosen Rollen
Wie lange gibt es den Völser Theaterverein? Hans: Gegründet wurde er im Jahr 1955, Obmann war damals der Ortspfarrer, der lange im Dienst war und noch nach seinem Ausstieg den Mitgliedsbeitrag gezahlt hat, da der Verein für fast 20 Jahre „gewackelt“ hat - Interesse und Tätigkeit sind zeitweise stark zurückgegangen. Nach der Gründung hat sich Kooperator Otto Passler der Sache angenommen. Für den Verein hat sich auch der Waldmann Lorenz stark engagiert. Er hatte die Idee, ein Volksstück und zwei Komödien aufzuführen.
THEATER JOHANN KRITZINGER, Zippl-Hans, einer der beiden ältesten Mitglieder des Völser Theatervereins, Jahrgang 1937 DENISE FEDERER, Sprachengymnasium ISABEL POLENTA, Sprachengymnasium
Wann bist du zum ersten Mal auf der Bühne gestanden? Hans: Das war 1956, also ein Jahr nach der Gründung des Vereins. Ich war ein junger Bursche und habe in einem sehr lustigen Herbststück mitgespielt; an den Titel kann ich mich leider nicht mehr erinnern. Seitdem bin ich fast jedes Jahr auf der Bühne gestanden, in den unterschiedlichsten Rollen als junger Liebhaber, Pfarrer, Wilderer, Kommissar, um nur einige zu erwähnen. Auch 2018 hatte ich noch eine Rolle auf der Seebühne am Völser Weiher im Theaterstück „Weihergschroa“. An welche Theaterstücke kannst du dich am besten erinnern? Hans: Spontan fällt mir das Drama „Die Räuber vom Glockenhof“ ein, das im alten Pfarrsaal aufgeführt wurde. Die Bühne war ja sehr klein und es gab Szenen, bei denen 20
Spieler gleichzeitig auf der Bühne standen. Dann gab es die Lustspiele „Der Schusterbaron“ und „Der Bauerndiplomat“ (in diesem Stück hatte ich über 600 Einsätze!). Sehr gut erinnern kann ich mich an das Drama „Die Fohrerhofleut“, das als Gemeinschaftsproduktion der Theatervereine von Völs, Seis und Kastelruth im Kulturhaus von Seis aufgeführt worden ist; ich verkörperte dabei drei Nationalitäten. Gern denke ich außerdem an folgende Theaterstücke zurück: „Zwei auf einer Bank“, „Marianne Stegerin“, „Späte Heimkehr“, „Liebe auf Italienisch“, „Zwillingsbruder“, „S’Marterl am Jagersteig“ und „Sayonara“. Ein ganz besonderes Erlebnis war für mich, dass ich bei der Produktion des bekannten Dramas von Franz Kranewitter „Die 7 Todsünden“ dabei sein konnte. Mit dieser Gemeinschaftsproduktion des Theaterbezirkes Rosengarten-Schlern sind wir sogar auf Tournee gegangen. Auch bei allen Freilichttheater- Produktionen, die unser Theaterverein organisiert hat – es waren insgesamt 13 – habe ich mitgespielt. Die größte Genugtuung haben mir die vier Uraufführungen gegeben, bei denen ich mitwirken konnte: „Oswald von Wolkenstein und das rechte Auge“, „Die Fohrerhofleut“, „Anna Jobstin“ und „Weihergschroa“. Wie wird deine Theaterkarriere weitergehen? Hans: Wenn mir Gott die Gesundheit schenkt, bis zum Ende! Danke für das Gespräch.
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IMPRESSUM Herausgeber: Bildungsausschuss Völs am Schlern und Bibliothek Völs am Schlern Idee, Konzept, Koordination: Reinhold Janek Transkription: Elke Wörndle Audio-Videoinstallation des Projekts: Elmar Perkmann Druck: Druckerei A. Weger, Brixen www. gemeinde. voels.bz.it/bildungsausschuss, www. biblio.bz.it/voels
BILDNACHWEIS Persönliche Bestände der Mitwirkenden und Beteiligten Fotos in der Bibliothek: Elke Wörndle, Sybille Prossliner, Heidi Lutz und Christine Schmid Fotos aus dem Atzwanger-Archiv
BROSCHÜREN · 1100 Jahre Völs am Schlern, 1988 · Völs am Schlern – Das Dorf am Naturpark, o.A. · Festschrift zum 275-jährigen Bestehens des Kirchenchores von Völs am Schlern, 1990 · 45 Jahre Männerchor Völs am Schlern, 1992 · 100 Jahre Freiwillige Feuerwehr Völs am Schlern, 1995 · 100 Jahre Tourismus - Vom Bauernbad zum Kurort, 2003 · 25 Jahre Bäuerinnenorganisation Völs am Schlern, 2005 · 200 Jahre Musikkapelle Völs am Schlern, 2009 · 50 Jahre AVS, Völs am Schlern, 2016 · 70 Jahre Männerchor Völs am Schlern, 2017 … und weitere
EIN NACHWORT Den Anfang machten zwölf Audiodateien, jeweils ungefähr eine Stunde lang, - Aufzeichnungen jener Gespräche, die Jugendliche und ältere Menschen im Mai 2018 in der Bibliothek miteinander geführt haben - Tondokumente, ein wahrer Schatz an zeithistorischen Informationen. Nun lag es an mir, diese zu transkribieren, in eine Form zu bringen, ohne dass das geschriebene Wort die Authentizität des Gesprochenen verliert, ohne dass die Persönlichkeiten der interviewten Menschen verloren gingen. Sehr bald wurde klar, dass zwischen gesprochenem Dialekt und geschriebener Hochsprache eine kleine/große Welt liegt. Der Kompromiss war, die Transkripte sehr nahe an den Interviews zu halten. Es sollte möglichst wenig verloren gehen von dem, was im Gesprochenen zwischen den Zeilen, in den dialektalen Ausdrücken, an Gestik und Duktus passierte. Deshalb möge man uns das sprachlich nicht immer einwandfreie Resultat nachsehen.
Bibliothek Völs am Schlern Biblioteca Fiè allo Sciliar
Gemeinde Völs am Schlern
Mein Dank geht an Reinhold Janek, Initiator, Organisator und Herz dieses Projektes. An die jungen und alten Menschen, mit denen ich in dieser intensiven Zeit oft zusammensitzen durfte, und dabei so viel mitnehmen konnte. 58
Danke, Elmar Perkmann für die liebevolle und professionelle audiovisuelle Umsetzung.
EIN PROJEKT DES BILDUNGSAUSSCHUSSES UND DER BIBLIOTHEK VÖLS.
Elke Wörndle
Völs, Mai bis September 2018
Werbemitteilung
Platz für Sicherheit.
Zum Beispiel im Alter. Und was sind deine Anliegen? Reden wir drüber.
Lieber heute schon an morgen denken! Egal ob Pensionsvorsorge, Sparanlagen oder Nachlassplanung, wir haben passende Lösungen. Reden wir drüber. www.raiffeisen.it/schlern-rosengarten