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Der Funke wird zur FlammeSr. Hannis Engagement in Westafrika
Geister-Mähner
Text: Josef Aigner und Wolfgang
Interview mit Schwester Hanni. Sie stammt aus dem Stubaital und steht in Kontakt mit Mariam Wandaogo, Pfarrgemeinderätin in St. Nikolaus.
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Hanni, heute ist Weltflüchtlingstag. Menschen aus Afrika – so merken wir auch in St. Nikolaus – versuchen ihr Glück nicht mehr in ihrer Heimat, sondern hier bei uns. Bei dir ist es anders, du kehrst nach Afrika zurück. 16 Jahre bist du dort schon engagiert. Wohin führt es dich jetzt in Westafrika?
Ich habe Glück, an die Elfenbeinküste zurückgehen zu dürfen, wo ich schon einmal fünf Jahre im Kinderschutzzentrum gearbeitet hatte, einem Heim für Mädchen in schwieriger Situation. Da haben wir 20 Kinder, die z.B. als „Hexenkinder“ bezichtigt auf die Straße gejagt und misshandelt worden sind. Auch sind dort Mädchen untergebracht, die ausgesetzt, missbraucht oder zwangsverheiratet worden waren. Auch vom Kinderhandel betroffene Mädchen leben hier, die als verkaufte Kinder an die Elfenbeinküste gekommen sind.
Nach zwei Monaten Aufenthalt dort ist mein Wechsel nach Benin geplant. Auch dort war ich schon sechs Jahre tätig und hatte im Gefängnis und auf dem Markt mitgearbeitet. Neben dem Markt haben wir ein Berufsausbildungszentrum und ein Teenagermütterhaus gebaut, wo minderjährige Schwangere aufgenommen wurden, die sich nicht mehr heimgetraut hatten oder von der Familie verstoßen wurden. Sie haben dann bei uns eine Ausbildung erhalten, sind auch psychologisch betreut und dann nach Möglichkeit wieder in die Familien integriert worden.
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Zusätzlich zu meiner Ausbildung als Sozialpädagogin bin ich auch Krankenschwester und in dieser Funktion immer wieder in die Arbeit mit Kranken eingebunden – ob im Gefängnis oder am Markt, wo die Mädchen ein wenig Alphabetisierung und medizinische Betreuung bekommen haben. In unserem Heim bin ich da für durchschnittlich 75 „verkaufte Mädchen“. Es ist viel größer als das Heim an der Elfenbeinküste. Eine Hauptaufgabe wird sein, dass ich mich um unsere Berufsschulabgänger kümmere. In der großen Missionsstation haben wir auch Ausbildungsmöglichkeiten wie Schneiderei, Friseurin und sogar für die Gastronomie und Hotellerie. Dort ist auch eine sehr gute Schule, eine beschleunigte Volksschule, in der Kinder, die bis zehn Jahre noch nie in die Schule gegangen sind, die Volksschule nachmachen. So bleibt die Chance, später dann auch einen Beruf zu erlernen oder, wer will, auch das College zu besuchen.
Du sprichst von „wir“, wer verbirgt sich hinter diesem Wir?
Hinter dem Wir steht eine Gemeinschaft, eine große Provinz unseres Ordens in West- afrika. In dieser Erdregion sind wir mit ungefähr 80 Schwestern in sieben Ländern mit elf Niederlassungen tätig. Drei Viertel der Schwestern sind einheimische Schwestern. Wir freuen uns also über viel Nachwuchs. Viele dieser Schwestern sind noch in Ausbildung.
Du gehörst der Don Bosco Gemeinschaft an. Der Heilige Johannes Don Bosco setzte sich besonders für Kinder und Jugendliche ein. Wo siehst du die Aufgabe eures Ordens heute?
Nach wie vor ist der Einsatz für die Kinder und Jugendlichen unsere Hauptaufgabe – so wie bei unserem Gründer Don Bosco gemeinsam mit der Heiligen Maria Mazzarello. Heuer feiern wir 150 Jahre Don Bosco Schwestern. Wir arbeiten nach der Pädagogik Don Boscos. Im Gegensatz zu vielen Eltern und Lehrern seiner Zeit ist Don Bosco den Kindern mit Liebe, Güte und Vertrauen begegnet und hat so Zugang zu ihnen gefunden. Er wollte, dass sie nicht straffällig werden, hatte er doch als Priester Erfahrungen im Gefängnis gemacht und schockiert gesehen, wie junge Burschen auf der Straße gelandet oder in ihrer Erwerbsarbeit ausgebeutet worden waren – was, wie wir in unserer Arbeit feststellen, bis heute passiert. Deswegen ist er auf die Straße gegangen, hat die Kinder „eingesammelt“ und ist ihnen einfach ein Freund gewesen und zur Seite gestanden. Er hat für ein Dach über dem Kopf und für Werkstätten gesorgt und sich dafür eingesetzt, dass die Jugendlichen von ihren Arbeitgebern gut behandelt werden. Ich hatte damals auch versucht, durch unsere Präsenz zu verhindern, dass schon Buben mit 12 Jahren im Gefängnis landen. Das jüngste Mädchen, das eingesperrt wurde, war 11 Jahre alt. Wir setzten viel auf Weiterbildung, auch weil immer noch Buben die Mädchen einfach vergewaltigen, um so Respekt vor dem anderen Geschlecht zu erwerben. Von daheim kriegen sie das nicht mit.
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Wie hast denn du selbst zu den Don Bosco
Schwestern gefunden?
Das ist eine lange Geschichte. Ich bin in Fulpmes aufgewachsen, wo es die Salesianer Don Boscos gibt. Aber dass es auch Don Bosco Schwestern gibt, das hab´ ich nicht gewusst. Von Fulpmes kannte ich Pater Kiesling. Bei seinem Heimaturlaub hat er ganz begeistert von seiner Arbeit mit den armen Leuten im Kongo erzählt. Der Funke sprang auf mich über und wurde zur Flamme. Ich erzählte ihm, schon seit meinen Schultagen bei den
Barmherzigen Schwestern so einen Lebenstraum im Hinterkopf zu haben. Bei aller Euphorie entschied ich mich damals, zuerst die Altenpflegeschule fertig zu machen und dann nachzukommen.
Als es so weit war, machte ich mich auf die Reise. Sie verlief alles andere als geplant. Doch am Ende fügte es sich wunderbar, ich landete bei Sr. Hildegard, einer Don BoscoSchwester. Ein Jahr lang konnte ich auf einer ihrer Krankenstationen im Busch mitarbeiten. Sr. Hildegards Offenheit, ihre Natürlichkeit, ihr ganzer Einsatz – das hat mir mächtig „getaugt“.
Zurückkehrt nach Tirol empfahl ich Jesus im Gebet: „Wenn du willst, dass ich deinen Weg gehe, dann musst du mir ein klares Zeichen geben!“ – Es ist aber kein Zeichen gekommen. Erst als ich nach Assisi gefahren war, hab‘ ich nach einer Messe vor dem
Grab des Hl. Franziskus „ja“ sagen können. Zurückgekehrt nach Innsbruck meldete ich mich bei den Don Bosco Schwestern an und im Jänner bin ich dann eingetreten.
Wenn du an Westafrika und an diese Jahre denkst, seit du dich dort engagierst, welche kulturellen Schätze und Früchte dieser Landschaft sind dir besonders wichtig geworden ?
Die Landschaft ist sehr schön, oft sanft hügelig und saftig grün. Die Menschen, die Kinder sind so schnell mit etwas zufrieden und schon glücklich mit einer Kleinigkeit. Du brauchst sie nur anlachen, dann lachen sie zurück. Das, was die Leute widerspiegeln, ihre Offenheit, Gastfreundschaft und Herzlichkeit – wie sie auf dich zugehen, das ist einfach anders – sie suchen Kontakt und Austausch. Auch die Kirche ist bunt – alle sind bunt angezogen, so wie das Leben bunt ist. Sie leben oft in Großfamilien, und da schaut jeder auf die Kinder. Das ganze Dorf erzieht das Kind. Ältere Menschen werden für ihr Wissen respektiert, für den Reichtum, den sie ihn sich tragen. In der Stadt ist das Leben oft sehr hart, Arbeitslosigkeit, prekäre Unterkünfte, jedoch die Hoffnung und die Gelassenheit lassen sie sich kaum nehmen. gute Vorbereitung während eines Jahres im Herkunftsland. Vielleicht ist es auch möglich einen Austausch, in den Ferien zu ermöglichen; ein junger Priester hätte Interesse, seine Deutschkenntnisse bei einem Kurzaufenthalt in einer Familie zu verbessern. Eine Hilfe wäre es auch, unsere, von den Lehrlingen produzierten Artikel wie Textilien oder Taschen von jugendlichen Häftlingen bei Weihnachtsbazaren usw. anzubieten und sie somit zu unterstützen. Auch kann für Patenkinder die Schulausbildung finanziert werden.
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Immer wieder mussstest du auch Schatten erleben. Was macht das Leben dort so schwer, dass viele Leute emigrieren?
Auf dem Land haben die jungen Leute keine Zukunftsperspektiven, deshalb ziehen sie in die Stadt und meinen, dort ihr großes Glück machen zu können. Sie versuchen, sich mit Gelegenheitsjobs durchzubringen, werden jedoch oft nur ausgebeutet. Ich hab selbst erlebt, dass Bäckergesellen 18h arbeiten, monatelang nicht bezahlt werden und kein Arbeitsinspektorat zur Kontrolle kommt. Ausgehungert landen so viele auf der Straße. Viele junge Leute sind auch zerrissen zwischen Moderne und Tradition, wissen nicht mehr, wohin sie gehören. Und die mit Drogen in Kontakt kommen, sacken vollends ab. Vielen bleibt nur der Traum vom fernen Europa, wo sie meinen, das Paradies auf Erden zu finden.
Wo sehen sich die Don Bosco Schwestern in 10 Jahren. Wo siehst du dich? Gesetze verbessern sich im Land. Die Zahl der Marktkinder hat abgenommen, trotzdem ist das Phänomen des Kinderhandels nicht verschwunden und es wird noch lange brauchen, auch wenn der Staat mehr und mehr seine Verantwortung für das Wohl seines Volkes wahrnimmt.
Kindern und Frauen in Not eine Anlaufstelle zu sein, ihnen ein würdigeres Leben durch Bildung und Schutz zu ermöglichen, wird auch weiterhin unsere Aufgabe sein.
Hanni, aus unserem Gespräch nehme ich mit, dass es doch einige Menschen gibt, die auch dich zum Strahlen bringen. Woher kommt dein Feuer, dass du die Kraft hast, in einer solchen Umgebung zu leben und zu arbeiten?
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Was wäre für euch eine gute Unterstützung, die wie wir von unseren Pfarren leisten können – nicht nur reduziert auf Geld?
Eine Anerkennung ist es für uns, wenn wir mit Berichten Einblick in unsere Arbeit geben können. Wir freuen uns über junge und auch ältere Freiwillige, die sich bei uns einsetzen wollen – zum Beispiel über ein Freiwilligenjahr. Dabei sind natürlich Sprachkenntnisse, Französisch oder Englisch Voraussetzung. Für eine Freiwilligenjahr legen wir auch Wert auf eine
Ich selbst will ja bewusst einfacher leben und eine gewisse Armut im Unterschied zu unserem Leben hier in Tirol in Kauf nehmen. Was mich aber wirklich dort hält: Ich kann vielen Kindern zu einem besseren, würdevolleren Leben verhelfen. Es kommt oft so viel Dankbarkeit und Freude zurück – was gibt es Schöneres als leuchtende Kinderaugen – und jedes glückliche Kind gibt mir Kraft, mich wieder für ein anderes einzusetzen. Diese Kraft wird verstärkt vom Rückhalt, der aus meiner Heimat kommt, von Menschen, die mir Mut machen und mich auf verschiedenste Weise unterstützen. Und nicht zuletzt ist es das Gebet und der Glaube an Jesus Christus, dem ich mein Leben geschenkt habe.