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100 Tage Elfenbeinküste
Als ich im Frühjahr 2022 von meinem Vater gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könnte, für eine Zeit in Afrika als Lehrer zu arbeiten, musste ich nicht lang überlegen. Noch in der Schule war es mein Traum, die weite Welt zu entdecken, bevor ich mich weiter beruflich qualifiziere. Gleichzeitig war es auch in meinem Sinn, einen sozialen Dienst zu leisten.
Nach der Matura, einem ereignisreichen Sommer und jeder Menge Vorbereitung war es im Herbst 2022 so weit. Von Familie und Freunden nahm ich Abschied und machte mich auf den Weg mit dem Ziel Abidjan, Elfenbeinküste. Nach mehreren Stunden Flug lagen Europa, das Mittelmeer und die Sahara in meinem Rücken und ich setzte meinen Fuß auf den Boden Afrikas. Dort angekommen wurde ich mit offenen Armen von Pater Nestor empfangen. Er hatte mich in seine Heimatdiözese Bondoukou eingeladen und war mein Begleiter und erster Ansprechpartner während meines Aufenthalts.
Von Abidjan ist es eine halbtägige Autofahrt hauptsächlich auf Landstraßen, die Geländegängigkeit voraussetzen. Wir passieren Dörfer und kleinere Städte, bis wir schließlich Bondoukou erreichen. Bondoukou, die Hauptstadt der Zanzan Region, liegt im Nordosten der Elfenbeinküste. Sie ist Wohn- und Arbeitsstätte Nestors und war deshalb auch Ankerpunkt meines Aufenthalts. Dort lebte ich im „Katholischen Zentrum“ zusammen mit Nestor und drei weiteren Priestern. Durch die im Zentrum arbeitende Köchin Elise kam ich täglich in den Genuss der kulinarischen Köstlichkeiten der Elfenbeinküste: Alloco (frittierte Bananen), Attieke (vergleichbar mit Cous- cous aus Maniok), Foutou (wie Knödel aus Bananen oder Yam) über Buschfleisch und diverseste Fische bis hin zu Palmwein und Bock (Bier aus der Region) – all diese mir fremde Kost und unbekannten Getränke gehörten zum Speiseplan. Teilweise benötigte es beim Essen etwas Überwindung, aber an den Großteil gewöhnte ich mich bald. Obwohl ich in meinem Freundeskreis den Ruf habe, leicht einen Sonnenbrand zu bekommen, und ich im vorhinein meiner Reise dafür Häme einstecken musste, stellte sich heraus, dass die klimatischen Bedingungen in Bondoukou selbst für mich leicht annehmbar waren. Ebenso hatte ich keinerlei Probleme mit Malaria.
Unter der Woche hieß es früh aufstehen, denn die Schule beginnt bereits um kurz vor Sieben. Da sie nicht in unmittelbarer Nähe zum Katholischen Zentrum liegt, wurde ich meistens vom Hausmeister der Schule per Moped mitgenommen oder gelegentlich von Nestor per Auto gefahren. Dass es keinen geregelten Verkehrfluss gibt, erfuhr ich gleich am ersten Tag, als zwei Autos vor Nestor und mir kollidierten. Weit aus nervenaufreibender waren aber die Mopedfahrten ohne Helm und auf maroden Straßen. Hinzukommt, dass die gewöhnliche Zahl an Menschen pro Moped bei drei oder auch manchmal vier liegt.
In der Schule arbeitete ich zusammen mit dem dort tätigen Deutschlehrer. Ich übernahm die Vorbereitung und Leitung einiger Wochenstunden und sprang gelegentlich als Aushilfe ein. Zudem gründete ich einen „Deutsch-Club“, in dem interessierte Schüler*innen freiwillig und unabhängig von jeglicher Bewertung jeden Mittwochnachmittag für zwei Stunden ihre Sprachkenntnisse und ihr Wissen vertiefen konnten. Es wäre gelogen, wenn ich nicht zugebe, dass die Schüler*innen größtenteils mehr
Interesse an meiner Person hatten als an der deutschen Sprache. Doch das war nicht von Nachteil, denn dadurch eröffnete sich die Möglichkeit zum interkulturellen Austausch. Ich konnte ein authentisches Bild von meinem europäisch geprägten Leben vermitteln und im Gegenzug erhielt ich Einblick in ihre Welt. Sprachliche Barrieren wurden durch Englisch, Handsprache oder Google-Übersetzer bewältigt.
Was nicht fehlen durfte, war das gemeinsame Fußballspiel im Anschluss an den Deutsch-Club. Als Fußballsympathisant kam mir das gelegen, und ich begegnete den Kindern dadurch auch auf sportlicher Ebene.
Zweimal wöchentlich traf ich im Rahmen einer Nachhilfe mit dem aus Burkina Faso stammenden zwanzigjährigen Anselm zusammen. Ich half ihm in Englisch und er unterrichtete mich in Französisch. Das geschah mit manchmal mehr und manchmal weniger Erfolg. Nichtsdestotrotz wurden wir Freunde.
Am Wochenende war ich oft „Kumpane“ Nestors auf seinen Ausflügen und Fahrten außerhalb von Bondoukou. Dadurch erhielt ich neben dem Alltag in der Stadt auch einen Eindruck vom Leben in den Dörfern und der artenreichen Landschaft der Elfenbeinküste.
Bondoukou ist berühmt für seine Moscheen. Einmal sagte mir Nestor, in Bondoukou besitze jede muslimische Großfamilie eine eigene Moschee. Dass die Muslime gegenüber den Christen deutlich in der Mehrzahl sind, merkte ich morgens, mittags und abends durch den Gebetsruf gleich mehrerer Muezzine. Obwohl sich vereinzelt Priester darüber ärgerten, dass sie früh morgens durch den Muezzin geweckt werden, leben Christen und Muslime in der Elfenbeinküste in friedlichem Miteinander.
Christlichen Glauben und christlich zu leben, lernte ich in diesem westafrikanischen Kulturkreis neu kennen. So zum Beispiel war die Gestaltung des Gottesdienstes in einigen Facetten gleich zu dem mir Vertrauten aus unseren Pfarren, aber in mindestens genauso vielen Aspekten ganz neu. Angefangen von der Art und Einrichtung des Kirchenraums über die musikalische Gestaltung bis hin zum deutlich niedrigerem Durchschnittsalter der Mitfeiernden fand ich eine mir fremde, aber lebendige Kirche.