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U.Wiget
from Jahrbuch 2001
by bigdetail
Urs Wiget
Einige praktische Tipps für die alpine Notfallmedizin in der Kälte
Practical hints for rescue doctor’s working in the cold
SUMMARY
Very cold field conditions add a lot of problems to the emergency medicine.The doctor’s personal equipment,experience,and fitness decides whether he will be able to perform medical emergency procedures even after waiting in the cold for hours or if he will become an useless member of the rescue squad.As personal equipment,we emphasize special gloves, a personal bagpack with extra clothes and hot tea,snowshoes with ski poles for avalanche rescue and more. Even for the most experienced mountain rescue doctor intense cold may block the intravenous access to a multi – injured patient.If the access to the external jugular vein as last choice is not possible,an intraosseus needle may help.The problem of frozen perfusion liquids can be avoided: give a big amount of fluid in a very short time with pressure on the fluid bag and close the I.V.catheter during transport.To prevent further hypothermia,hot packs,an electrically heated sleeping bag and a tent for treatment may be useful. To imagine and think about all foreseeable problems and to check carefully the equipment before leaving the rescue base may help to be really effective at the spot.Blindly rushing to the scene of the accident is not adequate:the mountain and the cold make the triage of the patients rather than you with some speared minutes in the rush. Keywords: mountain rescue physician,cold,emergency medicine,equipment.
ZUSAMMENFASSUNG
Große Kälte und Wind erschweren die notfallmedizinische Arbeit des Bergrettungsarztes erheblich.Praktische Erfahrung,eine gute körperliche Leistungsfähigkeit und eine adäquate Ausrüstung erlauben dem Arzt, auch noch nach stundenlangem Ausharren in der Kälte effektiv zu arbei-
ten.Zur Ausrüstung gehören spezielle Arbeitshandschuhe und ein Rucksack,der warme Überkleider und heißen Tee enthält.Wir finden moderne Schneeschuhe mit Stöcken ideal für ein großes Lawinenfeld. Die Intraossärnadel kann beim Erwachsenen und dem Kind einen venösen Zugang schaffen,wenn die klassischen Wege bei Mehrfachverletzten und großer Kälte schwierig werden.Das Einfrieren von Infusionslösungen kann vermieden werden,indem rasch große Mengen Flüssigkeit unter Druck durch einen breiten Katheter infundiert werden und dann der Patient ohne liegende Infusion transportiert wird.Großflächige Wärmebeutel,heizbare Schlafsäcke und Zelte können das weitere Auskühlen verringern. Das Wichtigste ist jedoch der kurze „Check“ vor dem Start:Habe ich nichts vergessen? Schlüsselwörter: alpine Notfallmedizin,Bergrettungsarzt,Kälte.
EINFÜHRUNG
Große Kälte und Wind erschweren die notfallmedizinische Arbeit des Bergrettungsarztes erheblich.Praktische Erfahrung,eine gute körperliche Leistungsfähigkeit und eine adäquate Ausrüstung sind die Bedingungen,die den Arzt funktionstüchtig halten,auch nachdem er stundenlang auf dem Lawinenfeld der Kälte ausgesetzt wird.Hier einige praktische Tipps über Material und Maßnahmen,die sich bewährt haben:
ERFAHRUNG UND FITNESS
Obwohl die Forderung nach Erfahrung und Fitness in der Bergrettung ein Gemeinplatz ist,erlauben wir es uns,nochmals darauf hinzuweisen. Wir verstehen unter Erfahrung die langjährige praktische Anwendung der alpinen Notfallmedizin unter verschiedensten Bedingungen und das Kennen der wichtigsten Bergrettungstechniken im Felde.Unter Fitness für den Bergrettungsarzt verstehen wir aktives Bergsteigen im Winter und Sommer über die Jahre hinweg.
PERSÖNLICHE AUSRÜSTUNG
Es hat sich bewährt,in einem kleinen persönlichen Rucksack zusätzlich zur normalen Hochgebirgsausrüstung warme Überkleider und eine Thermosflasche mit heißem Tee mitzuführen:Das hat schon etlichen Pati-
enten,die streckenweise terrestrisch abtransportiert werden mussten,das Leben gerettet. Wir glauben auch,dass der Arzt auf großen Lawinen mit modernen Schneeschuhen und Skistöcken beweglicher ist als mit Skiern und Fellen. Medizinische Maßnahmen sind mit Handschuhen oft schwierig auszuführen.Bewährt haben sich da Kletterhandschuhe aus feinem,zähem Leder,die den Fingern eng anliegen und problemlos eine Venenpunktion ermöglichen (z.B.„Walter Ceccinel“,Chamonix) – sobald die Maßnahme durchgeführt ist,wird ein Fäustling über den Lederhandschuh gezogen.Eine andere Variante ist der Handschuh,bei dem die Fingerkuppen weggeschnitten sind und in dem man mit Latexhandschuhen arbeiten kann. Ein einziges Mal im Sturm auf einer Suchaktion ohne Sturmbrille („Schneebrille – Maske“) unterwegs zu sein,wird zum unvergesslichen Erlebnis!
MEDIZINISCHE MASSNAHMEN UND GERÄTE
Der Venenzugang beim mehrfach Verletzten bei großer Kälte kann ein sehr großes Problem werden.Ein Weg zum Ziel kann die Intraossärnadel sein,die mittels Federkraft auch durch die Kortikalis Erwachsener geschossen werden kann („intraosseus gun“). Es gibt viele Arbeiten über heizbare Infusionssysteme,die alle mehr oder weniger Aufwand brauchen und oft im Gelände kaum praktikabel sind. Wir umgehen das Problem,indem wir durch den großvolumigen Venenkatheter unter Druck in kurzer Zeit so viel Volumen infundieren,als wir es für die Erstversorgung nötig erachten – dann wird der Katheter abgestöpselt und der Patient ohne laufende Infusion transportiert.Das Prozedere kann so oft als nötig wiederholt werden,Arzt und Bergretter können die Flüssigkeiten unter ihren Kleidern warm halten. Großflächige chemische Wärmebeutel haben sich als hervorragende Schmerzmittel bei verletzten Kindern in großer Kälte herausgestellt! Ein Wärmebeutel unter den Anorak (nicht auf die Haut!) und das Kind schreit nicht mehr,umarmt diese „kuschelige Puppe“ und lässt sich verarzten … Für länger dauernde terrestrische Einsätze bei großer Kälte kann ein batteriebeheizter Schlafsack,dessen Temperatur durch einen Thermostat kontrolliert wird,eingesetzt werden („Saver“-System). Beheizbare Zelte auf dem Lawinenunfallplatz sind für die Retter sicher angenehm – sie kommen aber immer auf den Platz,wenn die Chancen einer Lebendbergung klein geworden sind.
Bei terrestrischen Einsätzen,bei denen das gesamte Material getragen werden muss,ist man auf möglichst energieunabhängige Systeme angewiesen.Es gibt viele Absaugsysteme;bei uns hat sich seit Jahren ein extrem einfaches,leichtes und recht billiges Plastikhandgerät bewährt:das „Resq-vac“-Gerät.Dagegen haben wir mit einer in der Schweiz weit verbreiteten Fußabsaugpumpe sehr schlechte Erfahrungen gemacht:Sie ist allein im Schnee kaum zu bedienen und dazu brechen ihre Plastikansatzstücke in der Kälte rasch weg. Relativ häufig treffen wir auf mehrfach verletzte Gleitschirmflieger,Skifahrer oder „free rider“,die auf dem Bauch im tiefen Schnee liegen und so nicht versorgt werden können.Schnelles,aber schonendes Drehen auf den Rücken kann lebensrettend sein.Dabei benützen wir gerne die „Sandwich“-Methode,bei der der Patient mit einer Vakuummatratze zugedeckt wird;darauf wird das Gerät so gut als möglich am liegenden Körper angeschmiegt,die Luft abgezogen und der Patient zu dritt oder viert auf den Rücken gedreht.Wir ziehen es vor,keine Fixierbänder mehr zu benützen, da die Retter den Patienten mit Hand und Unterarm an den Kleidern festhalten und gegen die Vakuummatratze pressen und so besser spüren,wenn der Körper zu entgleiten droht.
ZUM SCHLUSS
Obwohl vermutlich ein großer Teil der angegebenen Tipps bekannt sein dürfte,hoffen wir,dass der eine oder andere darin eine Anregung findet, die ihm die Arbeit bei großer Kälte erleichtert. Nur wer selber einmal etwas Wesentliches vergessen hat weiß,wie wichtig der kurze „Check“ vor dem Start des Einsatzes ist:Habe ich nichts vergessen?
LITERATUR beim Verfasser.