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A.Skagseth,M.Gilbert,R.Busund,P.A.Nilsen,J.P.Solbø

Arne Skagseth, Mads Gilbert, Rolf Busund, Paul Åge Nilsen, Jan P. Solbø

Reanimation nach akzidentieller Hypothermie von 13,7 ˚C mit Herz-Kreislauf-Stillstand

Resuscitation from accidental Hypothermia of 13.7 ˚C with circulatory arrest

SUMMARY

Imagine,you are on your summit prepared for your favourite activity,in this case telemarking.Suddenly everything is turned upside down from pleasure to panic.This is the case of a successful teamwork through all steps in the extended chain of survival;rescue,resusitation,evacuation, rewarming,intensive care and rehabilitation after accidental hypothermia of 13.7 °C with circulatory arrest. Keywords: hypothermia,resuscitation,rewarming.

ZUSAMMENFASSUNG

Stellen Sie sich vor,Sie befinden sich auf einem Berggipfel und freuen sich auf Ihre Lieblingsbeschäftigung,in diesem Fall den Telemarkskilauf. Plötzlich kommt alles ganz anders und das Vergnügen verwandelt sich in Panik.Wir berichten über eine erfolgreiche Teamarbeit,die alle Schritte im Zuge der notfallmedizinischen Behandlung und der Wiederherstellung umfasste:Bergung,Reanimation,Evakuierung,Wiedererwärmung, intensivmedizinische Betreuung und Rehabilitation nach einer akzidentellen Hypothermie von 13,7 °C mit Herz-Kreislauf-Stillstand. Schlüsselwörter: Hypothermie,Reanimation,Wiedererwärmung.

Die Mortalität bei diesen Patienten bleibt trotz gesteigerter präklinischer Überlebensquote,verbesserter klinischer Aufwärmtechniken sowie Weiterentwicklungen der Herz-Lungen-Maschine hoch (1,2).Die bis zu dem

Anm.d.Herausgeber:Die vorliegende Arbeit wurde aus dem Englischen übersetzt.

hier präsentierten Fall niedrigste Temperatur eines Überlebenden nach akzidenteller Hypothermie betrug 14,4 °C und wurde bei einem Kind beschrieben (3). Laut einer Studie von Walpoth und Kollegen aus dem Jahre 1997 haben junge,gesunde Erwachsene eine Langzeitüberlebensrate von bis zu 33 % mit minimaler Hirnschädigung nach einer tiefen akzidentellen Hypothermie,die als eine Körperkerntemperatur von weniger als 28 °C mit Herz-Kreislauf-Stillstand definiert wurde (4). Das Einzugsgebiet unseres Krankenhauses im subarktischen Norden Norwegens ist dünn besiedelt.Wir haben mehrere Fälle von schwerer akzidenteller Hypothermie mit kontinuierlicher präklinischer kardiopulmonaler Reanimation (CPR),Helikoptertransport in die Klinik und Wiedererwärmung mit notfallmäßigem kardiopulmonalem Bypass (CPB) behandelt.Bis zum hier beschriebenen Fall hatte trotz anfänglicher Wiederherstellung eines perfundierenden Herzrhythmus und einer normalisierten Organfunktion kein erwachsener Patient bis zur Entlassung überlebt.Der Tod trat jeweils infolge eines progressiven unkontrollierbaren generalisierten Ödems mit respiratorischer Insuffizienz und letaler Hirnschwellung ein. Von 1978 bis Ende 2000 führten wir 13 Aufwärmversuche mit kardiopulmonalem Bypass durch.Alle sechs Opfer im Zeitraum 1978 bis 1992 starben.In unserem neuen Krankenhaus haben von 1992 bis heute zwei von sieben Opfern überlebt;das erste davon im Mai 1999 mit einer Körperkerntemperatur von 13,7 °C und ca.11/2-stündiger CPR vor der Ankunft im Krankenhaus und das zweite im Januar 2000 mit einer Kerntemperatur von 22,3 °C und ca.31/2-stündiger präklinischer CPR. An einem schönen Abend Ende Mai 1999 stürzte eine erfahrene 29-jährige Variantenskifahrerin während der Abfahrt in einer Eisrinne.Sie und ihre zwei Kameraden waren Ausbildungsärzte im örtlichen Krankenhaus. Sie verfügten sowohl über eine CPR-Ausbildung als auch über die entsprechende Bergausrüstung.Die Frau wurde zwischen den Felsen und dem darüberliegenden dicken Eis eingeklemmt und von Eiswasser ständig umspült.Ihre Skier verhinderten ein Abrutschen und dienten ihren zwei Kameraden,die per Mobiltelefon die Rettungsleitstelle des Krankenhauses in Narvik verständigten,bei ihren vergeblichen Bergeversuchen als Haltegriff.Die Frau strampelte 40 Minuten lang unter dem Eis. Dann,um 19.00 Uhr,bewegte sie sich nicht mehr. Nach weiteren 40 Minuten kamen die Rettungsmannschaften an den Unglücksort.Sie schnitten talseitig ein Loch in das Eis und zogen die Frau, die zu diesem Zeitpunkt klinisch tot war,aus dem Wasser.Eine Basisrea-

Abb.1

Abb.2

nimation wurde sofort eingeleitet.Ein Rettungshubschrauber,besetzt mit einem Rettungsassistenten und einem Anästhesiologen,war 15 Minuten später zur Stelle.Die beiden führten eine orotracheale Intubation durch, beatmeten die Patientin mit 100 % Sauerstoff und bargen sie mit dem Tau.Die kardiopulmonale Reanimation und die manuelle Beutelbeatmung über einen Endotrachealtubus mit positivem Druck wurden während des 1-stündigen Fluges in die Universitätsklinik Tromsø fortgesetzt.Ankunftszeit war 21.10 Uhr,2 Stunden und 50 Minuten nach dem Unfall.

Die Patientin wurde sofort in den Operationssaal gebracht.Bei der Aufnahme waren die Pupillen weit und reagierten nicht.Es war keine Spontanatmung vorhanden.Aus dem Endotrachealtubus trat eine schaumig rosafarbene Flüssigkeit aus,die auf ein Lungenödem deutete.Das EKG war isoelektrisch und es war keine Spontanzirkulation feststellbar.Separate elektronische Messungen der Temperatur pharyngeal und rektal ergaben eine Ausgangstemperatur von 14,4 °C.Eine arterielle Blutprobe ergab einen Serumkaliumwert im Normbereich (4,3 mmol/l),eine Sauerstoffspannung von 64,8 Kilopascal (kPa),eine Kohlendioxidspannung von 7,7 kPa und eine schwere metabolische Azidose (pH-Wert 6,65).

Abb.3

Während der Vorbereitung des kardiopulmonalen Bypasses (CPB) über einen femoralen Zugang setzten wir die CPR mit 100–120 externen Thoraxkompressionen und 15–20 Beatmungen pro Minute fort.Der mittels Kanülierung der A.femoralis gemessene systolische Blutdruck lag während der CPR bei 75 mm Hg. Eine von mehreren Schlüsselfragen war,wie die Pumpe gefahren (CPB) und die Wiedererwärmung durchgeführt werden sollte.

Abb.4

Wir verwendeten ein vollständig heparinbeschichtetes System,das mit 1000 ml Ringer-Azetat vorgefüllt war.Der Temperaturgradient zwischen dem venösen Blut der Patientin und dem Wärmetauscher betrug maximal 10 °C.Der arterielle Mitteldruck wurde zumeist bei 50 mm Hg gehalten.Eine Flüssigkeitsbeschränkung war essenziell.Mit dem Rückgang des venösen Rückflusses wurde der Flow von anfänglich 0,5 l/min auf 3,5 l/min erhöht.Um 21.52 Uhr sank die Rektaltemperatur auf 13,7 °C.Bei Beginn des kardiopulmonalen Bypasses stieg das Serumkalium auf den Maximalwert von 8,2 mmol/l und die Patientin wurde zunehmend azidotisch mit einem pH-Wert von 6,54.Um 22.00 Uhr trat Kammerflimmern ein, welches nach 15 Minuten spontan in einen Herzrhythmus mit messbarem Puls überging.Während zu diesem Zeitpunkt die Rektaltemperatur noch 14,2 °C betrug,war die Temperatur pharyngeal und ösophageal auf 25,0 °C bzw.31,5 °C angestiegen.Die ersten Herzschläge – ein überwältigendes Gefühl.Nach 170 Minuten an der Herz-Lungen-Maschine erreichte die Rektaltemperatur 36 °C,und nach 179 Minuten konnte die

Patientin unter Gabe von Adrenalin vom CPB entwöhnt werden.Wir führten eine Thoraxdrainage mit anschließender medianer Sternotomie durch,da im Zuge der klinischen CPR beim Versuch,die V.subclavia zu punktieren,in der linken A.subclavia eine Läsion mit Blutung entstanden war.Die Läsion wurde direkt verschlossen. Das kardiopulmonale System der Patientin versagte.Eine kontinuierliche EKG-Überwachung zeigte sowohl eine regionale Dyskinesie als auch eine globale Hypokinesie.Die Patientin war weder ausreichend ventiliert (Kohlendioxidspannung 12 kPa) noch ausreichend oxygeniert (Sauerstoffspannung 7,06 kPa).Eine mögliche Erklärung dafür boten verschiedene Einzelfaktoren oder mehrere Faktoren kombiniert.Wir führten neue Kanülen in die V.und A.femoralis der Patientin ein und schlossen sie an einen extrakorporalen Membranoxygenator (ECMO) an. Um sechs Uhr morgens wurde die Patientin nach 9-stündiger Reanimation,Wiedererwärmung und Stabilisierung in die Intensivstation verlegt, wo sie 28 Tage verbrachte und sich mehrere Male in kritischem Zustand befand.Ihr langer Kampf um Genesung hatte erst begonnen. Eine ECMO-Behandlung war fünf Tage lang notwendig.Während dieser Zeit traten mehrere Organfunktionsstörungen auf.Die Patientin erlitt in den ersten 48 Stunden zweimal ein Herzversagen.Im ECMO-System bildeten sich am vierten Tag Gerinnsel.Die kritische Situation konnte glücklicherweise innerhalb ein paar Minuten überwunden werden.Die vorübergehend stark erhöhte Blutungsneigung erforderte die Anwendung von 88 Einheiten Erythrozyten.Die Patientin wies eine Nierenschädigung auf,hatte aber zu keinem Zeitpunkt eine Anurie.Um den Flüssigkeitshaushalt zu regulieren,wurden Transfusionen,parenterale Ernährung und Hämodiafiltration eingesetzt. Das gastrointestinale System litt tagelang unter atrophischer Gastritis,paralytischem Ileus und ischämischer Kolitis mit extensiven Blutungen.Es wurde keine Septikämie festgestellt,aber mehrere hyperdyname Episoden wiesen auf eine Translokation gramnegativer Bakterien hin.Wir begannen eine prophylaktische Antibiotikatherapie und verabreichten eine kontinuierliche Steroidinfusion.Zur Überwachung einer potenziellen Hirnschwellung wurden täglich zerebrale Gefäßdopplermessungen durchgeführt,die eine Störung der zerebralen Autoregulation ergaben.Es gab keinen Hinweis auf einen deutlich erhöhten Hirndruck.Nach dem Absetzen der intravenösen Sedierung war die Patientin mental rege.Sie zeigte die entsprechenden Reaktionen und bewegte spontan drei der vier Extremitäten. Nach einem gescheiterten Extubationsversuch am elften Tag wurde die Patientin tracheotomiert und blieb – teilweise wegen der Critical-Illness-

Polyneuropathie – 35 Tage lang an das Beatmungsgerät angeschlossen. Sie wurde am 28.Tag mit der Flugambulanz in ihr örtliches Krankenhaus verlegt und kam am 60.Tag auf die Rehabilitationsstation. Wie kann man die Kollegen,die Krankenschwestern,das Personal der verschiedenen involvierten Bereiche und auch sich selbst tage- und wochenlang in einem derartigen Szenario motivieren? Warum sollte es dieses Mal gelingen? Wir hatten es ja bis dahin noch nie geschafft. Ich denke,manchmal muss man an das Unmögliche glauben.In diesem Fall waren es wohl der optimale Abkühlungsmechanismus mit Ganzkörperkühlung und Eiswasseraerosolinhalation und anschließendem Kreislaufstillstand im Gegensatz zu einem warmen hypoxischen Stillstand mit anschließender Abkühlung,die rasche Rettungsaktion und die kontinuierliche,gut ausgeführte CPR.Die Blutprobe bei der Aufnahme war akzeptabel.Die Einrichtungen für eine rasche extrakorporale Wiedererwärmung des Blutes und eine extrakorporale Membranoxygenierung als Herz-Lungen-Unterstützung machten dies möglich.Sehr tief hypotherme Unfallopfer mit Kreislaufstillstand sollten als potenziell reanimierbar mit der Aussicht auf eine vollständige Wiederherstellung betrachtet werden. Diese Patientin wurde erfolgreich behandelt,und zwar nicht nur bis zur Beendigung des kardiopulmonalen Bypasses und des Krankenhausaufenthalts.Sie hat alle Hindernisse überwunden.Bei einer Nachuntersuchung 14 Monate nach dem Unfall war sie bereits 6 Monate wieder als Ärztin tätig.Ihre Hände und Füße sind zwar noch nicht vollständig wiederhergestellt,aber das Wichtigste ist,dass sich die periphere Neuropathie noch immer im Genesungsprozess befindet.Ihr mentaler Status ist exzellent.Sie war bereits wieder auf demselben Berggipfel,um ihrem liebsten Hobby,dem Telemarkskilauf,nachzugehen.. Wir alle wissen,dass eine Triage schwierig ist.Zuverlässige prognostische Indikatoren nach dem Eintauchen in kaltes Wasser sind unklar (5).Die Botschaft an all jene,die bei einem derartigen Rettungseinsatz nötig sind, ist einfach:„Es lohnt sich,für das Leben zu kämpfen.“

LITERATUR

(1) Kornberger E.,Mair P.:Important aspects in the treatment of severe accidental hypothermia:the Innsbruck experience.J Neurosurg

Anesth 8,83-87 (1996). (2) Bjertnaes L.,Vaage J.,Almdahl S.M.et al.:Extracorporeal membrane oxygenation (ECMO) as lung or heart assist.Acta Anaesth

Scand 40,293-301 (1996).

(3) Lloyd E.L.:Accidental hypothermia.Resuscitation 32,111-24 (1996). (4) Walpoth B.H.,Walpoth-Aslan B.N.,Mattle H.P.et al.:Outcome of survivors of accidental deep hypothermia and circulatory arrest treated with extracorporeal blood warming. N Engl J Med 337, 1500-05 (1997). (5) Mair P.,Kornberger E.,Furtwaengler W.,Balogh D.,Antretter H.:

Prognostic markers in patients with severe accidental hypothermia and cardiocirculatory arrest.Resuscitation 27,47-54 (1994).

Die Autoren verweisen darauf,daß dieser Fallbericht bereits im Lancet publiziert wurde: Gilbert M.,Busund R.,Skagseth A.,Nilsen P.Å.,Solbø J.P.:Resuscitation from accidental hypothermia of 13.7 °C with circulatory arrest.Lancet 355,375-376 (2000).

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