8 minute read

Biopatente sind nicht böse

Next Article
BIORAMA 66

BIORAMA 66

»Biopatent e sin d nicht bös

Advertisement

Genmodifizierte Pflanzen und Tiere können patentiert werden. Das wird seit Jahrzehnten praktiziert, aber auch kritisiert. Ein kürzlich ausgesprochenes Patent sorgte für neue Aufregung.

» L ohmann lsl Classic«, »Lohmann lsl Lite« oder »Lohmann lsl Extra«? Klingt nach Auto- oder Handymodellen? Falsch – es geht hier um Tiere. Genauer gesagt um Legehennen. »Als Weltmarktführer verbessern wir stetig die Leistungsmerkmale der Elterntiere und ihrer Nachkommen. Die sehr hohe Anzahl an brutfähigen Eiern kombiniert mit der hervorragenden Schlupfrate der Lohmann-Tierzucht-Elterntiere garantiert ein Höchstmaß an verkaufsfähigen Legehennen«, heißt es auf der Homepage von Lohmann Tierzucht, einem führenden Unternehmen für die Zucht von Legehennen. Über Lebewesen wie über Produkte zu reden mag für manche befremdlich sein. Für viele LandwirtInnen ist das aber Normalität. Auf der Homepage von Lohmann Tierzucht können sie sich zwischen drei verschiedenen Sorten an Elterntieren entscheiden, je nachdem, welche Leistungsmerkmale für ihre Produktion am wichtigsten sind. Bei den Legehennen ist die Auswahl noch größer.

Um die Leistungsmerkmale der Tiere zu verändern, wendet Lohmann Tierzucht, wie viele andere auch, Gentechnik an. »Nicht länger bestimmen Zufall oder Hackordnung Leistung und Qualität. Eine planvolle Selektion ist jetzt der Motor für verbesserte Leistungen«, heißt es über die modernen Zuchtmethoden auf der Unternehmenswebsite. Durch die patentierten Selektionsverfahren seien alle hier angebotenen Braunleger frei vom tma-Syndrom – einem Gendefekt, der Fischgeruch im Eidotter verursacht.

Nur eine Art von (nicht mehr ganz so) vielen Die Hennen von Lohmann Tierzucht sind ein Beispiel von vielen für Tiere, die durch genmodifizierte Verfahren patentierbar wurden. Denn rechtlich ist es so: Genmodifizierte Tiere, Pflanzen oder auch einzelne Zellen können patentiert werden. Ganze Tierarten, Pflanzensorten oder gängige Züchtungsmethoden erhalten hingegen kein Patent. Wirft man einen Blick in die europäische Richtlinie für Biopatente, wird klar, warum. Diese besagt, dass biologisches Material patentiert werden darf, wenn es sich um eine Erfindung handelt, die gewerblich anwendbar ist (die also auf einem gewerblichen Gebiet hergestellt oder benutzt werden kann), oder wenn die Erfindung ein mikrobiologisches Verfahren darstellt, dessen Anwendung nicht nur eine bestimmte Pflanzensorte oder Tierart betrifft.

Was ist »erfunden«? Laut einem Zusammenschluss von über 30 Organisationen, darunter der gemeinnützige Verein »Arche Noah – Gesellschaft für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt und ihre Entwicklung«, verstößt ein Fischfutter-Patent (EP1965658) australischer ErfinderInnen, das im Jahr 2018 ausgesprochen wurde, gegen genau diese Gesetzeslage. Dieses patentiert den Einsatz eines bestimmten Futtermittels an Lachse und Forellen. Das verwendete Saatgut ist aber keine neue Erfindung, sondern besteht aus bereits bekannten Wildgemüsearten wie Borretsch

Text Lucia Scarpatetti

Das Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente (EPÜ) bildet die Grundlage des europäischen Patentrechts.

In Artikel 53(b) heißt es: »Europäische Patente werden nicht erteilt für: […] b) Pflanzensorten oder Tierrassen sowie im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren.«

KritikerInnen meinen, dass sich aus dem Artikel 53(b) mehrere rechtliche Probleme ergeben. »Im Wesentlichen biologisch« sei eine unklare Definition. Außerdem gäbe es keine Klarheit, ob Pflanzen und Tiere, die aus solchen Verfahren stammen, patentierbar sind.

Nach der Beschwerde gab es bis dato keine neuen Entwicklungen beim Fischfutter-Patent (EP1965658). Es dauert meist Jahre, bis nach einem Einspruch eine endgültige Entscheidung getroffen wird.

und Natternkopf. Diese Pflanzen enthalten von Natur aus eine hohe Konzentration an Fettsäuren, die als Futter bei den Fischen zu einem gewünscht hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren im Muskelgewebe führt. Die AnklägerInnen sprechen von einem eindeutigen Missbrauch des europäischen Patentrechts. Für sie ist klar: Es liegt keine echte erfinderische Leistung vor. Die »Erfindung« bestehe lediglich darin, Fische mit Futter zu füttern, von dem bereits bekannt gewesen sei, zu welchem Ergebnis es führe. Die Patentierung natürlicher Vorgänge zur Produktion von Tieren sei ausdrücklich verboten. Das Bündnis hat bereits Einspruch erhoben.

Braucht Forschung Patente? Urs Niggli ist Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in Frick, eines der weltweit führenden Einrichtungen zur Erforschung biologischer Landwirtschaft. Niggli vertritt die Meinung, dass man die Sinnhaftigkeit von Biopatenten nur im Einzelfall bewerten kann: »Der Begriff Patentierung ist sehr stark an den menschlichen Erfindergeist gebunden. Ein Lebewesen ist keine Erfindung, man kann es also nicht einfach so patentieren. Man kann jedoch ein Lebewesen für eine bestimmte Funktion, die mit einer gentechnischen Methode ermöglicht wurde, schützen. Oder auch einen genau beschriebenen Herstellungsprozess. Man kann also nicht sagen, dass Biopatente böse sind. Die Bewertung, ob sie sinnvoll sind, kommt auf den Einzelfall an.«

Biopatente behindern Landw irtInnen Die Kritik an Biopatenten kommt aus mehreren Richtungen. Die Meinung, dass Tiere und Pflanzen – selbst wenn sie genetisch manipuliert werden – nie eine menschliche Erfindung darstellen können, ist unter KritikerInnen weitverbreitet. »Biopatente schränken die Ernährungssouveränität und die Pflanzenzüchtung auf massive Weise ein und sind zudem moralisch nicht vertretbar, weil Pflanzen und Tiere niemals Erfindungen sein können«, erklärt Bernd Kajtna, Geschäftsführer von Arche Noah.

Dass mit Biopatenten das Eingreifen in genetisches Erbmaterial von Lebewesen praktiziert wird, ist außerdem für viele grundsätzlich abzulehnen, so auch für Kajtna: »Die Vielfalt der Natur bietet uns genug Potenziale für innovative Züchtung, ganz ohne Gentechnik und Patente auf Leben«. Diese Meinung vertritt auch die »Ökologische Tierzucht« (ötz), die Tiere züchtet, die speziell für ökologisch wirtschaftende Betriebe geeignet sind. Ihr Schwerpunkt liegt bei der Züchtung von Legehennen und Zweinutzungshühnern. Die »Ökologische Tierzucht« ist entschiedene Gegnerin von Biopatenten und steht damit dem angeführten Beispiel der Lohmann Tierzucht gegenüber.

Die unmittelbarste Kritik ist jene, die vor den Einschränkungen landwirtschaftlicher Tätigkeit warnt – denn erhält ein Konzern das Patent für ein bestimmtes modifiziertes Saatgut, dürfen es andere Bauern und Bäuerinnen nicht mehr verwenden oder müssen für dessen Einsatz zahlen. Für genau diesen Fall gibt es mittlerweile weltweit unzählige Beispiele. Oft können sich LandwirtInnen aber nicht frei für oder gegen Pflanzenmodifizierungen entscheiden – sie werden von Umweltfaktoren gezwungen, erklärt Kajtna: »Pflanzen müssen laufend an neue Gegebenheiten wie Krankheiten, Schädlinge oder Klimaveränderungen angepasst werden. Dafür brauchen ZüchterInnen freien Zugang zum genetischen Material, der ihnen mit Patenten aber verwehrt wird.«

Auch die Umweltschutzorganisation World Wide Fund For Nature (wwf) sieht die Kontrolle über Saatgut, die sich LandwirtInnen mit Biopatenten einholen können, kritisch. »Wir sind für ein umfassendes Patentverbot von Tieren und Pflanzen. Die aktuellen Regelungen sind aus ExpertInnensicht nicht klar genug definiert und bieten daher Schlupflöcher für große Konzerne, die sich mit umstrittenen Biopatenten die Kontrolle über Saatgut und Lebensmittel aneignen wollen«, meint Sarah Bimingstorfer von wwf Österreich.

Ein Patent zu erhalten dauert außerdem lange und ist kostenintensiv. Bis ein Patent ausführlich geprüft und letztendlich erlaubt wird, vergehen viele Jahre. Die Kosten für eine Patentanmeldung inklusive Erteilung und Veröffentlichung betragen mindestens 550 Euro auf nationaler und 4300 Euro auf europäischer Ebene. Dazu kommen ab dem sechsten Jahr jährliche Gebühren in der Höhe von 104 bis 1775 Euro. Daher sind vor allem große Landwirtschaftsbetriebe in Besitz von Patenten, kleinen Betrieben ist das oft unmöglich. Die dadurch entstehende Abhängigkeit kann existenzbedrohend werden.

Wo bl eibt das Recht auf Erfindungsschutz? Warum gibt es Biopatente? Patente und somit auch Biopatente schützen geistiges Eigentum. Der Schutz der eigenen Forschung ist für die ErfinderInnen von hoher Bedeutung. Sie schützen ihren Wissensstand vor Nachahmungen durch andere ForscherInnen. Innovative Pflanzenzüchtung ist aber auch für LandwirtInnen von Vorteil. Dadurch können sie ertragreiche Sorten anbauen und bleiben wettbewerbsfähig, erklärt »Saatgut Austria – Vereinigung der Pflanzenzüchter und Saatgutkaufleute Österreichs« in einer Presseaussendung zum Titel »Pflanzenzüchtung und Sortenzulassung in Österreich«: »Heute wachsen Pflanzen in Österreich, die es vor einem Jahrhundert im großflächigen Anbau noch nicht gegeben hat. Erst die gezielte Züchtung hin zu einer besseren Resistenz vor allem in puncto Temperatur hat es LandwirtInnen ermöglicht, diese Sorten zu kultivieren. Durch eine bessere Widerstandsfähigkeit benötigen die Pflanzen auch weniger Pflanzenschutz, weshalb die Züchtung einen wichtigen Beitrag zum nachhaltigen Umgang mit der Umwelt leistet.«

Weiters spricht die Verdienstmöglichkeit für ForscherInnen für Biopatente. ErfinderInnen haben das Recht, mit ihren Innovationen Einnahmen zu erzielen. »Um nachhaltig überlebensfähig zu sein, brauchen ZüchterInnen Wertschätzung und eine gerechte Finanzierung für die erbrachten Leistungen«, heißt es bei Saatgut Austria hierzu.

Bio-Biopatent? Auch in der biologischen Landwirtschaft kommen Biopatente aufgrund der finanziellen Notwendigkeit zur Anwendung. »Verschiedene Anwendungen von Pflanzenextrakten als Fungizide sind im Biolandbau patentiert worden. ForscherInnen des FiBL haben herausgefunden, dass ein natürlicher Pflanzenextrakt in der Landwirtschaft eingesetzt werden kann, um Pilzkrankheiten zu bekämpfen. Hier wurden die neu entdeckte Funktion und der Herstellungsprozess patentiert. Das war eine enorme forscherische Leistung, für die 15 Jahre gearbeitet wurde. Wenn der Wirkstoff ohne Schutz publiziert worden wäre, hätte irgendeine unbeteiligte Firma damit Profit machen können und man hätte die jahrelange Forschung nie refinanzieren können«, erklärt Urs Niggli.

Letztlich sollen Biopatente einen Anreiz für weitere Forschung schaffen. Ist es ZüchterInnen aber nicht mehr möglich, unentgeltlich an gewissen Lebewesen zu forschen, weil diese bereits patentiert sind, können Biopatente Innovationen blockieren und LandwirtInnen einschränken. Vor allem in der Saatgutbranche braucht es laut Niggli daher oft keine Patentvergabe. Die in den nationalen Saatgutrechten vorgesehenen Lizenzgebühren würden den ZüchterInnen genug Profit bringen, ohne weitere Forschung einzuschränken. Das treffe vor allem auf die biologische Landwirtschaft zu, so Niggli: »BiozüchterInnen sind alle daran interessiert, dass andere mit dem Saatgut weiterforschen, weil sie einen riesigen Bedarf an schnellem Fortschritt haben. Ich glaube, gerade BiolandwirtInnen sind sich dessen bewusst, dass sie nicht mit genialen Einzelleistungen, sondern mit kollektiven Leistungen schneller weiterkommen.« Während Großkonzerne an den Grundprinzipien des europäischen Patenrechts rütteln, wachen AktivistInnen, PolitikerInnen und viele weitere Gruppen über dessen Entwicklungen. Ob es eine grundlegende Änderung des europäischen Patentrechts geben wird, wird sich vielleicht schon bald zeigen: Derzeit liegen rechtliche Fragen über die Patentierung von Lebewesen, die aus konventioneller Zucht stammen, bei der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts am Tisch. Laut Informationen des Vereins »Keine Patente auf Saatgut!« wird die Entscheidung ab April 2020 vermutet. Sie wird wegweisend für die Richtung der weiteren politischen Debatte um Biopatente sein.

Das Europäische Patentamt ermöglicht online eine einfache Patentsuche. Espacenet ist die weltweit größte kostenlose Sammlung von Patentveröffentlichungen mit über 100 Millionen Dokumenten. Mithilfe detaillierter Suchfunktionen können bestimmte Innovationen oder ErfinderInnen schnell gefunden werden.

MEHR-WEG-WEISEND

M E H RW E G – DIE UMWELTFREUNDLICHSTE WAHL

JETZT NEU I N D E R MEHRWEG

GLASFLASCHE

This article is from: