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Der Überläufer

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Elternalltag

Elternalltag

Der pensionierte Amtstierarzt und einstige Jäger Rudolf Winkelmayer berät den Verein gegen Tierfabriken (VGT) und die Tierschutzombudsstelle der Stadt Wien.

Ein pensionierter Amtstierarzt und einstiger Großwildjäger kämpft gegen ein 2000 Jahre altes Weltbild an – für Tierrechte und gegen gängige Jagdpraktiken.

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Thomas Weber Eine gültige Jagdkarte hat er noch immer. Jedes Jahr zahlt er den Beitrag an den Niederösterreichischen Jagdverband ein. Auch einschlägige Zeitschriften, für die der Tierarzt und passionierte Großwildjäger früher selbst geschrieben hat, blättert er immer noch durch. »Mit wachsender Distanz«, wie Rudolf Winkelmayer sagt. Denn als Amtstierarzt mit seiner Spezialisierung auf Wildbrethygiene ist er pensioniert. Und seine Flinten hat er vor ein paar Jahren an den Nagel gehängt, aus Überzeugung. Die Jagdkarte löst Winkelmayer nicht aus Nostalgie, sondern aus waffenrechtlichen Gründen. Sie erlaubt ihm weiterhin den Besitz von Langwaffen, mit denen er früher Feldhasen und Rehböcke, Antilopen und Löwen erlegte.

Rudolf Winkelmayer und die Jagd – was lange Jahre eine leidenschaftliche Liaison war, liest sich rückblickend als wendungsreiche Geschichte einer Entfremdung, oder besser: als Geschichte einer Emanzipation. Und wie im klassischen Bildungsroman spielten dabei Bücher eine große Rolle und das Überwinden der eigenen Sozialisation. Sein Vater nahm den kleinen Rudolf schon in den 60er-Jahren mit auf die Pirsch. »Das Wildbret war damals eine wesentliche Bereicherung des Speisezettels«, erinnert er sich. Fleisch kam trotzdem nur einmal die Woche auf den Tisch; weshalb es ihm und seiner Frau heute leichtfalle, sich vegan zu ernähren. »Die Vielfalt und die Vorzüge von Gemüse kenne ich von klein auf«, sagt er. Die Jagd weckte Rudolfs Interesse fürs Tierreich. Er studierte Veterinärmedizin, wurde Amtstierarzt. Zu seinen Aufgaben gehörte die Kontrolle auf Schlachthöfen – die zweite wesentliche Konfrontation mit dem Töten von Tieren, denn: »Was auf Schlachthöfen mit sogenannten Nutztieren passiert, kann einen empathischen Menschen nicht kaltlassen.« Auch in seiner privaten Kleintierpraxis war der Tod allgegenwärtig: in Form der Euthanasie, wenn es ums Einschläfern von schwer kranken Katzen oder Hunden ging. Damit hadernd, sei er »in die Ethik hineingekippt. Das ist, wie wenn man in Treibsand gerät. Da kommst du nicht mehr heraus.« Vom Fleisch von Nutztieren ver-

abschiedete er sich früh. »Ich hatte immer ein sehr gutes Verhältnis zu Schweinen und Kälbern. Ich wollte meine Patienten nie aufessen.« Der Jagd aber blieb er treu – auch weil er einen bedeutsamen Unterschied darin sah, nicht in Gefangenschaft gehaltene Nutztiere, sondern ein frei lebendes Tier schnell, präzise und stressfrei zu töten. »Ich habe scheibtruhenweise Bücher gelesen. Irgendwann bin ich aber zur Überzeugung gelangt, dass man sich bemühen sollte, selbst für so wenig Tod wie möglich verantwortlich zu sein.«

Vieles an der Jagd hält Winkelmayer heute grundsätzlich für überholt, wie er in seinem »Beitrag zur Jagd- und Wildtier-Ethik« herleitet, die im Sommer im kleinen Sternath-Verlag erschienen sind. Das Buch fasst den Stand der Tierethik zusammen – und was man aus den aktuellen Diskursen für den Umgang mit Wildtieren ableiten könnte.

Winkelmayer sieht das Grundübel mittlerweile im abendländischen Anthropozentrismus: »Wir sind sozialisiert in ein System, wo die Ausbeutung von Natur und Tier selbstverständlich ist und keine extra Rechtfertigung braucht. Die meisten Menschen sagen: ›Das sind ja nur Tiere.‹ Und ich leugne auch nicht, dass es einen riesengroßen kognitiven Unterschied zwischen Mensch und Tier gibt. Aber es gibt auch bei uns Menschen riesige kognitive Unterschiede, etwa zwischen einem Baby und einem Nobelpreisträger, zwischen Anton Zeilinger und einem bedauernswerten Alzheimerpatienten. Wir haben es als Zivilisation aber so weit gebracht, dass dieser Unterschied moralisch nicht relevant ist. Moralisch relevant ist nur das Leid. Und mittlerweile ist wissenschaftlich gesichert, dass zumindest alle Wirbeltiere leidensfähig sind.« Seinem Buch ist eine grundsätzliche Klarstellung vorangestellt: »Wenn in diesem Buch von Tieren die Rede ist, dann sind immer nichtmenschliche, empfindungsfähige Tiere gemeint. Das sind genau genommen alle Wirbeltiere sowie Kopffüßler (wie z. B. Tintenfische) und Zehnfußkrebse (wie z. B. Flusskrebse und Hummer).«

Dass man das als Pedanterie belächeln könnte, weiß Winkelmayer. Beschäftigung mit Ethik brauche halt eine gewisse Grundbildung. Geschrieben hat er sein Buch nichtsdestotrotz für die Allgemeinheit – um das Thema Wildtiere nicht allein den JägerInnen zu überlassen. Wildtiere gingen alle an. Denn: »Wir brauchen behutsames Biodiversitätsmanagement, gerade auch in den Städten. Wie früher alle Tiere einfach aus Bequemlichkeit abzuschießen ist nicht mehr vertretbar.« Dass man sich mit solchen Überzeugungen in Jagd- »Wir brauchen behutsames kreisen keine FreundInnen Biodiversitätsmanagement « macht, ist klar. Zwar gebe es — Rudolf Winkelmayer auch dort Zuspruch »und viele vernünftige JägerInnen, aber die offizielle Jagd – also die Verbände und FunktionärInnen –, die meidet mich total«.

JAGD ALS ULTIMA RATIO

Dort wird seine Wandlung vom intensiv trophäenjagenden Saulus zum Paulus mit Befremden wahrgenommen; oder als Verrat empfunden (»Der ist kein Ethiker, sondern ein Moralapostel«). Junge JägerInnen werden in Whatsapp-Gruppen sogar vor dem Überläufer gewarnt: »Achtung, dieser Autor hat sich im Lauf der Jahre komplett wahnsinnig gegen die Jagd gestellt.« Zwar berät Winkelmayer auch den radikal jagdgegnerischen Verein gegen Tierfabriken (VGT) – »als unabhängiger Berater, nicht als Mitglied«, wie der Veterinär betont – und begleitet diesen mitunter sogar bei Ministerterminen. Absoluter Jagdgegner ist Winkelmayer trotzdem keiner. Er plädiert für eine Ultima-Ratio-Jagd: »Wir haben in unserer Kulturlandschaft Rotwild, Rehwild und Schwarzwild (Wildschweine, Anm.), das sich durch die Klimaerwärmung und durch die Landwirtschaft begünstigt sehr stark vermehrt und das man bejagen muss, weil es sonst auf Feldern oder im Schutzwald Schäden verursacht. Da sage ich klar: Wenn schon Fleisch, dann ist das das ethisch vertretbarste!« Aber einen Feldhasen, eine Wildgans oder einen Fuchs zu erschießen, dafür gebe es keinen vernünftigen Grund mehr. Das stellt einen Gutteil des jagdlichen Brauchtums infrage.

Dass Winkelmayers Überlegungen die Auseinandersetzung wert sind, spricht sich dennoch auch in Jagdkreisen herum. Die steirische Jagdzeitschrift »Anblick« widmete seinem Buch kurz nach Erscheinen ganze 10 Seiten: 10 Seiten Mut.

»EIN BEITRAG ZUR JAGD- UND WILDTIER-ETHIK«

von Rudolf Winkelmayer, erschienen 2022 im Kärntner Sternath-Verlag.

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