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Wo endet die Fairness?
Produkte aus fair oder fairer gehandeltem Rohstoff finden sich in allen Supermärkten. Bei den meisten Produktgruppen gibt es noch gar keine Standards.
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Barbara Ottawa
Beim nächsten Fair Trade International Symposium von 19. bis 21. Juni 2023 in Leeds, Großbritannien, sollen vor allem Themen wie der gegenseitige Einfluss zwischen dem FairtradeDiskurs und anderen Bewegungen, die ähnliche Ziele haben, diskutiert werden. fair-trade.website/ fair-trade-symposium Das ist unfair!«, schreit das Kind an der Supermarktkassa. Seine Eltern haben ihm gerade verboten, Schokolade in den Einkaufskorb zu legen – auch nicht die »gesunde« ohne Zucker und aus fairem Handel. »Du weißt doch gar nicht, was ›fair‹ heißt«, entgegnen die Eltern hilflos und sind sich völlig bewusst, dass sie es auch nicht ganz genau wissen …
Der Duden erklärt, dass das Wort aus dem Englischen entlehnt ist und so viel wie »den Regeln des Zusammenlebens entsprechend; anständig, gerecht im Verhalten gegenüber anderen« bedeutet. Als »Regeln des Zusammenlebens« können Grundrechtskataloge, Gesetze und soziale Normen angesehen werden.
Gerade in Handelsbeziehungen wurden und werden oft wirtschaftliche Machtpositionen genutzt, um finanzielle Vorteile aus unfairen Geschäften zu ziehen. Um auch im großvolumigen globalen Handel in einer postkolonialen Zeit faire Bedingungen herzustellen, wurde 1989 die World Fair Trade Organization (WFTO) gegründet. Sie hat heute mehr als 400 Mitglieder in über 70 Ländern.
Die WFTO definiert fairen Handel als »Handelspartnerschaft, die auf Dialog, Transparenz und Respekt basiert und nach mehr Gerechtigkeit im internationalen Handel strebt«. Für ihre Mitglieder hat sie Prinzipien aufgestellt, denen alle folgen müssen.
NEUE SIEGEL?
An diese Standards hält sich auch die GEPA – The Fair Trade Company mit Hauptsitz in Wuppertal, die Gründungsmitglied der WFTO ist. Pressereferentin Brigitte Frommeyer betont, dass das Unternehmen auch nach dem WFTO-Guarantee-System überprüft wird. »Dabei wird das Unternehmen als Ganzes untersucht, nicht nur einzelne Produkte. Es geht also z. B. auch um Arbeitsbedingungen hier vor Ort.« Fairness-Standards und die entsprechenden Gütesiegel gibt es ihrer Ansicht nach bereits genug. Aber aus Sicht der GEPA müsse »Fairness immer wieder neu definiert werden«. Frommeyer meint damit aber nicht, dass neue Gütesiegel etabliert werden sollten. »Ich denke, es gibt genug Standards. Schon vor Jahren klagten VerbraucherInnenorganisationen über den ›Siegeldschungel‹, der die VerbraucherInnen schnell verwirrt.«
Katrin Frank, die beim in Berlin ansässigen Verein Forum Fairer Handel für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, verweist außerdem darauf, dass es Bereiche gibt, auf die die Standards noch gar nicht umgelegt wurden, so etwa die Elektronikbranche. Aber immerhin konn-
ten neben den Siegeln für klassische Agrarprodukte aus dem Globalen Süden wie Kaffee oder Baumwolle auch für einige andere Warengruppen und Produkte Standards für fairen Handel definiert und auf dem Markt etabliert werden. Darunter allen voran die Fairtrade-Standards für Textilien, Gold, Produkte aus Wildsammlung, Kunsthandwerk oder sogar digitale Dienstleistungen.
Auch der Globale Norden – damit sind in den Handelsbeziehungen international betrachtet vergleichsweise privilegierte Staaten wie jene in Europa gemeint – ist inzwischen nicht mehr nur Zielregion des Verkaufs von fair gehandelten Produkten, sondern auch Zielregion der Sicherstellung von Standards für fairen Handel, weil deren Einhaltung auch hier nicht überall selbstverständlich ist.
WAS IST NICHT FAIR?
Frank betont zusammenfassend, »insbesondere die starken ökonomischen Kriterien unterscheiden Fair-Handels-Standards von Nachhaltigkeitszertifizierungen, denn Prinzipien wie faire (Mindest-)Preise, langfristige Lieferverträge (…)« stellen die Arbeitsbedingungen für den Menschen in den Fokus. Allerdings gilt leider auch umgekehrt, dass die meisten Zertifikate für fairen Handel keine allzu elaborierte Definition von ökologischer Fairness beinhalten. Frommeyer etwa nennt »Klimaschutz, Klimagerechtigkeit, Anpassung an den Klimawandel« als »weiteren Punkt mit großer Aktualität«.
KETTENREAKTION
»Wichtiger als noch mehr Fairtrade-Standards wäre aus unserer Sicht ein starkes Lieferkettengesetz, das Unternehmenshaftung einschließt«, betont Frommeyer.
Sehr ähnlich beschreibt den Zweck der Fairtrade-Siegel auch Katrin Frank: »Bis Menschen- und Umweltrechte im Welthandel besser geschützt werden, braucht es den fairen Handel und seine Standards bzw. Prinzipien, die erfüllt werden müssen, damit ein Produkt als fair gekennzeichnet werden kann.« Sowohl für GEPA als auch für das Forum Fairer Handel hat daher das Zustandekommen eines starken Lieferkettengesetzes, wie es derzeit in der Europäischen Union diskutiert wird, Priorität. Deutschland hat ein neues Gesetz beschlossen, das 2023 für große Unternehmen in Kraft treten soll und explizit »erstmals klare Anforderungen für die unternehmerische Sorgfaltspflicht« formuliert und eine »Verantwortung für die gesamte Lieferkette« beinhaltet. In der Praxis muss sich dessen Umsetzung jedoch erst beweisen.
Bis dahin bleibt es den VerbraucherInnen überlassen, beim Einkauf die Latte dafür zu legen, was fair ist. Und sich die Lieferketten bei jenen Unternehmen anzusehen, die diese transparent offenlegen, ohne gesetzlich dazu verpflichtet zu sein – oder auf Kontrollsysteme zurückzugreifen, die durch robuste Gütesiegel für Standards bürgen.
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