Die Welt, Germany, 2009

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Seite R12 DIE WELT

Samstag, 7. März 2009

Delfine voraus! So nahe kommt man den wild lebenden Meeressäugern nur bei einer Forschungsreise: Eine Tour mit Wissenschaftlern durch das Ionische Meer Von Annette Rübesamen

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riechischer könnte es nicht sein. Die Wände in dem alten Bauernhaus sind weiß gekalkt, Anrichte und Küchentisch leuchten blau. Durch das Fenster fällt der Blick auf einen Mandelbaum, dahinter glitzert das Meer. Doch bevor das mediterrane Feriengefühl allzu mächtig werden kann, kommen die Wissenschaftler zur Sache. Stefano schaltet den Laptop ein, Ruth zieht die Fensterläden zu: „Welcome to Kalamos. Toll, dass ihr gekommen seid. Bei unserer Arbeit mit den Delfinen sind wir auf eure Hilfe angewiesen.“ Die Angesprochenen scharren aufgeregt mit den Füßen. Man reist schließlich nicht alle Tage auf eine griechische Insel, um sich an einem Forschungsprojekt zu beteiligen. Für Stefano von der Naturschutzorganisation Tethys, die das „Ionian Dolphin Project“ durchführt, gehört das Begrüßen freiwilliger Helfer dagegen zum Alltag. Das Projekt verfolgt ein konkretes Ziel: die gefährdeten Delfinbestände im Mittelmeer zu erhalten. Was genau zu tun ist? „Ihr fahrt im Schlauchboot mit uns raus, sucht nach Delfinen, beobachtet ihr Verhalten und helft uns dann, die Daten in den Computer einzugeben.“ Die Helfer nicken. Dann stellen sich alle vor. Stefano, Biologe aus Mailand, leitet das Projekt, Ruth aus Irland ist seine Assistentin. Alexandra aus Oberbayern ist Ärztin und hat schon an einigen Delfinreisen teilgenommen. Julia arbeitet als Biologin in Wien. Stationsschwester Sylvia aus Niederösterreich hat die Reise gebucht, weil sie sich „schon immer“ für Meeressäuger begeistert hat. Und ihre Freundin Melanie hat sechs Bikinis und eine riesige, rosa Sonnenbrille im Gepäck. Kalamos ist schließlich auch eine ganz normale Ferieninsel. Das grüne Eiland liegt dicht vor der Westküste Griechenlands im Ionischen Meer und ist nur dünn besiedelt. In dem winzigen Dorf Episkopi hat Tethys seine Forschungsstation in einem Bauernhaus eingerichtet. Galant hilft Stefano am nächsten Morgen seinem Team auf die „Megaloceto“. Sechs Augenpaare suchen die Wasseroberfläche nach Delfinen ab. „Die schlafen bestimmt

Segelschiffe oder Schlauchboote bringen die Forscher auf Zeit ganz nah an die Tiere heran

Die Delfine immer im Blick

noch“, tröstet Melanie ihre Freundin Sylvia. Doch wenig später tauchen Rückenflossen aus dem Wasser auf und verschwinden wieder. In die Forscher kommt Bewegung. Stefano checkt sein GPS-Gerät und spricht die Position in ein Diktiergerät. Alexandra muss sich einen Delfin auswählen und seine Tauchzeiten stoppen, Melanie die Zeiten zu

Papier bringen und Sylvia alle sechs Minuten Werte wie Gruppenformation und Sprungverhalten in ein elektronisches Notizbuch eingeben. Ist es die Forschungsarbeit, die glücklich macht, oder der Anblick der Delfine? Sylvia strahlt, Julia fotografiert unter Entzückensrufen, Melanie beugt sich vor lauter Begeisterung so weit über Bord, dass die rosa Diven-Brille in der See verschwindet. Immer wieder schnellen die Delfine aus dem Wasser, wobei sie aussehen, als freuten sie sich des Lebens. Stefano bleibt ungerührt: „Kommunikations- oder Jagdverhalten“, erklärt er trocken. Die Tage auf Kalamos ähneln einander auf erholsame Weise. Morgens steht Ausfahrt auf dem Programm, am späten Nachmittag hält Stefano Vorträge und erklärt, weshalb zum Beispiel die Tauchzeiten so wichtig sind. „Wenn die Delfine lange tauchen, gehen wir davon aus, dass sie am Grund fressen. So kön-

FOTOS: WDCS

nen wir herausfinden, in welchen Bereichen sie noch Futter finden.“ Mit dem Projekt will Tethys nachweisen, dass die Ursache für den Rückgang der Delfine im ostionischen Meer in der Überfischung liegt. Sie finden nichts mehr zu fressen. Das Team kennt dagegen keine Ernährungssorgen. Mittags macht sich immer jemand ans Schnippeln von Gurken,

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in schwäbischer Biologe ist so etwas wie ein Pionier unter Deutschlands Reiseanbietern. Vor zehn Jahren gründete Matthias Hammer die Organisation Biosphere Expeditions: „Das war damals eine verrückte Idee“, sagt er. Heute ist die Organisation mit Sitz bei Stuttgart eine der erfolgreichsten im Bereich der Forschungsreisen. Erst kürzlich wurde sie mit einem Tourismuspreis als „Beste Freiwilligen-Organisation“ ausgezeichnet. Als Hobbyforscher begleiten die Gäste Wissenschaftler bei ihrer Arbeit und helfen, Daten über das Verhalten und Vorkommen bedrohter Tierarten zu erheben. Die Expeditionen folgen den Geparden und Löwen im Norden Namibias, Schneeleoparden im russischen Altai-Gebirge, Leoparden im Oman, Jaguaren im Amazonas oder auch Gämsen, Wölfen und Bären in der Niederen Tatra. Bei beinahe jedem Projekt werden den Teilnehmern Kenntnisse wie Fährtenlesen, Anlegen von Sendehalsbändern, Orten der Tiere mit Antenne oder GPS und die Erfassung der Daten beigebracht. Freiwilligenarbeit im Urlaub ist eines der am stärksten wachsenden Segmente im Tourismus. Der Markt legt jedes Jahr um 20 Prozent zu. Matthias Hammer kann das bestätigen: 2008 zählte er 500 Teilnehmer, so viele wie nie zuvor. Für den gelernten Biologen ist das beinahe ein soziologisches Phänomen: „Je mehr die Umwelt um uns herum zerstört wird, desto mehr entsteht der Wunsch nach authentischen Erlebnissen in der Natur.“ Auch andere Anbieter spüren das wachsende Interesse: So hat

Reisetrend: Im Urlaub können Sie jetzt Gämsen zählen sich die US-amerikanische Organisation Earthwatch schon seit vielen Jahren auf Forscherreisen spezialisiert. In Boston, Massachusetts, einst als Viermannbetrieb gegründet, befördert Earthwatch mittlerweile fast 3500 Teilnehmer jährlich zu 140 Projekten in 50 Ländern. Deutsche gehören zu den häufigsten Gästen. Neben Tierreisen wie zu den Delfinen des Amazonas-Beckens bietet die gemeinnützige Organisation auch Touren zu archäologischen Projekten an. So können die Teilnehmer mit Sieb und Pinsel bei der Freilegung einer römischen

Entfernungsmessung: 17 Meter bis zur Gams FOTO: FABIAN VON POSER

ner Laster die Gruppe zurück. Am Himmel stehen eine schmale Mondsichel und funkelnde Sterne. Draußen im Meer kreuzen die Delfine. Selten hat sich griechische Ferienstimmung so gut angefühlt. Angebot: Forscherferien beim „Ionian Dolphin Project“ kann man über die Whale and Dolphin Conservation Society Deutschland ab 600 Euro (ohne Anreise) buchen, Tel. 089/ 61 00 23 95, www.wdcs-de.org

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Tierforscher auf Zeit Von Fabian von Poser

Zwiebeln, Tomaten und Feta für eine Riesenschüssel griechischen Salat. Andere decken den Holztisch unter dem Mandelbaum. Am letzten Abend besuchen die Teilnehmer die andere Inselseite, wo im Dorf Kalamos mit seinen zwei Tavernen der Bär tanzt – im Vergleich zu Episkopi. Nach gefüllten Weinblättern und frittierten Calamares bringt ein klei-

Villa in der Toskana helfen: „Es geht nicht nur darum, Gelder für den Erhalt bedrohter Tierarten, Kulturgüter und Naturräume zu erlösen, sondern auch darum, Arbeitskräfte zu gewinnen, die mit Begeisterung bei der Sache sind“, heißt es aus der Europa-Zentrale von Earthwatch in Oxford. Bei Forschungsreisen müssen die Urlauber durchaus mit anpacken: „Bei uns wird niemand mit Champagner und Lachshäppchen im Feld empfangen“, sagt Biosphere-Chef Hammer. „Luxus ist aber auch nicht das, was die Leute suchen. Sie wollen die Nähe zur Natur, lieben die Arbeit mit Tieren.“ Natürlich gibt es auch Kritik: Zum Beispiel die, dass Forschungsobjekte durch die Anwesenheit der Touristen gestört werden. Hammer: „Klar können wir nicht sagen, dass die Tiere unsere Anwesenheit nicht bemerken.“ So halte man aber allein durch die Anwesenheit der Hobbyforscher bei einem Geparden-Projekt im Caprivi-Streifen in Namibia Wilderer von den Tieren fern. Und was ist, wenn der Ärger mal aus der Gruppe kommt, weil sich ein Forschungstier partout nicht blicken lässt? „Auch das kommt vor“, sagt Hammer. „Doch darauf sind die Gäste vorbereitet. Wir sind ja schließlich in der freien Natur.“ Die Zufriedenheit der Expeditionsteilnehmer sei groß. Es gebe zum Beispiel welche, die seien schon sechs Mal ins Altai gefahren, um Schneeleoparden zu beobachten, und hätten nicht ein einziges Tier gesehen. Begeistert waren sie trotzdem: „Allein schon der grandiosen Natur wegen.“ Auskunft: Biosphere Expeditions, www.biosphere-expeditions.org Earthwatch Institute, Oxford, www.earthwatch.org +


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