Sonntag Aktuell, Germany, 2009

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Sonntag Aktuell 10. Mai 2009

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Wandern ist gesund. Was aber tun, wenn ein Fehltritt passiert und die Bergtour zum Überlebenstrip wird? Dann sind Kenntnisse in Erster Hilfe Gold wert. Ein Trainingscamp im Schwarzwald bereitet Naturfreunde auf den Ernstfall vor.

Großer Gott! Der kleinen Anne geht’s nicht gut, das sieht man gleich. Leblos liegt sie da auf ihrer Isomatte, irgendwo zwischen Küchenzelt und Lagerfeuer. „Hallo, hörst du mich?“, brülle ich sie an. Vergeblich. Klein Anne antwortet nicht, atmet nicht, macht keinen Mucks. Ich versuche, ihr Leben einzuhauchen. Wie war das noch? Kopf überstrecken und – Mist, verfluchter! Meine Atemspende ist leider nur heiße Luft. Die überall hinströmt, nur dorthin nicht, wo sie jetzt lebenswichtig wäre: in Annes Lunge. Meine Nebenfrau ist mit Annes Zwillingsschwester zugange, versucht es mit Herzdruckmassage. Pumpt. Flucht. Flüstert: „Auf jetzt, atme, Kleines, at-me.“ Ohne Erfolg. Also probieren wir es zusammen. Reanimieren im Akkord, bis die Fingerknöchel weiß sind und die Handgelenke schmerzen. Dreißigmal Herzdruckmassage. Zweimal beatmen. Immer im Wechsel. Und wieder von vorn. „Danke, Leute“, die Telekolleg-Stimme von Ausbilder Martin holt uns zurück ins wahre Leben. „Das war eine tolle, engagierte Reanimation, auf die ihr zu Recht stolz sein dürft.“ Stolz? Na ja. Sagen wir besser: erleichtert! Denn das hier war zum Glück nur eine Übung. Und „Little Anne“, so der Name, unter dem Klein Anne im Fachhandel erhältlich ist, nur eine Puppe. Ein Übungsobjekt für angehende Ersthelfer. Im Ausbildungslager der Outdoorschule Süd.

Üben, bis der Arzt kommt!

Blut stillen, Kompressen anlegen, psychologisch betreuen: Wer Erste Hilfe leistet, muss viel bedenken. Bild: Henrichs

Lernen durch Machen Das Ziel dieses Basisseminars im Schwarzwald ist ehrgeizig: In vier Tagen sollen aus hilflosen Helfern wie uns patente Ersthelfer werden, die auf jeden Unfall unter freiem Himmel die passende Antwort haben. Oder, wie Ausbilder Sascha es zu Kursbeginn zusammenfasst: „Ich möchte euch für einen Notfall unter freiem Himmel handlungsfähig machen, egal, was passiert.“ Hören meine Kurskollegen gerne – fast allesamt erlebnishungrige Leute. Früher waren es vor allem Reiseguides und Rucksackabenteurer, die sich in den Kursen der Outdoorschule fit für die anstehende Weltumrundung machten. Heute hat fast jeder dritte Teilnehmer einen erlebnispädagogischen Hintergrund. Der Rest sind Gelegenheits-Wandersleute, die am Wochenende gerne die Natur erleben. Und es passiert einiges, hier draußen! Rund um den Lagerplatz, oberhalb der Sauhütte im beschaulichen Schwarzwaldörtchen Utzenfeld, spielen sich regelmäßig hässliche Szenen ab. Häufen sich Unglücksfälle aller Art: verschluckte Bienen, verstauchte Knöchel, bewusstlose Personen, denen wir in dreiköpfigen Rettungsteams, ausgerüstet mit Rucksack, Isomatte und ErsteHilfe-Pack zu Hilfe kommen müssen. Kein Zufall, sondern ganz im Sinne des Erfinders: „Erste Hilfe lernt man eben am besten durchs Machen, nicht so sehr durchs Zuhören“, sagt Martin Diekmann, Chefaus-

bilder und Mitbegründer der Outdoorschule Süd. Heißt für uns: trainieren für den Notfall. Üben, bis der Arzt kommt! Nicht im klimatisierten Schulungsraum, sondern dort, wo Unfälle beim Wandern normalerweise passieren: draußen, im Wald, am Hang, auf unebenem Untergrund. Und vor allem: am lebenden Objekt. Das hört in der Regel auf den Namen Ralf. Der arme Kerl, im wahren Leben Informatiker und Mitarbeiter bei der Outdoorschule, ist so was wie der Unglücksrabe vom Dienst: Hat mal eine Axt im Bein, mal ein Loch im Kopf – fast immer aber starke Schmerzen. Im Moment schreit er auch noch. Wälzt sich vorm Lagerfeuer, brüllt wie am Spieß. Etwas, das aussieht wie verbrannte Haut, hängt in Fetzen von seinem linken Arm herunter. Auch die meterhohe Stichflamme verheißt nichts Gutes. Ralf, der Schwerverletzte vom Dienst, gibt alles: windet sich, winselt, wimmert. Faselt was von „Feuermachen“. Und jetzt? Schimpft er auch noch: „Was steht ihr hier rum, ihr Deppen? Helft mir doch!“ Wir versuchen es. Zunächst mit warmen Worten. „Hallo, Sie müssen sich jetzt erst einmal beruhigen, der Krankenwagen ist bald da“, sagt Teamkollegin Eva und legt ihm mitfühlend die Hand auf die Schulter. Schlechte Idee. Offene Brandwunde! Ralf jault noch lauter. „Vielleicht etwas trinken?“ Ralf will davon nichts wissen. Schreit stattdessen: „Jetzt helft mir doch!“

Würden wir ja gerne. Aber wie? Ratlosigkeit im Rettungsteam. „Versucht doch mal, ihn vom Feuer wegzukriegen“, hilft uns Ausbilder Martin von außen auf die Sprünge. Um kurz darauf unsere Bemühungen für eine kurze Denkpause zu unterbrechen: „Der Krankenwagen wird niemals so schnell hier sein, Eva, wie du es dem Patienten versprochen hast. Vergesst nicht, Leute: Wir sind draußen!“ Das heißt: oft kein Mobilfunkempfang, um an Ort und Stelle einen Notruf abzusetzen. Weite Wege bis zur nächsten Hütte, lange Zeit bis zum Eintreffen der Bergrettung. Und Ralfs Schmerzensschreie? Sind kein Deut übertrieben, sondern typische Begleiterscheinungen in einer Ausnahmesituation wie dieser. „Da ist nur noch Stress, Geschrei, Anspannung“, erklärt Martin. Und dagegen hilft nur eins: viel üben – unter annähernd realistischen Bedingungen. „Wir möchten“, erläutert Coach Martin das Kurskonzept, „die Teilnehmer in annähernd so große Stress-Situationen bringen wie bei einem echten Unfall. Damit sie lernen: Ich kann es tatsächlich!“ Kann man wohl sagen. Denn was haben wir in den vergangenen vier Tagen nicht alles gelernt! Wir wissen jetzt, wie man aus einer handelsüblichen Isomatte im Handumdrehen eine Halskrause bastelt. Und wie man aus einem Biwacksack ein Notfallcamp errichtet, wenn der verunglückte Wanderkumpel nicht transportfähig ist. Und dass

man aus Dreieckstüchern, Trekkingstöcken und ein paar Schnürsenkeln eine durchaus passable Beinschiene basteln kann, auch wenn das so in keinem Schulbuch steht. Grau ist eben alle Theorie. Ralf nicht, Ralf ist blau und schon wieder blutverschmiert. Seine schnelle, flache Atmung lässt keinen Zweifel, worum es sich hier handelt: einen Patienten in einem SAU-gefährlichen Zustand. „SAU“, das steht für Schock, Atemstörung, Unterkühlung. Buchstabenkombinationen wie diese sind das A und O für angehende Outdoor-Ersthelfer. Eselsbrücken für den Ernstfall, die die Prioritäten im Falle eines Notfalls einprägsam verdeutlichen sollen. Wer hier mitmacht, kann sie noch Jahre

später herbeten. „BAP“ zum Beispiel steht für Bewusstsein, Atmung, Puls. Drei Dinge, die jeder Ersthelfer abchecken sollte, bevor er einen Notruf absetzt – und zwar in dieser Reihenfolge. Wer also bei „BAP“ am zweiten Kurstag immer noch an Kölschrock denkt, hat nicht viel mitbekommen. Alles andere lässt sich lernen: Nach vier Tagen Trainingslager hat jeder im Kurs das Gefühl, dass er weiß, was er kann. Nämlich helfen, wenn unterwegs etwas passiert. Und ich? Fühle mich jetzt ebenfalls deutlich besser gerüstet. Für das nächste Wanderwochenende, die nächste Hüttentour. Und für den Fall, dass die nächste kleine Anne keine Puppe ist. Markus Henrichs

Info ◆ Das Basisseminar „Erste Hilfe Outdoor“ findet auf einem Lagerplatz bei Utzenfeld (Schwarzwald, Nähe Todtnau) statt, dauert vier Tage und kostet 195 Euro (170 Euro für Nichtverdienende) plus etwa zehn Euro pro Tag für Verpflegung. Übernachtet wird im eigenen Zelt, gesungen am Lagerfeuer. Außerdem im Programm: Aufbautrainings wie „Seil und Fels“, „Wildwasser“ oder „Erste Hilfe am Elch“.

◆ Allgemeine Information: Outdoorschule Süd, Telefon 0 76 76 / 93 35 26, www.erste-hilfe-outdoor.de. Erste-HilfeKurse mit Outdoor-Schwerpunkt werden auch vom Bayerischen Roten Kreuz in München angeboten, Telefon 089 / 23 73 - 0, www.brk-muenchen.de. ◆ Literatur: Peter Oster: „Erste Hilfe Outdoor – Fit für Notfälle in freier Natur“. Ziel Verlag, 196 S., 29,80 Euro.

Info

Hobbyforscher im Urlaub Gämsen zählen statt sonnenbaden, Ausgrabungen machen statt durch die Stadt zu bummeln: Auf einer Forscherreise muss auch der Stadtmensch kräftig zupacken. Dafür ist er der Natur so nahe wie selten. Wenn Matthias Hammer morgens zur Arbeit geht, sieht das ungefähr so aus: Um 5.30 Uhr schnürt er seine Stiefel, zieht den Reißverschluss des Zeltes auf, macht mit ein paar Handgriffen Feuer, setzt den Kaffee für seine Expeditionsteilnehmer auf, dann geht es hinaus in die Natur. Doch es ist kein bestimmter Ort, an den es Hammer immer wieder zieht. Mal verschlägt es ihn ins Altaigebirge, mal auf die Halbinsel Musandam im Oman, dann wieder in den Dschungel des Amazonas und in den Caprivistreifen in Namibia. Zugegeben: Nicht jeder Tag sieht so aus. „Es gibt auch Büroarbeit“ , sagt Hammer. Aber die besten Tage seien die, die so beginnen. Und das ist immerhin beinahe die Hälfte aller Arbeitstage. Hammer ist so etwas wie ein Pionier unter Deutschlands Reisemachern. 1999 gründete der Biologe die Organisation Biosphere Expeditions. „Das war damals eine verrückte Idee, die unter der Dusche entstand“, erzählt er. Heute rennen ihm die Leute die Bude ein. Die Organisation mit Sitz in der Nähe von Stuttgart ist weltweit eine der erfolgreichsten im Bereich der Forschungsreisen. Als Hobbyforscher begleiten die Teilnehmer Wissenschaftler bei der Arbeit und helfen dabei, Daten über be-

drohte Tierarten zu erheben. Die Expeditionen führen etwa zu den seltenen Schneeleoparden im russischen Altaigebirge, den Arabischen Leoparden im Oman oder auch zu bedrohten Korallenriffen vor der Küste von Honduras. „Wir verstehen uns als Brückenschlag zwischen Forschern mit wichtigen Artenschutzprojekten und Laien, die durch ihre Freiwilligenarbeit unsere Projekte unterstützen“, sagt Hammer. Der „Voluntourism“, wie die Freiwilligenarbeit im Urlaub auch genannt wird, ist eines der am stärksten wachsenden Segmente im Tourismus: Der Markt legt jedes Jahr um 20 Prozent zu. Neben Biosphere Expeditions spüren auch andere Anbieter den Boom. Das US-amerikanische Unternehmen Earthwatch etwa hat sich schon seit vielen Jahren auf Forscherreisen spezialisiert und befördert mittlerweile fast 3500 Teilnehmer jährlich zu 140 Projekten in 50 Ländern, darunter auch Touren zu archäologischen Projekten wie etwa der Freilegung einer römischen Villa in der Toskana. Während Forscherreisen einen Boom erleben, freuen sich die Veranstalter von Tierreisen ebenfalls über wachsende Nachfrage. Der Berliner Anbieter Colibri-Umweltreisen zum Beispiel bietet unter anderem Reisen zu den Pottwalen Norwegens, zu den Berggorillas in Uganda und zu den Eisbären Spitzbergens an. Geschäftsführer Jörg Drews sieht in dem Trend sogar eine eher langfristige Entwicklung. „Der Kontakt zur freien Natur erfüllt die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies in uns. Deswegen machen sich immer mehr Menschen auf die Suche danach.“

◆ Biosphere Expeditions, Telefon 0 71 27 / 98 02 42, Internet: www.biosphere-expeditions.org. ◆ Earthwatch Institute, Telefon 00 44 / 18 65 / 31 88 38, www.earthwatch.org. ◆ Colibri Umweltreisen, Telefon 0 33 22 / 1 29 90, Internet: www.colibri-berlin.de. ◆ Forum anders reisen, Telefon 07 61 / 40 12 69 90, Internet: www.forumandersreisen.de.

Sonne und Steine im Omam: Eine Forscherreise kann schweißtreibend sein.

Auch der Veranstalterverbund des Forums anders reisen (FAR), in dem fast 150 kleine Reiseveranstalter organisiert sind, verzeichnet Zuwächse. „Vor allem Tierreisen, aber auch generell Reisen mit Inhalt sind im Kommen“, sagt FAR-Geschäftsführer Rolf Pfeifer. Dazu zähle das Wildhütertraining im Krüger-Nationalpark genauso wie die Radtour auf den Spuren der Khmer durch Thailand, Laos und Kambodscha. Während die Gäste bei Pfeifer und Co. die üblichen Vorzüge einer Pauschalreise genießen, müssen sie bei Forschungsreisen wie

von Biosphere Expeditions und Earthwatch angeboten durchaus mit anpacken. „Bei uns gibt es keinen Champagner und keine Lachshäppchen“, sagt Biosphere-Chef Hammer. Doch sei Luxus auch nicht das, was die Leute suchen. „Sie wollen die Nähe zur Natur, sie lieben die Arbeit mit den Tieren.“ Allerdings muss sich Hammer auch Kritik anhören. Zum Beispiel die, dass seine Forschungsobjekte durch die Anwesenheit seiner Gruppen, die oft mehrere Wochen vor Ort sind, gestört werden. „Natürlich können wir nicht sagen, dass die Tiere unsere

Bild: Biosphere

Anwesenheit nicht bemerken. Aber die positiven Aspekte überwiegen.“ So halte man zum Beispiel allein durch die Anwesenheit der Hobbyforscher bei dem Geparden-Projekt im Caprivistreifen in Namibia Wilderer von den Tieren fern, von den positiven Folgen der Arbeit mal ganz zu schweigen. Und was ist, wenn es mal in der Gruppe Ärger gibt, zum Beispiel, weil sich ein Forschungstier nicht blicken lässt? „Das kommt vor“, sagt Hammer. „Doch darauf sind die Gäste vorbereitet. Wir sind schließlich in der freien Natur.“ Fabian von Poser


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