Südostschweiz, Switzerland, 2009

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REINES GEWISSEN FREIWILLIG AKTIV

DIE SÜDOSTSCHWEIZ AM SONNTAG | 5. APRIL 2009

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Forscherglück für jeden

In Afrika Wissenschaftlern helfen, Elefanten zu erforschen oder nepalesischen Waisenkindern Computerkenntnisse vermitteln: In den Ferien Sinnvolles zu tun, wird immer beliebter. Der Trend heisst Voluntourism. Von Sermîn Faki Am Strand ist es zu langweilig? Das tägliche All-you-can-eat-Buffet entlockt Ihnen auch kein Lächeln mehr? Sie würden viel lieber wie Indiana Jones auf den Osterinseln verschollene Zivilisationen entdecken? Dann sind Sie ein Fall für Voluntourism. Der neudeutsche Ausdruck bedeutet «Ferien mit Freiwilligenarbeit verbinden» und beschreibt eine stetig wachsende Nische im Tourismusmarkt: Sie verspricht Abenteuer in fremden Kulturen, neue Bekanntschaften und ein lang anhaltendes gutes Gefühl – durch die Mitarbeit in spannenden Forschungs-, Sozialund Umweltprojekten. Weltweites Netz Der erste Anbieter vonVoluntourism war die Organisation Earthwatch. Auf der Suche nach einem neuen Finanzierungsmodell für Forschungen hatten vier Wissenschaftler am amerikanischen Smithsonian Institute 1971 die Idee, ehrenamtliche Mitarbeiter auf Zeit zu rekrutieren. Bis heute hat sich daraus eine weltweit operierende Organisation enwickelt, die Büros in den USA, Europa, Japan und Australien unterhält und freiwillige Helfer an Forschungs- und Naturprojekte vermittelt. Im letzten Jahr engagierten sich 3500 AmateurForscher für ein bis zwei Wochen in 140 Projekten in über 50 Ländern der Welt. Sie gruben beispielsweise 3000 Jahre alte Spuren einer Seefahrerzivilisation auf Fidschi aus, erforschten die Verbreitung und das Verhalten von Elefanten in der kenianischen Steppe und untersuchten die Auswirkungen des Klimawandels auf die Arktis. Für Manager, die Sinn suchen Die meisten Teilnehmer an solchen Expeditionen suchen neben Abenteuer und Forscherglück auch nach Sinn – etwas, das derzeit vor allem unter Managern hoch im Kurs steht. Und so kann sich ein weiterer, wenn auch etwas anders ausgerichteter, Anbieter nicht vor Anfragen retten.

Auf Tuchfühlung mit wilden Tieren: Teilnehmer einer BiosphereExpeditions-Tour im Caprivi-Delta zwischen Namibia, Botswana und Sambia legen einem Leoparden ein Sendehalsband an.

Manager ohne Grenzen, vor zwei Jahren gegründet, vermittelt Fachund Führungskräfte an soziale Projekte oder kleine Unternehmen in Entwicklungsländern. Mit Voluntourism will die Gründerin Helene Prölß denn auch nichts zu tun haben: «Meiner Erfahrung nach schadet Voluntourism mehr, als er nützt.Von unseren Partnern höre ich immer wieder, dass die vor allem jungen Freiwilligen weder qualifiziert noch interkulturell sensibilisiert genug sind, um wirklich etwas zu bewegen.» Deshalb geht Prölß einen anderenWeg: Bei ihr müssen sich die Manager bewerben, um Eignung, Fähigkeiten und Erwartungen genau abzuklären und das richtige Projekt zu finden. Nur so, ist Prölß überzeugt, kann ein nachhaltiger Wissenstransfer erfolgen. Kurzengage-

NACHGEFRAGT

ments für ein oder zwei Wochen gibt es bei Manager ohne Grenzen nicht: «Ein Einsatz beginnt bei uns ab vier Wochen und kann bis zu drei Monate dauern.» Mit Tourismus habe das Programm nichts zu tun. Einfach wie Briefmarkensammeln Die geäusserte Kritik, Voluntourism sei eine wenig nachhaltige «Geldmach-Strategie», will man bei Biosphere Expeditions, einem Anbieter für Ferien mit Teilnahme an Feldbiologieforschung, so nicht gelten lassen: «Die Expeditionen helfen auch der lokalen Bevölkerung, indem sie Arbeitsplätze schaffen. Auch die Einnahmen fliessen den Projekten vor Ort zu. Zudem können die Forschungsergebnisse zum Beispiel das Zusammenleben von Mensch und Tier verbessern; und ohne die

Augen, Hände und Füsse unserer Teilnehmer könnten die Studien nicht durchgeführt werden», sagt Malika Fettak, Operations Manager bei Biosphere Expeditions. Auf der anderen Seite, fügt sie hinzu, hätten auch die Reisenden einen Gewinn: Gemeinsam mit einem Wissenschaftler an einem echten Studienprojekt zu arbeiten – das erlebt man schliesslich nicht alle Tage. Und die Aushilfsforscher lernen viel: Vorkenntnisse sind, bis auf ein bisschen Schulenglisch, nicht nötig, um zur Schneeleopardenforschung ins Altaigebirge zu fahren, zum Walschutz auf die Azoren zu fliegen oder in der Tatra Gämsen, Wölfen und Bären auf der Spur zu beiben. «Feldbiologie ist wie Briefmarkensammeln», erklärt Fettak, «nach einem Tag Schulung kann das eigentlich jeder.»

«Fernreisen nur alle zwei bis drei Jahre»

Tourismus schadet der Umwelt – sollte man am besten gar nicht mehr verreisen? TourismusExperte Hansruedi Müller verneint dies klar. Herr Müller, schwedische und deutsche Tourismusforscher haben ausgerechnet, dass Lohas, die ja einen nachhaltigen Lebensstil pflegen wollen, durch viele Flugreisen hauptverantwortlich für den Klimawandel sind. Können Sie dem zustimmen? Hansruedi Müller: Diese Rechnung ist mir zu einfach. DerTourismus verursacht global ja nur vier bis sechs Prozent aller CO2-Emissionen. Innerhalb des Tourismus wiederum gehen 40 Prozent der Emissionen auf das Konto von Flugreisen. Macht man diese beiden Einschränkungen, würde ich der Aussage zustimmen, denn es ist wahr, dass Lohas häufiger und weiter verreisen als andere Gruppen. Müssen wir uns von Ferien in Destinationen, die nur per Flug erreichbar sind, verabschieden, wenn wir die Erde retten wollen? Die Erde müssen wir überhaupt nicht retten, die kommt auch ohne uns klar. Wir sollten aber unsere eigene Zukunft sichern, und da bereitet ein überhitzter Tourismus tatsächlich Probleme: Oft verursacht jemand in seinen Ferien genauso viel CO2-Emissionen wie im restlichen Jahr. Hinzu kommt, dass die Emissio-

nen eines Flugzeugs in grossen Flughöhen etwa dreimal so stark wirken wie die gleiche Menge am Boden. Das wird mit dem so genannten RFIFaktor berücksichtigt. Allerdings, das soll auch gesagt sein, begeben sich längst nicht alle mit dem Flugzeug an ihren Ferienort. Die schädlichen Auswirkungen eines Fluges auf das Klima kann jeder Passagier kompensieren, etwa bei myclimate.org. Ist das wirklich ein sinnvolles Mittel oder doch nur Ablasshandel für ein ruhiges Gewissen? Es ist beides gleichzeitig. Natürlich ist es Ablasshandel, weil wir damit für unsere «Sünden» bezahlen. Andererseits ist Kompensation etwas, das man wirklich tun kann – hier und jetzt. In diesem Sinne ist es ein gutes Instrument. Bezeichnenderweise tun Kritiker der Kompensation meist gar nichts, sondern fliegen weiter munter um die Welt. Es gibt verschiedene Kompensationsorganisationen. Nun sagen Kritiker, dass nicht alle gleich gut seien, da sich die konkreten Projekte unterschieden: Wiederaufforstung sei weniger sinnvoll als Investitionen in Energiesparmassnahmen und erneuerbare Energien. Gibt es Ratings, an denen man sich orientieren kann? Die einzelnen Projekte werden sehr

genau beobachtet und bewertet. Jene von Myclimate sind recht gut. Der wirkliche Zankapfel zwischen den Organisationen dreht sich um die Frage, wie teuer eine Tonne CO2 ist. Atmosfair, eine deutsche Organisation, die sich auf Flugreisen spezialisiert hat, rechnet mit dem RFI-Faktor, was die Tonne teurer macht, als sie bei Myclimate ist. Das führt dazu, dass Unternehmen ihre Kompensation lieber bei Myclimate kaufen. Hier gibt es also einen StandortWettbewerb. Wenn man Nachhaltigkeit und Umweltschutz ernst nimmt: Muss man dann nicht radikal sein und zu Hause bleiben? Das ist kein gangbarer Weg. Reisen hat eine zu grosse Faszination auf uns alle. Eine Gesellschaft, die nicht mehr reisen darf, würde sich sicher nicht zum Positiven entwickeln. Zudem sind auch viele Länder und Regionen auf den Tourimus angewiesen. Es gibt jedoch andere, weniger radikale Vorschläge: Fernreisen sollte man sich nur alle zwei bis drei Jahre gönnen, dann aber länger verweilen. Für eine Woche in die Rocky Mountains zum Skifahren – das ist unverantwortlich. Natürlich sollte man auch die verursachten Schäden kompensieren. Zwischendurch kann man die Nähe entdecken –

das tun ja auch viele. Allerdings wäre es noch besser, wenn sie umweltschonend anreisen würden. Mit Hansruedi Müller sprach Sermîn Faki. Professor Hansruedi Müller ist Direktor des Forschungsinstituts für Freizeit und Tourismus an der Uni Bern. Sein Spezialgebiet ist Ökomanagement im Tourismus.


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