Lebenslinien 2012, Blickpunkt, espresso, Ingolstadt

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BLICKPUNKT Die Wochenzeitung f端r Ingolstadt und die Region

Lebenslinien 2012 Januar bis Juni


Inhalt 04

Falco-Manager Horst Bork aus Ingolstadt

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Walther C. Bechstädt und seine Bilder

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Spielertrainer Denis Dinulovic

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Anja Lößel auf einer oberbayerischen Alm

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Ingolstadts 1. Faschingsprinzessin Traudl Riebel

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Ingolstädterin kämpft um die Freilassung

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Rodger Klingler war in Brasilien im Gefängnis

ihres Vaters

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Maler Hans Steber

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Der ehemalige Rennfahrer Werner Dimperl

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Werner Roß war Bundesliga-Schiedsrichter

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Tobias Mayers kurioser Trip

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Martin Reißig und seine zwei Berufe

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Silla Pilsners tierische Abenteuer

30

Franz Etsberger Braumeister bei Nordbräu

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Augenfacharzt Bilal Ibrahim

34

Yojo Christen aus Altmannstein

75

Teona Gubba-Chkeidze

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Ulrike Mommendey und ihr Beruf

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Walter Anspann und die Fußballwelt

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Fritz Böhm und seine Geschichte

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Walter Haber und die Prominenten

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Paul Schönhuber und seine Buchhandlung

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Marion Hofer und ihre Tattoos

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Klaus Schirmers will Energiekosten senken

48 Der Arzt Harald Renninger


Lebenslinien im Januar 2012


Foto: Schmatloch Seite 4

Januar 2012


Der Piranha im Haifischbecken

Warum der erfolgreiche Falco-Manager Horst Bork aus Ingolstadt gar nicht daran denkt, den Fuß vom Gas zu nehmen Wenn er an der marmornen Bar in der Küche seines Hauses sitzt, die Nase andächtig über ein Glas Pavillon Rouge 2005 hält und dabei mit unglaublicher Eloquenz erzählt, wie aus dem kleinen Provinzredakteur von einst ein arrivierter und über die Maßen erfolgreicher Manager geworden ist, wird man sich schnell bewußt, wie lächerlich das Unterfangen ist, ein Leben wie das von Horst Bork in ein paar Zeilen packen zu wollen.

„Künstler wollen reich und berühmt werden, Manager wollen nur reich werden.“ Horst Bork Nicht nur bei seiner leidenschaftlichen Liebe zu den Hochgewächsen aus dem Bordelais war ihm seine Nase stets ein treuer Ratgeber. Auch in beruflicher Hinsicht konnte er sich immer auf sie verlassen. Er kann Erfolg riechen wie andere Rasierwasser, und er versteht es meisterlich, diesen untrüglichen Sinn in bare Münze umzusetzen. „Künstler wollen reich und berühmt werden“, schmunzelt Horst Bork, die Finger noch immer an seinem Glas Rotwein, „Manager wollen nur reich werden.“ Und das hat er quasi nebenbei geschafft, als er sich in Januar 2012

gar nicht warten auf das kleine Glück. Denn dank eines kleinen beruflichen Umweges über die Plattenfirma Teldec stieß er auf einen Musiker, der aus dem kleinen Glück schnell ein großes machen sollte. Und der hieß Johann Hölzel, war Bassgitarrist in der Wiener Anarcho-Band „Drahdiwaberl“ und wild auf eine Solokarriere. So kam es, dass er eines Tages bei Horst Bork an seinem Hamburger Arbeitsplatz auftauchte, mit einer Tonbandrolle unter dem Arm. „Der Song, den er mir vorspielte, war alles andere als ein großer Kracher“, erinnert sich Bork. Auf die „eher verzweifelte Frage“ allerdings, ob er denn auch ein Lied für die damals sogenannte B-Seite hätte, packte Hölzel einen Song aus, der seinen Weltruhm begründen sollte: Der Kommissar. Aus Johann Hölzel wurde Falco, aus seinen Songs viele Nummer-eins-Hits in Europa und den USA. Über 60 Millionen Tonträger gingen über die Ladentische und machten ihn zu einem reichen Weltstar. Und mit ihm Horst Bork. Eine Wand seines Ingolstädter Hauses ist übersäht mit Goldenen und Platinschallplatten und lässt den Erfolg erahnen, den der Wiener Ausnahmestar und sein bayerischer Manager bis Allzu lang indes musste Horst Bork zu Falcos Tod im Jahre 1998 hatden 70er Jahren nach seiner Ausbildung zum Redakteur bei Ariola als Pressesprecher anheuern ließ. Denn dort lernte er schnell neben den Mechanismen des internationalen Musikgeschäfts den legendären Manager Hans Beierlein kennen, ursprünglich Journalist wie er selbst und der Mann, der unter anderem für den Welterfolg von Udo Jürgens verantwortlich zeichnet. Bork heuerte bei ihm als Assistent an. Von ihm lernte er das Künstlermanagement in all seinen Facetten kennen, den Handel mit Rechten natürlich auch, mit dem sich leidlich verdienen lässt. Einer der genialsten Coups seines Lehrmeisters Hans Beierlein war es wohl, als er sich die Rechte für die „Internationale“ weltweit gesichert und es so geschafft hatte, dass ihm die damalige DDR jedes Jahr 100 000 Mark an Tantiemen überweisen musste. Es war eine perfekte Schule für Horst Bork, die er gut gebrauchen konnte, als er sich kurze Zeit später von dem italienischen Schlagerstar Salvatore Adamo als Manager verpflichten ließ. „Ein kleines Glück wird einmal groß, und wenn du warten kannst dann fällt es auch in deinen Schoß“, war einer seiner großen Songs.

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ten. Für Horst Bork auch darüber hinaus. Denn die meisten Rechte an Falcos Songs liegen bei Horst Bork. Und diese Songs werden auch heute noch fließig gespielt, im Radio, in Revuen und Musicals, im Fernsehen. „Falco wird auch heute noch immer wieder neu entdeckt“, schwärmt Bork von seinem einstigen Superstar. Und dank Falco wurde Horst Bork sogar selbst zur Kinofigur. In dem biografischen Spielfilm „Falco - Verdammt, wir leben noch“, der vor allem in Österreich ein großer Kassenschlager war, verkörpert Christian Tramitz den quirligen Ingolstädter. Die noch immer sprudelnde Einnahmequelle namens Falco verschafft Horst Bork eine beneidenswerte Freiheit. „Ich genieße den Luxus, dass ich es mir heute aussuchen kann, wen ich noch manage.“ Sich entspannt zurückzulehnen, was er selbstredend könnte, ist Horst Borks Sache jedenfalls nicht. „Dafür macht dieser Beruf viel zu viel Spaß. Und meine Kontakte und Verbindungen in alle Welt will ich nicht einfach brach liegen lassen“. Auch wenn er in diesem Jahr 63 wird, denkt er gar nicht daran, den Fuß vom Gas zu nehmen oder gar auszusteigen aus diesem Haifischbecken, wie er seine berufliche Wahlheimat nennt und in dem er selbst zumindest ein nicht zu unterschätzender Piranha ist. „Mir wäre fürchterlich fad“, meint er schmunzelnd in dem für ihn so typischen Idiom aus Schanzerischem Bayerisch und Wiener Dialekt, wohl eine Reminiszenz an die vielen Jahre Seite 6

mit Falco. Und eine Reminiszenz an die lange Freundschaft mit dem Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann. Denn auch um dessen kulinarische Erfolge „kümmert“ sich Bork seit vielen Jahren, um dessen Kochbücher, die Erlebnisgastronomie, die er in den Spiegelzelten quer durch Deutschland viele Jahre praktiziert hat, um Pasteten und Messer, die den Namen Witzigmann tragen. Neben der Musik sind die lukullischen Seiten des Lebens die zweite große Leidenschaft des überzeugten Ingolstädters, der nie den Drang verspürt hat, in irgend eine Metropole zu ziehen. Obwohl er seine Büros in München und New York hat, leben will er lieber im beschaulichen Ingolstadt. Auch wenn er kaum mehr als fünf Tage pro Monat zu Hause ist. „Würde ich in München wohnen, dann hätte ich wohl ständig Besuch von Künstlern, Köchen oder Rechtsanwälten. Hierher nach Ingolstadt kommt niemand.“ Was so selbstredend auch nicht stimmt. Der skifahrende und fotografierende und natürlich ebenfalls von Horst Bork gemanagte Jet-Set-Prinz Hubertus von Hohenlohe, Enkel des letzten spanischen Königs, ist quasi Dauergast im Hause von Marianne und Horst Bork, Blacky Fuchsberger war ebenso häufig da wie „Highlander“ Christopher Lambert. Denn in seinem „Stall“, wie Horst Bork seine Firma HBC Consulting scherzhaft bezeichnet, finden sich längst nicht nur Musiker, die er managt. „Als die ersten mp3-Player auf den Markt kamen, war mir schnell

klar, dass in Zukunft zwar sehr viel Musik konsumiert, aber nicht bezahlt wird.“ Bork sollte Recht behalten. Das Musikgeschäft hat sich radikal verändert. „War die Goldene Schallplatte früher mal das Zeichen für eine halbe Million verkaufter Platten, genügen heute 100 000 für diese Auszeichnung“. Seinem Instinkt folgend kümmert sich der agile Manager heute nicht nur um Musikrechte aus längst vergangenen Tagen und Sterneköche, mit denen er Bücher ebenso produziert wie Fernsehshows. Mit Florian Zimmer hat er beispielsweise einen überaus hoffnungsvollen deutschen Magier und Illusionisten im Portfolio, der, davon ist Horst Bork überzeugt, das Zeug zu einem zweiten Copperfield hat und der auch schon in Michael Jacksons Villa Auftritte hatte. Auch der Musicalstar Thomas Borchert, der derzeit in Stuttgart in „Rebecca“ zu sehen und hören ist, trägt den Stempel des Ingolstädter Managers. Und schließlich, da „Essen mehr ist, als nur satt zu werden“, ist Horst Bork auch noch selbst als Gastronom im Rennen. Zusammen mit dem Witzigmann-Schüler Jörg Bachmeier betreibt er in der Nähe des Münchner Viktualienmarktes das Edelrestaurant und Hotel „Blauer Bock“. Und sollte alles so kommen, wie Horst Bork es plant, wird er demnächst auch noch das Weingut von Hubertus von Hohenlohe im südlichen Spanien auf Vordermann bringen. Nun ja, die richtige Nase für guten Wein hat er ja. (msc) Januar 2012


Foto: Bรถsl Januar 2012

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„Es sollte halt nicht sein!“

Warum sich Spielertrainer Denis Dinulovic trotz vierer verpasster Profichancen den Spaß am Fußball nicht nehmen lässt Es ist der Traum vieler junger Nachwuchsfußballer – einmal Bundesligaprofi. Gefeiert von Tausenden von Fans, Millionen verdienen und schließlich der Sprung in die Nationalmannschaft schaffen. Nicht mal ein Prozent aller Freizeitkicker in Deutschland schafft diesen Schritt. Oftmals ist es nur ein schmaler Grad. Denis Dinulovic hat dies selbst erlebt. Dreimal stand er kurz vor diesem Traum vieler. „Es sollte halt nicht sein, ich hatte eine schöne Zeit bei meinen Stationen. Das Einzige was schade ist, dass ich nie im Herrenbereich unter Profibedingungen trainieren konnte. So konnte ich nie am Limit arbeiten“, sagt Denis Dinulovic mit einem Lächeln, als er seinem Kaffee schlürft. Ohne Groll schaut der jetzige Spielertrainer des ST Kraiberg auf ereignisreiche sechs Jahre zwischen 1997 bis 2003 zurück, als er gleich dreimal an einer Profikarriere vorbei schrammte. „Angefangen hat alles beim TV in Ingolstadt. Wobei, da war es so, dass der Gedanke nicht in die Richtung Profifußball gegangen ist! Ab dem Zeitpunkt, wo ich zur A-Jugend von 1860 München gekommen bin, ist es schon konkreter geworden. Damals habe ich gegen Spieler wie Owen Hargreaves, Zvjezdan Misimovic, Alexander Streit oder Steffen Hofmann geSeite 8

spielt“, so der 31-Jährige. Es folgte der erste Karriereknick. Nach dem Abgang von Trainer Hans-Jürgen Gittel, der drei Spieltage vor Saisonende aufhörte, stoppte der neue Coach Jürgen Weil den Aufstieg des Nachwuchstalents. Der damalige Kapitän des U18-Teams hatte dort unter dem neuen Trainer keinen leichten Stand und verließ den Verein im Streit. „Ich wurde so ungerecht behandelt von einem Mann, der mich überhaupt nicht kannte. Gerade als Jugendlicher ist es Wahnsinn. Ich wollte dort schon ganz mit dem Fußballspielen aufhören“, erinnert sich Denis Dinulovic. Nach zweimonatiger Pause vom Fußball konnte ihn sein Vater zum Weitermachen überreden. „Junge, es wäre doch schade, wenn du nicht weitermachst. Du hast so viel Talent“, kann sich der Kraiberger noch gut an die Worte seines Förderers erinnern. Höhen und Tiefen beim FCA Was folgte war der nächste Karrieresprung. Der damalige Jugendtrainer des FC Augsburg Heiner Schuhmann rief das damals 18-jährige Talent an, ob dieser nicht zum Probetraining beim ehemaligen Drittligisten vorbeischauen wolle. Unter 70 Probespielern stach der Youngster sofort heraus. „Nach zehn Minuten wurde mir gesagt, du kannst

nach oben gehen, der Liberoposten ist für dich reserviert“, verrät der gebürtige Slowene und er ergänzt: „Das war der Startschuss, wo man gedacht hat, es kann was werden mit der großen Karriere. Das Jahr in Augsburg war gigantisch von Null auf 100. Da dachte ich mir, hoppla da ist was möglich.“ Nach einem halben Jahr hatte er sich so gemausert, dass er zu den Topnachwuchsleuten des Vereins gehörte und dann sogar auf dem Wunschzettel einiger Bundesligisten, wie dem MSV Duisburg oder von Borussia Mönchengladbach, stand. Denis Dinulovic entschied sich jedoch zu bleiben. Doch auch hier sollte wieder ein Trainerwechsel die Profikarriere verhindern. Nach dem Abgang von Gerd Schwickert bei den Profis folgte Alfons Higl, der jedoch den Youngster nicht mehr in den Profibereich hochziehen wollte. So folgte die Trennung. Der Nachwuchsmann verlor aber auch dank der Unterstützung von Familie und Freunden nicht die Hoffnung. „Wenn man hart arbeitet, bekommt man auch etwas. Man darf nie aufgeben. Das ist mein Credo!“, stellt der Fußballer klar. Was folgte war ein Neubeginn beim TSV Rain. Beim Landesligisten fing der lange Weg zurück in den Fußballalltag an. „Ich hatte immer noch den Spaß am Fußball gehabt, aber der Weg zurück war schwer“, entJanuar 2012


sinnt sich Denis Dinulovic. Nach einem Jahr beim TSV entschied er sich für den Wechsel zurück in die alte Heimat. Die Station MTV Ingolstadt, sollte jedoch nur ein kurzes und wenig positives Kapitel in seiner Spielerkarriere bleiben. Beim damaligen Bayerligisten lief vieles nicht wie gewünscht. „Ich bin dort nicht richtig zum Zuge gekommen. Da war die Profikarriere eigentlich schon abgehackt, nach dem ich in der Rückrunde einen Schien- und Wadenbeinbruch hatte“, so der Kicker. Dritte Profichance Burghausen Als vieles auf ein Karriereende hindeutete, gab es wieder einen Hoffnungsschimmer am Firmament. „Mit meiner Rückkehr nach Rain ist alles erst so richtig losgegangen. In der Herrenmannschaft wechselte ich von der Liberoposition ins Offen-

Foto: Bösl Januar 2012

sive Mittelfeld. Das war mein Durchbruch. Dann sind viele Leute wieder auf mich aufmerksam geworden“, erinnert sich der Spieler des ST Kraiberg immer noch gerne zurück. Mit jedem Tor stieg das Interesse an dem jungen Mann. Vor allem der damalige Zweitligist Wacker Burghausen hatte den Offensivmann auf dem Wunschzettel. Doch zur Überraschung vieler lehnte er das erste Angebot des Klubs ab. „Ich sah mich nie als herausragenden Fußballer und hatte damals mein ganzes Umfeld dort und wollte es nicht verlassen. Es war nicht so der Ehrgeiz da, dies aufzugeben. Wenn ich heute mich entscheiden müsste, würde ich es wohl anders machen“, verrät Denis Dinulovic. Nach vielen Überredungskünsten aus dem privaten Umfeld und dem Willen es noch mal Wissen zu wollen, nahm er dann doch noch die Chance war und unterschrieb einen Vorvertrag.

Auch hier deutete nun wieder alles auf den Sprung in die Profimannschaft unter Rudi Bommer hin. Und dann der nächste Schock. Kurz vor Ende der Saison kam es ausgerechnet zum Duell zwischen Wacker Burghausen II und dem TSV Rain in der Landesliga. Ein Spiel, was der 31-Jährige nicht so schnell vergessen sollte. In der Partie riss er sich das linke Kreuzband, als ein Gegenspieler ihm von hinten in die Beine grätschte. Die Folge - kein Vertrag und das endgültige Ende des Traums. Auch beim dritten Anlauf war die mögliche Profikarriere tragisch gestoppt. Aber der Leidensweg war noch lange nicht vorbei. Nachdem er sich wieder in Rain erholt hatte und wieder zu alter Form lief, liefen die Angebote von Spielerberatern aus dem Inund Ausland ein. Sowohl der einstige Regionalligaclub SC Verl, als auch Erstligisten aus Griechenland und Österreich klopften an der Tür. Und wieder stoppte eine Verletzung den Profitraum. Ein Mittelfußbruch machte auch diese Gelegenheit zu nichte. Nach insgesamt zehn Jahren in Rain, in der er in 260 Spielen 170 Tore schoss, ging er nach einer zwischenzeitlichen Station in Pipiensried (Landesliga) schließlich zurück in die Region nach Kraiberg. „Es war mir nicht vorbestimmt und vielleicht fehlte mir am Ende auch der notwendig letzte Wille um es zu schaffen“, sagt der Fußballer mit einem Lächeln und nimmt den letzten Schluck aus der Kaffeetasse. Und wer weiß, vielleicht schafft er es doch noch in den Profifußball – diesmal aber als Trainer. (ca) Seite 9


Foto: Mitic Seite 10

Januar 2012


„Die Stimmung war unbeschreiblich!“

Ingolstadts erste Faschingsprinzessin Traudl Riebel über närrische Zeiten damals und heute „1956 wurde ich zur ersten Faschingsprinzessin gekürt und heute, genau 56 Jahre später, kommen Sie zu einem Interview. Das ist wirklich ein sehr schöner Zufall“, begrüßt uns Traudl Riebel herzlich und freut sich sichtlich über das Interesse an ihrer Person, das nach so vielen Jahren immer noch besteht. Eine lange Zeit ist seit ihrer damaligen Amtszeit vergangen, doch ihre Begeisterungsfähigkeit für den Fasching hat sie immer noch nicht verloren. Und davon können wir uns selbst überzeugen, als wir ihre gemütliche Stube betreten, in deren Wohnzimmer uns ein prächtig dekorierter Esstisch erwartet, liebevoll dekoriert mit kleinen Faschingshütchen und Luftschlangen, die für das passende Faschingsambiente sorgen. „Seit 1956 hat sich so einiges verändert und das ist auch gut so“, berichtet Traudl Riebel, nippt an ihrer Kaffeetasse und bietet uns einen Faschingskrapfen an. Auch die Narrwalla hat in den vergangen Jahren nicht geschlafen: „Aus einfachen Dingen wurden prachtvolle Dinge geschaffen. Unsere Garde hat unheimlich dazu gewonnen. Früher war das Januar 2012

alles noch anders“, erinnert sie sich. Die Kleider beispielsweise waren im Gegensatz zu einem heutigen Kostüm nicht ganz so extravagant. Der Stoff, aus dem diese damals geschneidert wurden, war äußerst empfindlich. In den meisten Fällen wurde Fahnenseide benutzt, ein nicht gerade strapazierfähiges Material. „Ich kann mich noch gut an mein Kleid erinnern, das ich auch bei meinen Turniertänzen getragen habe. Eine Schneiderin hat es mit dann „prinzessinnen würdig aufgemotzt“. Dann hatte ich noch eine Staatsrobe mit einer langen Schleppe, die für besondere Anlässe reserviert war.“ Sie benötigte als Prinzessin auch in der Tat mehr als ein Kleid, da die Leute engen Körperkontakt suchten und dabei aufgrund des weniger strapazierfähigen Materials meistens ein mehr oder weniger großes Malheur mit dem Kleid passierte. Traudl Riebel hatte sich vor 56 Jahren nicht bewusst für das Amt der Faschingsprinzessin beworben. Es war ihr Prinz, Hans Riebel, der darauf bestanden hatte, dass sie seine Prinzessin werden sollte und keine andere. So stach

sie zwei potentielle Prinzessinnen aus und bekam den Zuschlag. „Mein Prinz, der auch Hans der Lederne genannt wurde, da seine Eltern damals das Ledergeschäft Riebel führten, war davor nicht nur mein Tanzpartner mit dem ich zusammen Turnier tanzte, sondern auch im wirklichen Leben mein Traumprinz“, erinnert sie sich schmunzelnd an die Zeit zurück. „Man suchte damals für das Amt des Prinzen einen Ingolstädter, der nicht ganz unbekannt war und so fiel die Wahl auf ihn. „Für meinen Hans war es klar, dass er das Amt nur mit mir zusammen antreten würde. So kam es, dass ich Ingolstadts erste Faschingsprinzessin wurde.“ Auf die Frage, was denn ihr schönstes Erlebnis aus dieser Zeit gewesen sei, lässt die Antwort nicht lange auf sich warten: „Das war eindeutig im Donaukurier.“ Den „Überfall“, den sie und ihr Prinz damals auf Dr. Willhelm Reissmüller, den ehemaligen Inhaber und Verleger des Donaukuriers ausgeübt hatten, meisterte er mit Bravour und viel Charme, obwohl er sonst eher zu den Faschingsmuffeln zählte: „Er bot mir sofort seinen Stuhl an, auf dem ich ich mich in der Tat wie eiSeite 11


ne Prinzessin fühlte, die auf ihrem Thron sitzt“, schwelgt Traudl Riebel in alten Erinnerungen. „Das gesamte Personal des Donaukuriers brachte uns Huldigung entgegen und überraschte uns mit tollen Fantasiegebilden auf den Köpfen, die sie spontan mit Toilettenpapier und sonstigen auffindbaren Utensilien kreiert hatten“, fügt sie lächelnd hinzu. Auch die Schlüsselübergabe, die im Unterschied zur heutigen Zeit noch im Historischen Sitzungssaal des Rathauses stattfand, hat sie in guter Erinnerung behalten. Wie es sich für eine Prinzessin gehört, wurden sie und ihr „lederner“ Prinz mit einer Kutsche zum Rathausplatz gebracht, wo sie bereits von Hunderten von Menschen jubelnd erwartet wurden. Nicht einmal die klirrende Kälte, die an diesem eisigen Wintertag manch einem heutzutage die Faschingslust verdorben hätte, konnte die Ingolstädter damals davon abhalten, ihr allererstes Prinzenpaar in mit großer Freude in Empfang zu nehmen. „Der mit großen Kronleuchtern festlich geschmückte Saal imponierte mir schon gewaltig. Und als wir nach der Schlüsselübergabe auf den Balkon hinaustraten, um unseren „Untertanen“ eine Huldigung, nämlich das Heioho, zuzurufen, war das ein wahnsinnig schönes Gefühl.“ Die Stimmung, die war unbeschreiblich und einzigartig. Es herrschte ausgelassene FröhSeite 12

lichkeit und Dankbarkeit, dass der Krieg und somit die harte Zeit der zahlreichen Entbehrungen endlich vorbei waren. Nur wenige Leute besaßen 1956 überhaupt einen Fernseher. Die Faschingszeit wurde daher sehnsüchtig und voller Vorfreude erwartet. Die Menschen waren ausgehungert nach Musik und guter Stimmung. Die ganze Stadt war auf den Beinen und alle wünschten sich vor allem eines: Feiern und das Leben genießen! So waren die Kapazitäten der Festsäle erschöpft. In einem Saal, der für 1000 Menschen bestimmt war, tummelten sich über 14000 Feierlustige. „Das kam uns natürlich entgegen. Wir hatten schon ein leichteres Feld, da die Leute einfacher zu begeistern waren, als es heute der Fall ist“, erinnert sich Traudl Riebel und zeigt uns einige alte Bilder aus ihrem Fotoalbum, auf denen die Stimmung und die glücklichen Gesichter der Menschen dies eindeutig bestätigen können. Sie und ihr Prinz waren als geübtes Turniertanzpaar längst keine Anfänger auf dem Parkett und schwangen gekonnt das Tanzbein. Davon ließ sich das Publikum mächtig beeindrucken und mitreißen. Ein Glas Sekt oder auch Cognac, Getränke die damals wahrlich zu den Luxusgetränken zählten, wurde schon mal als Belohnung für die schöne Tanzeinlage von den Zuschauern spendiert. „Die Leute waren begeistert und haben uns mächtig

angefeuert und Tänze wie zum Beispiel den Rumba, den Tango oder auch einen Paso Doble zu tanzen.“ Auf unsere Frage, ob sich die Bedeutung der Faschingszeit über die vielen Jahre hinweg verändert habe, antwortet sie fest überzeugt: „Ja, sogar sehr! „Früher war der Fasching in Ingolstadt sensationell. Die ganze Stadt hat sich schon Wochen vorher auf die närrische Zeit vorbereitet und konnte es kaum erwarten, dass es endlich losging. Auch lag eine ganz andere Spannung in der Luft. Gehen die jungen Leute heutzutage überwiegend paarweise feiern, hoffte man vor 56 Jahren auf den Faschingsbällen seinen Schwarm zu treffen oder womöglich jemanden kennenzulernen: „Die Vorfreude und vor allem die Aufregung waren riesig. Wir dachten uns: da geh‘ ich hin und seh‘ vielleicht den oder treff‘ jemanden.“ Traudl Riebel, die übrigens zu ihrer großen Freude von der Ingolstädter Faschingsgesellschaft beim Krönungsball letztes Jahr einen Orden verliehen bekommen hatte, ist sehr glücklich, dass sie dies alles erleben durfte. Am meisten überrascht es sie, dass die Ingolstädter ihr nach all den Jahren immer noch die Treue halten.“Die Zeit war wie im Märchen, doch jedes hat auch ein Ende. So kann ich nur sagen: Es war einmal...“ (dm) Januar 2012


Foto: Privat Januar 2012

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Foto: Reichelt Seite 14

Januar 2012


Die Hölle im Paradies

Rodger Klingler verbrachte mehrere Jahre in einem brasilianischen Gefängnis Das Leben unter der brasilianischen Sonne - ein Traum für viele Menschen. Palmen, Strand und wunderschöne Frauen. Klingt für einen Mann nach dem perfekten Leben. Das Paradies an der Copacabana - für Rodger Klingler wurde es zur Hölle. Heute steht der mittlerweile 47-Jährige hinter der Theke der S-Bar in Ingolstadt und verkauft Hot Dogs. Fröhlich und eloquent unterhält er sich mit den Kunden. Nichts erinnert an seine Vergangenheit, an die Hölle, die er in Brasilien durchlebte. In seinem Buch „Ein Kilo Paradies“ erzählt Klingler die Geschichte eines jungen Mannes, der einem Traum hinterherjagte und sich in einem Albtraum wiederfand. Klingler hatte keine leichte Jugend. Als er zwölf Jahre alt war, trennten sich seine Eltern. „Ich musste mich entscheiden, bei wem ich bleiben sollte, und entschied mich für meinen Vater. Das hat mir meine Mutter nie verziehen. Später habe ich mich dann auch noch mit meinem Vater zerstritten.“ Er war gerade 15 Jahre alt, als er zuhause auszog und in einem fränkischen Restaurant eine Lehre als Koch begann. Schon damals träumte er von einem Leben an der Copacabana. Und die fehlende soziale Bindung machte ihm die Entscheidung leicht: „Als ich meine Ausbildung beendet Januar 2012

hatte, hielt mich nichts mehr davon ab, diesen Traum zu verwirklichen. Ich wollte dort wirklich ein neues Leben beginnen.“ Ein Leben, dass sich anfänglich wirklich als traumhaft erwies. „Sonne, Meer, Frauen – alles hat gepasst“, schwärmt Klingler noch heute. Doch der Alptraum ließ nicht lange auf sich warten. Nach etwa neun Monaten in Brasilien rutschte Klingler immer mehr in die Drogenszene ab. „Ich hatte davor nie Kontakt mit Drogen.“ In seinem Buch klingt das so: „In meinem Kopf hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits der Teufel eingenistet und mir ein abenteuerliches Leben in Saus und Braus vorgegaukelt. Woher aber hätte ich wissen sollen, auf was ich mich da einlassen würde? Die Wirkung von Kokain war jedoch so überirdisch schön, ja – göttlich!“ Irgendwann fasste er den fatalen Entschluss, ein Kilo Kokain nach Deutschland zu schmuggeln und es dort zu verkaufen, um sich nicht mehr als Koch abrackern zu müssen. Den Rückflug buchte er für Weihnachten 1984. Es kam, wie es kommen musste: Der brasilianische Zoll fand den Stoff, den er in kleinen Päckchen in seine Jacke genäht hatte. „2000 Dollar und ich lasse dich gehen, aber nur, weil heute Weihnachten ist“, bot ihm der Zöllner an, doch Klingler hatte nur noch 300 Dollar in seiner Brieftasche.

„Wenn man noch auf zwei Beinen das Zimmer verlassen konnte, war das ein großes Glück“, schreibt Klingler in seinem Buch über die Behandlung bei der Flughafen-Polizei. Mit ihm ging man noch glimpflich um: „Auch ich bekam Tritte und Faustschkäge!“ Er wurde nach Agua Santa verlegt, ein Hochsicherheitsgefängnis, in dem er ganze neun Monate auf seine Verhandlung warten musste, bei welcher er zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. „Man muss bedenken, dass Brasilien zu dieser Zeit im Umbruch war, sich von einer Militärdiktatur zur Demokratie entwickelte. Es gab viele politische Strömungen und auch viele politische Gefangene. Die Gefängnisse hatten Hochkonjunktur, es gab viele Aufstände und Revolten hinter den Gefängnismauern“, erklärt Klingler. Mit 50 anderen Gefangenen hauste Klingler auf 30 Quadratmetern. Das Essen war miserabel und es gab so gut wie keine Medikamente. Ein Umstand, der Klingler beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Von einem Mithäftling wurde er schließlich gerettet. Der bestach einen Wärter und kam so an Antibiotika heran um Klinglers Fieber zu senken und ihm so das Leben. Mit seinem Lebensretter Alois, einem Holländer, verstand sich Klingler bestens. Doch das war die Ausnahme: „Ich hatte nur zu wenigen der Gefangenen wirklichen Seite 15


Kontakt.“ Ein Fluchtversuch der beiden durch einen Tunnel, der von Alois geplant worden war, misslang. Während all dieser Zeit im Gefängnis lernte er perfekt Portugiesisch, was ihn bei Brasilianern beliebt machte, auch bei den anderen Gefangenen. Am schlimmsten war es , wenn es zu Revolten kam. „Die Polizei ließ erst einige Zeit vergehen, bevor sie eingriff. Dann aber schoss sie auf alles, was sich bewegt. Die Gefängnisse sind nur von außen bewacht, die Gefangenen sind sich selbst überlassen. Waffen sind natürlich an der Tagesordnung. Da ist man als Unbeteiligter plötzlich mittendrin in so einem Aufstand und muss Angst haben, den Tag nicht zu überleben. Über Leichen laufen zu müssen, zuzusehen, wie jemand neben dir erschossen wird, das war Alltag“, erinnert sich Klingler an die dunkelsten Tage im Gefängnis. Besonders enttäuscht war er vom deutschen Konsulat: „Die haben keinen Finger für mich krumm gemacht. Lediglich etwas Geld habe ich bekommen, wofür ich auf Knien betteln musste. Mir wurde nur gesagt, dass ich Deutschland befleckt hätte.“ Nach insgesamt vier Jahren in den Gefängnissen Agua Santa, Galpao und Lemos de Brito wurde Klingler entlassen dann und kehrte nach Deutschland zurück. Zuerst nach Nürnberg, wo er durch eine neue Ausbildung allmählich wieder zu einem normalen Leben zurückfand. Später zog er wegen seiner jetzigen Frau nach Ingolstadt. Das ist nun sechs Jahre her. Trotz all seiner Erfahrungen, all der grausamen Erlebnisse ist Klingler der geblieben, der er vorher war. „Man ist wie man Seite 16

ist, auch im Gefängnis. Ein wenig aber habe er sich doch verändert: Er sei verroht und viel demütiger geworden. Verständlich nach all dem, was er gesehen hat. Bereuen kann er die Zeit dennoch nicht. „So eine Erfahrung dich auch weiterbringen und größer werden lassen. Auch im dunkelsten Loch gibt es noch ein Licht. Man muss es nur erkennen“, betont er und fügt hinzu: „Natürlich war es ein Fehler. Aber ich bin trotzdem froh, diese Geschichte weitererzählen zu können. Ein wenig scheint Klingler auch nach seinem Gefängnisaufenthalt in Brasilien vom Pech

verfolgt. Nachdem vor sieben Jahren die Idee zum Buch gereift und der Roman erschienen war, meldete der Verlag nur zwei Wochen nach der Veröffentlichung Insolvenz an. Auch ein Drehbuch hat Klingler aus seinen Erlebnissen geformt. „Es ist mein großer Traum, diese Geschichte auf der Leinwand zu sehen.“ Aber noch sucht er einen Produzenten, der seinen Albtraum auf die Leinwand bringt. (kr) Das Buch „Ein Kilo Paradies“ ist unter der Mail-Adresse ein-kilo-paradies@gmx.de für elf Euro erhältlich.

Januar 2012


Foto: Privat

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Lebenslinien im Februar 2012


Der die Blumen liebt

Hans Steber will Maler aber kein Künstler sein Er gehört zur „Alten Garde“ der Ingolstädter Künstler. Auch ein Schlaganfall und Kehlkopfkrebs hindern ihn nicht daran, immer weiter zu malen: der Maler Hans Steber. Obgleich viele seine Bilder lieben und kennen, ohne zu wissen, dass sie von ihm sind, gibt sich Hans Steber sehr bescheiden: „Ich habe mir nie viel eingebildet auf meine Malerei. Wenn die Leute zu mir gesagt haben: „Ach, Sie sind ein Künstler!“, da habe ich geantwortet : „Nein, ich bin kein Künstler, ich bin ein Maler. Ich bin als Ingolstädter Maler bekannt, ich bin der Steber Hansi, mit an „i“ wia der Kanarienvogel!“ Steber hat Ingolstadts Bild in der Öffentlichkeit geprägt. Das überregional bekannte Bild vom Ingolstädter Christkindlmarkt, das seit mehr als 10 Jahren Februar 2012

in der Weihnachtszeit als Plakat und Anzeige in den Medien verwendet wird, stammt von ihm. Auch auf dem Ingolstädter „Sales Guide“, also Einkaufsführer, der als Marketinginstrument im ganzen Bundesgebiet gestreut wird, zierten von 1991 bis 2001 Bilder von Steber das Titelblatt. Zu den Abnehmern seiner Bilder zählen auch die Eltern von Karin Seehofer. „Die Familie Stark aus Schamhaupten, ganz reizende Leute, wie auch die Karin, die haben mich einmal angerufen, ob ich nicht ihr Anwesen malen könnte. Der alte Stark, zwischenzeitlich ist der leider gestorben, hat mich dann auf einen Berg hinauf geführt, von dem ich einen Blick auf sein Anwesen hatte. Da habe ich es skizziert und zu Hause gemalt und ihm natürlich verkauft - nicht gerade billig. Das waren ja keine armen

Foto: Käbisch

Leute! Dann hat er mich später noch mal angerufen und gesagt, Sie müssen mir unbedingt das Bild nochmal malen. Mein Bruder aus Berlin hat es mitgenommen. Da habe ich zweimal verdient!“ Und nicht ohne Stolz fügt er hinzu: „Mit den Seehofers und Starks bin ich „per du“, wie auch mit dem Hermann Regensburger. Der Hermann und der Horst haben früher im Landratsamt gearbeitet. Und ich in der AOK, praktisch auf der anderen Straßenseite. So haben wir uns kennen gelernt.“ Mit dem Malen hat Hans Steber 1980 angefangen. Da war er in Südtirol beim Skifahren und hat Ingolstädter Maler Hermann Wallrap getroffen, der dort auch gemalt hat. „Dem habe ich beim Malen zugeschaut und war ganz begeistert. Da habe ich ihn gefragt, ob ich nicht einmal mit ihm zum Malen geSeite 19


hen könne. Ich müsse erst mal einen Malkurs machen, hat er mir klar gemacht. Auf seine Empfehlung hin habe ich dann in Neuburg bei Professor Itzinger erstmal einen 14-tägigen Kurs belegt. Das war der Anfang meiner Malerei.“ Die im Neuburger Kurs entstandenen Bilder zeigte er dann Wallrap, was diesen offenbar beindruckte. „Also morgen gehen wir zusammen zum Malen“. Mit diesen Worten Wallraps begann eine lange „Malerfreundschaft“: „Und von da an bin ich bis zu seinem Tod im Jahr 1989 immer mit ihm zum Malen gegangen. Mit dem hab ich gemalt wia der Deifi! Wir sind zwei bis dreimal in der Woche gegangen. Da habe ich sehr viel gelernt. Viel mehr als an der Universität.“ Die Begeisterung Stebers ist heute noch unüberhörbar. In Neuburg hat dann bis 1984 fortwähend Malkurse belegt. Wegen erheblicher Probleme mit der Bandscheibe wurde Hans Steber 1985 vorzeitig pensioniert. „Ich hatte Beschwerden, aber keine fortwährenden Schmerzen; so bin ich dann ab 1986 an die Universität in Eichstätt als Gasthörer gegangen.“ Bei Professor Rindfleisch und anderen Dozenten hat er sechs Semester studiert.„Meine erste Ausstellung hatte ich mit dem Kunstkreis Neuburg beim Zett in Ehekirchen. Jeder durfte fünf Bilder mitbringen. Von mir haben Sie vier angenommen. Eins haben sie abgelehnt, weil es eine Ähnlichkeit mit einem anderen hatte. Als dann die Ausstellung zu Ende war, hatte der ganze Kunstkreis drei Bilder verkauft. Aber von meinen vier Bildern waren auch drei verkauft Seite 20

worden.“ Da sei er mächtig stolz gewesen, bekennt Steber und berichtet von seinem ersten „Auftritt“ in Ingolstadt: „1983 bin ich einmal in die Neue Galerie, also ins MO zur Kraus Liesl gegangen und habe gefragt: „Du Liesl, könnte ich bei dir nicht mal mit ausstellen!“ „Du?“ hat die geantwortet. „Du kannst doch bloß saufen und blöd daher reden!“ Ich habe dann aber einfach ein paar Bilder vorbei gebracht und dann hat sie gemeint, ich könne schon mitmachen. Schon bei der ersten Ausstellung habe ich zwei oder drei Bilder verkauft. Da bin ich immer narrischer geworden!. Von da an habe ich praktisch jedes Jahr im MO mit ausgestellt.“ Hans Steber bevorzugt Motive aus seiner Heimatstadt, sowie Blumen und die Landschaft der Toskana. Besonders Blumen sind seine Leidenschaft. „In der Toskana habe ich auch sehr oft gemalt. Da bin ich einmal auf einen Markt gegangen. Dort hat einer Bilder mit Rahmen verkauft. Da habe ich gesagt, das Bild will ich nicht, aber den Rahmen. Dann hat er mir für 40 DM den Rahmen verkauft und ich habe gleich noch in der Toskana ein Bild mit Mohnblumen gemalt. Das war vom Feinsten!“ Früher hat der Künstler viel in Öl gemalt. Wegen einer Erkrankung hatte er sich dann aber mit den ätherischen Ölen und dem Terpentin Probleme. Jetzt bevorzugt er Acryl und fertigt viele Aquarelle und Federzeichnungen. Wenn er in Urlaub fährt, habt er immer seinen Zeichenblock dabei und wirft 20, 30 oder 40 Federzeichnungen als Skizzen aufs Papier. Zu Hause in Ingolstadt setzt er diese Skizzen

dann in bunte Bilder um. „Ich bin ein Impressionist oder ich möchte halt einer sein. Farbe und Licht sind das Wesentliche des Impressionismus und auch in meiner Malerei.“ Die französischen Impressionisten wie Cézanne, Monet oder Manet haben ihn schon immer begeistert. Auch die deutschen Impressionisten, wie der Liebermann oder der Corinth sind meine Vorbilder.“ Ein einziges Mal hat er ein abstraktes Bild gemalt und ausgestellt. „Da hat die Presse gleich geschrieben: „Hans Steber geht neue Wege.“ Da habe ich gleich wieder damit aufgehört.“ Hans Steber liebt auch die Musik. Er habe aber in jungen Jahren kein Instrument erlernt, weil er „ein fauler Hund“ gewesen sei. „Ich bin halt ein musischer Mensch. Über das Rechnen brauchen Sie sich mit mir nicht zu unterhalten!“ Auch jetzt, von schwerer Kankheit einigermaßen erholt, lebt er für die Malerei: „Was tät‘ ich denn den ganzen Tag, zu viel gehen kann ich nicht nach meinem Schlaganfall. Die Malerei ist halt für mich das Höchste.“ Je nachdem, wie es ihm gerade geht, malt Hans Steber manchmal noch10 oder 20, zumeist kleinformatige, Bilder in der Woche. „Manchmal sind es auch nur zwei oder drei. Es kommt natürlich auch auf das Format an. Großformatige Bilder strengen mich sehr an, da ich sie im Stehen malen muss. Ein Aquarell kann man nicht im Sitzen malen, weil sonst die Farbe verläuft“ erläutert er. Im Atelier arbeitet er kaum noch; die meisten Bilder entstehen jetzt im Esszimmer. Da ist er näher bei seiner Frau, deren Hilfe er jetzt öfter benötigt. (hk) Februar 2012


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Böse Fouls und heiße Derbys

Werner Roß war jahrelang Bundesliga-Schiedsrichter – der Fußball lässt ihn einfach nicht los 22 Spieler jagen bei Wind und Wetter einer Kugel hinterher, fallen immer wieder hin – und am Ende gehen alle duschen: Auch wenn Fußball für manche sinnlos erscheint, ist es für viele doch die schönste Nebensache der Welt. Die richtig guten Spieler werden wie Helden verehrt. Aber es gibt noch eine Person auf dem Fußballfeld – und die mag eigentlich keiner so recht. Im Schiedsrichter wird nicht selten der Schuldige für unberechtigte Niederlagen, bittereTränen und erschütternde Skandale ausgemacht. Nicht gerade ein Traumjob also? Der ehemalige Bundesliga-Referee Werner Roß sieht das anders. „Ich würde es heute noch genauso machen, würde den gleichen Weg einschlagen“, sagt der 67-Jährige. Sein Weg war ein geradliniger, gerechter und vor allem ehrlicher. Und ein sportlicher: „Sport war immer mein Leben, immer meine Leidenschaft“, sagt er. Selber Kicken durfte der gebürtige Ingolstädter nie. Der strenge Vater erlaubte es nicht. Auch deshalb griff Werner Roßald zur Pfeife. „Ich war oft Zuschauer beim ESV. Als wir über den Eisenbahnsteg nach Hause gegangen sind, waren wir meistens traurig und verärgert über die Schiedsrichter. Ich dachFebruar 2012

te mir dann, dass ich das besser kann“, erzählt er:„Aber das kann man ja nur beweisen, wenn man es selber macht.“ Im Alter von 19 Jahren begann die Schiedsrichter-Karriere des Postboten. Mit gerade einmal 26 leitete er bereits Bundesliga-Partien als jüngster seiner Zunft. „Ich hatte das Gespür dafür, weil ich einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn habe“, sagt er. Eben diese Fähigkeit schätzten viele Trainer und Spieler an ihm, obwohl auch Roß freilich nicht fehlerfrei blieb. In einem Bundesligaspiel zwischen dem VfL Bochum und dem Hamburger SV etwa gab er einen Strafstoß, der zum 2:1-Sieg der Bochumer führte - obwohl es kein Foul war. Branko Zebec, der damalige Coach des HSV, kam nach dem Spiel zu Roß, aber nicht um ihn wüst zu beschimpfen oder ihn für die Niederlage verantwortlich zu machen. „Nein, Zebec erklärte mir, dass er den Elfmeter auch gegeben hätte. Er verstand meine Entscheidung, weil er ebenfalls diesen Blickwinkel hatte. Damit war die Sache vorbei.“

sich einfach gern erinnert.“ Welche Wertschätzung er in Fußballdeutschland genoss, wurde spätestens im Jahr 1982 klar: Roß sollte am 23. Januar die Partie Arminia Bielefeld gegen Werder Bremen pfeifen. Alles andere als eine ganz normale Begegnung, denn im Hinspiel hatte eine der hässlichsten Verletzungen in der Bundesliga-Geschichte für Schlagzeilen gesorgt. Dem Bielefelder Ewald Lienen war bei einem Foul von Norbert Siegmann der Oberschenkel im wahrsten Sinne des Wortes aufgeschlitzt worden. Mit einer 25 Zentimeter langen, tiefen Risswunde rannte Lienen wutentbrannt auf Werder-Trainer Otto Rehhagel zu, den er offenbar für das Foul verantwortlich machte. Er soll seinen Spieler angestiftet haben. Hochexplosive Stimmun herrschte da also vor dem Rückspiel in Bielefeld. „Rehhagel saß mit einer Bleiweste auf der Bank und wurde von Leibwächtern eskortiert.“ Doch Werder-Präsident Franz Böhmert hatte vor dem Spiel betont: „Wenn der Roß pfeift, können wir beruhigt hinfahren!“ Er sollte Recht behalten, denn der Unparteiische leitete die Partie gewohnt souverän und ließ keinerlei Unruhe aufkommen.

Auch international war Roß im Einsatz, beispielsweise in Belgien, Italien, Ungarn oder in den Niederlanden. „Das sind alles Auch die Derbys zwischen Schalschöne Momente, an die man ke und Dortmund oder dem FC

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Bayern und dem TSV 1860 München sind für Roß unvergessene Stationen seiner Schiri-Karriere. „Einmal hatte ich Angst“, erzählt er. Es war das letzte Spiel der Saison und Schalke war nach einer Heimniederlage gegen Köln abgestiegen. 3000 Fans kamen aufs Spielfeld. Doch sie begannen nur zu singen: „Wir kommen wieder!“ Roß stand stets zu seinen Fehlern, Probleme mit aufgebrachten Fans oder Kritik an seinen Entscheidungen hatte er nicht, wie er betont: „Der Schiedsrichter hindert dich manchmal am Gewinnen - so sehen es die Anhänger, das ist doch klar. Aber wenn 80 000 Fans in Dortmund schreien, da gibt es nichts Schöneres.“ Roß pfiff aus Leidenschaft, und das nicht nur in der Bundesliga. Stand er am Samstag nicht in den großen Stadien der Bundesliga, leitete er Spiele in der Region. 1982 beendete er nach zehn Jahren seine BundesligaKarriere. „Es war zu viel Stress, auch wegen der Arbeit. Ich musste ja ständig einen Ersatz finden“, räumt er ein.„Ich habe dann selber bestimmt, wann ich aufhöre.“ Seine Leidenschaft lässt ihn aber nicht los: „Wenn ich ein Spiel schaue, beobachte ich meist nur den Schiedsrichter.“ Böse Worte fallen dabei nie, sagt er. Denn Roß weiß, wie anspruchsvoll Seite 24

dieser Beruf ist. „Mittlerweile haben es die Jungs noch schwerer - aber sie werden auch anständig bezahlt.“ Roß erhielt damals pro Spiel 24 Mark, heute verdienen die Schiedsrichter fast das 200-fache. Geändert hat sich aber nicht nur die Vergütung: „Heutzutage wird alles im Fernsehen gezeigt,. Für uns war ein Spiel im Fernsehen etwas Besonderes, da warst du richtig stolz.“ Auch nach seiner aktiven Zeit blieb Werner Roß dem Fußball treu. In 19 Jahren als Schiedsrichter-Beobachter half er internationalen Top-Leuten wie Wolfgang Stark oder Felix Brych auf ihrem Weg. Beim Bayerischen Landessportverband (BLSV) sitzt er im Aufsichtsrat. Und beim FC Ingolstadt ist er Repräsentant – mit Leib und Seele.„Das war schon Wahnsinn, dass Peter Jackwerth und Franz Spitzauer mich dafür wollten“, sagt er und schiebt augenzwinkernd nach: „Komm Werner, mach die Putzfrau, hätten die beiden auch sagen können.“ Leidenschaftliche Worte von einem Mann, der immer zur Stelle ist, aber lieber nicht im Fokus steht. „Egal wer, wo oder was, ich helfe, wo ich kann, aber ich bleibe im Hintergrund.“ Eine Einstellung, die er auch als Unparteiischer verkörperte. „Jeder einzelne ist wichtig, nicht nur Spieler und Schiedsrichter.“ Roß hatte und hat immer seine eigene Meinung und vertritt diese auch.

Deswegen ist er heute noch beliebt bei ehemaligen Kollegen. Erst vor kurzem traf er in Dortmund auf Eugen Strigel, der ihn gleich begrüßte: „Werner, darf ich dich zu deinem Platz bringen? Du bist einmalig!“ Für Veränderungen im Fußball macht er sich nur bedingt stark. Doch er bezieht klar Stellung. „Eine Torkamera habe ich 1972 schon gefordert, sie würde helfen.“ Mehr sollte sich aber kaum wandeln am Regelwerk. Fußball sei einfach eine ganz besondere Leidenschaft. Wenn Roß in die Zukunft schaut, spürt man seine positive Einstellung. „Ich bin sicher, dass wir nicht absteigen dieses Jahr.“ Wir, sagt er, und meint den FC Ingolstadt 04, der wieder um den Klassenerhalt in der zweiten Bundesliga ringt. Und Roß meint wirklich den ganzen Klub. „Ich bin so ein wenig die Mutter Teresa des Vereins“, sagt er lächelnd. Auch die Perspektive des deutschen Fußballs sieht er rosig. „Wir haben gute Chancen, Europameister zu werden. Aber man sollte auch mit dem Halbfinale zufrieden sein.“ Zufrieden ist er auch mit sich, seiner Vergangenheit und der Welt. Und es klingt so einfach, wenn Werner Roß sagt: „Man sollte sich nicht verbiegen lassen und an die Menschlichkeit glauben.“ (kr) Februar 2012


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Im Wohnmobil unterwegs

Martin Reißig hatte zwei Berufe und dennoch viel Zeit zum Reisen Später bereiste das Ehepaar Reißig mit dem Wohnmobil von Portugal bis an die Ostgrenze der Türkei vor allem südliche Länder. Auf dem Plan steht noch eine komplette Umrundung des Mittelmeers. Zunächst geht es aber möglicherweise nach Norden: sobald es der gesundheitliche Zustand seiner Ehefrau, die um die Jahreswende am Herzen operiert Der Träger des Bundesverdienst- wurde, erlaubt, wollen beide die kreuzes am Bande ist nicht nur Ostsee mit dem Wohnmobil umZahnarzt, sondern war auch lange runden. Jahre Vorstand der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns. Nach den schönsten ReiseerinUngeachtet dieser Doppelbela- nerungen befragt, muss Martin stung fand er immer genügend Reißig nicht lange nachdenken: Zeit, um - vorzugsweise mit dem „Das war einmal ein SonnenaufWohnmobil - andere Länder zu gang auf dem Wayna Picchu in MP in Peru. Meine Frau und ich bereisen. waren mit dem Ehepaar Am„Zwei Reisen durch Süd- und berger unterwegs und erlebten, Nordamerika und eine durch Süd- wie die Sonne über den Anden ostasien - das waren die am wei- aufging. Nicht minder beeindrutesten entfernten Reiseziele, die ckend war ein Sonnenuntergang meine Frau Karin und ich besucht in der Türkei, abermals auf einem haben. Da waren wir natürlich mit Berg: Am Nemrut Dagi, 2206 Medem Flugzeug unterwegs. Anson- ter hoch, in Mesopotamien sahen sten bin ich mit meiner Frau mit wir, umgeben von in Stein gehaudem Zelt, Wohnwagen und später enen Göttern, deren am Boden dann mit dem Wohnmobil gereist. liegende Köpfe ich auch fotograUnser erstes Reiseziel war der fiert habe, wie die Sonne im TauGardasee. Um mit ihr dort hinfah- rusgebirge versank.“ ren zu dürfen, mussten wir uns erst verloben. Ansonsten hätten Angst vor einsamen Gegenden die späteren Schwiegereltern kei- kennen Martin Reißig und seine ne ,Reiseerlaubnis‘ erteilt.“ Frau nicht. „Es ist uns schon passiert, dass nachts in freier Natur In der „Liebl-Klinik“ am Kreuztor geboren, mit „Schutterwasser“ getauft: Martin Reißig ist ein waschechter Ingolstädter. Als er am Reuchlin-Gymnasium in die Schule ging und dort das Abitur machte, ahnte er nicht, dass er im Jahre 1974 direkt neben der Schule seine Praxis als Zahnarzt eröffnen würde.

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in der Türkei jemand an unser Wohnmobil geklopft hat. Die Einheimischen wollten uns dann zu sich nach Hause einladen, weil sie meinten, wir könnten dort ruhiger und komfortabler schlafen. Wir haben aber dankend abgelehnt, weil unser Wohnmobil nicht nur in sanitärer Hinsicht große Vorteile bot.“ Im letzten Jahr war das Ehepaar vier Wochen lang mit dem Geländewagen in Afrika unterwegs: Namibia, Botswana und Simbabwe wurden Anfang Februar in Angriff genommen, nachdem Martin Reißig Ende Januar offiziell als Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns verabschiedet worden war. Die „neue Freiheit“ wollte Martin Reißig genießen, nachdem er zuvor sechs Jahre lang als Zahnarzt und Vertreter seines Standes einer Doppelbelastung ausgesetzt war. Bereits vor seiner sechsjährigen Amtszeit, die im Dezember 2010 endete, war Martin Reißig schon 1990 zum (damals noch ehrenamtlichen) Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung gewählt worden. In dieser Zeit, als Horst Seehofer Gesundheitsminister in der Regierung Kohl war, verhandelten beide miteinander. Der Vertreter der bayerischen Zahnärzte wollte Seite 27


sein Konzept der „Vertrags- und Wahlleistungen“ durchsetzen. „Der mündige Bürger sollte einen vollen Anspruch auf Leistungen seiner Krankenkasse haben, Wunschleistungen aber selbst tragen.“ Seehofer, mit dem er sich eigentlich schon einig war, musste aber mangels Mehrheit der Regierung Kohl im Bundesrat auf Vorstellungen der Sozialdemokraten Rücksicht nehmen, so dass der Plan scheiterte. Frustriert von diesem „Ausflug in die Gesundheitspolitik“ trat Martin Reißig 1993 von allen Ämtern zu-

„Am Nemrut Dagi in Mesopotamien sahen wir, umgeben von in Stein gehauenen Göttern, wie die Sonne im Taurusgebirge versank“ Martin Reißig rück und widmete sich nur noch seiner Praxis. Doch schon 2004 wurde er wieder gerufen: die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns war in „schweres Fahrwasser“ geraten und die Staatskanzlei hatte einen Kommissar aus dem aufsichtsführenden Ministerium eingesetzt, um die Lage unter Kontrolle zu halten. Martin Reißig, den man zutraute, die Gemüter zu beruhigen und zu vermitteln, Seite 28

wurde zum neuen Vorstandsvorsitzenden gewählt und übte ab 2004 das Amt hauptberuflich aus. Nachdem wieder „geordnete Verhältnisse“ herrschten, zog er sich Ende 2010 freiwillig zurück. Besonders gefreut hat er sich, als er im Jahr 2009 aus den Händen des Bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer das Bundesverdienstkreuz am Bande erhielt. Die Wertschätzung Seehofers dokumentiert auch eine Videobotschaft des Ministerpräsidenten: Da Horst Seehofer bei der offiziellen Verabschiedung im Januar 2011 persönlich nicht anwesend sein konnte, schickte er ein Video, indem er Martin Reißig bestätigt, dass sich dessen Konzept, das dieser in den neunziger Jahren schon realisieren wollte, nunmehr durchgesetzt habe. Eine nette Geste des Ministerpräsidenten, mit dem sich Martin Reißig, der wie Seehofer in Gerolfing wohnt, auch in den Zeiten, in denen man unterschiedliche berufspolitische Positionen einnehmen musste, gut verstand. Seine Heimatstadt Ingolstadt schätzt der weit gereiste Zahnarzt sehr: „Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie schlecht die wirtschaftliche Lage in den siebziger Jahren hier war. Ingolstadt hat sich grandios entwickelt. Das

geplante Hotel- und Kongresszentrum hält er für sehr wichtig. „Ich habe in meiner Eigenschaft als Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns zahlreiche Veranstaltungen organisieren müssen. Dabei habe ich den Eindruck gewonnen, dass Kongresse außerhalb von München oder Nürnberg gern besucht werden. Aufgrund meiner Erfahrung kann ich sagen, dass es sehr sinnvoll ist, neben einem Kongresszentrum ein Hotel zu bauen. Dieses Hotel sollte auch über mindestens 600 Betten verfügen. Veranstalter haben es nicht gern, wenn die Kongressteilnehmer auf mehrere Hotels verteilt werden müssen. Ich hoffe nur, dass man hier nicht, wie bei der „dritten Donaubrücke“, bei der die vierte Fahrspur heute doch sehr stark vermisst wird, einen „faulen Kompromiss“ eingeht, sondern ein Zentrum errichtet, das den Anforderungen, die Veranstalter stellen, gerecht wird.“ Angst davor, dass das neue Bauwerk auf dem Gießereigelände die Wirkung des historischen Neuen Schlosses beeinträchtigen könnte, hat Martin Reißig nicht. „Das Stadttheater beweist doch, dass man alte und neue Architektur sehr gut kombinieren kann.“ (hk) Februar 2012


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Der Mann fürs Besondere

Franz Etsberger war mehr als 40 Jahre lang Braumeister bei Nordbräu (kr) Der Bayer an sich ist ein stolzer Mensch, stolz auf sein Bayern und noch stolzer auf sein bayerisches Bier. Natürlich gebraut nach dem Reinheitsgebot von 1516. Wer nach Bayern kommt, muss feststellen: Bier ist in Bayern ein grundlegendes Lebensmittel – dafür ist Franz Etsberger der beste Beweis. Über 40 Jahre arbeitete er mit Leib und Seele bei der Firma Nordbräu.

„Stillstand ist Rückgang“ Franz Etsberger Als Sohn eines Biersieders, so wie der Bierbrauer damals noch hieß, wurde Etsberger sein späterer Beruf praktisch in die Wiege gelegt. „Es war zu dieser Zeit oftmals üblich, dass der Sohn das gleiche lernt, wie der Vater“, erklärt Etsberger. „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, blickt er auf die Anfänge seiner Ausbildung zurück. „Mit gerade 14 Jahren ging es täglich bereits um fünf Uhr los. Wir mussten das Bier in Holzkisten oder Fässern auf die Bierautos laden. Bevor man dann die Ladung mit einer Plane abdecken konnte, wurden die Fässer in Eis eingepackt um sie Februar 2012

zu kühlen“, erzählt Etsberger von an sich gelernt.“ Nach der dreijährigen Ausbilseiner Arbeit. dung, verbrachte er seine BunEtsberger erlernte den Beruf des deswehr-Zeit bei den Pionieren Brauers und Mälzers. Als Mälzer- in Ingolstadt. „Diese eineinhalb lehrling musste er die keimenden Jahre haben zu meiner Reife beiMalzhaufen umschaufeln und getragen und mir sicherlich nicht sauber aufstechen. Eine äußerst geschadet“, gibt Etsberger ofmühsame und gekonnte Arbeit. fen zu. Nach dieser Pionierszeit „Der Stolz eines Mälzers war, und einigen Praktika als Geselwenn man eine Wasserwaage da- le in verschiedenen Brauereien, rüber legen oder gar eine Schnur folgte die Ausbildung zum Brauspannen konnte.“ Auf der Darre und Malzmeister. Direkt nach wurde das Malz getrocknet und dem Abschluss 1969 kam er als geröstet, bei 80 Grad Celsius! Betriebskontrolleur zum BrauBei diesen Temperaturen muss- haus Oberhaunstadt, wie die te man täglich drei Tonnen Malz Brauerei Nordbräu zu dieser Zeit herunter schaufeln. Aber auch noch hieß. in den kalten Kellern musste der Lehrling in die Holzfässer schlüp- Bereits vier Jahre später stieg der fen und diese von innen mit Bürs- junge Etsberger zum 1. Braumeite und Schrubber sauber machen. ster der Brauerei Nordbräu, die Denn Reinlichkeit und Sauberkeit 1971 umbenannt wurde. „An erwar schon immer das 1. Gebot eines Bierbrauers“, betont Ets„Ich habe nicht nur fachliches, berger. Was heute die Elektronik sondern auch das Arbeiten an steuert, musste man selber mit der sich gelernt“ Feuerung steuern: „Wir mussten besonders viel RegulierungsgeFranz Etsberger fühl beim Biersieden erlernen, so dass die Maische nicht anbrannte ster Stelle stand immer gutes Bier oder die Sudpfanne überkochte.“ mit gleichbleibender Qualität zu Trotz anstrengenden Aufgaben, brauen“, bemerkt Etsberger fügt war die Lehrzeit in Ehekirchen, aber einen weiteren wichtigen Etsbergers Heimatort, eine schö- Punkt hinzu. „Für mich war es imne Zeit. „Ich habe nicht nur fach- mer auch wichtig, an Neuentwickliches, sondern auch das Arbeiten lungen zu arbeiten. Den ErfinderSeite 31


geist hatte ich immer schon, es hat mir Spaß gemacht, an neuen Dingen zu arbeiten.“ Dieses Gespür für Innovationen führte auch zur Erfindung des alkoholfreien Bieres Promillus. „Wir waren 1976 die dritte Brauerei weltweit, die ein solches Bier braute.“ Auch bei der Rezeptur des Privat Pilsener hat er entscheidend mitgewirkt. Dass der Erfindergeist auch nach hinten los gehen kann, musste Etsberger allerdings auch feststellen. „Ich wollte aus Bierhefe ein Vitaminprodukt herstellen, denn die Bierhefe an sich ist sehr vitaminreich. Diese habe ich dann mit Zucker, in diesem Fall einen caramellisiertem Sirup versetzt. Es war wirklich ein hervorragendes Produkt, welches ich selber als Versuchskaninchen in großen Mengen zu mir genommen habe. Letztendlich war es allerdings nicht ganz gelungen, denn die Hefe fing im Magen an zu gären. Es ist oben und hinten wieder heraus gekommen, aber wir haben schon so viel über diese Geschichte gelacht“, erzählt Etsberger und kann sich selber ein Lachen nicht verkneifen. Auch diese Geschichte brachte ihn jedoch nicht von seinem zukunftsorientierten Denken ab, denn: „Stillstand ist Rückgang.“ 1979 stieg er zum Prokuristen, 1986 zum technischen Geschäftsführer auf. Auch als die Grenzen zur DDR geöffnet wurden, baute er in Thüringen eine Brauerei mit auf, bei welcher er Seite 32

ebenfalls als Geschäftsführer fungierte. Ein Meilenstein den Etsberger miterlebte war 1993 die Anerkennung der Jesuiten Quelle als natürliches Mineralwasser. Es wurde eine eigene Jesuiten Quelle GmbH gegründet, bei welcher er ebenfalls als Geschäftsführer agierte. 1993 gab es außerdem noch einen anderen wichtigen Aspekt in der Geschichte von Nordbräu, den Etsberger mit vorantrieb. „Wir waren die Ersten, die ein Hefeweizen nicht klar und mit viel Kohlensäure herstellten, sondern genau umgekehrt. Das 93er Weizen, so wie es heute noch heißt, war trüb und hatte einen deutlich geringeren Gehalt an Kohlensäure. Deshalb ist das Bier so bekömmlich.“ Eine weitere Neuheit, die Etsberger Anfang des Jahrtausends einführte, ist der Eisbock. „Jeder hatte einen Bock, aber wir haben eben den Eisbock“, sagt er nicht ohne ein stolzes Grinsen. Dabei war es wieder Drang von Etsberger etwas Besonderes zu machen. Eine alte Geschichte half ihm auf die Sprünge. „Ich habe in einem alten Buch eine Geschichte gelesen. Da ging es darum, dass ein Bierbrauer die Bierfässer auf dem Hof vergessen hatte und diese Holzfässer über Nacht aufgrund der Kälte aufplatzten. Der Brauer musste zur Strafe das Eis aufhacken und stellte dabei fest, dass in der Mitte des Eises ein ganz besonderes Gebräu entstanden war.

Als ich diese Geschichte gelesen hatte, haben wir experimentiert. Das Bier wurde sehr stark eingebräut, wie es bei einem BockBier üblich ist, und mit einem speziellen Gefrierverfahren im Lagerkeller nochmal gezielt gefroren. Dabei gefriert natürlich nicht der Alkohol, die Stammwürze oder das Süße, sondern das Wasser. Damit wird das Bier noch stärker und noch süffiger.“ Beim anschließenden Starkbierfest war der Eisbock natürlich das Highlight. Durch den Aufschwung und den Zuwachs an Mitarbeitern mussten die Anlagen für eine höhere Kapazität und Qualität ausgebaut werden. Einen Aufschwung den Etsberger nicht nur begleitete sondern mit anschob. „Man muss mit Leib und Seele dabei sein. Ich habe mich mit Firma und Produkt völlig identifizieren können. Der Aufbau und Aufschwung vom Brauhaus Oberhaunstadt zur heutigen Firma Nordbräu war für mich eine Lebensaufgabe“, betont der ehemalige Braumeister, der sich 2010 in den Ruhestand zurückzog. Auch jetzt ist er noch als Berater für die Firma tätig: „Es ist schön, immer noch helfen zu können. Man sieht auch, dass sich Jung und Alt bei einem offenen und ehrlichen Umgang sehr gut ergänzen können.“ Wie lange er noch aktiv tätig bleibt, ist unsicher:„Solange es noch Sinn ergibt, mache ich weiter.“ Es dürfte also noch lange weitergehen mit Etsberger und Nordbräu. Februar 2012


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Yojos „Hummelflug“

Franz Hummel will seinen Ziehsohn zum Weltstar machen Er schreibt gerade an seiner ersten Oper. Gibt regelmäßig Konzerte. Demnächst erscheint seine erste CD. Das Klavier ist sein Leben. Er ist 15 Jahre alt und ein Ausnahmetalent. Yojo Christen aus Altmannstein wird eine große Zukunft als Pianist und Komponist vorausgesagt. Von Franz Hummel. Und der muss es wissen. Mit vier Jahren hat Yojo das Klavier für sich entdeckt. Seit seinem fünften Lebensjahr wird er vom Komponisten und Pianisten Franz Hummel unterrichtet, seinem Ziehvater. „In seinem Alter war ich pianistisch sehr anerkannt“, sagt er über Yojo, „aber ich war nicht so gut wie er.“ Das klingt wie ein Ritterschlag. Denn der 73-Jährige war, bis er Anfang der 1970er aufhörte, öffentlich zu spielen, einer der besten Pianisten auf dem Globus. Im Kindesalter entdeckt und gefördert von Richard Strauss und Eugen Papst, studierte er Klavier und Komposition und gab Konzerte in ganz Europa. Er nahm Schallplatten mit fast dem gesamten klassisch-romantischen Repertoire und fast ebenso viel mit zeitgenössischer Musik auf. Dann gab er, zumindest öffentlich, das Klavierspielen auf. Seither widmet er sich ausschließlich dem Komponieren. Für sein Musical „Ludwig II. Sehnsucht nach dem Paradies“ wurde in Füssen ein eigenes GeMärz 2012

bäude errichtet. Wenn also einer heißt es, „unheimlich witzig, kreadas Talent von Yojo beurteilen tiv, effektvoll.“ Und „authentisch, couragiert, virtuos“. Er sei „nicht kann, dann er. mehr lange ein Geheimtipp“, urteilt Aber nicht nur, was Yojos Fähig- ein anderes Blatt. keiten als Pianist angeht, ist Franz Hummel voll des Lobes. „Auch Unter Kennern ist der 15-Jährige kompositorisch hat er alles, was ohnehin längst kein Geheimtipp man braucht. Seine Fantasie ist rie- mehr. Er hatte Auftritte in Ingolsig.“ Das imponiert Franz Hummel stadt, Regensburg, München und nicht nur, das treibt ihn an, täglich Friedrichshafen. Im Bayerischen stundenlang mit Yojo zu arbeiten. Fernsehen trat er auf, und in Japan „Er studiert Klavier und Komposi- war er auf Konzertreise. Als kürztion – aber eben nicht an irgendei- lich in Bremen Franz Hummels ner Musikhochschule, sondern bei Oper „Blaubart“ Premiere feierte, mir“, sagt Hummel. Und wer ihn setzte sich Yojo um zwei Uhr früh kennt, der weiß: Das ist überhaupt ans Klavier und spielte ein bisschen. „Da war plötzlich alles still“, nicht überheblich gemeint. sagt Franz Hummel. Und Stille, das Und wenn er Yojo in höchsten Tö- weiß man, ist die größte Anerkennen lobt, dann tut er das nicht, weil nung in unserer lauten Welt. er über seinen Ziehsohn spricht, sondern, weil er überzeugt ist vom „Ich nehme die Musik sehr, sehr Können des Jugendlichen. „Ich war ernst“, sagt Yojo. „Es macht mir in seinem Alter angepasster“, sagt einfach Spaß.“ Vermutlich ist es Hummel, „Yojo ist radikaler.“ Das die Leichtigkeit eines 15-Jährigen, imponiert dem Franz. Denn Ange- die Ernsthaftigkeit und Spaß auf so passtheit, das weiß jeder, der auch einfache Weise zusammenbringt. nur einmal mit ihm auf ein Bier war, Doch von den Flausen eines Pennälers ist bei Yojo so gar nichts Angepasstheit langweilt ihn. zu spüren. „Meiner Meinung nach „Er lobt mich ziemlich oft“, sagt Yo- ist er schon ein ausgewachsener jo, „das find ich schon toll.“ Aber Musiker“, sagt Franz Hummel. „In Anerkennung gibt es nicht nur vom zwei, drei Jahren spielt er auf allen Ziehvater und Lehrer. Die Presse Podien.“ überschlägt sich. „Ungewohnte Ausdruckstiefe“, wird ihm attestiert. Drei, vier Stunden täglich sitzt Yojo „Souverän, spritzig und spontan“, unter den wachen Augen und OhSeite 35


allem an? „Eine gescheite Handhaltung“, weiß Yojo. „So, als wenn man einen Apfel in der Hand hält, unverkrampft.“ So lernt man also Klavier. Seine Erkenntnisse hat der junge Virtuose bereits in einem Lehrbuch zusammengefasst. Die meisten Übungsstücke hat er selbst komponiert. Als junger Komponist zieht Yojo den Hut vor Beethoven, Liszt und Chopin. Und immer wieder spricht er vom Improvisieren. „Es macht mir Spaß, an den Stücken zu arbeiten, eigene Improvisationen zu schaffen.“ Fußball dagegen interessiert ihn zum Beispiel überhaupt nicht.

teressiere mich ziemlich für Politik“, sagt er. „Atatürk hat die Moderne in die Türkei gebracht.“ Das Libretto hat Yojos Mutter Sandra Hummel geschrieben. Yojo erschafft die Musik. „Ich improvisiere, daraus entstehen Teile der Oper“, erklärt er, „andere Teile komponiere ich melodisch durch. Mir fällt immer was ein.“ Kein Wunder also, dass Franz Hummel sagt: „Ich beobachte seine Arbeit mit größter Spannung.“

Yojo wirkt cool, wenn er über seine Kompositionen spricht. Oder nein, eigentlich mehr so, als wäre ihm das alles gar nicht so recht. Weil er doch einfach lieber vorspielt, als drüber zu reden. Er will doch nur spielen. Lampenfieber kennt er nach so vielen Jahren offenbar ohnehin nicht mehr. „Vor ein paar Jahren war es noch schlimmer, jetzt ist das so gut wie weg.“ Ob drei oder 300 Zuhörer, das mache doch keinen Unterschied. Und Franz Hummel sagt: „Ich finde, du bist umso besser, je mehr Leute zuhören.“

Als Pianist hat Yojo keine Vorbilder, wie er sagt. Und er sagt es so, dass man das Gefühl bekommt, diese Frage sei schrecklich uninspiriert gewesen. „Mit seiner Technik kann er alles spielen“, sagt Hummel. „Die muss man sich über Jahre antrainieren.“ Und worauf kommt‘s vor

Yojo im Rampenlicht. In Jeans und Pulli oder T-Shirt, meistens. „Ich zieh da nie einen Anzug an“, sagt er. Franz Hummel lächelt und nickt. Diese Unangepasstheit gefällt ihm so. Denn Kunst, sagt er, „Kunst braucht keine Kleidung. Und schon gar keine Verkleidung.“ (tz)

Foto: Zell

ren Hummels am Klavier. Üben, üben, üben. Darüber hinaus komponiert Yojo. Vier eigene Stücke werden auf der CD zu hören sein, die noch diesen Monat herauskommt. Außerdem sind Werke von Haydn, Mozart, Beethoven darauf. Doch Yojo arbeitet noch an einem viel größeren Projekt. Die ersten Seiten seiner Oper über Kemal Atatürk liegen bereits fertig im Musikzimmer im Riedenburger Froschgässchen. Atatürk, gestorben 1938, war der Begründer der modernen Republik Türkei und erster Präsident der nach dem Ersten Weltkrieg aus dem Osmanischen Reich hervorgegangenen Republik. Wie bitte kommt ein 15-Jähriger auf die Idee, Atatürk zum Thema einer Oper zu machen? „Ich inSeite 36

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Märchen ohne Ende

Ulrike Mommendey hat einen der ältesten Berufe der Welt Sie erzählt Märchen von von Völkern auf der ganzen Welt und schlüpft dabei in die Rollen unterschiedlicher Charaktere. Dabei folgt sie immer dem roten Faden, der sie ans Ziel führt. Ans Ende ihrer Geschichte: Ulrike Mommendey ist Geschichtenerzählerin und besitzt ein großes Repertoire an Erzählungen: Von Mitmach-Märchen für Kinder von vier bis zehn Jahren, die sich durch Singen oder Klatschen beteiligen können, über Märchen für Manager bis hin zu russischen Märchen, bei denen der landestypische Chai mit seinem rauchigen Geschmack das Publikum durch den Abend begleitet. Geeignet sind ihre Geschichten für alle Altersgruppen und Berufsschichten. „So verschieden die Geschichten auch sind, sie erzählen alle das Gleiche und jeder kann für sich das herausziehen, was ihm möglich ist und was er sieht.“ Wenn sie ihre freiberufliche Tätigkeit, die zu den ältesten Künsten der Welt gehört, ausübt, dann lernt sie weder auswendig noch liest sie vor: „Ich gebe die Geschichten nicht wortwörtlich wieder, sondern erzähle sie frei“, sagt sie. „Es ist wie ein Theaterstück, allerdings bin ich keine Schauspielerin, die in ihrer festen Rolle verharrt. Ich wechsele die Rollen und Charaktere der Figuren, die März 2012

in meinen Geschichten vorkommen.“ Dabei ist freilich Improvisation gefragt, denn jede Geschichte entsteht beim Erzählen neu. Ob eine Passage ausgebaut oder verkürzt werde, sei ganz allein von der Reaktion des Publikums abhängig. Wer bisher dachte, Geschichtenerzählen sei etwas für Kinder, der irrt. „Kinder brauchen Märchen und Erwachsene auch, denn sie überliefern wichtige Botschaften für Generationen und dienen als Beispiele zur Lebensentwicklung und zur Gestaltung von Beziehungen“, betont Ulrike Mommendey, die in Thüringen geboren ist. Das Geheimnis der Märchen liegt ihrer Meinung nach darin, dass sie jedermann ansprechen und Jung und Alt auf der Ebene erreichen, auf der sich die Person gerade befindet. Märchen seien symbolhafte Beschreibungen und Darstellungen seelischer Prozesse, sagt sie philosophisch – und sie besäßen somit die Kraft, den Menschen bei der Erkennung und Bewältigung von Problemen zu helfen. Doch keine Sorge. Im Gegensatz zu den Kindern werden die Erwachsenen nicht zum Mitmachen animiert. Sie dürfen sich entspannt zurücklehnen, in eine phantastische Welt eintauchen und den Alltag einfach für ein paar Stunden hinter sich las-

sen. Wie sie zum Geschichtenerzählen gekommen ist? Als sie vor einigen Jahren gemeinsam mit einer Freundin eine Märchenerzählerin in Augsburg besucht hat, weckte die Frau den Wunsch in ihr, dasselbe zu machen: „Mir ging sofort das Herz auf und ich dachte: Genau das will ich auch machen.“ Seitdem hat sich Ulrike Mommendey neben ihrer Tätigkeit als Krankenschwester ein zweites Standbein aufgebaut und entführt ihre Zuhörer in Kindergärten, Schulen, unter freiem Himmel, am Lagerfeuer oder auch in ihrem „Märchen(t)raum“, einem faszinierenden Zimmer wie aus Tausend und einer Nacht, der sich bei ihr zu Hause befindet, in eine fremde Welt, die zum Entspannen und Sich-verzaubernlassen einlädt. Die moderne Psychologie hat sich immer wieder mit der entwicklungsfördernden Wirkung der Märchen befasst und beleuchtet, was eigentlich dahinter steckt. Ein Ansatz, über den auch Mommendey zu den Märchen gelangt ist. Sie interessiert sich vor allem für die Geschichte hinter der Geschichte: „Die Märchenwelt ist nichts anderes, als das innere Erleben der Geschichte. All die Figuren, die darin vorkommen, sind Seite 37


Persönlichkeitsanteile von uns selbst, die das Ziel verfolgen, Entwicklungsstufen in der eigenen Persönlichkeit zu durchlaufen.“ So verschieden die einzelnen Geschichten auch seien, sie hätten doch alle dasselbe Kernthema. Ein persönliches Lieblingsmärchen hat die Geschichtenerzählerin, die sich von alten Märchenbüchern aus ihrer Kindheit oder auch klassischen Märchen wie denen der Gebrüder Grimm inspirieren lässt, zwar nicht, jedoch haben es ihr die irischen Märchen besonders angetan. „Die Iren sind tolle Geschichtenerzähler, deren Erzählungen äußerst tiefgründig sind“, sagt sie. „Sie besitzen einen feinen Humor, der mir sehr gut gefällt.“

Was einen guten Erzähler ausmacht? „Er muss auch ein guter Zuhörer sein, da sich Zuhören und Erzählen gegenseitig bedingen“, weiß Mommendey. Und richtiges Zuhören, eine Eigenschaft, die in unserer schnelllebigen Medienwelt immer mehr in den Hintergrund gelangt, bedeute weitaus mehr, als nur zu warten, bis der andere ausgeredet hat. „Zuhören setzt voraus, dass wir für einen Moment unsere eigenen Anliegen hinten anstellen und unsere ganze Aufmerksamkeit auf unseren Gesprächspartner richten.“

Runde die Geschichten zu reflektieren und sich darüber auszutauschen. Ganz besonders in Erinnerung geblieben ist Ulrike Mommendey ein Abend, an dem der russische Kulturkreis in ihren „Märchen(t)raum“ gekommen war: „Für den Kulturkreis war es eine außergewöhnliche Erfahrung, Märchen aus ihrer Kindheit in einer Sprache, die nicht ihre Muttersprache ist, zu hören.“ Am Ende haben sie dann ihre eigenen Lebensgeschichten erzählt. „Für mich war das ein sehr interessantes Erlebnis“, erinnert sie sich.

Nach der Erzählstunde entstünden meistens noch spontane Ge- So konnte auch Ulrike Momspräche, bei denen sich die Ge- mendey einmal in die Rolle des legenheit bietet, in gemütlicher Zuhörers schlüpfen. (dm)

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Vorsprung durch Strategie

Was wären Audi und Ferdinand Piech ohne Fritz Böhm Der Mann ist ein Phänomen: Er ist 92 Jahre alt, liest täglich sechs bis sieben Stunden Zeitungen, Zeitschriften und Bücher bis weit nach Mitternacht und das ohne Brille. Die Rede ist von Ingolstadts Ehrenbürger Fritz Böhm, der maßgeblichen Anteil daran hatte, das die AUTO UNION nach dem Krieg nicht das neue Werk in Düsseldorf baute, der verhinderte, dass aus der eigenständigen Marke Werk 7 im VW-Konzern wurde und der frühzeitig den lange umstrittenen Ferdinand Piech förderte. Fritz Böhm, 1920 in Jägerndorf in der heutigen Tschechischen Republik geboren, kam nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahre 1950 aus russischer Gefangenschaft nach Ingolstadt und begann, obgleich im Besitz einer kaufmännischen Ausbildung, als Lagerarbeiter bei der Auto Union GmbH. Der Politiker Im Gespräch erwähnt Fritz Böhm seine politische Laufbahn und seine Leistungen nur am Rande. Dabei ist er einer der Väter der Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes (1971) und blickt auch auf eine lange politische Laufbahn zurück. Von 1952 bis 1963 und 1978 bis 2000 war er in Ingolstadt Stadtrat und gehörte ab 1958 dem Bayerischen Landtag an, bis er März 2012

1965 in den Bundestag gewählt wurde, wo er bis 1972 aktiv war. Doch das scheint ihm nicht allzu wichtig zu sein und obgleich er in diesen Funktionen politisch viel für die Stadt erreicht hat, wiegen seine Erfolge, die er auf einer anderen beruflichen Ebene erzielte, mehr. Als Arbeitnehmervertreter bei Audi und im VW-Konzern hat er Entscheidungen beeinflusst, deren Tragweite heute fast keiner mehr erahnt. Düsseldorf oder Ingolstadt Im April 1958 hatte Daimler-Benz die Auto-Union GmbH übernommen. Damals wurden in Ingolstadt nur DKW Motorräder sowie die DKW Schnelllaster und für die Bundeswehr entwickelte DKW Geländewagen gebaut. Die gesamte Pkw-Produktion erfolgte in einem Werk in Düsseldorf, das bereits 1950 in Betrieb genommen worden war. Für die Fertigung eines modernen Kleinwagens, von dem man sich viel versprach, sollte ein neues Werk gebaut werden – in Zons bei Düsseldorf, wo bereits die Grundstücke dafür erworben worden waren. Da trat Fritz Böhm, damals Betriebsratsvorsitzender und neues Mitglied im Bayerischen Landtag auf den Plan. „In dieser

Situation habe ich die Politik eingeschaltet. Ich bin mit dem SPDSpitzenmann Volkmar Gabert zum damaligen Ministerpräsidenten Hans Seidl (CSU) gegangen. Wir haben ihm klar gemacht, dass hier etwas getan werden muss, damit das Werk in Ingolstadt und nicht in Düsseldorf gebaut wird. Auch der frühere bayerische Ministerpräsident Wilhelm Högner (SPD) und Franz Josef Strauß (CSU) wurden eingeschaltet.“ Dank Böhms Engagement wurde erreicht, dass nicht nur ein Darlehen der Bayerischen Staatsbank in Höhe von 25 Millionen DM gewährt wurde, sondern dass auch Zuschüsse an das Unternehmen gezahlt und Staatsbürgschaften gegeben wurden. „Mit diesen staatlichen Zusagen haben wir die Kurve bekommen und der Aufsichtsrat des Unternehmens entschied, dass nun das neue Werk in Ingolstadt gebaut werden sollte“, erinnert sich Fritz Böhm. Ohne Böhms Einsatz und den Werksneubau in der Ettinger Straße wäre Ingolstadt heute wohl keine AUDI-Stadt, denn das Zweiradgeschäft brach alsbald zusammen und wurde im Herbst 1958 ganz eingestellt. Die Zukunftspläne des Unternehmens in Gestalt des Kleinwagens „DKW Junior“ wären in Düsseldorf realisiert worden. So aber lief es umgekehrt. Der Standort im Rheinland verlor immer mehr an Bedeutung Seite 41


und wurde schließlich ganz aufge- teil wurde zu einem tragenden Elegeben. ment für das Überleben von Audi. Mit dem Haustarifvertrag wäre der VW wollte „Audi“ begraben Weg zum Werk 7 sehr kurz gewesen“, würdigt Carl H. Hahn die Ver„Für den Fortbestand von Au- dienste des Ingolstädters. Böhms di war Böhm von kaum zu über- weitsichtiges Verhalten hat letztschätzendem Einfluss. Er kannte endlich die Marke Audi vor dem nur die Interessen von Audi.“ Das Untergang bewahrt, worüber man schreibt der frühere Vorstands- in Wolfsburg heute genau so froh vorsitzende des VW-Konzerns sein dürfte wie in Ingolstadt. Carl H. Hahn in seinem Buch: „Meine Jahre mit Volkswagen“ Piechs Qualitäten erkannt über den Arbeitnehmervertreter Fritz Böhm. Hahn wurde Der an sich sehr bescheidene 1982 Vorstandsvorsitzender von Fritz Böhm ist doch ein wenig VW. Audi war damals zwar noch stolz, wenn es um den jetzigen uneine eigenständige Marke, hatte umstrittenen Herrscher des VWaber keine eigene Absatzorgani- Konzerns, also Ferdinand Piech, sation mehr, natürlich auch kei- geht. „Ich war immer einer, der auf nen Vertriebsvorstand. Audi drohte der Seite von Piech stand, weil ich Werk 7 im VW-Konzern zu werden. von allem Anfang an erkannt hatte, was in dem Mann steckt“, schilDamals stand das Ingolstädter dert er seine Beziehung zum LenUnternehmen nicht gut da. Und ker des VW-Imperiums. Piech war das wusste auch Fritz Böhm. „Die am Anfang, auch zu seiner Zeit in Übernahme des Haustarifvertrags Ingolstadt bei Audi durchaus umvon VW durch Audi wäre der „To- stritten. Als stellvertretender Vordeskuss“ gewesen, denn wir wa- standsvorsitzender wartete Piech ren nicht in der Lage, das zu erar- darauf, bei Audi die Nummer eins beiten, was nach diesem Tarifver- zu werden. Als der Vertrag des trag zu bezahlen war“, erklärt er. Vorsitzenden Wolfgang Habbel Böhm plädierte also für niedrigere 1987 verlängert wurde, wollte er Löhne in Ingolstadt, als sie die VW- aufhören. Laut Manager-MagaMitarbeiter in Wolfsburg erhielten zin (Ausgabe November 2011) und riskierte damit Ärger mit der schickte seine Frau Ursula die IG-Metall-Zentrale in Frankfurt. bereits geschriebene Kündigung „Böhm verstand es, seine Kolle- aber nicht ab. Piech gab seinen gen und Mitarbeiter hinter sich zu Stellvertreterposten bei Audi ab, scharen und ihnen sogar klar zu blieb aber Entwicklungschef. Nach machen, dass es für sie besser einem Dreivierteljahr lief Piech in sei, auf Wolfsburger Spitzenlöhne der Vorstandsetage lief es bei Auzu verzichten, das heißt auf den di nicht mehr rund, das UnternehVW-Haustarif. Dieser Kostenvor- men schrieb Verluste und laut MaSeite 42

nager-Magazin wandte sich Fritz Böhm mit den Worten an Piech: „Was kann ich tun, damit Sie sich wieder mehr um das Unternehmen kümmern?“ Fritz Böhm schildert die Situation mit eigenen Worten: „Wie lange wollen Sie denn das Spielchen noch treiben. Sie spielen doch mehr oder minder „toter Käfer“. Wann wollen Sie endlich wieder zupacken?“ Piech formulierte seine Vorstellungen, unter denen er wieder „zupacken“ wollte und Böhm half bei der Umsetzung. „Der Arbeiterführer sorgt dafür, dass Piechs Bitte erfüllt wird: Am 1. Januar 1988 übernimmt der Porsche-Enkel die Vorstandsspitze der Audi AG“, schreibt das Manager-Magazin. Letztendlich wäre Piech ohne Böhm wohl nicht Vorstandsvorsitzender der Audi AG geworden. Auch als Piech zum 1. Januar 1993 Vorstandsvorsitzender von Volkswagen wird, hat Fritz Böhm, der bis 1987/1990 Gesamtbetriebsratsvorsitzender und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von Audi war, hinter den Kulissen den Weg mit bereitet. Aus seinen Worten kann man entnehmen, wie sehr er Piech auch heute noch schätzt: „Piechs Motto lautet: Das Produkt, die Qualität und die Mannschaft müssen stimmen. Ums Geld ging es ihm nie in erster Linie. Ferdinand Piech wird jetzt 75 Jahre alt. Wenn er bis zu seinem 80. Lebensjahr weitermacht, wäre das richtig gut für Volkswagen und natürlich für Audi.“ (hk) März 2012


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Doppelt hält besser

Paul Schönhuber veräußerte seine Buchhandlung zweimal Es gibt sie noch die „Buchhandlung Schönhuber“ - genauer gesagt, einen Laden gleichen Namens. Denn „den richtigen Schönhuber“ gibt es nicht mehr als stadtbekannte Buchhandlung in der Theresienstraße, sondern „nur“ noch in der Person Paul Schönhubers, der aber zwischenzeitlich mit antiquarischen Büchern im Internet handelt. Aus der „Buchhandlung Schönhuber“ wurde wirtschaftlich der „Ganghofer“ und nun „Hugendubel“.

eine Dissertation mit dem Titel „Der Lichteinfall bei den pompejianischen Wandmalereien“. Da fragt man sich natürlich, wie kann man bei diesem Thema 200 Seiten zu Papier bringen. Es ging dabei nur um den Lichteinfall bei der Darstellung dieser Fresken in Pompeji. Das Buch war schnell weg. Je spezifischer ein Thema ist, desto schneller sind die Bücher verkauft.“ Viele Bestellungen treffen bei Paul Schönhuber von Universitäten und privat aus dem Ausland ein: „Da wurde das Buch „Osterhas‘ auf Reisen“ geordert, ein Bilderbuch in deutOsterhas‘ auf Reisen scher Sprache. Der Käufer wohnte in Paul Schönhuber kann nicht von Bü- Hongkong: Vermutlich war es eine älchern lassen. Auch nach dem zwei- tere Dame deutscher Abstammung“, ten Verkauf seiner Buchhandlung schmunzelt der Buchhändler. vor zehn Jahren, hat er nach einiger Zeit wieder mit dem Handel mit Bü- Jeder Verkauf ist ein Abchern begonnen. Jetzt aber ohne La- schied den und mit gebrauchten Büchern. „Das Internet ist eine schöne Mög- Paul Schönhuber liebt die Bücher lichkeit für mich, nachdem ich jetzt nicht nur, er lebt mit ihnen. Der Verkeinen Buchladen mehr habe, noch kauf eines Buches ist ein Stück Abmit Büchern umzugehen. Bücher zu schied: „Immer wenn ein Buch bei mir besorgen und diese wieder an die abgeht, habe ich die letzte Chance, richtige Adresse zu bringen. Der an- noch einmal rein zu schauen. Und tiquarische Buchhandel ist ein sehr dann ist alles interessant. Zwei Stunschöner zweiter Markt. Da gibt es den sind da gleich vorbei.“ Da drängt bestimmte Titel, die gar nicht mehr sich die Frage auf, ob es Bücher im Handel verfügbar sind“, erzählt gibt, von denen er sich nicht trennen möchte. Die Antwort überrascht: „Ich der jung gebliebene 73-Jährige. Er kauft Nachlässe auf oder erwirbt bin altersmäßig in einer Phase, in der Bücher bei karitativen Einrichtungen, man sich sagt: Es gibt nichts, was die Bücher gespendet bekommen. man unbedingt braucht. Man fragt „Da sind oft ganz erstaunliche Din- sich ja schon: Wer weiß, wie lange dabei. Zum Beispiel: Ich erstand ge ich noch da bin. Man muss sich März 2012

nicht an irgendwelche irdischen Dinge klammern.“ Die Ursprünge in der DonaustraSSe „Meine frührere Buchhandlung habe ich von meinem Vater übernommen. Er hat im Jahre 1933 von dem legendären Fotografen Max Weiß dessen Laden in der Donaustraße gekauft. Max Weiß hatte da eine Art „Gemischtwarenladen“ im damaligen „Bruckmayr-Haus“, den er 1923 gegründet hatte: Es gab Zeitungen, Zeitschriften, Bücher und Schreibmaterial. Nebenbei hat er Postkarten produziert und verkauft. Der Laden wurde im Zweiten Weltkrieg ausgebombt, das Haus bis auf die Grundmauern zerstört. Zu diesem Zeitpunkt war meine Mutter im Laden und hat es überlebt. Das kann man sich kaum vorstellen, wenn man die Bilder davon sieht. Dann kamen die zahlreichen Umzüge: „Am Stein“, Rathausplatz Hausnummer 5 und dann die Donaustraße Nummer 7 - das war 1951. Im Jahr 1968 zogen wir dann in die Theresienstraße.“ Schicksalsschläge Für viele völlig überraschend verkaufte Paul Schönhuber 1989 seine Buchhandlung an den Konzern, zu dem heute die Thalia-Buchhandlung gehört. „Innerhalb einer Seite 45


schrecklichen Woche im Mai 1989 ereigneten sich zwei Dinge: In dieser Woche verstarb meine Frau und es wurde bekannt, dass der Verleger und Buchhändler Pustet aus Regensburg einen riesigen Laden in der Innenstadt eröffnen möchte. Dahinter stand selbstverständlich eine Verdrängungsabsicht. Nach dieser Woche hatte ich den Eindruck, dass ich sowohl privat als auch wirtschaftlich keine Zukunft mehr habe. Das hat mich umgeworfen. Ich habe deshalb an Thalia verkauft.“

beim Pustet-Verlag um einen erzkatholischen Verlag handelt. Pustet hat mir dann zum Schluss den komplett eingerichteten Laden in der Ludwigstraße für eine Mark angeboten. Ich habe ihn nicht genommen, denn ich hätte in den Mietvertrag einsteigen müssen. Die Miete betrug 68 000 DM im Monat. Ich wusste, dass das nicht geht. Als ich abgelehnt habe, hat Pustet die Buchhandlung einfach geschlossen.“

Doch die Buchhandelskette wurde angesichts der Konkurrenzsituation mit Pustet und der Ganghoferschen Buchhandlung in Ingolstadt nicht glücklich und schrieb rote Zahlen. Nur zwei Jahre später bot man Paul Schönhuber die Buchhandlung wieder an und der sagte, weil er zwischenzeitlich aus der Lebenskrise herausgefunden hatte, sofort zu. „Zum damaligen Zeitpunkt war Pustet noch in der Ludwig-straße mit seinem riesigen Laden. Damals habe ich, als die Fachhochschule nach Ingolstadt kam, gleich noch den Laden am Stein dazu gemietet. Das scheint den Regensburger Pustet so schockiert zu haben, dass er mich sofort um ein Gespräch bat. Er sagte zu mir: „Wissen Sie, Herr Schönhuber, ich wollte Sie ja kaputtmachen. Das ist mir nicht gelungen. Was machen wir jetzt?“ Das ist heute die Tonart, in der man ganz locker über Leben und Tod spricht - gemeint ist die wirtschaftliche Seite. Das ist die verkommene Moral von heute. Da hilft es dann nichts, wenn es sich

Ungeachtet dieses Sieges über einen mächtigen Konkurrenten plagten Paul Schönhuber später Zukunftsängste: „Im Jahre 2002 bin ich eines Morgens aufgewacht mit dem Geistesblitz: Um Gottes willen, du hast ja den Laden noch und du lebst in einer aggressiven Verdrängungsgesellschaft. Der Laden muss weg!“ „Ich habe mich dann sofort an den Donaukurier gewendet. Mein Gedanke war, wenn in Ingolstadt die zwei großen Buchhandlungen, also die Ganghofersche und meine, in einer Hand sind und der Donaukurier als Zeitung im Hintergrund steht, dann wird der Georg Schäff, der Besitzer des Donaukuriers, in Gottes Namen die Fahne des Mittelstandes hochhalten. Viele haben mich damals gefragt: Du hast dich doch jahrzehntelang mit Herrn Dr. Reissmüller herum gestritten. Wie kannst du jetzt an den Donaukurier verkaufen? Aber ich habe einen Schlussstrich unter die Streitigkeiten mit Herrn Dr. Reissmüller gezogen. Er lebt nicht mehr. Jetzt lebt sein En-

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Zukunftsängste

kel. Und ich dachte mir: Machen wir einen Neubeginn. Allerdings hat Georg Schäff dann schon bald einen Anteil an Hugendubel verkauft und jetzt die gesamte Buchhandlung. Auch er hat auf den brutalen Verdrängungswettbewerb hingewiesen. Das war letztendlich auch eine Bestätigung für mich, dass ich es richtig gemacht habe. Obwohl mich natürlich die Abgabe des Schlüssels meiner Buchhandlung fast umgebracht hätte. Schließlich hatte ich 40 Jahre lang mit großer Begeisterung die Buchhandlung geführt. Das war ja eine wunderschöne Zeit mit meinen Mitarbeitern, mit meinen Kunden und mit dieser Materie.“ Nach dem Verkauf hatte Paul Schönhuber zwei schwierige Jahre: „Ich hatte nichts in der Hand. Die Buchhandlung war so ausfüllend und so spannend gewesen, dass daneben nichts Platz gehabt hatte. Ich hatte kein Golf-Spiel gebraucht und musste keine Asien-Reisen unternehmen.“ Deshalb fiel Paul Schönhuber das plötzliche Nichts-Tun schwer. Die Wende kam aber schon bald, als er mit dem Internetbuchhandel begann. Jetzt ist Paul Schönhuber mit sich und der Welt im Reinen: „Wenn ich in meinem Haus, das ich ja auch einmal verkauft, aber wieder erworben habe, im Arbeitszimmer am Computer sitze, das Internet nach interessanten Büchern durchstöbere, nebenbei klassische Musik höre und in den grünen Garten blicke, dann denke ich mir oft: So gut habe ich es noch nie gehabt.“ (hk) März 2012


Lebenslinien im April 2012 April 2012

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Das größte Abenteuer ist das Leben Die Suche nach grenzenloser Freiheit und sich führte den Arzt Harald Renninger um die ganze Welt Er reiste per Anhalter durch die ganze Welt, ritt auf Kamelen durch die Wüste, überquerte auf einem Esel die persische Grenze, betreute als Vorsitzender des Roten Kreuzes nach dem Tsunami in Thailand die Camps mit den Verletzten, sammelte Geld für die Schulausbildung notleidender Kinder und heilte Menschen mit Schlangenbissen in Brasilien. Bereits mit dreizehn Jahren trieb Harald Renningers Freiheitsdrang ihn in die große weite Welt. Naja, für den Anfang zumindest auf die Spitze des 3798 Meter hohen Großglockners, des höchsten Berges von Österreich. Mit 15 folgten das Ötztal in Tirol, danach der zwischen Italien und Frankreich liegende Mont Blanc, das Gebirgsmassiv Monte Rosa in den Walliser Alpen und noch einige mehr. Das größte Abenteuer seines Lebens? „Mein Leben selbst“, antwortet er. „Es gibt eine wichtige Säule in meinem Leben, die meine Philosophie entscheidend geprägt hat: eine Reise nach Afghanistan“, erzählt Renninger. Im Alter von 21 Jahren packte er seine sieben Sachen und reiste per Anhalter nach Afghanistan. Über die Autobahn durch das ehemalige Jugoslawien, Griechenland, die Türkei und quer April 2012

durch Persien, bis er schließlich sein Ziel erreicht hatte: eines der ärmsten Länder der Welt, viertausend Kilometer entfernt von seiner Heimat. Von dort aus ging es weiter durch die Wüste. Auf Kamelen versteht sich. „Ich könnte einen Roman über meine Erlebnisse schreiben.“ Um seine Eltern nicht in Angst zu versetzen, hatte er sich vor Antritt seiner gefahrvollen Reise einer kleinen Notlüge bedient. Er ließ sie im Glauben zurück, nach Italien zu trampen. Ob seine Eltern ihm nicht auf die Schliche kamen? „Das ist ein Kapitel für sich“, schmunzelt er und verrät nur so viel: „Natürlich haben sie es herausgefunden und dass ich ihnen so einiges zugemutet habe, das ist noch untertrieben ausgedrückt. Aber letztendlich waren sie immer stolz auf mich.“ Renninger sprach kein Wort Arabisch. Das Einzige, das er sich vor seiner Reise selbst beigebracht hatte, war es, bis zehn zu zählen. Trotzdem lernte er unzählige Einheimische kennen und schaffte es, mit ihnen zu kommunizieren. „Ich habe mich mit Händen und Füßen verständigt, mir ging es ja schließlich nicht ums Philosophieren, sondern darum, meine Bedürfnisse mitzuteilen. Mimik

und Gestik sagen doch viel mehr als tausend Worte.“ So ging er oft einfach in die Küche eines Gasthauses, packte sich das Essen, das ihn ansprach auf den Teller, und versuchte mithilfe von Gesten, den Preis zu eruieren. „Wenn mir das Essen zu teuer war, hab ich es einfach wieder zurück in den Topf gelegt“, lacht der 69-Jährige. Sein Budget von damals 800 Mark, das er sich als Student durch einen Nebenjob zusammengespart hatte, musste für neun Monate reichen. Bis nach Kabul ins Gebiet der Taliban führte ihn seine Abenteuerlust. Diese Erfahrungen haben seine Lebensauffassung in hohem Maße beeinflusst: „Ich bin schon immer ein Minimalist gewesen“, versichert er, „je weniger man hat, desto freier ist man.“ Die Erfahrungen in der Fremde, in Ländern, in denen es weder Straßen noch irgendwelche Transportmittel gab, konnten seine Einstellung nur noch verstärken. Er lebte im Hier und Jetzt, ohne dabei an gestern oder morgen zu denken. Sein Wunsch nach absoluter Freiheit war so groß, dass er unter freiem Himmel oder auch im Heu schlief, ohne Mauern, die ihn schützten. Mutterseelenalllein. Das Einzige, das er immer bei sich hatte: sich selbst, seinen Mut, seinen Freiheitsdrang und eine geSeite 49


waltige Portion Selbstdisziplin. Die einzige Möglichkeit zur damaligen Zeit, mit seiner Familie in Kontakt zu bleiben, war das Telefon in der Botschaft. „In Afghanistan gab es nicht einmal das, dafür hatte ich beim Goethe-Institut mehr Glück.“ Doch das Gerät entsprach nicht wirklich dem heutigen Standard. So dauerte es schon mal zwei Stunden, bis eine Verbindung aufgebaut werden konnte, um dann höchstens ein paar Worte mit den Liebsten wechseln zu können. Renninger, der im Gebirge aufgewachsen ist, bewegte sich in einer Fremde, die für ihn eigentlich keine war. Er wurde ein Teil der Gemeinschaft dieser Menschen. Er war Gast auf Hochzeiten und Familienfeiern und aufgrund seiner hellen Hautfarbe auch eine kleine Attraktion. Insbesondere bei den Kindern, die ihm immer wieder staunend über die Haut fuhren, um sich zu vergewissern, dass seine Hautfarbe auch wirklich echt war. Am meisten begeistert haben ihn die Gastfreundschaft, das Gemeinschaftsgefühl und die Offenheit der Menschen, die er kennen und schätzen gelernt hat. „Ich habe ein völlig anderes Bild von den Afghanen, als die meisten Menschen hier.“ Dass die eine Kalaschnikow und einen Dolch tragen, sei für ihn nichts Ungewöhnliches. „Wie bei uns zu einem waschechten Bayern die Seite 50

Lederhose gehört, trägt ein stolzer Afghane halt seine Waffen.“ Er kehrte mit der Erkenntnis, frei zu sein von jeglichem Materialismus, nach Deutschland zurück. Er hatte sich spürbar vom Leben in seiner Heimat distanziert. Das Wirtschaftswunder sowie das überschwängliche Konsumverhalten, das in den 60er Jahren in voller Blüte war, ließ ihn absolut kalt. „Meine Eltern mussten mich sogar regelrecht zwingen, mir eine zweite Hose zuzulegen“, erzählt er lachend. Sein Fokus lag einzig und allein darauf, sein Medizinstudium zu beenden, um den Beruf als Allgemeinarzt ergreifen zu können, der zweiten wichtigen Säule in seinem Leben. Renninger übt seinen Beruf als Arzt, der ihm zugleich Berufung ist, mit voller Leidenschaft aus. Was das Beste daran ist? „Das Resultat meiner Tätigkeit, der Zugang, den ich zu meinen Patienten bekomme, die Erfolgserlebnisse, das unbeschreiblich tolle Gefühl, anderen Menschen zu helfen und ihnen ein Stück meiner eigenen Lebenserfahrung weitergeben zu können“, so der Liebhaber klassischer Musik und französischer Literatur, der bereits seit vierzig Jahren seine eigene Praxis führt und beschlossen hat, erst mit 75 Jahren in den Ruhestand zu gehen. Zu viel Freude bereitet ihm sein Beruf, der auch gleichzeitig sein Hobby ist.

Das, was er getan hat, kann er nur allen jungen Menschen ans Herz legen: „ Geht hinaus in die weite Welt, um euch selbst kennenzulernen. Getreu dem Motto: Der kürzeste Weg zu dir selbst führt um die Welt’. In der Fremde, in der euch niemand kennt und ihr niemanden kennt, da lernt ihr euch selbst erst kennen.“ Die meisten Menschen seien sich nicht darüber im Klaren, welches Potenzial in ihnen stecke. „Wenn man denkt, man kann nicht mehr, dann kann man immer noch“, betont er. Welche Träume und Ziele im Leben kann jemand noch haben, der wie er selbst behauptet „in sein Leben das reingepackt hat, was für zwei Leben reicht?“ Auch als Stadtrat habe er in dreißig Jahren so einiges bewegt, vor allem im gesundheitlichen Bereich. Dieses Jahr werde er sein Amt allerdings niederlegen. Sein einziges Ziel ist es weiterhin, sein Leben zu genießen. „Wäre ich zehn Jahre jünger, würde ich mir schon noch ein großes Ziel setzen“, betont Renninger, der fünfmal die Woche Sport treibt, und kommt dabei ins Grübeln. „Hm . . ., vielleicht gibt es doch noch etwas“, überlegt er, „Arzt ohne Grenzen könnte ich mir vorstellen, vielleicht auf Haiti.“ Und da ist es wieder, das Funkeln in seinen Augen und das Reisefieber, das ihn jederzeit wieder packen und dazu verleiten könnte, sich in ein neues Abenteuer zu stürzen. April 2012


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„Ich habe nie ein düsteres Bild gemalt

Walther C. Bechstädt will sich in keinen bestimmten Stil hineindrängen lassen „Kunst ist das, was ich kann und die anderen nicht.“ Das hat der Maler und Kunsterzieher Walther C. Bechstädt einmal in einer Sendung des Regionalsenders intv gesagt. Bei einem Glas Wein in seinem Stammlokal „Due“, gleich gegenüber der „Neuen Galerie“, in Künstlerkreisen nur „das MO“ genannt, erläutert Bechstädt seinen eigenwilligen Kunstbegriff: „Ich wollte damit sagen, dass jeder Maler ein Individualist ist. So versuche ich, in meine Bilder Leben und manchmal etwas Außergewöhnliches hineinzubringen. Ich habe einmal ein Bild gemalt von der Kneipe „Rinne“, die sich auf dem Parkplatz beim Hallenbad befand. Das war früher mal ein Pissoir, dann eine Gaststätte. In dieses Bild habe ich eine Person hinein gemalt, die an einen Baum bieselt. Meine Frau hat gesagt, das müsste ich wieder übermalen. Aber ich bin der Meinung, so etwas muss drin bleiben. Das sind so außergewöhnliche ironische Dinge, die eben nicht jeder macht.“ So einen außergewöhnlichen ironischen Punkt müsse man setzen, ergänzt Bechstädt, sonst könne man die Dinge gleich fotografieren und bräuchte sie nicht zu malen. April 2012

Die Liebe zur Malerei entdeckte der Ingolstädter Künstler schon als Kind. Seine Eltern veranstalteten früher im Fasching jedes Jahr einen Hausball im Keller. Dieser Ball stand stets unter einem anderen Motto, und der Keller wurde deshalb in jedem Jahr neu ausgemalt. Da durfte der Siebenjährige mitmachen und bei Themen wie „Bayerischer Himmel“, „Meeresgrund“ oder „1001 Nacht“ sein kindliches Talent unter Beweis stellen. Diese heiteren Themen haben letztendlich seine Malerei beeinflusst. „Wenn man malt, sollte man in heiterer Stimmung sein. Die Lockerheit sieht man dann auch in den Bildern. Wenn dies nicht der Fall ist und man sich etwas „abringen“ muss, dann sollte man es lieber 14 Tage einmal bleiben lassen.“ Walther C. Bechstädt malt nach eigenem Bekunden aus Freude am Leben. Malerei sei für ihn keine Form der Krisenbewältigung. Ein düsteres Bild habe er nie gemalt. Als sein Vater verstarb, habe er gerade an einem Bild, das mehrere „Kasperl“ darstellte, gearbeitet. „Ein „Kasperl“ hat genauso ausgesehen wie mein Vater; er war nämlich ein lebenslustiger Mensch und dem wollte ich gerecht werden.“ Schon mit 17 Jahren hat er seine

ersten Werke, es waren Radierungen, bei Weihnachtsausstellungen im „MO“ mit präsentiert; seine erste eigene Ausstellung hatte er im Alter von 24 Jahren zusammen mit dem bekannten Künstlerkollegen Hans Steber. „Den hatte ich zuvor einfach angesprochen, als er mal im „MO“ am Tresen stand.“ Überraschend nennt er den österreichischen Bildhauer Alfred Hrdlicka als sein künstlerisches Vorbild. Dieser Wiener Künstler, der auch gemalt hat, sei in seinen Bildern recht witzig gewesen. Dass Hrdlicka Zeit seines Lebens dem Kommunismus sehr nahe stand, während Walther C. Bechstädt auch im Gegensatz zu seinem sozialdemokratischen Bruder Robert - der CSU angehört, scheint der Bewunderung und Vorbildfunktion nicht geschadet zu haben. Ausgebildet wurde Bechstädt in Eichstätt bei Professor Rindfleisch als Kunsterzieher. Seinen Beruf als Lehrer übt er bis heute ungeachtet seiner künstlerischen Erfolge aus. Er unterrichtet in Hohenwart, wohnt aber in Hög, wo er auch sein Atelier hat. Allerdings ist er sehr oft in Ingolstadt, wo er – in der Liebl-Klinik – geboren wurde Seite 53


und aufwuchs. In Ingolstadt findet er seine Motive - vor allem in der Altstadt. „Ich male zumeist figürliche Szenerien, die ins Stadtbild mit eingebunden sind.“ Auf die Frage, wie er selbst seinen Stil charakterisiere, antwortet er: „Als Bechstädt-Painting - weil ich mich in keinen Malstil hineinzwingen lasse.“ Hat er bei sich selbst eine künstlerische Entwicklung festgestellt? „Ich bin mit meinem Pinselstrich freier und lockerer geworden. Bei mir ergeben sich die Figuren und Bildgegenstände aus der Bewegung, aus der Lockerheit des Pinselstrichs. Ich hänge nicht mehr so am Detail.“ Was ändert sich mit zunehmenden Alter - eine vielleicht etwas zu früh gestellte

Frage, denn Walther C. Bechstädt wurde kürzlich erst 50 Jahre alt. „Der Zech Hans hat einmal gesagt, man merkt, wenn Künstler älter werden und die Augen etwas nachlassen, dass dann die Farben kräftiger werden. Auch meine Farben sind etwas kräftiger geworden.“ Zu seinen bevorzugten Farben gehören Orange und Terracotta, was mit Ingolstadt zusammenhänge, weil hier maßgebliche Gebäude, so das Münster, das Kreuztor und die vielen Backsteinbauten von diesen Farbtönen geprägt seien. Einen großen Coup hätte Bechstädt fast mit einer Figur für den FC Bayern gelandet. Ein älterer Bruder, der in der Öffentlichkeitsarbeit tätig war und er stellten zu früh-

reren Zeiten einmal fest, dass der FC Bayern noch kein Maskottchen hatte. Da entwarf der Maler einen „Bayern-Kasperl“, auch „Bayazzo“ genannt. Der wurde von Hoeneß und Beckenbauer dem Präsidium des Vereins vorgestellt. Der Kasperl hatte eine Pritschn in der Hand, weil der sportliche Gegner ja geschlagen werden sollte. „Die fanden das schon lustig, aber für den FC Bayern sollte es dann doch etwas „Starkes“ sein. Ein halbes Jahr später kam dann der Bär „Bazi“, der jetzt „Berni“ heißt, heraus. So ist es leider nichts geworden.“ Für den Namen hat sich Bechstädt aber vorsichtshalber einen juristischen Geschmacksmusterschutz einräumen lassen. (hk)

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Ganz allein mit 67 Rindviechern Anja Lößel lebte und arbeitete vier Monate auf einer oberbayerischen Alm Das Gras ist saftig grün, soweit das Auge blickt. Dazwischen sorgt der Löwenzahn für gelbe Farbtupfer. Der Himmel ist strahlend blau, wolkenlos klar. Die Tür und die Fensterläden der Hütte sind aus dunklem Holz und bilden damit einen Kontrast zur weißen Fassade des Gebäudes. Vor der Hütte stehen ein Brunnen, ein Tisch und eine Bank, alles aus Holz. Wer hier sitzt, kann sich von der Sonne die Nasenspitze kitzeln lassen  . Wenn Anja Lößel von ihrem in Erfüllung gegangenen Lebenstraum erzählt und Fotos zeigt, kommt man unweigerlich ins Träumen, eine Spur „Heidi-Romantik“ kommt auf. Doch da wiegelt die 48-Jährige rasch ab: „Nein, mit HeidiRomantik hat das nichts zu tun. Das war eine wirklich schwere und körperlich anspruchsvolle Arbeit. Aber die Zeit war wunderschön . “

heit habe“, sagt Lößel und lächelt. Zahlreiche „Ferien auf dem Bauernhof“ in ihrer Kindheit oder auch die Zeit bei den Pfadfindern festigten in der Künstlerin diesen Wunsch.

Von Ende Mai bis Ende September verließ die Ingolstädterin ihre Heimat. Den Sommer 2011 verbrachte sie auf der Seelachen Alm, einem 60 Hektar großen Areal, 1300 Meter über Oberaudorf. Dort lebte und arbeitete sie 127 Tage als Hirtin von 67 Rindern und sechs Pferden. „Ich wollte das schon immer einmal machen. Das war die Erfüllung eines Traumes, den ich schon seit meiner Kind-

„Die ersten Tage“, so erzählt Lößel heute, „waren schon nicht einfach.“ In der Hütte gab es keinen Strom: „Das bedeutete: Keinen Kühlschrank, keinen Fernseher, kein Internet.“ Über ein batteriebetriebenes Radio und das Handy, das sie über ihr Auto auflud, hielt sie Kontakt zur Außenwelt. Der einzige Luxus in der Almhütte waren eine Gaslampe und ein Gasherd. „Da hat man natür-

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Im vergangenen Sommer sollte er Wirklichkeit werden. Sie absolvierte einen Grundlehrgang für tierische Erzeugung mit Melkausbildung und schließlich noch einen „Alm-Kurs“ in Kempten. Lößel fühlte sich fit und bereit für ihre „Auszeit“. Was noch fehlte, war allerdings eine passende Alm. Sie inserierte in einem Wochenblatt für Landwirte: „Sennerin sucht Alm“. Neben unzähligen Heiratsanfragen alleinlebender Bauern kam noch am Erscheinungstag der Zeitung der „richtige“ Anruf aus Oberaudorf. Es konnte los gehen.

lich viel Zeit, um über sich selbst nachzudenken, die Vergangenheit zu reflektieren und Überlegungen zur Zukunft zu machen“, sagt Lößel nachdenklich. Statt einem Hollywood-Blockbuster gab es „KuhTV“: „Es ist hoch interessant, was diese Tiere für ein Sozialverhalten haben!“. Die Mutter von zwei Kindern führte Tagebuch, notierte das Wetter. Einmal pro Woche ging es zum Einkaufen und Wäsche waschen in die Stadt, ab und zu schauten die Nachbarn anderer Hütten vorbei oder Lößels Verwandte und Bekannte kamen zu Besuch. Den Großteil der Zeit aber war sie allein. „Auf einmal hatte ich Zeit. Kein Terminkalender, der mir etwas vorschreibt, keine Uhr – ich lebte vier Monate ohne Uhr! Das ist purer Luxus. Aber anfangs hat man schon ein schlechtes Gewissen, wenn man so in der Sonne liegt . . .“ Doch Lößel war ja nicht (nur) zum Spaß dort oben. Gegen eine geringe Entlohnung („Hirtengeld“) hatte sie die Verantwortung für eine ganze Menge Tiere. Und diese mussten jeden Tag gezählt werden. „Ich war jeden Vormittag zweieinhalb Stunden damit beschäftigt. Wenn mal eines fehlte, weil ich es nicht gleich gefunden habe, war ich den ganzen Tag unruhig.“ Die Künstlerin, die Seite 55


leidenschaftlich gerne malt und dies auch auf der Alm tat, stand täglich so gegen sieben Uhr morgens auf. Meist sorgte ein anstrengender Tag dafür, dass Lößel gegen 22 Uhr müde ins Bett fiel. Egal, ob es hagelte, stürmte oder wie an einem Tag im September, sogar schneite – Lößel musste immer raus. Mal schrien die Tiere vor Angst und Hunger, mal war der Zaun kaputt und die 48-Jährige musste schwere Eisenpfosten quer über die Felder schleppen. Dann gab es die sieben Brunnen für das Quellwasser, die geputzt werden mussten. Oder die zehn Kilogramm schweren Salzleck-Steine für die Rinder mussten ausgetauscht werden. Und, und, und... „Ich bin echt an meine Grenzen gekommen“, quittiert Lößel und fügt dann lächelnd hinzu: „Aber es ist eine unglaubliche Befriedigung, wenn man alles geschafft hat!“ Und wenn alles nichts mehr geholfen hat, rettete sich Lößel mit einem Kino- oder Schwimmbadbesuch vor dem „Almkoller“, wie sie selbst sagt. Im Nachhinein bereut die Künstlerin ihre umfangreichen Vorbereitungen auf die vier Wochen Alm nicht: „Das war sehr gut und enorm wichtig.“ Aber eines hatte Lößel nicht bedacht: Das Wieder-nach-Hausekommen. „Es war sehr schwer, wieder im Alltag zu sein, so viele Leute wollten etwas von mir wissen, es gab auf einmal wieder Termine. Ich habe schon etwa einen Monat gebraucht, um wieder hier anzukommen.“ Trotzdem: Der letzte „Ausflug“ auf die Alm war dies für Lößel wahrscheinlich nicht: „Vielleicht, wenn ich Rentnerin bin...“ Seite 56

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Gefangen vom KGB

Ingolstädterin kämpft um die Freilassung ihres Vaters Fast ein Jahr ist vergangen, seitdem der Vater von Katja Statkevich von einem weißrussischen Gericht zu „sechs Jahren Arbeitslager mit erhöhten Sicherheitsauflagen“ verurteilt wurde. Die Situation dort im Gefängnis ist prekär – denn hier regiert der KGB. Der weißrussiche Geheimdienst – ein Überbleibsel aus sowjetischen Zeiten. Körperliche Gewalt ist keine Seltenheit. Menschenrechtsorganisationen

Mann in Ingolstadt, hat promoviert und arbeitet bei Audi. Wegen der völlig grundlosen Verhaftung ihres Vaters im Dezember 2010 kämpft die Ingolstädterin nun mit aller Kraft für seine Freilassung – ja, vielleicht sogar um sein Leben. Sie schreibt Briefe, trifft Politiker, organisiert Veranstaltungen - doch bislang waren die Mühen der Ingolstädterin vergeblich. „Ehrlich gesagt, bin ich derzeit etwas müde und enttäuscht, dass die ganzen Aktivitäten, die wir hier in Deutschland gemacht „Ich bin enttäuscht, dass die haben, doch keine Freilassung ganzen Aktivitäten in bewirkt haben“, erzählt Katja Deutschland keine Freilassung Statkevich traurig. „Es hat mich bewirkt haben.“ wirklich viel Kraft gekostet, paralKatja Statkevich lel zu meinem Vollzeitjob noch jeden Tag und jedes Wochenende Artikel zu schreiben, Veranstalkritisieren schon lange die men- tungen zu organisieren und mit schenunwürdigen Haftzustände. Politikern zu telefonieren oder zu „Mein Vater sitzt zusammen mit mailen.“ Schwerverbrechern, mit Mördern und Vergewaltigern, ein“, berich- Kurzer Rückblick: Bei den Präsitet die Tochter. „Der Kontakt nach dentschaftswahlen im Dezember außen ist ihm streng verboten, 2010 in Minsk wird Alexander LuAnrufe und Briefe werden kon- kaschenko wiedergewählt. Als trolliert und zensiert. Mein Vater „der letzte Diktator Europas“ wird ist der Willkür der Wärter ausge- der seit 17 Jahren amtierende setzt.“ weißrussische Präsident häufig bezeichnet. Eine überwältigende Katjas Familie stammt aus Minsk, Mehrheit an Stimmen vereint der der Hauptstadt von Weißruss- 56-Jährige auf sich. Betrugs- und land, etwa eine Flugstunde von Manipulationsvorwürfe stehen im München entfernt. Seit mehr als Raum – wie jedes Mal nach eifünf Jahren lebt sie mit ihrem ner Wahl. Doch dieses Mal will April 2012

sich die Bevölkerung das nicht mehr gefallen lassen. Mehrere Zehntausend Menschen gehen in der Wahlnacht auf die Straße. Auf dem Oktoberplatz kommt es zu einer großen, aber friedlichen Demonstration gegen den Wahlbetrug und für Neuwahlen – unter Ausschluss Lukaschenkos. Unter den Demonstranten befindet sich auch Katjas Vater – Nikolai. Nikolai Statkevich ist weißrussischer Sozialdemokrat und gilt bei der Bevölkerung als viel versprechender Präsidentschaftsanwärter. „Es heißt mein Vater wäre der größte Kritiker Lukaschenkos,“ berichtet Katja. Nikolai Statkevich prangert die Missstände im Land öffentlich an – lässt sich den Mund nicht verbieten. Er ist offensichtlich eine Gefahr für den Machthaber. Auch die vielen Demonstranten am Oktoberplatz in der Wahlnacht passen Lukaschenko nicht ins Konzept. Öffentliche Kundgebungen sind in Weißrussland streng verboten. Das Regime fährt ein massives Sicherheitsaufgebot auf – eine Hundertschaft an Polizisten ist vor Ort. Unabhängige Wahlbeobachter berichten später, dass Telefone und Internetzugänge abgeschaltet wurden, um Gespräche mit westlichen Medien zu verhindern. Die weißrussische Polizei schlägt die Seite 57


Demonstration brutal und gewaltsam nieder – es gibt zahlreiche Verletzte. Nikolai Statkevich wird aus seinem Auto gezerrt, verprügelt und verhaftet – auch seine anderen Mitstreiter werden festgenommen. Ein trauriger Rekord, sieben Präsidentschaftskandidaten verhaften die Schergen des Präsidenten in einer Nacht. Das Regime schiebt Statkevich die Organisation der Proteste in die Schuhe – sechs Jahre soll er nun hinter Gittern bleiben. Im Januar diesen Jahres kommt es noch schlimmer. Die Regierung verhängte eine Haftverschärfung gegen den Sozialdemokraten. „Die offizielle Begründung der Haftverschärfung lautet ‚mangelnde Besserung‘“, berichtet Katja Statkevich. „Die Beweisführung war sogar für weißrussische Verhältnisse so absurd, dass sie viel mehr zu einem Kafka-Roman passen würde, als zu einem Land mitten in Europa“, so die 31-Jährige weiter. „Es wurde zum Beispiel die fehlende Häftlingsnummer auf der Kleidung am ersten Tag im Arbeitslager bemängelt eigentlich ein Versäumnis des Arbeitslagers.“ Unvorstellbar, doch in weißrussischen Gefängnissen regiert die Willkür. Grundlos habe der Arbeitslagerleiter auch in die Akte des Politikers „neigt zu Gewalt und Flucht“ geschrieben. Deswegen verbrachte Statkevich die ersten Wochen in Isolationshaft. „Aktuell befindet er sich in einer kleinen Zelle und hat einen Nachbar“, erzählt die Tochter. „Eine MenschenrechtsorganisaSeite 58

tion in Weißrussland hat über inoffizielle Kanäle herausgefunden, dass dieser Zellennachbar früher ein Offizier der Spezialeinheit der Polizei gewesen ist.“ Er soll in den 1990er Jahren für Lukaschenko die „unbequemen Menschen“

„Mein Vater ist der größte Kritiker von Lukaschenko.“ Katja Statkevich eliminiert haben. Damals hätte der Offizier sogar eine Leitungsfunktion in diesem „Eskadron des Todes“ gehabt, so Katja Statkevich. „Wir wissen nicht, was dies zu bedeuten hat, warum ausgerechnet er jetzt der Zellennachbar von meinem Vater ist. Wir sind sehr verunsichert.“ Im April 2012 lässt Lukaschenko überraschenderweise einige der

Oppositionellen frei – Katjas Vater ist jedoch nicht dabei.Die 31-Jährige vermutet, die wirtschaftlichen Sanktionen der EU seien Grund für die Freilassungen. „Leider hat die Situation aber noch keine Änderungen für meinen Vater gebracht. Er ist der größte Kritiker des Präsidenten Lukaschenkos, deshalb sitzt er immer noch in der Haft.“ Hin und wieder erhält Katja Statkevich einen Brief vom ihrem Vater. Doch meistens ist der Inhalt belanglos, denn die Briefe werden kontrolliert und zensiert. Auch die seltenen Telefongespräche werden abgehört. Trotz der Niederschläge gibt Katja Statkevich den Kampf um ihren Vater nicht auf, sie will weiter kämpfen, bis auch er aus dem Gefängnis entlassen wird. Wer sie unterstützen will, kann eine Petition auf der Internetseite www. lasst-sie-frei.de unterzeichnen. Die Ingolstädterin ist um jede Unterstützung dankbar. (kg)

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Von der Liebe zu einer roten Italienerin

Der ehemalige Rennfahrer Werner Dimperl aus Hundszell ist ein Ducatisti mit Leib und Seele Die Liebe seines Lebens ist rot, feuerrot. Sie ist Italienerin und hört auf den Namen „La rossa“. Allerdings steht sie nicht auf zwei Beinen, sondern auf Rädern. Denn wenn Werner Dimperl von Kurven schwärmt, meint er meist nicht die einer Frau. Er ist Ducatisti, Motorradfreak mit Haut und Haaren. Und Motorrad ist für ihn gleichbedeutend mit dem Begriff „Ducati“, eine Liebe, die schon früh begann und die sein ganzes Leben geprägt hat. Seine Motorräder braucht man auch nicht in der Garage zu suchen. Denn die gehören zur Familie, wie er sagt. Und wie es sich für Familienmitglieder gehört, haben die einen Ehrenplatz. Zwei seiner „Babys“ jedenfalls. Die stehen mitten im Wohnzimmer. „Damit ich sie morgens, wenn ich aufstehe, gleich sehen kann“, grinst Werner Dimperl. Natürlich hat er auch noch ein paar Ducatis in der Garage stehen, mit denen er regelmäßig fährt, an denen er „rumschraubt“, bis sie so unverwechselbar sind, wie ein echter Ducatisti sich das wünscht. Mit dem „Rumschrauben“ hat er schon sehr früh begonnen. ZuApril 2012

erst an Mofas. Da war er 14 Jahre alt. Mit 16 hat er sich seine erste Motocross-Maschine gekauft, ist Crossrennen gefahren, bis er mit 18 Jahren mit seiner ersten Ducati den Weg auf die Straße fand. „Das war eine Ducati 815.“ Und es war Liebe auf den ersten Blick. „Ich war total infiziert und bin gefahren wie ein Irrer“, erzählt der 46-Jährige, „und ich war wirklich schnell.“ An die Grenzen zu gehen, fahren, was die Maschine hergibt, war natürlich auf Dauer nichts für die Straße. Deshalb ist er mit Freunden öfter mal nach Brünn in der Tschechische Republik gefahren, um bei Amateur-Autorennen in den Pausen seine Ducati über die Piste zu jagen. Die Faszination wuchs und wuchs. Und Werner Dimperl fuhr von einem dieser Rennen zum nächsten. Er war für den Rennsport geboren, daran gab es für ihn keinen Zweifel. Inzwischen war er auf die Ducati 916 SP umgestiegen, knapp 27 Jahre alt, als eines Tages ein professioneller Pilot, der ihn bei dem Amateurrennen in Brünn beobachtet hatte, zu ihm in die Box kam und ihm riet, er solle unbedingt als Profi einsteigen.

Verrückt genug war Werner Dimperl und offensichtlich auch talentiert genug. So erwarb er zunächst die so genannte B-Lizenz und wurde damit bereits im ersten Jahr Vizemeister in der rein deutschen Rennserie, die damals Pro Superbike Pokal hieß und die sich auf provisorischen Rennstrecken wie Lager Lechfeld oder Zweibrücken abspielte. „Das war wirklich Hardcore“, erinnert sich Dimperl.Um in die Liga mit internationaler Besetzung aufzusteigen, musste man sich genügend Punkte „erfahren“. Das hat der Ingolstädter mit seiner Vizemeisterschaft bereits im ersten Jahr geschafft. Nun also galt es, gegen Piloten aus 16 Ländern auf Kursen wie dem Nürburgring oder dem von Hockenheim zu bestehen, in einer Rennserie eine Stufe unter der Weltmeisterschaft. Zusammen mit einem befreundeten Mechaniker baute er seine Ducati als reinrassige Rennmaschine um. „Wir haben hier in Hundszell tageund nächtelang geschraubt. Die Ersatzteilbeschaffung war extrem schwer damals.“ Das funktionierte, wie er es ausdrückt, nur auf „italienischen Umwegen“. Gemeinsam mit dem österreichischen Piloten Andi Meklau fand Werner Dimperl Seite 61


auch den Zugang zu dem Sponsorenpool von Michelin und Red Bull. Denn billig war seine Leidenschaft nicht gerade. „Ich habe im Lauf der Jahre ein sehr sehr schönes Einfamilienhaus versenkt“, lacht der Ducatisti. Der Erfolg blieb nicht aus. Nicht nur, dass er zusammen mit Meklau als Team für Ducati Deutschland gefahren ist und die Teamwertung gewann. „Das war nicht ganz einfach gegen die tollen Teams von Yamaha und Suzuki.“ Er erfuhr sich auch zum zweiten Mal den Titel des Vizemeisters. Als im Jahr 2000 die Rennserie Pro Superbike zerschlagen wurde, schlug auch für Werner Dimperl die Stunde des Abschieds vom professionellen Rennsport. Denn die vom Deutschen Sportfernsehen (DSF) übertragene Serie sicherte ihm die Sponsorengelder, die er brauchte, um seine Rennleidenschaft zu finanzieren. Mit dem Fernsehen indes zogen sich 2000 auch die Sponsoren zurück. Dimperl entschied sich damals, als Vizemeister aus dem professionellen Rennsport auszusteigen, nach sechs aktiven Jahren im Rennsportzirkus. Zumal ihm die Doppelbelastung auch über den Kopf zu wachsen drohte. In Ingolstadt musste er seine Firma für Haustechnik leiten, daneben die Rennmaschinen warten und schließlich an den Wochenenden Rennen fahren. „Von 52 Wochenenden pro Jahr war ich 35 auf der Rennstrecke“, erzählt er. Und auch, dass seine Seite 62

erste Ehe an seiner Leidenschaft für Ducati gescheitert ist. Mit seiner zweiten Frau jedoch war das anders. „Die hat mich als professionellen Rennfahrer kennen gelernt und hat das akzeptiert.“ Auch wenn sie zu den meisten Rennen mitfährt, die er heute noch als Zuschauer oder auch als Instruktor besucht, muss sie schon einiges erdulden für die Leidenschaft ihres Mannes. „Bei allem, was mit Ducati und mit mir zu tun hat, ist sie brutal leidensfähig“, formuliert Dimperl die Vorzüge seiner zweiten Frau, die auch damit leben kann, dass eben keine Schrankwand im Wohnzimmer steht, sondern seine Babys“, eine „Werksracing 916 RR“ und die Desmosedici 16 RR, die einen Wert von rund 120 000 Euro hat. „Auch Ferdinand Piech hat eine davon“, sagt er, während er auf die rote Schönheit deutet, von der es weltweit nur 1500 gibt. Die Namen der anderen Besitzer klingten auch nicht übel: Tom Cruise und Brad Pitt. Werner Dimperl hat zwei davon, denn eine steht noch in der Garage. Auch wenn er selbst nicht mehr als Profi an Rennen teilnimmt, der Leidenschaft für den Rennsport und vor allem Ducati tut das keinen Abbruch. „Wenn du mal einen Vierer vor der Uhr stehen hast, kannst du mit Professionellen nicht mehr fahren, weil die Jungen über Grenzen gehen, über die du nicht mehr drübergehst“, schildert er den Unterschied zwischen den jungen „Playstationfahrern“ und einem alten Hasen wie ihm, der seine Kurventechnik noch

ohne elektronische Fahrhilfen perfektionieren musste und der sein Können mit rund 50 teilweise schweren „Abwürfen“ bezahlt hat. „Ich habe keinen Knochen, den ich mir noch nicht gebrochen habe.“ Das, was er gelernt hat, was er von Ideallinie und Racelinie weiß, gibt er aber gerne an die jungen Kollegen weiter. Als Instruktor. Und ein paar Showrennen fährt er selber schon auch noch. Und jetzt hat sein Ducati-Fieber neue Nahrung erhalten. Ducati ist Audi. Für ihn als Schanzer und Ducatisti war diese Nachricht wie Weihnachten und Ostern zusammen. „Ich hatte schon Bedenken gehabt, Ducati würde an irgendeinen Inder verramscht“, schildert Dimperl seine Freude über den Deal mit Audi, „Ducati ist unter den Motorräder weltweit das absolute Premiumprodukt. Es verkörpert Lifestyle. Und ein Ducatisti wird sich immer von der Masse der Motorradfahrer abheben.“ Und wie sehr es ihn reizt, sein Leben vollends dem Rennsport zu verschreiben, merkt man, wenn er erzählt, dass es ihn reizen würde, an dem Aufbau eines Rennstalls für Ducati mitzuarbeiten. „Ich könnte mir durchaus vorstellen, ein Team für die Rennserie Superbike aufzubauen und auch wieder zum Titel zu führen“, meint der erfahrene Motorrad-Rennfahrer, der sich gerne mal bei Audi vorstellen würde. „Damit die wissen, wer ich bin.“ (msc) April 2012


Lebenslinien im Mai 2012 Mai 2012

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Foto: Arcole-Productions/Jonathan Sirvins


„Vielleicht läuft mir ja der Depp übern Weg“

Tobias Mayers kurioser Trip zu den Filmfestspielen in Cannes Mayer kann Cannes! Im vergangenen Jahr spielte der Pfaffenhofener Tobias Christian Mayer die Hauptrolle eines WehrmachtOffiziers in einem französischen Weltkriegs-Drama. Dieser 40-Minüter wird nun bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt, die am Mittwoch beginnen. Und Mayer macht sich ohne Akkreditierung, aber mit Kameramann, seinem heiß-geliebten Akkordeon und im gesponserten Kleinbus auf den Weg nach Südfrankreich, um live dabei zu sein und weiter an seiner Karriere zu basteln. Mayer, Jahrgang 1979, ist so etwas wie der Inbegriff eines Künstlers. In seinem Kopf tanzen die Ideen Tango, er wirkt immer ein bisschen konfus, ist chronisch pleite und schlägt sich mal mehr, mal weniger erfolgreich durch. Spitzwegs legendäres Gemälde „Der arme Poet“ könnte genauso gut auch ihn zeigen. Eine Kochlehre hat Mayer einst absolviert und sich danach mit zig Jobs über Wasser gehalten, als Animateur in Ferienclubs hat er sein Geld verdient und die Schauspielschule besucht, er macht Musik und tritt hier und da auf, kürzlich feierte er mit seinem ersten großen Kabarett-Solo-Programm PremiMai 2012

ere. Mit dem will er demnächst auch in Ingolstadt auftreten. Und wenn in Pfaffenhofen von einer ungewöhnlichen, schrägen oder sonstwie seltsamen Aktion die Rede ist, kann man ziemlich sicher sein: Mayer ist dabei. Ein Hansdampf in allen Gassen.

um eines: Die Rolle muss glaubwürdig rübergebracht werden.“ Die in „Bir Hakeim“ verfilmte Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg, in der Mayer einen deutschen Nazi-Schergen und Partisanen-Jäger spielt, beruht auf einer wahren Begebenheit und wurde an Originalschauplätzen in den südfranzösischen Orten La Borie und La Parade in der Nähe der Stadt Mende gedreht. Während die Deutschen Frankreich besetzten, gründete sich in Afrika eine Widerstandsbewegung namens „Bir Hakeim“; die Freiheitskämpfer hießen

Aber es sind nicht nur regionale Blödel-Aufritte und Augenzwinker-Rollen, mit denen Mayer auf sich aufmerksam macht. In „Der Untergang“ (2003) war er als Kleindarsteller dabei, ebenso in „Traumschiff Surprise“ (2004), im ZDF-Streifen „Heiraten muss gelernt sein“ (2004) und im RTLFilm „Crazy Race 3“ (2004) sowie „An einem Gedenkstein wurde 2005 in einem „Tatort“ und 2009 bei „Liebe und ihre Gefahren“ mir bewusst: Ich spiele hier den Mann, der all diese Menschen (ZDF). Doch die todernste Hauptrolle in dem Film „Bir Hakeim – le exekutiert hat.“ Maquis des Patriotes“, der nun im Tobias Christian Mayer Rahmen der weltbekannten Filmfestspiele in Cannes gezeigt wird, ist zweifelsohne der Höhepunkt Maquisard und kamen aus Algerien, Frankreich, Spanien, seiner noch jungen Karriere. aber auch deutsche Überläufer Dennoch sagt Mayer: „Ob ich als schlossen sich an. „Um gegen Comedian arbeite oder als Schau- die Wehrmacht zu kämpfen, verspieler in Geschichten mit schwe- steckten die Einheimischen die rem Stoff – beides ist gleichwertig Rebellen in den zwei kleinen Orternst zu nehmen.“ In jedem Cha- schaften“, erzählt Mayer. „Und rakter stecke eine Menge Arbeit. nachdem die Deutschen heraus„Unterm Strich geht es immer nur gefunden hatten, dass sich die Seite 65


Maquisard dort aufhalten, umzingelten sie diese Dörfer und nahmen alle Bewohner inklusive der Rebellen gefangen. Die SS ordnete an, alle exekutieren zu lassen.“ Den befehlshabenden Offizier, Hauptmann Lange, mimt Mayer in dem Film. „Lange beorderte damals den Pastor der Dörfer in die Kirche zum Gespräch und gab dem Geistlichen das Wort, die Zivilbevölkerung zu verschonen. Dieses Versprechen hielt er. Die Freiheitskämpfer jedoch ließ er gnadenlos hinrichten.“ Die Rolle in „Bir Hakeim – le Maquis des Patriotes“ war Mayers bislang größte Herausforderung. Nicht nur, dass er bis zu den Dreharbeiten nach eigenen Worten „keinen Brocken Französisch“ konnte; auch die Rolle des deutschen Hauptmanns wollte in seiner „Tiefgründigkeit und Zerrissenheit“ erst einmal erfasst werden. „Denn der Offizier wird in dem Film keineswegs bloß als obrigkeitshöriger Nationalsozialist dargestellt“, sagt Mayer. „Lange war natürlich ein überzeugter Nazi, aber auch ein Mensch und überzeugter Familienvater – und doch: Es ist Krieg, und da ist es seine Aufgabe, Feinde zu töten.“ Diese Rolle glaubwürdig zu verkörpern, war freilich eine HeSeite 66

rausforderung für den gebürtigen Mainzer. Während der Dreharbeiten kam er der Geschichte hinter dem Film manchmal beklemmend nahe: „Ich erinnere mich noch an eine Pause, als ich vor einem Gedenkstein auf meinen nächsten Einsatz warten musste“, erzählt er. „Es war der Gedenkstein, auf dem die Namen der getöteten Widerstandskämpfer stehen. Und da wurde mir plötzlich klar: Ich spiele hier den Mann, der all diese Menschen exekutiert hat.“ Dem Regisseur Baptiste Ménage attestiert Mayer „ausgezeichnete Arbeit“. Für sein Alter, Anfang 20, habe er das großartig gemacht. Dabei hat Ménage, das betont Mayer, einen ganz besonderen Bezug zu dieser Geschichte: „Er ist ein Nachkomme eben dieser Zivilisten, die seinerzeit von Hauptmann Lange verschont wurden.“ Tobias Mayer ist stolz darauf, in dem Film eine so bedeutende Rolle zu spielen. „Mir war gar nicht bewusst, was dieses Engagement für mich bedeuten könnte“, räumt er ein. Doch nun wird der Streifen in Cannes gezeigt: Außerhalb des Wettbewerbs zwar, aber immerhin in der „Short Film Corner“. Ein Ritterschlag sei das, betont

Mayer. „Cannes ist eben Cannes. Das ist eigentlich unglaublich.“ Als fest stand, dass der Streifen bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt wird, war für Mayer klar: „Da muss ich rein! Und wenn ich mich als Koch verkleidet durch die Küche schleiche.“ Eine Akkreditierung hat er noch nicht und das Geld ist wieder mal knapp. Aber er ist wild entschlossen, hinzufahren. Diesen Samstag macht er sich mit einem von einer Pfaffenhofener Firma zur Verfügung gestellten Kleinbus auf den Weg an die Côte d‘Azur. Im Schlepptau einen Kameramann, der seine Erlebnisse dokumentieren soll – und der vor allem perfekt Französisch spricht. „Wir wollen daraus ein Roadmovie machen.“ Der Arbeitstitel lautet: „Mayer kann Cannes.“ Und er ist fest davon überzeugt, dass aus seinem Abenteuer-Trip ein spannender Film entsteht. „Vielleicht läuft mir ja der Depp übern Weg“, sagt er. Und meint natürlich Johnny Depp, den famosen Schauspieler, der unter anderem in den jetzt schon legendären „Fluch der Karibik“Filmen für Furore sorgte. Wie es Mayer auf seinem Trip nach Cannes ergeht und was er dabei erlebt, wird er täglich auf www.tobmayer.de berichten. Mai 2012


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Foto: Arcole-Productions/Jonathan Sirvins


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Silla Pilsners tierische Abenteuer Die leidenschaftliche Tierschützerin hat schon 215 herrenlose Hunde und etliche Katzen aus Griechenland gerettet „Einen Tag nach meinem Unfall fand ich den verletzten Hund auf der Autobahn. Der liebe Gott hat mir das Leben geschenkt, damit ich die Hundemutter finde“, erzählt die gläubige Griechin. Denn als Silla Pilsner aus dem Auto stieg, um sich um das verletzte Tier zu kümmern, hörte sie erbärmliches Wimmern. Ein paar Meter neben der Autobahn fand sie schließlich ein Erdloch – darin zehn Hundewelpen. „Es hat schlimm gestunken“, berichtet die Tierfreundin mit Tränen in den Augen. Die rund zwei Wochen alten Welpen waren völlig unterernährt, denn die Mutter konnte keine Milch mehr geben. „Was hätte ich machen sollen? Ich hätte die Tiere ja nicht einfach dort lassen Silla Pilsner kommt ursprünglich können.“ aus Thessaloniki. Vielen Ingolstädtern ist die toughe Griechin Zusammen mit den zehn Welpen vermutlich aus 25 Jahren Volks- und der Mutter wollte Silla Pilshochschul-Unterricht oder von ner mit dem Flieger zurück nach verschiedenen Volksfesten und Deutschland kommen. „Doch Märkten in der Region bekannt. zehn Hundewelpen waren der Denn dort verkauft sie schon seit Fluggesellschaft zu viel“, erzählt vielen Jahren Gyros. Ihr Herz die Ingolstädterin. Da ihr eigenes schlägt allerdings für die Tiere. Auto durch den Unfall einen ToSie rettet herrenlosen Hunden in talschaden hatte, bat sie einen Griechenland das Leben – bringt jungen Mann, sie bis Venedig sie nach Ingolstadt, um hier für mitzunehmen. „In seinem kleinen die Vierbeiner ein neues Zuhau- Citroën sind die zehn Welpen in se zu finden. einer Kiste, die verletzte Mutter auf meinem Schoß und ich mit Es war der 27. Februar 2012, als Silla Pilsner auf der Autobahn in Thessaloniki in Griechenland einen abgemagerten, schwer verletzten Hund fand. „Das arme Tier bestand nur noch aus Haut und Knochen“, erzählt die Ingolstädterin. Wegen einer offenen Wunde am Bein war es der Hündin nicht mehr möglich, auch nur einen Schritt zu laufen. Tags zuvor hatte Silla Pilsner selbst einen schweren Autounfall. Dreimal habe sie sich überschlagen, bis das Auto endlich auf dem Dach liegen geblieben ist. Die Nase war gebrochen, Prellungen, Schürfwunden, der Fuß verletzt – trotzdem setzte die Tierschützerin ihre Mission unbeirrt fort.

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meinen Verletzungen bis Venedig mitgefahren. Dort hat uns meine Tochter abgeholt.“ In Venedig gingen die Probleme weiter. Die Polizei war überfordert mit den vielen Tieren, berichtet Silla Pilsner. Die Tierärztin in Griechenland hatte die Chipnummern nicht in die Pässe eingetragen, so war die Polizei nicht sicher, ob alles in Ordnung ist. „Sie wollten mich mit den Hunden nicht weiter fahren lassen. Da habe ich dann erst einmal zum Weinen angefangen“, so die Tierschützerin. „Ich hatte seit 48 Stunden nicht geschlafen, mir ging es durch den Unfall selbst nicht so gut und dann noch das.“ Irgendwann kam endlich der Amtstierarzt. Der habe die eingesetzten Chips der Hunde abgescannt und gesehen, dass alles in Ordnung war. In Ingolstadt verpachtete ihr eine gute Freundin einen Garten mit einem kleinen Häuschen. Dort konnte die Tierfreundin die Hundefamilie unterbringen. Regelmäßig komme ein Tierarzt vorbei, um nach den Vierbeinern zu sehen. Die Tiere werden geimpft, gechipped und untersucht – wenn möglich auch gleich noch kastriert. Die Kosten trägt Silla Pilsner momentan allein. „Die verletzte Hundemutter hat mich 600 Euro Seite 69


gekostet.“ Auch der Transport der Hundefamilie von Griechenland nach Ingolstadt war ziemlich teuer, doch für die hilflosen Tiere würde die Hundeliebhaberin nahezu alles tun. Von den neuen Besitzer verlangt Silla Pilsner lediglich einen Unkostenbeitrag von rund 150 Euro. Auch wenn es manchmal sehr schwierig sei, die Tiere zu vermitteln, gibt sie die Vierbeiner nicht an jeden weiter. „Mein Gefühl sagt mir ganz genau, wem ich einen Hund geben kann und wem nicht.“ Es müsse auf jeden Fall ein Garten dabei sein. Auch bei jungen Menschen sei sie eher vorsichtig. Denn in deren Leben ändere sich noch so viel und wenn es hart auf hart kommt, müsse als erstes der Hund weg. „Ich muss immer noch weinen, wenn ich einen Hund hergebe. Es entsteht im Laufe der Zeit natürlich eine intensive Bindung, denn ich will ja, dass die Tiere vergessen, was ihnen in Griechenland zugestoßen ist.“ Hin und wieder bringen ihr auch gute Freunde Futter vorbei oder bieten an, eine Rechnung zu begleichen. Zu ihrem 60. Geburtstag wünschte sich die Ingolstädterin von jedem ihrer Gäste einen Sack Hundefutter. Ansonsten finanziert die Tierfreundin ihre Rettungsaktionen aus dem Verkauf von Wein und Ouzo auf Volksfesten oder dem Christkindlmarkt. „Da kommt zumindest ein bisschen was zusammen“, so Silla Pilsner. „Manchmal geben die Leute auch mehr, denn sie wisSeite 70

sen was ich tue, das macht mich Tiere gleich hinterher und freuen sich. „Das Gefühl ist so toll. Aber glücklich.“ wohl nur für den, der auch Tiere Seit 1992 fährt die Ingolstädterin liebt“, schwärmt die Ingolstädtenach Griechenland, um Tiere zu rin. „Jemand anderes kann das retten. Insgesamt habe sie schon wohl nicht verstehen. Viele Leute 215 Hunde und 20 Katzen vermit- mögen zwar Tiere, aber trotzdem telt. Auch die Welpen aus ihrem halten sie mich für verrückt.“ letzten Transport konnte sie alle an neue Besitzer weitergeben. Silla Pilsner verbringt ihre ge„Nur für die Mutter habe ich noch samte Zeit mit den Tieren. Hin kein geeignetes Zuhause gefun- und wieder schimpft ihre Familie, den“, berichtet Silla Pilsner trau- weil sie Silla nicht zu Gesicht berig. „Ich hoffe sehr, dass ich für kommt. „Ihr braucht mich nicht, sie auch bald ein nettes Herrchen ihr habt was zu essen. Wenn ihr oder Frauchen finde.“ mich sehen wollt, müsst ihr mich begleiten“, antwortet ihnen die Regelmäßig nimmt die Tierfreun- Tierfreundin dann. Wie lange sie din 38 bis 40 Stunden Autofahrt dieser nervenaufreibenden und nach Griechenland in Kauf. Noch teuren Leidenschaft noch nachnie sei sie ohne einen Hund zu- gehen wird, weiß Silla Pilsner rück gekommen. Sie wisse genau, nicht sicher. Was sie aber sicher wo sich die herrenlosen Hunde weiß ist, dass sie in diesem Somaufhalten, erzählt sie weiter. mer wieder nach Griechenland Wenn sie komme, laufen ihr die fahren wird.

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Fotos: Privat Mai 2012

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Der heimliche Held

Warum Augenfacharzt Bilal Ibrahim ehrenamtlich Verwundeten in den Krisen- und Kriegsgebieten hilft Nach wie vor quälen Dr. Bilal Ibrahim Albträume von seinen Erlebnissen in den Kriegsgebieten. Speziell der Einsatz 2006 in den Krisengebieten des Libanons, als der Facharzt für Augenheilkunde unter Todesangst, von Bomben getroffen zu werden, gearbeitet hat, bleibt ihm ein Leben lang in Erinnerung.

aus dem sicheren Deutschland in den Krieg. Es ist schon fast eine Ironie.“ Die Leute fragten ihn, warum er komme. „Ich antwortete nur: Ich möchte euch helfen.“ „Drei Mal geweint“ Wenn sich der Augenarzt an die Zeit erinnert, merkt man, wie alte Wunden wieder aufklaffen und die schrecklichen Bilder von Leid und Not wieder hochkommen. „Ich sah, wie eine Mutter gestorben ist. Sie hielt ihr lebendes Baby noch im Arm. Oder ein Opa schützt seinen Enkel beim Bombenangriff mit seinem Leben“, erzählt er mit trauriger Mine und: „Das Kind überlebte unter dem toten Opa. Damals war der Bub 13; er lebt inzwischen als 18-Jähriger in Mönchengladbach.“ Ibrahim verrät einen ganz privaten Moment in dieser Zeit: „Ich habe zwei, drei Mal alleine geweint, aber nie vor anderen Leuten“, sagt er. „Wenn du nicht betroffen bist von den Leiden, dann kannst du den Job nicht machen.“ Leidenschaft bedeute auch Mitgefühl für die Menschen. „Sie treibt dich an, zu helfen.“

„Es gab in den Operationssälen oftmals keinen Strom und es war so heiß, dass man das Fenster öffnen musste. Man operierte dabei am offenen Menschen. Und immer war die Angst vor Bomben da“, erinnert sich der gebürtige Libanese an die schrecklichen Erlebnisse im Kriegsgebiet. Schon bei seiner damaligen Fahrt in den Libanon war für den Mediziner, der in Ingolstadt seine Praxis hat, eines klar: „Ich will den Menschen vor Ort helfen.“ „Manche Leute sagen ich habe ein Helfersyndrom“, sagt Ibrahim. „So etwas muss man in sich haben. Gerade die Erlebnisse im Krieg, wenn Menschen mit Bombenverletzungen zu einem kommen, schaut man, wo kann man als Arzt helfen.“ Schon bei seiner Ankunft vor sechs Jahren waren die Menschen vor Ort von seinem Aber es gab auch viele Seiten des Einsatz verwundert. „Leute flüch- Krieges, die dem Arzt neue Kraft ten aus dem Land und ich komme gegeben haben. „Ich habe eine Mai 2012

Frau und einen Mann im Libanon kennengelernt, die ihre Beine verloren hatten. Als ich dort hinkam, waren sie immer am Lachen. Ich fragte ihn, warum er lacht, und er sagte mir: Wenigstens habe ich noch zwei Arme. Er war so positiv gestimmt. Das hat mich beeindruckt, dass man trotz dieser Verletzungen immer noch lachen kann“, erzählt Ibrahim. „Das hat mir Hoffnung gegeben. Denn die Hoffnung stirbt wirklich zuletzt.“ In den Kriegsgebieten war Ibrahim nicht nur als Arzt gefragt, sondern oftmals auch als Botschafter oder Psychologe. „Ich hatte einen Patienten, der war in einem sehr schlechten Zustand.“ Er hatte seine ganze Familie verloren. „Ich war sehr religiös zu ihm und fragte ihn, wer wichtiger für Gott sei: er oder der Prophet Hiob. Er sagte: Hiob, er ist ein Prophet. Darauf ich: Auch Hiob hat seine Familie verloren und lebte weiter. Du musst dir Hiob als Vorbild nehmen.“ Am Ende, erzählt der Mediziner, „konnte der Mann sogar wieder lachen“ . Weltweiter Krisenhelfer Für Bilal Ibrahim sind Erfahrungen extrem wichtig. „Gerade die Erlebnisse vor Ort haben eiSeite 73


Eine Einstellung, die ihm schon in die Wiege gelegt worden sei. „Ich helfe schon seit meiner frühesten Kindheit den Menschen.“ Das habe er von seinem Vater beigebracht bekommen. „Er hat den Menschen immer eine Hand gereicht. Ich bedanke mich bei ihm, dass ich die Kraft und Geduld habe, jemandem zu helfen“, sagt er und mahnt: „Wer schon früh immer nur an sich selbst denkt, wird das als Erwachsener auch Neben seinen Einsätzen im Liba- machen.“ non war der Mediziner auch in den Kriegswirren von Nigeria sowie Hoffnung auf Weltfrieden als Tropenarzt auf verschiedenen Inseln in Südamerika unterwegs. Inzwischen reist der Augenarzt Ihm war dabei stets eines wichtig: nicht mehr in die Kriegsgebiete, „Ich habe nie Geld genommen, hilft den Menschen aber immer wenn ich dort hingegangen bin. noch. Sein Credo: „Man muss Ich habe sogar meine Flugtickets sich für andere engagieren. Jeselbst bezahlt. Helfen ist für mich, der Mensch hat eine Verantworwenn ich etwas umsonst mache.“ tung für seine Gemeinde.“ In Innen geprägt“, sagt er. „Man überlegt sich, was man noch mehr machen hätte können.“ Man lerne von diesen Erfahrungen. „Jeder Fall war für mich eine Lektion“, sagt er und weiß, dass man auch lernen muss, mit den Eindrücken umzugehen: Die Frage „Wie gehe ich auch persönlich damit um?“ sei wie eine Hürde, „und du musst die Power haben, diese zu überwinden“.

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golstadt betreut er unter anderem ein Projekt, in dem arabischstämmigen Mitbürgern die deutsche Sprache gelehrt und die deutsche Kultur nähergebracht wird. Aber auch sein Einsatz für die Ärmsten dauert an. „Ich helfe nun von hier aus.“ Er versendet zum Beispiel Medizin, „und früher habe ich die alten Brillen meiner Kunden gesammelt und diese in die Armutsgebiete nach Afrika geschickt“. Eine Botschaft ist dem Mediziner nach wie vor wichtig. „Gewalt und Krieg bringen keine Lösung, sondern nur Verletzungen, Armut und noch mehr Probleme“, betont er. „Besser ist der Dialog, da kann man etwas erreichen. Ich möchte Frieden und Harmonie. Lieber gehe ich auf ein Fest, wo die Wunden des Krieges am Heilen sind.“

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„Jeder Auftritt ist ein Erlebnis“ Teona Gubba-Chkeidze eine wahre Meisterin an der Geige Man kennt sie vor allem aus dem Georgischen Kammerorchester, von den Simon-MayrTagen oder der Ingolstädter Orgelmatinee. Teona Gubba-Chkeidze verzaubert mit ihrer Violine nicht nur die Ingolstädter Musikfans. Seit 2006 ist die hübsche Ingolstädterin – zusammen mit ihrer französischen Violine - fester Teil des Georgischen Kammerorchesters. Ursprünglich stammt die 39-Jährige aus Georgien, genauer gesagt aus Tiflis, der Hauptstadt. Ihre Leidenschaft zur Musik entdeckte Teona schon sehr früh - mit fünf Jahren bekam das junge Talent die erste eigene Geige geschenkt. „Ich war gerade fünf Jahre alt, da hat mir meine Mutter eine Achtel-Geige geschenkt“, erinnert sich die Musikerin. „Meine Mutter ist selbst Geigerin und immer wenn sie beim Üben eine Pause gemacht und ihr Instrument weggelegt hat, habe ich mit dem Bogen über die Saiten gestrichen. Das fand sie nicht so gut.“ Doch an der kleinen Geige durfte sich der aufstrebende Stern dann selbst versuchen. Die ersten richtigen Violinstunden folgten im Alter von acht Jahren. Zu dieser Zeit wurde Teona auch Mitglied der sowjetischen Girlband „Mziuri“. Pop und mehrstimmige georgische Volkslieder gaben die insgesamt elf Mädchen zum Mai 2012

Besten. Jede spielte ein anderes Instrument. „Ich habe damals EGitarre gespielt und gesungen“, schwelgt die 39-Jährige in ihren Erinnerungen. Profis haben „Mziuri“ - was übrigens „sonnig“ bedeutet – ins Leben gerufen. In der Sowjetunion spielte sie eine wichtige Rolle. „Zehn Jahre sind wir als Band, oft monatelang durchs Land getourt“ und sogar im Ausland sei „Mziuri“ damals aufgetreten, erzählt die Musikerin. Die Tourneen führten „Mziuri“ unter anderem von Petersburg über Krim bis Baku, dreimal führte ihr Weg sogar nach Deutschland. Selbst heute musizieren die elf „Girls“ noch gerne miteinander – vor allem werde dann viel gesungen, erzählt Teona. „In Georgien singen die Leute sowieso gern und viel.“ Teona Gubba-Chkeidze stammt aus einer sehr künstlerisch-musikalischen Familie. Die Mutter ist eine anerkannte Geigerin, der Vater - ein weltweit bekannter Regisseur. Seit mehr als 20 Jahren ist er Intendant am großen dramatischen Theater in Petersburg, nebenbei inszeniert er Opern. Großmutter und Schwester haben sich ganz der Schauspielerei verschrieben, die Tante ist Ballerina. Für die junge Teona jedoch, war von Anfang an klar, dass sie später

einmal Musikerin wird. „Ich wüsste nicht, ob ich als Kind jemals einen anderen Berufswunsch hatte. Ich denke meine Familie hat mich sehr geprägt“, erzählt die Violinistin. Nach dem Gymnasium für musikalisch begabte Kinder, studierte die Musikerin an der Musikhochschule in Tiflis in der Violinklasse von Konstantin Vardeli. Doch der kam 1993 mit seinem Staatsquartett nach Ingolstadt. Dort spielte er – neben seiner Tätigkeit als erster Geiger im Staatsquartett – auch als Musiker im Georgischen Kammerorcherster unter Liana Issakadzes Leitung. Ein Jahr später beschloss die damals 21-jährige Teona ihrem Lehrmeister zu folgen. 1995 zog es die Violinistin nach München, wo sie nach einer Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik und Theater als Vollstudentin aufgenommen wurde. „In München war es wirklich sehr toll“, schwärmt die Ingolstädterin. „Die Hochschule hat damals sogar wirklich berühmte Dirigenten wie Zubin Mehta oder Krzysztof Penderecki eingeladen. Das war eine fantastische Erfahrungen und prägt einen natürlich ungemein“. Das Staatsexamen mit der Note „sehr gut“ und Auszeichnung in der Tasche, wurde Teona zum Meisterklassenstudium zugelassen. Nach sechs Jahren StudiSeite 75


um hielt die ehrgeizige Musikerin schließlich ihr Meisterklassendiplom in den Händen. Neben der Musik hegt Teona Gubba-Chkeidze eine weitere Leidenschaft und zwar die Sprachen. Neben ihrer Muttersprache spricht sie natürlich Deutsch, Englisch, Russisch, Spanisch - und sogar ein bisschen Persisch hat sie während ihrer Schulzeit gelernt. „Es macht mir Spaß, die Literatur in der Originalsprache zu lesen. Das ist etwas ganz anders“, so die Violinistin. „Ich finde es außerdem höchst interessant, welche Wörter aus welcher Sprache abstammen und wie die sich dann entwickelten.“ Vermutlich ist das auch einer der Gründe wieso die 39-Jährige vor einigen Monaten ein eigenes Trio namens Trio con moto gegründet hat, in dem nicht nur die Musik im Vordergrund steht. Einen ersten Auftritt vor 60 Leuten im Altstadttheater hat es bereits gegeben und der sei beim Publikum wahnsinnig gut angekommen. Es geht um Kunst-, Musik- und Literatur aus dem 20. Jahrhundert. „Wir spielen zum Beispiel nicht nur Piazzolla, sondern erzählen auch seine Biographie und die Entstehung des Tangos“, erklärt sie. „Dazu zeigen wir Bilder von Frida Kahlo, erklären deren Bedeutung, berichten von ihrem Leben und der Beziehung zu ihrem Mann.“ Zwischen drin spielt das Trio – bestehend aus einer Seite 76

Jeder Auftritt ist für Teona ein Erlebnis, erzählt sie. An jedes einzelne Konzert erinnere sich die leidenschaftliche Musikerin sehr gerne. „Wenn es Spaß macht zu spielen, dann ist es ein gutes Konzert. Die Freude am Spielen steht stets im Vordergrund, denn nur so kann man ein Stück dem Publikum auch gut überbringen.“ Am liebsten spielt die Ingolstädterin Stücke aus der Romantik, berichtet sie. Aber auch moderne Musik und vor allem Bach gehören zu ihren Favoriten. Ihr persönliches Vorbild ist jedoch ein Pianist, Swjatoslaw Richter. „Er war ein ganz bescheidener, kluger Mensch – ein Musiker durch und durch. Während seiner ReiFoto: oh sen spielte er auf nahezu jedem Instrument, vor kleinstem PuPianistin, einer Cellistin und Teo- blikum. Aber er spielte, weil er na selbst, natürlich an der Violine spielen wollte.“ Piazzollas Tangos. Gedichte vom chilenischen Dichter und Schrift- Ähnlich wie ihr Vorbild lebt auch steller Pablo Neruda gibt Teona in Teona Gubba-Chkeidze für die der Originalsprache zum Besten. Musik. Neben den Orchesterpro„Ich habe gemerkt, dass gerade ben übt die Ingolstädterin täglich das deutsche Publikum immer al- mehrere Stunden an Interpretales ganz genau wissen will. Es ist tion, Intonation, Rhythmus und sehr aufmerksam, hört gut zu und Klang. Für ihren Ehemann ist ist sehr interessiert. Da dachte ich das aber kein Problem, er liebt mir, wieso nicht einfach mal Musik, das Geigenspiel seiner Frau. Literatur und Kunst kombinieren.“ „Wenn ich oben übe und die TüDas nächste Mal ist das „Trio con re zu mache, dann kommt er rauf moto“ bei einer Orgelmatinee – al- und macht die Türe wieder auf“, lerdings ohne Kunst und Literatur erzählt die 39-Jährige lachend. am 16. September in Ingolstadt zu „Ich will auch was hören“, sagt er dann. (kg) hören. Mai 2012


Lebenslinien im Juni 2012 Juni 2012

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Foto: Schmatloch

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Von Haller bis Lahm

Walter Anspann über den großen Wandel in der Fußballwelt An diesem Wochenende beginnt das Fußball-Großereignis des Jahres: Die Europameisterschaft in Polen und der Ukraine hält einen ganzen Kontinent in Atem. Wenn die deutsche Nationalelf den ersten Titel nach 16 Jahren holen möchte, geht es dabei allerdings nicht nur um das Spiel an sich. Immer mehr rückt das Event Fußball in den Vordergrund. Ein Mann, der andere Zeiten miterlebt hat, erinnert sich: Walter Anspann, ehemaliger Spieler und Kapitän des MTV Ingolstadt. In der zweiten Bundesliga Süd spielte Anspann 77 Mal und erzielte dabei elf Tore. „Achtung, Achtung, Nein! Nicht im Tor, kein Tor. Oder doch? Jetzt, was entscheidet der Linienrichter? Tor.“ Der Kommentar von Rudi Michel zum berühmten Wembley-Tor beim Finale der Weltmeisterschaft 1966 zwischen Deutschland und England ist legendär, ebenso wie der Treffer, der vielleicht gar keiner war. Als die Engländer den Pokal im eigenen Land holten, war Walter Anspann gerade einmal zehn Jahre alt. Die WM 1966 war das erste große Fußballturnier, das er bewusst wahrnahm. „Wir haben das damals an einem Schwarzweiß Fernseher verfolgt“, erinnert er sich. Für ihn als Bub, sei das damals sehr interessant gewesen. „Der Stern Beckenbauers ist damals aufgegangen. Dazu haben Juni 2012

damals Spieler wie Helmut Haller ist das Wahnsinn. Bei uns wurauf dem Platz gestanden, das ver- de nicht einmal eines verkauft.“ gisst man nicht.“ Trotzdem sieht er auch Nachteile in diesem Boom. „Die Spieler fühDas Wembley-Tor hat er gut in len sich fast wie Filmstars. Wenn Erinnerung. Ob es ein Treffer war ich mir aber vorstelle, mit 21 Jahoder nicht, kann er bis heute nicht ren hätte ich sechs bis acht Milbeantworten: „Es war ja nur ein lionen Euro verdient, wäre das kleiner Fernseher. Außerdem hat- schon schwer zu verarbeiten gete man damals nicht annähernd so wesen. Das steigt einem in den viele Zeitlupen wie heutzutage.“ Kopf“, sagt Anspann. Doch solche Verdienste kennt der ehemalige Tatsächlich hat sich in den vergan- Mittelfeldspieler freilich nicht. „Wir genen 46 Jahren einiges geändert, waren keine Profis, wir waren ja spielerisch aber auch allgemein im nicht einmal Halbprofis.“ Traurig, Fußball. „Heute ist es kaum mehr dass er nicht solche Gehälter wie ein Fußballspiel, sondern eigent- nun Schweinsteiger & Co. erhallich ein Event. Früher war das alles ten hat, ist er jedoch nicht: „Ich finganz anders. Man sollte das Spiel de das nicht schlimm. Unsere Zeit nicht aus dem Auge verlieren“, war damals richtig schön, von der betont er. Anspann selbst hat von Kameradschaft vielleicht sogar 1978 bis 1981 erfolgreich beim schöner.“ Zu seiner Zeit Anfang MTV Ingolstadt gespielt. Doch da- der 1980er-Jahre, haben die Spiemals habe das auch in Ingolstadt ler noch gewusst, wie die Zukunft kaum Interesse geweckt. „Damals aussieht. „Wir sind gerne in die hat es niemanden interessiert, wo Arbeit gegangen, weil wir uns so und wie wir spielen. Da gab es kei- unsere Zukunft gesichert haben. ne regionalen Medien.“ Heute ist Damit wussten wir, was nach dem das freilich anders, das weiß der Fußball sein wird.“ Manche Fußehemalige Spielführer gut: „Es baller müssten heutzutage von geht ja schon von unten los. Wen Verein zu Verein wechseln, um hätte es denn gekümmert, ob der ihre Familien zu finanzieren und FC Gerolfing in die Landesliga wüssten daher nicht, wo sie die nächsten fünf Jahre ihres Lebens aufsteigt? Niemanden.“ verbringen. Fußball sei nicht alles Doch nicht nur die Medienland- gewesen. „Konnte es ja auch gar schaft wächst: „Wenn man hört, nicht“, erklärt Anspann und fügt dass Adidas damit rechnet, rund hinzu: „Für uns war der Fußball eine Million Trikots zu verkaufen, mehr Spiel und Sport.“ Seite 79


Dennoch war es auch eine stressige Angelegenheit für die Spieler, besonders, wenn es zu Auswärtspartien kam. Bei einem Samstagsspiel, welches 500 Kilometer entfernt stattfand, sei man schon am Freitag angereist. „Freitag Anreise, Samstag Spiel und Sonntag Rückreise. Da war man dann erst in der Nacht zu Hause und in der Früh ging es wieder zum Arbeiten. Als Spieler war man dann ordentlich gestresst.“ Natürlich kann er sich aber auch an schöne Momente aus vergangenen Tagen erinnern. „Es war eine erfolgreiche Zeit. Zum 100-jährigen Jubiläum vom MTV sind wir damals auch bayerischer Meister geworden.“ Eine besonderes Begegnung gab es in München. In einem bayerischen Pokalendspiel musste die MTV-Elf gegen den TSV 1860 München antreten. Das Grünwalder Stadion, die damalige Heimat der Münchner Löwen, war extra für dieses Spiel besonders dekoriert worden. „Ein roter Teppich war ausgelegt, es gab Lorbeerkränze und die wichtigsten Herren hatten wohl auch schon ihre Reden vorbereitet. Alle haben mit einem Sieg der Löwen gerechnet.“ Doch die Ingolstädter machten Spielern, Fans und dem Umfeld einen Strich durch die Rechnung. „Wir haben gewonnen“, lacht Anspann bei der Erinnerung an das Spiel. Sofort wurde alles abgebaut. Eine Siegerehrung habe es nicht wirklich gegeben, weil die Löwen so enttäuscht über die Seite 80

Niederlage waren. Als Kapitän der Mannschaft erhielt Anspann den Kristallpokal von Alfred Fackler, zu dieser Zeit Chef des Olympiaparks, überreicht. Im Grünwalder Stadion spielte Anspann damals nicht nur wegen dieses Triumphs sehr gerne. „Wir haben ja fast lieber auswärts gespielt, weil es da schöne Stadien gab.“ Ob Karlsruhe, Offenbach, Fürth oder Neunkrichen – die anderen Mannschaften hätten über die Bezirkssportanlage Mitte gelacht, so der 55-Jährige. „Das war, verglichen mit den Spielstätten anderer Vereine, kein Stadion, sondern eine Fahrradhalle“, sagt er. Umso schöner wäre es natürlich für ihn, heutzutage im Stadion des FC Ingolstadt 04 aufzulaufen. „Für Ingolstadt ist das wirklich ein Traumstadion. Da würde man schon gerne spielen.“ Seine Karriere musste Anspann letztlich aus beruflichen Gründen beenden. Mit den Kollegen von vor 30 Jahren hat er aber noch Kontakt. Gerade, weil viele Spieler immer noch in der Umgebung wohnen, sei der Kontakt noch recht intensiv. Die Mannschaft war beispielsweise zusammen zum Pfingstvolksfest eingeladen. Bei solchen Treffen herrsche eine Super-Stimmung.

Rivalität, zumindest nicht unter den Spielern. Da haben sich auch Freundschaften entwickelt. Die Rivalität bestand, wenn überhaupt, nur zwischen den Vorständen.“ In einer Auswahlmannschaft aus Spielern des ESV und MTV Ingolstadt sowie aus Neuburg schnürt er manchmal noch seine Fußballschuhe. Bei der Europameisterschaft in diesem Jahr wird er sicherlich auch wieder vor dem Fernseher sitzen. „Ich schaue natürlich noch gerne, jedes große Turnier hat etwas Besonderes.“ Mitfiebern würde er auf jeden Fall, mit dem FC Bayern hat er zuletzt beim verlorenen Champions-League-Finale gelitten. Allerdings erklärt er auch: „Ich bin kein direkter Fan. Für mich soll der Bessere gewinnen, ich will nur ein schönes Fußballspiel sehen.“ Trotzdem hofft er auf den Titel für die deutsche Elf bei der EM. „Man hatte seit Jahren keine so spielstarke Mannschaft. Man hat das Zeug zum Europameister, denn man ist auf Augenhöhe mit Spanien und Holland.“

Wenn er an den größten Unterschied zwischen dem Fußball jetzt und früher denkt, muss er lachen. „Der Fußball ist viel athletischer geworden. Wenn die heute ihr Trikot ausziehen, ist da kein Gramm Fett. Das sind Modelathleten. Bei Im Rückblick räumt er auch mit Helmut Haller hat man 1966 dageeinem Irrtum auf. „Zwischen dem gen ein Bäuchlein unter dem TriESV und dem MTV gab es keine kot gesehen.“ Juni 2012


Foto: Privat Juni 2012

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Legenden der Leidenschaft

Walter Haber hat in seinem Leben schon viele Promis getroffen – Lizzy Aumeier, Helge Schneider oder Günter Grünwald. Seit fast 30 Jahren betreibt er – zusammen mit Josef Jauernig – die Kleinkunstbühne Neue Welt. Ursprünglich wollte der heute 61-Jährige Lehrer werden. Die Ausbildung sowie zwei Jahre Referendariat hatte er bereits abgeschlossen. „Doch dann kam die Neue Welt.“Angefangen hat alles, als Haber Student war: „Weil in Ingolstadt musiktechnisch sehr wenig geboten war, gründeten wir die „Förderbandmusikinitiative“. Sie setzte sich zum Ziel, am laufenden Band Künstler nach Ingolstadt zu holen. In der Aula der Berufsschule begann die Erfolgsgeschichte. Doch nach dem Studienabschluss hatte der damals 27-Jährige erst einmal wenig Glück. Denn zu dieser Zeit herrschte in der Region ein Einstellungsstopp für Gymnasiallehrer. „Um die Wartezeit zu überbrücken, schaute ich mich nach einer Alternative um“, erzählt der Unternehmer. „Ich wollte gerade einen Job bei einer Versicherung annehmen, als das Angebot von Michael Zöpfl, dem Gründer der Neuen Welt kam.“ Zöpfl betrieb die Neue Welt zu dem Zeitpunkt knapp ein Jahr, er bat Haber, einzusteigen. Mit finanzieller Hilfe seitens der Familie entschied sich Haber, das Angebot anzunehmen. „Dann habe ich allerdings erst einmal mein blaues Wunder erlebt“, Juni 2012

erinnert sich der zweifache Familienvater. „Michael hat ziemlich bald und ohne Vorwarnung das Handtuch geschmissen und ist ausgestiegen. Dann stand ich natürlich mit Schulden und Verpflichtungen in der Neuen Welt.“ Eine wirkliche Wahl hatte er nicht mehr, denn ein Verkauf der Kleinkunstbühne wäre nur mit großen finanziellen Einbußen möglich gewesen. „Außerdem wäre es Unsinn gewesen, denn die Neue Welt ist damals sehr gut gelaufen“, erzählt Haber. „Es war die In-Kneipe in Ingolstadt. Das Einzige, was gefehlt hat, war ein kontinuierlicher künstlerischer Betrieb, aber den hab ich dann langsam aufgebaut.“ Ein Jahr später nahte endlich Unterstützung – Josef Jauernig stand in der Tür, ebenfalls auf der Suche nach einer beruflichen Alternative. „So haben wir uns zusammengefunden und das ist bis heute so geblieben.“

wurzelt mit Ingolstadt“, und etwas anderes kam eigentlich auch gar nicht in Frage. „Es ist die Idealbesetzung, wenn man seine Leidenschaft beruflich umsetzen kann.“ Schon in der Kindheit verschrieb sich Haber der Musik, „hier in der Neuen Welt konnte ich all das verwirklichen, was ich mir immer erträumt hatte“. Auch finanziell und kommerziell war es um die Kleinkunstbühne – gerade in den ersten zehn Jahren – sehr gut bestellt. Doch nach und nach wurde auch die Konkurrenz in Ingolstadt immer größer und die Kneipendichte immer höher. „Inzwischen hat sich leider sehr viel verändert“, klagt er. „Die ersten zehn, 15 Jahre haben wir von der Kneipe gelebt, heute ist es umgekehrt, wir leben von den Umsätzen der Veranstaltungen.“ Der Grund dafür ist, dass die Menschen es einfach nicht mehr „in“ finden, eine ruhige Kneipe zu besuchen, glaubt Haber. Laute SzeneNatürlich gab es auch im Leben von kneipen seien in der heutigen Zeit Haber immer wieder den Punkt, an angesagt. dem er sich überlegte, beruflich neue Wege einzuschlagen. Ange- Er selbst will sich auf keine Musibote gab es viele, berichtet er. So krichtung festlegen. „Ich bin offen hätte er zum Beispiel als Kulturma- für alle Genres – von Klassik bis nager in einer anderen Stadt arbei- zu guter Volksmusik.“ Auch einen ten können. „Aber ich bin sehr ver- Lieblingskünstler hat er nicht, „es Seite 83


gibt so viele und es kommen täglich neue dazu. Wenn mich wer fragt, würde ich wahrscheinlich jeden Tag einen anderen Namen sagen“, lacht er.

Zumindest ist es – im Zeitalter des Internets – einfacher geworden, mit den Künstlern in Kontakt zu treten. Noch eine interessante Beobachtung hat Haber im Laufe der Zeit gemacht: „Bei musikalischen Veranstaltungen ist das Publikum hier sehr begeisterungfähig. Beim Kabarett dagegen halten sich die Zuschauer enorm zurück und zeigen erst am Schluss, dass es ihnen gefallen hat. Unter den Künstlern gibt es sogar einen Running-Gag“, erzählt Haber. „Da simsen sie sich in den Pausen zu: Wie ist es bei dir? Und als Antwort kommt nur zurück: Ingolstadt.“ Die Kabaretttage sind zwar jedes Mal restlos ausgebucht, doch während des Stücks reagie-

ren die Ingolstädter wohl zu wenig. „Man muss das aber positiv sehen“, meint Haber, „die Leute hören sehr genau zu. Nach dem Motto: ,Jetzt zeigt mal was ihr drauf habt, wir haben schon viel gesehen.´ Aber vielleicht ist es auch das typische Schanzer Lebensgefühl.“ Im Oktober 2013 feiert die Kleinkunstbühne Neue Welt ihr 30-jähriges Bestehen. Es wird ein großes Fest im Stadttheater geben, „das wird unser Höhepunkt werden“, verrät Haber. „Danach wird es zwar weiter gehen, aber wie lange noch, dass wollen wir uns offenhalten.“ Das Jubiläum steht unter dem Motto „Sieben auf einem Streich“, doch was dahinter steckt, will Haber noch nicht verraten. (kg)

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Haber wählt alle Künstler bewusst aus und ist bei jeder Veranstaltung anwesend. „Das ist für mich eine Maxime, ich mache keine Veranstaltung, bei der ich nicht dabei bin, und das rechnen mir die Künstler sehr hoch an“. Geregelte Arbeitszeiten oder Urlaubstage gibt es in seinem Job nicht. Die Organisation beansprucht enorm viel Zeit. Am 18. September spielt zum Beispiel ein Bluesmusiker in der Neuen Welt, „den habe ich 18 Jahre lang – Jahr für Jahr – beackert, nach Ingolstadt zu kommen. Jetzt habe ich

es endlich geschafft“.

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Wenn die Haut Geschichten erzählt Warum Marion Hofer mit Tattoos und Piercings ihr Äußerers radikal veränderte Der Kopf ist kahl rasiert, statt Haaren ziert ein großes Tattoo das Haupt von Marion Hofer. Ein Leopardenmuster, das spitz zuläuft und erst am Nasenansatz endet. Über beiden Schläfen glitzert eine Reihe von Microimplantaten, auch auf der Stirn blitzt ein kleines Steinchen auf. Egal wo Marion Hofer hingeht, sie zieht sofort alle Blicke auf sich. Die Reaktionen auf ihr Äußeres sind sehr unterschiedlich, erzählt sie. „Menschen mit außergewöhnlichem Aussehen werden schnell in Schubladen gesteckt.“ Sie kann es zwar nachvollziehen, dass die Leute im ersten Moment überrascht oder erschrocken sind, „doch am besten finde ich es, wenn mich die Leute ansprechen, wenn sie was wissen wollen.“ Neben negativen Reaktionen hat Marion Hofer aber auch viele sehr positive und lustige Begegnungen gehabt. Vor einigen Jahren sprach sie eine ältere Dame an: „‚Ist das tätowiert?, fragt sie. Ich sag ja. Dann packt sie ihr Stofftaschentuch aus, leckt es ab und reibt über meinen Kopf. Als sie merkte, dass es wirklich nicht mehr weggeht, meinte sie: ‚Hast du dir das gut überlegt, Kind?‘ Die ist mir wirklich im GeJuni 2012

dächtnis geblieben“, erzählt die bote aus der Branche – sogar aus Ingolstädterin lachend. Übersee kamen Anfragen. Doch Hofer schlug alle Angebote aus Angefangen hat ihre berufliche – wegen ihrer Kinder. „Ich weiß, Laufbahn eigentlich ganz harmlos. wenn ich den Job weiter gemacht Aufgewachsen ist die Unterneh- hätte, hätte das ein böses Ende merin in Ingolstadt, machte nach genommen. Ich wollte mich meider Schule eine Ausbildung zur nen Kindern nicht wegnehmen.“ Arzthelferin und bekam drei Kinder. Eine längere Tätigkeit im Ausland Zwei Mädchen und einen Jungen. kam für die dreifache Mutter auch „Ich war eine Zeit lang zu Hause, nicht in Frage, denn die Erziehung doch irgendwann dachte ich mir, ihrer Kinder und vor allem, jederdas kann es jetzt auch nicht ge- zeit für sie da zu sein, war und ist wesen sein, ich muss etwas tun.“ ihr bis heute noch sehr wichtig. „Ich Also holte sie ihr Abitur an der bin sehr konservativ“, gesteht sie, Abendschule nach, absolvierte ein „auch wenn ich nicht so aussehe.“ Heilpraktiker- und Psychologiestudium und fing beim Rettungs- Ihr Äußeres, so sagt sie, veränderte dienst an. Von da an rettete sie sie zu ihrem eigenen Schutz – „um acht Jahre lang, hauptsächlich in nie wieder in meinen alten Beruf der Nachtschicht, Leben. Bis der zurück zu können. Ich bin kein TatJob sie schließlich krank machte. toofreak oder so etwas, damit hat Burnout. „Es ging so weit, dass das alles absolut nichts zu tun.“ ich sagte, ich will nicht mehr le- Hofer war 32 Jahre alt, als sie die ben. Psychologen, die einen nach extreme Typveränderung durchzog schweren Einsätzen betreut hätten, gab es zu der Zeit leider nicht.“ „Ich bin kein Die Belastung war für Hofer zum Tattoofreak oder Schluss so groß, dass sie auf ein so etwas, damit hat das alles Hochhaus stieg, um hinunter zu absolut nichts zu tun.“ springen. „Was mich letztendlich Marion Hofer zurückgehalten hat, war der Gedanke an meine Kinder. Denn die sind mir das Wichtigste in meinem – die bis heute noch nicht vollstänLeben.“ Nach dem Ausstieg beim dig abgeschlossen ist. Ihrem daBayerischen Roten Kreuz hagelte mals zwölf-jährigen Sohn musste es für Marion so einige Jobange- sie lediglich versprechen, sich nicht Seite 85


das komplette Gesicht tätowieren zu lassen. Die Mädchen wuchsen mit dem außergewöhnlichen Aussehen der Mutter auf – heute sind alle drei Kinder stolz auf sie. „Für mich ist meine Mutter menschlich und beruflich ein Vorbild“, wirft Nina, die jüngste Tochter, ein. Das innige Verhältnis zwischen Mutter und Tochter merkt man sofort. Nina trägt übrigens – obwohl sie 20 Jahre alt ist – bis heute noch kein einziges Tattoo. Jedes einzelne Bild auf der Haut von Marion Hofer hat eine bestimmte Bedeutung. Ein großes Kunstwerk sozusagen, das viele Geschichten erzählt. Der Löwenkopf an ihrer Schläfe steht beispielsweise für den täglichen Kampf ums Überleben, das Leopardenmuster im Übrigen für ihre Tierliebe. Denn nebenbei peppelt die Piercerin – zu Hause in ihrem Garten – kranke und verlassene Tiere auf. 15 Katzenbabys waren es zu Spitzenzeiten, auch ein Uhu oder einige Mauersegler standen schon auf der Patientenliste. Fachlich unterstützt wird sie dabei von ihren beiden Töchtern, die Tierarzthelferinnen sind.

Der Gedanke daran, dass das Leben morgen vorbei sein könnte, rückte ihr Weltbild in ein anders Licht. Nach dem Vorfall auf dem Dach des Hochhauses beschloss sie, ihr Leben in eine vollkommen andere Richtung zu lenken. Dass es letztendlich ein Tattoostudio wurde, ist eigentlich nur Zufall gewesen. „Ich hatte gerade am Arbeitsamt meine Unterlagen abgegeben, um mich arbeitslos zu melden, als ich an einem Tattoostudio vorbei kam. Dort hing ein Zettel an der Tür, dass sie Personal suchten. Also bin ich – ohne großartig darüber nachzudenken – sofort rein gegangen und habe mich vorgestellt. Der Chef des Ladens behielt mich gleich da“, erzählt sie lachend. 2001 eröffnete Hofer dann ihr eigenes Studio namens „Cee-Kay-Art“, das inzwischen internationalen Ruf genießt und am Münzbergtor in Ingolstadt zu finden ist.

In ihrem Reich gelten klare Regeln. Zum Beispiel lässt sie keine sichtbaren Tattoos bei jungen Leuten stechen, die womöglich noch in der Ausbildung stecken. Selbst wenn der Arbeitgeber einverstanden ist, lässt Marion Hofer nicht mit sich verhandeln. „Bei einem 18-Jährigen ist das schließlich nicht der Nach den acht Jahren beim Ret- letzte Arbeitgeber.“ Und die Ingoltungsdienst änderte Marion ihre städterin weiß, wovon sie spricht. Lebenseinstellung grundlegend. Mit 18 Jahren ließ sie sich ihr erSeite 86

stes Tattoo – einen Adler – auf den Unterarm stechen. Immer wieder gab es seitens der Arbeitgeber Probleme deswegen. Auch Frauen, die ihre Familienplanung noch nicht abgeschlossen haben, bekommen auf ihrem Stuhl kein Brustwarzenpiercing. „Da bin ich zwar der Feind meines Geldes, aber das ist mir in dem Fall egal. Gerade die jungen Leute wissen einfach oft nicht, was sie damit anrichten können. Man kann sagen, ich tue meinen Kunden nichts an, was ich nicht auch meinen Kindern antun würde.“ Am Telefon vereinbart das „CeeKay-Art“ grundsätzlich keine Termine. Ein persönliches Gespräch und eine ausführliche Beratung sind der Ingolstädterin enorm wichtig. „Der Großteil reagiert überraschenderweise einsichtig und dankbar. Viele wissen zum Beispiel gar nicht, dass ein Arbeitgeber einen Bewerber auf Grund von sichtbaren Tattoos ablehnen kann.“ Natürlich gibt es auch Kundschaft, die den Mehrwert der Beratung nicht erkennt und schimpfend in ein anders Studio weiter zieht. Doch da steht die dreifache Mutter dann drüber. Sie selbst habe aber bisher noch kein einziges Tattoo oder Piercing bereut: „Ich würde alles genauso wieder machen.“ Juni 2012


Fotos: Schmatloch Juni 2012

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Neustart mit 67

Klaus Schirmers neue Firma will Energiekosten senken Seite 88

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Ortsbesichtigung in Bergheim - ein schmuckes Haus am Berg. Die Photovoltaik- und Brauchwasseranlage auf dem Dach vermitteln einen ersten Eindruck von dem Mann, der als Ingenieur mit besserer Messtechnik die Energie-, insbesondere die Heizkosten, drastisch reduzieren will. Klaus Schirmer ist 67 Jahre alt. Vor neun Jahren, im April 2003, beendete er seine berufliche Laufbahn. Er hatte Maschinenbau und Elektrotechnik an der TU in München studiert und startete seine berufliche Laufbahn bei Siemens. Bei Knorr Bremse-Nucletron wurde er Gruppenleiter und entwickelte ABS-Anlagen für die Eisenbahn, darunter das weltweit erste Seriengerät auf Mikroprozessor-Basis mit Diagnosemodul. Audi und Telefunken Neue Perspektiven eröffnete ihm Audi, wo er 1981 die Leitung der Elektronik-Entwicklung übernahm. Innovative Projekte wie das erste zeigerlose vollelektronische KombiInstrument mit Display und Sprachausgabe, die erste intelligente „Onbord“-Diagnose (Audi 200), brachte er in kurzer Zeit in Serie. 1983 wurde Schirmer Entwicklungschef bei Telefunken in Ingolstadt, wo zu seinen Aufgaben auch der Aufbau der KFZ-Elektronik-Abteilung gehörte. Unter seiner Leitung entwickelte sich Telefunken zu einem gut aufgestellten Automobil-Zulieferer. Eine Reihe von Schirmers rund 60 Juni 2012

dafür, den ersten deutschen Hybrid serienreif zu machen, verhandelte den ersten Serienauftrag für einen Kunden in den USA und startete noch den Serienanlauf. Dann verwirklichte er, was er schon immer Innovationspreis von Daim- angestrebt hatte: spätestens mit 60 ler in Rente zu gehen. Patenten ermöglichten Temic, wie das Unternehmen nun hieß, eine führende Stellung in der Automotive-Baugruppentechnologie einzunehmen.

Stolz ist der Bergheimer auf die von ihm entwickelte Temic Planartechnologie: Früher gab es im Motorraum den Hydraulikblock für ABS (Antiblockiersystem). Die eigentliche Steuerung des Systems befand sich aber in der Fahrgastzelle und musste mit einem längeren Kabelbaum verbunden werden. Durch das mit der Planartechnik mögliche Einbinden der Elektronik in die Hydraulik, also die Mechatronik, wurden enorme Kosten – der teure Kabelbaum wurde entbehrlich – und Platz im Fahrgastbereich gespart. Aufgrund dieser außerordentlichen Entwicklungsleistung erhielt Schirmer 1996 aus der Hand von Daimler-Chef Jürgen Schrempp den erstmals vergebenen Innovationspreis der Daimler Benz AG. Von 1996 bis 1999 zog er mit seiner Familie in die Vereinigten Staaten und baute als Geschäftsführer die Temic Automotive of North America in Detroit auf, leitete aber zeitgleich weiterhin den ABS Bereich in Ingolstadt. Im April 2001 wurde Temic an Continental verkauft, Schirmers Geschäftsbereich ging in den Bereich des früheren Kunden auf. Nach zwei internen Projekten übernahm er Anfang 2002 die Geschäftsführung des Geschäftsbereichs „Isad“ und sorgte

Intelligentes Windrad

Haus

mit

Doch das Rentenalter war für Klaus Schirmer von Anfang an kein Ruhezeitalter: Er arbeitete mit beim Seniorenbeirat der Stadt Neuburg (Organisation und Durchführung von Radtouren und Computerkursen), kandidierte für den Gemeinderat. Die Elektronik wurde jetzt wieder ganz sein Hobby: Seit 2006 arbeitet er an seinem Projekt „Intelligentes Haus”. Sein Ziel: Effizienz, Komfort und Sicherheit zu steigern. Er entwirft und baut Möbel und optimiert laufend die Energieversorgung: Sein 900-LiterWarmwasserspeicher wird über die Solarbrauchwasseranlage und einen Wärmetauscher-Einsatz in seinem mit Buchenholz geheizten Kaminofen gespeist. Die im gesamten Haus verlegte Fußbodenheizung bezieht das warme Wasser auch von einer Luft- Wasser Wärmepumpe. Und auf dem Dach natürlich die Photovoltaikanlage. Schirmer träumt von einer Halbierung der Stromkosten in einem 24-VoltHaus: „230 V nur in der Waschküche, der Küche, und für die Heizung. Alles andere lässt sich mit 24 VoltGleichspannung bewerkstelligen. Für die autarke Stromversorgung Seite 89


des 24-Volt-Bereichs braucht man einen ausdauernden 15KWh-Akku, der ab der Jahreswende auf dem Markt sein soll, eine vier Quadratmeter Photovoltaik-Fläche und ein 500 Watt-Kleinstwindrad auf dem eigenen Dach. Das Ganze koste nicht mehr als 6000 Euro und rechne sich bei den steigenden Strompreisen innerhalb von zehn Jahren. Voraussetzung ist aber, dass es auch die entsprechenden Niedrigvolt-Geräte wie beispielsweise Fernseher und so weitergibt. Genauer messen – Heizung sparen

Fotos: Käbisch

Doch während das 24-Volt-Haus noch eine Vision ist, will Schirmer mit neuer Messtechnik Energiekosten bei allen Systemen sparen. Er hat einen neuen Temperatursensor entwickelt, der in zehn Sekunden

mittelständische Firma im Bereich der Automobilzulieferung gehört, eine GmbH gegründet. Innerhalb der neuen Firma teilen sich beide die Aufgaben. Gestartet wird im Herbst. Auf die Frage, warum er sich das alles noch antue, wo er doch in den letzten Jahren als Berater für Automobilzulieferer erfolgreich war, antwortet der 67-Jährige: „Es ist auf Dauer unbefriedigend, nur zu beraten und dann zu sehen, wie der Ratschlag unzureichend umgesetzt wird. Ich will es nochmal wissen und meine Ideen auch selbst zügig verwirklichen. Und nicht nur für ein Tat statt Rat bisschen Arbeitnehmererfindervergütung. Ich will meine gesamte LeSchirmers Ziel ist es, diesen Sensor benserfahrung dafür einsetzen.“ so zu vermarkten, dass er „in Automobilstückzahlen“ gefertigt und da- Schirmer steckt voller Energie, in mit sehr preiswert wird. Er hat des- seinen Augen lodert unternehmehalb in diesem Jahr mit einem ehe- risches Feuer. Gute Voraussetmaligen Arbeitskollegen, dem eine zungen für ein Gelingen. (hk) Temperaturveränderungen genau messen kann, während herkömmliche Fühler dafür zwei Minuten benötigen. Dieser auf den ersten Augenblick geringe Unterschied wirke sich auf Dauer erheblich aus. Der neue Sensor kann beispielsweise bei Durchlauferhitzern, wo es auf hohe und schnelle Messgenauigkeit ankommt, eingesetzt werden. Die Sensoren können auch bei der Messung der Vor- und Rücklauftemperatur von Heizungen und bei Wärmepumpen die Regelung wesentlich verbessern.

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Juni 2012



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