World of Print 10

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Interview mit Christian Falk, Mark McInulty und Manfred Bauer, Bobst

Fertigung im digitalen Zeitalter Bobst liefert mehr als nur Stanz-, Verpackungs und Druckmaschinen: Das Unternehmen entwickelt Software, sorgt für Konnektivität und unterstützt seine Kunden dabei, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Das Herzstück der Lösungen verkörpert hierbei Bobst Connect, das maschinelle Informationen und digitale Dienste von Bobst in einer Cloud-basierten Plattform zusammenführt. Wir sprachen mit Christian Falk, Head of Sales Business Unit Services & Performance bei Bobst, Mark McInulty, Head of Sales, Business Unit Printing & Converting bei Bobst, und Manfred Bauer, Area Service Manager Digital Solutions bei Bobst, über die Diskrepanz zwischen bereits möglicher Digitalisierung und dem derzeitigen IstStand vieler Kunden, die Herausforderung, aus den erhobenen Daten die richtigen Schlüsse zu ziehen, und neue Perspektiven für die Verpackungsindustrie. Die Digitalisierungswelle macht selbstverständlich auch vor dem Verpackungsmarkt nicht halt. Doch viele Dienstleister halten mit der rasanten Entwicklung noch nicht mit. Wie gelingt es Ihnen, diejenigen Kunden, die bis dato noch nicht so weit sind, mit in diese hoch produktive und hoch profitable Umgebung mitzunehmen? Ch. Falk: Der Begriff Digitalisierung ist Kern aller Entwicklungen, die wir der-

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Bobst Connect ermöglicht Anwendern unabhängig davon, ob sie eine Druckerei oder ein Verarbeiter sind, den Zugang zu Bobsts Ökosystem digitaler Dienstleistungen. Es bietet ihnen eine Vielzahl von Merkmalen und Funktionen, um sie bei der Optimierung ihrer Verpackungsproduktion zu unterstützen.

zeit unternehmen und betreiben. Dies bedingt nicht nur die Produkte und Lösungen, die Bobst entwickelt, sondern gilt selbstverständlich auch für sämtliche internen Unternehmensstrukturen. Es bestimmt wie wir arbeiten, unsere Vertriebsstruktur, die interne Kommunikation – sämtliche Prozesse werden digital abgebildet und koordiniert. Mit Blick auf unsere Kunden müssen wir selbstverständlich differenzieren und können bei unseren kleineren und mittelständischen Kunden nicht die gleiche Messlatte hinsichtlich des Digitalisierungsniveaus anlegen wie bei unseren großen Key Accounts. Die Bedürfnisse beider Gruppen sind hinsichtlich der digitalen Produkte offenkundig sehr unterschiedlich. Doch der wesentliche Punkt ist, dass wir mit all unseren Kunden, unabhängig von ihrer Unternehmensgröße, das Gespräch suchen, um gemeinsam zu eruieren, welche Möglichkeiten sich ihnen mit einer konsequenten Digitalisierung ihrer Prozesse und Strukturen individuell für ihr Unternehmen eröffnen. Bei jedem unserer Kunde besteht derzeit die Nachfrage nach einer entsprechenden Digitalisierung – selbstverständlich in Um-

fang und Grad angepasst, die dem Bedarf ihrer Unternehmensgröße entsprechen. Ansatzpunkte gibt es beliebig viele, sei es in puncto Qualitätsmanagement, Konnektivität, Datenaustausch, Qualitätskontrolle oder Servicedienstleistungen. Vor kurzem konnte ich im Zuge mehrerer großer Open Houses in der Schweiz zahlreiche Gespräche mit Kunden führen und bekam häufig die Rückmeldung, dass Bobst mit seinem Angebot hinsichtlich der Konnektivität sehr viel weiter ist als unsere Kunden. Um ein höheres Digitalisierungsniveau zu erreichen, benötigen sie Unterstützung – nicht nur mittels Maschinen und Komponenten, die ihnen eine Digitalisierung ihrer Prozesse ermöglichen, sondern vor allem durch eine umfassende Beratung. Sie möchten eine höhere Automatisierung und die Digitalisierung ihrer Workflows erreichen und suchen dafür einen Partner, der mit ihnen zusammen diesen Weg beschreitet. Wir wollen ein solcher Partner sein und mit unseren Kunden sozusagen in einer Art Joint-Venture-Verhältnis stehen und ihnen dabei helfen, an ihrem Workflow und der Digitalisierung der


S T R AT E G I E Produktionsstätten sukzessive zu arbeiten. M. McInulty: Ich sehe den großen Unterschied unserer jetzigen Strategie gegenüber unserer ehemaligen Strategie darin, dass wir nicht mehr länger ausschließlich auf die jeweiligen Maschinen schauen. Unsere Perspektive und damit auch die Herangehensweise an die Weiterentwicklung unserer Produkte und Lösungen hat sich komplett verändert. Die Konnektivität steht bei allen Innovationen und Veränderungen stets im Mittelpunkt und ist zentraler Ausgangspunkt, von dem aus wir unsere Konzepte und Systeme weiter entwickeln. Während wir früher primär auf die Produktionseffizienz einer Maschine geblickt haben, betrachten wir heute den gesamten Workflow in sämtlichen Prozessschritten. Unser vorrangiges Ziel ist es, in den vier verschiedenen Industrien, die wir adressieren, den Workflow mit der gleichen Effizienz auszustatten. Darin sehe ich persönlich den größten Unterschied in der digitalen Transformation, die Bobst heute betreibt. Ch. Falk: Wichtig ist es, bei der digitalen Transformation den unterschiedlichen Bedürfnissen der einzelnen Betriebe Rechnung zu tragen und jeden Kunden dort abzuholen, wo er steht. Gleichzeitig müssen wir gewährleisten, dass selbst wenn er seine Produktion noch nicht vollständig digitalisiert durchkonzipiert, unsere Systeme in der Lage sind, diesen Schritt dann mit ihm zu gehen, wenn der Kunde schließlich so weit ist.

Christian Falk, Head of Sales Business Unit Services & Performance

Ein großer Converter, der zu unseren Top 20 Großkunden zählt, wird seinen Workflow sicherlich selbst managen wollen und seinen Fokus daher eher auf Predictive Services setzen. Er möchte Daten für die Analyse der Performance seiner Produktion erhalten, um die Verfügbarkeit seiner Maschinen zu optimieren und ablesen zu können, an welcher Stelle es noch Raum für Effizienzsteigerungen gibt. Es existieren jedoch auch viele kleinere Betriebe, die uns im gesamten Workflow dabei haben wollen. Daher haben wir einige strategische Entscheidungen getroffen, um dies perfekt abzubilden. Wir fangen beim digitalen Workflow bei der Datenannahme an, gehen durch sämtliche Convertingstufen, offerieren Qualitätsmanagementelemente durch zusätzliche Peripherie und differenzierte Automationsgrade, bis am Ende das fertige Produkt ausgegeben wird. Mittelständische Unternehmen setzen auf vollumfängliche Lösungen, die jedoch ebenfalls digitalisiert sind und im Einstiegssegment einen Digitalisierungseffekt erzielen, der für dieses Klientel auch bezahlbar ist. Deswegen ist es auch wichtig, dass wir unser Portfolio nicht allein für die gehobene Klasse entwickeln, sondern auch im Einstiegssegment eine vollständige Konnektivität anbieten können. M. Bauer: Das Applikationsmanagement ist hierbei ein wesentlicher Schwerpunkt. Im Gespräch mit dem Kunden gilt es genau abzuklären, welche Applikation er kreieren und anbieten möchte. Anhand dieser Vorgabe können wir ihm dann entlang der Wertschöpfungskette dediziert auseinandersetzen, welche Lösungen wir ihm für die Anforderungen anbieten können und wie sich diese Applikation mit unserer Technologie und den einzelnen Komponenten unserer digitalen Strategie am effizientesten verwirklichen lässt. Die Wertschöpfungskette der Verpackungsbranche vollständig zu digitalisieren, das ist das große Bild und unsere Vision, in deren Mittelpunkt unsere kontinuierlich weiterentwickelte, Cloud-basierte digitale Plattform Bobst Connect steht. Aber ich weiß auch, dass unsere Kunden in vielen Fällen noch nicht so weit sind und wir gefordert sind, sie bei dieser Entwicklung so weit wie möglich zu unterstützen.

Mark McInulty, Head of Sales, Business Unit Printing & Converting

Sehen Sie hinsichtlich des Digitalisierungsgrads Unterschiede zwischen den einzelnen Industriezweigen, die Bobst mit seinem Portfolio abdeckt? M. Bauer: Der Digitalisierungsbedarf ist Segment- und Produkt-übergreifend, unabhängig davon, ob wir über die Märkte Flexible Packaging, Corrugated Board, Folding Carton oder Labels sprechen. Eventuell ist der Automationsgrad in den Segmenten Corrugated Board und Folding Carton etwas höher. Doch wichtig ist, dass wir hinsichtlich der Digitaliserungsstrategie nicht zwischen den unterschiedlichen Industrien, die wir mit unserem Portfolio abdecken, unterscheiden. Alle diese Märkte benötigen ein maximales Niveau an Konnektivität und Digitalisierung. Manche der Kunden bekennen ehrlich, dass sie wissen, dass sie die Digitalisierung ebenfalls in ihre Abläufe einbringen müssen, allerdings noch nicht wissen, wie sie dies umsetzen können. Insbesondere der erforderliche Kompetenzgrad des Personals beim Kunden ist heute dafür vielfach nicht gegeben. Wir werden definitiv eine andere Kompetenzebene anvisieren müssen, umso mehr wir in die digitale Welt eintreten. Eine Analyse der vorhandenen Daten, daraus resultierend entsprechende Maßnahmen ergreifen und so die Produktivität steigern sind Vorgänge, die sich nicht ausschließlich maschinell übernehmen lassen. Hier liegt nach wie vor der Schlüssel im Know-how des Produktions-Teams. Wie setzen Sie die Digitalisierung konkret um? prepress – World of Print 10/2023

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S T R AT E G I E M. Bauer: Konkret bedeutet dies, dass wir unsere Herangehensweise von der Fokussierung auf die Maschine hin zur Lösung verändern. Und die Lösung verändert sich im Fokus auf den gesamten Workflow. Das bedeutet, dass der gesamte Workflow des Kunden adressiert wird und dieser Workflow wiederum konsequent immer weiter digitalisiert wird. Was viele jedoch zunächst außer Acht lassen, ist die Herausforderung einer sinnvollen Auswertung der durch die Digitalisierung erhaltenen Daten. Schließlich verfügen Daten erst dann über einen hohen Nutzwert, wenn sie auch analysiert und ausgewertet werden. Hierin besteht eigentlich das Change Management, das in den Köpfen unserer Kunden stattfinden muss. Es gilt, die durch die Digitalisierung erzeugten Daten zielgerichtet zu analysieren und sie unmittelbar für Entscheidungen innerhalb der Prozesskette zu nutzen. Ch. Falk: Letztendlich wird es darauf ankommen, sämtliche Entscheidungen stets mit Blick auf eine weitere Automatisierung in Richtung von Algorithmen oder den Einsatz von künstlicher Intelligenz zu treffen und dabei sämtliche Faktoren, die sich noch anschließen können mit zu berücksichtigen. An diesem Punkt sind wir final jedoch noch nicht, dennoch müssen wir schon heute dafür den Weg bereiten, damit wir und unsere Lösungen für diese Themen, die unweigerlich kommen werden, bereit sind. Dies ist der Grund, warum wir dieses Change Management so intensiv betreiben. Praktisch betrachtet bedeutet dies nichts anderes, als dass jede Maschinenlösung im Prinzip über eine Datenkomponente verfügt, die wir in unserer Vision ganz zentral in Bobst Connect platziert haben. Auf diese Weise setzen wir eine durchgängige Digitalisierung sämtlicher Prozessschritte und Komponenten um – unabhängig davon, um welche Art von Lösung es sich handelt – sei es ein Qualitätssystem, ein Digital Inspection Table oder eine komplette Maschinenlösung: Wir werden all dies künftig immer mit Bobst Connect positionieren, sodass der Kunde stets über alle erforderlichen Datenkomponenten verfügt und sich ihm dadurch der Weg in die digitale Welt ebnet. M. McInulty: Über Digitalisierung zu sprechen ist bei Maschinen der

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Manfred Bauer, Area Service Manager Digital Solutions

neuen Generation einfach. Die Herausforderung besteht jedoch darin, auch die alten, bereits vorhandenen Maschinen mit in die digitalisierte Welt zu nehmen. Bobst verfügt über vielfältige Möglichkeiten auch diese Maschinen so zu modernisieren, dass der Kunde auch dort über die entsprechenden Daten verfügen kann. In der Praxis gibt es immer noch viele tausende Maschinen, die noch nicht für die Datenübertragung bereit sind. Daher ist immer bei jedem Gespräch wichtig zu ermitteln: Welchen Grad können wir hier mit der Digitalisierung erreichen und wie schnell können wir einen Wechsel vornehmen? Dies sind Fragen, für die wir zusammen mit dem Kunden die richtigen Lösungen finden müssen. Dafür haben wir ein perfekt geschultes Team, das alle unsere Produkte und Lösungen aus dem Effeff kennt, und individuell beurteilen kann, was für das jeweilige Unternehmen Sinn macht. Und auch hier gilt, nicht auf die Maschine zu blicken, sondern stattdessen das große Ganze mit Blick auf kommende Applikationen zu sehen. Digital oder Hybrid? Auf welche Technologien setzt der Markt am meisten? Ch. Falk: Die Frage ob eine digitale oder eine hybride Lösung für einen Kunden sinnvoll ist, gilt es stets in Abhängigkeit von der Auftragsstruktur und den zu fertigenden Applikationen zu beantworten. Der Trend, verstärkt auf eine digitale Lösung zu setzen, besteht zwar, doch vor fünf Jahren dachten wir, dass sich dieser Prozess deut-

lich schneller vollziehen würde. Die Realität zeigt heute, dass immer noch vermehrt auf Hybridlösungen gesetzt wird. Dies liegt zum einen in betriebswirtschaftlichen Aspekten begründet oder der Kunde bietet in seinem Portfolio bestimmte Applikationen an, die eine gewisse Druckbreite erfordern. Hinsichtlich der Druckbreite kann es von Seiten der Digitaldrucktechnologie mitunter schon noch ein wenig herausfordernd sein, daher setzen diese Kunden nach wie vor auf eine hybride Lösung. Uns persönlich wäre es am liebsten, von konventionell auf vollständig digital umzustellen, doch der Markt ist defacto noch nicht so weit. Die Nachfrage nach hybriden Lösungen ist nach wie vor groß. Diesem Bedarf kommen wir im Interesse unserer Kunden selbstverständlich nach und produzieren weiterhin entsprechende Lösungen, damit sie erfolgreich den Übergang in die digitale Welt vollziehen können. Geht die Produktivitätssteigerung durch ganzheitliche Workflows zulasten der kleineren Betriebe wie wir es bereits im Offset erlebt haben? Ch. Falk: Wir erleben einen deutlichen Trend in Richtung Südostasien, und die letzten zwei bis drei Jahre verliefen durch den „Amazon-Effekt“ für die Verpackungsbranche sehr positiv. Ich erkenne aber nicht, dass dies zu Lasten der kleineren Betriebe geht. Was ich sehe, ist jedoch eine gewisse Marktkonsolidierung. Viele Firmen kaufen ausgewählte, gute, mittelständische Unternehmen auf, die in bestimmten Nischenmärkten aktiv sind und sehr spezielle Produkte offerieren, um so ihr Portfolio gezielt zu erweitern. Aktuell wird eine Menge in der Verpackungsbranche investiert, und ich gehe davon aus, dass die Zusammenschlüsse einzelner Unternehmen noch weiter zunehmen werden. Hierbei werden die solventen, florierenden Firmen die kleinen Betriebe übernehmen. Doch wir erleben derzeit auch, dass viele kleine mittelständische Unternehmen nach Asien gehen, und so sehr wettbewerbsfähig gegenüber den europäischen Herstellern unterwegs sind. Herr Falk, Herr McInulty, Herr Bauer, wir danken Ihnen vielmals für das interessante Gespräch!


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