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Keine „Sitzenbleiber“ mehr im Studio
Trainingsgerät zusteuern, sehen sich dann oft mit einem Problem konfrontiert: Das Gerät ist schon belegt. Und dieses Phänomen ist nicht nur am Montag um 18 Uhr zu beobachten, wenn man den Eindruck bekommen kann, alle Mitglieder wollten gleichzeitig Bankdrücken machen. Dass die meisten Geräte über einen längeren Zeitraum hinweg belegt sind, liegt vor allem daran, dass die meisten Ihrer Mitglieder davon ausgehen, möglichst viele Sätze von jeder Übung ausführen zu müssen, um ihre Trainingsziele zu erreichen.
„Wie viele Sätze machst du noch?“
Die Antwort auf die Frage: „Entschuldigung, wie viele Sätze machst du hier noch?“, bestimmt den eigenen Trainingsablauf häufig stärker als der eigentliche Trainingsplan. Das kann sehr frustrierend sein. Noch schlimmer wird es durch das Phänomen der „Sitzenbleiber“. Einige Sportkameraden geben das Gerät in den Pausen zwischen ihren Sätzen nicht frei, sondern bleiben gleich ganz sitzen. „Ich mache noch drei Sätze“ soll in dem Fall wohl heißen: „… und so lange gehört das Gerät mir und ich stehe nicht auf!“ Dass manche ein Gerät lieber durchgehend besetzen als sich abzuwechseln, ist teilweise auch nachvollziehbar. Denn so muss nicht ständig zwischendurch das Gerät verstellt, gereinigt und sämtliche Gewichte auf- und wieder abgeladen werden.
Dass nicht unbedingt mehrere Sätze derselben Übung für das Erreichen der Trainingsziele erforderlich sind, zeigt die moderne Trainingswissenschaft recht deutlich. Dennoch hält sich der Mythos, dass ein Mehrsatztraining grundsätzlich dem Einsatztraining überlegen sei und bessere Resultate produziere, sehr hartnäckig. Eine seit Langem etablierte und bewährte Trainingsmethode wird dabei häufig übersehen: das Hochintensitätstraining (HIT).
Trainingsmethodische Alternative
Das HIT ist an Effizienz kaum zu übertreffen. Wie der vielsagende Name bereits anklingen lässt, werden die Muskeln dabei intensiv statt umfangreich trainiert. Allerdings wird der Begriff häufig missverstanden. „Hohe Intensität“ bedeutet nämlich keineswegs „schwere Gewichte“. Ganz im Gegenteil. Weil beim HIT mit langsamen Bewegungen und lupenreiner Technik trainiert wird, müssen die Gewichte sogar etwas niedriger gewählt werden als beim umfangbetonten Training. Durch diese Kombination aus leicht reduzierten Gewichten und sauberer Technik wird die Verletzungsgefahr, die beim Muskeltraining ohnehin schon sehr gering ist, beim HIT nochmals deutlich reduziert. Der Begriff Intensität bezieht sich somit nicht auf die relative Intensität (Höhe der Gewichte), sondern auf die Anstrengungsintensität (engl. intensity of effort). Der Satz wird erst dann beendet, wenn tatsächlich keine weitere Wiederholung mehr möglich ist. Dadurch erreicht man schon nach einem Satz eine Kraftanstrengung und muskuläre Erschöpfung, für die man beim üblichen Training etwa insgesamt drei Sätze gebraucht hätte.
Beim HIT wird zwar in der Regel nur ein Satz pro Übung durchgeführt, das heißt aber nicht, dass nur ein Satz pro Muskelgruppe trainiert werden darf. Es können durchaus mehrere Übungen pro Muskelgruppe auf dem Plan stehen. Ein Brusttraining könnte z. B. so aussehen, dass die Übungen Bankdrücken, Schrägbankdrücken, Kabel-Cross-Overs und Dips mit jeweils einem Satz bis zum Muskelversagen trainiert werden, beim Rückentraining neben Latziehen oder Klimmzügen auch Rudern, Schulterheben usw. An dieser exemplarischen Aufzählung lässt sich ein weiteres Merkmal des HIT aufzeigen: Das Grundgerüst beim HIT bilden die elementaren Mehrgelenksübungen wie Bankdrücken, Rudern, Schrägbankdrücken, Latziehen, Beinpressen usw. Eingelenkige Übungen kommen lediglich als eine Ergänzung hinzu, sodass in einer Trainingseinheit nicht mehr als zehn bis zwölf Sätze ausgeführt werden müssen. Eine Erhöhung des Trainingsvolumens ist aber auch innerhalb eines HIT möglich und im Bedarfsfall ganz einfach umzusetzen. Anstatt nämlich mehrere Sätze ein und derselben Übung zu machen, werden dann einfach mehrere Übungen ausgeführt.
Eine Abkürzung, mit der die Durchführung eines HIT oft charakterisiert wird, lautet: KISS. Diese Buchstaben stehen für kurz, intensiv, selten und sicher und beschreiben die zentralen Merkma-
Vorteile des HIT aus Sicht von Studiobetreibern:
Eigenschaften des HIT
Intensivierung des Trainings
Geringer Zeitaufwand
Nur ein Satz von jeder Übung
Gerätewechsel nach jedem Satz
Vorteile des HIT
Produziert wirksame Trainingsreize und -erfolge
Trainingsprogramme lassen sich auch tatsächlich umsetzen – auch bei Zeitmangel
Training ist leicht zu planen und umzusetzen
Abwechslungsreiches Training
Lupenreine Technik und langsame Bewegungsausführung Geringes Verletzungsrisiko, Voraussetzung für langfristigen Trainingserfolg
Keine Dauerbelegung von Geräten, keine „Sitzenbleiber“ Kein Frust wegen belegter Geräte
Größtmögliche Effizienz, optimales Verhältnis von zeitlichem Aufwand und Ertrag Sehr hohe Kundenzufriedenheit
le des Hochintensitätstrainings. Insbesondere der Sicherheitsaspekt ist dabei nicht zu vernachlässigen. Von Verletzungen verschont zu bleiben, ist die beste Voraussetzung für kontinuierlichen Trainingserfolg und Zufriedenheit. Angesichts dieser Vorteile ist es nicht überraschend, dass sich das HIT inzwischen immer größerer Beliebtheit erfreut.
Volumentraining und HIT
Viele Mitglieder in den Studios landauf, landab trainieren nach wie vor nach altbekannten Methoden wie „drei mal zehn“. Nach zehn Wiederholungen im ersten Satz (auch wenn vielleicht elf möglich gewesen wären) wird einige Zeit pausiert, dann folgt der zweite Satz und nach einer weiteren Pause der dritte Satz. Da sich die Muskelermüdung von Satz zu Satz erhöht, wird im dritten Satz dann die notwendige Reizschwelle überschritten und ein Trainingsreiz produziert. So weit zumindest die Theorie. Wer die Sätze aber deutlich zu früh beendet oder zwischendrin zu lange pausiert, braucht vermutlich mehr als drei Sätze.
Es geht jedoch auch einfacher. Statt drei Sätzen mit Pausen zwischendrin kann die angestrebte Muskelerschöpfung auch mit nur einem Satz erreicht werden, wenn bis zur Muskelerschöpfung oder kurz davor trainiert wird. Somit sind die Trainingseinheiten erfreulich kurz, selbst wenn statt eines Split-Programms ein Ganzkörper-Workout durchgezogen wird. Studien zeigen, dass die Kraft- und Muskelzuwächse bei einem HIT durchaus mit dem üblichen Volumentraining vergleichbar sind – und das bei einem Bruchteil des Zeitaufwands. Das HIT erfreut sich deshalb bei immer mehr Sportlern einer großen Beliebtheit. Während einige ganzjährig mit einem HIT trainieren, bevorzugen andere etwas mehr Abwechslung und wählen phasenweise zwischen dem klassischen Mehrsatztraining und dem HIT.
Doch auch das Hochintensitätstraining selbst ist keineswegs eintönig, denn es bietet eine Menge an Abwechslungsmöglichkeiten. Wie bereits erwähnt, kann das HIT sehr gut als Ganzkörpertraining durchgeführt werden. Mit rund zehn Übungen in einer Trainingseinheit lässt sich der ganze Körper in weniger als einer Stunde effektiv trainieren. Auch Split-Programme eignen sich ausgezeichnet für ein HIT. Neben einer Aufteilung in Oberkörper und Unterkörper sind auch klassische Splits wie Push/Pull oder Push/Pull/Beine gut mit hoher Intensität umsetzbar. Und für die besonders Ambitionierten und Fortgeschrittenen steht zusätzlich ein ganzes Arsenal an Intensitätstechniken zur Verfügung, die für eine Intensivierung des Trainings und ganz nebenbei für mehr Abwechslung sorgen.
Wer die Befürchtung hat, ein HIT reiche nicht aus, um optimale Fortschritte zu erzielen, kann ganz beruhigt sein. Das HIT genügt trotz seines geringen Umfangs allerhöchsten Ansprüchen. In diesem Zusammenhang sei an den ehemaligen Profi-Bodybuilder Dorian Yates erinnert, der sein Training konsequent nach den Prinzipien des HIT ausrichtete und damit ausgesprochen erfolgreich war. Yates trainierte in seiner ganzen Karriere stets hochintensiv und nie häufiger als viermal pro Woche. Oft waren es
› BUCHTIPP
Jürgen Gießing: HIT neu und
verbessert. Mit hochintensivem Training weniger Zeit investieren und schneller
Muskeln aufbauen. Novagenics Verlag, 262 Seiten, 24,95 Euro www.novagenics.com
Beim HIT sind die Traingseinheiten recht kurz; die einzelnen Sätze werden langsam und kontrolliert durchgeführt. Selbst mit geringem Gewicht können schnell Erfolge erzielt werden
sogar nur drei Trainingseinheiten in der Woche und jedes Training dauerte nur 45 bis 60 Minuten. Dieser Zeitaufwand reichte aus, um den Titel „Mr. Olympia“ sechsmal in Folge zu gewinnen. Er sollte also auch ausreichen, um Ihre Kunden den jeweiligen Trainingszielen näher zu bringen. Gerade für Ihre ambitionierten Kunden bietet es sich an, intensiver zu trainieren, anstatt immer mehr und immer öfter.
Fazit
Das HIT ist eine Trainingsmethode, die für die Mitglieder eines Fitnessclubs ebenso interessant ist wie für die Betreiber. Wenn zumindest einige Ihrer Kunden die Vorteile des Hochintensitätstrainings nutzen und nach den Prinzipien des HIT trainieren möchten – egal ob dauerhaft oder als Trainingsphase über einen gewissen Zeitraum hinweg –, dann lösen sich damit auch viele der eingangs angesprochenen Probleme im Trainingsalltag. Jürgen Gießing
Prof. Dr. Dr. Jürgen Gießing ist Leiter des Instituts für Sportwissenschaft an der Universität Landau. Er forscht zu den Themen Muskelaufbau und Gesundheit und gilt als führender Experte auf dem Gebiet des Hochintensitätstrainings. Kontakt: giessing@uni-landau.de