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Sparneigung der Bürger bildet sich 2021 zurück

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Die Creditreform Rating AG ist eine der führenden europäischen Ratingagenturen. Chefvolkswirt Dr. Benjamin Mohr spricht im Interview u. a. über die wirtschaftliche Lage der Fitnessbranche vor der Coronapandemie und die Veränderung durch die Coronakrise, die Auswirkungen der Lockdowns und über Handlungsempfehlungen für Studiobetreiber.

Sparneigung der Bürger

Interview mit Dr. Benjamin Mohr, Chefvolkswirt Creditreform Rating AG

body LIFE: Herr Dr. Mohr, wie sehen Sie die volkswirtschaftliche Bedeutung des Sports? Dr. Benjamin Mohr: Man muss sicherlich feststellen, dass der Beitrag zum Wirtschaftswachstum insgesamt verhältnismäßig klein ist. Dennoch sehen wir eine wachsende Bedeutung des

Sportsektors z. B. anhand von Arbeitsmarktdaten. Der Anteil der Beschäftigung im Sportsektor an der gesamtwirtschaftlichen Beschäftigung liegt in den meisten europäischen Ländern unter 1 Prozent. Doch egal, wohin wir in Europa blicken, ist dieser Anteil in den letzten Jahren signifikant gestiegen. In Deutschland nahm der Anteil des Sportsektors an der Gesamtbeschäftigung von 2014 bis 2019 von 0,55 Prozent auf 0,62 Prozent zu. Das klingt erst mal wenig, aber absolut betrachtet, entspricht dies einem Zuwachs von ca. 43 000 Beschäftigten.

Zurückzuführen ist dieser Anstieg auf ein überdurchschnittliches Beschäftigungswachstum. So betrug der jährliche Beschäftigungszuwachs im deutschen Sportsektor zwischen 2014 und 2019 im Mittel 4,3 Prozent. Zum Vergleich: Die Gesamtbeschäftigung konnte in diesem Zeitraum um durchschnittlich 1,0 Prozent zulegen. body LIFE: Wie würden Sie die wirtschaftliche Lage der Fitnessbranche vor der

Coronapandemie beschreiben? Dr. Benjamin Mohr: Die weiter – wenn auch mit gedrosseltem Tempo – wachsende deutsche Wirtschaft hat über-

wiegend positive Spuren in der Fitnessbranche hinterlassen. So hat sich die Insolvenzsituation in der Fitnessbranche 2019 weiter aufgehellt. Nach 69 bzw. 42 Fällen in den Jahren 2017 und 2018 hat sich die Zahl der Firmenpleiten gemäß den Creditreform-Daten auf 32 verringert. Der längerfristig zu beobachtende rückläufige Trend hat sich damit weiter verfestigt. Hinsichtlich des Ausfallrisikos der Fitnessstudios in Deutschland markiert das Jahr 2019 ebenfalls einen neuen

Tiefststand, zieht man die von Creditreform Rating ermittelten empirischen Ausfallraten heran. Unterstützt durch die robuste Entwicklung der privaten Konsumausgaben, folgten die empirischen Ausfallraten der Fit-

nessstudios zuletzt einem deutlichen

Abwärtstrend. So hat sich der Risikoindikator in 2019 um 0,23 Prozentpunkte auf 1,64 Prozent verringert – branchenübergreifend waren es letztes Jahr 1,34 Prozent. Wo Licht ist, ist allerdings auch Schatten. So erhöhte sich der Bonitätsindex der Fitnessbranche zum dritten Mal in

Folge leicht, womit sich die Kreditwürdigkeit weiter eingetrübt hat. Dennoch verfügte die Branche weiterhin über eine mittlere Bonität. Zudem beglichen Fitnessstudios überfällige

Rechnungen 2019 weniger schnell als in vorangegangenen Jahren. body LIFE: Wie hat sich die wirtschaftliche Situation der Fitnessbranche durch die Pandemie verändert? Dr. Benjamin Mohr: Die Entwicklungen standen ganz im Zeichen des Pandemiegeschehens und der ergriffenen

Eindämmungsmaßnahmen. Wir bei

Creditreform Rating haben einmal den Stand des Bonitätsindex zum Ende des ersten Halbjahres berechnet und dem Niveau im Jahr 2019 gegenübergestellt. Dabei sehen wir den außergewöhnlichen Einfluss der Krise sehr deutlich; die Kreditwürdigkeit wird im Zuge der Coronakrise deutlich schwächer eingestuft. In Bezug auf die empirische Ausfallrate müssen wir demgegenüber feststellen, dass sich der Anteil ausgefallener Fitnessstudios zur Mitte des Jahres nur leicht auf 1,68 Prozent erhöht hat und damit noch deutlich unter dem langjährigen

Durchschnitt von 2,13 Prozent bleibt.

Finanzhilfen sowie Sonderregelungen bezüglich Insolvenzanträgen dürften hier Schlimmeres verhindert, aber womöglich auch nur verzögert haben. body LIFE: Viele Branchen leiden unter den Auswirkungen der Krise. Zählt die

Fitnessbranche aber zu den am härtesten getroffenen Branchen? Dr. Benjamin Mohr: Mit Sicherheit. Und nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Besonders hart wurden jene Wirtschaftszweige getroffen, die auf die persönliche Interaktion mit den Konsumenten angewiesen sind – wir sprechen hier von sogenannten

Consumer-facing Services. Schauen wir uns beispielsweise die sektorale

Entwicklung der Bruttowertschöpfung an, so kann man beobachten, dass das

Branchenaggregat Kunst, Unterhaltung und Dienstleistungen des Sports in der großen Mehrheit der europäischen Staaten überproportional stark betroffen ist. Die Wertschöpfung in diesem Branchenaggregat, das auch den Sportsektor beinhaltet, ging im zweiten Quartal um ein Vielfaches stärker zurück als der gesamtwirtschaftliche Vergleichswert. body LIFE: Welche Auswirkungen haben die behördlich angeordneten Studio-

schließungen auf die Fitnessbranche und die Studiomitglieder? Dr. Benjamin Mohr: Bislang haben die

Fitnessstudios meiner Ansicht nach den Vorteil, dass sie im Gegensatz zum Gastgewerbe und der Gastronomie über die Einnahmequelle der Mitgliedsgebühren verfügen, mit denen

Fixkosten gedeckt werden können. Allerdings wächst mit zunehmender

Dauer der Schließung von Fitnessstudios die Gefahr, dass sich die Mitglieder vermehrt die Frage stellen, ob sie ihre Mitgliedschaft zum nächstmöglichen Termin kündigen sollten. Zwar werden die Einkommen der Haushalte aufgrund des konjunkturellen Kurzarbeitergelds nicht in dem Maße zurückgehen, wie es die Veränderungen der Bruttolöhne und -gehälter nahelegen, aber die Angst vor einem drohenden Verlust des Arbeitsplatzes belastet die Einkommensaussichten und die Konsumneigung der Verbraucher

– und damit natürlich auch die Aussichten für die Einnahmeseite der Fitnessstudios. body LIFE: Wie lange benötigt die Fitnessbranche, um sich von der Coronakrise zu erholen? Dr. Benjamin Mohr: Die Unsicherheit bezüglich der weiteren Entwicklung bleibt ungewöhnlich hoch. Ungeachtet dessen haben wir an der Impfstofffront positive Signale vernommen. Sobald die Covid-19-Impfstoffe in größerem Umfang eingesetzt werden, sollte sich die Wirtschaftsaktivität wieder normalisieren und die wirtschaftliche Erholung an Fahrt gewinnen – das gilt auch für die

Fitnessbranche. Wir erwarten, dass der private Konsum in 2021 wieder spürbar ausgeweitet wird und sich die

Sparneigung der Bürger kontinuierlich zurückbildet, da mit dem Einsetzen der Lockerungen ein Großteil der

Konsummöglichkeiten wieder gegeben ist. Dies sind alles in allem auch konstruktive Rahmenbedingungen für die Fitnesswirtschaft. body LIFE: Welche Ratschläge und

Handlungsempfehlungen können Sie

Studiobetreibern für die Zeit der Coronakrise geben? Dr. Benjamin Mohr: Grundsätzlich kann ich jedem Studiobetreiber – egal ob es ein Microstudio oder eine Fitnesskette ist – den Rat geben, sich frühzeitig mit den Themen „Digitalisierung“ und „zunehmende Alterung der Gesellschaft“ zu beschäftigen. Dies sind aus unserer Sicht Megatrends, die einen signifikanten Impact auf die Fitnessbranche haben werden und, sofern man sich richtig darauf einstellt, zu einem deutlichen Umsatzwachstum eines Fitnessunternehmens führen können. body LIFE: Herr Dr. Mohr, vielen Dank für das Interview.

bildet sich 2021 zurück

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