Das Schweizer Magazin fürMode,SchönheitundKultur APRIL 2012 CHF 8.50 € 6.– www.boleromagazin.ch
Exklusive Vorpremiere «MyWeek with Marilyn» Besuch beim Couturier AzzedineAlaïa Starke Frauen – von der Nomadin zurAbenteurerin
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Langärmlige Seidentunika mit schwarzem Rückenteil, geschlitzter Passe und hohem seitlichen Schlitz. Goldfarbene Metallkette mit Glasstein. Beides Lanvin.Weisse Crêpehose im Marlenestil, Cambio.
DIE NOMADIN Die Ethnomode hat sich ihrer folkloristischen Elemente entledigt und zelebriert klare Formen. Inspiriert von Orient-Reisenden wie Annemarie Schwarzenbach. FOTOGRAF: FREDERIC AUERBACH REALISATION: MARTINA RIEBECK MODEL: LEJLA HODCIC/OPTION MODELS HAIR: NICHOLAS JAMES/GREENAPPLE MAKE-UP: ADALBERTO P., USING CARLO BAY COSMETICS
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Fotos: Jerome Bonnet/August/Modds (1), Dukas (1)
STIL Stilikone im April: Sofia Coppola hat das Filmen im Blut und die Mode im Naturell. TEXT: SARA ALLERSTORFER
So unaufgeregt und selbstverständlich sie zur Stilikone wurde, so unaufgeregt kam auch ihr oscargekrönter Film «Lost in Translation» daher. Sofia Coppola hat diese Nonchalance, die jenen Menschen eigen ist, die sich selbst und anderen nichts beweisen müssen. Marc Jacobs sagt von ihr: «Jung, süss, unschuldig und schön. Der Inbegriff des Mädchens, von dem ich träume.» Wen wunderts also, dass die junge Sofia nackt im Swimmingpool für seine Parfum-Kampagne posiert, dass er eine Tasche nach ihr benannt hat und sie auch sonst mit allerlei LangzeitmusenAufgaben betraut. Zuletzt für die Louis-Vuitton-Cruise-Collection. «Ich bevorzuge klassische Casual-Stücke», sagt Coppola. «Ich mag es nicht, wenn ich mich in einem Kleid wie in einer Verkleidung oder overdressed fühle.» Ihre Liaison mit der Mode begann schon früh. Noch während der Highschool-Zeit absolvierte sie ein Praktikum bei Karl Lagerfeld. Über ihre Mutter Eleanor Coppola, eine Dokumentarfilmerin und Freundin von Yves Saint Laurent, lernte sie den Pariser Chic kennen. Und an der Seite von Partner Thomas Mars, Sänger der Indie-Rockband Phoenix, kann man einfach nur Coolness ausstrahlen. Diesen ehelichte sie übrigens vergangenen Sommer – in einem lavendelfarbenen Kleid von Alaïa. Marc Jacobs wird es ihr verziehen haben.
Bitte weg! Sofia Coppola ist regelmässig Gast auf der «Vogue»-Liste der bestangezogenen Frauen und darf sich zur Riege der erfolgreichen Regisseurinnen zählen. Vater Francis Ford Coppola, Regisseur von «Der Pate» hat damit nichts zu tun, betont sie stets. Mit Thomas Mars, Ehemann Nummer zwei, hat die Amerikanerin mit italienischen Wurzeln zwei Töchter, Romy und Cosima.
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STIL neuigkeiten
Neues Designteam
FAY SETZT AUF EIN DUO TOMMASO AQUILANO UND ROBERTO RIMONDI SIND DIE KREATIVKÖPFE BEIM LABEL FAY.
Designmesse
Basel zieht die Blicke auf sich Bereits zum dritten Mal geht die Blickfang Basel über die Bühne. Insgesamt 110 Aussteller aus den Bereichen Möbel, Leuchten, Wohnaccessoires, Mode und Schmuck präsentieren ihre Kreationen vom 23. bis 25. März dem Publikum. Omnipräsente Thematik an der Blickfang ist erneut Nachhaltigkeit. In einer kleinen Manufaktur von Hand hergestellte Produkte sind nicht nur authentisch, sondern im Gegensatz zur Massenanfertigung auch umweltschonender. Neben der Sonderschau wie der «Blickfang Selected», die den Designnachwuchs fördert, wird auf Aussteller aus der Region Basel fokussiert. Modisches Highlight ist neben bereits bekannteren Labels wie Aéthérée, Claudia Güdel, Ida Gut oder Xess + Baba das St. Galler Modelabel Berenik. Die Designerin Veronika Brusa verfolgt mit Berenik einen nichtkommerziellen Ansatz und überzeugt mit ihrer von Shanghai inspirierten Kollektion mit raffinierten Details und zeitlosen Schnitten. | ALB Bolero verlost 15 x 2 Eintrittstickets für die Blickfang Basel. www.boleromagazin.ch/blickfang-verlosung
Bolero: Wie wollen Sie die Fay-Linie künftig gestalten? Aquilano und Rimondi: Fay ist eine traditionsreiche italienische Marke mit einer starken DNA. Ohne das «Made in Italy»Schneiderhandwerk zu vernachlässigen, möchten wir dem Label mehr Frische, Glamour und Sexappeal verleihen. Wir wollen auf die Schnitte und die Endverarbeitung fokussieren und schauen dabei öfters sogar bei den Männerkollektionen ab. Sie arbeiten im Team. Hat jeder von Ihnen einen bestimmten Fokus? Aquilano: Roberto ist mehr der Techniker und interessiert sich sehr für Materialien. Ich bin der Träumer mit einem Faible für Couture-Kreationen. Diese Kombination schafft eine Balance und formt unseren Stil.
Schuhtrend Taschenkollektion
OH BOY! PUNK TRIFFT COUTURE Karl Lagerfeld hat eine neue Muse: Punk-Model und Sängerin Alice Dellal, bekannt für ihren halbrasierten Kopf. Der Modeschöpfer entdeckte die gebürtige Brasilianerin während eines Shootings und erkor sie zum Kampagnengesicht der Chanel-Taschenlinie «Boy». Ein Ehre, wie sie sich das Model nie hätte vorstellen können. Denn mit ihren Tattoos, ihrem Haarschopf und ihrer Liebe zu Punkmusik ist sie nach wie vor eine Ausnahme im Modelbusiness. | ALB www.chanel.com
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Wedge-Sneakers Turnschuhe mit Keilabsatz sind der letzte Schrei! Denn ihr Absatz ist nicht nur super bequem, sie machen auch ganz tolle Beine. Besonders beliebt sind die bunten «Willow» Wedge-Sneakers von Isabel Marant, ca. CHF 530.–. | ALB www.mytheresa.com
Was ist der Spirit der Frühjahrs-/ Sommerkollektion 2012? Aquilano und Rimondi: Wir spielen mit mutigen Farbkombinationen. Naturtöne fusionieren mit Fuchsia oder Limonengrün. Inspiriert hat uns der Charme Italiens der 1950er. Welches Kleidungsstück sollte diesen Sommer in keiner Garderobe fehlen? Aquilano und Rimondi: der Parka «Kate». Inspirieren liessen wir uns von drei Stil-Ikonen: Kate Middleton. Ihr Stil ist britisch und durchdacht. Kate Moss ist glamourös und cool. Und Kate Winslet ist chic, aber real. | ALB www.fay.com
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28.2.2012
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BEAUTY
THEROSE DieKöniginderBlumeninspiriert jetztdasMake-up.Cool:derLookist mehrRock’n’RosealsDornröschen. FOTOS: DIANA SCHEUNEMANN STYLING: NAOKO SOEYA, JUNE NAKAMOTO/SHOTVIEW.COM MAKE-UP: MILY SEREBRENIK HAIR: RICHARD BLANDEL/B4 AGENCY MODEL: TIFFANY/MODELMANAGEMENT LOCATION: «SUITE DE LA REINE», HOTEL PAVILLON DE LA REINE, PARIS, WWW.PAVILLON-DE-LA-REINE.COM
ROSENTAU Augen: «Quickliner Chocolate», «NaturallyGlossyMascara». Lippen:«AlmostLipstickChicHoney». Teint: «Moisture Surge Tinted Moisturizer», «Cream Stick Rosy Blush». Alles Clinique. Chiffon-Blumenkleid: Irié Paris, Ohrringe mit Türkiskreuz und Tsavorit-Rose: Lydia Courteille, exklusiv bei Trois Pommes.
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ROSE DER NACHT Augen: «Eye Shadow Violet Dusk», «Eye Defining Pencil Espresso», «Brow Sculptor Taupe», «Extreme Mascara». Lippen: «Lip Color VioletFatal»,«UltraShineLipGloss Wet Violet». Nägel: «Nail Lac Viper». Teint: «Blush Love Lust», «Illuminating Highlight Pen», «Traceless Foundation». Alles Tom Ford Beauty. Tupfenkleid und -sandalen: Tom Ford. Ring mit Jaspis-Rose: Lydia Courteille, exklusiv bei Trois Pommes.
ROCK’N’ROSE (RECHTE SEITE) Augen: Palette «Les Yeux Doux C50 Vert Tendresse», «Mascara Hypnose Doll Eyes Noir». Lippen: «Rouge in Love 377N Midnight Rose». Teint: «Blush Multilumière No 1 La Roseraie», «Teint Idole Ultra 24 H». Alles Lancôme. Biker-Lederjacke mit Blumendruck: Céline. Diamant-Collier «Limelight Garden Party» mit Chalzedon-Rosen: Piaget.
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KULTUR
— Gemalte Identität — Das Museum Franz Gertsch zeigt mit Cornelia Schleime eine Meisterin ihres Fachs. TEXT: LEONI JESSICA HOF
Zehn Jahre Arbeit einfach weg – diese Erfahrung musste Cornelia Schleime (*1953) am Tag vor ihrer Ausreise nach West-Berlin machen. Nach fünf Ausreiseanträgen liess man die Künstlerin 1984 aus der ehemaligen DDR ziehen. Fast ihr gesamtes Werk aber verschwand in der Nacht zuvor bei einem Einbruch. Mit einem Koffer, einem Federbett und ihrem Sohn an der Hand kam sie nach West-Berlin. «Ich musste mir meine Identität neu ermalen.» Auf ein Medium festlegen möchte sie sich aber nicht. Sie fotografiert, performt und schreibt. Ihre Werke sind nun im Museum Franz Gertsch zu sehen. Gezeigt werden grossformatige Werke neben Aquarell- und Tuschezeichnungen. Schleimes Bilder zeigen Frauen mit zu Tentakeln geflochtenen Haaren, Mensch-, Tier- und Vogelwesen. Ein merkwürdiges Detail, ein perfekt eingefangener Gesichtsausdruck – wie ein Kunsthistoriker einmal schrieb, zieht Schleime ihren Figuren «Rollenmodelle wie Kleidermodelle» an.
OBEN: «Eulen, die höhlen», 2009. UNTEN: «Selbstporträt als Reiterin», 1994.
«Cornelia Schleime. Die Farbe, der Körper, das Antlitz, die Augen», Museum Franz Gertsch Burgdorf, 24. März bis 2. September; im Kerber Verlag erscheint ein Katalog zur Ausstellung.
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RECHTS: Raumfüllende Wandinstallation von Nadja Schöllhammer «Meteor». UNTEN: Scherenschnitt von Andrea Dezsö «New York University 2009 Summer Bulletin».
— Bastelarbeiten deluxe — Die Gestaltung mit Papier treibt wunderbare Blüten. «Papercraft 2» zeigt, was uns zum Staunen bringt. TEXT: LEONI JESSICA HOF
Papier ist geduldig. Nachdem wir Jahrhunderte unsere Notizen darauf festhielten, Briefe verschickten, unsere Memoiren darauf schrieben, muss es sich im digitalen Zeitalter einen neuen Job suchen. Jetzt entdecken Gestalter und Künstler seine kreativen Möglichkeiten. Es wird geschnitten, gefaltet und geklebt. Schicht um Schicht wird übereinander gebracht, Collagen werden zu umfangreichen Arbeiten gemacht. Papier als Werkstoff findet sich wieder in Szenografie, Modedesign und Werbung. Der Band «Papercraft 2» ist eine Fundgrube für Kreative, die Arbeiten aus Papier und Pappe begeistern, aber auch für all jene, die seit Kindertagen keine Bastelschere mehr in den Händen hielten. Da gibt es etwa die raumfüllenden Installationen von Nadja Schöllhammer, Möbel aus Papier von Ryuji Nakamura, grossflächige Scherenschnitte oder «Haute Papier» der schwedischen Modedesignerin Bea Szenfeld, von der sich schon die Sängerin Björk in Papier hüllen liess. «Papercraft 2. Design and Art with Paper», Klanten, Robert; Meyer, Birga (Hrsg.), Gestalten, CHF 62.90
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ANGESAGT text: leoni jessica hof foto: keystone/ap/matt sayles
Die Rolle ihres Lebens An der Berlinale trafen wir MichelleWilliams. Die Schauspielerin brilliert in der Rolle der Marilyn Monroe – dafür wurde sie sogar für den Oscar nominiert. Durch Berlin pfeifen eisige Ostwinde – wovon sich Michelle Williams nicht beeindrucken lässt. Im ärmellosen Minikleid stöckelt sie ins Lindenzimmer des Hotels Adlon, wo unser Interview stattfindet. Den Kamelhaarmantel zieht sie dann doch lieber wieder an. Trotzdem hatte man genug Zeit, um eines zu vermissen: Wo sind ihre Hüften? Oder besser: Wo sind die Hüften Marilyns? Vor wenigen Stunden hat man sich Williams’ Performance der platinblonden Stilikone in «My Week with Marilyn» angesehen und war erst einmal irritiert ob der Üppigkeit, des Sexappeals, der einen da ansprang. «Ich habe Marilyns Körper zur Hälfte. Obenrum stimmt es, unten leider nicht. Wenn ich zunehmen könnte und ihr Aussehen hätte, hätte ich das längst getan. Aber es geht immer an die falschen Stellen», sagt die Schauspielerin. Statt einer Sanduhrfigur habe sie ein rundes Gesicht bekommen und soll darum für die Dreharbeiten in die «Huits Magic Pulp Pants» der Marke Rigby & Peller gestiegen sein. Trotz Fake-Kurven legt die 31-Jährige eine glaubwürdige schauspielerische Leistung hin, die vielleicht der Höhepunkt ihrer bisherigen Karriere ist. Dabei zeigt der Film nur einen Ausschnitt im Leben der Stilikone Monroe. Genauer gesagt eine Woche im Jahr 1956. Da dreht Marilyn in England den Film «Der Prinz und die Tänzerin». Die aufreibenden Dreharbeiten mit Laurence Olivier finden in ihren Flitterwochen statt – kürzlich hat sie den Dramaturgen Arthur Miller geheiratet. Marilyn ist überfordert, angeschlagen. Und findet in Regieassistent Colin Clark einen Verbündeten. Clark wird später seine Tagebücher aus dieser Zeit veröffentlichen – über >
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ANGESAGT
Eddie Redmayne spielt in «My Week with Marilyn» den Regieassistenten Colin Clark – Marilyns Verbündeten am Set.
eine ganz bestimmte Woche aber hat er sich lange ausgeschwiegen, die Woche mit Marilyn... Die 1,63 Meter kleine Williams wirkt zerbrechlich. Ihr fein geschnittenes Gesicht mit den grüngrauen Augen und dem vollen Mund wird durch ihre kurzen Haare betont. Gezögert, die Marilyn zu spielen, hätte sie nie. Was nicht überrascht, hing doch früher ein Bild der Ikone über ihrem Bett. «Sie war sexy, so glamourös. Gleichzeitig war sie eine Kämpferin für die Schwachen. Ella Fitzgerald sagte, dass sie ihre Karriere Marilyn Monroe verdanke. Monroe brachte einen Club-Besitzer dazu, Fitzgerald regelmässig zu buchen, als diese nur in Clubs für Schwarze singen durfte. Marilyn sass jeden Abend in der ersten Reihe.» So soll auch Williams aktueller Film eine andere Seite des Sexsymbols zeigen. «Während ich mich auf die Rolle vorbereitete, wurde mir klar, dass Marilyn viel komplizierter war, als ich dachte. Aber auch viel witziger, viel smarter und ernsthafter.» Dass Williams einmal in die Highheels der Monroe steigen würde, hätte man vor ein paar Jahren nicht gedacht, aber wenn es eine geschafft hat, sich von ihrer SerienVergangenheit freizuspielen, dann sie. Die Teenie-Serie «Dawson`s Creek» machte sie Ende der neunziger Jahre bekannt. Geboren im Nordwesten Montanas, zog die Familie Williams bald darauf nach San Diego. Schon als Jungendliche spielte Michelle Theater und trat in Werbespots auf. Mit 15 hatte sie eine Rolle im Sci-Fi-Film «Species» und brach dafür die Schule ab, absolvierte ihren Abschluss aber im Fernstudium und zog nach Los Angeles. Popcorn-Kino interessierte sie wenig, lieber spielte sie in IndependentProduktionen. Ihre Darstellung im Cowboy-
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Drama «Brokeback Mountain» brachte ihr schliesslich nicht nur eine Nomination für den «Golden Globe Award» und den «Oscar» ein, hier lernte sie auch ihre grosse Liebe kennen: Heath Ledger. 2005 kommt ihre gemeinsame Tochter Matilda Rose zur Welt. Das Paar trennt sich 2007. Als Ledger wenige Monate später an einer Überdosis Tabletten stirbt, ist das ein Schlag, von dem sich Williams bis heute nicht erholt haben soll. Damals wurden laufende Dreharbeiten auf Eis gelegt. «Ich gehe heute davon aus, dass nichts von Dauer ist», sagte sie im vergangenen Jahr in einem Interview. Der Verlust habe ihren Alltag verändert, ihre Karriere und ihr Verhalten als Mutter und Freundin. Vielleicht eint sie die Erfahrung des Verlusts mit Marilyn Monroe. Auch Marilyn war eine auf ewig Verlassene, der Vater hatte sich aus dem Staub gemacht, ihre Mutter konnte sich nicht um sie kümmern. Sie wuchs in Pflegefamilien auf, später zerbrachen drei Ehen. Michelle Williams rappelt sich nach ihrem persönlichen Schicksalsschlag auf. 2010 spielt sie neben Leonardo DiCaprio in der Literaturverfilmung «Shutter Island» von Martin Scorsese. Für das Beziehungsdrama «Blue Valentine» erhielt sie 2011 eine «Golden-Globe»- und «Oscar»Nominierung. Für «My Week with Marilyn» schliesslich bekam sie den «Golden Globe», der «Oscar» hätte ihre Karriere geadelt. Vielleicht ist die Rolle der Marilyn dennoch die bislang wichtigste ihrer Karriere. Penibel hat sie sich auf diese Rolle vorbereitet, las alles von und über Marilyn, übte ihren wiegenden Gang mit einem Gürtel um die Knie, ihren Augenaufschlag, die Art zu reden. Bleibt etwas zurück von den Rollen, die sie spielt? «Von Marilyn ist mir
die Sensibilität und ihre Wahrhaftigkeit geblieben. Im Alltag kann ich stark sein, an der Grenze zum Maskulinen. Ich bewundere darum ihre Anmut und ihre Weiblichkeit.» Wie spielt man sich von so einer starken Figur frei? «Ich hatte keine Ahnung und fand dann die perfekte Rolle ‹danach›: einen Kinderfilm. Ich spiele die gute Fee Glinda im Zauberer von Oz.» Ein leichter Stoff aus Disneys Traumfabrik, die gute Fee als Lichtfigur. «Auch Marilyn konnte hell, aber auch sehr düster sein. Sie war ein Kontrollfreak. Wenn man sich Fotoabzüge ansieht, hat sie alle Fotos aussortiert, die nicht dem Monroe-Bild entsprachen. Marilyn Monroe war weit entfernt von Norma Jeane.» Warum glaubt sie, hat Marilyn das Image der Sexbombe kreiert, wenn sie lieber als Künstlerin gesehen werden wollte? «Weil sie nichts anderes hatte. Sie war eine Schauspielerin, die sich abrackerte. Nicht nur, weil sie berühmt und geliebt werden wollte. Gefragt nach ihren Nacktaufnahmen, sagte sie, sie hätte einfach Hunger gehabt. Ich glaube, dass sie schnell merkte, welchen Wert ihr Image und ihr Körper haben könnten.» Was dann ihr Fluch wurde? «Sie baute sich selbst einen goldenen Käfig. Ein hübsches Gefängnis. Und wollte da raus – aber niemand liess sie, weil sie so profitabel war.» Williams selbst zieht sich immer wieder vom Hollywood-Zirkus zurück, am liebsten wäre es ihr, «ausserhalb des Systems» zu arbeiten. Die Award-Shows sind vorbei, jetzt plant sie einen WohnwagenTrip mit ihrer Tochter. Ein Stück weit hat die Rolle der Marilyn Monroe aber doch ihr Leben verändert: «Ich fühle mich mehr wie eine Schauspielerin, weil dies mein bisher schwerster Job war. Ich habe mir damit selbst etwas bewiesen. Einige Male wollte ich weglaufen, die Rolle erschien mir zu gross, tat es aber nicht. Auf eine Art habe ich mich < vom Mädchen zur Frau entwickelt.» Nehmen Sie teil an der exklusiven Vorpremiere von «My Week with Marilyn» – alle Informationen hierzu finden Sie auf Seite 166.
ARTDE VIVRE — NewOrleansbittetzumTanz— Nach Katrina schien es, als hätte New Orleans seine Musik, seine Sprache verloren. Jetzt spielt die Südstaatenschönheit wieder auf – und zieht Künstler wie Stephanie Nilles an. TEXT: TINA BREMER FOTOS: CHRISTIAN HEEB (3) & TINA BREMER
Irgendwie wirkt alles zu gross. Zu mächtig für diese kleine Person mit den dunkelblonden Locken, die aussieht, als hätte sie gerade ihren Schulranzen in die Ecke geworfen. Der nahezu leere Raum, der lange Tresen, der abgewetzte Barhocker, auf dem Stephanie Nilles sitzt. Alles ein wenig überdimensioniert, unproportioniert. «Meine Hände sind eigentlich auch zu gross für mich», sagt sie, stellt die Flasche Red Stripe ab, aus der sie noch schnell einen Schluck genommen hat, und streckt ihre Arme geradeaus. «Nicht gerade die grazilen Finger einer Pianistin, nicht wahr?», sagt Stephanie und grinst. Kräftige Finger mit kurzen Fingerkuppen, die aussehen, als könnten sie zupacken.
Es ist drei Uhr nachmittags und die Half Moon Bar an der Ecke St. Mary Street und Chestnut Street wirkt, als sei sie nach einer durchzechten Nacht eben erst aufgewacht. Die Leuchtreklame über der Eingangstür zuckt, als hätte sie einen Kater, hinter dem Tresen sortiert die Barkeeperin Jim-BeamFlaschen in die Regale. «Hier treffe ich mich jeden Nachmittag mit meinen Nachbarn, nachdem ich geübt habe», erzählt Stephanie. Maler, Musiker, Tätowierer, Drag-Queens – Lebenskünstler wie Stephanie, deren Herz für ihre Leidenschaft wild aus dem Takt schlägt. Nachdem die 27-Jährige eine klassische Klavierausbildung am Cleveland Institute of Music abgeschlossen hatte, suchte sie eine neue Herausforde- >
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STEPHANIE NILLES Die Jazzmusikerin hat gerade ihr drittes Album herausgebracht. «Fuck off Grizzly Bear» übt Kritik an digitalen Medien wie Facebook oder Twitter, greift aber auch politische Themen auf. Ein kluges Album mit toller Musik. Im Sommer tourt Stephanie Nilles durch Deutschland. Informationen und Termine unter: www.stephanienilles.com
rung und ging nach New York. Das, wonach ihr Musikerherz begehrte, fand sie jedoch nicht im anonymen Big Apple, in dem Künstler ohne Namen auch ohne Gage auftreten, sondern in New Orleans, der Südstaatenmetropole am Mississippi, die wegen ihres entspannten Lebensstils den Spitznamen «The Big Easy» trägt. Hier spielt die Musik lauter, sind die Nächte länger und die Röcke kürzer als im Rest der USA. «New Orleans gilt als Wiege des Jazz, auch ich bin dieser Musik verfallen», erzählt Stephanie. Die Pianistin und Songwriterin hat ihren eigenen Stil entwickelt, eine Mischung aus Jazz, Blues und Folk. Starke Musik mit pointierten Texten, getragen von einer ebenso starken Stimme, für die Kritiker sie als «weiblicher Tom Waits» gelobt haben. «Mein Ohr hat mich nach New Orleans geführt. Die Musikszene hier ist einzigartig, es gibt kaum Musik, die ich nicht mag. Ich habe mich sofort in die Stadt verliebt. New Orleans geht dir ins Blut», sagt Stephanie. «Es ist die einzige Stadt in den Staaten, in der Künstler noch als solche leben können. Keiner verdient
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viel, aber alle machen für ihr Geld das, was sie glücklich macht.» Seit zwei Jahren lebt die Musikerin jetzt im Lower Garden District, einem ehemaligen Sklavenviertel, in dessen bonbonrosa, pistaziengrün und himmelblau gestrichene Häuser in den vergangenen Jahren immer mehr Boutiquen, Bars und Restaurants gezogen sind. «In meiner Nachbarschaft wohnen Junge und Alte, Schwarze und Weisse nebeneinander – das ist in den USA sehr ungewöhnlich. Der Süden musste sich seit jeher mit Rassismus auseinandersetzen, daher sind die Menschen hier offener als im Norden.» Wenn Stephanie morgens aus ihrer blau-weiss gestrichenen Haustür auf die Magazine Street tritt, die ihren Namen wegen der vielen Geschäfte trägt, welche die Strasse säumen, spaziert sie nach rechts und kehrt in eine der ruhigen Seitenstrassen des benachbarten Garden Districts ein, wo ihre Joggingstrecke beginnt. Nicht etwa auf dem Trottoir, das buckelt und sich unter dem Druck der Wurzeln Jahrhunderte alter Eichen aufbäumt, die sich durch den Asphalt gekämpft haben, sondern mitten
auf der Strasse. Nur alle naslang kriecht ein Auto vorbei, ohnehin sieht das Viertel aus, als hätte die Zeit die Luft angehalten: rechts und links majestätische Südstaatenvillen aus dem 19. Jahrhundert, umrahmt von Magnolien, Kamelien und Azaleen. Die Luft, ein Parfum aus Rosen und Jasmin. Die Häuser der ehemaligen Plantagenbesitzer sehen immer noch so aus, als würde Scarlett O’Hara just die Tür aufstossen und von der Veranda winken. Wie durch Watte ist das Bimmeln der antiken Strassenbahn zu hören, welche die zehn Kilometer lange baumbestandene Charles Avenue entlangrattert. Die Hauptschlagader des Garden Districts, die mit ihren Sehenswürdigkeiten wie die Kulisse eines Museums wirkt, ist die Hauptstrecke des Mardi Gras. Der weltberühmte Karneval, der am Dienstag vor Aschermittwoch seinen Höhepunkt findet, zieht jedes Jahr tausende Feierwütige aus aller Welt an. Dann fällt die Stadt in einen Rausch aus Musik und Lebensfreude. Die Strasse wird zur Tanzfläche, Stäbe werden durch die Luft gewirbelt, von den Festwagen der Parade fliegen Ketten in Lila, Gold und