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Ceci n’est

pas une

FEMME Nadelstreifen, Muster wie von Männerpyjamas und maskuline Silhouetten an Frauenkörpern: Die Geschlechterrollen werden neu verteilt. Die Mode spielt mit dem surrealistischen Prinzip, geltende Werte umzustürzen und Absurdes zuzulassen. FOTOS: SVEN BÄNZIGER STYLING: JUNE NAKAMOTO/SHOTVIEW MAKE-UP: TIINA ROIVAINEN/AIRPORT HAIR: NOELIA CORRAL BERTAN/CLOSE UP MILANO MODEL: JENNA EARLE/NEXT MANAGEMENT DIGITAL OPERATOR: RUGGIERO CAFAGNA STYLING-ASSISTENZ: NAOKO SOEYA

Gemustertes Seidentaftkleid, Wollpulli mit V-Ausschnitt, Ledergürtel. Alles Louis Vuitton. Wollmantel, Wooyoungmi. Uhr «Arceau Squelette» und Clutch «Egee». Beides Hermès. Silberhalsreif mit schwarzer Kugel, Céline.

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STIL

Die neuen Reliquien Mode kann durchaus zur Religion werden. Im Fall des Armbandes von Saint Laurent par Hedi Slimane werden auch wir gern zu J체ngern. Das mit Perlen, Ketten und allerlei anderen coolen Anh채ngern beh채ngte Armband ist aus vergoldetem Zinn und Messing und hat den Schriftzug des Hauses eingraviert. Wenn das nicht rockt! Wo zu kaufen Seite 136. FOTO: ARMIN ZOGBAUM/RENEHAUSER.COM STYLING: ULRIKE MIEBACH ASSISTENT: NICOLAS OSWALD RETUSCHE: OLIVIER YOSHITOMI

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STIL neuigkeiten

Jung und rockig, urban und mit einem sexy maskulinen Unterton. Das sind die Markenzeichen der neuen «Isabel Marant pour H&M»-Kollektion.

H&Ms Designer-Kooperation

Französischer Chic bei den Schweden Die 46-jährige Französin Isabel Marant gilt als der Inbegriff des Pariser Bohème-Chic. Seit 20 Jahren bleibt sie ihrem romantischen Ethnostil, der stets einen Schuss maskuline Eleganz hat, treu. Mit unkomplizierten Rock-meets-Ethno-Teilen beginnt sie seit ein paar Saisons auch die Kleiderschränke der jungen, hippen und urbanen Frauen zu erobern. «Ich bin immer bestrebt, etwas Echtes zu schaffen, das Frauen gerne im Alltag tragen, mit einer gewissen Unbekümmertheit, die für mich typisch Paris ist: Man macht sich chic, verwendet jedoch nicht übertrieben viel Aufmerksamkeit darauf, und das Ergebnis ist doch sexy», sagt Isabel Marant. Jetzt hat sie für H&M eine Frauen-, Teen- und Männerkollektion (eine Premiere) entworfen, die ihre typischsten Entwürfe umfasst: eine Kurzjacke mit korallefarbener Ethnostickerei zum Beispiel, einen Strickmantel, die coolen Lederhosen mit seitlicher Schnürung, die auf einschlägigen Online-Stores innert Minuten ausverkauft waren, oder ihre Strick- und Jerseybasics, mit denen sie 1990 unter dem Markennamen «Twen» begonnen hat, Mode zu machen. | SAL «Isabel Marant pour H&M» ist ab 14. November in ausgewählten H&M Stores erhältlich. www.hm.com

Die britischen Marken Mulberry und Mackintosh spannten für eine einmalige Kooperation zusammen. Das Ergebnis: ein Regenmantel mit Tupfenkapuze und -ärmeln sowie herausnehmbarem Merinowollfutter im typischen Mulberrykaro. Ab November exklusiv erhältlich auf net-a-porter.com. Preis: 1750 Pfund (ca. CHF 2550.–). | SAL www.mackintosh.com, www.mulberry.com

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— Geschwindigkeitsrausch — Schnelle Autos, heisse Miezen, zwei grosse Rivalen – der eine Playboy, der andere eine Legende – und die passenden Pilotenbrillen. In diesem Fall von der Marke Carrera. Der Film «Rush» lässt das goldene Zeitalter der Formel 1 mit all seinem Glamour und Sexappeal auferstehen. Regisseur Ron Howard erzählt darin die Geschichte von Niki Lauda, gespielt von Daniel Brühl, die Sonnenbrille «Carrera 80» auf der Nase (CHF 230.–), und James Hunt, gespielt von Chris Hemsworth, mit der «Carrera Speedway» im Gesicht (CHF 195.–). | SAL www.carreraworld.com

Ausstellung

ALAÏAS SKULPTUREN Mit der Wiedereröffnung des Pariser Galliera-Museums erhält auch einer der grössten Couturiers der Gegenwart eine Ausstellung: Azzedine Alaïa. Die Ausstellung (auch im MatisseRaum des Musée d’Art moderne de la Ville de Paris) zeichnet mit 70 seiner ikonischen Modelle seinen kreativen Werdegang nach. Bis 26. Januar 2014. | SAL parismusees.paris.fr/en/exhibition/alaia

Fotos: Patrick Demarchelier (1)

Exklusiv

SINGING IN THE RAIN


BEAUTY « Man muss sich die Freiheit nehmen. Sie wird einem nicht gegeben.» Meret Oppenheim

IDOLE Zu den ältesten Luxushäusern Frankreichs zählt die Parfummanufaktur Lubin, die 1798 in Paris ins Leben gerufen wurde und bis zu den fünfziger Jahren zu den ganz Grossen zählte. Das Unternehmen musste verkauft werden und machte Ende des 20. Jahrhunderts sogar beinahe Bankrott – mit Hilfe von Investoren und dem Unternehmer Gilles Thévenin feiert das Duftlabel Lubin mit dem Parfum «Idole» (aus Sandelholz, Rum und Safran) seine Renaissance. Hommage an « Pair of Gloves», 1985, Meret Oppenheim.

PARFUMZAUBER

Meret Oppenheim zog mit ihren surrealistischen Werken Kunstliebhaber in ihren Bann. Uns fesseln diese Parfumneuheiten mit unerwarteten Ingredienzien wie Guajakholz, Safran und Ozeanwasser-Akkorden. FOTOS: MATHIAS ZUPPIGER

REDAKTION: VANESSA FINK

WO ZU KAUFEN SEITE 136

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« Jeder Einfall wird geboren mit seiner Form.» Meret Oppenheim

ENIGMA Roja Doves Faszination für Parfums begann schon als Kind: Immer wenn ihm seine Mutter einen Gutenachtkuss gab, roch er in seinem Zimmer noch lange ihr angenehmes Parfum. An seinem 21. Geburtstag besuchte er die Guerlain-Boutique in Paris und arbeitete später sogar für das französische Haus. Seit 2004 ist der Brite mit seinen eigenen Parfums am Start, die edlen Düfte präsentieren sich in Baccarat-Flakons, so auch «Enigma» (aus Bergamotte, Rose und Vanille).

IRISH LEATHER Alles begann auf einem Skilift in Gstaad – der Ort, an dem sich die Andalusierin Clara und der Ire John Molloy kennen und lieben lernten. Ihr gemeinsames Parfumlabel Memo, das sie 2007 gegründet haben, soll ihre Duftträger auf eine Reise in ferne Länder entführen. Im Fall von «Irish Leather» (aus Birkenöl, Tonkabohnen und Lederakkorden) in die Heimat von John Molloy, der mit Pferden auf dem Land aufgewachsen ist, bevor er die Welt zu bereisen begann.

EAU DU SOIR Hubert d’Ornano gründete 1976 das Familienunternehmen Sisley. Seine Frau Isabelle d’Ornano, die aus dem polnischen Hochadel Radziwil stammt, liess sich für die limitierte Auflage des Sisley-Klassikers «Eau du Soir» (aus Chyprenoten, Amber und Moschus) von ihrer Heimat inspirieren: Das Muster, das den Flakon ziert, ist eine Ode an die polnische Textilarbeit. Ursprünglich wurde das Parfum eigens für die Gräfin kreiert und kam erst ein paar Jahre später auf den Markt.

Hommage an «Traccia Table», 1939, Meret Oppenheim.

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KULTUR

Die Macht der Worte — Barbara Kruger spricht Klartext im Kunsthaus Bregenz. TEXT: LEONI JESSICA HOF

Die Künstlerin Barbara Kruger weiss um die Kraft der Bilder, die schmeicheln können, verführen oder abschrecken. Als Bildredakteurin arbeitete die Amerikanerin für den Condé Nast Verlag in New York, sichtete Unmengen an Material. Ihr künstlerisches Werk ist geprägt von dieser Erfahrung. Krugers Arbeiten sind politisch, ihre ersten Werke auf die späten Sechziger datiert. Themen wie Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit und Konsumkritik kleidet die Künstlerin in knackige Ansagen auf meist schwarz-weissen Fotografien. Sie springen den Betrachter an, der oft direkt angesprochen wird. Krugers Arbeiten kann man sich schwer entziehen, selbst dann nicht, wenn man die Museen scheut: Oft entwickelt sie Projekte für den öffentlichen Raum, bringt Installationen an Fassaden oder auf Bussen an. 2005 erhielt sie für ihr Lebenswerk den «Goldenen Löwen» der Biennale in Venedig. In der Ausstellung im Kunsthaus Bregenz wird Barbara Kruger einen abwechslungsreichen Parcours ihrer Medienvielfalt aufbauen und neue Installationen speziell für die Architektur von Peter Zumthor realisieren.

OBEN: Ausstellungsansicht Mary Boone Gallery, New York, 1991. UNTEN: Untitled (LOVE), 2001. Fotos: Courtesy Mary Boone Gallery, New York. Courtesy Sprüth Magers Berlin London.

«Barbara Kruger», Kunsthaus Bregenz, 19. Oktober 2013 bis 12. Januar 2014.

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KULTUR bücher

Rock 'n' Roll-Poesie — Mit «Traumsammlerin» lässt uns Patti Smith an ihrer Kindheit teilhaben. Vor 20 Jahren erschien in den USA ein limitierter Band, das Format wie «ein winziges indisches Gebetbuch», im Inneren eine Mischung aus Kindheitserinnerungen und Poesie. Patti Smith habe immer gewusst, dass sie einmal ein Buch schreiben werde, wie sie im Vorwort erwähnt. Und jener kleine Band brachte ihr – kurz vor dessen Tod – sogar das Lob des schwer zu beeindruckenden Vaters ein: «‹Du bist eine gute Schriftstellerin›, sagte er und machte mir eine Tasse Kaffee. Es war das einzige Kompliment dieser Art, das ich je von ihm hörte.» Nun erscheint dieses Buch unter dem Titel «Traumsammlerin» auf Deutsch. Es ist kein Nachfolger des mit dem «National Book Award» ausgezeichneten «Just Kids», in dem Smith über ihre Zeit mit Robert Mapplethorpe schrieb. Denn selbst wenn uns die Punkrock-Ikone und Dichterin in ihre Kindheit entführt, sind dies doch mehr Streifzüge denn Memoiren, mehr Irrlichter denn Scheinwerfer. «Traumsammlerin» ist ein Werk, das zu schweben scheint, flüchtig ist und doch bleibenden Eindruck hinterlässt. Es ist Smiths Gespür für Poesie gedankt, ihrem Talent, selbst dem Profanen Glanz zu verleihen – und immer auch etwas höchst Persönliches. Etwa wenn sie erzählt, wie sie als melancholisches Kind am Fenster ihren Gedanken nachhing: «Dort hielt ich Wache, aufmerksam für das Kleine, das bei wachem Auge monströs und schön werden konnte. Ich sah hin, wog ab und war mit einem Mal weg – ein fliegendes Objekt, das von Erdball zu Erdball huschte, ohne Bewusstsein für meine ungeschickten Arme und launischen Socken.» Bei ihr wird selbst eine Tasse Tee zu etwas Mystischem. Der Zauber von Patti Smiths Erinnerungsskizzen setzt sich zusammen aus ihrer kreativen Kraft und sensiblen Beobachtungsgabe. Entziehen kann man sich diesem Buch nur schwer, das bebildert ist mit Fotos aus dem Besitz der Autorin. Patti Smith schreibt jeden Tag – seit geraumer Zeit an einer Detektivgeschichte. Patti Smith, «Traumsammlerin», Kiepenheuer & Witsch, CHF 25.90. Das Buch erscheint am 7. November.

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Foto: Steve Pyke/Contour

TEXT: LEONI JESSICA HOF


ANGESAGT Um die ganze Welt Tyler Brûlés Liebe gilt dem gedruckten Wort, nun erklärt uns der Tausendsassa, wie man ein erfülltes Leben führt. TEXT: LEONI JESSICA HOF FOTO: SEBASTIEN AGNETTI/FIGAROPHOTO/DUKAS

Jedes Land hat den Stilpapst, den es verdient: Tyler Brûlé aber hat sich aufgemacht, uns allen ein wenig mehr Geschmackssicherheit mitzugeben. Warum lokal denken, wenn auch global geht? Auf die Frage, wie er so lebt, antwortet er schlicht: «Gut.» Dieses gute Leben spielt sich ab in London, der Schweiz – vor allem aber auch im Flieger. «Ich mag es, eine angenehme Bleibe zu haben, muss aber auch immer wieder in die anderen Städte reisen, die ich genau so verlockend finde, etwa Tokio, Bangkok, Auckland...» Der kanadische Medienunternehmer, Designer und Journalist bringt nun den «The Monocle Guide to Better Living» heraus. Ein Buch, das nicht mehr, aber auch nicht weniger sein will als eben das: ein Nachschlagewerk in Sachen gutes Leben. Es soll dabei nicht um marktschreierische Heilskonzepte gehen, wie sie zuhauf in den Regalen für Selbsthilfeliteratur stehen. Nicht über Trends oder das nächste grosse Ding wird hier geschrieben. Es geht schlichtweg um Produkte, Ideen und Werte, die einen bereichern – und die bleiben sollen. Es geht darum, woran man eine gute Wohngegend erkennt oder wie man sein Heim einrichtet. Welche Produkte sinnvoll sind und zudem noch sinnlich. Welcher Wandel wird unser Leben prägen? Besucht wird ein kochendes Paar in Tasmanien genau so wie eine Schuhmacherfamilie in Wien. Der Vielflieger Brûlé – er sitzt nach eigenen Angaben 250 Tage im Jahr im Flugzeug, meist in der ersten Klasse – ist auch ein Umtriebiger im Geiste. Ein Macher, der 1996 das Magazin «Wallpaper» gründete und dann für eben dieses von der British Society of Magazine Editors einen Preis für sein >

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ANGESAGT

Keine Angst vorm Krieg – 1994 reist Brûlé für den «Focus» nach Afghanistan. «Das war der grösste Wendepunkt in meinem Leben. Ich ging dorthin, um die Geschichte zu erzählen – um was ging es noch gleich? Einen mittlerweile fast vergessenen Konflikt und die Menschen, die versuchten, dort Leben zu retten.» In Kabul geraten der 25-Jährige und seine Mitreisenden in einen Hinterhalt, Maschinengewehrsalven prasseln auf ihren Toyota ein, Brûlé wird in die Hand getroffen. Bis heute kann er sie nicht richtig bewegen. Ein Arzt habe ihm zum Kochen geraten, sagt er später in einem Interview, mit einem scharfen Messer

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zu schneiden sei gut für die motorischen Fähigkeiten. Fünf Monate muss er sich erholen, der Ruhelose wird zum Stillstand gezwungen – und dazu, nachzudenken. Über das, was ihm wichtig ist, darüber, wie es weitergehen soll. Klar war, er wollte weder weiter als freier Journalist noch für ein grosses Medienhaus arbeiten. «Deswegen habe ich 1996 mein eigenes Magazin <Wallpaper> gegründet, 2007 dann <Monocle>.» «Monocle» steht heute für den Lifestyle, den Brûlé selbst lebt: Die Welt scheint dem Leser des Magazins offenzustehen. Über internationale Beziehungen wird genauso berichtet wie über Wirtschaft, Kultur und Design. «Der Markt schreit nach Geschichten aus anderen Teilen der Welt», sagt Brûlé. In Zeiten, in denen in vielen Verlagen gespart wird, gerade auch an den Korrespondenten, setzt das Magazin auf Berichterstattung aus dem Ausland. Verlagssitz ist London, die Redaktion unterhält Büros in New York, Tokio, Hongkong und Zürich. Es gebe schliesslich zehntausende Leser, die nichts über Prominente lesen wollten. Statt auf Marktforschung zu setzen, beobachtet er lieber die Zeitschriftenkäufer auf den Flughäfen dieser Welt. «Monocle» zählt mittlerweile zu den erfolgreichen Magazinkonzepten der vergangenen Jahre und ist derweil selbst zur Marke geworden. Neben dem Magazin gibt es die Webseite und eine zwei Mal jährlich erscheinende Zeitung – ausserdem berichtet mit «Monocle 24» ein Radiosender aus der ganzen Welt und im «Monocle Shop» ersteht man die Gadgets für ein stilvolles Leben. Das sich in Tokio oder Berlin abspielt, in Detroit oder Sydney.

Brûlé ist ausserdem Besitzer der Markenberatungsagentur Winkreative. 40 Angestellte in elf Ländern arbeiten für Kunden wie Selfridges, Stella McCartney und Prada Sport. 2002 gestaltete die Agentur die neue Markenidentität für die Fluggesellschaft Swiss. Brûlé gab dem Nachfolger der insolventen Swissair ein Gesicht – und den Fluggästen durch eine spezielle Kabinenbeleuchtung ein frischeres Aussehen. Als Kolumnist der «Financial Times» lässt er sich ausserdem aus über Nahrungsmittelunverträglichkeiten, nervige Mitreisende und gibt Erziehungstipps. Das bringt ihm Fans, die von seiner Lebensart inspiriert werden – aber auch Kritiker. Brûlé polarisiert ob seiner teils elitären, teils provoziereden Ansichten. Er selbst gibt sich detailversessen, es wird ihm nachgesagt, es nicht ausstehen zu können, wenn seine Mitarbeiter am Schreibtisch essen oder ihre Jackets über die Stuhllehne hängen. Seiner ersten Liebe ist er immer noch treu, er sammelt Magazine und Bücher. Welche Themen gehen ihm gerade im Kopf herum? «Wo ich als nächstes leben will? In welchem Haus? Wer noch dort leben sollte? Und warum es nicht bessere Wohnlösungen für ältere Menschen gibt...» Die Reise geht also weiter, Brûlé gehen die Ideen nicht aus. < «The Monocle Guide to Better Living», Gestalten Verlag, CHF 59.90

Fotos: Suki Dhanda/Guardian News & Media Ltd. (1)

Lebenswerk bekam. Anfang 30 war er da gerade mal – er ist bis jetzt der Jüngste der Preisträger. Brûlés Leidenschaft fürs gedruckte Wort begann früh, die Mutter unterstützte die Passion ihres Sohnes mit einem grosszügigen Budget für Magazine. Aufgewachsen ist er mit dem «National Geographic», mit «Spiegel» und «Stern». Er ist das einzige Kind eines Footballspielers und einer Künstlerin. Mag sein, dass der Junge sich damals schon in den Kopf setzte, auch einmal seinen Namen über einem Artikel zu lesen. Jahre später bereist er als freier Journalist die Welt. Ein Rastloser, der für die BBC berichtet, für den «Guardian», den «Stern», die «Sunday Times» und «Vanity Fair»: «Es ging mir darum, Geschichten zu erzählen von den entferntesten Ecken der Welt.» Eine seiner Kolleginnen soll ihn als den «perfekten Auslandskorrespondenten wie aus einem Hochglanzmagazin» bezeichnet haben: «Er hat keine Angst vorm Krieg und er kennt sich aus mit schönen Hosen.»

«Monocle» berichtet aber immer wieder auch aus der Schweiz. Teilzeit-Wahlschweizer Brûlé ist erklärter Fan des Landes: «Ich lebe hier, zahle Steuern und liebe die überschaubare Grösse des Landes. Vieles macht mich aber auch wahnsinnig. Dass sonntags alles geschlossen ist und dass man keinen guten Kaffee bekommt. Wie kann es sein, dass sich das 200 Meter hinter der Grenze in Italien ändert, das aber einfach nicht in die Schweiz vordringt?»


Foto: Getty Images

ART DE VIVRE Up and coming in Down Under Lange stand Melbourne im Schatten der grossen Schwester Sydney. Zu Unrecht. Denn die Metropole an der Südküste Australiens läuft ihr nicht nur kulturell und kulinarisch den Rang ab. Im Umland warten einige der schönsten Naturschönheiten Australiens. TEXT UND FOTOS: TINA BREMER

Die Frage drängt sich auf: Ob die Mitarbeiter der Stadtreinigung, die vor drei Jahren unwissentlich in der Hosier Lane vandalierten, wohl immer noch schlaflose Nächte haben? «Kann gut sein», sagt Sean und lacht. Mit grauer Farbe übermalten die Reinigungskräfte damals ein Werk des britischen Street-Art-Künstlers Banksy, dessen Kunst bei Versteigerungen sechsstellige Summen erzielt. Die Fallschirm springende Ratte hatte Banksy bei einem Besuch in Melbourne an die Rückwand des Theaters in der Hosier Lane gesprüht. Die Gasse im Central Business District ist eine Open-Air-Galerie mit ausgewiesenen Flächen für Graffitikünstler. «Leider

gehört das Theater nicht dazu. Aber da es ein Werk von Banksy war, machte die Stadt eine Ausnahme – bis an jenem verhängnisvollen Tag das Unglück passierte», erzählt Sean, während er uns durch das Labyrinth von Melbournes Lanes führt. Die kleinen Gassen, in denen früher Schuster, Tischler und Maurer wohnten, sind die heimliche Attraktion von Australiens zweitgrösster Stadt. Hier wird in Boutiquen von lokalen Designern eingekauft, Strassenkunst bewundert oder in gediegenen Cafés Cappuccino geschlürft – allein in der Innenstadt gibt es mehr als 1000 Cafés, nirgendwo auf >

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Graffiti, wohin das Auge blickt: die Union Lane in Melbourne.

der Welt soll so guter Kaffee ausgeschenkt werden wie in Melbourne, heisst es. «Die Melburnians lieben vor allem zwei Dinge: guten Kaffee und ihre Lanes», sagt Sean, der Einheimische und Touristen mit auf «Hidden Secrets Tours» nimmt. Keine gewöhnliche Stadtführung, bei der die wichtigsten Sehenswürdigkeiten abgeklappert werden, stattdessen plaudert Sean über Kuriositäten, erzählt Anekdoten, zeigt uns Hinterhöfe und abgeschiedene Plätze, die wir alleine garantiert nie aufgespürt hätten. Wie die Flinders Street Station, eine Zeitkapsel aus den fünfziger Jahren. In den Schaufenstern der U-Bahn-Station dürfen ausgewählte junge Künstler kostenlos ihre Werke ausstellen. Oder die Union Lane, die von der Einkaufsmeile Bourke Street abgeht und den höchsten «Kunstumsatz» Melbournes hat. Die Wände sind wie Silvester fürs Auge: ein Feuerwerk an Farben und Motiven. Quietschgelbe Marsmännchen neben exotischen Blumen und Zigarre rauchenden Schafen zieren die Wände, selbst auf dem Asphalt haben die Graffitikünstler sich verewigt – zumindest bis das nächste Kunstwerk dem eigenen den Garaus macht. In der Mitte der engen Lane führen zwei

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Künstler gerade ein Theaterstück auf – in einem Pappkarton. «Menschlichen Zoo» nennen Jodee Mundy und Sam Davidson ihre «Pigeonhole»-Aufführungen, bei denen sie sich wie Schlangenfrauen in einem Puppenhaus winden. Arme werden durch Mini-Fenster gestreckt, Beine durch Türen klein wie Kochtöpfe gezwängt. Ein Telefon klingelt und Jodee plappert in einer Fantasiesprache drauflos. Mit ihrer urbanen Kunst wollen sie ausloten, wie die Betrachter reagieren und im besten Fall interagieren. Finanziell unterstützt wird das Ensemble von der Stadt Melbourne. «Strassenkunst ist zum Wahrzeichen von Melbourne geworden», sagt Sean. «Die besten Künstler der Welt verdingen sich hier.» Aber Melbourne gilt nicht nur als Hochburg der Untergrundkunst, die 3,5-MillionenMetropole punktet auch mit wichtigen Museen wie dem Ian Potter Center, der National Victoria Museum, zwei grossen Musical-Häusern und mehr als 300 Galerien. Jüngst wurde Melbourne vom «The Economist» gar zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt. Und Lifestyle-Guru Tyler Brûlé hob die Stadt am Pazifischen Ozean auf Platz zwei seines jährlichen Rankings. Anders als der Erzrivale Sydney war

Melbourne keine Strafkolonie, stattdessen bestand die Bevölkerung aus Siedlern, die von der Schafzucht lebten. Bis der Goldrausch 1851 Melbourne zur zweitreichsten Stadt der Welt machte. Die Prachtstrassen, durch welche das historische «City Circle Tram» rattert, die Banken in der Collins Street und die Parkanlagen zeugen noch heute von der Blütezeit. Auch Melbournes Multikulturalität hat ihren Ursprung im Goldrausch. China Town und Little Italy? Sean winkt müde ab. Melbourne besitzt 18 Stadtteile, die von unterschiedlichen Nationalitäten geprägt sind. «Das ist vielleicht auch ein Grund, warum wir so viele ausgezeichnete Restaurants haben», mutmasst der Stadtführer. «Melbourne ist die kulinarische Hauptstadt Australiens.» Derzeit besonders angesagt ist das Restaurant Cutler & Co, welches sich im hippen Stadtteil Fitzroy im Norden Melbournes befindet. Und wer es sich leisten kann, besucht das Vue de Monde von Starkoch Shannon Bennett, welches im 55. Stock der Rialto Towers schwebt. Das höchste Gebäude Melbournes, bis 2006 der Eureka-Tower auf der anderen Uferseite des Yarra-Flusses fertiggestellt wurde. In die Schlagzeilen geriet das Restaurant vergangenes Jahr, als vier Geschäftsmänner erst


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Gute Laune an der Modesoirée! Akris, Grieder und Bolero luden zum Season's Opening ein. REDAKTION: SITHARA ATASOY

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FOTOS: DAVID BIEDERT

Im Mittelpunkt standen die eleganten Roben der Fürstin Charlène von Monaco, die von Akris- Designer Albert Kriemler entworfen worden sind. Highlight der Soirée war die Verlosung zweier Eintritte für die AkrisModenschau in Paris inklusive Anreise und Übernachtung im brandneuen Luxushotel Sofitel Arc de Triomphe. Mehr als 150 geladene Gäste trafen sich zum «Get-together» im Modehaus Grieder, Zürich.

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1. Gewinner Akris-Defilee in Paris: Maria und Franz K. Plutschow. 2. Drei der schönsten Ballkleider von Akris, entworfen für Fürstin Charlène von Monaco. 3. Das neue Sofitel Arc de Triomphe. 4. Regula Keller, Andrea Lehrer. 5. V.l.n.r.: Jeannette Zingg, Mooris.ch, Clifford Lilley, Patrizia Haller, Manor. 6. V.l.n.r.: Jean-Marc Brunschwig, Bongénie Grieder, Sithara Atasoy, Bolero, Christoph Poupon, Grieder. 7. Nicola Eberl, Akris. 8. Filippo Castagna 9. Margherita Masiello (rechts), L’Oréal Luxe. 10. Hanspeter, Ursula Knecht, Option. 11. DJane Annina Frey mit Model.

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«PÜNKTLICHE» STARS IN VENEDIG REDAKTION: MARIANNE ESCHBACH

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Die 70. Mostra und 180 Jahre Jaeger-LeCoultre – das Schweizer Uhrenhaus und Partner des Filmfestivals in Venedig feierte im La Fenice und mit einer Spezialedition der «Reverso». 1. Regisseur Ettore Scola wurde mit dem «Jaeger-Le Coultre Glory to the Flimmaker Award» ausgezeichnet. 2. Daniel Riedo, neuer CEO, Jaeger-LeCoultre. 3. Schauspielerin Carmen Chaplin. 4. Regisseur Paul Schrader 5. Galadiner mit musikalischer Begleitung in Venedigs Opernhaus La Fenice. 6. Hollywood-Paar Joshua Jackson und Diane Kruger. 7. Actrice Elisa Sednaoui. 8. Sound-Designer Matteo Ceccarini und Model Eva Riccobono. 10. Uhrmachermeister Christian Laurent.

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