Bolero_E-Paper_Oktober2014

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OKTOBER 2014 CHF 8.50 € 6.– www.boleromagazin.ch Bolero – DAS SCHWEIZER MAGAZIN FÜR MODE, SCHÖNHEIT UND KULTUR

Alles, was schön macht:

Neues aus der Schlafforschung Spa-Trends Gesunde Alleskönner: Körner für die Haut Pflege-Neuheiten Mode für Boheme-Nomadinnen Schaudepot-Premiere

5 Schweizer Designer und ihr Lieblingsobjekt Zu Besuch bei

Bally und Dsquared2

l a i z e p S y t u a e B

ms u f r a P e d o M n— a m o w t a C — Rock Glam


ANGESAGT

«Bally ist kein ‹look at me›-Brand» Seit einem guten halben Jahr ist Pablo Coppola Kreativchef von Bally. Zeit, den talentierten Argentinier kennen zu lernen. TEXT: SITHARA ATASOY PORTRÄTFOTO: ALLAN DEAS

Mit Pablo Coppola beginnt im Schweizer Modehaus eine vielversprechende Ära. Step by Step will er die Ikonen der mehr als 160 Jahre alten Geschichte des Hauses neu aufleben lassen. «Bally ist wie eine schlafende Schöne, höchste Zeit, dass sie aufwacht», sagt Coppola. Der Designer will zurück zu den Basics und ihnen eine moderne Nonchalance geben. Schuhe, Taschen und Bekleidung sollen spezieller werden, aber dennoch alltagstauglich sein. Denn: «Hand aufs Herz: Wie viele RedcarpetAuftritte haben Sie? Ich hatte dieses Jahr noch keinen und hoffe auch, dass dem so bleibt.» Wir treffen Pablo Coppola im neuen Mailänder Showroom. Er verkörpert auf den ersten Blick all das, was Bally als modernen Brand ausmacht. Der 36-Jährige trägt dunkle Jeans zu einem grauen >

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ANGESAGT Designer Pablo Coppola. Prêt-àPorter-Look. ToteTasche in Schlamm. Bally-Ikonen.

Kurzarm-T-Shirt, um die Schultern ist ein grauer Pulli gelegt. Dazu trägt er Sneakers – seine absoluten Lieblingsschuhe. Die Augen leuchten, wenn er spricht. Und er weiss viel zu erzählen, obschon er erst vor 14 Jahren seine ersten Schritte in der Modebranche machte. Bolero: Pablo Coppola, was stört Sie am Modebusiness? Pablo Coppola: Ich habe Mühe mit dem saisonalen Rhythmus. Das ist realitätsfern. Die Sommerware trifft im Winter ein. Diejenige vom Winter im Sommer. Und dann auch diese Berge von Kleidern, die weggeworfen werden. Das fühlt sich etwas zu viel an. Was würden Sie ändern? Vielleicht war Bally manchmal etwas zu trendy. In Zukunft konzentrieren wir uns wieder auf Schlüsselprodukte, die Bally in der Vergangenheit gemacht hat und künftig machen wird, und stellen sie in den Vordergrund. So etwa unsere rahmengenähten «Swiss made»-Schuhe oder die Mokassins. Es scheint, als seien sie ein wenig vergessen worden. Zudem wollen wir uns nicht von Saison zu Saison komplett verändern. Wir benötigen Neues und Bewegung in der Kollektion, aber gleichzeitig soll es einen roten Faden geben, der von einer Saison in die andere führt, eine anknüpfende Geschichte. Oder anders gesagt: eine kontinuierliche Evolution. Was lief falsch in den vergangenen Jahren? Ich weiss es nicht wirklich, weil ich nicht bei Bally gearbeitet habe. Mein Eindruck war, dass eine starke Führung gefehlt und es zu viele Veränderungen gegeben hat. Wir sind heute glücklich zu sagen, dass wir in der Person von Frédéric de Narp einen Chef haben, der in kurzer Zeit vieles verändert hat und

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zwar sowohl in der Art, wie wir als Unternehmen funktionieren als auch in der Produktion. Bally hat wieder eine solide Struktur. Was ist heute in der Mode das grösste Bedürfnis? Es fehlt an guter funktionaler und dennoch moderner und eleganter Kleidung. Die meisten Brands, die ich aufregend finde, sind sehr «glittery». Business-Outfits hingegen, die feminin und mit Nonchalance daherkommen, fristen ein jungfräuliches Dasein. Da wollen wir unseren Beitrag leisten. Bally ist kein «look at me»-Brand. Unsere Wurzeln liegen in der Schweiz. Ich bin zwar kein Experte in Sachen Swissness, glaube aber, es hat viel mit Ruhe, Respekt und Qualität zu tun. Und für den Abend? Wir haben ein paar Abendlooks in der Kollektion. Es sind Kleider aus wunderschöner Seide. Nichts Verrücktes und ohne aufwändige Stickereien. Kombiniert mit einem tollen Schuh und einer Clutch kann dieser Look umwerfend aussehen. Persönlich mag ich nichts, was zu überlegt und perfekt ist. Mir liegt die Nonchalance. Die Frau soll nicht lange überlegen müssen, wenn sie sich anzieht. Es soll ganz easy sein. Bally betont immer wieder den authentischen Luxus. Was verstehen Sie darunter? Handwerk ist zum Beispiel ein Luxus, der die Jahre überdauert. Oder die Tatsache, dass man ein Paar Schuhe, die man besonders geliebt hat, bei Bally wiederfindet. Sie haben eine Ausbildung in Paris am Institut Français de la Mode absolviert, waren bei Alexander McQueen, Dior, Céline, Burberry und Tom Ford. Was haben Sie von Tom Ford mitgenommen? Alles, was ich gebracht habe! Nein, Spass beiseite. Ich habe bei Mr. Ford viel gelernt,

denn alles, was er tut, macht er mit einer unglaublichen Perfektion und Detailorientiertheit. Er kümmert sich schlicht um alles. Um jede Einzelheit, die seinen Namen trägt. Im Gegensatz zu ihm bin ich zwar kein Kontrollfreak, aber ich nehme mir die Zeit, die es braucht, um meinen Job so gut wie nur irgend möglich zu machen. Argentinien ist eine Fussballnation... Was für eine Beziehung haben Sie zum Fussball? Jeder fragt mich das ... Ich habe null Beziehung zu Fussball. Argentinier spielen auch Polo und davon verstehe ich genauso wenig. Und sie essen viel Fleisch... und das mache ich auch. Ich liebe Fleisch. Gibt es etwas neben Ihrer Arbeit, das Sie besonders gerne machen? Ich habe angefangen, im Garten zu arbeiten. Es ist das erste Mal im Leben, dass ich einen hübschen kleinen Garten habe. Wir haben Pläne gemacht, und ich hoffe, es gedeiht. Es ist ein bisschen schwierig... Ziehen Sie eigenes Gemüse? Bis jetzt ist noch nichts gewachsen. Wenn es denn tatsächlich gelingt, werde ich «over the moon» sein. Ihr Lebensmotto? Just do it. Es ist zwar geklaut, aber mir gefällt es. Wofür geben Sie am meisten Geld aus? Für Schmuck (Coppola trägt ein Bracelet aus der Kollektion «Le Clou» von Cartier, Anmerkung der Redaktion). Ich liebe auch schöne Uhren, Designermöbel und Taschen. Was die Designermöbel betrifft, ist diese Passion recht neu für mich. In den vergangenen fünf Jahren lebte ich in einer Wohnung, reiste viel und liess mich nie richtig nieder. Heute lebe ich in London und und bin daran, mein Heim aufzubauen. Es ist wichtig, einen Ort zu haben, der ein Zuhause ist. < Wo zu kaufen Seite 152. www.bally.ch


STIL House of Cards

Wir wollen nicht mehr von der It-Bag sprechen. Das ist ja sowas von vorvorgestern. Aber als Lieblingsstück könnte dieses neue Taschenmodell von Prada durchaus in unseren Schrank passen. Erstens passt sich der antike Goldton beinahe jeder Tageszeit an. Und zweitens ist diese Mischung aus Schulthek und Schultertasche trendverdächtig. www.prada.com FOTO: ARMIN ZOGBAUM/RENEHAUSER.COM RETUSCHE: OLIVIER YOSHITOMI

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STIL porträt

LINKS: Bordeauxrote Lederhose, Assandri. Kniehohe Lederstiefel mit Plexiglasabsatz, Maison Martin Margiela x H&M. Fliederfarbenes Wollshirt, Fidelio. OBEN: Antiker Globus mit Metallmeridian. UNTEN: Eine Vorliebe für Material- und Farbkombinationen. Vintage-Stücke sowie Taschen von Labels wie Kate Moss for Longchamp, Rocio oder Orla Kylie von Fashionvestis.

Lockenkopf mit Stil Sabrina Pesenti ist Eventmanagerin, Stil-Journalistin und Stylistin. Seit sechs Monaten hat sie ein neues Baby, den «Blonderblog». Dort schreibt sie zusammen mit Tamara Cantieni, Moderatorin und Geschäftspartnerin, über Mode, Beauty und persönliche Dinge, die ihnen am Herzen liegen. REDAKTION: ANDREA LUCIA BRUN FOTOS: DAN CERMAK

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Mein Stil Ich liebe Stilbrüche. Zudem liebe ich zeitloses Design, aber auch modisch Ausgefallenes. Manchmal ganz easy in Jeans, die perfekt sitzen, und Shirt. Dazu aber mindestens Metallicstiefel. Lieblingskleidungsstück Der Jumpsuit. Ich meine nicht die Ibiza-Hippie-Hängerli, sondern die Edelversionen aus schwarzer Seide oder bunten Edelstoffen. Zudem die Culottes. Die gehören nächste Saison in jeden Schrank und sehen an jeder Frau gut aus. Schmuck Da bin ich eher zurückhaltend. Mein voluminöser Kopfschmuck in Kombination mit Markantem ist des Guten zu viel. Doch ich liebe Schmuck. Sport Radfahren und regelmässig Ausdauer im Gym. Tägliche Bauchübungen, um in Form zu bleiben. Ausgehen Oftmals verbunden mit Openings oder NetworkingEvents. Falls wir einfach mal absacken wollen, dann nach wie vor im Club Zukunft oder auf «illegalen» Partys. Reisen Wir lieben es, in unseren Mini zu steigen und einfach drauflos zu fahren. Italien ist schnell erreicht. Beruflich bin ich alle zwei Jahre in Singapur. Dies kombinieren wir oftmals >


STIL schmuck

MADAME «LA PANTHÈRE» Visionärin, Stilprägerin, femme élégante: Jeanne Toussaint definierte über fünf Dekaden den Cartier-Stil. Ihr berühmtestes Sujet, der Panther, ist aktuell wie vor 100 Jahren. Ein neuer Wurf der edlen Raubkatzen pirscht sich gerade an.

Pierre Rainero, Cartiers Direktor über Image, Stil und das kulturelle Erbe und somit der ausgewiesene Experte für die Geschichte des berühmten Juwelierhauses, erinnert sich an die so legendäre wie diskrete Grande Dame der Schmuckkreation. Bolero: Um eine Legende ranken sich immer ein paar Geheimnisse. Über Jeanne Toussaint findet man ausserhalb von Cartier wenig Information. Wer war sie? Pierre Rainero: Wir wissen nicht viel über ihre Herkunft. Jeanne Toussaint wurde 1887 geboren, wie es heisst im belgischen Charleroi in sehr einfachen Verhältnissen. In jungen Jahren kam sie nach Paris und begegnete dort irgendwann vor dem ersten Weltkrieg Louis Cartier. Gegen Ende des Krieges trat sie bei Cartier ein und zwar in die Abteilung für Accessoires und Lederwaren, mit deren Leitung sie von Louis Cartier beauftragt wurde. Sie entwarf Taschen, die sich sehr erfolgreich verkauften. Sie war weder Künstlerin, noch Designerin. Louis Cartier wollte ihr kühles, unbestechliches Auge für Stil und Geschmack. Sie sollte Entwürfe beurteilen und die Kreation inspirieren, aber nicht selbst zeichnen.

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Sie sprechen von Leder und Accessoires. Wie war das Unternehmen damals aufgegleist? Cartier war 1847 als Juwelier, Goldschmied, Geschäft für Modeschmuck und Händler von Neuheiten gegründet worden. Letzteres bedeutete Accessoires. Modeschmuck war damals Schmuck ohne Edelsteine, aber trotzdem aus Gold. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts führten drei Cartier-Brüder das Unternehmen. Pierre war verantwortlich für die Filiale in New York, Jacques leitete London. Von ihm stammt der bemerkenswerte Satz «Uns bei Cartier interessiert alles, vom wunderbarsten Diadem für ganz grosse Anlässe bis zum kleinsten Kamm, der in der Handtasche, die ebenfalls von uns stammt, Platz findet.» Louis Cartier schliesslich war am Stammsitz in Paris und steht am Anfang des modernen Hauses Cartier. Er hatte den Ehrgeiz und die Vision, für das Haus einen eigenen Stil zu entwickeln. Damit sich die Philosophie und die gemeinsame Sprache über alle Bereiche erstrecken konnten, brauchte es jemanden mit Draufsicht. Dies sollte die Aufgabe von Jeanne Toussaint sein. Es ist sehr interessant, dass er dafür jemanden von ausserhalb der Familie ausgesucht hat.

Fotos: Henry Clarke/Condé Nast Archive/Corbis/Dukas (1)

INTERVIEW: MARIANNE ESCHBACH


Cartier-Panther von 1914 bis 2014. Abstraktes «Roboter»-Design für den neuen Ring aus Gelbgold, Onyx, Tsavorit. «La Panthère» Jeanne Toussaint 1967 in ihrem Büro. Cartier-Einladungskarte mit Panther-Illustration und -Armbanduhr mit Fleckenmuster von 1914. Der erste figurative Panther für die Windsor-Brosche von 1948. Cartiers Pierre Rainero.

starkes Team. Ab 1920 hatte Jeanne die Verantwortung für die Accessoires und die Lederartikel inne. Sehr schnell wurde sie darauf Mitglied des Komitees für Kreation, an dessen Spitze Louis stand. An seiner Seite arbeitete sie an allen Kreationen mit. Das bedeutete, dass sie 13 Jahre lang auch enormes Fachwissen in der Haute Joaillerie sammeln konnte und Schmuck wirklich verstand, bevor Louis ihr die Leitung dieser Königsdisziplin übertrug. Was war sein Grund für die Übergabe der kreativen Leitung? Louis Cartier verliess 1933 das Haus, um mehr Zeit mit seiner neuen Frau, einer ungarischen Adeligen zu verbringen. Sie hatten neben Paris Wohnsitze in Budapest und in San Sebastián. In der Folge entwickelte sich eine Korrespondenz zwischen Jeanne und Louis. Daraus sieht man, dass Louis Cartier immer sehr präsent war zwischen 1933 und 1940, als er in die USA imigrierte. Während sieben Jahren schrieben sie sich und tauschten sich aus. Er hat Jeanne solange er lebte nie alleine gelassen. Weshalb ging er in die USA? Der zweite Weltkrieg war ausgebrochen. Louis wollte nicht in einem besetzten Frankreich leben und ging nach New York, wo er 1942 starb. Von da an leitete Jeanne die Geschicke Cartiers alleine.

Weshalb setzte Louis Cartier auf Jeanne Toussaint? Weil er sie für fähig hielt. Das waren seine eigenen Worte. Er sagte: «Ich habe Jeanne Toussaint zu meiner Nachfolgerin bestimmt, weil sie fähig ist.» Damit stellte er die Fähigkeit über alles. Er liess die familiären Verbindungen ausser Acht. Er wollte die besten Talente haben, um die Zukunft des Hauses zu sichern. Er war so überzeugt von der Wichtigkeit fähiger Menschen, dass er Regeln brach. Nicht nur in Bezug auf die Familie, sondern auch in Bezug auf das Geschlecht. Eine Frau an die Spitze der Juwelenkreation zu setzten, wie er es dann 1933 tat, war aussergewöhnlich.

Das brauchte Courage im Krieg. Sie war eine mutige Frau? Ja. Jeanne Toussaint stand unter Beobachtung und wurde von der Gestapo mehrmals verhaftet. Sie war eine Rebellin und hatte zum Protest eine Brosche in Form eines kleinen Vogels im Käfig in den Farben der Trikolore ins Schaufenster gestellt. Ein Symbol für das besetzte Frankreich. Bei den Verhören behauptete sie, es handle sich dabei um ein altes Schmuckdesign aus den Lagerbeständen. Frei kam sie dank der Beziehungen ihrer Freundin Coco Chanel zu den Besatzern. Die Gestapo schikanierte sie aber weiter und verlangte, dass sie ihre arische Herkunft beweise. Davon zeugen viele Briefe. Nach Kriegsende setzte sie dieselbe Vogelbrosche wieder ins Schaufenster. Dieses Mal waren die Käfigtüren aber weit geöffnet. 1955 wurde Jeanne Toussaint für ihre Unterstützung des Widerstandes mit dem Orden der Ehrenlegion ausgezeichnet.

Man sagt, hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau. Hatten Jeanne Toussaint und Louis Cartier eine Liaison? Sie waren in der Tat während einer gewissen Zeit vor dem ersten Weltkrieg ein Paar. Louis Cartier war seit 1904 geschieden von seiner ersten Frau. Jeanne Toussaint war nicht verheiratet. Sie heiratete erst mit über 60 in den fünfziger Jahren. Einen Baron, der nach wenigen Jahren verstarb. Die private Beziehung von Louis und Jeanne hat die Zeit nicht überdauert. Beruflich blieben sie ein

Was sind die Verdienste von Jeanne Toussaint im Schmuck? Sie hat viel zu neuen Formen beigetragen. Sie war die Initiantin neuer Volumen und die Erfinderin des beweglichen, fliessenden Schmuckes. Sie arbeitete mit bedeutend grösseren Volumen, als Louis Cartier es tat. Sie war über ein halbes Jahrhundert für die Kreation verantwortlich und liess sich erst 1970 mit über 80 Jahren pensionieren. Sie war kolossal wichtig für Cartier. Das sahen auch die beiden anderen Cartier-Brüder. Pierre, der als einziger den >

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KULTUR

Nicht nur Nanas Niki de Saint Phalle im Pariser Grand Palais. TEXT: LEONI JESSICA HOF

Am Zürcher Hauptbahnhof läuft man unter ihrem Schutzengel hindurch – wer bei Niki de Saint Phalle (1930–2002) aber nur an die Nanas denkt, übersieht einen Grossteil ihres Werks. Im Pariser Grand Palais ist nun eine Retrospektive zu sehen. Die «Terroristin der Kunst» wird in den Sechzigern mit ihren Schiessbildern bekannt: «Ich schoss gegen Daddy, gegen alle Männer.» Danach kommen die Nanas, üppige Ausgeburten der guten Laune. 1971 heiratet sie Jean Tinguely. Da hatte de Saint Phalle schon an Ausstellungen im MoMA teilgenommen und tonnenschwere Frauenfiguren installiert, die man durch ihre Vagina betrat, in sie eindrang. De Saint Phalles Kunst kommentiert wütend das Idealbild der Frau. Ihre «Braut» sieht so gar nicht nach dem schönsten Tag im Leben aus. Die Künstlerin schrieb fürs Theater, entwarf Kostüme und Schmuck, filmte. Sie starb nach langer Krankheit und dem jahrelangen Einatmen giftiger Polyesterdämpfe beim Erschaffen ihrer Nanas. Harmlose Kunst? Wohl kaum.

OBEN: «La mariée à cheval», 1963. Courtesy Niki Charitable Art Foundation 2014. KLEINES BILD: «Leaping Nana», 1970. Courtesy Niki Charitable Art Foundation 2014. PORTRÄT: «Niki de Saint Phalle en train de viser», 1972. Art: Peter Whitehead. ProLitteris, Zürich (3).

«Niki de Saint Phalle», Grand Palais Paris, 17. September bis 2. Februar 2015.

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KULTUR agenda

Ausstellung

Ausstellung

Bilder vom Thunersee: Schnyder grüsst Hodler. TEXT: JÖRG SCHWERZMANN

Der Künstler Peter Fischli hat für das Zürcher Kunsthaus eine Ausstellung konzipiert, in der zwei auf den ersten Blick überhaupt nicht zusammenpassende Künstler präsentiert werden. Da ist Ferdinand Hodler (1853–1918), der bekannteste Schweizer Maler des 19. Jahrhunderts, schon zu Lebzeiten ein wahrer Malerfürst und heute in der europäischen Kunstgeschichte als einer der wichtigsten Künstler des Jugendstils etabliert. Und Jean-Frédéric Schnyder – wer ist denn das? Schnyder, Jahrgang 1945, ist ein Artists Artist: Von Kollegen und Kuratoren hoch geschätzt, einem breiten Publikum unbekannt, hat er über die Jahrzehnte ein umfangreiches Werk geschaffen. Was hat nun der Autodidakt Schnyder, dessen Bilder und Objekte stets etwas unbeholfen daherkommen, mit dem Grossmeister Hodler zu tun? Da ist die Form ihrer Malerei: Beide malten Landschaften, draussen im Freien. Es ist Pleinairmalerei, deren Tradition Hodler geprägt hat, an der sich Schnyder abarbeitet. Dabei ist er ein zeitgenössischer Künstler, der auch in seinen vordergründig harmlosen Arbeiten sehr konzeptionell operiert. Was der Kurator Fischli bei aller «Ungleichheit» der Künstler besonders betont: Er sieht als wirkliches Thema bei beiden die Malerei selbst. Grundlage der Ausstellung sind Arbeiten Hodlers aus dem Fundus des Kunsthauses. Schnyders Bilderzyklen «Berner Veduten» und «Am Thunersee» werden in separaten Räumen präsentiert. | JSC

Florine Stettheimers (1871–1944) letzter Wunsch sollte nicht erfüllt werden – zum Glück für die Nachwelt. Die Künstlerin hatte sich erbeten, dass ihre Werke nach ihrem Tod vernichtet werden sollten. Ihre Schwestern aber ignorierten Florines Bitte und so muss man nun nur noch nach München reisen, um die erste grosse Ausstellung ausserhalb den USA zu sehen. Und eine Künstlerin zu entdecken, die eine der schillerndsten Figuren der New Yorker Kunstszene war. Auf ihren Bildern sieht man Beautycontests und Wolkenkratzer, die Wall Street, das Partyleben der Reichen und Schönen. Zu ihren Fans zählte etwa Andy Warhol. Was wenig verwundert, nahm Stettheimer doch vorweg, was später auch die Pop-Artisten interessierte. Trotzdem geriet die Künstlerin in Vergessenheit – höchste Zeit, sich in ihren Bildern zu verlieren. | LJH «Florine Stettheimer», Lenbachhaus München, 27. 9. bis 2. 2. 2015.

«Ferdinand Hodler/Jean-Frédéric Schnyder», Kunsthaus Zürich. 12. September bis 26. April 2015.

Ausstellung

FELDARBEIT ANTONY GORMLEY BESETZT MIT SEINEN INSTALLATIONEN VORZUGSWEISE GROSSE RÄUME. Sir Antony Gormley (*1950, London) wurde weltweit bekannt mit seinen Skulpturen und Installationen, in denen er stets den menschlichen Körper in Beziehung zum umgebenden Raum setzt. Seine Arbeiten sollen die Menschen dazu bringen, ihre Haltung zu überdenken. Die Installation im grossen Saal des Zentrum Paul Klee ist eine Fortsetzung seiner «Field»-Arbeiten, in denen er Abertausende von kleinen Tonfiguren Museumsräume besetzen liess. Oder im Bregenzer Wald lebensgrosse Figuren, alle auf gleicher Meereshöhe platziert, über eine Fläche von mehr als 150 Quadratkilometern verteilte. «Expansion Field» besteht aus 60 Behältern, verfertigt aus Corten-Stahl und hermetisch verschweisst. Es sind «Gehäuse der Finsternis oder der Nacht», vom Körper des Künstlers abgeleitet, dann aber in eine architektonische Geometrie überführt. In einem Kabinett werden drei frühere Plastiken mit der Rauminstallation konfrontiert. | JSC «Antony Gormley. Expansion Field», Zentrum Paul Klee Bern. 5. September bis 11. Januar 2015.

MEHR KULTURTIPPS AUF WWW.BOLEROMAGAZIN.CH Modefotografie von Horst P. Horst in London, Daniel Richter in Innsbruck und Antonionis Filmklassiker «Blow up» im Fotomuseum Winterthur. Alles, was Sie in Sachen Kultur nicht verpassen sollten, finden Sie unter www.boleromagazin.ch 62

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Fotos: Jean-Frédéric Schnyder, «Am Thunersee», 1995 (1), Florine Stettheimer, «Portrait Of My Sister, Carrie W. Stettheimer», 1923 (1), Antony Gormley, «Determine», 2013 (1)

MALERIN, DESIGNERIN UND POETIN FLORINE STETTHEIMER IM MÜNCHNER LENBACHHAUS.


KULTUR design

Nicolas Le Moigne über den Sessel von Willy Guhl In den fünfziger Jahren von Willy Guhl entworfen, ist der «Loop»Stuhl heute eine der Ikonen, die vom Unternehmen Swisspearl (ehem. Eternit) hergestellt werden. Ich entdeckte den Stuhl im Jahr 2007, als ich noch Student war und über Möbel recherchierte, die für den Markt editiert wurden. Schon auf den ersten Blick flösst er einem Respekt ein und hat alle Qualitäten eines erfolgreichen und zeitlosen Objekts. Er passt im Aussen- und im Innenbereich. Neu oder über die Jahre überwachsen mit Moos. Ich hatte die Möglichkeit, mehrmals die Produktion im Werk in Payerne im Waadtland zu besuchen. In den vergangenen fünfzig Jahren hat sich nicht viel geändert: Zwei Handwerker verbringen fast eine Stunde damit, das Material zurechtzuschneiden,

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es in Position zu bringen, zu hämmern, schleifen und zu glätten. Der Stuhl entsteht in Handarbeit, was heute eher selten ist, sodass jedes Stück einzigartig ist. Seitdem habe ich ihn immer wieder in der ganzen Schweiz gesehen. In Ausstellungen, bei Freunden, die passionierte Designsammler sind, in Vintage-Möbelhäusern, aber auch in vielen Gärten, bei Menschen, die mit der Welt des Designs nicht viel am Hut haben. Der Stuhl ist für mich ein Stück, das von Generation zu Generation weitergegeben wird, diskret und nicht protzig, das sich mit dem Lauf der Zeit verändert. Das ist eine Idee, die ich mag. Seine Form ist einfach, einzigartig und lebendig. Ein grossartiges Beispiel von Schweizer Design. Nicolas Le Moigne, Cheseaux/Lausanne, www.nicolaslemoigne.ch


Frédéric Dedelley über die Schreibmaschine von Giuseppe Prezioso Mit einer Schreibmaschine des Modells «Hermes Baby» habe ich als Junge oft und ernsthaft gespielt. Diese gehörte meinem Grossvater Georges Dedelley, der im Auftrag der Mineralquellen Eglisau als Handelsreisender unterwegs war. Mein Grossvater wusste, wie man «bella figura» macht, trug bei der Arbeit immer perfekt sitzende Anzüge, weisse Hemden und elegante Seidenkrawatten von Grieder. Er hatte einen ausgeprägten Sinn für Qualität und Innovation. Kein Wunder, dass er sich damals für eine «Hermes Baby» entschied. Sie ist als flache, leichte und strapazierfähige Reiseschreibmaschine ausgelegt. Bei ihrer Markteinführung 1935 war sie mit einem Preis von 160 Schweizer Franken billiger als alle vergleichbaren Konkurrenzprodukte. Das ideale Gerät für einen Handelsreisenden, der mit einem Citroën Traction Avant das Tessin und die Romandie bereiste, um angesagte Getränke wie ViviKola und Orangina zu verkaufen. Jahre lang hatte die «Hermes Baby» im Estrich meiner Eltern auf einen neuen Nutzer gewartet. Als ich sie dort entdeckte, funktionierte sie noch perfekt. Ich kann mich gut erinnern,

wie es sich anfühlte, mit der «Hermes Baby» zu schreiben. Die leicht konkaven Bakelittasten waren glatt und kühl unter den Fingern. Mich faszinierte die filigrane Mechanik der Schreibmaschine. An erster Stelle das Ballett der im Halbkreis angeordneten Typenhebel, welche schnell und mit einem klangvollen Knall auf das Papier schlugen. Aber auch der mit einem eleganten Hebel bediente Wagenrücklauf, den man mit gut dosierter Kraft nach jeder voll geschriebenen Zeile und nach dem «Kling», von links nach rechts schieben musste. Nicht wissend, dass Ernest Hemingway und Max Frisch einige ihrer besten Bücher auf einer «Hermes Baby» geschrieben hatten, entschied ich damals, einen Kriminalroman zu schreiben. Die Geschichte sollte sich in einem -englischen Schloss abspielen und ziemlich gespenstisch sein. Nach einigen Seiten trocknete der Ideenfluss leider aus. Die «Hermes Baby» meiner Kindheit lagert immer noch im Estrich meines Elternhauses. Bei einem nächsten Besuch werde ich sie wieder aus ihrem Dornröschenschlaf wecken... Frédéric Dedelley, Zürich, www.fredericdedelley.ch

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MODE OKTOBER 2014

Roter Nerzmantel mit gelber Bordüre. Slingbacks. Alles Moschino.

Die Mode dieses Herbstes ist gemacht für Abenteurerinnen. Für Frauen, die sich nicht scheuen, der Mittelpunkt einer Gesellschaft zu sein. Mit Motiven aus der Natur und dem Tierreich holen die Designer ungezähmte und wilde Romantik in unseren Kleiderschrank. Und dann ist da die junge, erfrischend witzige Kollektion von Moschino. Das italienische Label findet mit neuem Kreativdirektor zurück zu seiner humorvollen Betrachtungsweise von Mode und tischt Frühstücksflocken in Form von Abendroben auf oder verfremdet sein Logo derart, dass man unweigerlich an eine FastFood-Kette denken muss. Bon Appétit! Die kanadischen Sunnyboys Dean und Dan Caten von Dsquared2 haben sich in Mailand ein schickes Headquarter samt Restaurant und Swimmingpool auf dem Dach eingerichtet. Bolero war zum exklusiven Dinner geladen. | oktober 14 | bolero |

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Perfektes Power-Duo

Mit sexy Mode sind Dean und Dan Caten vom Label Dsquared2 zu den Lieblingen der Stars geworden. Sie kleiden Kanye West, aber auch Britney Spears und Madonna ein. Bolero traf die beiden in ihrem Mailänder Restaurant. INTERVIEW: SITHARA ATASOY FOTOS: DSQUARED 2

Dean und Dan Caten eröffneten die Mailänder Fashionweek mit einem gemütlichen Dinner mit rund 20 geladenen Gästen, alles Journalisten aus Europa. In ihrem Restaurant zuoberst in ihrem Mailänder Headquarter wurde fantastisches italienisches Essen serviert. Die Sicht auf Mailand war grandios. Die Hausherren flatterten Schmetterlingen gleich von Gast zu Gast, erkundigten sich nach dessen Wohlbefinden, lachten, tranken Champagner und vergnügten sich. Am nächsten Tag trafen wir uns erneut in ihrem Restaurant, dieses Mal zum Lunch. Dean und Dan Caten kamen gerade von den Anproben ihrer Herbst- und Wintermode. Während die beiden Salat und Zucchini, Pasta und Vino bestellen, erfahren wir, wie aus den kanadischen Zwillingen, die jüngsten von neun Geschwistern, ein so erfolgreiches Duo der italienischen Mode werden konnte. Dean und Dan wuchsen in Toronto auf. Die Mutter war Engländerin, der Vater Italiener. Um sich in Kanada besser zu integrieren, kürzte er seinen Namen von Catenacci in Caten. Die Familie war nicht vermögend, besass aber ein eigenes Haus. Das Leben der Caten-Zwillinge fühlte sich von Anfang an wie «wir gegen den Rest der Welt». Sie hielten zusammen in guten und schwierigen Zeiten, waren wie zwei Menschen mit einer Seele und sind es bis heute geblieben. Mit 19 Jahren verliessen sie Toronto, um in New York die Parsons School for Design zu besuchen. Doch schon nach einem Semester verliessen sie die Schule wieder, kehrten nach Toronto zurück. Hier fanden

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sie eine Anstellung als Junior Designer beim kanadischen Label Ports International und hatten Glück, auf einen exzellenten Lehrmeister zu treffen, der ihnen das Mode-ABC beibrachte. Sie arbeiteten sich hoch bis zur Position der stellvertretenden Designchefs, bevor sie dann 1991 nach Mailand auswanderten, in die Heimat ihres Vaters. Mit Unterstützung von Renzo Rosso, dem Gründer und Besitzer von Diesel, lancierten sie ein Jahr später ihr eigenes Label Dsquared2. Zu Beginn war es eine Premium-Denim-Marke, bis sie genügend Geld verdient hatten, um endlich das zu machen, wovon sie schon lange geträumt hatten. 1994 zeigten Dean und Dan Caten ihre erste Männer- und 2003 die erste Damenkollektion. Ihre Handschrift sind coole, sexy Outfits, teils in Couturemanier gefertigt. Was immer sie in die Hände nahmen, wurde zum Erfolg. Im vergangenen Jahr verzeichneten sie laut Wikipedia einen Umsatz von 195 Millionen Euro. Bolero: Bitte definieren Sie in drei Worten Ihre Kollektion. Dean und Dan Caten: Egal ob für Damen oder Herren, beide Kollektionen sind sexy, selbstbewusst und individuell. Verraten Sie uns Ihre Inspiration für den Herbst und Winter? Well, unser Hashtag ist immer der gleiche: Wer Dsquared2 trägt, soll schön aussehen. Die aktuelle Kollektion setzt sich aus einer Portion Fantasie und dem Aufeinanderprallen von Gegensätzen zusammen. Sie ist edgy und crazy und vermittelt einen Touch Sechzigerjahre-Feeling. >


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ART DE VIVRE Herbstsinfonie In der Emilia-Romagna hat der Gründer des Taschenlabels Mandarina Duck ein historisches Anwesen zu neuem Leben erweckt. Ein Besuch lohnt vor allem im Herbst, wenn in der Umgebung viele Kulinarikfeste stattfinden. TEXT & FOTOS: TINA BREMER

Jedes Jahr am 10. August gehen in der Petrella Guidi die Lichter aus. Dann werden die Gebäude eins mit der Nacht, die so warm und dunkel ist wie schwarzer Samt. Elektrizität braucht in dieser Nacht niemand – schliesslich durchbrechen im Minutentakt helle Lichter den Himmel, lassen ihn funkeln wie eine Lichterkette. «Der Sternschnuppen-Regen Perseiden ist hier besonders gut zu sehen, da die Landschaft so unverbaut ist», erklärt Paolo Trento. Die Petrella Guidi liegt in der EmiliaRomagna, an der Grenze zur Toskana und den Marken, im gleichnamigen mittelalter-

lichen Dorf unweit von Sant’Agata Feltria. Hier, zu Füssen der Burg, kauften Paolo Trento, der Gründer des Taschenlabels Mandarina Duck, und seine Frau Galya vor zwanzig Jahren ein altes Steinhaus. Sanierten es mit viel Liebe und verbrachten die Sommer mit ihren Freunden im Schatten des Burgturms, tranken Wein in der Laube oder rösteten Kastanien im offenen Kamin. Im Laufe der Jahre erwarben die Trentos noch drei Nebengebäude hinzu – und seit kurzem dürfen auch Fremde in diesem Kleinod übernachten, zu dem weder der Name Hotel noch Bed & Breakfast so recht passen mag. > | oktober 14 | bolero |

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BILDER OBEN: Paolo und Galya Trento haben die Petrella Guidi Lodge & Historical Hideaway mit viel Liebe zum Detail eingerichtet. BILDER UNTEN: Blick von der Burg in Sant'Agata Feltria in die Landschaft der Emilia-Romagna, Teatro Angelo Mariani, ein Grubenk채se.

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