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Chronik: Die VLB Berlin im Wandel der Zeit, Teil 3: Kriegsende und Neuanfang

 CHRONIK

Die VLB Berlin im Wandel der Zeit, Teil 3: Kriegsende und Neuanfang nach 1945

Dr. Peter Lietz

1943 bombardierten die alliierten Luftkampfverbände das Gelände an der Seestraße 13 im Berliner Stadtteil Wedding. Noch in den Trümmern des Krieges nahm die VLB Berlin 1945 wieder ihre Arbeit auf. Unter neuer Führung von Prof. Bruno Drews hieß es, die Vergangenheit aufzuarbeiten und sich den Herausforderungen der deutsch-deutschen Zukunft zu stellen.

Vom 23. August bis 4. September 1943 kam es zu besonders schweren Luftangriffen auf Berlin. Unter anderem bombardierten die Alliierten das Areal um den Potsdamer Bahnhof,dasPostamtinDahlem,das Reichsgesundheitsamt in Staaken, das Strafgefängnis in Plötzensee –und die Versuchs- und Lehranstalt fürBrauerei.DieserLuftangriffinder Nacht vom 3. auf den 4. September 1943 auf die VLB zerstörte ca. 85 % der Gebäude einschließlich ihrer Ausrüstungen. Für diesen gezielten Angriff gibt es aus heutiger Sicht keine Erklärung. Hatten die Alliierten etwa angenommen, dass sich die VLB unter der Leitung von Hermann Fink mit der für die Sprengstoffherstellung wichtigen Butanol-/Acetongärung beschäftigte? Diese Frage bleibt offen, denn es gibt keinerlei Hinweise, dass sich die VLB mit dieser Problematik jemals beschäftigte. 1942 hatte Fink im Auftrag der deutschen Militärführung lediglich Gärbetriebe im besetzten Frankreich besucht, um sich über deren Herstellung von Aceton, Butanol und Äthanol zu informieren. Eine geregelte Arbeit an der VLB war nach dem verheerenden Luftangriff auf den Standort Seestraße nicht mehr möglich. Deshalb beschloss man, um die Brauindustrie zumindest provisorisch weiterbetreuen zu können, einzelne Abteilungen umzusiedeln. Das Biologische Labor fand in der Berliner Kindl-Brauerei in Berlin-Weißensee eine neue Heimstatt. Das Analytische Labor nahm seine Tätigkeit in der SchultheissBrauerei in der Landsberger Allee und in der Engelhardt-Brauerei in Berlin-Stralau auf.

Nach Kriegsende

Als im April 1945 die Rote Armee einmarschierte und kurz vor Berlin stand, war sich Hermann Fink offenbar bewusst, was ihm als aktiven Nationalsozialisten in sowjetischer Kriegsgefangenschaft bevorstünde. Er verließ die Hauptstadt in Richtung Bayern. Unmittelbar nach der Kapitulation, noch im Mai 1945, übernahm der ehemalige stellvertretende Direktor Prof. Hans A. Bausch kommissarisch die Geschäfte der VLB, um gemeinsam mit den Kriegsrückkehrern und den in Berlin verbliebenen Mitarbeitern den Wiederaufbau ihrer zerstörteten Arbeitsstätte einzuleiten. Bausch wurde jedoch aufgrund seiner NSDAP-Mitgliedschaft nach nur wenigen Wochen seiner Funktion entbunden und zum wissenschaftlichen Hilfsarbeiter degradiert. Auf ihn folgte Prof. Bruno Drews, der das Institut für Gärungsgewerbe und Stärkefabrikation (IfGS) bis 1968 leiten und die biotechnologische Forschung vorantreiben sollte. Bald nach Kriegsende zeigte die Sowjetische Militäradministration Interesse an den wissenschaftlichen Arbeiten des IfGS. Dabei spielten Forschungsanfragen eine Rolle, die für die stark geschwächte heimische Nahrungsmittelindustrie der Sowjetunion von Belang waren. Dazu gehörten Themen, die sich u.a. mit der Gewinnung von Kohlensäure aus Gärungsprozessen zur Spiritusgewinnung unter Ausnutzung von Abfällen befassten, mit Bierpasteurisation oder mit der Herstellung obergäriger Biere. Man forschte zunächst zu stärkeabbauenden Enzymen der Schimmelpilze Aspergillus orycae und Aspergillus niger, die im Zusammenhang mit der Verzuckerung von Brennereimaischen im Zentrum der biotechnologischen Arbeiten standen. Wenig später wurden Untersuchungen zur Verhefung von Paraffin-Kohlenwasserstoffen der Basis von Candida tropicalis und Candida lipolytica aufgenommen.

Entnazifizierung

Hermann Fink blieb verschwunden. Er war nach Kriegsende mit den Resten seiner Berliner Abteilung für Gärungschemie in Kulmbach untergekommen, wo er von nun an für die Vereinigung der süddeutschen

Fotos: Archiv, VLB Berlin

Luftangriffe der alliierten Kampfverbände legten das Gelände des Instituts für Gärungsgewerbe und Stärkefabrikation (IfGS) an der Seestraße im Berliner Stadtteil Wedding in Schutt und Asche. Rechts das Sudhaus der Hochschul-Brauerei, links das Kellereigebäude

Hefefabriken tätig war. Diese Verlagerung des Fink’schen Instituts war offensichtlich, so Hans Günter Schultze-Berndt in der Festschrift zum 100-jährigen Bestehen der VLB, „ohne Zustimmung der Universität und Kenntnis seiner Berliner Kollegen erfolgt“. Fink blieb bis 1948 in Kulmbach – er war bemüht, in der brauwissenschaftlichen Forschung wieder Fuß zu fassen. Um jedoch eine vollständige Rehabilitierung und damit die Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess zu erreichen, mussten sich die bisherigen leitenden Angestellten, die gleichzeitig der NSDAP angehört hatten, einer Entnazifizierung unterziehen. Das betraf Fink ebenso wie seinen damaligen Stellvertreter Hans Bausch. Zuständig für die Entnazifizierung waren die örtlichen Behörden – im Fall Bausch war das in Berlin-Ost die Sowjetische Militäradministration (SMAD), im Fall Fink waren es mit seinem neuen Wohnsitz in Bayern die US-Amerikaner. Bekannte Persönlichkeiten wie bspw. die Nobelpreisträger Heinrich Wieland, Hans Euler und Hans Fischer entlasteten Hermann Fink als „nur der Wissenschaft dienender Mitläufer ohne politischen Ehrgeiz“. Auf Basis dieser sog. Persilscheine vollzogen die Amerikaner recht schnell die gewünschte Entnazifizierung. Damit war es dem gebürtigen Augsburger erlaubt, in der Karriereleiter einmal mehr nach oben zu klettern. Im Gegensatz zum relativ unkomplizierten Entnazifizierungsverfahren in der amerikanischen Besatzungszone, war die Reinwaschung im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands bedeutend schwieriger. Am 29. November 1947 gab die Abteilung Handel und Versorgung der Deutschen Wirtschaftskommission und der Abteilung der SMAD in Karlshorst Hans Bauschs zweitem Antrag statt. Danach konnte der in Freiburg geborene Wissenschaflter an die VLB zurückkehren und seine Lehr- und Forschungstätigkeit uneingeschränkt wiederaufnehmen.

Ausbildung der Brauer

Nach dem 2. Weltkrieg fehlten in allen vier Besatzungszonen nicht nur Brauer und Mälzer, sondern auch Braumeister und Diplomingenieure. Die Länder in den vier Besatzungszonen waren hinsichtlich Aus- und Weiterbildung von Facharbeitern und Ingenieuren weitestgehend auf sich allein gestellt. Hier wurde Hermann Fink aktiv, indem er sich 1946 in Köln anlässlich des 550. Gründungstages der Kölner Brauerzunft mit dem Brauereibesitzer Jakob Immendorf traf. Immendorf war Vorsitzender der Hauptverwaltung der deutschen Brauwirtschaft (HVdB) und Mitglied der Wirtschaftsgruppe Brauerei und Mälzerei. Gemeinsam planten sie für die Nachwuchsausbildung die Gründung einer Hochschule und eines Gärungsinstituts – quasi als Konkurrenz zur Berliner VLB. Die Stadt Köln stellte für diese geplante Ausbildungsstätte ein Gebäude zur Verfügung. Am 27. September 1947 gründeten die Kölner Brauer außerdem den BrauereiHochschulverein e.V. Köln. Für die Leitung der neuen Lehranstalt wurde neben Hermann Fink der Brauwissenschaftler Fritz Windisch, Sohn des aus den Anfangsjahren der VLB bekannten Wilhelm Windisch, gehandelt. Die Entscheidung fiel zugunsten Hermann Finks. Er folgte dem Ruf der Universität Köln, wurde Ordinarius für Gärungswissenschaften und Enzymchemie und übernahm die Leitung des 1948 an der Universität Köln gegründeten Instituts für Gärungswissenschaften und Enzymchemie. Damit war der Bruch zu seiner früheren Wir-

Prof. Hans A. Bausch (l.), Prof. Fritz Windisch

kungsstätte endgültig vollzogen. Die Konkurrenzsituation zur VLB endete erst mit Finks plötzlichem Tod. Am 12. Juni 1962 starb der Wissenschaftler mit 61 Jahren an einem Herzinfarkt. 1963 ging das Institut für Gärungswissenschaften in das von Prof. Lothar Jaenicke neu gegründete Institut für Biochemie auf und bekam damit völlig veränderte Forschungsschwerpunkte. Fritz Windisch wechselte an das in Ostberlin unter Leitung von Hans Bausch neu gegründete Institut für Gärungschemie und landwirtschaftliche Technologie an der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt Universität zu Berlin. Ab 1946 begann der Wiederaufbau des IfGS mit Unterstützung der finanztragenden Verbände, d.h. der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei, Versuchs- und Lehranstalt für Spiritusfabrikation (VLS) und der Versuchsanstalt der Hefeindustrie e.V. (VH). Im gleichen Jahr wurde auch die Ausbildung von Brauereitechnikern und Diplombrauingenieuren an der VLB Berlin wiederaufgenommen. Erster Student nach dem Krieg war Kurt Braun aus Magdeburg, der seine Diplomprüfungen am 26. Juni 1946 als Studierender der HU Berlin an der VLB ablegte.

HU und TU Berlin

Im Jahr 1948 kam es zur Teilung Berlins in West und Ost. Infolge der Teilung lief ab 1950/1951 auch die Ausbildung der Brauingenieure getrennt ab. In Ost-Berlin fand sie an der Humboldt Universität statt, im Westen an der TU Berlin. An der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der HU Berlin wurde 1952 das Institut für Gärungschemie und landwirtschaftliche Technologie neu geschaffen. Als Direktor wurde Prof. Dr. Hans Bausch berufen. Die Abteilung Biochemie übernahm Prof. Dr. Fritz Windisch, der sich, neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit auf dem Brausektor, zu einer Forscherpersönlichkeit auf dem Gebiet der Krebsforschung an der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin-Buch entwickelt hatte. Das Institut für Mikrobiologie übernahm Prof. Dr. Richard Koch.

Wissenschaftliche Zusammenarbeit von Ost und West

Solange die Grenzen offen waren, trafen sich die Kollegen aus den ostdeutschen und westdeutschen Brauereien und wissenschaftlichen Einrichtungen regelmäßig, vor allem anlässlich der VLB-Oktobertagungen in Berlin. Im Gegenzug hielten Forscherpersönlichkeiten wie Paul Kolbach oder Franz Stockhausen von der VLB neben namhaften Kollegen aus dem Osten, darunter Hans Bausch und Richard Koch, Vorträge auf Veranstaltungen der Kammer der Technik (KDT) in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. der späteren DDR. Die KDT als Organisation für Ingenieure war gleichzusetzen mit dem Deutschen Braumeister- und Malzmeisterbund. Auf diesen KDT-Veranstaltungen suchte man gemeinsam nach Wegen, trotz der in der DDR teils veralteten Ausrüstung ein schmackhaftes Bier zu produzieren. Hinzu kam die Problematik des Rohstoffmangels. Schwerpunkte waren außerdem die Verarbeitung von Gerstenrohfrucht sowie die Entwicklung von Verfahrensansätzen für die Verkürzung der Gär- und Reifungszeiten. Auch der rationelle Hopfeneinsatz war Thema, da die DDR nach 1945 über keine eigenen Hopfenanbaugebiete verfügte.

Deutsch-deutsche Teilung auf dem Gebiet der Brauwissenschaft

Nach dem Krieg war die VLB bestrebt, die ehemaligen Kunden und Mitgliedsbetriebe, sowohl in der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland als auch in der sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR, weiter zu betreuen. Bezogen auf die DDR war das nach der Währungsunion 1948 kaum noch möglich, da die Ost-Betriebe nicht über die westdeutsche D-Mark verfügten. Im Zuge dessen wurde ein Zentrallaboratorium für die Brauund Malzindustrie unter der Leitung von Walter Piratzky ins Leben gerufen. Die neue Forschungseinrichtung fand in den früheren Laboratorien der Schultheiss-Brauerei in der Landsberger Allee ihre Heimstätte. Diese neue Institution betreute von nun an die Betriebe der Brau- und Malzindustrie der DDR in technologischen Fragen und stellte die Reinzuchthefe bereit. Rechtsnachfolger dieser Einrichtung wurde 1959 das Institut für die Gärungs- und Getränkeindustrie. Als am 13. August 1961 die Grenzen geschlossen wurden, war die deutsch-deutsche Teilung auf dem Gebiet der Brauwissenschaften endgültig vollzogen.

Außenstelle der VLB in Köln

Einen wichtigen Schritt zur Beseitigung der Konkurrenzsituation zwischen Berlin und NordrheinWestfalen war die Eröffnung einer VLB-Außenstelle in Köln im April 1954. Unter der Leitung von Paul Diedering und Werner Horch führten die Mitarbeiter vor Ort Betriebsrevisionen sowie chemischtechnische und mikrobiologische Analysen durch. Es gelang außerdem, Hermann Finks Separierungsbestrebungen einzudämmen und die Betreuung der dort angesiedelten Brauereien und Mälzereien Schritt für Schritt zu übernehmen. Zur selben Zeit stellte der Kölner Hochschulverein seine Tätigkeit ein.

Fazit

Es mussten 40 Jahre vergehen, bis sich die Fachleute aus Ost und West im Deutschen Braumeister- und Malzmeisterbund wieder an einen Tisch setzen konnten. Die über vier Jahrzehnte währende formal getrennte, aber fachlich gleichermaßen qualifizierte Ausbildung der Braumeister und Diplomingenieure hat in beiden Teilen Deutschlands anerkannte Fachleute hervorgebracht. Die damals verantwortlichen Professoren für die ingenieurtechnische Ausbildung in den ersten Jahren der DDR, wie Hans Bausch, Fritz Windisch oder Ernst Rothenbach waren aus der VLB des Vorkriegsdeutschland hervorgegangen und hatten ihr Wissen und ihre Erfahrungen aus Jahrzehnte währender Forschungs- und Lehrtätigkeit an der VLB jungen Wissenschaftlern wie Gundolf Ströhmer, Peter Lietz oder Gerolf Annemüller

Foto: Michael Voit/Berlin Der VLB-Neubau an der Seestraße in Berlin-Wedding wurde 2017 bezogen; links: das Sudhaus der ehem. HochschulBrauerei

weitergegeben. Seit dem Ende des schrecklichen 2. Weltkriegs sind nun über 75 Jahre vergangen. Die VLB und ihre Institute haben mit ihrer erfolgreichen Arbeit die schlimme Zeit des Nationalsozialismus und die schwierigen Nachkriegsjahre überwunden. Die Aus- und Weiterbildung für die zukünftigen Ingenieure und Braumeister sowie Forschungsarbeiten für die Brauund Malzindustrie finden wieder unter einem Dach statt, mittlerweile im Neubau an der Seestraße, der 2018 bezogen wurde. Unter der Leitung von Dr. Josef Fontaine und Gerhard Andreas Schreiber arbeiten derzeit an der VLB Berlin rund 135 Personen in einer modernen Forschungsumgebung. In den Hörsälen und Laboren studieren und forschen heute junge Menschen aus aller Herren Länder. Darunter sicher auch junge Brauer, deren Groß- bzw. Urgroßväter sich einst in zwei sinnlosen Weltkriegen als Soldaten gegenüberstanden.

VLB LABOTECH –IHR SPEZIALIST FÜR LABOR-EQUIPMENT

Symposium for craft and micro brewers from Germany & European Labor-Equipment und mikrobiologische Nährmedien für die Analyse von Rohstoffen, countriesZwischen- und Endprodukten sowie Nebenprodukten für

7 November 2016, Nuremberg, Germany

+ die Brau- und Malzindustrie + Hersteller von alkoholfreien + die Spirituosenindustrie Erfrischungsgetränken + Brennereien www.vlb-berlin.org/labotech

VLB LaboTech GmbH, Seestraße 13, 13353 Berlin Tel.: 030 450 80-220, Fax: 030 453 55 17 labotech@vlb-berlin.org

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