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Alphabet des Waldes

ohne die weibliche Schamhaftigkeit zu verletzen. Zudem würde es zu manchen meiner Ehre nachtheiligen Vermuthungen Anlass geben: Was muss in dem Spiel sein, dass sie einen so sehr unter ihren Verhältnissen heurathen will?“

Reich: Käsgraf Gallus Moosbrugger

„Multiprofessionalität“ bildete die Grundlage für den Wohlstand der Wälder „Ehrbarkeit“. Neben der Landwirtschaft wurde Handel getrieben, man bediente sich vorindustrieller Produktionsformen, betrieb Gasthäuser und verlieh Geld in Form von hypothekarisch besicherten Krediten. Als der Bezauer Gamswirt Johann Feurstein 1789 starb, umfasste die Liste der ausstehenden Kapitalien 230 Schuldner mit einem Gesamtbetrag von 21.000 Gulden, um die man etwa 500 Kühe, das Hundertfache des durchschnittlichen bäuerlichen Viehbestands, hätte kaufen können. Fast jeder zweite Haushalt in Bezau war bei Feurstein verschuldet. Joseph Anton Metzler (1753–1796) aus Schwarzenberg, der zu seinen Lebzeiten als der reichste Mann des Tals galt, handelte mit Holz, Vieh, Käse und Wachs. Seine Geschäftsbeziehungen erstreckten sich bis nach Italien, Böhmen und Ungarn, außerdem war er Textilfabrikant. Darunter rangierte die mit einem knappen Viertel der Steuerpflichtigen recht schmale Mittelschicht. Aus ihr konnte man zwar aufsteigen, viel häufiger aber war der Abstieg in die Armut. Dazu brauchte es nicht viel: Alter, Unglücksfälle oder Krankheiten, Missernten oder das Aufkündigen von Krediten. Frauen gerieten nicht selten durch den Tod des Ehemanns in eine prekäre Situation.

Der weitaus größte Teil der Talbewohner gehörte der Unterschicht an: nicht nur die Taglöhner und Dienstboten, sondern als Folge fortwährender Erbteilungen auch die große Masse der Kleinbauern. Viele von ihnen waren auf Nebenerwerb oder saisonale Arbeitsmigration angewiesen. „Offiziell“ als arm galt freilich nur, wer sich registrieren ließ, um aus privaten Stiftungen, den einzigen damals bestehenden „Sozialeinrichtungen“, eine bescheidene Unterstützung zu beziehen. In einem 1809 in Bezau angelegten Armenregister sind etwa zehn Prozent der Ortsbewohner verzeichnet. Darüber hinaus blieb den Bedürftigen nur der im Bregenzerwald montags und freitags gestattete „Gassenbettel“. Wieder einmal zeigt sich also: Wer in der Geschichte die „gute alte Zeit“, also eine heile Welt, sucht, wird vergeblich Ausschau halten. Alois Niederstätter

Der Bregenzerwälder Reinhard Johler lehrt am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen. Er stammt aus einer Familie in Alberschwende, die seit Generationen Rodel herstellt

Morgenland

Der Bregenzerwald war nie von der Welt abgeschlossen, wie das Wort „Fremdler“ für in der Ferne arbeitende Handwerker und Saisonarbeiter belegt. Wenn sie im Spätherbst nach Hause zurückgekehrt waren, trat trotz anfallender Winterarbeiten Ruhe im Tal ein; man widmete sich der Familie und dem Dorf – dies galt noch in meiner Kindheit der 1960er Jahre. Die Feiertage der Weihnachtszeit verstärkten diese Stimmung noch, gleichzeitig passierte etwas Besonderes: Für mehrere Wochen hielt das Morgenland einen farbenfrohen und zuweilen schmackhaften Einzug.

Der Orient-Reigen begann am 6. Dezember mit dem Hausbesuch des heiligen Nikolaus von Myra und dessen Knecht Ruprecht. Es gab eine Ermahnung und dann die Beschenkung der Kinder mit Äpfeln, Orangen, Datteln und Feigen. Diese Südfrüchte machten deutlich, dass der heilige Nikolaus kein Hiesiger war, sondern eine lange Reise aus Asien hinter sich hatte. Wie es dort aussah, bekam man ab dem 24. Dezember, dem Heiligen Abend, in der Krippe genauer zu sehen.

Krippen gab es ab der Gegenreformation in Kirchen und im ausgehenden 19. Jahrhundert auch in Häusern, um die Weihnachtsgeschichte darzustellen. Bethlehem ähnelt bei uns nicht selten dem Bregenzerwald, doch vor allem die Hirten und Schafe verweisen auf ein Geschehen fernab des hierzulande Vertrauten. Richtig fremd wirken die Heiligen Drei Könige: Kaspar, Melchior und Balthasar samt Kamel oder Elefant.

Sie waren ursprünglich Weise aus dem Morgenland und repräsentierten mit Asien, Afrika und Europa die in der Heilsgeschichte bekannten Kontinente. Mit der seit 1954 zu Epiphanie von der Katholischen Jungschar durchgeführten Sternsinger-Aktion haben sie den Weg von der Krippe auf die Straße und in die Häuser des Bregenzerwaldes gefunden, singen dort, sammeln Spenden und schreiben ihr „C+M+B“ auf die Tür.

Das daran anschließende Fasnachtsgeschehen zeigt hin und wieder Scheichs und Haremsdamen, doch mit Aschermittwoch verschwindet das Morgenland wieder aus dem Bregenzerwald.

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