27. September 2024, 19:30 Uhr
Großer Saal
27. September 2024, 19:30 Uhr
Großer Saal
Karten und Infos:
+43 (0) 732 77 52 30 brucknerhaus.at
Mi, 13. Nov 2024, 19:30
Mittlerer Saal
Quatuor Mosaïques
Das legendäre Quatuor Mosaïques gastiert mit den meisterhaften letzten Quartettwerken Joseph Haydns und Franz Schuberts sowie dem ›Höllenquartett‹ von Joseph Wölfl im Brucknerhaus Linz.
Sa, 23. Nov 2024, 19:30
Mittlerer Saal
Hiemetsberger & Company of Music
Johannes Hiemetsberger und sein Vokalensemble Company of Music bringen Francis Poulencs mitreißende Kantate Figure humaine sowie Morton Feldmans Rothko Chapel auf die Bühne.
So, 1. Dez 2024, 11:00
Großer Saal
Radulović & Double Sens
Der serbische Geiger Nemanja Radulović und sein Ensemble Double Sens eröffnen mit ihrer unkonventionellen, frischen Herangehensweise neue Blickwinkel auf Bach und Beethoven.
Das Programm auf einen Blick
Unter dem Titel Ein Zug voller Dynamit stellt das heutige Konzert zwei Werke in den Mittelpunkt, die nicht nur in musikalischer Hinsicht auf ihre jeweils eigene Art ›explosiv‹ sind, sondern auch musikhistorisch in spannungsgeladenem Zusammenhang stehen.
Als Johannes Brahms sein 2. Klavierkonzert, das aufgrund seiner viersätzigen Form sowie der nahtlosen Verschränkung des Soloparts mit dem Orchester schon von Zeitgenoss:innen als »Symphonie mit obligatem Clavier« beschrieben wurde, im Sommer des Jahres 1881 fertigstellte, befand sich der zu diesem Zeitpunkt 22jährige Hans Rott bereits seit mehreren Wochen in der Niederösterreichischen Landesirrenanstalt in WienAlsergrund, wo er 1884 an Tuberkulose starb. Der Grund für seine Einweisung: Im Zug von Wien nach Mülhausen (Mulhouse im Elsass) hatte er einen Revolver auf einen Fahrgast gerichtet, der sich gerade eine Zigarette anzünden wollte, da er fürchtete, Brahms habe den Zug mit Dynamit füllen lassen ...
Marc-André Hamelin | Klavier
Bruckner Orchester Linz
Markus Poschner | Dirigent
Johannes Brahms 1833–1897
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 BDur op. 83 // 1878, 1881
I Allegro non troppo
II Allegro appassionato
III Andante
IV Allegretto grazioso
// Pause //
Hans Rott 1858–1884
Sinfonie (Nr. 1) EDur // 1878–80
I Alla breve
II Sehr langsam
III Scherzo. Frisch und lebhaft – Trio
IV Sehr langsam – Die Halben wie die früheren Viertel. Belebt – Noch ein wenig belebter. Fuge – Tempo der Einleitung, die Viertel wie die früheren Halben
Konzertende ca. 21:45 Uhr
Ein Mitschnitt des Konzerts wird am 15. Oktober 2024 um 19.30 Uhr in der Sendereihe Das Ö1 Konzert ausgestrahlt..
Johannes Brahms // Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 B-Dur
»Eines Tages – es war im Jahre 1853 – gegen Mittag schellt es; nach Kinderart laufe ich hinaus und mache die Thüre auf. Da sehe ich einen blutjungen, bildhübschen Jüngling mit langen blonden Haaren. Er fragt nach dem Vater.« Mit diesen Worten erinnert sich Marie Schumann, die zu diesem Zeitpunkt zwölfjährige Tochter Clara und Robert Schumanns, an den 30. September 1853. Der »Jüngling«, der an diesem Tag vor ihrem Zuhause in Düsseldorf erscheint, ist kein Geringer als Johannes Brahms und die Begegnung zwischen dem Ehepaar Schumann und dem aufstrebenden Komponisten wird in vielerlei Hinsicht folgenreich sein. Begeistert von den musikalischen Fähigkeiten seines Gastes, veröffentlicht Robert Schumann nur einen Monat später seinen Aufsatz Neue Bahnen in der von ihm gegründeten Neuen Zeitschrift für Musik, in dem er Brahms als musikalischen ›Messias‹ ankündigt, »der den höchsten Ausdruck der Zeit in idealer Weise auszusprechen berufen wäre […]. Wenn er seinen Zauberstab dahin senken wird, wo ihm die Mächte der Massen, im Chor und Orchester, ihre Kräfte leihen, so stehen uns noch wunderbarere Blicke in die Geheimnisse der Geisterwelt bevor.« Angetrieben von Schumanns Fürsprache, deren implizite Erwartungshaltung dem jungen Künstler gleichermaßen Motivation wie Bürde ist, versucht sich Brahms an größeren kompositorischen Formen, beginnt schon bald nach der Veröffentlichung des Aufsatzes mit der Arbeit an einer Sonate für zwei Klaviere, die er im Sommer des folgenden Jahres mehrmals mit Clara Schumann durchspielt – Robert Schumann hat im Februar 1854 mit einem Sprung in den Rhein einen Selbstmordversuch unternommen und ist seit dem 4. März auf eigenen Wunsch in der Nervenheilanstalt Endenich bei Bonn untergebracht. Clara Schumann lobt das Werk in ihrem Tagebuch als »wieder ganz gewaltig […], ganz originell, großartig und dabei klarer als Früheres«. Doch schon bald zeigt sich, dass der Klang zweier Klaviere die ambitionierten Formen nur unzulänglich transportieren kann. Also versucht Brahms, den ersten Satz seiner Sonate zu einem Orchesterwerk umzuarbeiten und sich damit den Weg zur Sinfonie zu bahnen, wobei er aufgrund seiner mangelnden Erfahrung
im Bereich der Instrumentierung auf die Hilfe des befreundeten Komponistenkollegen Julius Otto Grimm angewiesen ist. Abermals eine Sackgasse. Nach und nach muss Brahms feststellen, dass diese Umarbeitung einen Kompromiss darstellt, der ebenfalls zu keinem zufriedenstellenden
Ergebnis führen kann. Die Lösung des Problems findet er schließlich in der Vereinigung beider musikalischer Sphären, jener des Klaviers und jener des Orchesters. So berichtet er am 7. Februar 1855 an Clara Schumann: »Denken Sie, was ich die Nacht träumte: Ich hätte meine verunglückte Sinfonie zu einem Klavierkonzert benutzt und spielte dieses. Vom ersten Satz und Scherzo und ein Finale, furchtbar schwer und groß. Ich war ganz begeistert.« Doch auch diese Arbeit gestaltet sich letztlich schwieriger als gedacht und erst nach vier Jahren mühevoller Kompositions und Revisionsarbeit kann er sein 1. Klavierkonzert dMoll op. 15 im April 1857 endlich fertigstellen. »Ich sage Dir tausend Dank im voraus für diese und alle Hilfe bei dem Werk«, schreibt er an seinen Freund Joseph Joachim, der später auch die Uraufführung am 22. Jänner 1859 im Königlichen Hoftheater zu Hannover mit Brahms als Solisten dirigiert: »Ohne Dich hätte ich’s nicht gemacht.«
In gewissem Sinne stellte die zweite Aufführung des 1. Klavierkonzerts am 27. Jänner im Leipziger Gewandhaus zugleich den Startschuss für Brahms’ 2. Klavierkonzert B-Dur op. 83 dar. So schreibt der Komponist angesichts des geteilten Echos des Publikums und der Kritiker an Joachim: »Trotzalledem wird das Konzert noch einmal gefallen, wenn ich seinen Körperbau gebessert habe, und ein zweites soll schon anders lauten.« Bis zur Umsetzung dieses Plans, dem ersten Klavierkonzert »ein zweites« folgen zu lassen, vergehen daraufhin allerdings knapp zwei Jahrzehnte. »Am Vorabend seines Geburtstages [i. e. am 6. Mai 1878], den die Muse selten vorübergehen ließ, ohne ihren Liebling zu bedenken«, berichtet Brahms’ Biograf Max Kalbeck, »überraschte sie ihn mit den Themen zu einem neuen Klavierkonzert.« Tatsächlich beginnt Brahms, wie aus seinem Schreibkalender hervorgeht, im Mai 1878 auf der Rückfahrt von seiner ersten Italienreise mit der Arbeit an seinem 2. Klavierkonzert – gleichermaßen inspiriert wie erholt, wie er Clara Schumann berichtet, gegenüber der er es als »ein wahres Glück«
»Erzählen will ich, daß ich ein ganz kleines Klavierkonzert geschrieben mit einem ganz einem kleinen Scherzo. Es geht aus dem B dur – ich muß leider fürchten, diese, sonst gute Milch gebende Euter zu oft und zu stark in Anspruch genommen zu haben.« Brahms am 7. Juli 1881 an Elisabeth von Herzogenberg
bezeichnet, »daß die Musik [in Italien] nicht auch entzückend ist! Im Gegenteil schauderhaft! – Sonst wüßte man ja aber auch nicht, wohin mit seinem Verstand – ein Sinn ruht aus!« So kann sich das neue Werk langsam aber ungehindert seinen Weg bahnen: Im Juli 1881 schließt er die Arbeit an seinem 2. Klavierkonzert während eines Sommeraufenthalts in Preßbaum bei Wien ab.
Als Brahms das Klavierkonzert mit dem gewohnt selbstironischen Kommentar, er übersende »ein paar kleine Klavierstücke«, an den befreundeten Arzt Theodor Billroth schickt, der ihn zuvor auf seiner Italienreise begleitet hat, zeigt sich dieser sofort begeistert: »Da haben wir es nun endlich, das so lang erwünschte zweite Klavierkonzert! Welch ein herrliches Stück, wie mühelos schön hinfließend, welch herrlicher Klang, edel und anmutig! So musikalische Musik! eine glückliche befriedigte und befriedigende Stimmung durchströmt das Ganze! Ich kann natürlich noch nicht allen Reichtum der Details erkennen, doch das Ganze und jeder einzelne Satz steht klar vor mir; zum ersten Konzert verhält es sich wie der Mann zum Jüngling; unverkennbar derselbe, und doch alles gedrungener, reifer.«
Schon in den ersten Takten wird klar, weshalb der Wiener Kritiker Eduard Hanslick Brahms’ 2. Klavierkonzert als »große Symphonie mit obligatem Clavier« bezeichnete. Damit spielte er nicht nur auf die für die Konzertform ungewöhnliche Viersätzigkeit und die damit verbundenen großformatigen Dimensionen, sondern auch auf die nahtlose Verschränkung des Orchesters mit der Solostimme an, »welche auf jeden Monolog verzichtet und nur mit wenigen Tacten Solo in jedem Satze heraustritt, durchwegs als Erster und Ebenbürtigen«. So steht auch am Beginn des Kopfsatzes weder eine ausladende Eröffnung des Orchesters, noch eine weitschweifige Solopassage des Klaviers. Stattdessen tritt das Soloinstrument in den Dialog mit einem einleitenden Hornmotiv, Streicher und Holzbläser gesellen sich dazu und spinnen die Motivik nahtlos fort. Das an zweiter Stelle stehende Allegro appassionato schwankt spannungsvoll zwischen elegischer Lyrik und wildem Scherzocharakter, während
Johannes Brahms Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 B-Dur
Titelseite des Erstrucks von Johannes Brahms’
2. Klavierkonzert, 1882
das folgende liedhafte Andante ein Zwiegespräch des Klaviers mit dem ebenfalls solistisch agierenden Violoncello in Szene setzt – die Melodie des Hauptthemas entnahm der Komponist seinem Lied »Immer leiser wird mein Schlummer« op. 105 Nr. 2. Im Finale schließlich greift Brahms seinen bereits in anderen Werken virtuos erprobten ›ungarischen Tonfall‹ auf und jagt Klavier und Orchester durch in Rondoform aufeinanderfolgende tänzerische Passagen, die zuletzt in einen atemlosen Schlussjubel münden.
Rondo Form mit einem wiederkehrenden Hauptthema (Refrain, Ritornell), in Abwechslung mit dazwischen eingeschobenen Seitenthemen (Couplets)
»Wie Bruckner erzählte, schrieb Rott zur Reifeprüfung einen Symphoniesatz. Dieser erschien aber der engherzigen Zunft, die damals am Prüfungstische saß […], als zu ›wagnerisch‹! Am Schlusse ertönte vom Merkerstuhle – pardon, vom Prüfungstische her – höhnisches Lachen. Da erhob sich der sonst so ängstliche Bruckner und rief den ›Merkern‹ da unten die flammenden Worte entgegen: ›Lachen Sie nicht, meine Herren, von dem Manne werden Sie noch Großes hören!‹«
Carl Hruby: Meine Erinnerungen an Anton Bruckner, 1901
Wer zum Abschluss seiner Ausbildung am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien nicht nur ein Zeugnis, sondern ein Diplom oder gar eine der begehrten Gesellschaftsmedaillen erhalten will, muss einen ersten oder zweiten Preis bei den jährlichen Konkursen erringen, an denen, wie es im GrundverfassungsStatut des Konservatoriums festgelegt ist, nur jene Studierenden teilnehmen dürfen, »die bei der Jahresprüfung im Hauptfache mit der Vorzugsnote, in den Nebenfächern mindestens mit Fortgangsnoten klassifizirt wurden«. Als Hans Rott in seinem letzten Studienjahr 1878 an einem Sinfoniesatz, dem späteren Kopfsatz seiner Sinfonie (Nr. 1) EDur, arbeitet, ist sein Antrieb deshalb nicht in erster Linie künstlerischer Natur: »Doch muß ich all mein Augenmerk auf den Concurs richten können, wegen der Abfertigung«, schreibt er am 30. Mai an seinen Freund Heinrich Krzyzanowski im Hinblick auf die mit einem erfolgreichen Abschneiden verbundene Auszahlung eines Stipendiums in Höhe von 500 Gulden. Bedeutet eine solche Summe für viele seiner Studienkolleg:innen eine unterstützende ›Mitgift‹ auf dem weiteren künstlerischen Weg, so ist sie für ihn, der nach dem frühen Tod seiner Eltern praktisch mittellos ist, im wahrsten Wortsinne überlebenswichtig. Rott komponiert buchstäblich um sein Leben.
Hans Rott
Sinfonie (Nr. 1) E-Dur
Hans Rott in der Niederösterreichischen Landesirrenanstalt in Wien-Alsergrund, Fotografie des Wiener Ateliers Mertens, Mai & Cie, 1883
Trotz der Fürsprache seines Lehrers Anton Bruckner erhält Rott mit seinem Sinfoniesatz beim Kompositionskonkurs am 2. Juli 1878 als einziger Student des Jahrganges keinen Preis. Statt sich jedoch zu grämen, setzt er in den nächsten Wochen alles daran, die Auszahlung des Stipendiums auf bürokratischem Wege doch noch zu erreichen, was ihm letztlich sogar gelingt. Nunmehr finanziell zumindest zeitweise abgesichert –
Hans Rott Sinfonie (Nr. 1) E-Dur
nach seiner Volljährigkeitserklärung im April 1879 bekommt er zusätzlich ein Legat seines 1860 verstorbenen Taufpaten Johann Grün in Höhe von 1400 Gulden ausbezahlt –, kann sich Rott ganz auf die Komposition seiner Sinfonie konzentrieren, deren vollständige viersätzige Klavierskizze er schon im Oktober 1879 abschließt. Dass das Werk bereits in dieser Form einen gewaltigen Eindruck bei seinen Kolleg:innen hinterlässt, bestätigen die Erinnerungen Krzyzanowskis, der festhält, »daß R[ott] in dieser Zeit eine große Symphonie geschaffen hatte, groß erstens dem Umfange und zweitens der Bedeutung nach […]. Eine Atmosphäre der Andacht umgab die Symphonie und ihren Schöpfer, seine Symphonie wurde ›die Symphonie‹ schlechthin – auch für Rott und das war nicht gut, nicht gesund – meiner unmaßgeblichen Meinung nach.« Doch mit dem Fortschritt der Partitur schleichen sich auch die finanziellen Sorgen wieder ein. Zu Beginn des Jahres 1880 hat Rott sein Erbe aufgebraucht, kann sich einzig dank der Förderung seines Freundes Joseph Seemüller über Wasser halten. Darüber hinaus macht er Schulden bei Freunden, Geschäften, Gasthäusern und Cafés, über die er in verschiedenen Listen minutiös Buch führt, muss regelmäßig persönliche Gegenstände verkaufen, allen voran Bücher. Als er nicht einmal mehr seine Miete bezahlen kann, hält er sich im Sommer, hauptsächlich mit der finanziellen Unterstützung Seemüllers, abwechselnd bei Bekannten und Freunden außerhalb Wiens auf und kann spätestens am 30. Juni im nordwestlich von Wien gelegenen Salmannsdorf (heute Teil des 19. Wiener Gemeindebezirks) die Arbeit an seiner Sinfonie beenden. »Ich habe in den letzten Zeitläufen Augenblicke, in denen mir Alles, was ich thue als nicht zu rechtfertigen erscheint«, notiert er am 8. Juli 1880: »[I]ch lebe auf Kosten eines Anderen, […] und Alles, um meine Arbeit fertig zu bringen, um sie dem Wesen zu Füßen zu legen, das mir durch meine Liebe, die es mir ins Herz (unauslöschlich) einflößte Glaube + Hoffnung geschenkt«. Das »Wesen« ist Louise Löwi, die Schwester seines Freundes Friedrich Löwi (später: Löhr), die er regelrecht vergöttert, der er schwärmerische Briefe und Gedichte schreibt und die er nach und nach zum Rettungsanker, zum Zweck seines Daseins erkürt, indem er erklärt, »daß es außer ihrer Liebe für mich auf dieser Welt nicht mehr viel giebt«. Dass sich die psychischen und physischen Anzeichen seiner sich anbahnenden Geisteskrankheit in dieser Zeit schon bemerkbar machen, wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass Rott im Juni 1880 im Alter von nicht ganz 22 Jahren sein Testa-
Hans
Rott
Sinfonie (Nr. 1) E-Dur
Auszug aus Hans Rotts Testamentsentwurf, 1880
ment niederschreibt, in dem er neben der Aufteilung seiner Besitztümer auch die Formalitäten seines Begräbnisses regelt: »Eine einfache Leiche letzter Klasse, ein Schachtgrab mit einem Holzkreuze, darauf zu lesen: ›Mögst Du die Ruhe hier geniessen, / Der man im Leben Dich zu früh entrissen.‹«
Hans Rott
Sinfonie
(Nr.
1) E-Dur
Im Herbst 1880 bewirbt sich Rott mit seiner Sinfonie um das Stipendium des k. k. Ministeriums für Cultus und Unterricht (Staatsstipendium) sowie um den Preis der Beethoven-Kompositionsstiftung des Wiener Konservatoriums und trifft sich mit dem Dirigenten Hans Richter, den er zur Aufführung seines Werkes mit den Wiener Philharmonikern bewegen will. »Von dem Erfolge meiner Arbeit […] hängt für mich mein ferneres Verbleiben in Wien, für mich Alles ab«, schreibt er Richter bereits zuvor am 23. August. »Sie [i. e. die Sinfonie] soll jetzt hinaus, weil ich jetzt ganz so bin, später würde es eine Ehrenrettung mittels ›Exhumierung‹, wie sie in letzter Zeit modern geworden.« Zwar lobt Richter den jungen Komponisten und ermuntert ihn, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen, zur Aufführung dieser ›Studentenarbeit‹ kann er sich allerdings nicht entschließen. Nach einem weiteren, ebenfalls entmutigenden Treffen mit Johannes Brahms, der als Mitglied beider Prüfungskommissionen großen Einfluss auf die Vergabe der Stipendien hat, sieht Rott seine Hoffnungen endgültig zerstört. Er verlässt Wien, verlässt seine geliebte Louise und reist am 21. Oktober 1880 mit dem Abendzug nach Mülhausen (heute: Mulhouse im Elsass), wo er eine Stelle als Musikdirektor und Chorleiter antreten soll. Während der Fahrt erleidet er einen Nervenzusammenbruch, richtet seinen Revolver auf einen Fahrgast, der sich gerade eine Zigarre anzünden will, da er fürchtet, Brahms habe den Zug mit Dynamit füllen lassen. Am 23. Oktober wird Rott in die Psychiatrische Klinik des k. k. Allgemeinen Krankenhauses in Wien eingeliefert, von wo aus er nach einer weiteren Verschlechterung seines Zustandes am 16. Februar 1881 in die Niederösterreichische Landesirrenanstalt in WienAlsergrund überführt wird. Als er dort eine Woche später erfährt, dass ihm das Staatsstipendium zuerkannt wurde, nimmt er diese Nachricht der Krankenakte zufolge »fast gleichgiltig auf«. Nach mehr als drei Jahren in der Anstalt stirbt er am 25. Juni 1884 im Alter von 25 Jahren an Tuberkulose. Seine Sinfonie wird tatsächlich erst in einem Akt musikwissenschaftlicher »Exhumierung« zu ihrem Recht kommen: Am 4. März 1989, nach der Wiederentdeckung der Partitur durch den englischen Musikwissenschaftler Paul Banks, findet die Uraufführung durch das Cincinnati Philharmonia Orchestra unter der Leitung von Gerhard Samuel in Cincinnati im USBundesstaat Ohio statt.
Hans Rott
Sinfonie (Nr. 1) E-Dur
Neben der schier grenzenlosen Fülle an melodischer und harmonischer Erfindungskraft sowie einer eindrucksvoll reichhaltigen Instrumentierung, mit der es Rott trotz seines jungen Alters gelang, einen individuellen sinfonischen Stil zu etablieren, verblüfft das Werk nicht zuletzt durch ein dichtes Netz motivischer Bezüge, das die einzelnen Sätze zu einer großformatigen, in sich geschlossenen musikalischen Einheit verbindet. Mit dem kontinuierlich wachsenden Umfang der Sätze steigert sich dabei auch die Komplexität der musikalischen Strukturen. So bewegt sich der Kopfsatz mit seinem majestätischen Hauptthema, das im Mittelteil kunstvoll mit dem wiegenden Seitenthema kombiniert wird, ungeachtet seiner opulenten klanglichen Dimensionen durchaus konventionell im Rahmen der klassischen Sonatenhauptsatzform. Im Pianissimo der Hörner ›versteckt‹, zitiert Rott hier vor dem Einsatz der Reprise das Choralthema aus dem Finale von Bruckners 5. Sinfonie B-Dur (der ›Pausengong‹ bei Konzerten im Großen Saal des Brucknerhauses). Da Bruckners Fünfte erst 1887 in einer Fassung für zwei Klavier uraufgeführt wurde und 1896 im Druck erschien, ist davon auszugehen, dass Rott die handschriftliche Partitur von Bruckner zum Studium erhalten hatte. Dem majestätischen Gestus des Kopfsatzes folgt im anschließenden Adagio ein elegisches, innig singendes Hauptthema, das nach mehreren Steigerungspassagen im strahlenden Orchestertutti erklingt. Nachdem das Thema im durchführungsartigen Mittelteil von Anklängen an den ersten Satz durchwoben wird, zerschellt der immer unruhiger vorwärtsdrängende musikalische Fluss schließlich an der Wucht eines zweimal erklingenden dissonanten Akkords. Wie aus einer anderen Sphäre kommend, erhebt sich daraufhin ein »mit nach aufwärts gerichtetem Trichter« zu spielender Choral der Trompeten und Posaunen, der die expressive Klangsprache des Satzes zu weihevoller Andacht verklärt. Im größtmöglichen Kontrast dazu tritt das markante Hornthema des Scherzos hervor, dessen derber Charakter im Verbund mit dem ländlerhaften Seitensatz eine ausgelassene volkstümliche Szenerie heraufbeschwört. Der einzig im Trio beruhigte Satz treibt mit seinen plötzlichen Tempo- und Dynamikwechseln, seiner fast undurchdringlichen kontra-
Sonatenhauptsatzform dreiteilige Form, bestehend aus Exposition (Einführung der Themen), Durchführung (Verarbeitung der Themen), Reprise (Wiederaugreifen der Exposition)
16 Hans Rott
Sinfonie (Nr. 1) E-Dur
Beginn des Scherzos der Sinfonie (Nr. 1) EDur in Rotts handschriftlicher Partitur, 1880
Hans Rott Sinfonie (Nr. 1) E-Dur
punktischen Faktur sowie immer neu variierten Themen und Motiven ein permanentes Spiel mit den Hörerwartungen. Im Finale gelingt es Rott schließlich, die zentralen Motive der Sinfonie in ein sich unablässig steigerndes Satzgefüge einzubetten. Das nach einer ausgedehnten Einleitung vorgestellte Hauptthema vereinigt sich auf dem Höhepunkt mit dem Hauptthema des Kopfsatzes zu einer strahlenden Apotheose, ehe zuletzt noch einmal der Choral des zweiten Satzes erklingt und die Musik in ferne, jenseitige Gefilde entschwebt.
Andreas Meier
Klavier
Der Pianist Marc-André Hamelin, geboren in Montreal, gibt regelmäßig mit den führenden Orchestern und Dirigenten unserer Zeit Konzerte in den wichtigsten Konzerthäusern und auf Festivals weltweit. Er ist bekannt für seine unvergleichliche Mischung aus vollendeter Musikalität und brillanter Technik in den großen Werken des etablierten Repertoires. Dabei ist er immer auf der Suche nach Raritäten des 19., 20. und 21. Jahrhunderts.
Seine Recital und Kammermusikauftritte führten ihn unter anderem nach Prag, Polen, Oslo, in die Hamburger Elbphilharmonie, die Londoner Wigmore Hall, ins Amsterdamer Muziekgebouw, zum Portland Piano International Festival, in die Cleveland Chamber Music Society, aber auch zu den Cliburn Concerts und in das Brevard Music Center mit dem Cellisten Johannes Moser. Mit dem Philharmonischen Orchester Hagen, dem Los Angeles Chamber Orchestra und der Netherlands Radio Philharmonic steht er ebenfalls auf der Bühne. Außerdem ist er mit dem Takács Quartet in der USA unterwegs. Beim Tanglewood Music Festival, Grand Teton Music Festival, Festival de Lanaudière, Tuckamore Festival, Rockport Chamber Music Festival und bei der Schubertiade ist der kanadische Pianist ebenfalls zu erleben.
Marc-André Hamelin ist Exklusivkünstler bei Hyperion Records. Seine Diskografie umfasst mehr als 70 Alben mit bemerkenswerten Aufnahmen eines breiten Spektrums von Solo, Orchester und Kammermusikrepertoire. Während seiner Laufbahn hat er über 30 Werke komponiert. Neben mehreren Jahrespreisen des Verbands der deutschen Schallplattenkritik oder dem Cannes Classical Award erhielt er unter anderem sieben Juno Awards und einen Gramophone Classical Music Award. Elfmal wurde er für einen GRAMMY nominiert.
Marc-André Hamelin lebt mit seiner Frau Cathy Fuller, einer Produzentin und Radiomoderatorin bei Classical WCRB, in der Region Boston.
Das Bruckner Orchester Linz (BOL) zählt zu den führenden Klangkörpern Mitteleuropas, blickt auf eine mehr als 200-jährige Geschichte zurück und trägt seit 1967 den Namen des Genius loci. Seit dem Amtsantritt von Markus Poschner als Chefdirigent vollzieht das BOL einen weithin beachteten Öffnungsprozess, der viele neue Formate generiert, unerwartete Orte aufsucht, in der Vermittlung überraschende Wege findet und vor allem für künstlerische Ereignisse in einer unnachahmlichen Dramaturgie sorgt, die bei Publikum und Presse auf unerhörte Resonanz stößt. Dabei ist es einer ureigenen Spielart der Musik seines Namensgebers Anton Bruckner auf der Spur und lässt diese in einem unverwechselbaren oberösterreichischen Klangdialekt hören, der sich in einer Gesamtaufnahme aller Sinfonien in allen Fassungen bis zum heurigen Brucknerjahr 2024 manifestiert. Das BOL ist nicht nur das Sinfonieorchester des Landes Oberösterreich, sondern spielt die musikalischen Produktionen des Linzer
Landestheaters im Musiktheater, einem der modernsten Theaterbauten Europas und Heimstätte des Orchesters. Konzerte beim Internationalen Brucknerfest Linz, Konzertzyklen im Brucknerhaus Linz und spektakuläre Programme im Rahmen des Ars Electronica Festivals gehören ebenso zum Spielplan wie die Aufgabe als Botschafter Oberösterreichs und seines Namensgebers auf nationalen und internationalen Konzertpodien. Seit 2012 hat das BOL einen eigenen Konzertzyklus im Wiener Musikverein und seit 2020 erstmals auch einen im Brucknerhaus Linz. Die Zusammenarbeit mit großen Solist:innen und Dirigent:innen unserer Zeit unterstreicht die Bedeutung des Orchesters, das beim Österreichischen Musiktheaterpreis 2020 als »Orchester des Jahres« ausgezeichnet wurde. 2024 erhielten das Bruckner Orchester Linz und Markus Poschner außerdem den renommierten ICMA Special Achievement Award für die Gesamteinspielung der BrucknerSinfonien.
Dirigent
Seit 2017 ist Markus Poschner Chefdirigent des Bruckner Orchester Linz (BOL). Gemeinsam mit dem BOL begeistert er seither das Publikum und die internationale Presse. Seine Vision ist es, in der Bruckner-Interpretation eigene Wege zu gehen. Höhepunkte dabei waren die Auszeichnungen als »Orchester des Jahres« und »Dirigent des Jahres« beim Österreichischen Musiktheaterpreis 2020. 2010 ernannte ihn die Universität Bremen zum Honorarprofessor, ebenso die Anton Bruckner Privatuniversität in Linz im Jahr 2020. Seit 2015 ist Markus Poschner außerdem Chefdirigent des Orchestra della Svizzera italiana und gewann mit diesem den begehrten International Classical Music Award (ICMA) 2018 für seinen BrahmsSinfonienzyklus. Weitere Auszeichnungen folgten: Gemeinsam mit dem Orchestre National de France erhielt er den Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik 2021, 2024 wurde er mit dem Special Achievement Award der Jury der ICMA für seinen Zyklus der Gesamteinspielung der Bruckner-Sinfonien mit dem Bruckner Orchester Linz und dem ORF RadioSymphonieorchester Wien ausgezeichnet.
Seit seiner Auszeichnung mit dem Deutschen Dirigentenpreis im Jahr 2004 gastiert Markus Poschner regelmäßig bei sämtlichen Spitzenorchestern und Opernhäusern der KlassikWelt, darunter: die Sächsische Staatskapelle Dresden, das Konzerthausorchester und das RundfunkSinfonieorchester Berlin, die Bamberger Symphoniker, die Münchner und die Dresdner Philharmoniker, die Wiener Symphoniker, das Orchestre Philharmonique de Radio France, das NHK Symphony Orchestra, die Netherlands Philharmonic, die Staatsoper Berlin, die Staatsoper Hamburg, die Oper Frankfurt, die Staatsoper Stuttgart und das Opernhaus Zürich. Das Bayreuther Festspielorchester dirigierte er erstmals bei einem Gastspiel in Abu-Dhabi 2019, 2022 und 2023 dann in Bayreuth mit Tristan und Isolde. Ab der Spielzeit 2025/26 wird Markus Poschner zudem Chefdirigent des Sinfonieorchester Basel.
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Impressum
Herausgeberin
Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH, Brucknerhaus Linz, Untere Donaulände 7, 4010 Linz
René Esterbauer, BA MBA, Kaufmännischer Geschäftsführer
Redaktion
Andreas Meier
Biografien
Celia Ritzberger, BA MA
Lektorat
Romana Gillesberger
Gestaltung
Anett Lysann Kraml, Lukas Eckerstorfer
Leiter Programmplanung, Dramaturgie und szenische Projekte
Mag. Jan David Schmitz
Abbildungen
S. Zolak (S. 2), gemeinfrei (S. 6 & 9), U. Harten (S. 11), Österreichische Nationalbibliothek, Wien (S. 13 & 16–17), C. Clarke (S. 19), R. Winkler (S. 20–21), K. Kikkas (S. 23)
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