Ballet for a
Violinist 22. OKTOBER 2023 KAMMERMUSIK I SAISON 2023/24
KOMMENDE HIGHLIGHTS SAISON 2023/24 SO 12 NOV 18:00 GROSSER SAAL Jean-Guihen Queyras & Kompanie Rosas
Johann Sebastian Bachs sechs Cellosuiten in einer Symbiose aus Tanz und Musik
SO 3 DEZ 11:00
MICHAEL ALEXANDER WILLENS & KÖLNER AKADEMIE
GROSSER SAAL
Tanzcharaktere
Michael Alexander Willens | Dirigent
DI 12 DEZ 19:30
Eine Matinée mit Werken von JeanFéry Rebel, Carl Philipp Emanuel Bach und Ludwig van Beethoven
ALEVTINA IOFFE & UNGAR. NATIONAL PHILHARMONIE
GROSSER SAAL
Alexander Malofeev spielt Liszt und Chopin, dazu Suiten aus den Balletten Romeo und Julia und Der wunderbare Mandarin
SO 31 DEZ 19:30
DAS GROSSE SILVESTERKONZERT
Alevtina Ioffe | Dirigentin
GROSSER SAAL Theresa Grabner & Dietmar Kerschbaum
ANNE TERESA DE KEERSMAEKER, JEAN-GUIHEN QUEYRAS, ROSAS
mit dem Operettenklassiker Der Vogelhändler von Carl Zeller Zusätzlich am 5. Jänner im beliebten Varieté-Format!
Karten und Infos: +43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at
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Ballet for a Violinist Sonntag, 22. Oktober 2023, 18:00 Uhr Mittlerer Saal, Brucknerhaus Linz
Vadim Gluzman | Violine Evgeny Sinaiski | Klavier
Saison 2023/24 – Kammermusik I 1. von 3 Konzerten im Abonnement
Brucknerhaus-Debüt
Programm Igor Strawinski (1882–1971) Suite italienne für Violine und Klavier (1932) I Introduzione. Allegro moderato II Serenata. Larghetto III Tarantella. Vivace IV Gavotta con due variazioni. Allegretto – Allegretto più tosto moderato V Scherzino. Presto alla breve VI Minuetto e Finale. Moderato – Molto vivace
Lera Auerbach (* 1973) Lonely Suite. Ballet for a Lonely Violinist für Violine solo op. 70 (2002) I Dancing with oneself (Ein Tanz mit sich selbst). Andante II Boredom (Langeweile). Moderato III No escape (Kein Ausweg). Allegro ossessivo IV Imaginary Dialogue (Imaginärer Dialog). Andantino V Worrisome Thought (Quälender Gedanke). Moderato VI Question (Frage)
Béla Bartók (1881–1945) Rumänische Volkstänze für Klavier Sz. 56 (1915) [1925 erstellte Transkription für Violine und Klavier von Zoltán Székely (1903–2001)] Nr. 1. Der Tanz mit dem Stabe. Allegro moderato Nr. 2. Brâul. Allegro Nr. 3. Der Stampfer. Andante Nr. 4. Tanz aus Butschum. Moderato Nr. 5. Rumänische Polka. Allegro Nr. 6. Schnell-Tanz. Allegro
– Pause –
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Johann Sebastian Bach (1685–1750) Ciaccona, V. Satz aus: Partita II d-Moll für Violine solo BWV 1004 (um 1720) [Fassung mit 1852–53 hinzugefügter Klavierbegleitung von Robert Schumann (1810–1856)] Alfred Schnittke (1934–1998) Suite im alten Stil für Violine und Klavier (1972) I Pastorale. Moderato – II Ballet. Allegro III Minuet. Tempo di Minuetto – IV Fugue. Allegro – V Pantomime. Andantino
Maurice Ravel (1875–1937) Tzigane. Rapsodie de Concert D-Dur für Violine und Klavier M. 76 (1924)
Konzertende ca. 19:45
Brucknerhaus-Premiere 5
alla breve Das Programm auf einen Blick
Bühne frei für einen Tanz durch die Jahrhunderte, einen Tanz durch Klangraum und Raumklang, durch Stile und Formen, in dem Altes auf Neues, packende Volkstänze auf kunstvolle Polyphonie, Virtuo ses auf Introvertiertes, Beschwingtes auf Bedächtiges und Zweisa mes auf Einsames trifft! Hier steht Igor Strawinskis doppelbödiges Maskenspiel der Suite ita lienne – eine Bearbeitung seines Balletts Pulcinella – neben der titel gebenden Lonely Suite, einem Ballett für einen einsamen Geiger der zeitgenössischen russisch-österreichischen Komponistin Lera Auer bach, in dem Instrument und Spieler frei von effektvollem Bühnen zauber ganz sich selbst überlassen sind. Epochen reichen sich hier die Hände zum Pas de deux, Gattungen und Klangwelten umfangen und durchdringen sich, wenn die mitreißenden, auf Volksweisen basieren den Rumänischen Volkstänze Béla Bartóks und der ungarische ,Zigeu nermusik‘ heraufbeschwörende Tzigane Maurice Ravels mit Alfred Schnittkes zugleich zurück- und vorausblickender Suite im alten Stil und Johann Sebastian Bachs kunstvoll polyphoner Ciaccona zum Tanz bitten!
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Ballett für einen Geiger MASKERADEN Eine Maskerade. Ein Vexierspiel. Ein Spiegel, im Spiegel ... im Spiegel: Zum einen ist Igor Strawinskis 1932 vollendete Suite italienne für Violine und Klavier eine gemeinsam mit dem Geiger Samuel Dushkin erarbeitete Fassung des kurz zuvor mit dem Cellisten Gregor Piatigorsky erstellten gleichnamigen Stückes für Violoncello und Klavier, das seinerseits wiederum auf der 1925 komponierten Suite d’après des thèmes, fragments et morceaux de Giambatista Pergolesi Stra winskis basiert; zum anderen handelt es sich bei allen drei Stücken um Arrangements des Balletts Pulcinella, mit dessen neoklassizis Igor Strawinski, Fotografie der Agentur Bain News Service, um 1920
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Igor Strawinski Suite italienne
tischer Eleganz Strawinski sich 1920 nach seinem spätromantisch glühenden Feuervogel und dem skandalös archaischen Sacre du prin temps noch einmal neu erfunden hatte; und zuletzt ist eben jenes Ballett Pulcinella seinerseits ein musikalisches Spiegelbild, eine Zusammenstellung und Bearbeitung barocker und frühklassischer Tanz musik aus den Federn Giovanni Battista Pergolesis, Unico Wilhelm Zum Zeitpunkt der Kompositi on wurden die Werke fälsch licherweise ausnahmslos Pergolesi zugeschrieben, daher auch der Titel Suite d’après des thèmes, fragments et morceaux de Giambatista Pergolesi.
van Wassenaers, Carlo Ignazio Monzas und Domenico Gallos. Und wie die Figur des maskierten Pulcinella, jenes gerissenen, buchstäblich schwer zu greifenden Emporkömmlings im neapolitanischen Theater, so glänzt auch die Suite italienne als Protagonistin eines vielschich tigen Spiels mit Täuschungen und doppelten Böden. Ein maskiertes Stück, das gewissermaßen nichts zur Gänze und doch alles zugleich ist: Die neckisch stolpernden Taktwechsel und Akzentverschiebungen, mit denen Strawinski die musikalischen Vorlagen für sein Ballett ge würzt hatte, die mitreißenden rhythmischen Patterns und kontrapunk tischen Feinheiten, um die er sie bereichert hatte, finden sich hier ebenso wie bewusst kammermusikalisch reduzierte Momente, solistische Kapriolen und virtuose Doppelgriffpassagen. Während die ele gante Introdukion, die wiegende Serenata und die lyrische Gavotta noch vergleichsweise brav entlang der Pfade barocker Vorgänger tän zeln, rüttelt die an dritter Stelle stehende Tarantella mit wilden Synko pen und rhythmischen Verschiebungen bereits merklich am traditio nellen Gefüge, ehe sich Strawinski im nervös zuckenden Scherzino und dem sich unablässig steigernden Schlusspaar aus Minuetto und Finale schließlich grinsend als Figur hinter der selbstgestalteten Pul cinella-Maske zu erkennen gibt – als Bild im Bild im Bild! EIN SELBSTGESPRÄCH IN TÖNEN Vollkommen unmaskiert, ja geradezu entwaffnend direkt tritt uns dagegen die Lonely Suite op. 70 der russisch-österreichischen Kom ponistin Lera Auerbach entgegen. Nicht um Virtuosität oder Expres sivität, um das Zur-Schau-Stellen technischer Raffinesse kreisen die sechs Sätze dieses Balletts für einen einsamen Geiger; das 2002 für Vadim Gluzman komponierte Werk dreht sich, so Auerbach, um die Themen „Einsamkeit und Gebrochenheit“ und beschäftigt sich in sei ner drastischen Reduktion des musikalischen Materials „mit den eige
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Lera Auerbach Lonely Suite
Lera Auerbach, Fotografie von Rafael DeStella
nen Ängsten […], mit der Stille und der unentrinnbaren Selbstschau“. Es ist eine szenische, fast plastisch greifbare Musik. Ein Bühnenstück, das sich jedoch bewusst jedweder Theatralik und großen Geste ver weigert, sondern stattdessen ins Innere des Protagonisten führt, wo wir Zeuge eines faszinierenden Zwiegesprächs zwischen Interpret und Instrument werden. So folgt auf einen in zögerlichen Pizzicati ziellos kreisenden Tanz mit sich selbst unausweichlich die Langeweile, die sich laut Partituranweisung „traurig“ und „mit mattem Klang“ in tri vialen Kadenzfloskeln am Ton d abarbeitet. Vergebens versucht der anschließende Satz Kein Ausweg dieser Stimmung, die ihn nunmehr wie ein Kerker umschlossen hält, mit geradezu manisch auf- und ab schwirrenden Doppelgriffen, Akkordbrechungen und Trillerfiguren zu entfliehen. Erschöpft versinkt der Spieler in einen Imaginären Dialog, dessen gedämpfte, träumerische Klänge jedoch schon bald vom ner vösen Pochen eines Quälenden Gedankens jäh unterbrochen werden. Zuletzt bleibt eine Frage, ein beliebig oft wiederholtes Dreiton-Motiv, das alles zuvor Gehörte zugleich umkreist und hinter sich zu lassen scheint. 9
Béla Bartók Rumänische Volkstänze
NEUES IM ALTEN Nachdem er eigenen Angaben zufolge in seinen Lehrjahren „die Mu sikliteratur von Bach bis Brahms – Wagner jedoch nur bis zum Tann häuser“ intensiv studiert hatte, wandte sich der ungarische Kompo In den 1870er-Jahren entwickeltes Gerät zur Aufnahme und Wiedergabe von Schall mittels Tonwalzen
nist Béla Bartók auf der Suche nach seinen musikalischen Wurzeln und zugleich nach neuen kompositorischen Wegen fernab ausgetre tener Pfade ab 1906 der Erforschung und Aufzeichnung traditionel ler „Bauernmusik“, wie er sie nannte, zu. So unternahm er zwischen 1907 und 1918 nicht weniger als 34 Forschungsreisen in die entle gensten Gegenden Ungarns, Rumäniens und der Slowakei, wo er, meist mit einem Phonographen ausgestattet, knapp 10.000 Melodien und Volkslieder aufzeichnete. Vor allem faszinierte ihn dabei die me lodische und rhythmische Individualität jener Musik fernab musik theoretischer Normen. „Das Studium all dieser Bauernmusik war deshalb von entscheidender Bedeutung für mich, weil sie mich auf die
Béla Bartók beim Aufzeichnen von Volksliedern in Zobordarázs (heute: Dražovce, Slowakei), 1907 10
Béla Bartók Rumänische Volkstänze
Möglichkeit einer vollständigen Emanzipation von der Alleinherrschaft des bisherigen Dur-Moll-Systems brachte“, hielt er in seiner Autobio graphie fest. „Denn der weitaus überwiegende und gerade wertvolle Teil des Melodieschatzes ist in den alten Kirchentonarten bzw. in altgriechischen und gewissen noch primitiveren (namentlich pentato nischen) Tonarten gehalten und zeigt außerdem mannigfaltigste und freieste rhythmische Gebilde und Taktwechsel“. Das Quellenmate rial für seine 1915 vollendeten Rumänischen Volkstänze für Klavier Sz. 56 sammelte Bartók in den Jahren 1910 bis 1912. So stammt etwa der wuchtig aufstampfende Tanz mit dem Stabe im ersten Stück von zwei rumänischen Roma aus Mureș, während die leichtfüßig tän zelnde Melodie des zweiten und das von geheimnisvollen Trillern und Seufzern durchzogene Lied des dritten Stücks von einem Bauern im ungarischen Torontal auf einer Blockflöte vorgetragen wurde. Die gera dezu atemlos voranstürmenden Nummern 5 und 6 basieren wiede rum auf zwei von einem jungen Geiger in Beiuș gespielten Volkswei sen. Besondere Beachtung verdient das vierte Stück: Zwar gelang es Bartók, die sehnsuchtsvoll schwankende Melodie in das Korsett ei nes 3/4-Takts zu zwängen, dem ganz individuellen Rhythmus des Originals scheint er damit jedoch nur in Teilen Genüge geleistet zu haben. Später änderte er die Notation sogar zu einem 10/16-Takt. Da das Material der Rumänischen Volkstänze aus dem zu jener Zeit ungarischen Siebenbürgen stammt, nannte Bartók das Werk zunächst Rumänische Volkstänze aus Ungarn, ein Zusatz, der nach der Einglie derung Siebenbürgens in Rumänien 1920 obsolet wurde. EIN ZEITLOSES MEISTERWERK Die Chaconne ist mir eines der wunderbarsten, unbegreiflichs ten Musikstücke. Auf ein System, für ein kleines Instrument schreibt der Mann eine ganze Welt von tiefsten Gedanken und gewaltigsten Empfindungen. Wollt ich mir vorstellen, ich hätte das Stück machen, empfangen können, ich weiß sicher, die übergroße Aufregung und Erschütterung hätte mich verrückt ge macht. Hat man nun keinen größten Geiger bei sich, so ist es wohl der schönste Genuss, sie sich einfach im Geist tönen zu lassen. 11
Johann Sebastian Bach Ciaccona
Erste Seite der Ciaconna aus der Partita II d-Moll in Johann Sebastian Bachs Handschrift, 1720
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Johann Sebastian Bach Ciaconna
Derart überschwänglich fasste kein Geringerer als Johannes Brahms die Faszination von Johann Sebastian Bachs Ciaccona, dem Schluss satz aus dessen Partita II d-Moll für Violine solo BWV 1004, in einem Brief vom Juni 1887 an Clara Schumann zusammen. Zum einen umweht das Stück aufgrund seiner kompositorischen Virtuosität, satztechnischen Dichte und technischen Komplexität ein geradezu mystischer Hauch des Enigmatischen, der durch die jüngeren For schungsergebnisse der Geigerin und Musikwissenschaftlerin Helga Thoene noch verstärkt wird: Thoene entdeckte Choralzitate, die Bach seinem Werk an ausgewählten Passagen als Cantus firmus zugrunde legte und bringt diese in Verbindung mit dem plötzlichen Tod seiner ersten Ehefrau Maria Barbara im Jahr 1720. Zum anderen überwältigt das Stück auch abseits aller theoretischer Hintergründe mit seiner expressiven Kraft und seinen geradezu überirdischen melodischen Schönheiten. Und dennoch war das Werk, wiepraktisch Bachs ge samtes musikalisches Schaffen, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun derts nur einem engen Kreis musikalischer Kenner*innen bekannt,
lat. feststehen der Gesang; festgelegte Hauptmelodie eines mehr stimmigen Stückes, die von anderen Stimmen um spielt wird
Stücke wie die Violinsonaten und -partiten oder auch die beiden Bän de des Wohltemperierten Klaviers galten allenfalls als Studien- und Übungswerke, nicht jedoch als Konzertliteratur. Erst Robert Schu mann, der Bachs Ciaccona in den Jahren 1852 und 1853 um eine Klavierbegleitung erweiterte, entriss das Werk dem angestaubten Stu dierzimmer und verschaffte einem „der wunderbarsten, unbegreif lichsten Musikstücke“ wieder Gehör. ALTES IM NEUEN Ein von sanften Punktierungen durchzogener, galant wiegender 6/8Takt, Melodiebögen, hie und da ein zarter Triller, ehe eine bezaubern de Quintfallsequenz in eine geradezu lehrbuchartige Kadenz mündet: Hört man diese einleitenden Takte, so meint man, ein Werk des Ba rocks oder der frühen Klassik vor sich zu haben. Niemand anderer je doch als Alfred Schnittke hat diese Klänge 1972 zu Papier gebracht und mit der Suite im alten Stil ein eindrucksvolles Beispiel seiner im 20. Jahrhundert wohl einzigartigen genre- und epochenübergreifenden Stilistik geschaffen. Das virtuose Spiel mit unterschiedlichen Kom positionsmethoden, mit alten und neuen Formen, ist bei Schnittke je 13
Alfred Schnittke Suite im alten Stil
Alfred Schnittke, Fotografie von Betty Freeman, 1990
doch keinesfalls Selbstzweck: „Man kann mit Hilfe einer modernen musikalischen Sprache komponieren, indem man ihren Elementen einen archaischen Modus verleiht, oder umgekehrt: indem man die alte Sprache verwendet, jedoch mit der Logik der gegenwärtigen Entwicklung. Dies führt unvermeidlich zu einer Paradoxie der musikali schen Logik, die sich in keinerlei Rahmen eines Stils zwingen lässt“, hielt er selbst fest. „Polystilistik ist für mich eine bewußte Ausspie lung der Stilunterschiede, wodurch ein neuer musikalischer Raum entsteht und eine dynamische Formgestaltung wieder ermöglicht wird, die durch Überholung des tonalen Denkens im Laufe der Avant garde-Entwicklung unmöglich geworden war.“ Indem Schnittke die ihm zu eng gewordenen Grenzen der Avantgarde sprengte, ihre zum Dogma erstarrten Denkmuster durchbrach, erschloss er sich selbst immer wieder neue künstlerische Wege, auf denen er – ähnlich wie Strawinski vor ihm – scheinbar Disparates kombinierte, scheinbar 14
Maurice Ravel Tzigane
Veraltetes neue belebte und das Traditionelle im Modernen erkann te. Bei alldem erscheint es nur konsequent, dass auch die Suite im alten Stil selbst keinesfalls als homogenes, in sich geschlossenes Werk konzipiert wurde. So hatte Schnittke die Sätze I, II und V ur sprünglich 1965 für Elen Klimows Film Die Abenteuer eines Zahn arztes komponiert und erst sieben Jahre später eine um zwei Sätze erweiterte Fassung für Violine und Klavier zur Suite im alten Stil zu sammengestellt. Schnittkes eigener Vorsatz, „einmal ganz naiv zu schreiben“, wird dem Werk bei aller traditionellen Beschaulichkeit al lerdings nur in Teilen gerecht. Hie und da mischen sich ,Unregelmä ßigkeiten‘ in den musikalischen Ablauf, wenn etwa die leichtfüßig im Schleier des Bühnenlichtes tänzelnde Pantomime des Schlusssatzes mit einem Mal von einer gellenden Dissonanz erhellt wird und das Werk mit eben jenem fragenden Triller endet, der schon den ersten Satz beschlossen hat; als wolle uns der Komponist auf eben jene „Paradoxie der musikalischen Logik“ hinweisen, „die sich in keinerlei Rahmen eines Stils zwingen lässt“. „RAVEL GEGEN PAGANINI“ Wäre es Ihnen möglich, in zwei oder drei Wochen nach Paris zu kommen? Wenn ja, würde ich Sie gerne wegen der Tzigane sehen, die ich eigens für Sie schreibe, die Ihnen gewidmet sein wird und im Programm für London die Sonate ersetzen wird, welche ich für den Augenblick aufgegeben habe. Tzigane soll ein hochvirtuoses Stück werden. Einige Passagen werden eine brillante Wirkung erzielen, sofern sie ausführbar sind, dessen ich mir nicht immer sicher bin. Mit diesen Worten wandte sich Maurice Ravel am 13. März 1924 an die aus Ungarn stammende englischen Geigerin Jelly d’Arányi, der er sein neues Werk, die Rapsodie de Concert D-Dur für Violine und Klavier mit dem Titel Tzigane (frz. Zigeuner) auf den Leib schreiben wollte. Nur wenige Tage später gestand er jedoch dem befreunde ten Kollegen Roland-Manuel: „Fast nichts von Tzigane ist bisher geschrieben.“ Letztlich blieben Arányi, der Nichte des legendären Geigers Joseph Joachim, nur vier Tage, um das hochvirtuose Werk 15
Maurice Ravel Tzigane
für die Uraufführung am 26. April 1924 mit dem Pianisten Henri GilMarchex einzustudieren. Zwei Jahre zuvor waren sich beide, Geige rin und Komponist, erstmals begegnet: Ravel hatte am 8. April 1922 der Uraufführung von Béla Bartóks Sonate Nr. 1 für Violine und Kla vier beigewohnt, die jener gemeinsam mit Arányi in Paris bestrit ten hatte, und bereits zu diesem Zeitpunkt den Entschluss gefasst, eine Sonate im ,ungarischen Ton‘ für sie zu komponieren. Bekräftigt wurde dieser Entschluss auch wenige Wochen später, als Ravel während eines Aufenthalts in London zu einer musikalischen Soiree bei Maurice Ravel, Fotografie des Studios Lipnitzki, um 1930
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Maurice Ravel Tzigane
der Sängerin Louise Alvar geladen war und von der Kunst der eben falls anwesenden Arányi abermals derart hingerissen war, dass er, wie sich ihre Klavierbegleiterin Gaby Casadesus erinnerte, „die unga rische Geigerin zu später Stunde bat, einige Zigeunerweisen zu spie len. Jelly d’Arányi machte sich ans Werk, woraufhin der Komponist nicht mehr aufhörte, nach immer neuen Stücken zu verlangen und das bis fünf Uhr morgens.“ Mit dem spätestens zu Beginn des Jahres 1924 gefassten Ent schluss, die geplante Violinsonate zugunsten der freieren Form der Konzert-Rhapsodie aufzugeben, wuchs gleichsam Ravels Verlangen, die spieltechnischen und klanglichen Möglichkeiten der Geige in größt möglichem Maße auszuschöpfen. So ließ er sich etwa von der be freundeten Geigerin Hélène Jourdan-Morhange die berühmt-berüch tigten 24 Capricci für Violine solo von Nicolò Paganini vorspielen: „Er wollte sie alle hören, um sich in puncto entfesseltes Geigenspiel nichts entgehen zu lassen“, erinnerte sie sich später. „Er amüsierte sich über die härtesten Schwierigkeiten und ließ mich diesen und jenen Effekt mit kleinen diabolischen Verbesserungen ausprobieren. Mit Tzi gane gewann er auf diese Weise unumstritten den Wettkampf Ravel gegen Paganini.“ Tatsächlich gilt das von komplexen Doppelgriffen, vierstimmigen Akkorden, Trillern und Glissandi durchzogene Werk, dessen freie, rhapsodische Form an jene des ungarischen Csárdás angelehnt ist, bis heute als eines der anspruchsvollsten der Literatur. Andreas Meier
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Biographie
Vadim Gluzman Violine
Vadim Gluzman haucht der goldenen Ära der Violintradition des 19. und 20. Jahrhunderts neues Leben und Leidenschaft ein. Sein breit ge fächertes Repertoire umfasst aber auch Neue Musik und seine Auftritte sind weltweit durch Liveübertragungen und einen beeindrucken den Katalog preisgekrönter Aufnahmen exklusiv für das Label BIS zu hören. Der israelische Geiger konzertiert weltweit mit führenden Or chestern und Dirigenten, darunter das Boston Symphony Orchestra und das Orchestre de Paris (mit Tugan Sokhiev), die Berliner Philhar moniker, das Chicago Symphony Orchestra und das Orchestre de la Suisse Romande (mit Neeme Järvi), das Royal Concertgebouw Or chestra und das Gewandhausorchester (mit Riccardo Chailly) sowie die Göteborger Symphoniker und das Cleveland Orchestra (mit Hannu Lintu und Michail Jurowski). Er tritt bei Festivals in Ravinia, Tangle wood, Grant Park, Colmar und beim North Shore Chamber Music Fes tival auf, das er 2011 gegründet hat. Zu den Höhepunkten der Saison 2023/24 zählen Auftritte mit den Bamberger Symphonikern, dem Stavanger und dem BBC Symphony Orchestra, dem Philharmonia Orchestra und dem Luzerner Sinfonie orchester sowie Projekte mit dem Hamburger Staatsballett, zusam men mit Angela Yoffe und Ani Aznavoorian. Zudem leitet er Auffüh rungen mit dem ProMusica Chamber Orchestra in Columbus, Ohio, wo er als Creative Partner und Principal Guest Artist tätig ist. Vadim Gluzman hat Werke von Sofia Gubaidulina, Moritz Eggert, Mi chael Daugherty, Giya Kancheli, Elena Firsova, Pēteris Vasks und Lera Auerbach uraufgeführt. Im April wird er die Europa-Premiere des 3. Vio linkonzerts von Erkki-Sven Tüür mit dem hr-Sinfonieorchester in der Alten Oper Frankfurt spielen. Als Distinguished Artist in Residence am Peabody Institute der John Hopkins University in Baltimore spielt Vadim Gluzman auf der legendären Stradivari „ex-Leopold Auer“ von 1690, einer Leihgabe der Stradivari Society of Chicago. 18
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Biographie
Evgeny Sinaiski Klavier
Evgeny Sinaiski wurde in Sankt Petersburg geboren und stammt aus einer berühmten Musiker*innenfamilie. Er absolvierte das Sankt Pe tersburger Konservatorium „N. A. Rimski-Korsakow“ und setzte sei ne Studien am Königlichen Konservatorium in Den Haag fort. Er ist Preisträger zahlreicher Klavier- und Kammermusikwettbewerbe, un ter anderem des Internationalen Musikwettbewerbs der ARD in Mün chen. Er wurde mit dem Sonderpreis als bester Korrepetitor bei Vio linwettbewerben in Poznań und Wrocław (Polen) ausgezeichnet und erhielt einen Praktikumspreis beim International Musicians Seminar Prussia Cove in Großbritannien und am Pariser Konservatorium. Evgeny Sinaiskis Konzerttätigkeit als Solist, Kammermusiker und Kor repetitor führte ihn in die renommiertesten Konzertsäle der Welt, darunter die St. Petersburger und Moskauer Philharmonie, das Mos kauer Konservatorium, der Wiener Musikverein und das Konzerthaus Wien, das Mozarteum Salzburg, die Alte Oper Frankfurt, das Concert gebouw in Amsterdam, der Herkules-Saal in München, das Palais des Beaux-Arts in Brüssel, sowie in die USA, nach Italien und Großbri tannien. Zu seinen musikalischen Partner*innen zählten und zählen Größen wie Pinchas Zukerman, Lynn Harrell, Boris Kuschnir, Shmuel Ashkenasi, Hatto Beyerle, Helmut Zehetmair, Ivan Monighetti, Latica Honda-Rosenberg, Janine Jansen, Leonid Gorokhov, Dora Schwarz berg, Jens Peter Maintz, Vadim Gluzman, Alexander Zemtsov und Tho mas Christian. Seit 1996 ist er Korrepetitor der Summer Acadamy der Bayerischen Musikakademie in Marktoberdorf (Deutschland), seit 2000 engagiert man ihn jährlich auch an der Internationalen Sommer akademie der Universität Mozarteum Salzburg. Zudem arbeitet er seit 2012 mit der deutschen Festival-Akademie Villa Musica zusammen. Evgeny Sinaiski ist Professor für Kammermusik an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien und unterrichtet Klavierduo an der Folkwang Universität der Künste in Essen. 20
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ab 200 jahre
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a n t o n - b r u c k n e r -2 0 2 4 . a t #antonbruckner2024
HIGHLIGHTS BRUCKNER-JAHR 2024 MO 1 JÄN 17:00 GROSSER SAAL
Eröffnungskonzert mit dem Bruckner Orchester Linz A. Bruckner: Scherzi aus der ‚Nullten‘ und ‚Neunten‘ u. a.
SA 23 MÄR 18:30
ZUBIN MEHTA & WIENER PHILHARMONIKER
Markus Poschner | Dirigent
Markus Rupprecht | Orgel Zubin Mehta | Dirigent
NEUJAHRSKONZERT
GROSSER SAAL
DI 10 SEP 19:30 GROSSER SAAL Philippe Herreweghe | Dirigent
DO 19 SEP 19:30 GROSSER SAAL Christian Thielemann | Dirigent
FR 4 OKT 19:30 GROSSER SAAL
Festkonzert zum 50-Jahr-Jubiläum des Brucknerhauses Linz mit Bruckners ,Siebenter‘
PHILIPPE HERREWEGHE & ORCHESTRE DES CHAMPS-ÉLYSÉES Übersteigern – Bruckners ,Achte‘ im Originalklang
CHRISTIAN THIELEMANN & WIENER PHILHARMONIKER Bruckners ,Erste‘
KENT NAGANO & CONCERTO KÖLN Verklären – Bruckners ,Vierte‘ im Originalklang
Kent Nagano | Dirigent
Karten und Info: +43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at 23
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S E G JUN ET K C I T S E G JUN ABO
ICKET T N E G m JUN onzert! e d Welt t i M K rende ie s in z n s rig i die fa ruckne TICKET te im B r günst e z n o NGEN K
dem JU ssliche nverge ke mit c u ** e e d b t n E erle 0,– ik und nur € 1 s u n o M v r de reis ran** (für Ve aren P z! b g in L la ,– s h 7 c u ha ng, uns w. € , Lehrli aal) bz et zum in S k * r n ic e T le ß r ro chü dein re) ode n im G b du S Hol dir 27 Jah . Egal o altunge t l) is s a n (b a ! a S h r r e ic (für Ve ittleren ll für d ivildien en im M wehr- oder Z t spezie g is n t u o lt b a ir e st rund here d es Ang t*in, G t – dies test, sic is h c b Studen ö d e m li en o-Mitg aß hab Ö1 intr ehr Sp m eilen. t h r c den en Vo du no iv s n n lu ich von k e d x w s e s d it la n U nd nerOm elten u GE AB s Bruck w N in g U n J m la s K om da erden! seln. K egende tern w in aufr gen fes is n e in u g t e e ie b e h rb Tauch den Da , die dic nzerte rucken o d K in e e b e b erle inz und gen, haus L staltun tveran
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VORSCHAU: Kammermusik in der Saison 2023/24
Boulanger Trio Fantastische Tänze
Mittwoch, 17. Jänner 2024, 19:30 Uhr Mittlerer Saal, Brucknerhaus Linz Werke von Antonín Dvořák, Clemens von Franckenstein, Johannes Brahms, Solomon Rosowsky, Mieczysław Weinberg Boulanger Trio Birgit Erz | Violine Ilona Kindt | Violoncello Karla Haltenwanger | Klavier
Karten und Info: +43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at Herausgeberin: Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH, Brucknerhaus Linz, Untere Donaulände 7, 4010 Linz CEO: Mag. Dietmar Kerschbaum, Künstlerischer Vorstandsdirektor LIVA, Intendant Brucknerhaus Linz; Dr. Rainer Stadler, Kaufmännischer Vorstandsdirektor LIVA Redaktion & Texte: Andreas Meier | Biographien & Lektorat: Romana Gillesberger | Gestaltung: Anett Lysann Kraml Leiter Programmplanung, Dramaturgie und szenische Projekte: Mag. Jan David Schmitz Abbildungen: A. Van Aerschot (S. 2 [1. v. o.]), J. Casares (S. 2 [2. v. o.]), V. Goriachev (S. 2 [3. v. o.]), R. Mittendorfer (S. 2 [4. v. o.]), Library of Congress, Washington, D.C. (S. 7), R. DeStella (S. 9), Bartók Archívum Budapest (S. 10), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (S. 12), Los Angeles Philharmonic Archives (S. 14), privat (S. 16 & 21), M. Borggreve (S. 19), V. Weihbold (S. 23 [1. v. o.]), M. Rittershaus (S. 23 [2. v. o.]), M. Hendryckx (S. 23 [3. v. o.]), M. Creutziger (S. 23 [4. v. o.]), S. Veranes (S. 23 [5. v. o.]), N. Lund (S. 26) Programm-, Termin- und Besetzungsänderungen vorbehalten LIVA – Ein Mitglied der Unternehmensgruppe Stadt Linz
Seika Ishida
Gewinnerin des 3. Bechstein-BrucknerWettbewerbs Österreich Werke von Schumann, Rachmaninoff und Skrjabin
Foto: privat
C. BECHSTEIN KLAVIERABEND 16. November 2023 · 19:30 Uhr VERANSTALTUNGSORT UND KARTEN
Brucknerhaus Linz · Untere Donaulände 7 · 4010 Linz +43 (0) 732 77 52 30 · kassa@liva.linz.at C. Bechstein Centrum Linz / Klaviersalon Merta GmbH Bethlehemstraße 24 · A-4020 Linz · +43 (0) 732 77 80 05 20 linz@bechstein.de · bechstein-linz.de