Huelgas Ensemble
Innovation und Experiment
Sonntag, 4. Juni 2023, 18:00 Uhr Mittlerer Saal, Brucknerhaus Linz
Saison 2022/23 – Chorkonzerte III 3. von 3 Konzerten im Abonnement
Programm
Perotinus (um 1170–1246)
„Viderunt omnes“. Organum à 4 (um 1198)
Pierre de Manchicourt (um 1510–1564)
„Jubilate Deo“ Motette à 6, aus: Liber quatuor missarum
musicalium nec non aliquot carminum ecclesiasticorum
Petre de Manchicourt (um 1560)
Anonymus (zypriotisch)
„O radix Jesse“. Doppelmotette à 4 (um 1380)
Antoine Brumel (um 1460–1512)
Agnus Dei à 4, aus: Missa „Ut re mi fa sol la“ (1503)
Solage (fl. 1380–1400)
„Fumeux fume par fumee“. Rondeau à 3 (o. J.)
Cipriano de Rore (1515/16–1565)
„Calami sonum ferentes“. Madrigal à 4 (1555)
Guillaume de Machaut (um 1300–1377)
Gloria à 4, aus: Messe de Nostre Dame (um 1360)
– Pause –
Jacobus Clemens non Papa (um 1510/15–1555/56)
„Qui consolabatur me“. Motette à 5 (1554)
Luca Marenzio (1553/54–1599)
„Solo e pensoso i più deserti campi“. Madrigal à 5, aus:
Il nono libro de madrigali a cinque voci (1599)
Scipione Lacorcia (fl. 1590–1620)
„Stravagante pensiero“. Madrigal à 5, aus: Il terzo libro de madrigali a cinque voci (1620)
Anonymus
„Alleluia Judicabunt sancti nationes“. Organum à 2, aus: Winchester Tropar (10./11. Jahrhundert)
Antonio Mogavero (fl. 1590–1600)
Lamentationes Jeremiae Prophetae in feria sexta Parasceve à 6 (o. J.)
Konzertende ca. 19:45
Besetzung
Huelgas Ensemble
Paul Van Nevel | Leitung
Die Zukunft der Vergangenheit
Beim Thema „Zukunft(s)Musik. Ausblick – Aufbruch – Avantgarde“ denkt man gemeinhin nicht an die Musik der Renaissance oder gar des Mittelalters. Völlig zu Unrecht, wie die heutige Zusammenschau der waghalsigsten kontrapunktischen Experimente des Mittelalters, der Renaissance und des Barocks zeigt. Klassiker wie das „Viderunt omnes“ von Magister Perotinus erklingen dabei ebenso wie heute vollkommen unbekannte Werke, darunter das geradezu verrückt chromatische „Stravagante pensiero“ des Neapolitaners und Gesualdo-Anhängers Scipione Lacorcia.
„[…] DIE EWIG DAUREN SOLL“
aus Johann Joseph Fux’ Lehrwerk Gradus ad parnassum, 1725
Vom Kirchenstyl
Gleich wie geistliche Dinge den Vorzug vor den weltlichen haben, also wird niemand zweifeln, daß die zur Verehrung GOttes gewidmete Musik, die ewig dauren soll, weit edler als alle andere sey, und man derohalben sich besonders auf solche befleißigen müsse. Weil nun GOtt die allerhöchste Vollkommenheit ist, so soll auch die Musik die zu seinem Lob abgefaßt, so genau nach den Regeln und so vollkommen, als es die menschliche Unvollkommenheit leidet, eingerichtet seyn, und alle Mittel, die zur Erweckung der Andacht dienen, in sich halten. Und wenn manchmahl der Ausdruck des Textes einige Freude erheischet, hat man sich in Obacht zu nehmen, daß die Musik nicht daby an der Bedachtsamkeit, die in der Kirche nöthig ist, und an der
Bescheidenheit und Zierde einigen Mangel leide, wodurch man die Zuhörer zu andern, als andächtigen Leidenschafften bewegen würde. Vor allem hat man sich dahin zu bestreben, daß die Melodie dem Text gemäß gesetzt wird, solchen deutlich ausdrückt, und dem Sänger nicht beschwerlich ist, sondern sich leicht absingen läßt: dieses wird geschehen, wenn der Componist unter die allzu kleinen Noten keine
„[...] die ewig dauren soll“
Johann Joseph Fux: Gradus ad parnassumSingende Engel, Ausschnitt aus dem Genter Altar der Brüder Hubert und Jan van Eyck, 1432
„[…] und dies ist ausdrücklich verboten“
Anonymus: Cum notum sit
Worte legt, es wäre denn, daß ein selbst lautender Buchstabe ohne das Wort auszusprechen, ausgedehnet werden soll, in welchem Fall die kleinen Noten nach Befinden der Geschicklichkeit des Sängers statt finden. Um dieses alles zu vollziehen, muß ein Componist einem geschickten Schneider nachahmen, der alle Glieder des Leibes nach der Länge und Breite genau abmisst, damit er ein Kleid zuwege bringe, daß sich vollkommen zu dem Leibe schickt: Eben so soll auch ein Componist den Text einkleiden, und auf die Bedeutung und den Ausdruck desselben sehen, daß die nach Beschaffenheit der Worte eingerichtete Melodie nicht nur zu singen, sondern auch zu reden scheine.
„[…] UND DIES IST AUSDRÜCKLICH VERBOTEN“
Cum notum sit, anonym veröffentlichte Abhandlung, um 1350
Und allen voran soll dies die erste Feststellung über den Kontrapunkt sein: Kontrapunkt ist nichts anderes, als einen Punkt gegen einen Punkt
[Original: punctum contra punctum] zu setzen oder zu machen, und er ist das Fundament des Discantus. Und weil nichts aufgebaut werden kann, ohne dass zunächst ein Fundament erstellt wurde, so kann niemand diskantieren, ohne zuvor Kontrapunkt gemacht zu haben.
Daher sage ich als zweite Feststellung: Konsonanzen gibt es sieben, nämlich Einklang, Terz, Quinte, Sexte, Oktave, Dezime und Duodezime.
Die dritte Feststellung ist, dass es vier vollkommene und drei unvollkommene [Konsonanzen] gibt. Vollkommen sind der Einklang, die Quinte, die Oktave und die Duodezime; unvollkommen die Terz, Sexte und Dezime.
Die vierte Feststellung lautet, dass der Kontrapunkt mit einer vollkommenen Konsonanz beginnen soll. Der Grund dafür ist, wie Boethius sagt, dass der Anfang nicht mit verringerten und verzehrten, sondern mit ganzen und absoluten Dingen geschieht. Doch nach dem Vollkommenen muss etwas Unvollkommenes folgen; der Grund dafür ist, wie Boethius ebenfalls sagt, dass ja alles Vollkommene sich vor dem weniger Makellosen auszeichnet.
Anonymus: Cum notum
Die fünfte Feststellung lautet, dass man in seinem Kontrapunkt nicht jeweils zwei Duodezimen, zwei Oktaven, zwei Quinten oder zwei Einklänge nacheinander bringen darf, aber man kann sehr wohl von der Duodezime in die Oktave, von der Oktave in die Quinte, von der Quinte in den Einklang ab- und auch aufsteigen; doch man sagt, dass es besser ist, wenn einmal eine vollkommene und dann eine unvollkommene Konsonanz gesungen wird.
Die sechste Feststellung lautet, dass man in seinem Kontrapunkt zwei oder höchstens drei unvollkommene Konsonanzen geben kann; danach muss eine vollkommene folgen.
Die siebte Feststellung lautet, dass im Kontrapunkt nicht zwei die gleichen Noten über zwei Tempora [i. e. zwei Breven] sein dürfen, auch wenn zu der ersten eine Quinte und zur anderen eine Sexte klingt. Der Grund dafür ist möglicherweise der, dass dann der Tenor diskantieren würde, und dies ist ausdrücklich verboten.
Die achte Feststellung lautet, dass die Penultima [i. e. der vorletzte Ton] im Kontrapunkt des Wohlklangs wegen immer eine unvollkommene Konsonanz sein soll.
Die neunte Feststellung lautet, dass, so wie der Kontrapunkt mit einer vollkommenen Konsonanz beginnen, er auch mit einer solchen enden soll. Der Grund hierfür kann sein, dass, wenn der Gesang mit einer unvollkommenen Konsonanz schließen würde, das Gemüt in Spannung bliebe, und nicht eher zur Ruhe kommt, als wenn es einen vollkommenen Klang hört, und somit artikuliert sie nicht das Ende des Gesangs. Aber um dies zu vermeiden, sagt man, dass die Ultima perfekt sein soll, wie es alle Beispiele zeigen; und diese Bemerkungen über den Kontrapunkt reichen aus.
„[…] und dies ist ausdrücklich verboten“
sit
Gesangstexte
Perotinus (um 1170–1246)
„Viderunt omnes“
Text: Psalm 97,2–4 der Vulgata
Viderunt omnes fines terrae
Salutare Dei nostri.
Iubilate Deo omnis terra.
Notum fecit Dominus salutare suum, Ante conspectum gentium
Revelavit iustitiam suam.
Pierre de Manchicourt (um 1510–1564)
„Jubilate Deo“
Text: nach Psalm 80,2, 91,11, 70,18, 141,6
der Vulgata und Hiob 19,25–26
Jubilate Deo adjutori meo, Et psalmum dicite illi, Quia exaltavit cornu meum
Et senectutem meam in misericordia uberi, Et usque in senectam et senium
Non dereliquisti me.
Si dormiero iterum surrecturus sum, Et in carne mea videbo Deum meum, Et haec est spes mea, Ut portio mea sit in terra viventium.
Alle Enden der Erde sahen das Heil unsres Gottes.
Jauchzet dem Herrn, alle Lande, freut euch, jubelt und singt! Der Herr hat sein Heil bekannt gemacht und sein gerechtes Wirken enthüllt vor den Augen der Völker.
Jauchzet dem Herrn, meinem Retter, und singt ihm einen Psalm! Denn du hast meinen Mut gestärkt und meinem Alter Barmherzigkeit verliehen, und auch in der Schwäche des hohen Alters verlässt du mich nicht.
Wenn ich entschlafe, werde ich wieder auferstehen und in meinem Fleisch werde ich meinen Gott sehen. Das ist meine Hoffnung, dass mein Teil im Land der Lebenden sein wird.
Übersetzung: Andreas Meier
Anonymus (zypriotisch)
„O radix Jesse“
Text: Anonymus nach Jesaja 11,10
O radix Jesse splendida, Solares vincens radios.
O fundatrix prefulgida
Diversos signans populos.
O altrix vere candida
Sermones claudens regios.
O igne micans fervida
Campos purgans elisios.
Tu laude digna fertilis
Quia reges adorabunt.
Pennis a celo agilis
Quam regine salutabunt.
In terris conversabilis.
Tum te proceres timebunt.
Tandem cruce passibilis
Quam prophete exspectabunt.
Veni gloriosissime, Expectantes delibera.
Frange tu potentissime
Manu ferventi infera.
Et si velis, iustissime, Correctionis effera
Virga secte probissime.
Plebem iniquam carcera
Ne tardes, velocissime.
O prächtige Wurzel Jesse, die du die Sonne überstrahlst.
O leuchtende Gründerin, die viele Völker segnet.
O wahre, glänzende Ernährerin, die köngliche Reden verstummen lässt.
O lodernd-züngelndes Feuer, das die elysischen Felder reinigt.
Du Würdige, Fruchtbare seist gelobt, da du von Königen verehrt wirst. Kamst mit flinken Flügeln vom Himmel, und wirst von Königinnen gegrüßt.
Auf Erden weilend, werden die Mächtigen dich fürchten. Zuletzt am Kreuze leidend, wie es die Propheten vorhersagten. Komm, du Glorreicher und gedenke jener, die dich erwarten. Du Mächtigster, zerschmettere die Hölle mit brennender Faust.
Und wenn du es wünschst, Gerechtester, dann lass Gerechtigkeit walten mit vortrefflich geschnittener Rute. Wirf das unrechte Volk ins Gefängnis, zögere nicht, Geschwindester.
Cunti fundent precamina
Reges magnates populi. Continebunt affamina
Super radice agili.
Quid precabuntur agmina, Quid peroptabunt singuli, Quid decantabunt carmina, Quid perorabunt versuli?
Certe, ut cito venias
Ad redimendum scelera.
Ergo, ut plene fulgeas
Ad nos benignus propera.
Misericordem prebeas, Ut iurasti per viscera.
Plene nobis indulgeas.
Iram antiquam tempera.
Noli tardare, domitor, Ad liberandum subditos.
Revela sontes, conditor, Nube delicti perditos.
Antoine Brumel (um 1460–1512)
Agnus Dei
Text: Ordinarium Missae
Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis.
Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis.
Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona nobis pacem.
Alle hoben an, zu beten, Könige, Magnaten, Völker. Sie werden ihre Gesichter verbergen vor der behänden Wurzel.
Wofür werden die Scharen beten, was wird jeder Einzelne wünschen, welche Lieder werden sie singen, was werden sie mit Versen erörtern?
Versichere mir, dass du bald kommst, um die Verbrechen zu tilgen. Denn so wie du zur Gänze erstrahlst, eile wohlwollend zu uns.
Gewähre uns Barmherzigkeit, wie du sie deinem eigenen Leib geschworen hast. Gib uns deine Gnade, mäßige die alte Wut.
Zögere nicht weiter, Bezwinger, die Untergebenen zu befreien. Enthülle die Verbrecher, Begründer, die in einer Wolke aus Untaten verloren sind.
Übersetzung: Andreas Meier
Lamm Gottes, du nimmst hinweg
die Sünde der Welt, erbarme dich unser.
Lamm Gottes, du nimmst hinweg
die Sünde der Welt, erbarme dich unser.
Lamm Gottes, du nimmst hinweg
die Sünde der Welt, gib uns deinen Frieden.
Solage (fl. 1380–1400)
„Fumeux fume par fumee“
Text: Anonymus
Fumeux fume par fumee, Fumeuse speculacion.
Qu’antre fummet sa pensee, Fumeux fume par fumee.
Quar fumer molt li agree’
Tant qu’il ait son entencion’.
Fumeux fume par fumee, Fumeuse speculacion.
Cipriano de Rore (1515/16–1565)
„Calami sonum ferentes“
Text: Giovan Battista Pigna (1529–1575)
Calami sonum ferentes siculo levem numero
Non pellunt gemitus pectore ab imo nimium graves
Nec constrepente sunt ab Aufido revulsi.
Musa, quae nemus incolis Sirmionis amenum
Reddita qua lenis Lesbia dura fuit, Me adi recessu principis mei tristem.
Musa, deliciae tui Catulli, Dulce tristibus his tuum iunge carmen avenis.
Guillaume de Machaut (um 1300–1377)
Gloria
Text: Ordinarium Missae
Gloria in excelsis Deo, Et in terra pax hominibus bonae voluntatis.
Laudamus te, Benedicimus te,
Der Raucher raucht mit Rauch, in rauchiger Spekulation.
Ein andrer raucht Gedanken auch, dieweil der Raucher raucht mit Rauch, denn Rauchen ist des Rauchers Brauch, ihm gilt seine ganze Passion.
Der Raucher raucht mit Rauch, in rauchiger Spekulation.
Übersetzung: Andreas Meier
Die Pfeifen mit ihrem leichten Klang sizilianischer Lieder können das Seufzen aus der Tiefe meiner Brust nicht vertreiben, auch nicht das Lied des reißenden Flusses Aufidus.
Doch du, Muse, die die lieblichen Wälder von Sirmio durchstreift, die umso freundlicher war, wie Lesbia hart war, komm zu mir, der ich traurig über die Abreise meines Prinzen bin. Muse, Freude deines Catull, leihe diesen traurigen Pfeifen dein süßes Lied.
Übersetzung: Andreas Meier
Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade. Wir loben dich, wir preisen dich,
Adoramus te, Glorificamus te, Gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam, Domine Deus, Rex caelestis, Deus Pater omnipotens, Domine Fili unigenite, Jesu Christe, Domine Deus, Agnus Dei, Filius Patris,
Qui tollis peccata mundi, miserere nobis;
Qui tollis pecata mundi, suscipe deprecationem nostram.
Qui sedes ad dexteram Patris, miserere nobis.
Quoniam tu solus Sanctus, Tu solus Dominus, Tu solus Altissimus, Jesu Christe, Cum Sancto Spiritu: In gloria Dei Patris
Amen. Jacobus Clemens non Papa (um 1510/15–1555/56)
„Qui consolabatur me“
Text: Anonymus
Qui consolabatur me recessit a me
Quaero quod volui et non invenio
Fundunt oculi mei lacrimas
Quia repletus sum amaritudine.
wir beten dich an, wir rühmen dich und danken dir, denn groß ist deine Herrlichkeit.
Herr und Gott, König des Himmels, Gott und Vater, Herrscher über das All. Herr, eingeborener Sohn, Jesus Christus. Herr und Gott, Lamm Gottes, Sohn des Vaters, du nimmst hinweg die Sünde der Welt: Erbarme dich unser; du nimmst hinweg die Sünde der Welt: Nimm an unser Gebet; du sitzest zur Rechten des Vaters: Erbarme dich unser.
Denn du allein bist der Heilige, du allein der Herr, du allein der Höchste: Jesus Christus mit dem Heiligen Geist, zur Ehre Gottes des Vaters. Amen.
Er, der mich getröstet hat, hat mich verlassen. Ich suche nach dem, was ich wollte und finde es nicht. Aus meinen Augen rinnen Tränen, denn ich bin voll von Bitterkeit.
Übersetzung: Andreas Meier
Luca Marenzio (1553/54–1599)
„Solo e pensoso i più deserti campi“
Text: Francesco Petrarca (1304–1374)
Solo e pensoso i più deserti campi
Vo misurando a passi tardi e lenti,
E gl'occhi porto per fuggir intenti
Dove vestigio human l'arena stampi.
Altro schermo non trovo che mi scampi
Dal manifesto accorger de le genti, Perché ne gl'atti d'allegrezza spenti
Di fuor si legge com' io dentr'avampi.
Sì ch'io mi cred' homai che monti e piagge
E fiumi e selve sappian di che tempre
Sia la mia vita, ch'è celata altrui, Ma pur sì aspre vie né si selvagge
Cercar non so ch'Amor non venga sempre
Ragionando con meco, et io con lui.
Scipione Lacorcia (fl. 1590–1620)
„Stravagante pensiero“
Text: Anonymus
Stravagante pensiero
Che scabroso passagio mi dai
Da dolce gioia à dolor fiero
Ecco languisc’e caggio
Che non val tec’esser fugace marmo
Ch’ogn’ estrema durezza
Precipitos’ amor disface e spezza.
Einsam und nachdenklich die ödesten Felder, durchmesse ich zögernden und trägen Schrittes. und ich trage meine Augen, um zu fliehen vor den Spuren der Menschen im Sand. Ich finde keine andere Zuflucht, die mich verbirgt vor den neugierigen Blicken der Leute, denn in den verloschenen Freuden kann man von außen erkennen, wie es in mir lodert:
Dass ich selbst glaube, dass Berge und Täler und Flüsse und Wälder wissen, welcher Natur mein Leben ist, das vor anderen verborgen ist. Und doch weiß ich nicht, so raue und wilde Wege zu suchen, auf denen nicht auch Amor stets wandelt, um mit mir zu verhandeln und ich mit ihm.
Übersetzung: Andreas Meier
Ungewöhnlicher Gedanke, welch harter Weg, den du mir bereitest, von süßer Freude zu grimmigem Kummer. Sieh, ich leide und stürze. Denn selbst Marmor, und die äußerste Härte löst und zerbricht die leidenschaftliche Liebe.
Übersetzung: Andreas Meier
Anonymus
„Alleluia Judicabunt sancti nationes“
Text: nach Buch der Weisheit 3,8
Alleluia
Judicabunt sancti nationes
Et dominabuntur populis
Et regnabit illorum rex in aeternum.
Alleluia. Antonio Mogavero (fl. 1590–1600)
Lamentationes Jeremiae Prophetae in feria sexta Parasceve
Text: Klagelieder Jeremias 2,8–9, 11–13, 3,1–2, 3–4, 8
De lamentatione Jeremiae Prophetae
HETH
Cogitavit Dominus dissipare
Murum filiae Sion
Tetendit funiculum suum
Et non avertit manum suam
A perditione
Luxitque ante murale
Et murus pariter dissipatus est.
TETH
Defixae sunt in terra
Portae eius perdidit
Et contrivit vectes eius
Regem eius et pricipes
Eius in gentibus
Non est lex et prophete eius
Non invenerunt visionem
A Domino.
Halleluja!
Sie werden die heiligen Völker richten und über Nationen herrschen und der König wird ihr Herrscher sein in Ewigkeit. Halleluja!
Es hebt an die Klage des Propheten Jeremia.
HETH
Zu schleifen plante der Herr die Mauer der Tochter Zion. Er spannte die Messschnur und zog nicht zurück die Hand vom Vertilgen. Trauern ließ er Wall und Mauer; miteinander sanken sie nieder.
TETH
In den Boden sanken ihre Tore, ihre Riegel hat er zerstört und zerbrochen. Ihr König und ihre Fürsten sind unter den Völkern, keine Weisung ist da, auch keine Offenbarung schenkt der Herr ihren Propheten.
Gesangstexte
CAPH Defecerunt prae lacrymis
Oculi mei
Conturbata sunt viscera mea
Effusum est in terra
Jecur meum
Super contritione filiae populi mei
Cum deficeret parvulus
Et lactens in plateis oppidi.
Jerusalem convertere ad Dominum Deum tuum.
LAMED
Matribus suis dixerunt
Ubi est triticum et vinum
Cum deficerent quasi vulnerati
In plateis civitatis
Cum exhalarent animas suas
In sinu matrum suarum.
MEM
Cui comparabo te vel cui
Assimilabo te filia Jerusalem
Cui exaequabo te Et consolabor te filia Sion
Magna est enim velut
Mare contritio tua
Quis medebitur tui.
Jerusalem convertere ad Dominum Deum tuum.
ALEPH
Ego vir videns paupertatem meam
In virga indignationis ejus.
CAPH
Meine Augen ermatten vor Tränen, mein Inneres glüht. Ausgeschüttet auf die Erde ist mein Herz
über den Zusammenbruch der Tochter, meines Volkes. Kind und Säugling verschmachten auf den Plätzen der Stadt.
Jerusalem, bekehre dich zum Herrn, deinem Gott!
LAMED
Sie sagen zu ihren Müttern: Wo ist Brot und Wein?, da sie erschöpft verschmachten auf den Plätzen der Stadt, da sie ihr Leben aushauchen auf dem Schoß ihrer Mütter.
MEM
Wie soll ich dir zureden, was dir gleichsetzen, du Tochter Jerusalem?
Womit kann ich dich vergleichen, wie dich trösten, Jungfrau, Tochter Zion?
Dein Zusammenbruch
ist groß wie das Meer, wer kann dich heilen?
Jerusalem, bekehre dich zum Herrn, deinem Gott!
ALEPH
Ich bin der Mann, der Leid erlebt hat durch die Rute seines Grimms.
ALEPH
Me minavit et adduxit
In tenebras et non in lucem.
BETH
Vetustam fecit pellem meam
Et carnem meam
Contrivit ossa mea.
BETH
Aedificavit in gyro meo
Et circumdedit me
Felle et labore.
GIMEL
Sed et cum clamavero
Et rogavero
Exclusit orationem meam.
Jerusalem convertere ad Dominum Deum tuum.
ALEPH
Er hat mich getrieben und gedrängt in Finsternis, nicht ins Licht.
BETH
Er zehrte aus mein Fleisch und meine Haut, zerbrach meine Glieder,
BETH umbaute und umschloss mich mit Gift und Erschöpfung.
GIMEL
Wenn ich auch schrie und flehte, er blieb stumm bei meinem Gebet.
Jerusalem, bekehre dich zum Herrn, deinem Gott!
Huelgas Ensemble
Das Huelgas Ensemble ist bereits seit mehr als fünfzig Jahren eines der renommiertesten Ensembles für die Aufführung der polyphonen Musik des Mittelalters und der Renaissance. Bekannt ist es für seine originellen Programme, oftmals mit unbekannten Werken. Die ungewöhnlichen Perspektiven, die Interpretationen mit detaillierter Kenntnis der Musikästhetik und Gesangspraxis des Mittelalters und der Renaissance, der Zusammenklang und die Intonationsreinheit überraschen das Publikum stets aufs Neue. Vor allem wegen dieser Qualitäten wird das Ensemble mehr und mehr auch von zeitgenössischen Komponisten, etwa Wolfgang Rihm und James MacMillan, gebeten, deren Werke aufzuführen. Das Huelgas Ensemble tritt in nahezu allen wichtigen Musikzentren und Veranstaltungsreihen weltweit auf, darunter das Lincoln Center in New York City, die Cité de la musique in Paris, die Berliner Philharmonie, die Filharmonia Narodowa in War-
schau sowie bei den BBC Proms in London. Es ist zudem regelmäßig Gast bei großen Festivals für Alte Musik, wo es oft in seiner „natürlichen Umgebung“ wie Kapellen, Kirchen und Klöstern konzertiert und so eine interdisziplinäre Brücke zwischen Architektur und Polyphonie schlägt. Unter den Fittichen des BOZAR in Brüssel gestaltet das Ensemble seit mehr als dreißig Jahren einen jährlichen Konzertzyklus. Seit 2019 veranstaltet das Huelgas Ensemble darüber hinaus ein eigenes Pfingstfestival im Dorf Talant in der Bourgogne. Die Diskographie des Huelgas Ensembles umfasst rund einhundert Aufnahmen
vokaler und instrumentaler Werke vom zwölften bis zum Beginn des siebzehnten Jahrhunderts. Es erhielt zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt einen Choc de Classica für die Aufnahme von The Landscape of the Polyphonists und den OPUS KLASSIK als Ensemble des Jahres 2022 für die CD-Einspielung En Albion
Paul Van Nevel
Paul Van Nevel gründete das Huelgas Ensemble 1971 und erweiterte damit als dessen künstlerischer Leiter seine Aktivitäten an der Schola Cantorum Basiliensis. Der Name des Ensembles verweist auf die Zisterzienserinnenabtei Santa María la Real de Las Huelgas westlich von Burgos in Spanien, wohin er als junger Musikwissenschaftler reiste.
Als Pionier und Galionsfigur der Erforschung und Aufführung der europäischen Polyphonie vom zwölften bis zum sechzehnten Jahrhundert steht er für eine interdisziplinäre Heransgehensweise an die originalen Quellen unter Berücksichtigung des kulturellen Umfelds (Literatur, historische Aussprache, Stimmung und Tempo, Rhetorik etc.). Paul Van Nevel setzt seine große Kenntnis der Bestände der europäischen Musikbibliotheken ein, um mit seinem Ensemble immer wieder auch unbekannte Werke aufzuführen. Seine Programme –mit besonderem Augenmerk auf den Schätzen der frankoflämischen Polyphonie – überraschen dabei vor allem durch originelle Blickwinkel und eine phänomenale Repertoirekenntnis der Polyphonie des Mittelalters und der Renaissance.
Er war Gastdozent am Conservatorium van Amsterdam, an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, am Centre de Musique Ancienne de Genève und ist seit mehr als 30 Jahren Gastdirigent des Nederlands Kamerkoor. Er schrieb unter anderem eine Monographie über Johannes Ciconia und ein Werk über Nicolas Gombert.
Paul Van Nevel erhielt zahllose Auszeichnungen, darunter den Prix in Honorem der Académie Charles Cros, wiederholte Male den Diapason d'or, den Choc de l’année (Le Monde de la musique), den Edison Classical Music Award, den Cannes Classical Award, den Preis der deutschen Schallplattenkritik und mehrmals den Deutschen Musikpreis ECHO KLASSIK. Die internationale Presse spendete seinen Aufnahmen über all die Jahre hinweg immer wieder größtes Lob.
AUFBRUCH
„DAS EWIG-WEIBLICHE ZIEHT UNS HINAN.“
CHORUS SINE NOMINE
Chorkonzert im Alten Dom mit Werken von Hildegard von Bingen bis Ola Gjeilo
HEINZ FERLESCH, BARUCCO & CHOR AD LIBITUM
Cäcilienmusik von Georg Friedrich Händel in Bearbeitungen von Wolfgang Amadé Mozart
MARIENMUSIK IM MARIENDOM
„Marienvesper“
HAN-NA CHANG & BRUCKNER
ORCHESTER LINZ
Festliches Abschlusskonzert mit Werken von Lili Boulanger und Ethel Smyth
VORSCHAU : Chorkonzerte in der Saison 2023/24
The Zurich Chamber Singers
Choral dances
Samstag, 11. November 2023, 19:30 Uhr
Mittlerer Saal, Brucknerhaus Linz
Werke von Franz Schubert, Robert Schumann, Gabriel Fauré, Felix Mendelssohn Bartholdy, Johannes Brahms, Edward Elgar, Benjamin Britten, Hubert Parry
The Zurich Chamber Singers
Tamara Chitadze | Klavier
Christian Erny | Leitung
Karten und Info: +43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at
Herausgeberin: Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH, Brucknerhaus Linz, Untere Donaulände 7, 4010 Linz
CEO: Mag. Dietmar Kerschbaum, Künstlerischer Vorstandsdirektor LIVA, Intendant Brucknerhaus Linz; Dr. Rainer Stadler, Kaufmännischer Vorstandsdirektor LIVA
Leiter Programmplanung, Dramaturgie und szenische Projekte: Mag. Jan David Schmitz
Redaktion: Andreas Meier, Mag. Jan David Schmitz | Biographien & Lektorat: Romana Gillesberger, Mag. Claudia Werner | Gestaltung: Anett Lysann Kraml | Abbildungen: T. Blaton (S. 33 [3. v. o.]), L. v. Eeckhout (S. 28–29), A. Hechenberger (S. 33 [4. v. o.]), K. Kikkas (S. 34), G. Mayrhofer (S. 33 [2. v. o.]), privat (S. 7), Shutterstock (S. 32), P. Stelmach (S. 31), M. Wustinger (S. 33 [1. v. o.])
LIVA – Ein Mitglied der Unternehmensgruppe Stadt Linz