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Freiwilliges Engagement im Wandel
Die Schweiz ist ein Land der Vereine. Rund 100000 Vereine prägen das öffentliche Leben. Sie alle leisten einen wichtigen Beitrag zum Zusammenleben hierzulande: Sie integrieren Menschen, setzen sich für andere und die Umwelt ein und fördern die Lebensqualität. Und sie sind eine Schule der Demokratie. Immer wieder wird lamentiert, man wolle sich heute nicht mehr engagieren, seit Jahrzehnten wird ein Vereinssterben prognostiziert. Ein Blick in verschiedene Studien beweist jedoch, dass die gesellschaftlichen Entwicklungen komplexer sind und differenziert betrachtet werden müssen.
Fanni Dahinden, Maja Graf, Fachstelle vitamin B
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Die gute Nachricht vorweg: Erst kürzlich zeigte der Freiwilligen-Monitor 2020 auf, dass die Zahl der Freiwilligen erstaunlich stabil bleibt. In den vergangenen zehn Jahren kann weder ein markanter Rückgang noch ein klarer Anstieg von Freiwilligkeit festgestellt werden. 4 von 10 Personen im Alter ab 15 Jahren sind in Vereinen oder Organisationen freiwillig tätig, 16 Prozent von ihnen bekleiden ein Ehrenamt. Das sind erfreuliche Zahlen.
Wer engagiert sich in Vereinen?
75 Prozent der Schweizer Bevölkerung sind Mitglied in einem Verein, 61 Prozent machen aktiv mit. Diese Zahlen allein zeigen schon die Bedeutung von Vereinen. Am meisten Mitglieder zählen Sportclubs, gefolgt von Spiel-, Hobby- und Freizeit- und kulturellen Vereinen. Ohne Vereine wären wir also weniger ft oder sportlich, es würde weniger gespielt, getanzt, gewandert oder Musik gemacht. Dass sich so viele Menschen in Vereinen freiwillig engagieren, hat natürlich damit zu tun, dass viele Mitglied in einem oder mehreren Vereinen sind. Aber warum setzt jemand seine (Lebens-)Zeit für eine unbezahlte Arbeit ein? Die Motive für ein freiwilliges Vereinsengagement sind unterschiedlich. Der Freiwilligen-Monitor zeigt auf, dass es häufg darum geht, zusammen mit anderen etwas zu unternehmen und zu bewegen. Viele wollen aber auch anderen Leuten helfen, sich dabei weiterentwickeln und eigene Kenntnisse und Fähigkeiten
Mitglieder und Freiwillige in Vereinen und Organisationen nach Organisationstyp. (Grafk: Freiwilligen-Monitor 2020)
erweitern. Andere wollen einfach Spass haben. Es geht also meist nicht um Altruismus, Aufopferung oder Pficht, sondern (auch) um einen persönlichen Gewinn. Entsprechend zeigt der Freiwilligen-Monitor, dass die grosse Mehrheit der Ehrenamtlichen zufrieden ist mit ihrer Freiwilligentätigkeit und das Amt noch einmal übernehmen würde, wenn es die Zeit erlaubt. In einem Verein mitmachen, sich freiwillig dafür engagieren, kann Freude bereiten, Sinn stiften und, gerade für nicht mehr berufstätige Menschen, auch Struktur geben. Für Letztere ist die Mitarbeit in einem Verein häufg auch eine (vielleicht letzte) Möglichkeit, ihr erworbenes Wissen und Können weiterzugeben.
Was verändert sich?
Unsere Welt, unsere Art zu leben, unsere Werte verändern sich seit einigen Jahrzehnten rasant. Das hat Auswirkungen auf das freiwillige Engagement. Und es ist wichtig zu erkennen, wie sich dieses verändert. Der Freiwilligen-Monitor zeigt, dass das freiwillige Engagement im Sport, in den Interessenverbänden und im öffentlichen Dienst abnimmt. Fitness und Sport werden teils ins Fitnesscenter verlagert, wo man sein Abo jederzeit kündigen kann. Oder wo man auch einfach ein Training auslassen kann, wenn etwas Interessanteres ansteht oder man einen schlechten Tag hat. Besser sieht es für die Spiel-, Hobby-, Freizeit- und kulturellen Vereine und die sozialen und karitativen Organisationen aus: Hier gibt es mehr Freiwillige. Diese Arten von Vereinen haben häufg mit Weltanschauung und Werten zu tun – damit lassen sich die Leute packen. Auch die neuen Medien bieten Potenzial: Das Internet verlangt neue, vielversprechende Formen von freiwilliger Tätigkeit. Zwar betreuen viele Freiwillige die Vereinswebsite, den Facebookauftritt oder das Crowdfunding im Rahmen ihrer bestehenden Freiwilligentätigkeit. Aber immerhin ein gutes Drittel der Internetfreiwilligen engagiert sich ausschliesslich im Netz. Das Leben wird immer fexibler. Weil wir sehr mobil geworden sind, schwindet der Bezug zum Lokalen. Viele Berufstätige arbeiten nicht mehr dort, wo sie wohnen. Viele ziehen der Arbeit, der Liebe oder einer grösseren Wohnung wegen um. Das hat Auswirkungen auf die Bindung und Treue zu einem Verein. Zudem bieten unser Wohlstand und die Multioptionengesellschaft immer mehr Möglichkeiten, das Leben frei zu gestalten. Das lässt viele vor
Die im Auftrag des Migros-Kulturprozents verfasste Studie «Die neuen Freiwilligen» formuliert Rahmenbedingungen für ein zivilgesellschaftliches Engagement der Zukunft. Sie ist als PDF oder Printversion verfügbar: www.vitaminb.ch/ publikationen/studien/ (Bild: GDI)
längerfristigen Verbindlichkeiten zurückschrecken. Verlässlichkeit und Loyalität verlieren an Wert. Gleichzeitig nimmt die Belastung des Einzelnen zu. Dauernd muss man entscheiden, was man will (oder nicht), viele leiden unter der Angst, etwas zu verpassen. Mit Homeoffce und Internet verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit, viele müssen (oder wollen) immer erreichbar sein. All das spricht dagegen, sich in traditionellen Vereinsstrukturen zu engagieren. «Neue Freiwillige» wollen interessante Aufgaben, die sie so erledigen können, wie diese in die aktuellen Lebensumstände passen. Und das heisst oft, möglichst fexible, eher kurzfristige Verpfichtungen.
Wo gibt es «neue Freiwillige»?
Man kann davon ausgehen, dass sich das demografsche Profl der Freiwilligen, die sich in Vereinen engagieren, in den nächsten Jahren verändert. Mehr «Junge Alte» suchen Sinn und interessante Aufgaben, viele «Digital Natives» setzen ihre für sie so selbstverständlichen digitalen Fähigkeiten gern auch für einen Verein ein – wenn sie gefragt werden. Der typische Freiwillige von heute ist männlich, zwischen 45 und 74 Jahre alt, hat Kinder von mehr als sechs Jahren, ist gut gebildet, verdient nicht schlecht, lebt auf dem Land, irgendwo in der Deutschschweiz und ist Schweizer. Das ist seit Jahren so. Das Potenzial dieser Bevölkerungsgruppe scheint jedoch zunehmend ausgeschöpft zu sein. Interessant ist, dass Frauen, jüngere Menschen, Personen in der französisch- und italienischsprachigen Schweiz, Städter und Städterinnen und in der Schweiz lebende Ausländerinnen und Ausländer zwar eine hohe Bereitschaft für Freiwilligenarbeit in Vereinen zeigen – aber oft nicht angefragt werden. Hier liegt ein grosses Potenzial für «neue Freiwillige». Um sie zu erreichen und für ein Engagement zu gewinnen, muss man sich mit ihren Ansprüchen und Wünschen auseinandersetzen. Wie wollen sie sich engagieren? Was erwarten sie vom Umgang miteinander?
Voraussetzungen für ein zukünftiges Engagement.
(Grafk: Freiwilligen-Monitor 2020)
Was wollen «neue Freiwillige»?
Die grossen gesellschaftlichen Trends – Individualisierung, Flexibilisierung, Mobilität – beeinfussen (auch) die Freiwilligenarbeit. Was das für die Zukunft bedeutet, hat die GDI-Studie «Die neuen Freiwilligen» untersucht. Sie formuliert Rahmenbedingungen für ein zivilgesellschaftliches Engagement der Zukunft und zeichnet ein Bild der «neuen Freiwilligen». Gemäss dieser Studie wollen «neue Freiwillige»: –mitreden, mitgestalten und mitbestimmen, nicht nur über das «Was», sondern auch über das «Wie» –zeitliche Flexibilität und einen einfachen Zugang zur Mitwirkung –sich schnell und projektbezogen einsetzen –Freiräume mit wenig Regulierung und guter Fehlerkultur –Sinn und Wirkung sehen –Kooperation, Vertrauen und Anerkennung –Einführung statt Führung
–Projekte hierarchiefrei verhandeln und entwickeln –angesprochen werden
Was können Vereine tun?
Voraussetzung für ein gesellschaftliches Engagement ist leicht zugängliche Information. Interessierte müssen schnell und einfach Tipps dazu fnden, wo und wofür sie sich einsetzen könnten. Digitale Plattformen für Austausch und Vernetzung spielen darum eine immer grössere Rolle. Damit können konkrete Einsätze sichtbar gemacht werden und Freiwillige sich vernetzen. Vereine können aber auch sonst einiges tun, um künftig attraktiv für Freiwillige zu sein. Gute Rahmenbedingungen schaffen: Aufgaben, Zuständigkeiten und Abgrenzungen klar defnieren; Spesen und Versicherungen übernehmen, Weiterbildung und einen Nachweis über das unentgeltliche Engagement ermöglichen und – ganz wichtig – nicht geizen mit Dank und Anerkennung. Wirkung der Einsätze zeigen: Argumente für einen Einsatz formulieren; über die Wirkung eines Einsatzes reden; Ziele und den Zweck des Vereins deutlich machen. Verantwortung abgeben: Nicht immer alles selber machen wollen, sondern gemeinsam Lösungen entwickeln; Vertrauen, Einführung und Unterstützung bieten statt «Führung». Klein anfangen: Personen für kurzfristige Einsätze gewinnen, statt direkt für Ämter anzufragen. So können diese Vereinsluft schnuppern und später einfacher für ein grösseres Engagement angesprochen werden. Neue Mitmachformen kreieren: Aufgaben in überschaubare Häppchen aufteilen, sodass ein «Buffet» mit ganz unterschiedlichen Aufgaben, Einsätzen und Engagementmöglichkeiten entsteht, an welchem sich Interessierte bedienen können. Freiwilligenkoordinator/in, Freiwilligendatenbank einführen: Eine verantwortliche Person bestimmen, die Einsätze aktiv auswertet, dokumentiert, wer gefördert werden könnte, wo Potenziale liegen und Freiwillige nach ihren Wünschen und Bedürfnissen befragt.
Fanni Dahinden und Maja Graf zählen seit Jahren zu den kompetenten Ansprechpersonen der Fachstelle vitamin B, wenn es um Vereinsfragen geht.
Die Fachstelle vitamin B unterstützt ehrenamtliche Vereinsvorstände in ihrer anspruchsvollen Arbeit mit Information, Weiterbildung und Beratung. vitamin B wird getragen vom MigrosKulturprozent. www.vitaminb.ch
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