6 minute read

Försterwelt – mit Schülerinnen und Schülern im Wald

Viele Kinder und Jugendliche verbringen kaum mehr Zeit im Wald – weder in der Schule noch in der Freizeit. So machen sie auch keine unmittelbaren Erfahrungen mit dem Lebens- und Wirtschaftsraum Wald. Um diesem Mangel entgegenzuwirken, gibt es das Projekt «Försterwelt». Zwei Lehrpersonen erzählen, wie sehr sie mit ihren Schulklassen von den Waldtagen mit dem Förster profitieren.

Rahel Wöhrle, Andreas Koenig

Advertisement

Das Projekt «Försterwelt» will Schülerinnen und Schülern, aber auch den Lehrpersonen eine dauerhafte und nachhaltige Beziehung zum Wald ermöglichen und sie mit dem Ökosystem vertraut machen. Der Wald ist eine ideale Lernumgebung und bietet die Möglichkeit, viele Themen des Lehrplans, insbesondere solche zur nachhaltigen Entwicklung, einzubauen. Da der Wald selbst nach dem Lehrplan nicht zwingend behandelt werden muss, droht er so ganz aus dem Stundenplan zu verschwinden. «Försterwelt» soll ein Ansatz sein, dem Wald einen festen Platz in der Schule zu sichern.

Lernen durch Handeln

Zusammen mit dem Förster oder der Forstwartin bewirtschaften die Schülerinnen und Schüler im Idealfall während mehreren Jahren ein Stück Wald. Indem sie ausgewählte Forstarbeiten durchführen, erleben sie den Wald und seine Funktionen im

Aus dem Bau von Wildschutzmassnahmen können die Kinder wertvolle Erfahrungen mitnehmen. (alle Bilder: zVg SILVIVA)

Der Matheunterricht kann im Wald mit verschiedensten Aufgaben unterstützt werden.

Laufe der Jahreszeiten. Sie entdecken selbständig, engagieren sich und kreieren so eine Bindung zum Wald. Durch das Handeln werden sie mit der Welt des Waldes vertraut und werden für die Aufgaben und Wirkungen der Waldbewirtschaftung und für die Arbeiten des Forstpersonals sensibilisiert. Je nach Standort, der Art der Bewirtschaftung und dem Alter der Teilnehmenden gibt es verschiedene Möglichkeiten für praktische forstliche Aktivitäten: Anzeichnen, Schlagräumung, ökologische Aufwertung (z. B. Erstellen von Kleinstrukturen), Jungwuchspflege,Massnahmen zum Schutz vor Wildschaden, Pflanzungen junger Bäume etc. Die Arbeiten werden von spielerischen Elementen und Momenten der Entdeckung begleitet. So, dass die Schülerinnen und Schüler ganz und gar in die Welt des Waldes eintauchen können.

Vorteile für den Forstbetrieb

Das Spannende an dem Projekt ist, dass auch der Forstbetrieb davon profitieen kann. Neben den Arbeiten, die durch die Jugendlichen erledigt werden, kann das Forstpersonal mit den zur Verfügung gestellten Unterlagen und Dienstleistungen – z. B. kurzen Weiterbildungen – Erfahrungen in der forstlichen Waldpädagogik sammeln. Und die Sensibilisierung der Kinder für die Anliegen des Waldes und seiner Vertreter wirkt über die Eltern in weitere Kreise der Öffentlichkeit.

«Försterwelten» in der Schweiz

Ein Bericht über das Projekt «Försterwelt» von Marlen Bläsi, Klassenlehrperson 5. Klasse Schulhaus Lachen, Stadtschule Chur: Es ist Ende Januar. Schon zum zweiten Mal in diesem Schuljahr treffen wir uns mit dem Förster im Fürstenwald, in «unserem» Waldstück. Ob der Sommerfliede, ein Neophyt, den wir etliche Male auszogen, oder sogar mit der Axt weggehackten haben, noch dort ist?

«Schon seit mehr als einem Jahr versuchen wir, den Sommerflieder wegzubekommen.»

Es ist Winter und kalt. Auf keinen Fall wollen wir frieren. Wir besprechen unsere Erfahrungen vom Herbst. Ja, in Schichten wollen wir uns kleiden. Und eine Kopfbedeckung anziehen, das hält warm. Angekommen im Wald gehen wir mit dem Förster auf Spurensuche. Wir findenSpuren von Menschen und Tieren. Wieder wird uns bewusst, dass der Wald ein Lebensraum ist, den wir mit ganz unterschiedlichen Beteiligten teilen. Neben Tierspuren stossen wir am Boden auch auf Vogelfutterballen, die jemand – in guter Absicht – für die Vögel ausgehängt hat. Der Förster erklärt uns die möglichen Auswirkungen, die dieses Tun auf das Ökosystem Wald hat. Nun wollen wir ein Feuer entfachen, es mit Holz nähren, um dann uns zu nähren, uns zu wärmen. Unsere Zutaten: Birkenrinde, Holzwolle, kleine Holzspiesse und grössere Holzscheite. Übrigens: Wir lernen vom Förster: Ein Holzscheit liefert 2 dl Erdöl. Mit unseren neuen Astsägen gehen wir an die Arbeit. Ein Holzstück von 10 cm soll es werden. Und wir wollen auch herausfinden,wie viel ein Kilogramm Holz ist. Die Bewegung beim Sägen

wärmt uns und liefert uns wichtige Referenzgrössen für den Matheunterricht.

«Das grosse Fachwissen des Betriebsförsters beeindruckte die ganze Klasse.»

Ein Sek-Lehrer erzählt, wie er das Projekt erlebt: Simon Duss, Klassenlehrperson 3. Sek C in Nebikon

Vor gut eineinhalb Jahren wurde mir klar: Ich möchte einmal im Monat mit meiner Klasse den Wald besuchen. Als Abwechslung zum Schulalltag und um den Jugendlichen die «Wunder» der Natur wieder etwas näher zu bringen. Schon beim ersten Nachmittag im Wald waren die Schüler/innen meiner Klasse sehr positiv gestimmt – sicher auch, weil sie an diesem Halbtag keinen klassischen Unterricht hatten. Die Waldführung mit Erich Tschopp (Betriebsförster Genossenschaft Wald Wiggertal) vermochte die positive Grundstimmung dann zum Glück weiter anzuheben. Das grosse Fachwissen des Betriebsförsters beeindruckte die ganze Klasse. Zu Beginn des Projekts waren die Halbtage immer mit vielen spannenden Inputs und Ideen ausgefüllt: Bau der Baum- und Strauchschicht analysieren, Bodenlebewesen beobachten, Zersetzung der Blätter erforschen, Aufbau des Bodens studieren und in ruhigen Momenten durch angeleitete Achtsamkeitsübungen über sich und das eigene Leben nachdenken. Schon bald erkannte ich jedoch, dass das straffe Programm eigentlich eher verhinderte, dass die Jugendlichen wirklich mit der Natur und mit sich selber in Kontakt kamen. Ich entschied mich, das Programm viel offener und freier zu gestalten. Von nun an gab es freiwillige Wahlprogramme. Man konnte gemeinsam eine Kugelbahn durch den Wald bauen, Feuer machen und Tee kochen, Kunstwerke gestalten, mit dem Förster einen Baum fällen oder einfach am Feuer sitzen und die Zeit geniessen. Als fester Bestandteil für alle blieb jeweils der Waldspaziergang, auf dem wir uns verschiedenen Themen rund um den Wald widmeten und dabei viermal pro Jahr auch vom Fachwissen von Erich Tschopp profitieen konnten. Vermutlich macht es die Balance zwischen Wissensvermittlung und freien Aktivitäten aus, damit Kinder und Jugendliche über längere Zeit motiviert bleiben – so wie es ja eigentlich auch im Schulzimmer sein sollte, damit wirklich nachhaltiges Lernen geschehen kann.

«Wir haben zusammengearbeitet und nie aufgegeben, auch wenn wir nicht mehr mochten.»

Ein Bericht über das Projekt «Försterwelt» von Christine Lüthi, Klassenlehrperson 3./4. Klasse Schulhaus Brühl, Solothurn

Pflanztag mit Blick in die Zukunft

An einem goldenen Herbsttag wird die Klasse vom Revierförster und seinem Team erwartet. Heute soll gepflanztwerden. 200 kleine Bäumchen in Töpfen warten darauf, auf dieser Lichtung in den nächsten 100 Jahren in die Höhe zu wachsen. Wisu (so dürfen sie Förster Alois Wertli von der Bürgergemeinde Solothurn nennen) erinnert die Kinder auch daran, dass im Jahr 2121 von der heutigen Pflanzunglediglich noch etwa 10 bis 20 Bäume vorhanden sein werden. Die Kinder erfahren zudem, dass wegen der Klimaerwärmung andere Baumarten in unseren Wäldern wachsen sollen. Schnell sind nach der kurzen Einführung die Gartenhandschuhe verteilt, die Schülerinnen und Schüler in Gruppen eingeteilt, sodass die Arbeit losgehen kann. Mit dem Pflanzlochboher bereiten die Kinder tiefe Löcher vor, damit die jungen Bäume aus den Töpfen gehoben und eingepflanztwerden können. Andere sind damit beschäftigt, von bereits etwas grösseren Jungbäumen Plastikhüllen zu entfernen. Zusammen mit dem Forstwartlehrling und einem Schnupper-

Den Wald nicht nur sehen, sondern auch einmal fühlen.

stift kommen die Kinder gut voran und es herrscht emsiges Treiben auf dem Klassen-Waldstück.

«Wir wollen bei der Jugend das Bewusstsein fördern und ihnen vermitteln, warum wir Holz nutzen und Bäume fällen.»

Toni Jäger, Leiter der Abteilung Wald und Alpen in Chur, zu Försterwelt

Schlagräumung macht Stolz

Nicht immer sind die Arbeiten an den Waldtagen so abwechslungsreich wie eben beschrieben. Manchmal muss über längere Zeit eintönige Arbeit verrichtet werden. Eine dieser Tätigkeiten ist die Schlagräumung. Dicke und dünne Äste, Totholz, grosse Rindenstücke liegen nun über eine weite Fläche verteilt auf dem Waldboden. Diese zu räumen, damit wieder angepflanztwerden kann, war die Aufgabe der Brühlkinder. Die Schülerinnen und Schüler erfuhren vom Förster, dass diese Asthaufen für Igel, Mäuse und Marder als Unterschlupf dienen und gleichzeitig dem Boden Nährstoffe liefern werden. An diesem Tag war Ausdauer und Durchhaltevermögen gefragt. Immer wieder ertönte der Lärm der Motorsäge im Wald. Wenn die Kinder auf einen zu schweren Ast stiessen, kam Wisu und zersägte ihn in kleinere, handlichere Stücke. Obwohl die Minuten weniger schnell verstrichen als sonst, erfüllte der Anblick der geräumten Waldfläche die Kinder am Ende des Tages mit Stolz. Es reichte vor der Heimreise sogar noch für ein «Versteckis» mit der ganzen Klasse.

Rahel Wöhrle ist bei SILVIVA für die Kommunikation jeglicher Fachgebiete zuständig. Andreas Koenig betreut bei SILVIVA das Projekt «Försterwelt».

This article is from: