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Sturm Vaia und seine Folgen für die Gemeinde Poschiavo

Es gibt einige Daten, die sich in das Gedächtnis der Menschen einprägen. Für die Bewohner des Valposchiavo, insbesondere für diejenigen, die im und mit dem Wald arbeiten, ist der 29. Oktober 2018 einer davon.

D. Battilana

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Der Sturm Vaia

An einem scheinbar normalen Montag, gegen acht Uhr abends, zog ein stürmischer Wind aus Süden über das Puschlav-Tal. Etwas mehr als eine halbe Stunde reichte aus, um allein in der Gemeinde Poschiavo 43 000 m³ Holz zu schlagen, was fast dem vierfachen der Jahresmenge (12 000 m³) entspricht. Vaia nennen die Meteorologen den Sturm, der vor allem den Nordosten Italiens und am Rand auch die Südalpen getroffen hat.

Nach dem Sturm

Am nächsten Tag herrschte eine fast surreale Ruhe, ein dichter Nebel bedeckte die Hänge des Tals. Bei der morgendlichen Besprechung in den Werkhof diskutierten wir über den starken Wind in der Nacht zuvor und die möglichen Schäden. An ein solches Ereignis war noch nie gedacht worden. Als der Tag voranschritt und sich der Nebel lichtete, wurde uns das Ausmass des Ereignisses bewusst. Grosse Flächen umgestürzten Waldes waren hier und da wie

So sah der «Bosch da Vartegna» aus, eines der am schlimmsten betroffenen Gebiete, ein paar Tage nach dem Sturm.

(Bild: M. Costa)

Auf der gegenüberliegenden Talseite sind die Schäden der «Custascia da Suasar» und des «Bosch da Vartegna» deutlich sichtbar. (Bild: G. Bergier)

offene Wunden zu sehen. Dies wurde durch die ständigen Anrufe bestätigt, die wir von den Arbeitern erhielten, die zu ihren Arbeitsplätzen wollten oder von Leuten, die zu ihren Maiensässen wollten. Die Bergstrassen waren fast alle durch umgestürzte Bäume blockiert. Sofort wurde mit dem regionalen Forstingenieur Gilbert Berchier telefoniert, um den Vorfall zu besprechen und für den nächsten Tag einen Termin für die erste Krisensitzung zu vereinbaren. Die ersten Schätzungen, die durch Beobachtung der Wälder vom Talboden ausgemacht wurden, beliefen sich auf 10 000 bis 15 000 m³. Wir begannen sofort mit der Räumung der Strassen, teils mit eigenem Personal, teils mithilfe von Forstunternehmen. Im Lauf der Tage konnten mehr und mehr der beschädigten Bereiche erreicht werden. Die Verwüstung wurde immer deutlicher. So war es möglich, sich ein immer vollständigeres Bild von den betroffenen Gebieten zu machen. Diese befinden sich vor allem auf der orografisch rechten Talseite, zwischen 1400 und 1800 m ü.M., an den Süden ausgerichteten Hängen in der Nähe von Kuppen. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Schutzwälder, wobei glücklicherweise diejenigen, die direkt über Siedlungen oder Kommunikationswegen liegen, verschont oder nur geringfügig betroffen sind. Nach etwas mehr als einer Woche hatten wir bereits die Hauptbereiche kartiert und die Handlungsprioritäten definiert. Ausserdem hatten wir die ersten Stockverkaufsverträge mit den drei Forstbetrieben im Tal abgeschlossen. Gleichzeitig hatten wir für das von der Forstgruppe aufbereitete Holz Verkaufverträge mit einigen Sägewerken im nahen Valtellina abgeschlossen. Anfänglich gab es keinen Rückgang des Holzpreises, da die grossen Massen noch nicht auf dem Markt angekommen waren. Sie wären auch nicht in unmittelbarer

Das Forstteam bei der Arbeit im «Bosch da Vartegna». Rechts oben ist auch ein Helikopter zu sehen, der mit dem Abtransport von Bruchholz beschäftigt ist. (Bild: M. Costa)

Zukunft angekommen, denn der Winter stand vor der Tür. Es war jedoch klar, dass es im folgenden Jahr einen Preisverfall geben würde. Im Nordosten Italiens sprach man von Millionen Kubikmetern Holz, die durch den Sturm gefällt wurden. Zum Glück für uns kam der Winter erst spät und wir konnten bis zu den Weihnachtsferien mit voller Kapazität arbeiten. So war es möglich, mehrere Tausend Kubikmeter Holz aufzubereiten, zu fällen und zu verkaufen. Im darauffolgenden Frühjahr und bis zum Ende des Sommers sank der Holzpreis, wie vorhergesagt, allmählich von 105 auf 86 Franken für die Fichtenqualität BC 3+ und von 70 auf 61 Franken für die Fichtenqualität D. Folglich sanken auch die Preise für Stock Verkäufe an Forstunternehmen. Im Lauf des Sommers wurde uns klar, dass wir die Schäden, insbesondere die Streuschäden, unterschätzt hatten. Dies machte es notwendig, zusätzliche Forstbetriebe aus dem Tessin und der Deutschschweiz hinzuzuziehen. Die Schadensschätzungen wurden daher schrittweise nach oben korrigiert. Im Herbst 2019, in weniger als einem Jahr, war es möglich, das gesamte gefällte Holz zu räumen. Nur in einigen Gebieten oberhalb von 1800 m ü.M. haben wir uns entschieden, nicht einzugreifen. Dies ist auf den hohen Lärchenanteil zurückzuführen, der das Risiko der Ausbreitung des Fichtenborkenkäfers minimiert. Ausserdem wurde das gesamte Nutzholz vor Wintereinbruch verkauft und die Lagerplätze wurden geräumt. Es blieben nur einige grosse Brennholzstapel übrig (6000 bis 7000 m³), die als Vorrat für die Produktion von Hackschnitzeln dienten. Einige davon sind noch auf unseren Lagerplätze vorhanden.

Auf dem Lageplatz in Viale sind die Autokräne voll ausgelastet.

(Bild: M. Costa)

In erster Linie waren wir aber sehr zufrieden, dass das oberste Ziel erreicht wurde: die Räumung der durch den Sturm Vaia verursachten Schäden ohne grössere Unfälle.

Langfristige Spuren

Die Folgen dieses Ereignisses haben auch im Jahr 2020 ihre Spuren hinterlassen. Der Holzpreis hat sich nicht erholt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Holzvorräte ausreichen, um den Markt zu sättigen, und dass vor allem in Mittel- und Nordeuropa eine grosse Produktion von Käferholz stattgefunden hat. Die Zufahrtsstrassen zu den am stärksten betroffenen Gebieten wurden durch den Holztransport belastet. Vor allem jene, die keine forstwirtschaftlichen Standards hatten. Daher war die Forstsgruppe im Jahr 2020 hauptsächlich mit der Pflege und Wiederherstellung dieser beschäftigt. Eine weitere Konsequenz für die Gemeinde Poschiavo betrifft den Hiebsatz, der für die Jahre 2020 bis 2024 von 12 000 auf 7200 m³ reduziert wurde. Auch finanziell hat Vaia seine Spuren mit einem Defizit von circa 450 000 Franken im Jahr 2019 hinterlassen. Vaia und seine Folgen waren für uns eine sehr grosse Herausforderung. Aber dank des Engagements aller, von den Waldarbeiten bis zum Forstingenieur, von den Forstunternehmern bis zu den Sägewerken, konnten wir die Herausforderung überwinden. Als Erinnerung an dieses verheerende Ereignis werden grosse, von Bäumen befreite Waldflächen für kommende Generationen sichtbar bleiben. Bis die Natur – mit der geduldigen Hilfe der Zeit – auch diese Wunden heilten wird.

Diego Battilana ist Förster bei der Gemeinde Poschiavo.

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