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Die Holzproduktion nur noch als Pflicht?
Die Holznutzung beeinflusste die Forstwirtschaft während Jahrhunderten sowohl positiv wie negativ. Die Übernutzung der Wälder und die Holzverknappung waren der Auslöser für die Entwicklung einer geregelten, nachhaltigen Waldwirtschaft. Die Holznutzung war auch im Kanton Graubünden immer einer der wichtigsten Einflussfaktoren, sei es in der Waldpolitik, der Planung, im Waldbau, in der Infrastruktur, den Verfahrenstechniken u.a mehr. In den letzten Jahrzehnten hat die Bedeutung der Holznutzung im Kanton nicht nur wirtschaftlich abgenommen. Wie beurteilen wir die Zukunft der Holzproduktion im Kanton Graubünden, wird sie zur Pflicht oder wird sie ihre ehemalige Bedeutung zurückerlangen?
Dr. R. Gordon
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Der Einfluss der Holzproduktion auf die Bündner Waldwirtschaft
In der Bündner Waldgesetzgebung wurde seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur kantonalen Waldgesetzesrevision 1995 die Waldbewirtschaftung grösstenteils auf die Holzproduktion ausgerichtet. 1858 wurde in einer revidierten Waldordnung die Grundlage für die Einführung einer geordneten Waldwirtschaft gelegt, indem eine Wirtschaftsplanpflicht eingeführt wurde. Diese schreibt vor: «Behufs einer besseren Bewirtschaftung der Gemeinde- und Korporationswaldungen sind […] Wirthschaftspläne zu entwerfen und so annährend als thunlich, die Nachhaltigkeit der Walderträge zu ermitteln.» Im Kielwasser der Holzproduktion konnten anschliessend aber auch alle anderen gesellschaftlich nachgefragten Leistungen zur Zufriedenheit der Bevölkerung erbracht werden. Waldbau und forstliche Planung waren stark auf die Holzproduktion ausgerichtet. Im Zentrum stand die Schaffung stabiler, aber auch ertragreicher Wälder. Nach der Kahlschlagwirtschaft wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine naturgemässere Bewirtschaftung der Wälder gefordert. Die Plenterwaldbewirtschaftung, welche als Leitziel hatte, nachhaltig die grösste Menge an wertvollem Holz mit geringstem Aufwand zu produzieren, wurde zum Vorbild für den Waldbau in Graubündens Gebirgswälder. Mit der gleichzeitigen Einführung der Kontrollmethode nach Biolley als Planungsverfahren wurden Waldbau und Planung eng miteinander verknüpft. Der Waldbau wurde nach und nach den besonderen Verhältnissen im Gebirge angepasst, weg von der Einzelplenterung und hin zu einer Gruppenplenterung. Die forstliche Planung und die Oberziele der Waldnutzung wurden jedoch weiterhin auf die Holzproduktion ausgerichtet. Dies kommt auch aus dem Titel einer der wichtigsten waldbaulichen Publikationen jener Zeit, die «Ertragreiche Nadelwaldgesellschaften im Gebiete der schweizerischen Alpen unter besonderer Berücksichtigung Graubündens»¹ klar zum Ausdruck. Die volkswirtschaftliche und die betriebswirtschaftliche Situation der Waldwirtschaft war bis vor rund 50 Jahren vollständig von den Holzpreisen bestimmt. Viele Gemeinden im Kanton konnten einen rechten Teil der Ausgaben der Gemeinden mit den Erträgen aus dem Wald finanzieren. Mit dem grossen gesellschaftlichen Wandel und dem «Waldsterben» in den 1980er-Jahren hat der
Bauen mit Holz ist eine wertvolle Art CO2 langfristig zu speichern.
(alle Bilder: AWN)
Wald eine neue Bedeutung bekommen. Sinkende Holzpreise und steigende Kosten führten dazu, dass die ökonomische Bedeutung der Holznutzung sank. Konnten bis Mitte der 1980er-Jahre nur für forstliche Erschliessungen und Schutzbauten Subventionen von Bund und Kanton beantragt werden, wurden nach der Waldsterbedebatte auch für die Pflege von Schutzwäldern Beiträge der öffentlichen Hand gesprochen. Mit den öffentlichen Beiträgen konnten aber die Einnahmeverluste aus dem Holzverkauf nicht ausgeglichen werden. Seit dem Jahr 2000 haben die Bündner Forstbetriebe jedes Jahr Verluste geschrieben.
Zukünftige Rolle der Holznutzung
Die Wertschätzung für Holz als Bau-, Möbel- und Energieholz hat in den letzten Jahren erfreulicherweise stark zugenommen. Dies heisst aber nicht, dass die Holzpreise gestiegen wären oder in Zukunft steigen werden. Die Bündner Waldwirtschaft hofft seit Jahren auf höhere Holzpreise. Die Nachfrage nach Holz wird nach Ansicht der Experten steigen. Das Holz ist jedoch in allen seinen Anwendungsbereichen einem starken Konkurrenzdruck durch andere Baustoffe resp. Energieträger ausgesetzt, was Preissteigerungen enge Grenzen setzt. Aus den Bündner Wäldern kann aktuell fast nur Qualitätsholz gewinnbringend produziert werden, seien es besondere Sortimente oder Stammholz wertvoller Baumarten. Dieses Holz wird aber immer ein Nischenprodukt bleiben. Bei der Produktion von Massensortimenten werden die Bündner Forstbetriebe auch mit grossen Investitionen in eine bessere Infrastruktur und effizienteren Forstbetrieben gegenüber dem Ausland nicht konkurrenzfähig werden. Im Energieholzsektor sind sie – auch wegen der Nähe zu den Hauptkunden – zwar konkurrenzfähig, aber die Energieholzpreise sind viel zu tief, um kostendeckend zu produzieren. Die Preisentwicklung bei den alternativen Energien
(Wind-/Solarstrom) lässt vermuten, dass auch im Energieholzbereich eher mit Preissenkungen als mit Preiserhöhungen zu rechnen ist. Es gibt auch heute noch einige Forstbetriebe im Kanton, welche – auch dank besonders vorteilhafter Produktionsbedingungen – Holz gewinnbringend verkaufen können. Die erwartete Entwicklung auf dem Holzmarkt und die trotz Rationalisierung beschränkten Möglichkeiten, die Kosten zu senken, werden die Holzproduktion für die Bündner Forstbetriebe immer schwieriger machen.
Warum soll trotz defizitärer Produktion im Kanton Graubünden möglichst viel des auf rund 600000m3 berechneten Nutzungspotenzial genutzt werden?
Im Waldentwicklungsplan 2018+ (WEP 2018+) wurden die wichtigsten zukünftigen Handlungsfelder der Waldbewirtschaftung identifiziert. Es sind dies der Umgang mit dem Klimawandel, die Pflege der notwendigen Schutzwaldfläche, die Sicherung der erforderlichen Waldverjüngung und die Finanzierung der öffentlichen Leistungen des Waldes. Die Holznutzung spielt für alle diese eine mehr oder weniger grosse Rolle. Die Holznutzung wird im WEP 2018+ dementsprechend als eine der prioritären Waldleistungen behandelt. Im dazugehörigen Objektblatt wird die Bedeutung der Holznutzung für die Waldpflege dargestellt, die Zielsetzungen und Strategien zur ökonomischen Nutzung des vorhandenen Holznutzungspotenzials festgelegt und das Vorgehen bei Überlagerungen mit anderen Waldfunktionen aufgezeigt. Trotz des mengenmässig hohen Potenzials wird die Holzproduktion nicht mehr als Hauptleistung des Bündner Waldes angesehen, sondern als Koppelprodukt hauptsächlich der Schutzwaldpflege. Der Begriff Koppelprodukt darf in diesem Zusammenhang nicht negativ, sondern soll positiv definiert werden, und zwar als Nutzen, welcher bei der Erbringung einer anderen Leistung anfällt, ohne die Hauptmotivation für deren Herstellung zu sein. Holz ist aber nicht nur ein Koppelprodukt der Schutzwaldpflege, sondern spielt auch eine wichtige Rolle in der aktuellen Klimadiskussion und der rasch notwendigen CO²-Reduktion. Die rechtzeitige Verjüngung der Schutzwälder ist das vordringlichste Ziel der Schutzwaldpflege. Dafür muss zwingend Holz geschlagen werden. Ohne Holznutzung würden die Vorräte weiter steigen. Dies führt zu einem höheren Risiko für Zwangsnutzungen oder grossflächigeren Zusammenbrüchen. Würde man nun das für die Schutzwaldpflege geschlagene oder durch Naturereignisse geworfene Holz einfach liegenlassen, würde das gespeicherte CO² wieder in die Luft abgegeben. Mit der Nutzung des Holzes und einer Verarbeitung in langlebige Holzprodukte bleibt das CO² aber noch lange im Holz gespeichert. Verwertet man es als Energieholz, wird zwar das gespeicherte CO² sofort wieder freigesetzt, in der Regel substituiert es aber eine fossile Energiequelle und verhindert damit ein weiteres Ansteigen des CO²-Anteils in der Luft. Die Holznutzung ist also eine wichtige und im Gegensatz zu anderen Massnahmen auch billige Methode, welche dazu beiträgt, den CO²-Gehalt in der Luft zu senken. Die Akkumulierung von Holz im Wald durch eine Vorratserhöhung ist der falsche Weg, um die Herausforderung der CO²-Reduktion anzupacken. Wir lösen damit das Problem nicht, sondern schieben es «auf die lange Bank». Die Folgen des Klimawandels werden auch in den Bündner Wäldern sicht- und spürbar werden. Wir wissen aber heute zu wenig, wie sich der Klimawandel konkret auf den einzelnen Waldstandort auswirkt. Welche Merkmale für die Holzproduktion in Zukunft entscheidend sein werden, ist ebenfalls schwer vorauszusagen. Bezüglich Holzproduktion wäre eine aktive Waldbaustrategie, welche nur auf bestimmte Baumarten oder Waldstrukturen setzt, also höchst risikovoll. Anzustreben sind, nicht nur aus der Sicht der Holzproduktion, vielmehr eine
Die Holzproduktion ist aktuell ein Balanceakt zwischen betriebswirtschaftlichem und volkswirtschaftlichem Nutzen.
möglichst diverse Baumartenzusammensetzung und unterschiedliche Strukturen auf kleinem Raum. Soll zudem auch die zukünftige Bedeutung des Waldes berücksichtigt werden, wird die Aufgabe noch schwieriger. Die Lösung dürfte auch hier ein multifunktioneller Waldbau sein, welcher möglichst viele Möglichkeiten bietet, auf neue Anliegen zu reagieren. Setzt sich die Entwicklung wie in den letzten Jahren fort, werden die Holzqualität und die Holzart in Zukunft eine wesentlich kleinere Rolle spielen als heute. Holz kann, wie andere Rohstoffe auch, in «Einzelteile» aufgesplittet und dann zum gewünschten Produkt zusammengefügt werden. Diese Entwicklung hätte aber zur Folge, dass die unspezifische Massenholzproduktion, welche überall auf der Welt erfolgen kann, an Bedeutung zunehmen und der Anteil der Nischenprodukte noch kleiner werden würde als heute. Dies wäre für Nischenprodukte im Kanton eine besondere Herausforderung. Eine wichtige Rolle bei der zukünftigen Bedeutung der Holznutzung spielt eine funktionierende Holzkette. Im Kanton Graubünden fehlt aktuell ein wichtiges Glied der Kette fast vollständig: die Sägereien. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es sehr schwierig ist, eine Branche aufzubauen, welche wenig oder nur schwach ausgeprägte USP (Unique Selling Proposition²) hat und einer starken Konkurrenz aus dem In- und Ausland ausgeliefert ist. Die bestehenden Sägereien im Kanton leben grösstenteils von solchen USP, sie können aber mit nur circa 10 bis 15 Prozent einen kleinen Teil des geernteten Stammholzes verarbeiten und verkaufen. Neue Sägereien im Kanton sollten vorteilhaft auf eine klaren USP aufbauen und die bestehenden Sägereien im Kanton nicht direkt konkurrenzieren. Aus der Sicht der Holzproduzenten spielt der Holzpreis eine wichtige Rolle. Die Holzpreise werden auf dem internationalen Markt gemacht. Der Bündner Holzmarkt hat, ausser für Nischensorti-
Produktion von Rundholz als Basis einer regionalen Wertschöpfungskette.
mente, keinen Einfluss darauf. Eine Bündner Sägerei kann, um konkurrenzfähig zu sein, also nicht wesentlich bessere Preise für das Stammholz zahlen als die umliegenden Grosssägereien. Für die Waldeigentümer lohnt es sich aus betriebswirtschaftlicher Sicht bei den aktuellen oder bei noch tieferen Holzpreisen, immer weniger Holz zu nutzen. Solange das Holz im Ausland verkauft wird und wenig zur Wertschöpfung im Kanton beiträgt, lohnt es sich auch aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht, die Holzproduktion zu fördern. Ohne Massnahmen ist also mit einer sinkenden Holznutzung zu rechnen.
Wie könnte die Situation verbessert werden?
Wenn jeder Akteur in der Holzkette rein betriebswirtschaftlich denkt, ist kaum ein Fortschritt denkbar. Anders sieht es aus, wenn das Problem regional und aus volkswirtschaftlicher Sicht betrachtet wird. Durch die Ansiedlung neuer regionaler Sägereien, welche einheimisches Holz einsagen, könnten neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Gemeinden als Waldeigentümerinnen könnten ihr Holz hauptsächlich diesen Sägereien verkaufen. Die regionale Wertschöpfung entlang der Holzkette könnte noch gesteigert werden, wenn sich für die weitere Verarbeitung der Schnittware neue Betriebe in der Region ansiedeln oder bestehende ausgebaut würden. Mit der Ansiedelung der Sägereien würde ein zusätzlicher, regionaler volkswirtschaftlicher Nutzen entstehen. Ob das betriebswirtschaftliche Defizit aus der Holzproduktion für die Forstbetriebe im Einzugsbereich der neuen Sägereien vermindert werden könnte, ist offen, da diese das Holz nicht wesentlich über dem Marktpreis kaufen können. Muss die Holznutzung aber wegen allfälliger Lieferverträge erhöht oder trotz allenfalls sinkender Holzpreise aufrechterhalten werden, könnten die
Defizite aber sogar noch zunehmen. Das Defizit der Forstbetriebe wäre aber durch den gesamten volkswirtschaftlichen Zusatznutzen für die Region oder die Gemeinde wahrscheinlich mehr als aufgewogen. Somit wären die betroffenen Gemeinden auch eher bereit, ihre Holzproduktion zu erhöhen oder mindestens zu erhalten. Die übrigen Glieder der Holzkette hätten durch den regionalen Ansatz auch eine mögliche USP für den Verkauf ihrer Holzprodukte. Ohne zusätzliche betriebs- oder volkswirtschaftliche Anreize für die Waldeigentümer beziehungsweise für die Wertschöpfungskette Holz dürfte – auch unter Beibehaltung der bereits heute geleisteten öffentlichen Beiträge für die Waldpflege – weniger Holz genutzt werden, da die Holznutzung dem internationalen Holzmarktverlauf ausgeliefert ist. Soll die Waldwirtschaft die aktuelle Holznutzung erhalten oder erhöhen, ist es aber wichtig, dass die scheinbaren Defizite, welche aus der Holznutzung entstehen, nicht als solche angesehen werden. Die Politik muss dafür sorgen, dass diese Kosten als Investition in die wirtschaftliche Entwicklung einer Gemeinde oder einer Region ausgewiesen werden und nicht als betriebswirtschaftliches Fehlverhalten der Forstbetriebe. Die grösste Chance für die Holzproduktion in Graubündens Wäldern ist die Nutzung als Koppelprodukt der übrigen Waldleistungen. Die Holzproduktion im Kanton Graubünden hat jedoch eine bessere Zukunft, wenn es der Wald- und Holzbranche gelingt, aus der CO²-Speicherung in langlebigen Holzprodukten einen finanziellen Beitrag zu erhalten und gleichzeitig versucht wird, eine funktionierende regionale Holzkette aufzubauen, dass sogar bei allfällig tieferen Holzpreisen und höheren Produktionspreisen ein volkswirtschaftlicher Mehrwert für die Region und den Kanton geschaffen wird.