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Künstliche Intelligenz im Wald – der neue «Waldmischungsgrad LFI»
Künstliche Intelligenz, Deep learning, hochaufgelöste Satellitenbilder, automatisierte Auswertungen, landesweite Datensätze etc. sind alles Begriffe, mit denen viele im Bereich Wald- und Forstwissenschaften schon einmal konfrontiert worden sind. Was steckt aber nun genau dahinter bzw. wird bereits angewandt? Im folgenden Artikel wird anhand des neuen «Waldmischungsgrades LFI» aufgezeigt, was fernerkundungs-technisch alles möglich ist und wo eben auch die Grenzen liegen. Dabei wird auch deutlich, dass ein Austausch zwischen der Praxis und der Forschung wichtiger denn je ist.
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L. Waser, M. Rüetschi, N. Rehush
Um Aussagen über den heutigen Zustand sowie die künftige Entwicklung des Waldes machen zu können, sind Angaben über die lokalen Vorkommen von Waldstandorttypen sowie deren Verteilung und Häufigkeit notwendig. Exakte und aktuelle Informationen zur Baumbedeckung auf nationaler Ebene bilden eine wichtige Grundlage zu Fragestellungen im Bereich Forstwirtschaft, Waldschutz, Biodiversität sowie Vernetzung von Lebensräumen (Ginzler & Waser 2017, Erbach & Weber 2020). Sie sind auch wichtig, um Aussagen über den heutigen Zustand sowie die zukünftige Entwicklung des Waldes zu machen. An der eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) werden im Rahmen des schweizerischen Landesforstinventars (LFI) seit ein paar Jahren repetitiv landesweite Datensätze basierend auf Fernerkundungsdaten ergänzend zur Stichprobeninventur produziert – nicht zuletzt dank einer hohen Nachfrage aus der Praxis. Dazu zählen beispielsweise das Vegetationshöhenmodell (VHM) (Ginzler & Hobi 2016) oder der Waldmischungsgrad (Waser et al. 2017). Dank frei verfügbaren Satellitenbildern, einem digitalen Geländemodell sowie Referenzdaten aus verschiedenen Quellen und neuesten Auswerteverfahren können heutzutage mit vernünftigem Aufwand aktuelle, flächendeckende, einheitliche und reproduzierbare Karten zur Laub und Nadelgehölzunterscheidung generiert werden. Der neue «Waldmischungsgrad LFI» (Waser et al. 2021) ist das Nachfolgeprodukt des Datensatzes aus dem Jahr
Abb.1: Der Klassifikationsansatz besteht aus drei Blöcken: Eingangsdaten, Klassifikation und Resultat.
2017 (Waser et al. 2017). Er ist sowohl bezüglich Eingangsdaten (Satelliten- anstatt Luftbilder) als auch methodisch (maschinelles Lernen, halb automatisiertes Verfahren) eine klare Weiterentwicklung. Trotz einer geringeren räumlichen Auflösung von 10 m gegenüber dem Vorgänger (3 m), konnte die Genauigkeit der Laub- und Nadelgehölzunterscheidung insbesondere in topografisch anspruchsvollen Bereichen (erschwerte Lichtverhältnisse durch Schatten in steilen und West- über Nord- bis Ostexponierten Hängen) deutlich verbessert werden. Da bei der Verwendung von herkömmlichen Satellitenbildern atmosphärische Einflüsse wie Dunst, Wolken und deren Schatten nach wie vor zu den grössten Einschränkungen zählen, wurden für den neuen Waldmischungsgrad LFI zusätzlich wetterunabhängige Radar-Satellitenbilder miteinbezogen.
Daten und Methodik
Der verwendete Ansatz zum neuen «Waldmischungsgrad LFI» durchläuft verschiedene Prozessschritte, die hier kurz erläutert werden, und lässt sich in die drei Blöcke (Eingangsdaten, Klassifikation und Resultate) einteilen (siehe Abb. 1). Zum ersten Block, den Eingangsdaten, zählen die frei verfügbaren Bilder der Erdbeobachtungssatelliten Sentinel-1 und Sentinel-2 aus dem Copernicus-Programm der Europäischen Weltraumbehörde ESA. Dabei wurden die Vorteile beider Aufnahmesysteme (Wetterunabhängigkeit des Radars und hohe Sensitivität für Vegetation im Nahen Infrarot) optimal kombiniert. Dank der vier Satelliten und der Kombination der beiden Systeme sind auch Aufnahmen der Erdoberfläche in einem verregneten Sommer möglich. Nichtsdestotrotz waren zur vollständigen wolkenfreien Abdeckung der Schweiz während der Hauptvegetationszeit (Juni–September) nahezu 1000 Satellitenbilder der Jahre 2016–2018 notwendig. Die Sentinel-1-Radaraufnahmen vom Winter und Sommer lieferten zusätzliche Informationen zur Belaubung und mithilfe des digitalen Geländemodells SwissAlti3D wurde die Komplexität der Topografie (Exposition, Hangneigung) ebenfalls mitberücksichtigt. Der Referenzdatensatz besteht aus gut 200 000 Laub- und Nadelbaumkronengruppen, die systematisch über die ganze Landesfläche verteilt, manuell aus Luftbildern am Bildschirm digitalisiert wurden. Im zweiten Block, der Klassifikation der Laub- und Nadelgehölze, wurden Verfahren des Maschinellen Lernens (grob eine Sammlung von mathematischen Methoden der Mustererkennung) angewendet. Basierend auf dem Referenzdatensatz und verschiedenen Kombinationen der Eingangsdaten werden die Modelle solange trainiert, validiert und getestet bis sie robust genug sind. Im dritten Block, den Resultaten, wird die Nadelgehölzwahrscheinlichkeit pro Pixel (10 m) als Karte dargestellt. Für den endgültigen landesweiten Datensatz wurden daraus die Laub- und Nadelgehölzanteile innerhalb der Waldmaske bestimmt.
Der neue «Waldmischungsgrad LFI» ist im Kartenviewer des swisstopo Geoportals (map.geo.admin.ch) integriert und kann gratis entweder über das Umweltdatenportal EnviDat der eidgenössischen Forschungsanstalt WSL oder über Lars Waser (waser@wsl.ch) bezogen werden. Wir freuen uns sehr, dass der Datensatz seit der Veröffentlichung bereits rege gebraucht wird. Bei dieser Gelegenheit möchten wir ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir auf Rückmeldungen aus der Praxis angewiesen sind. Denn nur durch diesen wertvollen Austausch können wir unsere Produkte weiter verbessern.
Ergebnis und Diskussion
Abbildung 2 zeigt den landesweiten Datensatz vom neuen «Waldmischungsgrad LFI». Die höchs-
Abb. 2: Der neue «Waldmischungsgrad LFI» mit einer räumlichen Auflösung von 10 mit Laubgehölzdominanz im Mittel-
land und den Tälern und einer deutlichen Zunahme des Nadelgehölzanteils mit der Höhe. (Bild: ©swisstopo, LFI, 2021)
ten Genauigkeiten (96 %) wurden bei gleichzeitiger Verwendung der Bilder von beiden Satellitensystemen und des Geländemodells erzielt. Wenn nur Radarbilder verwendet wurden, waren die Genauigkeiten am niedrigsten, was verdeutlicht, dass der sensitive auf Vegetation reagierende Nahinfrarotbereich aus optischen Satellitenbildern eine entscheidende Rolle spielt. Durch die Wetterunabhängigkeit der Sentinel1Radardaten sind dafür jährliche Erhebungen möglich. Da die Modellgenauigkeiten zwar wissenschaftlich interessant, aber von der Anwenderseite oftmals schwierig zu interpretieren sind, haben wir zusätzlich auch die Genauigkeit der Waldmischungsgradkarte untersucht. Ein Vergleich mit den unabhängigen Referenzdaten aus den gut 3000 LFILuftbildinterpretationsflächen (50 × 50 m Quadrate) zeigte dabei durchwegs 10–20 % tiefere Übereinstimmungen. Die grössten Abweichungen traten in Mischbeständen auf. Die Zeitdifferenz zwischen den Bildern der Luftbildinterpretation und denjenigen der Klassifikation spielt dabei sicherlich eine entscheidende Rolle. Des Weiteren haben wir den «Waldmischungsgrad LFI» visuell mit Luftbildern und auch vor Ort im Feld verifiziert. Abbildung 3 zeigt auf, dass die Ausscheidung von Laub und Nadelgehölzen sowohl links als auch rechts am Seeufer gut mit der Realität übereinstimmen.
Fazit
Dem hier vorgestellten landesweiten Datensatz mit einer detaillierten Darstellung der Laub und Nadelgehölze liegt ein robuster und automatisierter Ablauf zugrunde, der auf maschinellem Lernen, kontinuierlich aufgenommenen, landesweit verfügbaren Satellitenbildern und einem digitalen Geländemodell basiert. Der neue «Waldmischungsgrad LFI» ist anwendungsorientiert und dient als Grundlage für viele
Abb. 3: Überprüfung Laub- und Nadelgehölzunterscheidung zwischen Feldaufnahme (links) und der Klassifikation (rechts) im Gebiet Obersee, Kanton Glarus. (Bild: © LFI, swisstopo 2021).
Anwendungen innerhalb und ausserhalb des Forstbereiches. Mit einer räumlichen Auflösung von 10 m eignet er sich primär als wertvolle Informationsquelle pro Flächeneinheit, z. B. Viertel-Hektare und nicht auf Einzelbaumniveau – denn hierzu ist die Pixelgrösse von 10 m zu grob. Er ist als Ergänzung zu den LFI-Stichprobenerhebungen zu betrachten, eignet sich zur Aktualisierung von Bestandeskarten und schafft dadurch insgesamt einen Mehrwert. Eine landesweite Karte mit der räumlichen Verteilung der Hauptbaumarten wird momentan im Rahmen einer Dissertation an der WSL entwickelt. Wir sind zuversichtlich, dass für den Kanton Graubünden schon Bald eine entsprechende Baumartenkarte zur Verfügung stehen wird.
Literaturverzeichnis
– Erbach, A.; Weber, D., 2020. Waldmonitoring mit Satelliten: von der Forschung in die Praxis.
Bündnerwald, 73(5), 32–35. – Ginzler, C.; Hobi, M.L., 2016. Das aktuelle Vegetationshöhenmodell der Schweiz: spezifische Anwendungen im Waldbereich. Schweizerische
Zeitschrift für Forstwesen, 167 (3), 128–135. – Ginzler, C.; Waser, L.T., 2017. Entwicklungen im
Bereich der Fernerkundung für forstliche Anwendungen. Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen, 168(3), 118–126. – Waser, L.T.; Ginzler, C.; Rehush, N., 2017. Wallto-wall tree type mapping from countrywide airborne remote sensing surveys. Remote Sensing 9, 766. – Waser, L.T.; Rüetschi, M.; Psomas, A.; Small, D.;
Rehush, N., 2021. Mapping dominant leaf type based on combined Sentinel-1/-2 data – challenges for mountainous countries. for ISPRS Journal of Photogrammetry and Remote Sensing.