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Späte Ehre für Madrisa

In der Juniausgabe des «Bündner Waldes» ist eine Doppelseite mit einem alten Schwarz-Weiss-Foto erschienen. Darauf zu sehen ist eine Freibergerstute, die am verschneiten Mittenberg bei Chur Holz rückt. Hier die Geschichte hinter dem Bild.

U. Straub

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Die schöne Stute, die 20 «Trämel» Holz vom Mittenberg nach Chur schleift, ist Madrisa. Sie gehörte meinem Neni. Auf dem Foto aus den Fünfzigerjahren lenkt aber nicht er die Fuhre, sondern sein Bruder, Jakob «Joggi» Ryffel. Das ist erstaunlich, war doch mein Neni, Rudolf Ryffel, Fuhrhalter und sein Bruder Bauer. Zusammen haben sie einen Hof bewirtschaftet, zuoberst an der Berggasse. Im sogenannten Bondarank, an der Bondastrasse, stand der Stall. Mein Nani soll sich aufgeregt haben, damals, als sie das Foto sah – eben weil Neni der Rösseler war. So erinnert sich meine Mutter, Maya Ryffel Straub. Sie hat Madrisa auf dem SchwarzWeissFoto sofort erkannt.

Im Galopp die Bondastrasse hoch

Um halb vier Uhr morgens stand Ruedi Ryffel jeweils im Stall, um seine Pferde zu striegeln. Neben Madrisa waren da noch Nelly, David – und Apfelschimmel Goliath, ein belgisches Ackerpferd und wie der Name sagt, ein riesenhaftes Tier. Allesamt waren sie Arbeitspferde. Im Winter rückten sie Holz, im Sommer zogen sie die Heufuhren. Die sogenannten Stellscheine für die Fuhren holten meine Mutter und ihre Schwester, Johanna Ryffel, jeweils im Werkhof an der Steinbruchstrasse ab. Die Aufgabe der beiden Schwestern war es auch, die Rösser am Bondabrunnen zu tränken. Ohne Sattel galoppierten die beiden Mädchen danach die Bondastrasse bis zum Schützenweg hoch.

Langsam rückwärts

Einen kleinen Tick hatte die Stute Nelly: Wenn sie stillstehen sollte, bewegte sie sich in kleinen Schrittchen rückwärts. «So holte sie einmal fast den Heiligen Nepomuk in Domat/Ems vom Sockel», erinnert sich meine Mutter.

Bis Ende der Fünfzigerjahre fuhrwerkte mein Neni mit seinen Pferden. Er hat sich mit ihnen blind verstanden. Für die letzten zehn Jahre bis zu seiner Pensionierung schaffte er sich einen Rapid an. Er konnte ihn zwar bedienen und fahren, aber mit Motoren tat er sich schwer. Mit den Rössern hingegen fühlte er sich wohl. Die brave Madrisa hat ihn am längsten begleitet. Sie wurde über 20 Jahre alt. Schliesslich ist sie im Maiensäss am Emserberg an Kreuzschlag gestorben, einer Entzündung der Rückenmuskulatur. «Sie ist einfach nicht mehr aufgestanden», sagt meine Mutter. «Und musste erlöst werden.» Heute wird in Chur kein Holz mehr gerückt. Madrisa aber hat mit dem prächtigen Foto ein spätes Andenken erhalten.

Ursina Straub ist Redaktorin der «Südostschweiz», Ausgabe Graubünden.

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