5 minute read

Offenland

Biodiversitätsförderung im Übergang von Wald und Offenland

Zufrieden und müde sind die Primarschüler von Sagogn nach ihrem Einsatz. Zusammen mit dem Forstdienst und der Stiftung Platta Pussenta haben sie oberhalb des Dorfes Sträucher zurückgeschnitten, Adlerfarn bekämpft und Tümpel saniert. Damit tragen sie bei, das ökologische Potenzial eines während längerer Zeit brachliegenden Gebietes zu nutzen und die Biodiversität vor ihrer Haustüre zu fördern. Die Schüler sind ein Mosaikstein eines erfolgreichen Gemeinschaftswerks von Wald, Landwirtschaft und Naturschutz.

Advertisement

M. Dipner, Ch. Buchli

Das Gebiet Teit liegt direkt oberhalb des Dorfes Sagogn. Es umfasst extensiv genutzte Wiesen in der Landwirtschaftlichen Nutzfläche, oberhalb liegt eine ehemalige Allmende. Die Beweidung der Allmende wurde schon länger aufgegeben – eine nicht untypische Situation für schwierig zu bewirtschaftende Flächen im Berggebiet. Die Folge: Verbuschung und Waldeinwuchs bis auf Restflächen. Diese Restflächen sind immer noch wertvoll und beherbergen Trocken- und Flachmoorvegetation. Im nassen Bereich finden sich zudem Quellen und Tümpel, die zum hohen ökologischen Wert des Gebietes beitragen.

Inventarflächen ohne angepasste Nutzung und Pflege

Im Rahmen der TWW-Kartierung des Bundes Ende der 90er-Jahre wurde die LN sowie ein Teil der noch offenen Allmende erfasst. Die Vegetationsqualität entsprach dem Bundesschlüssel. Eine Nachkartierung aus dem Jahr 2018 hat diesen Befund bestätigt. Das Flachmoor wurde mit lokaler Bedeutung klassiert. Damit Artvorkommen und Lebensraum erhalten bleiben, muss die Verbuschung aufgehalten und rückgängig gemacht werden. Ein typischer Fall für das Brachenprojekt des ANU. Werden in einem Objekt Lösungen für eine nachhaltige Nutzung und/oder Pflege gesucht, so werden immer alle Akteure mit einbezogen und es werden nicht nur Überlegungen zur Erhaltung des Gebiets, sondern

Abb. 1a: Das Gebiet Teit 1956.

Abb. 1b: Das Gebiet Teit vor Projektbeginn.

Abb. 2: Zustand vor dem Eingriff: Überständiges Gras, aufkommende Büsche, Adlerfarn und im Hintergrund der

aufgekommene Wald. (Bild: Michael Dipner)

auch zur Aufwertung, Vergrösserung und Vernetzung gemacht. Resultat in Sagogn: ein Massnahmenplan abgestützt durch ANU, AWN, Gemeinde und Landwirt.

Synergie mit Waldbiodiversität, Bereitschaft eines Landwirts, Wirkungskontrolle

Im aktuell gültigen Waldentwicklungsplan 2018+ wird das betrachtete Gebiet als Lichter Wald ausgeschieden. Es handelt sich nicht um Schutzwald. Die forstliche Zielsetzung besteht darin, einen offenen Waldcharakter mit einer artenreichen Krautschicht zu erhalten und raschwüchsige, zu Kronenschluss neigende Bäume zu entfernen. Der Waldstandort kommt einem typischen Erika-Fichtenwald am nächsten. Es ist ein trockener Standort auf basenreichem Untergrund. Neben der Fichte sind relativ viele Waldföhren sowie einzelne Lärchen beigemischt. Der Ausgangszustand präsentierte sich als einschichtiges, mittleres Baumholz mit einem Deckungsgrad von 80 %. Um einen offeneren Waldcharakter zu erreichen, wurde mittels Holzschlag rund 50 % des Vorrats entnommen, wobei vorwiegend Fichten angezeichnet wurden. Das Resultat kann sich durchaus sehen lassen. Insbesondere wurde die artenreiche Strauchschicht an bezeichneten Stellen belassen und so auch innerhalb der Fläche verschiedene Lebensräume erhalten. Damit die Zielsetzung Lichter Wald nachhaltig erreicht werden kann, soll diese Fläche in Zukunft mit Schafen beweidet werden. Diese Beweidung wird in einem Wald-Weide-Reglement bezeichnet und klar geregelt. Ein Landwirt mit viel Erfahrung bei der extensiven Weidenutzung von Biodiversitätsflächen hat die Bewirtschaftung der Fläche mit seinen Heidschnucken übernommen. Dank seiner sorgfältigen Arbeit konnten schon andere Flächen im Gebiet in Bezug auf Adlerfarn und Verbuschung saniert werden. Sein Erfolgsrezept: Nach jedem Weidgang werden die verbleibenden Adlerfarne mit der Mo-

Abb. 3: Der Massnahmenplan: Neben der Auflichtung der Waldweide sind auch Aufwertungen im Bereich des Nassstandorts geplant. Eine Teilfläche soll nicht beweidet und falls notwendig mittels Pflege als Blösse offengehalten werden.

torsense konsequent gemäht. Eine grosse Aufgabe mit einem verblüffend positiven Effekt. Solches Know-how und Erkenntnisse sind gefragt; das ANU unterstützt daher diese Arbeit auf den Biotopflächen mit den üblichen Beiträgen bis zur Anerkennung der Flächen durch das ALG. Um die Entwicklung der Vegetation beurteilen zu können, wurden auf Referenzstandorten Vegetationsaufnahmen gemacht. Diese sind insbesondere im Flachmoorbereich notwendig, da eine Schafbeweidung auf feuchten Standorten nicht unproblematisch sein kann. Auch die Entwicklung des Adlerfarns wird beobachtet.

Die Umsetzung: Viel Goodwill und konstruktive Zusammenarbeit

Die Umsetzung des Massnahmenplans ist bis jetzt sehr gut verlaufen. Dabei spielt die günstige Konstellation vor Ort eine sehr grosse Rolle: – Die Gemeinde war mit der Aufwertung einverstanden. – Mit der Stiftung «Platta Pussenta» ist für das

ANU eine ideale Projektträgerschaft vor Ort aktiv. Die langfristige Hege und Pflege der Natur- und Kulturlandschaft in den vier Gemeinden

Falera, Laax, Sagogn und Schluein ist Stiftungszweck. Insbesondere sollen Weiden vom Einwachsen bewahrt, wertvolle Biotope gefördert und Hecken jährlich gepflegt werden. – Die Schule von Sagogn ist interessiert an Einsätzen und unterstützt via Platta Pussenta mit Ausdauer und Engagement die Arbeiten des Forstbetriebs und des Landwirtes. – Die Co-Finanzierung der Aufwertung und Pflege durch das ANU im Offenland und AWN auf Waldareal konnte problemlos sichergestellt werden. Die Schüler werden auch in Zukunft an der Biodiversitätsförderung vor Ort mithelfen. Sie tun das

Abb. 4: Die Primarschüler beim Einsatz – viele fleissige

Hände ermöglichen ein tolles Resultat. (Bild: Ch. Buchli)

mit grossem Engagement – wie im Beitrag von RTR zu sehen ist.

Das Brachenprojekt des ANU: Ein innovatives Programm für die Erhaltung vergandender Lebensräume

Der Kanton GR ist der mit Abstand wichtigste Kanton für Trockenwiesen und -weiden (TWW) der Schweiz. Fast 40 % der Fläche des nationalen Inventars liegen im Kanton Graubünden. Die regionale Vielfalt ist einmalig (Südtäler, inneralpine Täler, Nordalpen). Es ist ein grosses Anliegen des ANU, die Wertschätzung für diesen attraktiven Lebensraum und für die Akteure, die diese Flächen nutzen und pflegen, zu erhöhen. Viele TWW-Objekte des Kantons GR sind steil, abgelegen und können nicht rationell bewirtschaftet werden. Bei Unternutzung und Nutzungsaufgabe folgen meist Verbrachung und Verbuschung. Die ökologische und landschaftliche Qualität dieser Flächen ist bedroht. Bei gut 10 % der TWW-Objekte besteht ein grosser Handlungsbedarf. Im Rahmen des Brachenprojekts des ANU werden diese Objekte systematisch bearbeitet. Mit den Akteuren vor Ort werden Umsetzungslösungen gesucht und danach umgesetzt. Wie zum Beispiel in Sagogn.

Studie zur Artenvielfalt im halb offenen Gebiet im Bereich von TWW

2019 hat Denise Binggeli in einer von der Schweizerischen Stiftung für Alpine Forschung (SSAF) finanziell unterstützten Arbeit die Artenvielfalt an den Gebüschrändern zu Trockenwiesen und -weiden in der Gemeinde Ilanz/Glion untersucht. In sechs Objekten von nationaler Bedeutung wurden auf Testflächen mit unterschiedlichem Beschattungsgrad alle Arten erhoben. Hauptergebnis: Bei einer leichten Beschattung kommen am meisten verschiedene Pflanzenarten vor (Abb. 4). Bedrohte oder geschützte Pflanzenarten waren jedoch in den offenen Bereichen der Trockenwiese und -weide am häufigsten.

Abb. 5: Anzahl Pflanzenarten für die vier Beschattungskategorien im gesamten Untersuchungsgebiet: TWW Objekte Pischleras, Vintgins, Rofna, S. Bistgaun, Mulin da Pitasch/Grotta, Peiden Boger/Pisquè.

Michael Dipner ist Teilhaber von Büro oekoskop.

Christian Buchli ist Regionalforstingenieur und WaldbiodiversitätsSpezialist bei der Region Surselva.

This article is from: