iz3w Magazin # 353

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Spiele von oben – Olympia in Rio de Janeiro

iz3w t informationszentrum 3. welt

Außerdem t Gewalt in Mexiko t Trickfilme aus Afrika t Studiproteste in Südafrika

März/April 2016 Ausgabe q 353 Einzelheft 6 5,30 Abo 6 31,80


In dies er Aus gabe

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Dossier: Olympia in Brasilien Titelmotiv: Tânia Rêgo

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3 Editorial

D· 6 Inszenierte Partystimmung Eine Exkursion in die Olympiastadt Rio de Janeiro

Politik und Ökonomie

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Sex Work: Von Indien lernen Die Selbstorganisierung indischer Sexarbeiter*innen als Vorbild von Marleen

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Südafrika: Dekolonisierung von Hochschule und Gesellschaft Studierendenbewegung in Südafrika von Heike Becker

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Mexiko II: »Wir sind keine Dienerinnen« Haushaltsarbeiterinnen politisieren ihre Arbeit von Sarah Bose

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Löchrige Festung

Sicherheit in Rio vor, während und nach Olympia von Dennis Pauschinger

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Mexiko I: Die Macht des Todes Warum die Gewalt in Mexiko endemisch geworden ist von Timo Dorsch

Westsahara: »Ich bin der Kopf der Familie«

von Uta Grunert

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Indien: Tödliche Agrarkrise Pestizide vergiften die indische Landbevölkerung von Hanns Wienold

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Was nach dem Abpfiff blieb Ein kritischer Rückblick auf die Männer-Fußball-WM 2014 von Thomas Fatheuer und Christian Russau

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In der saharauischen Gesellschaft haben Frauen eine bedeutende Rolle inne von Friedemann Neumann

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LGBTQ: Reine Propaganda

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Der Vorwurf des »Pinkwashing« ist so haltlos wie perfide von Alex Feuerherdt

Schwarze Gürtel für das Leben Die brasilianische Judoauswahl trainiert nicht nur für Medaillen von Nils Brock

Ordnung und Fortschritt Notizen zu Sport und Ideologie von Roger Behrens

Wer gewinnt, wer verliert? Rios Zivilgesellschaft debattiert über die Stadt von morgen von Itamar Silva Baía de Guanabara: Das stinkt zum Himmel! von Fabian Kern

Städte ohne Identität Brasiliens Regierungen pushen urbane Fehlentwicklungen von Daniel Santini

Demokratisierung versus Militarisierung Politiken der Sexualität im Kontext von Gentrifizierung und Megaevents von Jan Hutta

Wer oder was sind die Linken? Die Lähmung der Progressiven und die Stärke der Konservativen von Verena Glass

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Zeitschriften · Bücher · Multimedia Impressum

Kultur und Debatte 24

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Film I: Mutige Mädchen in futuristischen Welten

29 Rezensionen

Animationsfilme aus Subsahara-Afrika brechen mit Tabus von Alice Rombach

30 Szene

Rezension: »Clevere Ausnutzung der religiösen Frage« Ein neues Standardwerk über die Kollaboration von Nazis und Muslimen von Matthias Küntzel

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Film II: God is not working on Sunday! von Martina Backes

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Impressum

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Editor ia l

Es gibt Lernbedarf Es muss ein hartes Wochenende gewesen sein, mit langen Nachtschichten, vor allem aber unerfreulichen Vorfällen. Jedenfalls lagen die Nerven blank bei den BetreiberInnen des Freiburger Szene-Clubs White Rabbit. Anders ist nicht zu erklären, warum das Kollektiv wenige Tage später in einer internen Email ankündigte, »dass wir vorerst keine Menschen mehr in das White Rabbit reinlassen werden, die nur eine Aufenthaltsgestattung besitzen.« Für einen linken Club, in dem Flüchtlings-Unterstützergruppen Solipartys ausrichten und wo antirassistische Veranstaltungen stattfinden, war dies eine bestürzende Ansage. Die Leute vom White Rabbit begründeten sie so: »…wir sehen momentan keinen anderen Weg, wie wir gewisse Probleme mit Geflüchteten in den Griff kriegen können.« Am Ende der Mail waren einige Probleme ­aufgelistet, etwa die Verabreichung von KO-Tropfen, ­sexuelle Belästigungen selbst noch auf dem Frauen-WC sowie versuchte Vergewaltigung eines weiblichen Gastes auf dem Nachhauseweg. »Diese Vorfälle führen dazu, dass sich viele unserer weiblichen Besucher im White Rabbit nicht mehr wohlfühlen«, klagte das White Rabbit.

In der aufgeheizten Atmosphäre nach den sexuellen

Übergriffen in der Kölner Silvesternacht konnte es nicht überraschen, dass die Ankündigung des White Rabbit für mediales Aufsehen, ja für einen Shitstorm sorgte. Ausgelöst wurde er, nachdem eine linke Gruppe das Email auf Facebook publizierte und eine lokale Sektion der AfD davon Wind bekam. Für sie war das eine Steilvorlage, um sich erneut als Schutzherr der (deutschen) Frauen aufzuspielen. Nun hagelte es Berichte und Kommentare. Alle großen Medien schrieben seitenweise über die Türpolitik von Freiburger Clubs, zu der normalerweise nicht mal das Lokalblättle ein Wort verliert. Der Tenor der Kommentare war zweistimmig: »Wenn selbst im beschaulichen liberalen Freiburg die Flüchtlinge so große Probleme bereiten, dass selbst linke Clubs die Tür vor ihnen schließen, muss ja wohl was dran sein an der Sorgen der BürgerInnen«, lautete zusammengefasst die eine Version. Sie wurde begierig aufgegriffen, etwa vom grünen Freiburger OB, der »hartes Durchgreifen« gegenüber den mutmaßlichen Tätern forderte. Die andere Version lautete: »Pauschal alle Flüchtlinge für das Fehlverhalten Einzelner haftbar zu machen und sie auszugrenzen, ist diskriminierend.« Die durchaus zahlreichen VerfechterInnen dieser Position beklagten die Instrumentalisierung von »Köln« und »Freiburg« durch RechtspopulistInnen und forderten mehr Differenzierung im Umgang mit Flüchtlingen. Das von der Medienlawine überrollte White Rabbit war inzwischen über sich selbst erschrocken und nahm das

nie umgesetzte Zutrittsverbot für Flüchtlinge zurück. Sexis­ mus soll nun durch verpflichtende Verhaltensregeln für alle BesucherInnen zurückgedrängt werden. Ende gut, alles gut? Leider nicht. Einerseits dominiert in der Mehrheits­ gesellschaft weiterhin eine triumphierende Haltung gegen­ über »nordafrikanischen Männern«. Sie verbindet den Stolz auf die (mehr imaginierte denn reale) Domestizierung des Sexismus mit dem autoritären Entzug von Grundrechten wie dem auf Asyl (in den Worten von Linke-Fraktionschefin Sarah Wagenknecht: »Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht dann eben auch verwirkt«). Andererseits spielen bestimmte linke Milieus beharrlich den Sexismus herunter, solange er vom Gegenstand ihrer paternalistischen Zuneigung verübt wird. Sie weigern sich, über patriarchale religiöse und traditionalistische Struk­turen in den Herkunftsländern von Geflüchteten (ja, auch nordafrikanischen) auch nur zu sprechen und wittern hinter allen Erklärungsversuchen rassistische und ‚islamophobe’ Hetze. Ganz so einfach ist es dann doch nicht; wie etwa ein Gespräch mit marokkanischen Feministinnen offenbaren würde.

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orauf »Köln« und »Freiburg« vor allem verweisen, ist das Defizit der hiesigen Gesellschaft, ein Grundrecht wie Asyl uneingeschränkt anzuerkennen, ohne daraus irgendwelche Sonderbehandlungen für Asylsuchende abzuleiten – seien sie nun positiv oder negativ. Hier besteht bis weit ins linke Milieu hinein kollektiver Lern- und Diskussions­ bedarf. Lernen lässt sich zum Beispiel von Musa Okwonga, einem in Berlin lebenden britisch-ugandischen Autor. Er weigert sich, antirassistische gegen antisexistische Solidarität auszuspielen, und zeigt jene Empathie, die in diesen Tagen so oft fehlt: »Als schwarze Männer mit afrikanischen Wurzeln hassen uns die Rassisten in Deutschland sowieso. Sie dachten schon beim ersten Anblick, wir seien Vergewaltiger und Perverse... Ihnen sind die Frauen, die in Köln und Hamburg angegriffen wurden, egal … Deswegen sind mir diese Leute eigentlich egal … Wieso fangen wir nicht bei dem prinzipiellen Grundrecht der Frau an, sich, wo immer sie sich auch auf der Welt aufhält, frei auf der Straße bewegen zu können, ohne dabei begrapscht zu werden? Und wieso sehen wir dies nicht als perfekten Moment für den Mann an, egal welchen Hintergrunds, ernsthaft wütend darüber zu werden, wie Frauen im öffentlichen Raum behandelt werden… Lasst uns unser Bestes tun, der global schon viel zu lange vorherrschenden Frauenfeindlichkeit entgegenzutreten und den wie auch immer gearteten sexistischen Lehren der Unterdrückung zu entsagen.« Dem nichts mehr hinzuzufügen hat die redaktion

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Inszenierte Partystimmung Eine Exkursion in die Olympiastadt Rio de Janeiro Rio de Janeiro nutzt die Olympischen Spiele, um grundlegende stadtpolitische Weichenstellungen durchzuführen. Die Stadt tut alles für ihren Auftritt als touristisch attraktive Megacity. In dem hier präsentierten Reisetagebuch geht es um Begegnungen mit Menschen, die sich gegen die damit einhergehende Vertreibung zur Wehr setzen.

von Uta Grunert Wir stehen auf dem Morro da Urca, dem weniger prominenten Berg mit der Seilbahn-Mittelstation, über den man zum Zuckerhut hinauffährt. Ein klassisches Touristenziel in Rio de Janeiro. Die Aussicht erstreckt sich über die Bucht von Guanabara, die wegen ihrer starken Verschmutzung die Medien beschäftigt. Sie ist der Austragungsort für die Segel- und Ruderwettkämpfe bei den Olympischen Sommerspielen 2016. Etwa achtzig Prozent der städtischen A ­ b­wäs­ser flossen bisher ungereinigt in die Bucht, voller Müll aus Flüssen und Kanälen. Alles in unmittelbarer Nähe zu acht Millionen Menschen, die um die Bucht herum wohnen. Vom Morro da Urca aus zu sehen sind Segelboote und große Tanker, Erdölplattformen und schmieriger Schaum auf dem Wasser. Das städtische Panorama dahinter umfasst die typischen Hochhäuser einer Metropole. Sie erstrecken sich entlang der Küstenlinie mit den berühmten Stränden. Einige wenige Favelas kriechen die grünen Hügel hinauf. Auf den ersten Blick wirkt die Stadtansicht der Megametropole mit ihren schätzungsweise über 12 Millionen EinwohnerInnen ästhetisch ansprechend: Bewaldete und urbane Flächen wechseln sich ab, horizontale Küstenlinien, Wasserflächen und vertikale Hügel bieten dem touristischen Auge Abwechslung tt

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und Ausblick auf bekannte Markenzeichen wie die Christusstatue auf dem Corcovado.

Menschen werden unsichtbar gemacht »Was sehen wir von Rio de Janeiro? Und was sehen wir nicht, weil es verdeckt ist oder sogar bewusst unsichtbar gemacht wird?« So lautet die Einstiegsfrage an die Gruppe von Geographie-Studierenden aus Bayreuth und Hamburg, die ich mit ihren Dozenten ­Tobias Schmitt und Jan Hutta auf eine postkoloniale Brasilienexkursion begleite. Schon an dieser ersten Station wird mir bewusst, was ich hier bei meinem letzten Rio-Besuch vor vielen Jahren nicht wahrgenommen habe: Die Stadt ist zigmal größer als das, was das Auge erfasst. Ein Teil ihrer Strände ist nicht natürlich gewachsen, sondern wurde geformt. Jenseits der Hügel erstreckt sich die Peripherie von Rio mit Quartieren wie Cosmos oder Campo Grande, die vom Zuckerhut aus nicht zu sehen sind. In den folgenden Tagen lerne ich Menschen und Orte kennen, die nicht auf den ersten Blick wahrzunehmen sind oder die sich gegen die Unsichtbarmachung in ihrer Stadt zur Wehr setzen. Vorbei am Maracanã-Stadion und der Favela Maré fahren wir von der Kernstadt nach Nordosten in die Peripherie von Rio de Janeiro. In Campo Grande treffen wir Glauce, eine brasilianische Geographiestudentin. Sie lebt in der Zona Oeste im Westen der Stadt und braucht mit öffentlichen Verkehrsmitteln eine Stunde bis zur Uni und zwei Stunden bis ins Zentrum. »Die Olympiade wird den Tourismus weiter ankurbeln und der Stadt Devisen einbringen. Für die BewohnerInnen von Rio bringt sie erneut höhere Lebenshaltungskosten mit sich und hat keine positiven Effekte«, prognostiziert die junge Frau. Die neuen Verkehrsmittel wie das Schnell-

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Auf Hochglanz poliert: Die Olympia-Stadt am Hafen | Abrissaktion in der Favela Manguinhos

Fotos: U. Grunert, AF Rodrigues

bussystem BRT, das auf 26 Kilometer separaten Trassen fährt, und städtischen Umbaus für die Olympiade aufgeben. Wegen der Spiele werden 65.000 Personen zwangsweise umgesiedelt«, schätzt die verlängerte Metrolinie 4 sind kostspielig und ihre Nutzung für viele nicht erschwinglich. Ihr Streckenverlauf bedient vor allem Sandra Quintela vom Politik-Institut PACS die Situation ein. Es sei touristisch attraktive Orte. Ein Großteil der Bevölkerung ist weiterschwierig, die Vertriebenen zu unterstützen, selbst Straßensozialarbeit sei derzeit großer Repression ausgesetzt. Die MitarbeiterInnen hin auf die überfüllten Busse angewiesen, die zusammen mit dem von PACS begleiten die städtische Umstrukturierung, die unter dem Individualverkehr die Straßen verstopfen und zu Stoßzeiten lange Deckmantel von sportlichen Großereignissen geschieht, seit vielen Staus bilden. Jahren kritisch. Sie arbeiten eng mit dem WM- und Olympia-Basis2013 hatte der Unmut über Preissteigerungen im öffentlichen komitee zusammen, das bereits die Stadtentwicklung rund um die Nahverkehr in vielen großen Städten Brasiliens zu Aufsehen erreFußball-WM 2014 dokumentiert und kritisiert hat und nun erneut genden Massenprotesten geführt. Eine zentrale Frage in Rio dabei Protest und Kampagnen zusammenführt. war: Dient der öffentliche Nahverkehr allen? Beim Zustieg in bestimmte Buslinien findet vor allem am Wochenende regelmäßig Für BewohnerInnen ohne regelmäßiges Einkommen, die aus eine rassistische Auslese durch die Polizei statt. Gruppen von jungen einer informellen Siedlung vertrieben wurden, stellt die Finanzierung Männern mit dunkler Hautfarbe aus dem ärmeren Norden der Stadt der 400 Euro hohen Miete für eine möblierte 43-Quadratmeterwerden selektiv aus den Bussen geholt. Ihr Ziel sind die Strände wohnung ein großes Problem dar. Das erläutert uns Estér Gomila, Copacabana, Ipanema, Leblon und Barra da Tijuca in der wohlhadie darüber ihre Masterarbeit geschrieben hat. Häufig kommt es benden Südzone von Rio de Janeiro. Die Polizei zu Überschuldung oder zum illegalen Weiunterstellt ihnen Gewaltbereitschaft und kriminelles terverkauf der Wohnungen. Auch entspricht Rio präsentiert sich als Potential und hindert sie an der Nutzung der Busse. der klassische Vier-Personen-Zuschnitt der attraktive Festivalstadt des Im Gegenzug facht dieses Verhalten der Polizei Wohnungen nicht der üblichen Lebensform in der Favela, weil dort Patchwork-Modeldie Empörung der stigmatisierten Jugend aus der Global Players Brasilien Zona Norte weiter an. Es kommt im Bereich der le und der Zuzug von Verwandten flexible Strände immer wieder zu Tumulten und Schlägearchitektonische Lösungen benötigen. Die reien mit Polizei und privaten Sicherheitskräften. Die Frage, ob soziale und politische Aufsplitterung von Communities führt zudem öffentlicher Raum wie der Strand nur einer bestimmten Gesellzu Integrationsproblemen am neuen Wohnort. Die bereits vor Ort schaftsschicht vorbehalten sein darf, hat die Stadtverwaltung mit lebende Bevölkerung steht Neuankömmlingen häufig misstrauisch einem neuen Ordnungs- und Sicherheitskonzept gegen junge gegenüber, schließlich konkurrieren beide Gruppen bisweilen um schwarze Männer beantwortet. den neuen Wohnraum, der nach Einkommensgruppen gestaffelt vergeben wird. Immer wieder etablieren sich im Schatten der Pazifizierungspolitik private Sicherheitskräfte und Milizen aus ehemaVerdrängung an die Ränder … ligen Polizisten und Soldaten. Hier wird Sicherheit als Ware gegen Wir erreichen das Bairro Cosmos, wo wir eine neue Wohnsiedlung Schutzgelder verkauft. des staatlichen Programms für sozialen Wohnungsbau besuchen. Über drei Millionen Wohnungen wurden landesweit über das … durch Räumungen im Zentrum Programm Minha Casa minha vida (mein Haus, mein Leben) gebaut. Hinter einer Mauer steht ein Komplex mit neuen MehrfamilienhäuDie Schulversorgung in solchen Vierteln ist nur am Vormittag gesern. In das bewachte Gelände dürfen wir nicht hinein. Die Regiewährleistet, es gibt keine Freizeitangebote für Kinder und Jugendrung propagiert es als größtes Sozial- und Armutsbekämpfungsliche. Für Erwerbstätige sind zwei Stunden Fahrt zum Arbeitsplatz programm neben dem sozialen Umverteilungsprogramm Bolsa keine Seltenheit. Viele Leute bleiben die Woche über in der Stadt, familia. Es dient einerseits der staatlichen Konjunkturförderung für wenn sie dort einen Schlafplatz haben. Selbst eine Übernachtung die Baubranche und soll andererseits die Umsiedlungen abfedern, auf der Straße wird in Kauf genommen. Dennoch ist der Ansturm die wieder auf der Tagesordnung stehen. auf die Sozialwohnungen in der Peripherie riesig. Von 20.000 re»Für jede AthletIn, die zu den olympischen Wettkämpfen nach gistrierten Wohnungssuchenden kamen in den neuen Komplexen t Rio de Janeiro kommt, muss eine BewohnerIn ihr Haus wegen des vom Bairro Cosmos indes nur gut 1.400 zum Zuge.

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Olympia in Brasilien Die Verdrängung von sozialen Gruppen mit geringem Einkommen gefährdeten Terrain. Der Stadt kommt durch solche Gentrifiziean den Stadtrand intensiviert sich immer mehr. Informelle Siedrungsprozesse ihre Vielfalt und Lebendigkeit abhanden. Die geschichtliche Bedeutung, die der Hafen zur Zeit der Sklaverei in lungen wie Favelas werden über diese Politik einerseits aus dem Brasilien hatte, wird ausgeblendet oder für die Steigerung kulturelZentrum und damit aus der Sichtbarkeit entfernt. Die verbleibenden zentral gelegenen Favelas werden militärisch »befriedet« und ler Attraktivität memoralisiert. Der Verlust von nichtkommerzieller langfristig der Kontrolle durch die Polizei unterstellt. Damit werden Kreativität, informeller Ökonomie und gesellschaftlicher Vielfalt sie aufgewertet und sowohl für TouristInnen als auch für den werden nicht einmal mehr wahrgenommen. Immobilienmarkt interessant. Viele Favelas an den Hügeln stellen potentiell attraktive Wohnlagen dar oder lassen sich als touristische Widerstand gegen das Unrecht Attraktion vermarkten. Bei den damit verbundenen Gentrifizierungsprozessen haben die ursprünglichen BewohnerInnen häufig Symbolhaft für den Widerstand gegen den Olympia-Megacity-Wahn das Nachsehen. steht die Vila Autódromo im Stadtteil Barra da Tijuca. Für die Olympia-PlanerInnen und Immobilienhaie liegt sie ungünstig. Als wir Der städtebauliche Trend, eine Stadt zu einem Markenprodukt neben der Baustelle von Olympiapark und Olympischem Dorf aus für TouristInnen oder InvestorInnen umzuformen, zeigt sich in Rio de Janeiro deutlich. Durch sportliche Großereignisse wie die Fußballdem Bus steigen, begrüßt uns Maria Penha, eine kleine drahtige WM und Olympia wird er zusätzlich befeuert. In öffentlichen VerFrau. Sie trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift »Es lebe die Vila Autókehrsmitteln wird über Videos eine Propaganda über die Moderdromo – Rio ohne Zwangsumsiedlungen«. Hinter einem Bauzaun nisierung und den Ausbau der Stadt verbreitet, der man sich kaum wächst ein Hochhaus aus der Baustelle, das während der Sommerentziehen kann. Die üblichen Klischees werden verarbeitet: Ein spiele JournalistInnen beherbergen soll. Auf dem Bauzaun steht: freundlicher Polizist gibt einem schwarzen Jungen seinen Drachen »Die Olympiade geht – das Unrecht bleibt!« zurück. Anzugträger jubeln, als Brasilien für die Austragung der Maria Penha führt uns durch einen Ort, der an einen BürgerOlympischen Spiele ausgewählt wird. Neue Züge sind das schnelkriegsschauplatz erinnert. Häuser mit Löchern und Bauschutt domile und moderne Beförderungsmittel der Zukunft. Ein Auto fährt auf nieren das Bild. Keine Straße verfügt mehr über eine lückenlose einer leeren, neu asphaltierten Straße. ArbeiterInnen lächeln in die Bebauung. Jedes Haus, das nicht mehr bewohnt wird, wird von der Kamera und präsentieren Baufortschritte. Überall herrscht PartyStadtverwaltung sofort abgerissen. Obwohl es ein hundertjähriges stimmung, sei es bei Capoeira, Fußball und Tanz am Strand, so wie Bleiberecht gibt, versucht die Stadt, die BewohnerInnen zum Umzug auch bei TouristInnen, die sich durch die Favela führen lassen oder zu bewegen: Mit Geld, mit Versprechungen, mit einer Neubausiedaus der Seilbahn den freundlichen Polizeitruppen zuwinken. Rio lung an einem anderen Ort, mit Drohungen, mit Übergriffen durch inszeniert sich als die attraktive Festivalstadt des neuen Global die Polizei. Bürgermeister Eduardo Paes hat in Interviews deutlich Players Brasilien. Soziale Disparitäten, gemacht, dass er die Verschärfung der innerstädtischen Gewalt, Korruption, Rassismus, DiskrimiSegregation rücksichtslos vorantreiben wird: »Man kann »Man kann kein nierung und Rechtlosigkeit – all das schließlich kein Omelett machen, ohne Eier zu zerbrechen.« kommt in der Botschaft nicht vor. Von über 500 Familien sind 388 bereits vertrieben worden Omelett machen, ohne Gut sechs Milliarden Euro waren für oder gegangen. 192 Familien harren aus, obwohl ihr Eier zu zerbrechen« die Infrastruktur der Olympiade eingeUmfeld demoralisierend wirkt. Maria Penhas Familie gehört plant. Dieses Geld fließt vor allem den dazu. Sie erzählt von dem funktionierenden Gemeinwesen fünf führenden Bauunternehmen Odebrecht, Andrade Gutierrez, und den sozialen Kontakten, die über Jahre gewachsen sind. Für viele Errungenschaften haben sie gemeinsam gekämpft: Die StromCamargo Corrêa, OAS, Queiroz und Galvao zu, die bereits bei den und Wasserversorgung, die Anbindung an die Müllabfuhr, eine Bauten für die WM profitiert haben. Die Aufträge umfassen neben dem Ausbau von Metro- und Schnellbusnetz eine Straßenbahn mit Bushaltestelle, einen Fußballplatz. Auch als wir da sind, tagt eine 28 Kilometern Schienen, die vor allem im »revitalisierten« HafenOrtsversammlung. Schon länger laufen die Verdrängungsattacken gebiet eingesetzt werden soll. Der neue Hafenkomplex Porto auf die Siedlung. Gute Beziehungen zu den Universitäten brachten Maravilha ist ein weiteres Beispiel für eine Stadtpolitik, die städtischen einen alternativen Stadtentwicklungsplan hervor, der international Vorbildern wie London, Berlin oder Hamburg und einer Vermarkprämiert und dennoch von der Stadtverwaltung ignoriert wurde. tungslogik folgt. Charakteristisch für die Pläne sind die Privatisierung Der Widerstand erinnert entfernt an das gallische Dorf, das der Projekte, eine überwiegend touristische Zielgruppe sowie die gegen die übermächtigen Römer kämpft. Die Vila Autódromo liegt nicht nur auf attraktivem Gelände, was die zu erwartenden Grund­Dominanz von Banken, Einkaufs- und Kongresszentren. Moderne Kunst und ein Zukunftsmuseum säumen ein großzügiges Gelände, stückspreise angeht. Sie entspricht in ihrer Erscheinungsform auch das mit dem Potsdamer Platz in Berlin verglichen wird. Gezielt nicht dem, was die Stadtverwaltung ausländischen JournalistInnen wurden einige Sportveranstaltungen des Olympia-Programms in präsentieren möchte. Mir fällt die Anfangsfrage wieder ein: »Was die Hafenzone verlegt, um deren Umgestaltung zu rechtfertigen. sehen wir von Rio de Janeiro und was wird unsichtbar gemacht?« Ich hoffe, dass die BewohnerInnen dieser Siedlung ihren Kampf Die Stadt hat dort ein aufwändiges BesucherInnenzentrum errichgewinnen – und somit sichtbar bleiben und nicht wegretuschiert tet, das über den Wandel des Hafens und der Stadt informiert. Die BewohnerInnen von Rios ältester Favela Morro da Providênwerden. Rio braucht keine Schönheitsoperationen, sondern einen cia sind derweil mit Plänen zum Abriss von über einem Drittel der Gesinnungswandel, was das Recht auf Stadt angeht. 2.000 Wohnhäuser konfrontiert, ohne dass Mitsprache vorgesehen ist. Ein Zugang zur Hafenzone ist durch das nördlich angrenzende Bairro Caju mit seinen 20.000 BewohnerInnen geplant. Hier drohen tt Uta Grunert ist Koordinatorin in der Geschäftsstelle von weitere Zwangsumsiedlungen, für die die Stadt das gängige ArguKoBra e.V. 2015 war sie für den Runden Tisch Brasilien in Rio ment benutzt, der Ortsteil befinde sich auf einem für Wohnungsbau de Janeiro und im Amazonasgebiet. iz3w-Dossier

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Mexiko

Die Macht des Todes Warum die Gewalt in Mexiko endemisch geworden ist Seit Jahren erregt die grassierende mörderische Gewalt in Mexiko internationales Aufsehen. Morde werden nicht nur demonstrativ an Frauen und Oppositionellen, sondern auch von Kriminellen untereinander begangen. Wie konnte es dazu kommen, dass die Gewalt so eskalierte? Welche Rolle spielt der Staat dabei? Und welcher Widerstand regt sich gegen die Herrschaft dieser Nekropolitik?

von Timo Dorsch Am 26. September 2014 verschwanden in der Stadt Iguala 43 männliche Lehramtsstudenten aus Ayotzinapa, die zuvor von der Polizei festgenommen worden waren. Im Vorfeld einer Kundgebung hatten Polizisten bereits sechs Studierende derselben Gruppe erschossen. Am Tag danach ging das Foto des leblosen, grausam entstellten Studenten Julio César Mondragón um die Welt. Seine Ermordung ist Zeugnis der spektakularisierten Gewalt, die in den vergangenen Jahren immer mehr zum mexikanischen Alltag wurde. Sie stellt eine fortgeführte mörderische Praxis dar, die bereits seit 1993 systematische Anwendung gegenüber einer ganzen Bevölkerungsgruppe findet: Die Serienmorde an Frauen, die lange Zeit vor allem in der nördlichen Grenzstadt Ciudad Juárez verübt wurden, inzwischen aber häufiger im zentral gelegenen Bundesstaat México geschehen. Mit der Zahl dieser Feminizide stieg ihre Präsenz in der Öffentlichkeit. Gemeinhin wird die zunehmende Gewalt gegen Frauen auf sich ändernde Geschlechterrollen zurückgeführt: Prekäre Lohnarbeit verhilft jungen Frauen zum ökonomischen Aufstieg. Ihre neue Rolle als Familienernährerin empfinden einige Männer als sozialen Abstieg. Durch Gewalt an Frauen versuchen sie, ihre verloren geglaubte männliche Identität wieder zu erlangen. tt

Die Interamerikanische Menschenrechtskommission nannte mit Blick auf Ciudad Juárez drei Aspekte, die die Feminizide wesentlich begünstigten: Die im Privaten angewandte Gewalt sei unsichtbar, sie werde nicht öffentlich thematisiert. Hinzu komme die Normalität der Gewaltanwendung in der patriarchalen Kultur. Sie autorisiere Männer, das vermeintliche Fehlverhalten von Frauen gewaltsam zu korrigieren. Die Straffreiheit bilde den dritten Aspekt. Sie resultiere aus besagten Umständen und fördere zugleich weitere Gewalt gegenüber Frauen (siehe iz3w 347). UN Women kalkuliert die Zahl der Feminizide in Mexiko für den Zeitraum 1985 bis 2010 auf über 36.000. Ein Drittel der Täter entstamme dem nahen persönlichen Umfeld der Frauen, schätzt Amnesty International. Für die Feminizide im öffentlichen Raum sind hingegen zumeist Banden und Kartelle verantwortlich. Lange Arbeitszeiten und -wege exponieren die Frauen zunehmend in einer Umgebung, die stark vom organisierten Verbrechen, Straffreiheit und Machismo geprägt ist. Die mexikanische queer-feministische Theoretikerin Valencia Triana Sayak verortet die systematische sexualisierte Gewalt in einem Beziehungsgeflecht aus krisengeschüttelter hegemonialer Männlichkeit und den Anforderungen eines neoliberalen Kapitalismus in einem herausgeforderten und angegriffenen Staat. Menschenrechtsgruppen sprechen von einem operativen Netzwerk zwischen Politik und Industrie – dominiert vom organisierten Verbrechen. Körper, Sex und Sexualität seien dabei grundlegende Elemente. Im Gegensatz zu den Hate Crimes der häuslichen Sphäre verfolgten Täter von Feminiziden eine kommunikative Absicht. Die Zerstörung der Körper selbst sende eine Botschaft und werde zum konsumierbaren Produkt – der Tod sei ein lukratives Geschäft, schreibt Sayak. Massenhafte Entführungen, Menschen- und Organhandel, Zwangsprostitution und Auftragsmorde zielten auf den weiblichen oder nicht-männlichen Körper ab und wirtschafteten

Der 44. Tote: Protestaktion gegen die Morde von Igvala

Foto: C. Blake Chavarria

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Fotos: H. Tierno

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mit ihm. Das kommunikative Moment krimineller Gruppen bestehe in der Markierung territorialer Machtansprüche durch die zur Schau gestellten Körper. Sie verbreiteten Angst und bewegten die Menschen dazu, Schutzgelder zu zahlen, private Sicherheitsdienste oder andere präventive Angebote des stark wachsenden Sicherheitssektors zu beanspruchen. In diesem Kontext endemischer Gewalt gelten diejenigen Akteur­ Das Beispiel von Julio César Mondragón zeigt, dass die expresInnen als souverän, deren Morden frei von strafrechtlichen Konsesive Dimension der Gewalt bei den Feminiziden nun auch auf männliche Körper übertragen wurde. Auch sie werden stigmatisiert, quenzen bleibt. Es ist ein Kontext, in dem die Menschen über ähnlich den Opfern der Feminizide, denen in Mexiko oft nachgesagt keine Rechte und keinen Schutz verfügen. Der in Südafrika lehrenwird: »Sie alle waren Prostituierte und somit selbst schuld«. Den de postkoloniale Theoretiker Achille Mbembe beschreibt solche verschwundenen Studenten werden ihr junges Alter und ihre »zeitgenössischen Formen der Unterwerfung des Lebens unter die Klassenzugehörigkeit zur Last gelegt. Damit Macht des Todes« als Nekropolitik. Deren einher geht eine rassistische Komponente: zentrale Charakteristika seien die nicht mehr »Sie alle waren Prostituierte Arm und dunkelhäutig/ indigen ist ein gänals Ausnahme, sondern als Norm verstandene Gewalt sowie souveräne AkteurInnen, die giges Begriffspaar in Mexiko. und somit selbst schuld« innerhalb eines wachsenden rechtsfreien Seit den Morden an den entführten Studenten ist mehr als ein Jahr vergangen. Doch Raumes agieren. Hinzu komme die Legitiungeachtet fehlender Beweise mutmaßen staatliche Institutionen mation des Handelns durch den Verweis auf einen Feind, der die und Medien über deren Verbindungen zu einer lokalen kriminellen eigene Existenz bedrohe (Staat versus organisierte Kriminalität). Bande. Die Verstrickungen zwischen GemeindepolitikerInnen, der Die im Rahmen von Nekropolitik entstehenden rechtsfreien lokalen Polizei, dem in der Nähe des Geschehens stationierten Räume werden in einer Weise kontrolliert, die eine Enteignung von Militär und der kriminellen Organisation Guerreros Unidos werden Territorien zugunsten souveräner Akteur­Innen ermöglichen. Betrofhingegen nicht thematisiert. fen sind nicht nur der Grundbesitz von Staat oder von verfeindeten kriminellen Strukturen, sondern ebenso individueller oder kollektiver Besitz. Die Administration dieser Räume durch die souveränen Die Dominanz der Nekropolitik Akteur­Innen unterliegt der kapitalistischen Logik der Mehrwertertt Im Herbst 2015 konstatierte der UN-Hochkommissar für Menzeugung. Folglich beutet sie die Bevölkerung, ihre natürlichen schenrechte, Zeid Rada Al Hussein, hinsichtlich der MenschenRessourcen und Produktionsmittel aus, die sich auf den kontrollierrechtslage in Mexiko: »Für ein Land, das sich nicht inmitten eines ten Territorien befinden. Erfolgreiches Wirtschaften erfordert demKonflikts befindet, sind die errechneten Zahlen einfach erschlagend.« nach Machterhalt und Machterweiterung. Die Herrschaft über die Von Dezember 2006 bis August 2015 seien mehr als 150.000 Körper mittels Tod und Gewalt spielen dabei eine entscheidende Menschen ermordet worden. Die Zahl verschwundener Menschen Rolle. Das Gewaltmonopol liegt nicht länger beim Staat, sondern belaufe sich offiziell auf über 26.000. Hinzu kämen unzählige Verje nach Raum bei anderen oder einem Mix aus Akteur­Innen. Die gewaltigungen, sexuelle Übergriffe sowie Feminizide. Angetrieben bewaffneten Auseinandersetzungen mit ihren verheerenden Ausdurch bewaffnete Konflikte zwischen kriminellen Gruppen oder wirkungen ähnelten zunehmend einer »Abrechnung zwischen von diesen mit dem Staat, durchbreche die Zahl gewaltsam Vermächtigen und verletzten Machos, die versuchen, ihre Ehre zu erhalten und ihre Territorien zurückzuerobern«, schreibt Sayak. triebener bald die 300.000er Marke. Al Hussein bezichtigte aber nicht nur die organisierte Kriminalität, die Verbrechen zu begehen. Auf regierungskritischen Veranstaltungen in Mexiko-Stadt wird Teile der Armee sowie der Gemeinde-, Länder- und Bundespolizei oft die Frage gestellt, wer einen Menschen kennt, der Opfer von Entführung, Mord, Vergewaltigung oder Erpressung wurde. In der seien ebenso dafür verantwortlich. Sie handelten aus EigeninteresRegel gehen zwei Drittel der Hände in die Höhe. Die Gewalt hat se, teils in Zusammenarbeit mit Kriminellen. iz3w • März / April 2016 q 353


Mexiko

hörden nach und nach die Capos großer Drogenkartelle. Zeitgleich duldete die CIA partiell einige Drogenhändler und kooperierte mit ihnen, um geheime Operationen im sandinistischen Nicaragua und gegen mittelamerikanische Guerillagruppen zu finanzieren. Mexikanische Sicherheitskräfte verhafteten 1989 den letzten großen Capo Ángel Félix Gallardo und provozierten damit eine Hydra der Unterwelt. 1975 waren lediglich zwei Drogenkartelle in zehn Bundesstaaten aktiv, vierzig Jahre später gibt es neun größere Kartelle – allesamt Abspaltungen der ersten beiden, präsent in beinahe jedem der 32 Bundesstaaten. Zusätzlich treiben unzählige kleinere bewaffnete Banden und Zellen lokal und regional ihr Unwesen. Die mexikanischen Kartelle positionierten sich als Hauptproduzenten und Mexiko wurde wichtigste Transitzone für Drogen. Begünstigt wurde dies durch folgende internationale Faktoren: Die Zerschlagung des Medellín- und Calí-Kartells in Kolumbien Anfang der 1990er; das Inkrafttreten des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) 1994 und damit einhergehend eine große Zahl nicht kontrollierbarer Güter, die die Grenze gen Norden überqueren; ein liberalisiertes internationales Finanzsystem, das Geldtransaktionen erleichtert und Spuren von Geldwäsche schneller verwischen lässt; neue Absatzmärkte in anderen Ländern; die die Grenzen interner Konflikte zwischen privaten Banden und steigende Drogennachfrage in und der einfache Zugang zu Waffen derer mit dem Staat längst überschritten. Wenngleich sie nicht aus den USA. überall gleichermaßen präsent ist, betrifft die endemische Gewalt Organisiertes Verbrechen in Mexiko hat also seine Wurzeln im in Mexiko fast jede/n in irgendeiner Form. Sie verschiebt sich klassischen Drogenhandel und funktionierte durch das Korrumpiezeitlich und räumlich wie ein Netzwerk mit verschiedenen Knoten­ ren staatlicher Strukturen. Das zunehmende Aufreiben der Kartelpunkten. In manchen Regionen kommt sie fast gar nicht vor. le durch den Staat und der verschärfte Wettbewerb zwischen ihnen Präsident Felipe Calderón (2006-2012) förderte exzessive und systematische Getrug ab Dezember 2006 durch die Miliwaltanwendung. Im Zuge dieses Prozesses »Großes Misstrauen und Angst tarisierung und die Politik der harten Hand erweiterten sich die kriminellen Tätigkeitseiniges zur endemischen Gewalt bei. Von bereiche: Produktpiraterie, Menschenhanentstehen um uns herum« der strukturellen Gewalt profitieren Netzdel, Schutzgelder, Entführungen und sogar werke zwischen PolitikerInnen und SicherBergbau kamen hinzu. Das Geschäft der heitsdienstleistern. Der Staat selbst kurbelte die Kriegsmaschinerie schmuggelnden Capos verwandelte sich zunehmend in eines von kräftig an. So verdreifachte sich der Militärhaushalt zwischen 2007 Gewaltexperten. Dabei ist aber wichtig zu betonen, dass spektaund 2011 auf 77 Milliarden Pesos (rund 3,8 Mrd. Euro), nachdem kularisierte Gewalt ursprünglich kein genuines Charakteristikum Calderón angekündigt hatte, man müsse sich vorbereiten für die des organisierten Verbrechens ist. Denn um illegale Geschäfte erkommenden Auseinandersetzungen. folgreich betreiben zu können, sind Aufregung und Aufmerksamkeit kontraproduktiv. Die mexikanische Nekropolitik ist somit eher das Ergebnis eines historisch geformten und variablen KräftemesVon Punkten zu Linien zu Netzen sens zwischen Staat und organisiertem Verbrechen. tt Kriminelle Strukturen und illegaler Drogenanbau reichen bis Nach jahrzehntelanger rigider zentraler Herrschaft öffnete die neoliberale Regierung das Land ab den 1990er Jahren politisch zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Industrialisierungspround ökonomisch. Sie verteilte politische und administrative Komzesse und Landenteignungen im Hochland von Sinaloa trieben Teile der bäuerlichen Bevölkerung zum Opiumanbau. In dieser petenzen auf untere staatliche Ebenen – jedoch ohne die finanziRegion entstanden auch die ersten paramilitärischen Einheiten, ellen Mittel umzuverteilen. Die demokratische Transition des medie in den 1940er Jahren im Auftrag von Großgrundbesitzenden xikanischen Staates scheiterte. Durch taktische Abkommen, wie die Zuteilung bestimmter Transportrouten, kontrollierte der Staat gegen aufsässige Bäuerinnen und Bauern vorgingen. Korrumpierte staatliche FunktionärInnen sind ebenfalls kein neues Phänomen: einst den Drogenhandel bis zu einem gewissen Grad. Dies maniDer Gouverneur von Baja California, Colonel Esteban Cantú, festierte sich aber vornehmlich in alltäglichen Beziehungen auf paktierte bereits 1916 mit kriminellen Banden. Dennoch nahmen lokaler Ebene; die Kartelle nutzten finanzielle Nöte von BürgermeisterInnen, Abgeordneten und GouverneurInnen und finanzierten Gewalt und Verbrechen früher nie eine so ausufernde Dimension deren Kampagnen. Das Korruptionsnetz, das mitunter wichtigste und Dynamik an wie heute. Instrument zum Schutz illegaler Strukturen, wurde allgegenwärtig. Ausschlaggebend war das Jahr 1985: Das Guadalajara-Kartell enttarnte und ermordete mit Enrique »Kiki« Camarena einen Die favorisierte Strategie der letzten beiden mexikanischen Agenten der US-amerikanischen Drogenaufsichtsbehörde DEA. Regierungen bestand darin, möglichst viele Kartelle zu attackieren Auf Druck der USA verhafteten die mexikanischen Sicherheitsbeund in möglichst vielen Städten und Ortschaften mit Armee und iz3w • März / April 2016 q 353

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Mexiko

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Marine zu intervenieren. Die Regierungen missachteten jedoch, Die Gemeinden des CNI entscheiden selbst, wie sie sich zur Wehr dass sie nicht mehr Herr der korrumpierten administrativen Struksetzen. Die Beispiele reichen vom gewaltfreien Widerstand von Xochicuautla bis hin zum Aufstand in der Stadt Cherán im April turen vor Ort waren. Zwang allein ist nicht Erfolg versprechend, wenn die Loyalität gegenüber dem eingreifenden Akteur längst 2011. Die Gemeinde bewaffnete sich gegen kriminelle Gruppen, abhanden gekommen ist. die mit lokalen staatlichen Akteuren zusammenarbeiten und die Die Gruppen des organisierten Verbrechens und die staatlichen Wälder abholzen. Mit Blick auf die geplanten Infrastruktur-, TourisKräfte ähnelten sich in den letzten Jahren immer mehr in ihrer mus-, und Bergbauprojekte in Territorien indigener Gruppen folgert Vorgehensweise: der tödlichen Konfrontation. Sie entwickelten Paco: »Für uns ist das die kapitalistische Hydra und der gleiche Krieg organische Verbindungen, gegenseitige Abhängigkeiten, persowie immer gegen die ursprünglichen Völker.« nelle Überschneidungen und verfolgten partiell sogar gemeinsame Die indigenen Gruppen des CNI stehen mit ihrer Gegenwehr Ziele. Aus dieser Dynamik heraus entstand letztlich jene gewalttänicht alleine. Weitere Beispiele sind die regionale autonome Gemeindepolizei CRAC im Bundesstaat Guerrero, die Selbstverteiditige Formation der Nekropolitik. Es häuften sich extralegale Hinrichtungen sowohl von Kriminellen als auch von Unschuldigen gungsgruppen Autodefensas aus Michoacán, die Frauengruppen seitens Militär, Marine und Polizei. Bei einer Konfrontation mit dem aus Ciudad Juárez und die Bewegung für den Frieden mit GerechKartell Jalisco Neue Generation Ende Mai 2015 in Tanhuato, richtigkeit und Würde. Letztere kämpft landesweit für die Aufklärung tete die Bundespolizei mindestens zwei Drittel der getöteten 42 der Fälle von verschwundenen oder ermordeten Angehörigen. Mitglieder hin. Lösungsansätze finden sich auch innerhalb des besteImmer öfter geraten ZivilistInnen henden rechtlichen Rahmens – abseits der militärischen ins Kreuzfeuer. Es mehren sich die Option, die Bundes- und Länderregierungen als einzig »Die Nachbarin ist keine Fälle, in denen soziale AktivistInnen, möglichen Weg betrachten. WissenschaftlerInnen wie Nachbarin mehr, sondern die sich zwischen Staat und VerbreEdgardo Buscaglia schlagen institutionelle Lösungswege eine potentielle Kriminelle« chen positionieren, unaufgeklärten vor. Weil die Kriminalität staatliche Stellen korrumpiert, Gewaltverbrechen zum Opfer fallen. setzen an genau diesen Schnittstellen vier GegenmaßIguala ist dafür beispielhaft: Im Zuge nahmen an: illegale Vermögenswerte beschlagnahmen der Entführung der 43 Studenten – sie hatten vermutlich einen und illegal-legale Unternehmen demontieren, korrupten Politikemit Drogen beladenen Reisebus gekapert – starben im Kugelhagel rInnen den Prozess machen, die internationale Zusammenarbeit mehrere unbeteiligte Personen. Bereits Ende 2011 erschossen verstärken und soziale Präventivmaßnahmen verabschieden. Polizisten zwei Studenten derselben Lehramtsschule während einer Protestaktion. Im Sommer 2014 tötete die Armee in Tlatlaya im Die Entgrenzung aufheben Bundesstaat Mexiko 22 Jugendliche. Später wurden Regierungstt Spätestens seit Ende der 1960er Jahre üben mexikanische Redokumente veröffentlicht, die es gestatteten, (vermeintliche) Krigierungen rigoros politische Repression gegen dissidente Gruppen minelle zu erschießen. und Einzelpersonen aus. Von der EZLN ausgehend, gründete sich Zeitgleich helfen korrumpierte staatliche und private Akteure, illegal gewonnene Güter wie Holz, Kupfer und Erdöl in den legalen bereits 2007 das Netz gegen die Repression und für die Solidarität. Wirtschaftskreislauf einzuschleusen. Ein Beispiel unter vielen ist die Es ist in mehr als 20 Bundesstaaten und international aktiv und von einem kanadischen Unternehmen geführte Goldmine San richtet sich sowohl an politische Gefangene als auch generell an Xavier nahe des Örtchens San Pedro. Trotz fehlender GenehmiOpfer staatlicher Gewalt. Ziel sei es, erklärt Aktivist Luis López, gungen und des Protests der Bevölkerung betrieb man sie jahrelang Betroffene »stets nach dem Rhythmus und den Bedürfnissen der weiter. 1998 wurde der Bürgermeister und Minengegner Baltazar angegriffenen Person, Familie oder Gemeinde zu begleiten«. López konstatiert, die endemische Gewalt zerbreche das soziale Gefüge: Loredo ermordet. In diesem schwer zu durchdringenden und zu entwirrenden »Die Gewalt drückt sich nicht ausschließlich auf politischer, sondern Netz der Gewalt herrscht die Nekropolitik. Tanhuato zeugt von auf sozialer Ebene aus: die Nachbarin, die keine Nachbarin mehr der umkämpften Kontrolle über ein Territorium, Iguala von der ist, sondern eine potentielle Kriminelle. Großes Misstrauen und Vorherrschaft über illegalen Warenverkehr, Tlatlaya steht für das Angst entstehen um uns herum«. Es vergehe kein Monat, »ohne dass ein Aktivist, sei er Anarchist oder Menschenrechtler, verschwinstraffreie Töten und San Pedro für rücksichtslose Ressourcenausbeutung. Gemein haben all diese Fälle die souveräne Gewalt gegen det oder ermordet wird«. die Menschen und Körper, den Zugriff auf einen bestimmten Raum Die vielen verschiedenen Formen der Gewalt in Mexiko, die sowie das Prinzip der Mehrwerterzeugung. Nekropolitik und die politische Repression reißen mehr und mehr das soziale Gefüge auf. Die Konflikte werden weder politisch ausgetragen noch eingehegt, sie sind entgrenzt. Zwischen der Politik Gegenwehr ist möglich des Todes, der um sich greifenden Angst und der allgemeinen Intt Je stärker die Konflikte zwischen den Kartellen und mit der volviertheit in die Gewalt tun sich jedoch Momente der Dissidenz Regierung zunehmen und je mehr wirtschaftliche Bereiche als ilund des Widerstandes auf. Es sind die Ansätze der Zivilgesellschaft legale Geldquelle dienen, desto häufiger formiert sich Widerstand. und der betroffenen Bevölkerung, die versuchen, die Entgrenzung Vor allem in ländlichen Regionen richtet sich dieser gegen das aufzuheben. Amalgam aus organisiertem Verbrechen, Staat und kapitalistischem Markt, wie Francisco »Paco« Ortis aus Tepoztlán in einem Gespräch berichtet. Paco ist Mitglied des Congreso Nacional Indígena (CNI), tt Timo Dorsch ist Student der Humangeographie in Frankfurt ein Zusammenschluss von 27 indigenen Völkern, Stämmen und am Main. Eine längere Fassung dieses Textes mit den hier entfalleNationen, der 1996 auf Initiative der EZLN gegründet wurde. nen Literaturhinweisen steht auf www.iz3w.org. iz3w • März / April 2016 q 353


Film

God is not working on Sunday! von Martina Backes Es herrschte Apathie, Sprachlosigkeit und eine paralysierende Angst. Schon lange bevor das Morden begann. Heute, über 20 Jahre nach dem Genozid in Ruanda, der rund eine Million Menschen das Leben kostete, ist die Gesellschaft zu 89 Prozent ausgesöhnt. Das besagt das Barometer der Kommission für nationale Einheit und Versöhnung, die jährlich eine Erhebung über den Grad der Aussöhnung veröffentlicht.1 Doch ist Versöhnung messbar? Apathie strahlen Florida Mukarubuga und Godliève Mukasarasi jedenfalls nicht aus. Ohne Umschweife sprechen die Protago­nistInnen des Films »God is not working on Sunday!« über persönliche Probleme. Über die Gewalt, die ihnen angetan wurde. Denn: »Wenn du schweigst, frisst es dich innerlich auf«. Genau das war der Zustand der ruandischen Gesellschaft vor der Eskalation im April 1994. Das Schweigen und Wegsehen trotz jahrzehnte­langer Gewalttätigkeiten hatte die Gesellschaft tief gespalten. Das Schweigen überließ den radikalen Hutu-Milizen das Feld, ihrer Angst­mache, ihrem Schüren von Hass. Die Filmemacherin Leona Goldstein beschäftigte die Frage, warum ihr Großvater, ein KZ-Überlebender aus Polen, verstummt, sobald er seine Wohnung verlässt. Und wie sich das Leben in einer Nachkriegsgesellschaft, in der sich die Täter relativ komfortabel eingerichtet haben, für die Überlebenden des Faschismus anfühlt. Auf der Suche nach einer Antwort ging sie nach Ruanda. Der Film, der acht Jahre später fertig wurde, zeigt: Vergebung ist keine einmalige Geste. Das Verzeihen bleibt eine wiederkehrende Herausforderung. Versöhnung ist Arbeit, ein ständiger Prozess, nie ganz abgeschlossen. Sie muss gehegt und gepflegt werden, wie etwas Zerbrechliches. Sie braucht ständige Aufmerksamkeit. Sonst bricht die Erinnerung an die Gewalt die alten Wunden auf. Sonst droht das Erlebte erneut in Angst und Hass umzuschlagen. Mit einer raumgreifenden Tonsprache hat die Filmemacherin eine akustische Form für das wiederkehrende Erinnern an den drohenden Schrecken gefunden: Das Prasseln des Regens auf Blättern und Wellblechdächern, ein Prasseln, durch das die Stimmen der marodierenden Banden, damals zu Regenzeit, langsam näher kamen und das die Schreie der Opfer, die ihrem Schicksal überlassen wurden, dumpf verklingen ließ. Mit der Wahl der Protagonistinnen und deren Erinnerung an jene Tage gelingt es Leona Goldstein, für die Notwendigkeit des Sprechens über das, was unsagbar scheint, ein Plädoyer zu verfassen. Die Frauen, die im Film portraitiert werden, leben dieses Plädoyer vor, trotz aller Stolpersteine, die der Alltag für sie bereithält. Zum Beispiel, wenn sie ihren damals mordenden Nachbarn auf dem Feld begegnen, auf dem Weg zu Arbeit, im Bus, in der Kirche. Carry on, dann gibt es eine Zukunft. Die Frauen sind in Ruanda zu einer starken gesellschaftlichen Kraft geworden. Nicht nur, weil sie über die Hälfte der Sitze im Parlament und ein Drittel der Ministerposten einnehmen. Viele haben sich befreit von der Rolle der Befohlenen, Unterworfenen, tt

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Entwürdigten, Gehorchenden in einer patriarchalen Gesellschaft. Vielen weiteren bleibt dieser Schritt zu tun. Das neue Selbstbewusstsein, das der Film einfängt, erstaunt und macht Mut angesichts der Fakten. Jeden Tag wurden in den Monaten des Völkermordes 5.000 Frauen vergewaltigt. Viele dieser Frauen fühlen sich von ihren aus diesen Gewaltakten entstandenen Kindern herausgefordert, können sie nicht lieben. Damit bleibt auch den Kindern, deren Alter und Geburtstag auf die Zeit der Vergewaltigungswelle verweist, die den Genozid selber nicht erlebt haben und die doch ihre Nachfahren sind, nur das Vergeben. Für etwas, woran ihre Mütter nicht schuld sind. Viele Frauen, nicht nur die Alleinstehenden, haben sich organisiert und Kollektive gegründet. Gemeinsam haben diese Frauen geweint, gelitten, gestritten. Gegen die Vereinsamung. Sie haben sich Mut gemacht, die harte Arbeit der Vergebung und Versöhnung auf sich zu nehmen, auch untereinander. Ein Beispiel im Film ist das Recyclingkollektiv Amizero. Hier arbeiten sie zusammen: F­ rauen, die von den Männern ihrer Mitarbeiterinnen misshandelt wurden, deren Männer zu Tätern wurden, deren Familien getötet wurden. Die Zeit heilt nicht automatisch das, was sie entzweit. Mit wenigen Zitaten zeigt der Film: Misstrauen ist eine ständige Begleiterin, die daran erinnert. Die Insel der mutigen Protagonistinnen verlässt der Film nur in wenigen kleinen Exkursen. Zum Beispiel am Tag der nationalen Einheit. Vier oder fünf Bilder reichen aus, um zu zeigen, dass Vergebung nicht staatlich verordnet werden kann, auch wenn die Regierung in Ruanda alljährlich mit pompösen Staatsfeiern Versöhnung demonstriert. Die Arbeit haben andere gemacht, das Erbe der Gefahr der Wiederholung bleibt. Versöhnung lässt sich nicht in Prozenten messen. Leona Goldstein hat durch die Filmarbeit keine einfache Antwort auf ihre Ausgangsfrage gefunden. Vielmehr wird sie von ihren Protagonistinnen mit neuen Fragen konfrontiert, die sie an ihr Publi­ kum weitergibt. Eine Frau will wissen, wie das gehen soll, dass die Menschen in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges über Jahre weiterlebten, ohne über die Grausamkeiten zu sprechen, von Angesicht zu Angesicht. Ohne persönliche Aussprache und ohne das Bitten um Vergebung zwischen denen, die Gewalt verübt haben und denen, die sie überlebten. God is not working on Sunday!, Dokumentarfilm von Leona Goldstein (Ruanda 2015) erhielt u.a. den Menschenrechtspreis 2015 in Dresden und ist für Veranstaltungen buchbar: www.godisnotworkingonsunday.org

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Anmerkung 1 NURC (Background of National Unity and Reconciliation Commission): Rwanda Reconciliation Barometer 2014

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Martina Backes ist Mitarbeiterin im iz3w.

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ISSN 1614-0095

E 3477

t iz3w – informationszentrum 3. welt Postfach 5328 • D-79020 Freiburg www.iz3w.org

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