Separatismus – more Borders, more Nations
iz3w t informationszentrum 3. welt
AuĂ&#x;erdem t Linke in Lateinamerika t Kohleproteste in Bangladesch t Sozialpsychologie des Djihadismus
Juli/Aug. 2016 Ausgabe q 355 Einzelheft 6 5,30 Abo 6 31,80
In dies er Aus gabe
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Foto: R. Magg / W. Rust
Schwerpunkt: Separatismus 3
Editorial
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Politik und Ökonomie 4
Lateinamerika: Unvollständige Demokratisierung
Bangladesch: Eine Frage des Überlebens Kämpfe gegen Kohleabbau haben nicht nur eine ökologische Dimension von Swetlana Hildebrandt
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DR Kongo: Kampf für Veränderungen
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Südafrika: Es fehlt mehr als nur Land Klimawandel und Marktbarrieren erschweren landwirtschaftliche Kleinexistenzen von Sören Scholvin
Kein Staat, nirgends Im Südsudan hat die Abspaltung nichts Gutes bewirkt von Ruben Eberlein
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Föderal gegen die Abspaltung Äthiopien versucht, den Separatismus zu bannen von Anne Löscher
Eine junge Bewegung setzt auf Frieden von Rebekka Epp und Gesine Ames
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»Nicht im gleichen Haus leben« Der türkisch-kurdische Konflikt ist erneut zum Krieg eskaliert von Oliver Kontny
Bei den Wahlen tritt das Bündnis einer Bürgerbewegung an von Eike Seidel
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Die spinnen, die Korsen Der Separatismus in Frankreich hat sich gewandelt von Bernard Schmid
Mongolei I: Verflucht nochmal
Mongolei II: Wie weiter in der Mongolei?
Im Trüben fischen Der flämische Separatismus erodiert das föderale Belgien von Tobias Müller
Trotz Reichtum an Ressourcen herrscht Armut von Robert H. Ziegler
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Teile und herrsche Warum Separatismus zwiespältig ist von Winfried Rust
Für ihren Niedergang sind die Linksregierungen selbst verantwortlich von Tobias Lambert
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Editorial
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Beten und bomben Separatismus in der Volksrepublik China von Kristin Shi-Kupfer
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Postsowjetische Spaltungen Nach der Aufteilung ist vor der Aufteilung von Ute Weinmann
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Doppeltes Leid In Georgien sind die Vertriebenen ein Spielball der Politik von Johanna Paul
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Unabhängigkeit auf Raten Neukaledoniens Suche nach Autonomie von Andreas Brocza und Stefan Brocza
Kultur und Debatte 40
Debatte: Eros des Todes Ein Essay zur Sozialpsychologie des Djihadismus von Felix Riedel
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Comic I: Die Prinzessinnen von Yopougon Die Comicserie Aya erzählt vom Alltag in den Vorstädten von Abidjan von Alexander Sancho-Rauschel
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Comic II: »So wird ein Stück Südafrika in die Welt getragen« Interview mit dem Ausstellungsmacher Reto Ulrich
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Rezensionen
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Szene / Tagungen Impressum
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Diktatorendämmerung Der Mann gibt sich bis zuletzt kämpferisch, er reckt die Faust und ruft »Nieder mit Françafrique!« Seine Worte gelten den Richtern, die ihn gleich zu lebenslänglicher Haftstrafe verurteilen werden. Wachleute führen den Inhaftierten ab, sein letzter öffentlicher Auftritt ist damit zu Ende. Im Gerichtssaal atmen hunderte Menschen erst auf, um dann nach der mit größter Anspannung erwarteten Verkündung des Urteils frenetisch zu jubeln. Viele von ihnen sind entweder selbst Opfer des Mannes oder Angehörige von Ermordeten. 26 Jahre lang hatten sie auf Gerechtigkeit warten müssen. Die Rede ist von Hissène Habré, dem ehemaligen Diktator, der im Tschad von 1982 bis 1990 eine Herrschaft des Grauens errichtet hatte. »Afrikas Pinochet« wurde Habré oft genannt, doch diese Bezeichnung trifft es nicht ganz. Denn Habré ließ nicht nur seine Schergen bestialische Formen der Gewalt anwenden, er wohnte der Folter oft sogar persönlich bei. Selbst vor Vergewaltigungen schreckte Habré nicht zurück, wie mehrere Opfer vor Gericht bezeugten. Er war also nicht nur direkter Auftraggeber der systematischen Verfolgungen durch den Geheimdienst DDS, sondern auch aktiver Mittäter. Insgesamt vierzigtausend ZivilistInnen fielen dem Terror Habrés gegen die eigene Bevölkerung zum Opfer.
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ass Habré die antikoloniale Parole von »Françafrique« in der Absicht benutzt, seine Richter als Vasallen Frankreichs zu diskreditieren, ist an Zynismus kaum zu überbieten. Denn Habré selbst konnte 1982 nur an die Macht kommen, weil er massiv durch westliche Staaten unterstützt wurde – allen voran die USA und Frankreich. Die Reagan-Administration sah in Habré einen unverzichtbaren Verbündeten im Krieg gegen den libyschen Revolutionsführer Muammar Gaddafi, gegen den man mit allen Mitteln vorgehen wollte. Die CIA ließ Habré nicht nur Waffen zukommen, sondern bildete auch dessen Geheimdienst aus. Frankreich unterstützte Habré unter anderem durch die Militäroperation »Manta«, die 1983 vom sozialistischen Präsidenten François Mitterand angeordnet worden war. Welch grausame Menschenrechtsverletzungen im Tschad begangen wurden, war allen westlichen Regierungen wohlbekannt. Aber Habré galt eben als »Our Man in Africa« (so der Titel eines Beitrags in der US-amerikanischen Zeitschrift Foreign Policy, der detailliert die Verstrickungen der CIA in Habrés Herrschaft nachzeichnet).
Vollends irrwitzig wird Habrés antikoloniale Rhetorik angesichts der Tatsache, dass kein westliches Gericht ihn verurteilte, sondern ein afrikanisches. Das vom Senegal organisierte Sondertribunal gegen ihn wurde von niemand Geringerer als der Afrikanischen Union (AU) gestützt. Der AU gehören außer Marokko alle afrikanischen Staaten an, was ihr eine große Legitimität verleiht. Möglich wurde das Tribunal jedoch erst, nachdem Senegal Habré im Jahr 2012 auf Druck des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) verhaften ließ. Bis dahin hatte der Folterer unbehelligt in Dakar im Exil gelebt, protegiert vom damaligen senegalesischen Präsidenten Abdoulaye Wadé.
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ind die finsteren Zeiten, in denen Diktatoren ungeschoren davon kommen, mit Habrés Verurteilung nun endgültig vorbei? So sieht es jedenfalls ein großer Teil der afrikanischen Presse. Die Zeitung Aujourd’hui aus Burkina Faso erblickt in dem Prozess den Beweis dafür, dass AfrikanerInnen »in der Lage sind, ihre Fürsten – pardon, ihre Henker – selbst zu richten.« Die ebenfalls in Burkina Faso erscheinende Zeitung Le Pays bezeichnet das Tribunal als »eine Hoffnung machende Erfahrung, welche die Afrikaner dazu inspirieren sollte, sich dauerhaft mit derartigen Gerichten auszustatten.« Und auch die ugandische Zeitung The Observer sieht neben der Genugtuung für Habrés Opfer »Hoffnung für jene, die anderswo auf dem Kontinent in einer ähnlichen Lage sind.« Besonders erfreut zeigen sich viele AfrikanerInnen über die neu gewonnene »juristische Souveränität des afrikanischen Kontinents«, wie es die guineische Online-Zeitung Ledjely formuliert. »Wenn die Akteure der Zivilgesellschaft nicht in Lethargie zurückverfallen, dann wird ein Einschreiten des Internationalen Strafgerichtshofs in Afrika schon bald nicht mehr nötig sein.« Der ICC in Den Haag genießt in weiten Teilen Afrikas den Ruf, bevorzugt neokoloniale Siegerjustiz gegen AfrikanerInnen zu vollstrecken. Diese Sichtweise ist zwar kritikwürdig, unter anderem weil sie Gestalten wie Habré mit vermeintlich antikolonialen Argumenten versorgt. Aber wenn Afrika nun selbst seine Menschenrechtsverletzer vor ordentliche Gerichte stellt, braucht es den ICC dazu auch nicht mehr. So oder so ist das Urteil im Senegal ein Meilenstein im Kampf gegen Folterer. Darüber freut sich zusammen mit Habrés Opfern die redaktion
P.S.: Habré hat mittlerweile Berufung gegen das Urteil eingelegt. Sechs Monate haben die Richter nun Zeit, seine Beschwerden zu prüfen. Wir bleiben dran.
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Editor ial
Separatismus »Unendlicher Spaß« von David Foster Wallace ist einer der stärksten dystopischen Romane der letzten Dekaden. Die kaputte Konkurrenzgesellschaft der zukünftigen Organisation Nordamerikanischer Nationen ONAN (USA, Mexiko und Kanada) ist sozial gespalten. Die Eliten halten dem Leistungsdruck nur mithilfe illegaler leistungssteigernder Drogen stand, und die abgehängten Unterschichten managen ihre Ausgrenzung mithilfe von Billigdrogen. Die Hoffnungslosigkeit spitzt sich darin zu, dass auch die Staatsfeinde Nummer Eins eine Truppe kaputter Gewalttäter sind: Die gefürchtete separatistische Québecer Terroristengruppe Les Assassins des Fauteuils Rollents (Attentäter im Rollstuhl). Sie sitzen wegen ihres identitätsstiftenden Rituals »Le jeu du prochain train« zumeist im Rollstuhl. Bei diesem Ritual springen Québecer französischsprechende Jungen in Sechsergruppen vor einem fahrenden Zug über die Gleise. Wer zuletzt springt, hat gewonnen, sitzt dafür aber oft im Rollstuhl. Gegen die ONAN führen die Assassins einen »kompromisslosen Krieg«.
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er Roman spitzt die zentrale These des vorliegenden Themenschwerpunktes radikal zu: Das Gegenteil vom Falschen ist selten richtig. Wenn autoritäre Regime Abspaltungsfantasien provozieren, reagieren separatistische Bewegungen keineswegs automatisch mit einem über legenen Gesellschaftsentwurf. Allzu häufig führen ihre Praktiken zu ebenso gewalttätigen Vertreibungen und zu Krieg. Ihre Rechtfertigungsideologien sind weithin reaktionär. Es gibt sicherlich einige gute Gründe für das Bedürfnis nach Separation. Zum Beispiel, weil es in dem alten Staat nicht auszuhalten ist, weil ganze Bevölkerungsgruppen darin unerwünscht sind, weil sie dem Würgegriff autoritärer Regime entkommen wollen, wie es etwa im Südsudan der Fall war. Allerdings: Fast niemand hielt es für möglich, dass sich die Lebensverhältnisse unter dem sudanesischen al-Baschir-Regime noch unterbieten lassen, als sich 2011 der jüngste international anerkannte Staat abspaltete. Heute sieht man mit Schrecken auf das Ergebnis im Südsudan (siehe Seite 28).
16 Separatismus scheint dieser Tage vor allem als Reaktion auf die Umbrüche durch die fortschreitende Globalisierung zu boomen. Es gibt ihn jedoch schon länger. Als eine allgemeine Voraussetzung für den Separatismus nennt der Politikwissenschaftler Roland Sturm in der Zeitschrift WeltTrends (98/2014): Eine Autonomie fordernde Gruppe kann eine ethnische Gruppe sein, die es schon lange gibt. Sie fordert deshalb ihr Recht auf eine eigene Nation ein.
Eine weitere Voraussetzung für Separatismus ist die Frustration über den Zentralstaat. Deren Ursachen können religiöse Differenzen sein (wie bei Indien-Pakistan), differierende Sprache und Kultur (Bangladesch) oder eine abweichende Geschichte und Tradition (Eritrea). Meist sind es mehrere, sich überlagernde Gründe. Eine aktuelle Variante, um erfolgreich eine neue (Teil-) Identität zu setzen, sind Mobilisierungen, wie sie etwa der »Islamische Staat im Irak und der Levante« setzt. In zerbrechenden Staaten wie Syrien und Irak gibt es islamistische Akteure und Warlords, die für ihre Beuteregion eine neue Identität erfinden. Grundsätzlich sind Konfrontationen zwischen dem bestehenden Staat und Autonomiebestrebungen verhandelbar. Sie mit einer Föderalisierung auszugleichen, ist ein möglicher Lösungsversuch (siehe das Beispiel Äthiopien auf S.30). Die Frage dabei ist, ob zentralstaatliche Zugeständnisse das Verhältnis befrieden oder Abspaltungstendenzen fördern. Die anderen beiden Möglichkeiten sind, die Konfrontation auszutragen (etwa in Mali) oder eine Abspaltung auszuhalten.
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eparatismus blüht gerne auch dort auf, wo koloniale Machtgeschichte mit Marginalisierung verknüpft ist, oder sich wohlhabende Regionen »ausgebremst« fühlen (siehe das Beispiel Flandern auf S.20). Eine weitere Ursache für Sezessionsbestrebungen ist der Irredentismus: Der Wunsch einer Minderheitenbevölkerung, sich mit einem ausländischen Stammland zu vereinigen, dem man sich zugehörig fühlt (siehe das Beispiel Krim auf S.34). Bei den eher wohlstandschauvinistischen Separationsbewegungen wie in Katalonien, Norditalien, Venetien oder Schottland spielt fast immer ein regionaler Nationalismus mit. Gerade in Westeuropa – in globaler Perspektive ein Hort der Stabilität – gibt es starke separatistische Bestrebungen. Und weil eine Volksabstimmung über die Sezession Schottlands auch von SeparatistInnen in Neukale donien oder Somaliland registriert wird, weil europäische Sezessionsbestrebungen auf andere ausstrahlen, stehen in diesem Themenschwerpunkt Artikel über separatistische Bestrebungen in Westeuropa. Viele SezessionistInnen sind bemüht, ihr Bestreben mit dem Passus über das »Selbstbestimmungsrecht der Völker« aus dem Völkerrecht zu rechtfertigen. Es stellt sich allerdings immer die Frage, wer das Selbst ist. Wenn das Selbst in der kulturell homogenen Gemeinschaft gesucht wird, ist die Richtung absehbar. Auch wenn das Gegebene schlecht ist, kann der alternative Entwurf es unterbieten. So wie es bei den Assassins des Fauteuils Rollents der Fall ist. die redaktion
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Separatismus
Foto: huangsheng93
Teile und herrsche Warum Separatismus zwiespältig ist Dem Wunsch von Bevölkerungsgruppen, sich von einem Zentralstaat loszusagen, wird von links wie rechts mit viel Verständnis begegnet. Dafür gibt es nachvollziehbare Gründe, wie etwa die Unterdrückung von Minderheiten. Doch eine kritische Bilanz separatistischer Bestrebungen zeigt: Gewonnen ist mit den Abspaltungen meist nichts.
von Winfried Rust »Die ‚alten’ Nationalstaaten stehen Krieg und Terror, Ungleichheit und Vertreibung scheinbar machtlos gegenüber. Separatisten versprechen eine bessere Zukunft…« Mit diesen Worten beginnt einer der raren aktuellen Sammelbände über den Separatismus. Herausgeber Marc Engelhardt lässt im einleitenden Beitrag zu »Unabhängigkeit!« einen prominenten Globalisierungskritiker zu Wort kommen: Der Soziologe Jean Ziegler sieht die derzeitige Staatenwelt in der Krise. Die Renaissance des Separatismus ist für ihn nahezu zwangsläufig, »weil sie eine Verzweiflungsreaktion ist gegen die Entfremdung, die den Völkern von der weltweiten Konzerndiktatur aufgezwungen wird.« Eine Alternative biete sich nur in neuen Staatswesen. »Deshalb sieht man jetzt Lokalidentitäten, die man längst verschüttet glaubte, wieder auferstehen und zu einer politischen Kraft werden.« Es scheint in dieser Sichtweise nicht alles falsch zu sein am Separatismus. Bei Ziegler wie auch bei vielen anderen ist der Blick meist auf die nachvollziehbaren Beweggründe für Separatismen gerichtet. In der Tat sind sie oft gegen Missstände gerichtet. In Eritrea wandten sich die SeparatistInnen gegen die unsinnige Einverleibung des Landes in das äthiopische Kaiserreich Haile Selassis. Der Grund dieser Verschiebung durch die britische Verwaltung war, dass Eritt
trea 1961 bei den neuen postkolonialen Grenzziehungen irgendwie übrig war. SeparatistInnen wenden sich oft gegen Zentralstaaten, die Teilbevölkerungen kulturell, politisch oder ökonomisch diskriminieren. Gerade in ihrer Anfangsphase sind separatistische Bewegungen oft attraktiv, weil sie alles besser machen wollen. Die erwünschte neue Regierung sei die Verkörperung von Volkes Stimme, und das Volk würde in einem eigenen Staat wieder zu einer solidarischen Gemeinschaft, lauten die verbreiteten Hoffnungen. Der Separatismus gilt als Kraft, die stets das Gute will. Demgegenüber fällt seine Bilanz hinsichtlich realen sozialen Fortschritts meist sehr bescheiden aus. Vermutlich liegt das in seinen politischen Koordinaten begründet, für die oft ein Volksbegriff konstitutiv ist, der auf eine homogene Gemeinschaft setzt. Mehrere Beispiele illustrieren dies im Folgenden.
Indien, Pakistan und Bangladesch im Clinch Die postkolonialen Staatsgründungen der Republik Indien und der Islamischen Republik Pakistan 1947 hatten einen hohen Preis: die Teilung Indiens. Sie ethnisierte das Soziale einschneidend. Nach den Unabhängigkeitserklärungen begannen flächendeckende »ethnische Säuberungen« im Punjab, initiiert waren sie von beiden Seiten. Insgesamt ließen bei den folgenden Umsiedlungen und Übergriffen Hunderttausende ihr Leben. Millionen Minderheitenangehörige flohen ins jeweilige andere Land. Von Separatismus kann man hier nur bedingt sprechen, denn weder separierten sich beide Republiken von Großbritannien, noch eindeutig voneinander, da sie zeitgleich aus dem kolonialen Empire hervorgingen. Jedoch ging der Trennung eine separatistische Position Pakistans voraus. Der indische Vorsitzende der Kongresspartei, Jawaharlal tt
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Nehru, vertrat bei den Übergangsverhandlungen mit der britischen Regierung die Idee eines geeinten Indiens. Muhammad Ali Jinnah, der Präsident der Muslimliga, forderte dagegen die Autonomie der islamischen Provinzen. Der Historiker Philipp Ther beschreibt in seinem Buch »Die dunkle Seite der Nationalstaaten«, warum dies einem klassischen Konflikt in Nationalstaaten entspricht. Nehru wollte den integrativen Zentralstaat, Jinnah verlangte aus der Sicht der Muslimliga »mehr Rechte für die über 90 Millionen indischen Muslime«. Die Positionen fanden nicht zueinander. Die Verhandlungsparteien brachten nicht einmal einen »geordneten Übergang« in die Zweistaatlichkeit zu Wege. Ob sich die Abtrennung der Islamischen Republik Pakistans gelohnt hat, ist umstritten. In Pakistan herrscht schon lange eine schwere politische und gesellschaftliche Krise, das Land liegt beispielsweise beim Korruptionsindex von Transparency International deutlich hinter Indien auf Platz 126 (von 174). Indien und Pakistan stehen stets in latentem Kriegszustand. Im Bangladesch-Krieg 1971 mit einer Million Toten ging das Abspalten weiter. Der Hintergrund waren Massaker in Ostpakistan, weil dort der Streit mit der bengalischen Bevölkerungsmehrheit entbrannt war. Der Wahlsieg der separatistischen bengalischen Awami-Liga hatte das pakistanische Militär auf den Plan gerufen. Es kam zu einem Krieg, in den Indien eingriff, und in der Folge fand die Sezession der ostpakistanischen BengalInnen in die Volksrepublik Bangladesch statt. Bangladesch griff die Regierungspraktiken Pakistans bald wieder auf; das Land sah verschiedene Militärregierungen kommen und gehen. Im Korruptionsindex kommt das Land auf einen verheerenden 145. Platz, Amnesty International beklagt Menschenrechtsverletzungen. Soweit zwei Fallbeispiele für »erfolgreiche« Sezessionen (nur wenige separatistische Bewegungen schaffen überhaupt den Sprung in die UNO). Ein weiteres Beispiel ist Eritrea. Das Land führte einen separatistischen Krieg gegen das äthiopische Willkürregime, dem es 1961 angegliedert worden war. 1991 endete der Kampf mit dem Sieg Eritreas; etwa 150.000 Menschen hatten ihr Leben gelassen. Ein Krieg an der neuen Grenze folgte 1998. Der Ertrag der Separation: Die EritreerInnen leben heute in einer Diktatur, in der Menschenrechtsverletzungen alltäglich sind und die in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen den letzten Platz einnimmt. Die Zwischenbilanz lautet: Sezessionen wenden die vorgefundenen schlechten Verhältnisse oft ins Schlechtere. Eine Abspaltung ist nicht an sich emanzipativ, solange sie keine Auseinandersetzung damit beinhaltet, wie die Einzelnen sich die Gesellschaft sinnvoll aneignen können. Wenn Jean Ziegler zu Recht die undemokratische Struktur der Weltwirtschaft kritisiert, wäre zu fragen, wie sich die Produktionsmittel demokratisieren ließen. Neue Nationalhymnen helfen dabei nicht.
Auferstanden aus Failed States Der Fragile States Index der Zeitschrift Foreign Policy nennt Südsudan und Somalia als die zerbrechlichsten Staaten. Somalia wird seit dem Sturz von Siad Barre 1991 von einem Bürgerkrieg und den Kämpfen lokaler Clans, Warlords sowie djihadistischer Gruppen zerrieben. Der Südteil des Landes wird von der islamistischen Terrormiliz Al-Shabaab beherrscht. Allerdings strebt Al-Shabaab nicht die Sezession an, sondern in der Perspektive des weltweiten Djihad die Herrschaft über ganz Somalia. Im Nordwesten kämpfen VertreterInnen der Republik Somaliland um die Anerkennung als eigenständiger Staat. 1991 hat sich Sott
Divided Highway, Abzweigung nach Adana/südliche Türkei
maliland einseitig als unabhängig erklärt. Eine Basis des somaliländischen Separatismus ist die Rebellenbewegung Somali National Movement, die sich gegen das Regime von Siad Barre konstituiert hatte. Inzwischen wird das Gebiet hauptsächlich auf der Grundlage freier Wahlen und einer somaliländischen Regierung regiert, die den völkerrechtlichen Kriterien für Staatlichkeit halbwegs genügt: Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt sind gegeben. Es gibt Kommunal-, Parlaments- und Präsidialwahlen, die im Vergleich zu jenen in Somalia vorbildlich sind. Während innerhalb Somalias auch in Puntland, Galmudug und Azania zumindest Autonomiebestrebungen bestehen, erheben sich in Somaliland kritische Stimmen gegen die Abspaltung: Gegenüber dem dominierenden Clan der Isaaq fühlen sich andere Clans benachteiligt, sie bevorzugen die somalische Schirmherrschaft. Das somaliländische Northern Somali Unionist Movement NSUM erklärt, dass lediglich »ein Clan die Sezession von Somalia erklärt hat«. Interessant ist die Position der Afrikanischen Union (AU), die Somaliland keinesfalls anerkennt. Die AU besteht vorwiegend aus postkolonialen Staaten, die sich erst im 20. Jahrhundert selbstständig machten. Vor diesem Hintergrund wendet sich die AU zäh gegen Abspaltungen. Auf dem instabilen Kontinent gab es in den letzten Jahrzehnten nur zwei anerkannte Sezessionen, Eritrea und Südsudan. Gerade die AU-Staaten wissen um die Gefahren der bürgerkriegsgetriebenen Instabilität, die Neuaufteilungen mit sich bringen.
Die schwarze Macht und Azawad Separatismus tritt heute in vielen Spielarten auf. Angesichts des Staatsversagens und -zerfalls in Somalia, Jemen, Nigeria, Syrien, Irak, Libyen und anderen Ländern treten neue Regime mit warlordistischer oder islamistischer Ausprägung auf. Auch beim »Islamischen Staat« im nordwestlichen Irak und im östlichen Syrien spielen separatistische Elemente eine Rolle. Die »Staatsgründung« des IS in Irak/Syrien funktionierte wie nach einem Bauplan für neue Gottesstaaten. Christoph Reuter skizziert das in seinem Buch »Die schwarze Macht« so: »Hinter dem Emblem des Gottesstaates und der Gestalt des nominellen Emirs Abu Bakr al-Baghdadi bauten [ehemalige Geheimdienstler des Regimes von Saddam Hussein] eine Machtmaschinerie, um Schritt für Schritt so viele Menschen, Material, Fläche unter ihre Kontrolle zu bringen, wie noch keine Terrorgruppe zuvor.« Dabei baute der IS ein Heer und ein Kriegswaffenarsenal auf, mit dem er 2014 große Gebiete sowie die Millionenstadt Mossul erobern konnte. Hier akquirierte der IS Reichtümer, die in den Staatsaufbau, dessen Verteidigung und weitere Übergriffe im Norden reinvestiert wurden. So ist in der Beuteökonomie des IS durchaus ein nachhaltiges Element implantiert. tt
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Separatismus sich militärische und paramilitärische Kerne heraus, die flächen deckend Krieg hervorbrachten. Das Forschungs- und Dokumentationszentrum in Sarajewo geht von etwa 100.000 nachweisbaren Kriegstoten aus. Keine drei Monate nach der proklamierten Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas (99 Prozent stimmten dafür) erklärte sich wiederum im Januar 1992 die Republika Srpska innerhalb BosnienHerzegowinas für unabhängig (Wahlergebnis: 99 Prozent). Dieses De-facto-Regime, das kein anerkannter Staat ist, besteht bis heute. Foto: N. Ardoğa Dort liegt auch der Ort Srebrenica, wo beim Massaker im Juli 1995 über 8.000 BosniakInnen getötet wurden. Die Republika Srpska wandelte sich durch Morde, Plünderungen und Vertreibungen zur Der IS hat ein neues Staatsgebilde aus einer destabilisierten Region serbisch dominierten Wagenburg. heraus gebrochen, das auch durch kulturell-religiöse IdentitätsDer sezessionistische Plan ging auch 2008 nicht recht auf: Das merkmale definiert wird. Darauf weist ein anderer Name der OrKosovo, 1998 Schauplatz eines bewaffneten serbischen Angriffs wie auch antiserbischer Vertreibungen, erklärt sich von der 2006 ganisation hin: »Islamischer Staat im Irak und der Levante«. Die gegründeten Republik Serbien unabhängig. Doch eine Bevölkerung levantinische, fundamentalsunnitische Ideologie liefert Elemente für den ideellen Zusammenhalt des Gebildes. Die Grenzen sind lässt sich nicht mittels Separation zu einer glücklichen Volksgemeindabei jedoch nicht so statisch wie bei klassischen separatistischen schaft schmieden. Seit 2008 kämpfen wiederum serbische Enklaven im Nordkosovo für eine ganz neue Abtrennung – weil sie sich vom Projekten, sondern von vornherein auf Expansion ausgerichtet. neuen Kosovo zurück nach Serbien separieEine ganz andere Variante des islamistisch begründeten Separatismus ist die Azawadren wollen. Binationale Ehen und nicht einEs gibt 194 Staaten, Abspaltung 2012 in Mali. Der alte Streit zwideutig zuordbare Individuen fallen ohnehin schen Tuareg-Rebellen und dem malischen durch die Raster. doch der Ethnographic Atlas Zentralstaat war dahingehend eskaliert, dass Jugoslawien ist ein verzweigtes Beispiel des zählt 1.500 Ethnien die separatistischen Gruppen und ihre paraethnonationalistisch ausgeformten Separamilitärische Nationale Bewegung für die Betismus nach dem Ende der staatssozialistifreiung des Azawad (MNLA) sich erfolgreich mit IslamistInnen schen Regime. Dabei überlagert sich der Separatismus hier mit der verbündeten, vorwiegend mit der Al-Qaida-nahen Ansar Dine. Im Dismembration: dem Zerfall eines Staates in neue Staaten. InhaltNorden Malis riefen sie ihren neuen Staat Azawad aus. Das Zusamlich ist dem Streit im Kosovo die Hauptangst der SeparatistInnen mengehen mit den IslamistInnen rächte sich jedoch bald, denn aller Länder eingeschrieben: Dass die eigene Ethnie die Bevölkediese rissen alle Macht an sich und errichteten ihren Gottesstaat. rungsmehrheit verliert. Die Machtgier der SeparatistInnen verursachte in nur einem knappen Jahr in Azawad 400.000 Vertriebene, Mord und die Einführung Die Schotten kommen der Scharia. Im Januar 2013 schlugen französische und malische tt Von der kriegerischen Geschichte der separatistischen BeweTruppen Ansar Dine zurück. gungen distanzieren sich die neuen Separatismen in Westeuropa Auch Ansar Dine hat viel mit Separatismus zu tun. Ihr Anführer Ag Ghaly wurde mit der Zweiten Tuareg-Rebellion ab 1990 berühmt, entschieden. Die linksliberale Scottish National Party grenzt sich damals als Anführer der Volksbewegung von Azawad (MPA). Wenn mit einer sozialpolitischen Agenda und einer proeuropäischen Ansar Dine nun den Scharia-Staat in der Region Azawad will, trifft Haltung von der britischen Regierung ab. Die katalanischen Sepadie klassische, politisch-kulturell begründete Variante des TuaregratistInnen führen friedliche Großdemonstrationen durch. Hinter den Beschwichtigungen tritt jedoch eine grundlegende Einstellung Separatismus auf die islamistische Eroberung von Territorien. Für hervor: Die neuen Regionalismen in Schottland, Katalonien oder den Einfluss des Separatismus auf das politische Bewusstsein von Befreiungsbewegungen stellt Azawad 2012 ein vernichtendes Flandern beklagen, dass sie im Rahmen des staatlichen LastenausZeugnis aus. gleichs zu viel bezahlen. Hier zeichnet sich eine wohlstandschauvinistische Distanzierung nach außen ab. Mehr noch: Die eigene Identität als kulturelle Gruppe, die es zu bewahren gelte, nimmt Zerfallsprozesse in Ex-Jugoslawien einen wesentlich größeren Raum ein als das Eintreten für indivitt Die sezessionistischen Kriege in Ex-Jugoslawien zeigen, dass ein duelle Menschenrechte oder gesellschaftliche Gleichheit. relevantes Segment des jungen Separatismus mit Blut-und-BodenDoch Staaten sind nie ethnisch homogen und werden es immer Politik verknüpft ist. Dabei waren die Separationen in Jugoslawien weniger sein. Walker Connor definiert in seiner Studie »Ethnonatheoretisch einfach, die AkteurInnen stellten sie sich wie die Auftionalism« lediglich neun Prozent der Staaten als ethnisch homogen. Es gibt derzeit 194 anerkannte Staaten, doch der Ethnographic teilung eines Kuchens vor: 1990/91 wurden in den Teilrepubliken freie Wahlen abgehalten, danach fanden Referenden über die Atlas zählt 1.500 Ethnien, und selbsternannte »Volksgruppen« gibt Unabhängigkeitsfrage statt. In Bosnien-Herzegowina, Kroatien, es noch viel mehr. Wollten sie alle Unabhängigkeit, würde die Welt Slowenien, Mazedonien und Montenegro votierten die Wählenden vollständig aus den Fugen geraten. jeweils mehr oder weniger klar für die Separation, doch zumindest die serbischen Minderheiten boykottierten oftmals die Wahlen. Die nationalistische antiserbische und die antikroatische Propaganda schaukelten sich gegenseitig hoch. In den Bevölkerungen bildeten tt Winfried Rust ist Mitarbeiter im iz3w . iz3w • Juli / August 2016 q 355
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»So wird ein Stück Südafrika in die Welt getragen« Interview mit dem Ausstellungsmacher Reto Ulrich über afrikanische Comics Reto Ulrich, Mitarbeiter des Dokumentationszentrums Basler Afrika Bibliographien (BAB), hat zusammen mit Corinne Lüthy, Antonio Uribe und einer Gruppe Studierender der Universität Basel eine Ausstellung über Comics aus dem südlichen Afrika kuratiert (siehe iz3w 354). Neben einem Querschnitt über zeitgenössische Comic-Kunst aus afrikanischen Ländern, die von westlichen Verlagen weitgehend ignoriert werden, zeigte die Ausstellung »Kaboom! Afrikanische Comics im Fokus« auch Beispiele jener visuellen Klischees und Stereotype, mit denen westliche Comics Afrikanerinnen und Afrikaner dargestellt haben – und es in vielen Fällen bis heute tun. Alexander Sancho-Rauschel hat mit dem Kurator Reto Ulrich in Basel in den Räumen der Basler Afrika Bibliographien über die kaum bekannte Vielfalt afrikanischer Comic-KünstlerInnen gesprochen.
Alexander Sancho-Rauschel (ASR): Was sollte mit diesem Ausstellungsprojekt vermittelt werden? Reto Ulrich: Zunächst einmal, dass es Comics aus Afrika überhaupt gibt, was gar nicht so selbstverständlich ist. Schaut man sich in einem der hiesigen Comicläden oder in Bibliotheken um, findet man dort eigentlich nur Comics aus Europa, den USA, neuerdings noch aus Japan. Daher war es uns ein Anliegen, einmal authentische afrikanische ComicKunst zu zeigen. Und im Umkehrschluss zu untersuchen, Bitterkomix / Kannemeyer wie Afrika in hiesigen Comics dargestellt wird. Viele dieser Comics kannte ich noch aus meiner Kindheit, sie wurden einfach immer konsumiert, aber nicht reflektiert präsentiert. Als ich sie jetzt wieder in die Hand nahm, war ich überrascht und zum Teil schockiert, was für Werte da transportiert werden. Das beginnt in der Kolonialzeit, geht weiter über Werbe- und Sammelbilder des 19. Jahrhunderts mit Bildern aus den Kolonien und setzt sich fort in Kinder- und Jugendbüchern.
ASR: Zeigen sich in und über Afrika denn auch comicspezifische, eigene Bilder und Zeichensysteme? Ulrich: Einerseits sind Comics eine eigene Kunstform, und doch scheinen sie recht ungebrochen die ganzen alten Stereotype widerzuspiegeln. Nehmen wir als Beispiel den sehr populären Band «Tim im Kongo« des Belgiers Hergé. Die erste Ausgabe in Schwarzweiss von 1930-31 hat Hergé 1946 umgezeichnet, gekürzt und koloriert. So ist zum Beispiel eine Szene verschwunden, in der Tim mit Dynamit ein Nashorn in die Luft jagt. Aber die diffamierende Darstellung der Bevölkerung ist im Wesentlichen geblieben. Heute ist der Comicmarkt viel globaler, deshalb lassen sich die Bilder und Klischees nicht mehr so deutlich regional zuordnen. Es gibt mittlerweile durchaus auch westliche Comics, die in Afrika spielen und Bilder ohne Rassismus zeigen, beispielsweise »Der Traum von Olympia« von Reinhard Kleist. Natürlich gibt es die Stereotype immer noch in den Köpfen, aber ich habe viele Graphic Novels und Autorencomics gefunden, die auf Recherchen von Leuten basieren, die sich mit ihren Geschichten auseinandergesetzt haben und authentische Bilder finden. ASR: Und ab wann finden wir diesen veränderten, offeneren oder realistischeren Umgang mit dem Thema? Ulrich: Das hängt stark vom jeweiligen Land ab. Länder, die nie afrikanische Kolonien hatten oder diese wie Deutschland früh wieder verloren haben, konnten sich auch früher von bestimmten kolonialen Bildern lösen, während England oder Frankreich noch nach dem Zweiten Weltkrieg Kolonien besaßen und entsprechende rassistische Motive in den Comics sehr beharrlich blieben. Die US-amerikanischen Comics sind hier etwas offener, außerdem haben die dortigen Verlage auch die afroamerikanische Bevölkerung im Blick, weshalb es dort Superhelden wie den »Black Panther« gibt.
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ASR: Und mit Blick auf die afrikanische Comicszene, was haben Sie Auch geht es nicht nur um lokale Themen, sondern um Geschichda entdeckt, was für Comics, was für Geschichten? ten, die junge Leute zum Beispiel in Europa ähnlich erleben. Ulrich: In vielen afrikanischen Ländern gehen die Comictraditionen Dann die Serie »Supa Strikas« aus Südafrika. Sie zeigt im Grunnicht so weit zurück. Heute findet man in Afrika einen sehr lebende keine Superhelden, sondern nur Superfußballer, im Erzählstil digen Comicmarkt, aber in manchen Ländern gibt es dennoch fast und in den Zeichnungen dennoch nah am Superheldengenre. Die gar keine eigenen Comics. In einigen Regionen sind die ersten Geschichten werden kostenlosen Zeitungen beigelegt und über Comics in Missionszeitschriften erschienen, zum Teil bereits von Werbung finanziert. Allerdings nicht in Form von eigenen Werbeanzeigen zwischen den Zeichnungen. Vielmehr steckt die Werbung afrikanischen Künstlern, wenn auch oft mit fragwürdigem Inhalt. – wie im Fußballgeschäft In Südafrika gab es bis zum Ende des Apartheidregimes praküblich – in den gezeichnetisch gar keine Comic-Kultur. ten Trikots der »Supa Strikas« Comics wurden auch im Neuen oder als Bandenwerbung Südafrika über Jahre als kaum am Spielfeldrand. Die Serie lesenswert erachtet und zensiert, gehört mittlerweile zu den oft auch indiziert. Ab Mitte der meistgelesenen Comics 1990er wurden vermehrt Coweltweit, die längst auch in mics mit Bildungsanspruch proLateinamerika, im asiatiduziert, was aber nicht funktioschen Raum und in Skan niert, wenn die comictypische dinavien gekauft wird. FußErzählweise mit ihrer Text-Bildball ist eben ein Thema, das Verschränkung nicht etabliert ist. global verstanden wird. Oder wenn die Geschichten zu Held der Geschichten ist ein pädagogisch herüberkommen, Junge aus Soweto bei Jo was die Leserschaft als Bevorhannisburg. So wird ein mundung auffasst. Stück Südafrika in die Welt Bitterkomix / Kannemeyer Die Figur des Xiconhoca zeigt getragen. jedoch, wie Comicfiguren auch »In einigen Regionen sind dort funktionieren können, wo ASR: Spannend sehen die ersten Comics in Missionsauch die Zeichnungen von Comics bisher keine Tradition haben. Entstanden ist »Bitterkomix« aus … Xiconhoca in den 1970er Jahren in Mosambik. Sie ist zeitschriften erschienen« Ulrich: »Bitterkomix« ist eine faule, am alten Regime hängende Charaktertype, eigentlich eine Buchreihe, die sich nach dem Sieg der Unabhängigkeitsbewegung 1992 begonnen von dem südafrikanischen, in Kapstadt geborenen nicht am sozialistischen Aufbau beteiligen will. Auch wenn es dieAnton Kannemeyer zusammen mit seinem Kollegen Conrad Botes. se Cartoons mit Xiconhoca nicht mehr gibt, die Figur selbst ist bis Ein Underground-Comic, der sich anfangs gegen die Apartheid heute bekannt geblieben. und das alte rassistische Regime wendete. Inzwischen drehen sich die Geschichten eher um aktuelle Probleme, um die Korruption in ASR: Welche Besonderheiten fallen mit Blick auf die regionalen Comickulturen im südlichen Afrika auf? der ANC-Regierung etwa. Heute zeichnet Kannemeyer im Stil der Ulrich: Besonders bei den frankophonen Ländern Afrikas fällt auf, Ligne Claire, des Zeichenstils, den Hergé populär gemacht hat. Der Autor sucht und zeigt ganz bewusst Stereotype, seiner Ansicht dass sie von den großen Comicmärkten in Frankreich und Belgien nach muss man diese subversiv untergraben, um sie zu demonprofitieren, zum Beispiel von den Ausbildungsmöglichkeiten dort. tieren. Kannemeyer weiß um die immense visuelle Kraft der SteSo waren offenbar auch junge kongolesische ComiczeichnerInnen bei Hergé in Belgien und konnten dort ein Praktikum machen. reotype. Er verstärkt sie, um sie uns bewusst zu machen, oder dreht Andere KünstlerInnen haben angefangen, in Frankreich zu publisie lustvoll um. Und er meinte, die Suche nach dem schwarzen zieren, oder arbeiten heute sogar dort. Stereotyp sei für ihn einfach gewesen, schwieriger sei das Stereotyp des Weißen, der bei Kannemeyer übrigens oft Hergés Tim Interessant ist Südafrika, mit vielen jungen ZeichnerInnen, die ähnlich sieht. Nur ist er ein wenig in die Jahre gekommen, mit keine Lust mehr haben, immer nur das Apartheidthema zu bearHalbglatze. Und Struppi ist hier nicht so strahlend weiß, sondern beiten, die stattdessen erzählen, wie sie Südafrika heute erleben. schwarz – und heißt Blacky. Dagegen ist es für afrikanische KünstlerInnen aus dem englischsprachigen Raum schwieriger, in Europa zu publizieren – GroßbriLiteratur tannien hat einfach keinen so großen Comicmarkt. Das gilt auch für den lusophonen Raum, dessen Markt ist sehr überschaubar. –– Corinne Lüthy , Reto Ulrich, Antonio Uribe (2015): Kaboom! Afrikanische ASR: Welche Titel und Geschichten sind Ihnen bei den Recherchen besonders aufgefallen? Ulrich: Ein Comic, der vielleicht auch hierzulande bekannt ist, nennt sich »Aya« von der Autorin Marguerite Abouet aus der Elfenbeinküste, verlegt in Frankreich, eine afrikanisch-europäische Koproduktion, mit einem französischen Zeichner (siehe Seite 44). Die Stärke dieses Comics liegt in der Darstellung des Alltags in Abidjan.
Comics im Fokus. Ausstellungskatalog, 62 Seiten, Basler Afrika Bibliographien, 15 CHF. –– http://lmcafe.blogspot.lu/2014/09/xiconhoca-2014.html
Reto Ulrich ist Mitarbeiter des Dokumentationszentrums Basler Afrika Bibliographien (BAB). Das Interview führte Alexander Sancho-Rauschel. tt
iz3w • Juli / August 2016 q 355
ISSN 1614-0095
E 3477
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