iz3w Magazin # 371

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Muss man wissen … über Verschwörungstheorien

iz3w t informationszentrum 3. welt

Außerdem t Geflüchtete in Mexiko t Frauenstreik am 8. März t Projekte gegen Dschihadismus

März/April 2019 Ausgabe q 371 Einzelheft 6 6,– Abo 6 36,–


In dies er Aus gabe . . . . . . . . .

Titelbild: Popsugar

Schwerpunkt: Verschwörungstheorien 19 Editorial 20

3 Editorial

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Antirassismus: »Ein öffentlicher Aufschrei«

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Migration: Ein Land als Wartesaal Mexiko ist zur Außengrenze der USA geworden von Nikolas Grimm

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Realität erzeugen Verschwörungstheorien im subsaharischen Afrika von Felix Riedel

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Genwaffen und Weltraumgeschosse In China dienen Verschwörungstheorien dem Erhalt des Status quo von Aleksandra Brzostek

Landwirtschaft: It’s the land, stupid! Die überraschende Dynamik ländlicher Räume im Südlichen Afrika von Andries du Toit und Sören Scholvin

Die illiberale Demokratie und ihre Feinde George Soros wird von RechtspopulistInnen als Verschwörer dämonisiert von Felix Schilk

Philippinen: Hoffnungslos im Knast Repression gegen DrogenkonsumentInnen von Bianca Ysabelle Franco

Digitaler Bullshit Das Internet beschleunigt die Verbreitung von Verschwörungsideologien von Florian Eisheuer

Bildung: »Ich wollte immer studieren« Geflüchtete müssen in Deutschland für ein Studium kämpfen von Sarah Spasiano

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Islamismus: Deradikalisiert euch! Über Schwierigkeiten in der Präventionsarbeit von Christoph Panzer

Wer dahintersteckt Warum sind so viele Verschwörungsideologien antisemitisch? von Olaf Kistenmacher

Interview mit Alistair Tamlit über den Fall der »Stansted 15«

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Die andere Realität Die Esoterik reaktiviert das Verschwörungsdenken von Peter Bierl

Politik und Ökonomie 4

»Alles hängt mit allem zusammen« Interview mit Michael Butter über Verschwörungstheorien

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Say it loud Rap als Medium von Verschwörungstheorien von Johannes Bär

Kultur und Debatte 40

Medien: Würde und Gleichheit Ein arabischer Radiosender für die LGBT-Community von Jan Düsterhöft

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46 Rezensionen 50 Szene / Impressum

Film: Im Futur gedacht Der Film »Rafiki« mischt die kenianische Gesellschaft auf von Martina Backes

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Postkolonialismus: Weiße Maske, schwarze Haut Mimikry in der jamaikanischen Dancehall von Patrick Helber

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Feminismus: »Gemeinsame antirassistische Kämpfe« Interview mit dem Frauen*streik Komitee Berlin

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Edito r ia l

Gute Nachrichten Neulich, in einer kleinen Runde politisch Interessierter, kommt das Gespräch auf den Schülerstreik gegen Klimawandel und miese Klimapolitik. »Irgendwie finde ich das traurig, wenn schon die Kinder Weltuntergangszenarien beschwören«, sagt eine. Ein anderer widerspricht: »Wir waren doch in den 1980er Jahren noch viel stärker No Future-mäßig drauf: Atomraketen, Waldsterben, Big Brother is watching you, Aids …« Die Runde ist sich zumindest in einem einig: Düstere Szenarien und Kulturpessimismus sind der Linken fest eingeschrieben, gleich ob jung oder alt. Die iz3w ist da keine Ausnahme. Heute erlauben wir uns aber mal eine Abwechslung vom medialen Alltagsgeschäft, sprich der Übermittlung schlechter Nachrichten. Wir sprechen über Entwicklungen, die den ebenfalls linken, wenn auch in Verruf geratenen Topos des Fortschrittsoptimismus bedienen. Denn gute Nachrichten gibt es erstaunlich viele.

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ussten Sie zum Beispiel, dass im September 2018 eine ungeheuer wichtige Marke erreicht wurde? Erstmals seit Beginn der Neuzeit lebt die Mehrheit der Menschheit nicht mehr in Armut. Über 50 Prozent der Menschen zählen nun im globalen Maßstab zur Mittelschicht und Oberklasse. In Indien konnte die Armutsrate halbiert werden, Tendenz weiter fallend. Sicher, Bemessungsgrundlage dafür sind nur bedingt aussagekräftige monetäre Indikatoren. Soziale Spaltung und bittere Armut sind noch lange nicht aus der Welt (siehe iz3w 336). Aber die Werte über den sich verbreiternden Wohlstand sind über die Jahrzehnte vergleichbar, und sie weisen in die richtige Richtung. Fast zu Jubelschreien verleiten kann die Zurückdrängung von Aids. Anders als noch vor dreißig Jahren ist eine HIVInfektion kein Todesurteil mehr, es gibt wirksame Medikamente dagegen. Die Zahl der Neuinfektionen ging weltweit zurück, in Südafrika sogar um 44 Prozent. Neuinfektionen bis 2030 auf null zu senken, ist ein realistisches Ziel geworden – zu dessen Verwirklichung allerdings noch viel Druck auf die Pharmaindustrie ausgeübt werden muss, damit Medikamente nicht nur Zahlungskräftigen zu Gute kommen. Unbemerkt vom Nachrichtengeschäft hat sich in afrikanischen Ländern eine kleine Revolution ereignet, die wie so oft mehr Folge langfristiger Aufklärung denn großer Politik ist: Genitalverstümmlung bei Frauen geht stark zurück. Eine Forschungsgruppe fand heraus, dass in Nordafrika die Rate

von 58 auf 14 Prozent der Frauen gesunken ist, in West­ afrika von 74 auf 25 Prozent und in Ostafrika von 71 auf acht Prozent. Es bleibt noch viel zu tun, bis die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung voll erreicht ist. Aber die vielen Mädchen und Frauen, die nun unverstümmelt leben können, dürften mehr als nur erleichtert sein.

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rfolge gibt es auch bei der Umweltpolitik: Das Ozonloch wird in wenigen Jahrzehnten vollständig gestopft sein. Laut UN-Umweltprogramm UNEP werden allein bis zum Jahr 2030 zwei Millionen weniger Fälle von Hautkrebs auftreten, gerade in Ländern mit hoher Sonneneinstrahlung. Das anfänglich gegen große Widerstände durchgesetzte Verbot der Verwendung von Fluorkohlenwasserstoff (FCKW) in Spraydosen und Kühlschränken zahlt sich nun in einem Maße aus, das selbst OptimistInnen nicht erwartet hatten. Das könnte eine Blaupause sein für die Eindämmung der Klimawandelgase Kohlendioxid und Methan. Die guten Nachrichten sind so zahlreich, dass sie hier gar nicht alle aufgeführt werden können. Die Kindersterblichkeit geht weltweit zurück, der globale Baumbestand ist seit 1982 um zwei Millionen Hektar gewachsen, allein in der VR China wurden 40 Milliarden Plastiktüten eingespart, in Paraguay ist die Malaria endgültig besiegt, in einem weg­weisenden Urteil stellte ein libanesisches Gericht fest, dass Homosexualität kein Verbrechen ist, die Zahl der Todes­ opfer von kriegerischer staatlicher Gewalt sank in den vergangenen drei Jahren kontinuierlich, usw. usf. Wächst angesichts dieser Fortschritte das Glück auf Erden? Glück lässt sich nicht messen, aber zumindest gibt es ­Indizien dafür, dass existenzielles Unglück abnimmt. Die globale Selbstmordrate sank in den vergangenen 25 Jahren um 38 Prozent. Das entspricht vier Millionen Menschen. Am meisten sanken die Selbstmordraten in asiatischen Ländern und dort besonders unter jungen Frauen, die nun mehr denn je Perspektiven für sich sehen. Bemerkenswerte Ausnahme sind die USA, wo die Selbstmordrate um 18 Prozent ge­ stiegen ist. Was lernen wir aus alledem? Es lohnt sich, mit langem Atem für Veränderungen zu kämpfen. Hey, ihr streikenden SchülerInnen: Ihr macht das Richtige! Für euer hoffnungsfroh stimmendes Engagement dankt euch herzlich die redaktion

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»Ein öffentlicher Aufschrei« Interview mit Alistair Tamlit über den Fall der »Stansted 15«

In Großbritannien sorgt derzeit das Urteil gegen die »Stansted 15« für Aufregung. 15 AktivistInnen hatten im März 2017 einen Abschiebeflug am Stansted Airport blockiert. Im Dezember 2018 wurden sie überraschend nach einem Gesetz verurteilt, das Terroranschläge verhindern soll und eine Freiheitsstrafe von bis zu lebenslänglich als Strafmaß vorsieht. Am 6. ­Februar wurde nun das Strafmaß verkündet: Drei AktivistInnen erhiel­ ten Bewährungsstrafen, der Rest wurde zu gemein­nütziger Arbeit verurteilt. Die iz3w sprach mit Alistair Tamlit, einem der »Stansted 15«, über den Fall sowie den Widerstand gegen die Abschiebepolitik Großbritanniens.

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Elf von ihnen sind noch in Großbritannien. Ein Mann konnte zu seiner Familie zurückkehren und die Geburt seines Kindes miterleben, er hat nun ein Bleiberecht. Zwei weitere Personen haben ebenfalls Bleiberecht erhalten, vier wurden von der Regierung als Opfer von Menschenhandel anerkannt. Bei den anderen laufen die Asylverfahren noch. Das zeigt, dass diese Menschen niemals in dem Abschiebeflugzeug hätten sitzen dürfen und dass das System nicht funktioniert. tt

In einer Pressemitteilung habt ihr den Abschiebeflug als »an der Grenze zur Illegalität« bezeichnet. Was genau meint ihr damit? tt Uns geht es darum, dass der Einsatz von Charterflügen von vielen Stellen, unter anderem dem Innenausschuss des britischen iz3w: Was genau geschah am 28. März 2017? Parlaments, massiv kritisiert wurde. Der Chefinspektor für Gefäng­ Alistair Tamlit: Wir verschafften uns Zugang zum Rollfeld des nisse, der wahrlich kein Linksradikaler ist, hat angemerkt, dass Flughafens Stansted und blockierten den Abschiebe-Charterflug, Fixierungen auf diesen Flügen exzessiv eingesetzt werden und eher die Norm als die Ausnahme sind. indem wir uns an das Flugzeug ketteten. Nach Da es kaum Kontrolle über diese Flüge etwa zehn Stunden wurden die Ketten durchtrennt und wir verhaftet. Man brachte uns zu gibt, ist Missbrauch weit verbreitet. »Die Menschen hätten unterschiedlichen Polizeistationen in Essex, beniemals in dem Abschiebe­ fragte uns und nach etwa 17 Stunden wurden Euer Fall ist auch deshalb so umstritten, flugzeug sitzen dürfen.« wir gegen Kaution entlassen und wegen schweweil ihr schlussendlich nicht wegen Landrem Hausfriedensbruch angeklagt. friedensbruch, sondern nach dem »Aviation and Maritime Security Act« wegen Wieso habt ihr diesen Abschiebeflug blockiert? »Gefährdung eines Flug­hafens« verurteilt wurdet. Dieses Gesetz tt Wir hatten über den Blog »Detained Voices« von den Geschichwurde 1990 als Reaktion auf den Lockerbie-Anschlag erlassen und ten der drei Personen erfahren, die mit diesem Flug abgeschoben seitdem nur einmal angewendet, als ein Pilot kurz nach dem 11. September 2001 absichtlich in einen Kontrollturm flog. Gab es werden sollten. Eine der Betroffenen war eine lesbische Frau aus Nigeria. Sie schrieb, dass sie einer Zwangsehe entkommen war während eures Prozesses eine Erklärung dafür, dass dieses abwegige Gesetz angewandt wurde? und ihr gewalttätiger Ex-Mann ihr angedroht hatte, sie umzubringen, sollte sie nach Nigeria zurückkehren. Wir entschieden uns, tt Nein. Da ein Vergehen nach diesem Gesetz mit bis zu lebensden Flug zu blockieren, weil wir um das Leben dieser drei Menschen langer Haftstrafte geahndet werden kann, bedarf seine Anwenfürchteten und annahmen, dass weitere auf den Flug gebuchte dung der Zustimmung des Generalstaatsanwaltes. Wir haben mehrmals nachgefragt, warum wir nach diesem Gesetz angeklagt Personen ebenfalls in Gefahr schwebten. wurden, aber bis heute keine Antwort erhalten. Meiner Meinung Mit dem von uns verhinderten Flug sollten 57 Menschen nach Nigeria und Ghana abgeschoben werden. Genauere Informationen nach war das eine politische Entscheidung. Wir haben es geschafft, hatten wir jedoch nur über die drei besagten Fälle, da es schwierig das Innenministerium zu stoppen und die brutale Praxis der ist, mit Menschen in Abschiebehaft zu kommunizieren. Uns war Massenabschiebung einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Daher wollte das Innenministerium ein Exempel an uns aber klar, dass dieser Flug Teil der systematischen Massenabschiebungen in Großbritannien ist, die ungefähr monatlich stattfinden. statuieren. Abschiebeflüge in Chartermaschinen sind rassistisch: Aufgrund von bürokratischen Zielvorgaben besteht der Druck, alle Plätze in dem Vermutlich habt ihr nicht erwartet, nach diesem Gesetz verurteilt zu werden. Mit welchen Konsequenzen hattet ihr im Vorfeld eurer AkFlugzeug zu besetzten. Deshalb werden in den Wochen vor einem solchen Abschiebeflug verstärkt Razzien gegen die entsprechenden tion gerechnet? Communities durchgeführt. Aufgrund des beschleunigten Verfahtt Es gab in der Vergangenheit mehrere Aktionen an Flughäfen, rens und den Kürzungen bei der Prozesskostenhilfe haben zudem darunter auch Blockaden von Startbahnen. Größtenteils durch die Gruppe Plane Stupid, zu der auch ich gehöre, aber auch durch viele Betroffene, die abgeschoben werden sollen, zuvor nicht die Black Lives Matter UK 2016. Jedes Mal wurden die Beteiligten Chance, dass ihr Fall ausreichend bearbeitet wird. wegen Hausfriedensbruch und Verstößen gegen die FlughafenWas ist mit den Betroffenen geschehen, nachdem sie mit dem von euch ordnungen verurteilt. Das Strafmaß belief sich in der Regel auf verhinderten Flug nicht abgeschoben werden konnten? Sozialstunden und vielleicht Geldstrafen. Deshalb war es für uns iz3w • März / April 2019 q 371


Antirassismus

Alistair Tamlit Foto: Kristian Buus

so schockierend, mit einer möglicherweise lebenslangen Haftstrafe konfrontiert zu sein. Gab es in Großbritannien noch weitere Aktionen wie eure? tt Unsere Aktion war die erste, mit der ein Charterabschiebeflug verhindert werden konnte. Aber viele andere Aktionen gehen in die gleiche Richtung. Es wurden beispielweise Busse an Abschiebegefängnissen blockiert und Abschiebungen auf Linienflügen dadurch verhindert, dass Fluggäste sich weigerten, Platz zu nehmen. Das sind alles wichtige Bestandteile im Kampf gegen die von Theresa May 2012 als Innenministerin ausgerufene Offensive, eine »feindliche Umgebung« für Illegalisierte zu schaffen, aber auch im Kampf gegen Grenzen im Allgemeinen. Ich finde es aber besonders wichtig, auch daran zu denken, dass Betroffene in Abschiebegefängnissen seit langem unter hoffnungslos erscheinenden Bedingungen Kämpfe führen und dass diese dennoch erfolgreich sein können. Vor kurzem kamen in Folge eines Hungerstreiks im Abschiebegefängnis von Yarl’s Wood zwanzig Frauen frei. Solche Hungerstreiks gibt es mindestens seit 2005 und viele der Streikenden haben sich nach ihrer Freilassung weiter organisiert. Wie hat sich der Umgang mit Abschiebungen in Großbritannien in den letzten Jahren verändert? tt Chartermaschinen werden in Großbritannien etwa seit 2005, damals noch unter einer Labour-Regierung, für Abschiebungen eingesetzt. Der politische Umgang mit MigrantInnen hat sich jedoch dank Theresa Mays »feindliche Umgebung«-Offensive verschlechtert. Als Folge dieser Politik wurden mehr Menschen als je zuvor inhaftiert, über 30.000 pro Jahr. Gleichzeitig hat sich die öffentliche Meinung zum Thema Migration immer weiter polarisiert, besonders seit dem Brexit-Referendum. Allerdings gibt es auch Widerstand gegen diese Politik, insbesondere seit dem Windrush-Skandal 2018, als sich herausstellte, dass Menschen, die 50 Jahre dort gelebt hatten, unrechtmäßig abgeschoben wurden. Danach war die Regierung gezwungen,

einige Regelungen zu ändern. Selbstverständlich gibt es noch viel zu tun, aber immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass sie aktiv werden müssen. Welche Unterstützung wünscht ihr euch nach dem Urteil gegen euch? tt Dazu gibt sicher viele Möglichkeiten – von Solidaritätserklärungen bis hin zu Kundgebungen vor der britischen Botschaft. Aber wir haben Glück und bekommen bereits sehr viel Unterstützung. Deshalb würde ich mir vor allem wünschen, dass sich möglichst viele Leute lokal gegen Grenzen organisieren. Es gibt so viele Menschen an den Außengrenzen Europas und sie sind es, die Unterstützung und Solidarität brauchen. Nicht wir. Wie schaust du nach dem Urteil in die Zukunft? tt Man könnte sagen, dass wir zwar unseren Fall verloren, aber die Auseinandersetzung gewonnen haben. Der öffentliche Aufschrei und die Unterstützung nach unserem Urteil waren unglaublich. Dadurch, dass einige der Betroffenen nach zwei Jahren immer noch im Land sind, ist für viele Menschen ersichtlich, dass etwas mit dem System nicht stimmt. Viele sind der Ansicht, dass es falsch ist, Menschen in Länder abzuschieben, in denen ihnen Verfolgung und Tod drohen. Und sie sind ebenso der Auffassung, dass es falsch ist, UnterstützerInnen mit lebenslangen Haftstrafen zu bedrohen. Jetzt ist es an der Zeit, die Debatte auszuweiten. Wir sollten den Augenblick nutzen, um zu fragen: Dienen Grenzen wirklich der »nationalen Sicherheit« oder nicht vielmehr dem Profit? Sind Gefängnisse dazu da, gefährliche Kriminelle einzusperren oder werden sie nicht vielmehr genutzt, um Communities of Colour zu kriminalisieren? Ich wünsche mir, dass unser Fall ein Ausgangspunkt ist, diese Diskussionen zu führen.

Alistair Tamlit ist antirassistischer Aktivist in Großbritannien und einer der »Stansted 15«. Das Interview führte und übersetzte Larissa Schober (iz3w).

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iz3w Backlist

iz3w 369: Friedensprozesse iz3w 368: Bioökonomie iz3w 367: Anarchismus weltweit iz3w 366: Arbeitsrechte iz3w 365: Pressefreiheit iz3w 364: 1968 international

2017 iz3w 363: Sexualisierte Gewalt iz3w 362: Altern in der Welt iz3w 361: Tourismus & Migration iz3w 360: Freie Radios iz3w 359: Rechtspopulismus iz3w 358: Dschihadismus

2016 iz3w 357: iz3w 356: iz3w 355: iz3w 354: iz3w 353: iz3w 352:

Afropolitane Kultur Fluchtursachen Separatismus Müll Olympia in Brasilien Refugees & Selbstermächtigung

2014 iz3w 345: Barrieren & Behinderungen iz3w 344: Geschäfte mit Uran iz3w 343: Fotografie & Macht iz3w 342: Protest in der Türkei iz3w 341: Asyl & Politik iz3w 340: Brasilien

2015

auch als PD

Fotos: M. Karthäuser, B. Miglioretto, D. Giancono, H. Chang, wikipedia

2018

Probeheft gratis

F-Download

iz3w 351: Sexarbeit – Akzeptanz versus Stigma iz3w 350: Anti-Rassismus im Süden iz3w 349: Logistik iz3w 348: Gesellschaftskritik im Spielfilm iz3w 347: Folter im 21. Jahrhundert iz3w 346: Ausbeutung der Meere

Preise: Einzelheft € 5,30 iz3w 340 bis 351 € 4,– frühere Hefte: € 3,–

www.iz3w.org


Edito r ia l

Verschwörungstheorien Hat sich die CIA mit der Sängerin Beyoncé verbündet, um mittels ihres neuen Albums »Lemonade« sowohl einen ­»Rassenkrieg« als auch einen »Krieg gegen Männlichkeit« herbeizuführen? Klingt absurd, ist es auch, aber: #mussmanwissen. Mit der Floskel »Muss man wissen« beendete der Verschwörungstheoretiker Axel Stoll gerne seine kleinen Vorträge über allerlei Wahnideen. Die kritische Initiative Der Goldene Aluhut griff die Worte ironisch auf und retweetet unter diesem Hashtag immer wieder lustige Verschwörungstheorien auf Twitter. Die CIA-Beyoncé-Connection ist nur eine von vielen, die uns bei der Recherche zum Themenschwerpunkt zum Lachen brachten. Doch so unsinnig die allermeisten Verschwörungstheo­rien auch klingen, so real und zerstörerisch können die Folgen sein: Menschen werden angefeindet, ausgestoßen, bedroht oder gar ermordet. Häufig werden dabei bestehende Diskriminierungsstrukturen aufgegriffen und zu einem von Ressentiments geleiteten Theoriemonster umgebaut – so wie im oben genannten Beispiel Rassismus und Antifeminismus aufgegriffen werden.

B

esonders weit verbreitet sind antisemitische Verschwörungstheorien, nicht zuletzt, um sich im schwer überschaubaren global vernetzten Kapitalismus zurechtzufinden. Verschwörungstheorien bieten einfache Erklärungsmodelle für komplexe Sachverhalte. Sie ermöglichen eine klare Trennung in Gut und Böse. Sie vermitteln das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, sowie das erhabene Wissen, verstanden zu haben, was die anderen immer noch nicht kapieren wollen und sollen. Damit soll nicht gesagt sein, dass Verschwörungsgläubige minderbemittelt sind, dass sie den ganzen Tag im Internet surfen und ohne nachzudenken alles glauben, was ihnen dort erzählt wird. Verschwörungstheorien sind durchaus Narrative, die beanspruchen, das gängige Wissen kritisch zu hinterfragen und investigativ nach der Wahrheit zu suchen. Sie werden nicht nur am Stammtisch erschaffen, sondern auch in politischen Strategiebesprechungen und in der Wissenschaft. Oft sind es hochintelligente Menschen, die mit besonderem Eifer Verschwörungstheorien erfinden. Sie meinen, die Welt besser erklären zu können als der Mainstream. Verschwörungstheorien sind trotz ihres meist vorhandenen Lokalkolorits oft so stark global miteinander vernetzt, dass sie sich gegenseitig legitimieren. Häufig widersprechen sie sich aber auch – was jedoch nicht dazu führt, dass ihre ­AnhängerInnen sie auf Plausibilität überprüfen.

Eigentlich ist es erstaunlich, dass Verschwörungstheorien heute fortbestehen, in einer Zeit, in der der den Menschen so viele Informationen wie nie zuvor zur Verfügung stehen. Jede/r kann sich umfassend informieren und so verschwörungstheoretischem Irrglauben vorbeugen. Und doch sind Theorien über Verschwörungen weltweit beliebter denn je. Denn ihre Verbreitung ist über das Internet extrem einfach geworden, jede/r kann dort ungefiltert abstruse Ideen kundtun. Verschwörungstheorien haben die Nischen längst verlassen: Der Popmusiker Xavier Naidoo verpackt die Wahnvorstellungen der ReichsbürgerInnen in Kuschelrocktexte, zigtausende ImpfgegnerInnen entziehen ihre Kinder den geheimen Machenschaften der Pharmaindustrie und am Kiosk kann man mehr als eine Zeitschrift kaufen, die den Klimawandel für eine Verschwörungstheorie der Ökospinner hält.

V

erschwörungstheorien sind kein Alleinstellungsmerkmal der Rechten und des Rechtspopulismus, sie reichen bis weit in gesellschaftliche Mitte. Auch die linke Szene ist anfällig dafür. Das unreflektierte Gerede von »den Herrschenden«, »den Eliten« oder »den Großmächten« eröffnet eine Querfront zu ähnlich skurrilen Weltbildern der rechten Szene. Wahlweise werden die CIA, der Mossad, die Nato, der Westen, die USA, China oder Russland für die Unterdrückung der Völker verantwortlich gemacht, und immer verfolgen sie dabei angeblich größere Geheimpläne. Dass beispielsweise die CIA tatsächlich massiv in andere Staaten eingreift, ist aber kein Geheimnis und beruht nicht auf einer Verschwörung, sondern ist ihr offen kommunizierter machtpolitischer Auftrag, über dessen Details mehr bekannt ist, als die Meisten glauben. Und doch arbeiten viele PolitikerInnen wie derzeit etwa Nicolás Maduro in Venezuela mit obskuren Sündenbocktheorien, um von selbst verursachten Missständen abzulenken. Gegen den Irrsinn der Verschwörungstheorien hilft nur Aufklärung. Man kommt nicht umhin, sich über sie zu informieren und immer wieder dagegen zu argumentieren. Das kann ermüdend sein, aber zum Glück bieten die meisten Verschwörungstheorien auch einen gewissen Unterhaltungsfaktor. Jedes Format, das sich wie etwa Der Goldene Aluhut über diese Theorien lustig macht, trägt dazu bei, dass sie auf keine größere gesellschaftliche Resonanz stoßen.

Gefördert von ENGAGEMENT GLOBAL im Auftrag des BMZ und aus Mitteln des Kirchlichen Entwicklungsdienstes durch Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst.

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die redaktion

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Ve r s c h w ö r u n g s t h e o r i e n

Say it loud Rap als Medium von Verschwörungstheorien Verschwörungstheorien machen auch vor der Rap-Szene nicht halt: Beyoncé sei ein Reptilienmensch, ihr Ehemann Jay-Z Angehöriger der Illuminaten und diese hätten wiederum 2Pac auf dem Gewissen. Hierzulande leugnet Fler das Erdenrund, Prinz Pi rappt über Weltverschwörungen, Haftbefehl über Chemtrails – und dann gibt es noch Kollegah und Xavier Naidoo. Wieso ist gerade Rap so anfällig für Verschwörungstheorien?

von Johannes Bär Kurz vor der sogenannten Golden Era im Hip Hop folgten 1991 FunktionärInnen US-amerikanischer Plattenfirmen dem Ruf zu einem Geheimtreffen nach Los Angeles. Dort wurde über das zukunftsträchtige Genre Gangsta-Rap getagt und beschlossen, wie es mit der vielversprechenden Cash-Cow weitergehen soll. In den Jahren zuvor hatten Rapper wie Ice-T oder die Formation N.W.A. in ihren Songs lebensweltliche Einblicke in afroamerikanische Armutsviertel gewährt und aggressiven, gewalt- und drogenverherrlichenden Rap salonfähig gemacht. Nun wartete man nur noch auf den ganz großen Durchbruch – und dieser sollte auf besagtem Geheimtreffen forciert werden. Die Idee: Gangsta-Rap als Straßenfeger. US-amerikanische Major Labels, so erfuhren die Geladenen, hielten neuerdings Anteile an Privatknästen und verdienten – künftig subventioniert durch die Regierung – am Gefängnisbetrieb mit. Je erfolgreicher also die Glorifizierung von Gewalt und Drogen verbreitet werden würde, desto mehr (afroamerikanische) Jugendliche würden in ihrem jugendlichen (Nach-)Eifer im Knast landen. Eine klassische Win-winSituation: Die Musikindustrie sahnt doppelt ab und für den Staat regelt sich die soziale Selektion von selbst… So oder so ähnlich erzählt man sich im Internet die Geschichte vom Gangsta-Rap, nachdem ein Bericht über das vermeintliche Geheimtreffen zwanzig Jahre später im Netz viral ging. Dieses Narrativ ging in den Kanon der HipHop-Mythologie ein, obwohl (oder weil?) es eine nahezu klassische Verschwörungstheorie bildete: Kleine Eliten lenken im Verborgenen die Geschicke der Welt und sorgen dafür, dass jene, die unten sind, genau dort bleiben. Die reelle Kritik am Gangsta-Rap, der für die Verrohung der Jugend verantwortlich sei, vermischt sich mit einer pseudo-plausiblen Erklärung für seine Entstehung. tt

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Nicht immer explizit markiert Verschwörungstheorien haben häufig antisemitische Züge. Seit Kollegahs Eklat bei der Verleihung des Musikpreises Echo, der 2018 erschöpfend besprochen wurde, ist Antisemitismus im Rap auch in Deutschland Thema. Moderne Verschwörungstheorien und moderner Antisemitismus bedingen sich historisch und sind bis heute eng miteinander verbunden. Insofern gibt es derzeit keine besondere Konjunktur von Verschwörungstheorien. Es gab sie tt

immer. Sie werden nicht plötzlich aus der Vergangenheit hervor gezerrt, sondern waren stets unter uns. Konstitutiv für moderne Verschwörungstheorien ist deren Erweiterung durch antisemitische Stereotype im 19. Jahrhundert. VerschwörungstheoretikerInnen müssen keine glühenden AntisemitInnen sein, doch ist auch in der albernsten Verschwörungstheorie Antisemitisches strukturell mit angelegt – was aber nicht immer explizit markiert sein muss. Im Fall von Kollegah fing man beispielsweise erst aufgrund seiner Auschwitz-Textzeile an, anderes Material auf Antisemitismus zu prüfen und förderte in weniger offensichtlich Markiertem Problematisches zu Tage. Antisemitismus ist eben nicht immer explizit, sondern kann aus der Idee einer gelenkten Welt bestehen, in deren Zentrum der »Jude« steht. Man kennt das Narrativ bereits und denkt sich das Nötige dazu. Auch in der Erzählung über das Geheimtreffen in L.A. gibt es keine expliziten Marker. Wer aber über die Stereotype verfügt, die mit der US-amerikanischen Film- und Musikbranche verbunden sind, weiß schon, wer mit den »FunktionärInnen« gemeint ist. Warum ist Rap besonders anfällig für Verschwörungsdenken? Wird dort bloß aufgegriffen und reproduziert, was anderswo geschaffen wird, oder schaffen die KünstlerInnen sogar mit, was sie bloß zu vermitteln scheinen? Rap, der in seinen Anfängen als Counter Culture zum popkulturellen Mainstream gelesen wurde und sich aus dem Kampf gegen die sozioökonomische Überlegenheit der »Weißen« heraus etablierte, ist ähnlich wie andere progressive Subkulturen nicht frei von Reaktionärem. Auch dort setzen sich Rassismus, Sexismus und Antisemitismus fort. Ökonomische Konflikte, die eigentlich klassenkämpferisch begriffen werden müssten, werden auf irrationale Feindbilder gelenkt, die in der Gesellschaft bereits existieren. Blickt man auf den typischen Habitus von RapperInnen, erscheinen Verschwörungstheorien als probates Mittel zur Selbstinszenierung.

Eingeweiht in die Zirkel der Macht Kein anderes Musikgenre lebt so sehr von der Hyperstilisierung seiner Kunstfiguren. Das Narrativ des Rap-Stars liest sich fast immer als Kampf von unten nach oben. Um sich aus der eigentlich gesellschaftlich unterlegenen Position heraus als mächtig zu gerieren, gibt es im Bezug auf Verschwörungstheorien zwei Möglichkeiten: Entweder man stilisiert sich als Opfer von Verschwörungen, durch die die eigene soziale oder ethnische Gruppe unten gehalten wird, was man aber durchschaut und an die Hörerschaft weitergibt (each-one-teach-one). Oder man inszeniert sich selbst als eingeweiht in die Zirkel der Macht, wie es etwa Jay-Z mit seiner IlluminatenKoketterie handhabt. Dazu gehört dann auch, einen »jewish ­lawyer« zu beschäftigen und von den »Juden« gelernt zu haben, wie man es hält mit dem Geld. Beides verweist in den USA auf das komplizierte Verhältnis zwischen der afroamerikanischen und der jüdischen Bevölkerung: Es hält sich die Idee, Juden hätten die Versklavung der Schwarzen tt

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So it‘s not actually a sphere – it‘s oblate (Rapper B.o.B. über die Erde)

Foto: pinterest.de

­ nanziert und vorangetrieben. Als sich in den 1960er Jahren die fi eben auf, was im Netz herumschwirrt: Chemtrails, BRD GmbH oder aus der Black Muslim-Bewegung hervorgegangene Nation of Islam Flatearth. (NoI) radikalisierte, vertrat sie recht bald antisemitische Positionen. Durch den Beitritt von Malcom X erhielt die Bewegung enormen Verschwörungstheorien als mediales Ereignis Zulauf. Später übernahm Louis Farrakhan die NoI und stellte die tt Ist Rap aber nun besonders verschwörungstheoretisch? VerIdee von einer jüdisch-weißen Weltverschwörung ins Zentrum der Agitation. Bis heute verkehrt er mit zahlreichen RapperInnen. Brand schwörungstheorien sind vor allem mediale Ereignisse. Daraus lässt Nubian und Public Enemy bezogen sich in Texten und Interviews sich folgern, dass gerade Popkultur ihnen außerordentlich zuträgauf seine Reden. In dem Song »Yakub the Jeweler« knüpft Lord lich ist. Rap ist derzeit das erfolgreichste Musikgenre. RapperInnen Jamar von Brand Nubian beispielweise an die NoI Auslegung des sind immer Abbild ihrer Gesellschaft, sie sind nicht verschwörungstheoretischer als NormalbürgerInnen. In einer Szene, die von biblischen Jakobs an, welcher die Juden als künstliche »weiße Rasse« erschaffen und sie mit List und Tücke ausgestattet habe. 1994 Provokation lebt, in der man sich in hypermaskulinem Gebaren trat Ice Cube der NoI bei, 2009 Snoop Dogg. In den letzten Jahren und Machtphantasien ergeht, erscheinen Verschwörungstheorien ist es der NoI zudem gelungen, die Black Lives Matter-Bewegung aber als logische Konsequenz der Stilisierung. Dennoch ist Fler kein Flatearther, nur weil er Rapper ist, und Kollegah ist zu unterwandern. In der deutschen Szene laufen im Grunde ein gewöhnlicher Antisemit. Der Heimat­ Verschwörungstheorien ein wepopper Andreas Gabalier hat bestimmt kein besseEs lässt sich schlecht zu Balladen nig anders, weil die Zugänge res Weltbild, nur lässt sich auf der Hütten-Gaudi über Chemtrails schunkeln andere sind. Im Gegensatz zu denkbar schlecht zu Balladen über Chemtrails US-RapperInnen, die ihren musschunkeln. Das Künstler-Ich der RapperInnen lässt limischen Hintergrund fast nie thematisieren, gehören Themen wie sich einfacher mit kruden Theorien vereinen, als es in anderen Herkunft, Migration und Glaube zum festen Repertoire deutscher Genres der Fall ist. RapperInnen mit entsprechenden Hintergründen. So hat man sich Rap wird dadurch zum Multiplikator, über den Verschwörungsimmer wieder am Nahost-Konflikt abgearbeitet. Selten kam es theorien zu dem medialen Ereignis werden, durch das sie erst dabei zu einer wirklichen Auseinandersetzung oder zu umfassender gedeihen. RapperInnen kommen in Interviews in einen Plauderton, Kritik. Massiv, ein Berliner Rapper mit palästinensischen Wurzeln, reden über das Wetter in Hamburg und im nächsten Moment über Chemtrails. Für unbedarfte Fans ist das Dickicht aus Verschwöpostet ein Bild von den 9/11 Anschlägen mit dem Satz: »Am 11. September sind 4000 Israelis im World Trade Center nicht zur Arbeit rungstheorien, dessen Wurzel immer die gleiche ist, dann nur ein erscheinen…«. Haftbefehl, der anfänglich noch durch Aufrufe zum paar Klicks weit entfernt. Die »Verrohung« der Jugend durch Rap Israel-Boykott auffällig wurde, feierte nach den ersten großen Ergeschieht also vielleicht tatsächlich. Bei welchem Geheimtreffen folgen in einem Video mit jüdisch-orthodoxen Diamanthändlern, man sich das wohl ausgedacht hat? nur um wenig später wieder über die »Rothschild-Theorie« zu rappen. Prinz Pi textet schon zwanzig Jahre lang über böse USMächte, Templerorden und Banken. Ansonsten greifen RapperInnen tt Johannes Bär hat Germanistik studiert und ist Rap-Podcaster. iz3w • März / April 2019 q 371

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Film

Im Futur gedacht Der Film »Rafiki« mischt die kenianische Gesellschaft auf

Filmstill aus »Rafiki«

von Martina Backes Zwischen 2014 und 2018 verzeichnete die Nationale Kommisder stolzen Liebenden zeichnen einen Lebensentwurf kenianischer sion für die Rechte von Schwulen und Lesben in Kenia über tausend Frauen, der vom Willen zum Bruch mit der homophoben Gesellschaft Fälle von Gewalt gegen LGBTQI-Personen. Bis zu 95 Prozent aller zeugt. KenianerInnen lehnen homosexuelle Beziehungen strikt ab und Durch seinen kritischen Blick auf die Männergesellschaft Kenias Erweckungskirchen schüren Homophobie. Betroffenen drohen hohe und die sich selbst einschränkende Selbstkontrolle einiger Frauen, Gefängnisstrafen. die patriarchale Frauenbilder konservieren, hat der Film auch als feministisches Werk Sprengkraft. Das Leben, das sich Kena und Ziki So wundert es kaum, dass der kenianische Spielfilm Rafiki im April 2018 von der kenianischen Medienaufsichtsbehörde verboten erträumen und für das sie einstehen, soll »echt« sein, so ehrlich und wurde. »Rafiki« (Kiswahili: FreundIn) handelt von der lesbischen leidenschaftlich, dass es über alles hinauswächst, was sich ihre ZeitLiebe zwei junger Frauen. Zwischen Kena (gespielt von Samantha genossInnen vorstellen können. Die Essenz, von der der Film stilistisch lebt, ist die Nähe zwischen ihnen. Eine lesbische Liebe, die nur Mugatsia) und Ziki (Sheila Munyiva) wächst eine tiefgehende Beziehung und innige Liebe. Ihre Familien vertreten die konservative deswegen eine Chance hat, weil die Frauen sich von den Wünschen ihrer Eltern freimachen und ihrem inneren Begehren nach einem und patriarchale Haltung der kenianischen Gesellschaft, ihre Väter gemeinsamen Leben jenseits der genormten Lebensent­würfe der sind zudem politische Gegner. Kena, deren Mutter auf eine baldige Heirat ihrer Tochter hofft, und die deutlich jüngere Ziki sind Gesellschaft folgen. Dies ist im kenianischen Kontext einer urbanen gezwungen, sich zwischen ihrer Liebe, ihrer Freiheit und ihrer mittelständischen Siedlung so grenzüberschreitend wie außergepersönlichen Sicherheit zu entscheiden. wöhnlich, weil den beiden Frauen weithin fehlt, was in einem euro­ Filmemacherin Wanuri Kahiu erwirkte per Gerichtsbeschluss die päischen Kontext als stärkender Bezugspunkt einer nicht-hetero­ Aufhebung des Spielverbotes in Kenia – zumindest für eine Woche. normativen Beziehung kaum wegzudenken ist: Vorbilder. Eine Damit setzte sie ihr Recht durch und schlug der Medienbehörde LGBTQI-Community kommt in dem Film nicht vor – sie ist für die ein Schnippchen: Die Karrierechancen der meisten KenianerInnen auch im wahren Leben Regisseurin wären in Gefahr, wenn der Film nicht sichtbar, obwohl es sie durchaus gibt. Der Film erzählt zur Einreichung bei internationalen Preisen In der von Regisseurin Wanuri Kahiu gegründeten keine Leidensgeschichte keine öffentliche Aufführungen im ProduktiFirma Afro-Bubblegum wirken Filmschaffende, onsland nachweisen kann, so die UrteilsbeMusikerInnen, GrafikerInnen und Modedesigner­ gründung des Gerichts. Es entzog sich damit allerdings einer Innen mit. Gemeinsam kreierten sie die Welt von Kena und Ziki grundsätzlichen Auseinandersetzung mit den Rechten von LGBTQI. nach ihrem Geschmack und setzen damit politische Botschaften. Das Urteil des kenianischen Publikums fiel dafür umso deutlicher Die kenianische Medienbehörde verbot den Film mit dem Komaus: In der besagten Spielwoche Ende September 2018 waren die mentar, die Hauptfigur zeige am Ende zu wenig Reue. Wie billig. Kinosäle ausgebucht. Der Film soll in den jeweiligen Kinos den Afro-Bubblegum kann hingegen stolz darauf sein, die kenianische zweithöchsten Gewinn aller Zeiten eingefahren haben. Schon allein Medienbehörde international vorgeführt zu haben. Vermutlich wird deswegen bedeutet »Rafiki« einen Durchbruch, nachdem zuvor »Rafiki« nicht der letzte Meilenstein aus dem Hause Afro-Bubblegum der Film »The Stories of our Lives« eines schwul-lesbischen Künstsein, wenn es um Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst einer lerkollektivs in Kenia verboten worden war. wachsenden kreativen Szene geht. Enttäuscht wird, wer in dem Film eine afrikanische Leidensgeschichte, eine von Armut und Mangel gezeichnete Bildsprache oder tt Rafiki. Regie: Wanuri Kahiu. 82 min, Südafrika, Kenia , Frankreich 2018. Filmstart in deutschen Programmkinos war am 31.1.2019. ein lesbisches Drama erwartet. Genießen kann ihn, wer offenen Auges und Ohres die kreative Filmästhetik eines avantgardistischen Experimentes auf sich wirken lässt. Bilder in Magenta und Weiß, tt Martina Backes ist Mitarbeiterin im iz3w . afropolitaner Chic und die eigensinnigen ausdrucksstarken Looks tt

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Mauern, Zäune und Abgründe Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs würde eine Ära des friedlichen Miteinanders und der offenen Grenzen anbrechen, hofften wir vor dreißig Jahren. Leider geschah das Gegenteil: Während zwischen den 26 Schengen-Ländern EU-Europas die Grenzen fielen, wurden seither sechzig neue Grenzzäune und Mauern errichtet. Sie sind insgesamt 41.000 km lang und könnten den Erd­ball umspannen. Mehr als die Hälfte der ­neuen Grenzbefestigungen sollen vor Migration schützen. 26 JournalistInnen, die aus über 160 Ländern für deutschsprachige Medien berichten und Mitglieder des Netzwerks Weltreporter sind, schreiben in dem von Marc Engelhardt herausgegebenen Band Ausgeschlossen über alte und neue Grenzbefestigungen aus Stein, Beton, Stahl und Stacheldraht – auch über unsichtbare und in Vergessenheit geratene. Manche Beispiele mögen nicht so recht ins Schema passen, aber insgesamt bieten die Beiträge anregende Lektüre zu einem brennenden Thema. Es geht sowohl um technische Details, als auch um den politischen Kontext und die wirtschaftlichen Kosten der Grenzanlagen. Aber vor allem geht es um die Folgen für die Menschen, insbesondere für diejenigen, die ausgeschlossen werden. Wobei die Ausgeschlossenen und Auszuschließenden in der Regel die Machtlosen sind, vor denen die Mauerbauenden – die Mächtigen – sich offensichtlich fürchten. Viele der Beispiele zeigen, dass Mauern Ausdruck von Angst sind. Angst vor gewaltsamen Konflikten, aber überwiegend Angst vor den Opfern der wachsenden Ungleichheit, die zunehmend als Ungerechtigkeit empfunden wird. Das gilt sowohl für so genannte Gated Communities als auch für Grenzen zwischen Ländern und tt

Kontinenten. Zugleich wird deutlich, dass Mauern das Problem nicht lösen, sondern im Gegenteil Differenzen und Spannungen schüren und das Gewaltpotential und die Belagerungsmentalität verstärken. Deshalb müssen sie immer höher gebaut und immer stärker gesichert werden. Sie werden immer weiter entfernt errichtet und sie verschlingen immer mehr Geld. Dafür stehen sowohl die von US-Präsident Trump geplante Mauer an der Grenze zu Mexiko, als auch die ­»Mauer aus Sand« der EU in der Sahara an der nördlichen, 5.700 km langen Grenze Nigers. Nicht nur diese Beispiele zeigen, dass dadurch die Migration nicht verhindert, sondern nur umgeleitet und erschwert wird. Aber so hoch und befestigt die Zäune und Mauern auch sein mögen: Menschen, die nichts zu verlieren haben, werden immer einen Weg finden, sie zu überwinden, selbst wenn man auf sie schießt. Allerdings wird sie das immer mehr kosten, oft auch ihr Leben. 2017 sind 3.116 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken, mehr als in den Jahren davor. Die Zahl derer, die in der Sahara gestorben sind, ist nicht bekannt, dürfte aber kaum niedriger sein. Die Schlussfolgerung aus alledem erscheint logisch: Wenn die Ungleichheit verschwindet, sind die Mauern unnötig. Aber das ist leider utopisch. In Abwandlung von Bill Clintons Spruch möchte man rufen: It’s the economic system, stupid! Eva-Maria Bruchhaus Marc Engelhardt (Hg.): Ausgeschlossen. Eine Weltreise entlang Mauern, Zäunen und Abgründen. DVA, München 2018. 288 Seiten, 18 Euro. t

Militant feministisch Die Historisierung neuer sozialer Bewegungen ist schon seit geraumer Zeit ein Megatrend in der Geschichtswissenschaft und verwandten Disziplinen. Die 68er sind bis in fast alle Verästelungen hinein erforscht, ebenso deren gewalttätige Derivate wie die RAF. Was bislang weitgehend fehlte, ist eine Bestandsaufnahme der militanten feministischen Kämpfe in Westdeutschland seit den 1970er Jahren. Sie blieben trotz des ansonsten inflationären Geredes über ‚den Terrorismus‘ weitgehend unsichtbar. Dieses Defizit möchte die an der Universität Warwick forschende Sozialwissenschaftlerin ­Katharina Karcher mit ihrer Studie Sisters in Arms beheben. Sie dokumentiert eine beeindruckende Fülle militanter Aktionen, mit denen Feministinnen ihren Anliegen Nachdruck ver­ liehen. Sie richteten sich mittels Sprühaktionen, Besetzungen und Entglasungen gegen das Abtreibungsverbot, gegen Vergewaltiger und ihre Verharmloser, gegen die Sexindustt

trie und den Frauenhandel. Gewalt gegen Personen wurde dabei weitgehend vermieden. Viele der militanten feministischen Gruppen hatten einen explizit internationalistischen Fokus. Schon lange bevor der Begriff der Intersektionalität aufkam, agitierten sie sowohl gegen Sexismus als auch gegen Rassismus und Klassenherrschaft. Das bekannteste Beispiel für diese vielerlei Hinsicht grenzüberschreitende Herangehensweise ist die Kampagne gegen die ADLER-Textilkette. Im Mai 1986 wurde bekannt, unter welch ausbeuterischen Bedingungen der westdeutsche Konzern in Südkorea Kleidung herstellen ließ. Die Löhne der Näherinnen waren mies, die Arbeitsbedingungen miserabel und sexuelle Übergriffe an der Tagesordnung. Firmenchef Fürchtegott Adler prahlte offen: »Ohne die schwarzhaarigen, mandeläugigen Koreanerinnen wäre der steile Aufstieg des ADLER-Konzerns nicht möglich gewesen.« Die nun einsetzende Solidaritätskampagne von Frauengruppen blieb zunächst folgenlos. Erst als die militante Gruppe Rote Zora

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Rezensionen ... in der Nacht des 15. August in neun ADLER-Filialen Feuer legte und Sachschäden in Höhe von 30 bis 35 Millionen DM verursachte, kam Bewegung in die Sache. Die Medien berichteten umfassend, zwar mit negativem Tenor über »frustrierte Feministinnen«, aber im Ergebnis zielführend. Denn der um seinen Ruf fürchtende ADLERKonzern versprach, den Arbeiterinnen höhere Löhne zu zahlen und gewerkschaftliche Organisierung zu gestatten. Wie Karcher berichtet, waren derlei Aktionen innerhalb der Frauenbewegung dennoch nicht unumstritten. Feministinnen wie Christa Wichterich und Christa Stolle befürchteten, dass kurzfristige militante »Feuerwerke« den langfristigen Erfolg gewaltfreier Proteste gefährdeten. Hinzu kam die staatliche Repression: Obwohl keine Beweise vorlagen, wurden Ingrid Strobl und Ulla Penselin der Mithilfe bei den Aktionen gegen ADLER beschuldigt. Die Solidarität mit ihnen kostete die Bewegung viel Zeit und Kraft. Karcher bildet die Beweggründe für feministische Militanz und die Diskussionen darüber wissenschaftlich solide ab. Aufgrund der lesefreundlichen Knappheit ihrer Darstellung bleibt manches aber kursorisch, anderes fehlt. So zum Beispiel der Überfall auf die EMMA-Redaktion im Jahr 1994 durch eine Kölner Frauen Lesben

Gruppe. Konkreter Anlass war nicht allein der Rassismus, der der EMMA immer wieder auch aus dem feministischen Spektrum nachgesagt wurde, sondern vor allem ein wohlwollender Artikel über den hochumstrittenen Philosophen Peter Singer. Dessen Positionen zu Sterbehilfe und Abtreibung mutmaßlich ‚behinderter‘ Föten wurden von großen Teilen der Linken vehement abgelehnt. Über die mit dem Angriff auf EMMA verbundenen Kontroversen innerhalb der feministischen Szene hätte man gerne mehr erfahren, zumal Kritik an Alice Schwarzer seit der Kölner Silvesternacht erneut heiß diskutiert wird. Doch die Historisierung lebendiger sozialer Bewegungen ist eben niemals abgeschlossen. In ihrem kurzen Ausblick auf heutigen militanten Feminismus etwa durch »Pussy Riot« konstatiert Karcher das sinngemäß selber. Christian Stock t Katharina

Karcher: Sisters in Arms. Militanter Feminismus in Westdeutschland seit 1968. Aus dem Englischen von Gerhild Ahnert und Annemarie Künzl Snodgrass. Assoziation A, Berlin/ Hamburg 2018. 232 Seiten, 19,80 Euro.

Was machte der Vater in Äthiopien? Ilaria Profeti führt ein gewöhnliches Leben. Sie ärgert sich gerade, dass ihr Kleinwagen abgeschleppt wurde und jetzt am anderen Ende Roms steht, als ein ihr unbekannter junger Mann vor ihrer Tür steht. »Ich heiße Shimeta Ietmgeta Attilaprofeti«, sagt er ihr. Er trage den Nachnamen von Ilarias Vater und seinem Großvater Attila. Ilaria glaubt ihm erst, als sie seinen Pass sieht. Schließlich hat er eine dunkle Haut, im Gegensatz zu ihrer Familie. Ilaria nimmt den jungen Mann, der aus Äthiopien geflüchtet ist, bei sich auf. Er weiß nicht viel über den Großvater Attila Profeti, nur, dass er seinen Sohn in Äthiopien aus dem Gefängnis befreit habe. Doch seine Erzählungen lassen Ilaria ihre Familiengeschichte hinterfragen: Was machte ihr Vater in der ehemaligen italienischen Kolonie Äthiopien? Er war doch Partisan in Italien gewesen? Und warum wusste niemand, dass er in Äthiopien eine zweite Familie hatte? Ilaria beginnt auf dem Dachboden und in der Bibliothek zu stöbern, um Antworten zu bekommen. Francesca Melandris Roman Alle, außer mir erzählt die Familien­ geschichte der Profetis in Bruchstücken. Sie beim Lesen zusammen­ zusetzen, lässt selbst 608 Seiten kurzweilig erscheinen. Die Autorin wechselt zwischen verschiedenen Charakteren und Zeiten hin und her. Mal erzählt sie die Fluchtgeschichte des äthiopischen jungen Manns in den 2000er Jahren, mal die des Attila Profeti im ­Äthiopien der 1930er Jahre, als es noch eine Kolonie des faschistischen Italiens war. tt

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Der Roman liefert einen Querschnitt durch die Geschichte Italiens und Äthiopiens im 20. Jahrhundert, ohne mit trockenem Geschichtswissen überfrachtet zu sein. Melandri setzt sich unter anderem mit dem Faschismus in Italien auseinander. Während sich einige Familien­ mitglieder der Profetis passiv gegenüber den neuen Macht­habern verhalten, schließen sich andere begeistert Mussolinis Schwarzhemden an. Zur faschistischen Geschichte Italiens gehören auch Kolonialismus und Rassismus. Schonungslos erzählt Melandri, wie wenig das Leben der schwarzen Bevölkerung in den Kolonien wert war. Sie erzählt von Soldaten, die in Italien noch davon träumten, ÄthiopierInnen helfen zu können, indem sie ihnen ihre angeblich höherwertige italienische Kultur bringen. In Äthiopien angekommen, verübten sie grauenvolle Verbrechen. »Alle, außer mir« ist kein klassischer historischer Roman. Vielmehr setzt Francesca Melandri Historisches mit heutigen Ereignissen in einen Zusammenhang. Die Geschichte des jungen Mannes, der plötzlich vor Ilarias Haustür steht, macht die Verbindung zwischen Orten und Zeiten greifbar, die nur scheinbar so weit voneinander entfernt sind. Die Kolonialzeit verbindet die Familie in Italien mit der in Äthiopien. Auch der Rassismus zieht sich durch die Zeiten. Seine Hautfarbe wird für den jungen Mann in Italien zu einem Problem. Timo Weißer Francesca Melandri: Alle, außer mir. Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2018. 608 Seiten, 26 Euro. t

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Empowerment und Entertainment Die Comic-Chronik Black & Proud. Vom Blues zum Rap von Hervé Bourhis und Brüno erlaubt einen lebhaften und komprimierten Rückblick auf die Highlights Schwarzer US-Popkultur von 1945 bis 2015. Jedes Jahr wird mit einer ganzseitigen bunten Zeichnung der Lieblingsplatte der Autoren eröffnet und um kleine Schwarz-Weiß-Abbildungen zu den wichtigsten musikalischen Ereignissen und Persönlichkeiten ergänzt. Mit seinen unzähligen Empfehlungen ist der Comic ein idealer Begleiter beim Schallplattensammeln oder Playlisterweitern. Die Bilder liefern neben der Musik aber auch Einblicke in Politik, Sport und Film in den USA. Dabei dürfen natürlich Rosa Parks, Malcom X, Michael Jordan und Barack Obama genauso wenig fehlen wie Billie Holiday, Betty Davis, Samuel L. Jackson oder Nicki Minaj. Neben den Geburten und Todesfällen der Stars erzählt das Buch von der ersten Schwarzen Barbiepuppe »Christine« im Jahr 1968, von Muhammad Alis Kampf gegen George Foreman 1974 in Zaire oder vom gemeinsamen Auftritt von James Brown, Michael Jackson und Prince 1985. Dieses Konzert in Los Angeles ging besonders durch Prince’ zugedröhntes oberkörperfreies Erscheinen auf der Bühne in die Annalen ein. Schwarze Populärkultur, insbesondere Schwarze Populärmusik war und ist allerdings nie ausschließlich Entertainment und Broterwerb, sondern stets auch antikoloniales Wissensarchiv, Empowerment und Vehikel des kulturellen Austausches im »Schwarzen Atlantik«. Letzterer zeichnet sich laut dem Kulturwissenschaftler Paul Gilroy insbesondere durch sein transnationales Identitätsverständnis aus, das Schwarze Menschen an beiden Küsten einschließt und sich vom eurozentrischen homogenen Nationenkonzept radikal unterscheidet. Mit ihrer Fokussierung des Bandes auf die chronologische Geschichte Schwarzer Populärmusik in den USA vollziehen Bourhis und Brüno jedoch gerade diese nationale Grenzziehung, die zur Genese zahlreicher afro-diasporischer Musikgenres im Widerspruch steht. Um transnationale Einflüsse auf die Schwarze Musik in den tt

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USA deutlich zu machen, haben sie sich bei ihrer illustrierten Erzählung von »Blues bis Beyoncé« aber noch ein Hintertürchen offengelassen und einige Jahreszahlen um die Rubrik »Out Of America« ergänzt. Dort führen sie in einem kleinen Kästchen am Seitenende KünstlerInnen, Alben und Singles auf, die den musikalischen Zeitgeist jenseits der US-Veröffentlichungen prägten. Hier finden sich beispielsweise Miriam Makeba aus Südafrika, Jorge Ben aus Brasilien, Mulatu Astatke aus Äthiopien, The Upsetters aus Jamaika oder Amy Winehouse aus Großbritannien wieder. Insgesamt ist an der gelungenen musikalischen Zeitreise nur die unsensible deutsche Übersetzung des ersten Satzes zu bemängeln, einem dem Buch vorangestellten Zitat von Antonín Dvořák. Die Wertschätzung, die der tschechische Komponist bereits 1893 in den rassistischen USA gegenüber »Negro Melodies« zum Ausdruck brachte, wird ins Gegenteil verkehrt, wenn dafür 2018 das N-Wort im Deutschen gebraucht wird. Grotesk ist das auch deshalb, weil in direktem Anschluss James Browns »Say it loud! I’m black and I’m proud« folgt. Patrick Helber Hervé Bourhis und Brüno: Black and Proud. Vom Blues zum Rap. Avant-Verlag, Berlin 2018. 176 Seiten, 30 Euro.

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todesanzeige_2018.qxp_druck_hochkant 14.12.18 11:43 Seite 1

WIR TRAUERN 2018 UM AFGHANISTAN: 25. April Arghand Abdolmanan, Journalist | 30. April Tokhi Yar Mohammad, Kameramann | 30. April Hananzavi Ebadollah, Journalist | 30. April Kakeker Sabvon, Journalist | 30. April Darani Maharam, Journalist | 30. April Rasoli Ghazi, Kameramann | 30. April Rajabi Noroz Ali, Journalist | 30. April Fezi Shah Marai, Journalist | 30. April Talash Salim, Journalist | 30. April Salimi Ali, Journalist | 30. April Shah Ahmad, Journalist | 22. Juli Akhtar Mohammad, Medienassistent | 5. September Faramarz Samim, Journalist | 5. September Ahmadi Ramaz, Journalist | 18. Oktober Inghar Mohammad Salim, Journalist | 4. Dezember Kandehar, Medienassistent – BANGLADESCH: 11. Juni Shahjahan Bachchu, Bürgerjournalist – BRASILIEN: 16. Januar Ueliton Bayer Brizon, Journalist | 17. Januar Jefferson Pureza, Journalist | 21. Juni Jairo Sousa, Journalist | 16. August Marlon de Carvalho Araújo, Journalist – INDIEN: 25. März Vijay Singh, Journalist | 25. März Navin Nischal, Journalist | 26. März Sandeep Sharma, Journalist | 15. Juni Shujaat Bukhari, Journalist | 30. Oktober Chandan Tiwari, Journalistin | 30. Oktober Achyutananda Sahu, Journalist – INDONESIEN: 10. Juni Muhammad Yusuf, Journalist – JEMEN: 22. Januar Mohamed al Qadesi, Journalist | 27. Januar Oussama Salem, Blogger | 13. April Abdullah al Qadri, Journalist | 17. Mai Ali Abu al Haya, Blogger | 2. Juni Anwar ar-Rokn, Journalist | 1. August Issa al-Nuaimi, Journalist | 30. August Ahmed al Hamzi, Journalist | 20. September Omar Ezzi Mohammed, Medienassistent – KOLUMBIEN: 12. April Javier Ortega, Journalist | 12. April Paul Rivas, Fotograf | 12. April Efraín Segarra, Medienassistent – MEXIKO: 13. Januar Carlos Domínguez Rodríguez, Journalist | 5. Februar Pamela Montenegro, Bürgerjournalistin | 21. März Leobardo Vázquez Atzin, Journalist | 15. Mai Juan Carlos Huerta, Journalist | 29. Mai Héctor González, Journalist | 29. Juni José Guadalupe Chan Dzib, Journalist | 27. Juli Rubén Pat, Journalist | 5. August Rodolfo García González, Blogger | 21. September Mario Gómez, Journalist – NICARAGUA: 21. April Ángel Gahona, Journalist – PAKISTAN: 27. März Zeeshan Ashraf Butt, Journalist | 23. August Abid Hussain, Journalist | 16. Oktober Sohail Khan, Journalist – PALÄSTINENSISCHE GEBIETE: 7. April Yaser Murtaja, Journalist | 25. April Ahmed Abou Hussein, Journalist – PHILIPPINEN: 1. Mai Edmund Sestoso, Journalist | 7. Juni Dennis Denora, Journalist | 20. Juli Joey Llana, Journalist – SAUDI-ARABIEN: 2. Oktober Jamal Khashoggi, Journalist – USA: 28. Mai Michael McCormick, Journalist |28. Mai Aaron Smeltzer, Fotograf | 28. Juni Gerald Fischman, Journalist | 28. Juni Rob Hiaasen, Journalist | 28. Juni John McNamara, Journalist | 28. Juni Wendi Winters, Journalistin – SLOWAKEI: 25. Februar Ján Kuciak, Journalist – SOMALIA: 26. Juli Abdirisaq Qasim Iman, Journalist | 18. September Abdirizak Said Osman, Journalist – SYRIEN: 6. Februar Fouad Mohammed al Hussein, Blogger | 18. Februar Khaled Hamo, Tontechniker | 20. Februar Abdul Rahman al Yacine, Freier Journalist | 12. März Bashar al-Attar, Fotograf | 14. März Ahmed Hamdan, Blogger | 22. März Sohaib Aion, Freier Journalist | 30. Mai Moammar Bakkor, Blogger | 16. Juli Mostafa Salama, Journalist |10. August Ahmed Aziza, Blogger | 23. November Raed Fares, Blogger | 23. November Hamoud Jneed, Blogger – ZENTRALAFRIKANISCHE REPUBLIK: 30. Juli Orchan Dschemal, Journalist | 30. Juli Kirill Radschenko, Kameramann | 30. Juli Alexander Rastorgujew, Dokumentarfilmer

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