iz3w Magazin # 384

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Was bleibt? 30 Jahre Zerfall Jugoslawiens

iz3w t informationszentrum 3. welt

Außerdem t Eskalation in Mosambik t Japan nach Fukushima t Militärgewalt in Myanmar

Mai / Juni 2021 Ausgabe q 384 Einzelheft 6 6,– Abo 6 36,–


In dies er Aus gabe . . . . . . . . .

Das ehemalige Hotel Neretva mit dem Spitznamen »Tito’s Palace« in Mostar, Bosnien. Daneben ein Neubau mit Einkaufszentrum. | Foto: Larissa Schober

Schwerpunkt: Jugoslawien 21 Editorial 22

3 Editorial

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Myanmar I: Revolte in Myanmar 30

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Hongkong I: Widerstand im Wirtschaftswunderland

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Im Rausch der vollkommenen Freiheit

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Japan I: »Atomkraft und Mensch können nicht koexistieren«

»Von Hand zu Hand weitergereicht« Aufstieg und Fall der (Punk-)Fanzines in (Post-) Jugoslawien von Hilmar Neuroth

Zum Stand der Anti-Atom-Bewegung in Japan von Andreas Singler

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»War es das wert?« Kroatisches Gegenwartstheater über Kriegsverbrechen von Darija Davidović

Private Städte schaffen rechtsfreie Räume von Kirstin Büttner und Rita Trautmann

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Zwischen Solidarität und Zerstörung Fußball und Nationalismus im ehemaligen Jugoslawien von Alexander Mennicke

Hongkong II: »Das koloniale System blieb intakt« Interview mit dem Lausan Collective

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»Heute gibt es viele, die den Kampf auf sich nehmen« Interview mit der LGBTIQ-Organisation Sarajevski Otvoreni Centar

Identitätspolitik und Emanzipation im postkolonialen Hongkong von Wai Ching

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Föderiert Euch! Das Modell der kommunistischen Balkanföderation von Peter Korig

Myanmar II: »Im Rahmen der Verfassung« Der Militärputsch nimmt mörderische Ausmaße an von Winfried Rust

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Falsche Freunde Die deutsche Linke und Jugoslawien von Krsto Lazarević

Der Aufstand und die Rohingya von Dominik Müller

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»I’m waiting« Interview mit Elisa Satjukow über die NATO-Luftangriffe

Politik und Ökonomie 4

Der Preis war hoch Jugoslawiens Auflösung im Strudel des Nationalismus von Larissa Schober

Japan II: »Die Mehrzahl der Zurückgekehrten sind alte Menschen« Interview mit Masao Fukumoto über die Folgen der Fukushima-Katastrophe

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Mosambik: Eliten, Krieg, Gas Gewalteskalation in Mosambik von Andreas Bohne und Fredson Guilengue

Kultur und Debatte 41

Literatur: »Ada ist viele Frauen« Interview mit Sharon Dodua Otoo über ihren Debütroman

43 Rezensionen 46 Szene / Impressum

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Editorial

Die autoritäre Pionierin »Treibt die Türkei in die Diktatur?«, fragte der Romanautor Doğan Akhanlı bei einer Lesung 2018 in Freiburg. Die Frage steht im Untertitel seines Romans »Verhaftung in Granada« und es ist eine rhetorische Frage. 2018 war wieder ein Jahr zahlreicher politischer Inhaftierungen von Gegner*innen des türkischen AKP-Regimes unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan gewesen. 2021 macht die Türkei mit einer Verbotspolitik gegen die oppositionelle Partei Halkların Demokratik Partisi (HDP) Schlagzeilen. In der Türkei müssen oppositionelle Politiker*­ in­nen grundsätzlich damit rechnen, ins Gefängnis zu kommen. Die jüngste polizeiliche Festnahme des HDP-Parlamentsabgeordneten Ömer Faruk Gergerlioğlu ist nur ein Beispiel. Er wurde in das Sincan-Hochsicherheitsgefängnis in Ankara gebracht. Zwei Wochen zuvor wurde ihm gerichtlich sein Mandat als Abgeordneter entzogen, denn ein Tweet von ihm enthalte »terroristische Propaganda«. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International weiß kaum, wo sie anfangen soll: Die türkische Justiz missachtet internationale Standards für faire Gerichtsverfahren. Die Antiterrorgesetze richten sich gegen Oppositionsarbeit oder kritische Medienberichterstattung. Justizbehörden schikanieren Journalist*innen, Politiker*innen, Aktivist*innen, und Nutzer*innen sozialer Medien wegen ihrer tatsächlichen oder vorgeblichen oppositionellen Haltung. Die Türkei tritt aus der Istanbul-Konvention des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen aus. Es gibt glaubwürdige ­Berichte über Folter und andere Misshandlungen. Dabei gab es zu Beginn dieses Jahrhunderts in der Türkei eine lebendige Presselandschaft und Aufbruchsstimmung. Die autoritäre Wende von einem konservativ-liberaldemokratischen Laden in ein Unrechtregime läuft in der Türkei seit 2002. In diesem Jahr gewann die AKP unter Recep Tayyip Erdoğan die Parlamentswahlen.

D

as neue Jahrhundert wurde weltweit zu einem der Wiederkehr autoritärer Tendenzen. In zahlreichen Ländern werden liberale Grundrechte rechtspopulistisch ausgehöhlt, etwa in Polen, Ungarn, Slowenien, Indien, Russland, Brasilien, zeitweise in Italien oder in den USA. Auch rekonstituieren sich inzwischen Militärdiktaturen wie in Myanmar oder Thailand. Zwar scheinen die islamistische AKP und die anti-islamischen europäischen Rechtspopulist*innen nichts gemein zu haben. Aber ihre Zielrichtung gegen demokratische, sozialstaatliche oder fortschrittliche Errungenschaften deckt sich fast eins zu eins. Die Türkei ist eine Pionierin des

neuen Autoritarismus. Dieser kapert die Demokratien von innen und baut sie mit deren Handwerkszeug ab. Das Drehbuch dafür liefert die Türkei. Dort sieht man, wie so ein Umbau funktioniert. Die autoritäre Wende in der Türkei ab 2002 war dort zunächst gar keine. Die misstrauisch beäugte AKP benahm sich lieb und nett. Die Todesstrafe wurde abgeschafft, die Folter in türkischen Gefängnissen bekämpft, es wurden versöhnliche Signale in Richtung der armenischen und der kurdischen Minderheiten gesendet. Beim Kurs Richtung Europäische Union signalisierte die AKP-Regierung Beitritts­ ambitionen. So wurde erstmal Entwarnung gegeben. Doch es kam anders. Die Elemente des Führerkults, Na­tio­nalstolz und Islamismus waren da und arbeiteten fort. So ist es oft im Rechtspopulismus: Am Anfang markieren die Populist*innen Volkes Stimme und stellen sich als Opfer der ‚Eliten’ dar. Das rechtspopulistische Drehbuch läuft aber von der Türkei bis Ungarn oder Polen weiter: Opferkult, Spaltung der Gesellschaft, Ethnisierung, Natio­ nalismus; und schließlich Verfestigung und Verewigung der eigenen Macht.

Der demokratische Wettstreit um die Macht beinhal-

tet, dass man die Macht auch wieder abgibt. Das leuchtet auto­ritären Charakteren nicht ein: Man gewinnt nicht die Macht, um sie wieder abzugeben! Erfolgreiche Staatsmänner in diesem Sinne sind Victor Orban, Wladimir Putin, Jarosław Kaczyński oder eben Erdoğan. Erdoğans AKP ist seit 2018 das Wahlbündnis »Volks­ allianz« mit der rechtsextremen Milliyetçi Hareket Partisi (MHP) eingegangen. Dagegen kämpft die vom Verbot bedrohte HDP unter hohem persönlichem Risiko ihrer Aktiven. Die hasserfüllte imaginierte »Stimme des Volkes« beschimpft diese als »Terroristen«. Eine schwierige Aufgabe ist es, zu lernen, wie man einer­ seits dem Autoritarismus Grenzen setzt; und sich an­dererseits dessen Logik von Freund und Feind, Gut und Böse, Schwarz und Weiß widersetzt. Doğan Akhanlı schreibt in seinem Roman: »Solange die Begriffe Vaterland, Nation, Verräter und Märtyrer nicht aus dem alltäglichen Sprachgebrauch getilgt sind und solange die Türkei sich nicht der eigenen Vergangenheit stellt, werden zwar die Opfergruppen wechseln, aber das Morden wird kein Ende nehmen.« Zwischen Diktatur und Freiheit wird also ständig im Alltag gestritten. Das ist genauso wichtig wie der folgende Blick nach Myanmar, Hongkong, Honduras, Japan oder Mosambik. die redaktion

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Im Rausch der vollkommenen Freiheit

Foto: freeprivatecities.com

Private Städte schaffen rechtsfreie Räume

Rechtslibertäre und neoliberale Netzwerke treiben weltweit den Aufbau von Privatstädten voran. Doch was genau ist eine private Stadt? Und wie lassen sich außerstaatliche Reißbrett-­ Enklaven realisieren? Ein Beispiel aus Honduras. Freeprivatecities wirbt mit dem Titel »Befreit die Unternehmer«

von Kirstin Büttner und Rita Trautmann Próspera, Blueseeds, Ocean Builders – unter diesen Namen werden im Internet Pläne für Privatstädte mit futuristisch anmutenden Gebäuden präsentiert, gepaart mit der Aussicht auf komplette unternehmerische Freiheit. Die Konzepte der Anbieter von Free Private City-Projekten haben eine Gemeinsamkeit: Es sollen Räume – frei von jeglicher staatlicher Einflussnahme – mit eigener Gerichtsbarkeit entstehen, die zueinander in Wettbewerb treten. Hinter den Entwicklerkonsortien solcher Privatstädte finden sich wachsende globale Netzwerke von Unternehmer*innen und Institutionen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie »unbewohntes Gebiet« benötigen und Regierungen, die willig sind, ihre nationale Souveränität über diese Gebiete aufzugeben. Bisher existieren diese Privatstädte nur virtuell. Noch scheitern sie weltweit an rechtlichen und verwaltungstechnischen Hürden. Die bislang konkreteste Form einer Free Private City befindet sich mit Próspera in Honduras. Hier ist der Bau der ersten Privatstadt in vollem Gange. tt

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Unternehmerische Freiheit …

Steuerparadiese

Freie Privatstädte sind die Spitze dieser neoliberalen Konzepte, denn sie sollen komplett losgelöst von Regierungen existieren. Regierungsformen werden dann vielmehr der Marktlogik unterworfen – eine freie Privatstadt ist ein Produkt auf dem »Markt des Zusammenlebens«. Erfinder dieses Konzeptes ist der in ­Monaco lebende deutsche Unternehmer Titus Gebel, der als Rechtslibertärer eingeordnet werden kann. Laut Gebel stießen herkömmliche Systeme bei der Verwirklichung unternehmerischer Freiheiten bisher an ihre Grenzen. Gebels Lösungsansatz: Freie Privatstädte, in denen Unternehmen »Staatsdienstleistungen« anbieten. Jeder Mensch sucht sich seine passende Stadt mit der passenden Verfassung und Regierung. Bürger*innen werden zu Kund*innen. Zielgruppe ist der Teil der Weltbevölkerung, der tt

Die seit den 1990er-Jahren rund um den Globus geschaffenen Sonderwirtschaftszonen gelten inzwischen als Vorläuferidee zur Free Private City. Sie haben zwar unterschiedliche Profile, doch die meisten sind in Ländern mit niedrigem Lohnniveau angesiedelt. Die Anreize für Unternehmen sind groß. Meistens locken Regierungen mit Steuervorteilen und minimalen Standards zu Arbeitsrechten und Umweltschutz. Außer zur Schaffung von prekären Arbeitsplätzen tragen die Sonderwirtschaftszonen in der Regel nur in geringem Umfang zum Wirtschaftswachstum der jeweiligen Länder bei. Ein trauriges Beispiel hierfür ist der Maquila-Sektor in Zentralamerika, der als Billiglohnsektor im Textil- und Elektrobereich für seine menschenrechtsverletzenden Arbeitsbedingungen bekannt ist. tt

Das Konzept der Sonderwirtschaftszonen wurde durch den Harvard-Ökonomen Paul Romer weiterentwickelt. Seine Modellstädte oder auch Charter Cities kommen dem Ziel der Loslösung von Volkswirtschaften schon einen Schritt näher: Während die Sonderwirtschaftszonen noch in einen nationalen Rahmen eingebettet sind, sollen Charter Cities extraterritorial angesiedelt werden: Ein Land mit hoher Arbeitslosigkeit und geringem Wirtschaftswachstum gibt ein Gebiet des eigenen Staatsterritoriums an ein Konsortium von Unternehmen oder an internationale Organisationen ab. Diese erbauen dann eine Stadt mit eigener Gerichtsbarkeit und eigenen Sicherheitskräften. Die Modellstadt schafft Arbeitsplätze für die Bevölkerung des »Gastgeberlandes« und macht diesem vor, wie gute Regierungsführung funktioniert. All das soll schließlich auf das »Gastgeberland« ausstrahlen. Romer hatte dabei Länder im Blick, die mit Armut, Korruption und starken Demokratiedefiziten zu kämpfen haben.

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Honduras sich in Privatstädte einkaufen kann – sprich, das nötige finanzielsammenschluss von Beraterfirmen (SDZ Alliance), die bis in hohe le Polster dafür hat. UN-Kreise vernetzt sind, fördert diese Idee unter dem Begriff ‚NachWie das in der Praxis aussehen kann, zeigen Projekte der Ocean haltige Entwicklungszonen‘ (SDZ) und betont das Potential, Flucht Builders oder Seasteaders. Sie stellen sich selbst als freiheitsliebende und Migration zu stoppen. Flüchtlingslager sollen – angelehnt an Erfinder*innen dar (mehrheitlich sind es Männer) und entwickeln die Ideen Paul Romers – in ‚Migrantenstädte’ auf subnationaler Projekte wie Blueseed, ein gigantisches Schiff, das vor der Küste Ebene umgewandelt werden. ‚Garantiemächte’ sollen diese Zonen Kaliforniens liegen soll und auf dem junge ITler*innen aus der gan»von unten« organisieren und administrieren und klein- und mitzen Welt arbeiten und wohnen, ohne ein Visum für die USA vortelständische Unternehmen einbeziehen. Eine eigene Gerichtsbarweisen zu müssen. Für derartige Räume auf dem Meer hat das in keit und starke Institutionen hätten das Potenzial, »Inseln guter Regierungsführung« zu bilden. So drückt es zumindest der AfrikaKalifornien ansässige Seasteading Institute den Begriff ‘Blue Space’ beauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, 2019 in einem geprägt und meint damit die für Privatstädte erforderlichen Gebiete ohne kulturelle und politische Bindungen. UrZeitschriftenbeitrag aus. sprünglich bezieht sich das Konzept auf Räume auf Eine der Beraterfirmen der SDZ Auf der Insel Roatán soll die dem offenen Ozean abseits von staatlichen HoheitsAlliance ist Politas. Ihr GeschäftsModellstadt Próspera entstehen gebieten. Mittlerweile ist die Suche von den Ozeanen führer Michael Castle Miller hat auf Nationalstaaten übergegangen, die einen Teil sich eingehend mit dem Versuch ihres Gebiets und ihrer Hoheitsansprüche abgeben, der Implementierung von Mowie 2021 aus Nevada bekannt wurde: Der Gouverneur dieses USdellstädten in Honduras beschäftigt. Laut seiner Webseite berät er Bundesstaates nennt diese Gebiete »Innovationszonen«. Unternehseit 2017 die neu entstehende Stadt Próspera auf der honduranimen sollen dort nach einer gewissen Übergangszeit die Funktionen schen Insel Roatán bei der Ausgestaltung ihres juristischen Rahmens. von Regierung, Schulbehörde, Polizei und Justiz übernehmen. Malerische Strände, bewaldete Hügellandschaft und ein Paradies Ein Name, der in Verbindung mit diesen Projekten immer wieder zum Tauchen, all das bietet die Karibikinsel Roatán vor der Küste auftaucht ist Patri Friedman – ob als Investor, Gründer oder Gevon Honduras. In den Gemeinden zwischen Tauchschulen und schäftspartner. Der Enkel von Milton Friedman, dem Großvater der Tourismusressorts leben afroindigene Garífuna und englisch-kreolIdeologie der freien Marktwirtschaft, ist ein sehr gut vernetzter sprachige Isleños. Nun soll auf der Insel zudem die Modellstadt Verfechter der Privatstadt-Idee, ebenso wie der Tech-Kapitalist und Próspera entstehen, direkt neben der Gemeinde Crawfish Rock. Großinvestor Peter Thiel. Beide unterstützen das Seasteading Insti­ Was macht Honduras so attraktiv für dieses Experiment? Zurück tute, zu dessen Team auch Titus Gebel gehört. Die Unternehmen, ins Jahr 2009: Das Militär putscht den linksliberalen Präsidenten Institutionen und Einzelpersonen des breit aufgestellten finanz­ Manual Zelaya aus dem Amt und ebnet den Weg für den Machtkräftigen Netzwerks kommen hauptsächlich aus den Bereichen antritt der konservativen Nationalen Partei (siehe iz3w 318). InnerInvestment Banking, Biotechnologie, Blockchaintechnologie und halb kürzester Zeit werden investorenfreundliche Gesetze erlassen Cryptowährungen. und ein Drittel des honduranischen Territoriums per Konzessionen an Unternehmen für die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen vergeben, mit Laufzeiten von 30 bis 50 Jahren. … und gute Regierungsführung Bereits 2010 interessiert sich die Regierung in Honduras unter tt Weltweit werden Projekte dieser Art als Wohlstandsinseln und dem Präsidenten Porfirio Lobo Sosa für Modellstädte. Ein Jahr Wirtschaftsparadiese von Unternehmerkreisen gehyped. Ein Zuspäter ändert der Kongress die Verfassung und ermöglicht es

Privatstadt vor Honduras | Foto: AndrasGyorfi CC-BY-3.0

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Honduras

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Investor*innen so, Landbesitz zu erwerben und für 40 Jahre zu Gremien ist demokratisch legitimiert. Das Komitee wurde 2014 verwalten. Doch in der Bevölkerung regt sich inzwischen Widerstand, direkt vom honduranischen Präsidenten Juan Orlando Hernández etliche Verfassungsklagen gehen ein. Der Oberste Gerichtshof gibt benannt. Es besteht aus zwölf bis 21 Mitgliedern. Die Zusammenden Klagen im Jahr 2012 statt: Die Souveränität eines Landesteiles setzung ist nicht transparent. Laut Medienberichten gehörte B ­ arbara abzugeben, verstoße gegen die Verfassung. Daraufhin wurden vier Kolm (FPÖ), Vizepräsidentin des Generalrats der Österreichischen der fünf Richter*innen, die gegen die Modellstädte gestimmt haben, Nationalbank, dem CAMP an. Aufgrund der Intransparenz ist die entlassen. Das kommt einem institutionellen Putsch gleich. Bereits aktuelle Zusammensetzung nicht bekannt. im Januar 2013 wird eine erneute VerfassungsänDie eigene Gerichtsbarkeit richtet sich derung durchgesetzt, die das im September 2013 nach der ZEDE-Charta und einem »AgJeder Mensch sucht sich erlassene Gesetz legitimiert und Modellstädte nun reement of Coexistence«. Die Charta unter dem Namen »Sonderzonen für Beschäftigung der ZEDE erlaubt, dass die Stadt wie seine passende Stadt mit der und Entwicklung« erlaubt (spanische Abk. ZEDES). ein Unternehmen geführt wird. Dienstpassenden Verfassung Die Suche nach einem geeigneten Gebiet, mögleistungen wie Bildung, Gesundheit, lichst in der Nähe einer Hafenstadt, beginnt. Keines Energie und Wasser sind über Verträge der Gebiete ist unbesiedelt, wenngleich sie von der Verwaltung als mit privaten Unternehmen geregelt. Wer sich für das Leben in der unbewohnt angepriesen werden. Eine koreanische EntwicklungsZEDE entscheidet, unterschreibt diesen »Vertrag des Zusammenagentur erstellt Machbarkeitsstudien, allerdings dringen wenige lebens«. Oberste Priorität haben individuelle Interessen und der Informationen an die Öffentlichkeit, denn die meisten Studien Schutz von Privateigentum, die über den Gemeinschaftsinteressen fallen inzwischen unter das ebenfalls neu erlassene Gesetz zur und Gemeingütern stehen. Arbeitsrechte, Gesundheitsrechte oder Geheimhaltung von Dokumenten, die sich auf »nationale Verteidas Demonstrationsrecht existieren laut Vertrag nicht. Laut der digung und Sicherheit« beziehen. Darunter fällt auch die Vertragsfestgelegten Strukturen soll Próspera technokratisch und weitgehend unterzeichnung 2017 zu Próspera. ohne Möglichkeiten der Mitbestimmung regiert werden. Im Frühjahr 2020 wurde die Eröffnung der ZEDE Próspera auf »Auch deutsche Unternehmen sind an solchen Projekten interessiert, da sie einen Absatzmarkt sehen und ein Bekanntmachen der honduranischen Karibikinsel Roatán durch das Unternehmen bekannt gegeben. Während die noch virtuelle Stadt schon seit ihrer Technologie,« fasst die Bundestagsabgeordnete der Linken, 2020 ihre zukünftigen Bewohner*innen sucht, wurde die lokale Eva Maria Schreiber, zusammen. In dieser Art von Projekten sieht Bevölkerung weder informiert noch konsultiert, was von Rechts sie jedoch eine Gefahr für die Demokratie: »Politische Strukturen wegen hätte geschehen müssen. Die ILO Konvention 169 schreibt auf kommunaler und nationaler Ebene werden ausgehöhlt, das ist die eigentliche Gefahr dieser Projekte.« Die TUM International die vorherige Konsultation der Gemeinden vor. »Wir sind von der GmbH, ein Tochterunternehmen der TU München scheint all das ZEDE überrascht worden«, sagt Venessa Cardenas, die Vizepräsidentin des Gemeinderates von Crawfish Rock. »Wir erfuhren von lange nicht gestört zu haben. Sie waren seit 2017 an der Entwickder ZEDE weder von der Regierung noch von Seiten des Unternehlung von Próspera beteiligt und haben unter anderem eine Invesmens, sondern von einer Repräsentantin einer anderen Gemeinde«, torenkonferenz in München ausgerichtet. TUM International hat so Cardenas. sich kürzlich aus dem Projekt zurückgezogen. Als Grund Nun fürchten die Bewohner­ für den Rückzug gibt das Unternehmen Hinweise auf »Deutsche Unternehmen *in­nen um ihr Land und haben Menschenrechtsverletzungen an. sich organisiert. »Das Problem ist, Inzwischen ist TUM International aber schon am nächsten sind an solchen Projekten dass während der Pandemie die nach Privatstadt klingenden Projekt beteiligt – das Stadtinteressiert« ZEDE genehmigt und ein Ausentwicklungsprojekt Petronia City in der Hafenstadt Tako­ gangsverbot erlassen wurde«, sagt radi in Ghana. Titus Gebel und die TUM International sind Venessa Cardenas. »Wir konnten deshalb nicht die Gegendemonsin Deutschland und Österreich mit rechts-libertären und neolibetrationen veranstalten, die notwendig gewesen wären. Deshalb ralen Strukturen vernetzt. Das erkennbar gemeinsame Ziel: die haben wir mit einem Autokorso protestiert.« Schaffung von Räumen, frei von staatlicher und demokratischer Die Sorgen der Bewohner*innen sind berechtigt. Denn die Kontrolle, zugunsten der absoluten unternehmerischen Freiheit. rechtlichen Rahmenbedingungen zu Próspera sind vage. Zudem Leidtragende dieser Freiheit sind aktuell die Bewohner*innen von hält sich Honduras kaum an völkerrechtlich verbindliche Abkommen Crawfish Rock, die der Gefahr der Vertreibung ausgesetzt sind. Aber zum Schutz der Rechte indigener Gemeinschaften. So verwundert die Anhänger*innen der Privatstadt-Idee suchen weltweit nach es nicht, dass der amtierenden honduranischen Regierung alle Orten für ihre Projekte. Mittel recht sind, um Investor*innen ins Land zu holen. Für ein Links solches Projekt sind diese Voraussetzungen ideal. Mit dem ZEDE-Gesetz überträgt der Staat seine Hoheitsrechte –– Dokumentation über ZEDEs vom Ökumenischen Büro für Frieden und Gerechtigkeit: https://www.oeku-buero.de/charter-cities-zede.html an die ZEDE-Institutionen. An der Spitze der ZEDE steht ein so –– Beitrag bei North American Congress on Latin America (NACLA): https:// genannter Technischer Sekretär, dem das in Delaware registrierte nacla.org/news/2021/02/12/private-government-honduras-zede-prospera Unternehmen Honduras Próspera LLC und der »Council of Trustees« an die Seite gestellt sind. In diesem Council gibt es neun stimmberechtigte Mitglieder, die mehrheitlich den investierenden und tt Rita Trautmann ist Ethnologin und arbeitet in der politischen beratenden Firmen angehören und von denen vier von Honduras Próspera LLC benannt werden. Der »Council of Trustees« kann Bildung. Sie ist Teil des solidarischen Netzwerkes HondurasDelegaeigene Gesetze verabschieden. Über der ZEDE steht das Komitee tion. Kirstin Büttner arbeitet journalistisch für die Honduras­ für die Übernahme der besten Praktiken (CAMP). Keines dieser Delegation und das Menschenrechtskollektiv CADEHO. iz3w • Mai / Juni 2021 q 384


Japan

Hortensienrevolution und Anti-Atom-Bewegung in Tokyo | Foto: Andreas Singler

»Atomkraft und Mensch können nicht koexistieren« Zum Stand der Anti-Atom-Bewegung in Japan Der Reaktorunfall von Fukushima vor zehn Jahren war Ausgangspunkt neuer Massenproteste in Japan. Inzwischen haben sich die Proteste eher in die Gerichte verlagert: zahlreiche Klagen wurden eingereicht, viele Urteile stehen noch aus.

von Andreas Singler Es ist Frühjahr 2012. Etwas mehr als ein Jahr liegt nun die Dreifachkatastrophe mit Erdbeben, Tsunami und dem Beginn der Atomkatastrophe von Fukushima zurück. Das Regierungsviertel Nagata-chô in Japans Hauptstadt Tokyo ist gerade im Begriff, sich zu einer Stätte der Massenproteste zu verwandeln, wie es sie seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat. Noch sind es nur einige Hundert, die mit Rufen wie »Genpatsu iranai« (»Wir brauchen keine Atomkraft«) oder »Saikadô hantai!« jeden Freitag vor dem Amtssitz des Premierministers »gegen die Wiederinbetriebnahme« von Atomkraftwerken demonstrieren, wie die sie Regierung plant. Bald kommen Tausende, und schließlich versammeln sich zur Zeit der Hortensienblüte im Juni 2012 bis zu 200.000 Atomkraftgegner*­ in­nen zu Protesten. Sie gehen als »Hortensien-Revolution« (Ajisai Kakumei) in die jüngere Geschichtsschreibung Japans ein. Seit die Regierung um Premierminister Yoshihiko Noda nach einer Phase der Abschaltung und Überprüfung aller 54 in Japan stehenden Meiler im März 2011 beschlossen hat, zur Deckung des Strombedarfs im Sommer 2012 die Meiler 3 und 4 des Atomkraftwerk Ôi am Japanischen Meer wieder ans Netz zu bringen, haben sich etwa ein Dutzend Gruppen im Großraum Tokyo zu einer »Metropol-Koalition gegen Atomkraft« zusammengeschlossen. tt

Hätte die zu jener Zeit noch regierende Demokratische Partei ihren eigenen Premierminister Naoto Kan im August 2011 nicht unter anderem deshalb aus dem Amt gedrängt, weil ihr dessen Wandlung zum Atomkraftgegner zu weit ging, wäre es dazu in dieser Form vielleicht nie gekommen. Proteste aber gab es bereits vorher, in der Hauptstadt und überall in Japan. Den vom Noda-Kabinett für Ende der 2030er Jahre anvisierten Atomausstieg hielten die meisten für unglaub­ würdig, da neue Meiler oder die Wiederaufbereitungsanlage in Rokkasho-mura weitergebaut werden sollten. Ohnehin wurde dieser, zusammen mit der Ankündigung der Wiederinbetriebnahme von Atommeilern verkündete Ausstiegsbeschluss der Demokratischen Partei von der Nachfolge-Regierung wieder rückgängig gemacht. In seiner Regierungserklärung vom 28. Februar 2013 versprach Premierminister Shinzô Abe von der zumeist in Japan regierenden Liberaldemokratischen Partei zu Beginn seiner zweiten Amtsperiode das Ende des alten »Sicherheits-Mythos« und den Beginn einer »neuen Sicherheitskultur«.

Aktive Protestkultur »Atomkraft ist sicher«: Ein Déjà-vu für viele Aktivist*innen im ganzen Land. Auch jenen überwiegend älteren Atomkraftgegner*in­ nen, die bereits im September 2011 vor dem für Atomkraft zuständigen Wirtschaftsministerium ihre Zelte auf dem Bürgersteig aufgeschlagen und dann einfach nicht mehr abgebaut haben, klang diese Rhetorik vertraut. Manche protestierten schon vor über einem halben Jahrhundert – 1954 nach dem »Bikini-Zwischenfall« gegen die Wasserstoffbombe, dann gegen die Sicherheitsverträge mit den tt

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USA und gegen deren nukleare Implikationen. Bis zur Räumung des Platzes 2016 diente das »Atomausstiegs-Zelt« als Anlaufpunkt für Atomkraftgegner*innen im ganzen Land. Betroffene Mütter aus Fukushima klagten hier ihr Leid, buddhistische Mönche führten Hungerstreiks durch und regelmäßig wurden von hier aus über einen Internet-Sender Informationen weiterverbreitet. Noch heute beziehen dort an jedem Tag einige, überwiegend ältere, Frauen und Männer auf mitgebrachten Klappstühlen unverdrossen ihre Posten. Die Aktionen in der Hauptstadt strahlten aus ins ganze Land. Wöchentliche Freitagsproteste haben in vielen Städten Schule gemacht, vor Bahnhöfen oder anderen strategisch günstigen Orten finden sie noch heute regelmäßig statt. Die Zahl der Veranstaltungen geht weiter jedes Jahr in die Tausende, auch wenn die großen Massen wie im Sommer 2012 heute nicht mehr mobilisiert werden. Dass aber der Widerstand gegen die Atomkraft, wie bisweilen in westlichen Medien berichtet wird, längst wieder gebrochen worden sei, ist nicht wahr. Vortrags- und Informationsveranstaltungen gibt es immerzu überall im Land, Gedenkveranstaltungen, Demonstrationen oder Kundgebungen im Zusammenhang mit den Dutzenden anhängigen Gerichtsverfahren. Sie werden von Anwohner*innen und idealistischen Rechtsanwält*innen zumeist in Sammelklagen geführt, gegen den Bau oder den Betrieb von Nuklearanlagen überall im Land, für die Festschreibung von Verantwortlichkeiten, u.a. auch des Staates, an dem Atomunfall und für eine angemessene Entschädigung der Opfer.

Protest auf der Straße und im Netz Foto: No Nukes Takasaki Blog

Einkaufsstraße in Tokyo. In den Orten Tsuruga, Mihama, Ôi und Takahama reihen sich auf einigen Dutzend Kilometern 15 Meiler tt Sô Horie war kaum fünf Jahre alt, als am 6. August 1945 über aneinander. Auf der Tsuruga-Halbinsel kommt mit dem 2016 aufge­ gebenen Projekt des Schnellen Brüters Monju – nach dem Bodhiseiner Heimatstadt Hiroshima die erste in einem Krieg gezündete sattva der Weisheit, Manjushri benannt – eine weitere nukleare Atombombe abgeworfen wurde. Er gehört zu den Hibakusha, den Bedrohung hinzu. Aber irgendwo in der Mitte dieser AtomkraftAtombomben-Überlebenden, von denen heute viele in Hiroshima Straße, in Obama, dort wo in dem buddhistischen Tempel M ­ yôtsû-ji und Nagasaki Zeugnis ablegen über den Albtraum, der ihnen einst widerfahren ist. »Atombombe und Atomkraft sind zwei Seiten einer der Mönch Tetsuen Nakajima lebt, ist das anders. Auch hier gab es Medaille«, sagt Horie, Co-Vorsitzender einer Kläger*innen-Gruppe, seit Ende der 1960er-Jahre Bestrebungen, zuerst ein Atomkraftwerk die gegen den Betrieb des über einhundert Kilometer entfernten und später ein Zwischenlager für radioaktiven Abfall einzurichten. Doch sie scheiterten immer wieder am Widerstand, den die örtlichen AKW Ikata ein ums andere Mal vor Gericht zieht. Zwei Mal gelang Atomkraftgegner*innen entfalteten. Zu den Gegner*innen ­gehörte es Kläger*innen-Gruppen vor dem Obergericht Hiroshima durch einstweilige Verfügungen einen Betriebsstopp zu erreichen – zuletzt von Anfang an auch Nakajima, dessen Tempel als nationales Kultur­ wurde Mitte März 2021 eine solche Verfügung allerdings wieder erbe geführt wird. aufgehoben. Als junger Mönch pflegte Tetsuen Nakajima Strahlenopfer aus »Japan ist ein gefährlicher Ort«, sagt Horie. »Es gibt über 50 Hiroshima. Als plötzlich auch in Japan von der friedlichen Nutzung Meiler hier und kein Endlager für den Atommüll.« Ganz zu schweider Atomkraft die Rede war und in schwach entwickelten Regionen gen von der Gefahr, die von Naturkatastrophen oder Terrorangrifüberall Standorte für Atommeiler gesucht wurden, wurde auch fen ausgehe. »Die Vergangenheit können wir nicht ändern, aber Obama als Standort interessant. Die Gegner*innen brachten jedoch das Projekt, dem der Bürgermeister schon zugestimmt hatte, mit die Zukunft können wir verändern«, steht auf dem Banner, das er und seine Mitstreiter*innen bei Protesten hocheiner Unterschriftenaktion zum Scheitern. Mehr halten. Und: »Das vom Atombombenabwurf als die Hälfte der Bürger*innen hatte unter54 Meiler stehen auf dem schrieben. Dort, wo die Gegenbewegung sich betroffene Hiroshima erlaubt keine Strahlenexposition durch Atomkraft«. Auf einem annicht durchsetzen konnte, also auch in den japanischen Archipel deren Banner steht: »Atomkraft und Mensch Nachbargemeinden von Obama, sieht Nakajima ein »System der Diskriminierung und Opkönnen nicht koexistieren.« ferung« am Werke. Große Städte würden auf Kosten schwach 54 Meiler an insgesamt 17 Standorten stehen auf dem japanischen Archipel, einem der sensibelsten Erdbeben- und Vulkangeentwickelter Regionen ihren Durst nach Elektrizität stillen. »Wenn biete der industrialisierten Welt. Die Zahl der Gemeinden, in denen ich als Buddhist tief nachdenke, dann komme ich zu dem Ergebnis, nuklearen Avancen eine Absage erteilt worden ist, beträgt das dass die Atomkraft etwas ist, das starke wie schwache Menschen Doppelte. Ein Beispiel dafür, dass Widerstand wirkt, ist die Gemeinopfert. Daher kann ich als Buddhist Atomkraft umso weniger bede Obama in der Präfektur Fukui. Die Region wird häufig als die fürworten.« Überdies, so Nakajima, pflege Atomkraft die Regeln »Atomkraft-Ginza« bezeichnet, spöttisch benannt nach der Luxusder Demokratie ins Gegenteil zu verkehren.

Ein langer Atem

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Japan »Ich bin viel herumgekommen«, sagt Hisao Hashimoto, »aber einen Ort, der durch Atomkraft leuchten würde, habe ich nicht gefunden.« Der Segen des Atomkraft-Geldes sei meist rasch verflogen. Hashimoto ist auf der kleinen Insel Iwaishima in der Japanischen Inlandsee geboren. Als jungen Mann zog es ihn, wie viele seiner Generation, auf der Suche nach Arbeit auf das Festland. Für kurze Zeit war er auch im AKW Tsuruga beschäftigt, wo sich 1981 ein schwerer Unfall ereignete. Weil ihm klar geworden sei, dass Atomkraft zu viele Gefahren berge, habe er die Arbeit dort bald wieder beendet. Hashimoto ging mit Mitte 30 zurück auf die Insel, die heute noch rund 400 überwiegend ältere Einwohner*innen zählt. Wie sein Vater wurde er Fischer. Und auch Hashimoto reihte sich ein in die Gegenbewegung, die auf Iwaishima seit 1982 rund 1.400 Mal ihre Montags-Demonstrationen durchgeführt hat.

Daiichi. Dass die offiziellen Zahlen nicht viel höher sind, liegt daran, dass sich viele nach der Aufhebung von Evakuierungsanordnungen auf Basis einer ursprünglich nur für Katastrophenfälle geltenden 20-Millisievert-Regel als erlaubtem Grenzwert der jährlich zu tolerierenden Strahlenexposition aus finanziellen Gründen zur Rückkehr gezwungen sehen1. Wer sich und seine Kinder dieser Umwelt nicht aussetzen will, ist nun auf sich alleine gestellt. Die Verbitterung der Betroffenen ist groß. Mehrere Zehntausend Menschen sind daher in laufenden Gerichtsverfahren aktiv. Sie verlangen neben höheren Entschädigungen, dass auch die Verantwortung des Staates für den Atomunfall festgeschrieben wird. Zumindest das hat das Obergericht Sendai im Oktober 2020 mit dem ersten landesweiten Urteil in zweiter Instanz allerdings auch so entschieden. In einem anderen Verfahren kam das Obergericht in Tokyo Anfang des Jahres ebenfalls in zweiter Instanz zum gegen­ teiligen Schluss. »Wir wollen die Kosten für Atomkraft erhöhen. Klagen auf lange Sicht Wir streben eine Gesellschaft an, in der die Atomkraft keinen Platz tt Vom Ort aus schaut man direkt auf die vier Kilometer entfernte, mehr hat«, so beschreibt Takashi Nakajima, der Vorsitzende der für den AKW-Bau vorgesehene Bucht von Tanoura. »Wenn wir nichts in Sendai erfolgreichen rund 3.600 Mitglieder zählenden Nariwaiunternommen hätten, wäre es längst gebaut«, sagt Hashimoto. Sammelklage, die Prozessziele. Nariwai bedeutet Lebensunterhalt, Wann immer der regionale Energieversorger Chûgoku Denryoku gemeint ist jedoch die eigentlich utopische Forderung nach vollExpert*innen in die Meerenge zwischen Iwaishima und der gegenkommener Wiederherstellung der vormaligen Lebens- und Arbeitsüberliegenden Insel Nagashima entsandte, um Probebohrungen bedingungen. für die geplanten Landaufschüttungen vorzunehmen, wurden sie Rund 15.000 Menschen aus Fukushima haben sich darüber von Fischerbooten oder Kajaks behindert. Die Kommissionär*in­nen, hinaus über eine »Vereinigung von Opfergruppen« des Atomunfalls die den Fischer*innen Kompensationszahlungen aufdrängen wollten, (Hidanren) einem strafrechtlichen Verfahren angeschlossen, in um ihren Widerstand zu brechen, wurden immer wieder brüsk dem im September 2019 drei angeklagte frühere TEPCO-Manager zurückgewiesen. Und mehr als ein Dutzend meist mehrstufiger in erster Instanz freigesprochen wurden. Die Vorsitzende dieser Gerichtsverfahren zeugen von einer permaGruppe, Ruiko Mutô aus der Gemeinde nenten rechtlichen Auseinandersetzung, der Miharu, rund 40 Kilometer entfernt vom »Vielleicht steht uns unser sich Kraftwerksbauer, aber auch Aktivist*in­nen AKW Fukushima Daiichi, gehört zu jenen ausgesetzt sehen. Aktivist*innen, die seit dem Atomunfall in Verschwinden heute bevor« Tschernobyl davor gewarnt haben, dass Es ist ein Kampf um Natur, um Demokratie sich eine ähnliche Katastrophe auch in ihund Identität. »Als Fischgrund ist das hier der rer eigenen Heimat ereignen könne und die seither aktiv war. Sie beste Ort. Es ist ein schönes Leben, es ist die Mühe wert. Wäre das Problem mit dem AKW nicht, es wäre ein glücklicher Ort«, sagt war damals 33 Jahre alt und Sonderschullehrerin, als sie in ihrer Hashimoto. Wann immer vor seiner Haustür die Erkundungsarbeiten Schule anregte, neben den regelmäßig durchgeführten Kata­ für das AKW wieder aufgenommen werden sollten, will auch er in strophenschutz-Übungen wegen Bränden oder Erdbeben auch Evakuierungsübungen für den Fall einer Atomkatastrophe durchZukunft stören, selbst wenn ihm dadurch hohe Schadenersatzforderungen drohen. »Ich fahre trotzdem hin.« Mittler­weile haben zuführen. »Was redest Du da«, hätten alle nur gesagt und sie sich, aufgeweckt durch den Film »Das Geräusch des Flügelschlags ausgelacht. In Japan könne sich ein solcher Unfall wie in der Sowjet­union nie ereignen. der Bienen und wie die Erde sich dreht« (engl.: »Ashes to Honey«) der Regisseurin Hitomi Kamanaka über die Insel des Widerstandes, Anmerkung eine ganze Reihe jüngerer Bewohner*innen auf der Insel neu angesiedelt und dem Widerstand angeschlossen. 1 Per Gesetz 2015 wurde der hohe Grenzwert für den Katastrophenfall zum Normalfall verstetigt. Der zuvor geltende und internationaler Konvention Eine Gegenbewegung gab es lange vor dem Atomunfall auch in entsprechende Wert von 1 Millisievert wurde um das Zwanzigfache erhöht. Fukushima. Der Dichter Jôtarô Wakamatsu aus Haramachi, heute zu Minamisôma gehörend, schrieb schon in den 1970er Jahren über Literatur seine Zweifel an der Atomkraft und dem 25 Kilometer entfernten –– Andreas Singler (2018): Sayōnara Atomkraft. Proteste in Japan nach AKW Fukushima Daiichi. Später schloss er sich Klagen gegen das ‚Fukushima’ (EB-Verlag Berlin), 2019 erschien im BoD-Verlag »Tokyo 2020. zweite Atomkraftwerk in der Region an, Fukushima Daini. Nach Olympia und die Argumente der Gegner«. einem Besuch in Tschernobyl 1994 schrieb Wakamatsu in dem Gedicht »Die verschwundene Stadt«: »Sicherlich werden noch viel mehr Städte für immer vom Erdboden getilgt. Vielleicht steht uns tt Andreas Singler ist Journalist, Japanologe und Sportwissenunser Verschwinden bevor – heute.« schaftler. Nach dem Atomunfall von Fukushima begann er mit Recherchen zur Anti-Atomkraft-Bewegung in Japan und zur Situa­ Wertlose Grenzwerte tion in Fukushima und forschte auch zur Akzeptanz der ursprüngtt Noch immer gibt es mehr als 40.000 Flüchtlinge aus den evalich für 2020 geplanten Olympischen und Paralympischen Spiele kuierten Gebieten in der Nähe des Atomkraftwerks Fukushima in Tokyo. iz3w • Mai / Juni 2021 q 384

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Am 11. März 2011 löste ein Erdbeben vor Japans Küste einen Tsunami aus. In der Folge kollabierten mehrere Kühlsysteme im japanischen Atomkraftwerk Fukushima Daiichi 250 Kilometer nördlich von Tokyo. Es kam zur Kernschmelze in vier von sechs Reaktoren. Große Mengen radio­ aktiver Stoffe wurden freigesetzt. Das iz3w Radiomagazin südnordfunk sprach mit dem japanischen Journalisten Masao Fukumoto über die Folgen der Reaktorkatastrophe für die Bewohner*innen der Region.

Foto: Yusuke-s

»Die Mehrzahl der Zurückgekehrten sind alte Menschen« Interview mit Masao Fukumoto über die Folgen der Fukushima-Katastrophe iz3w: Was sind die gesundheitlichen Auswirkungen des Reaktorunfalls

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in der Region Fukushima? Masao Fukumoto: Direkte Auswirkungen auf die Gesundheit sind schwer zu erfassen, weil Japan keine Statistik von Krankheitsfällen von der Zeit vor der Reaktorkatastrophe hat. Nach der Kernschmelze begann man mit Massenscreenings bei Kindern und Jugendlichen. Bisher wurden über 200 Kinder und Jugendliche wegen Schild­ drüsenkrebs operiert. Allerdings berichtet die Regierung, dass die Erkrankungen nicht direkt auf die Strahlung zurückzuführen sind. Sie seien eine Folge des Massenscreenings, weil dieses automatisch mehr Erkrankte erfasse. So will die japanische Regierung die Folgen verharmlosen, obwohl einige international anerkannte Studien (zum Beispiel vom japanischen Wissenschaftler Toshihide Tsuda und dem deutschen Forscher Hagen Scherb vom Helmholtz Zentrum) die Beziehung zur erhöhten Strahlendosis nachgewiesen haben: Je radioaktiver ein Ort belastet ist, desto mehr Menschen sind dort an Schilddrüsenkrebs erkrankt. Die Evakuierung von 150.000 Personen hat ebenfalls zu mangel­ hafter medizinischer Versorgung und zu psychischen Folgeerkrankungen geführt, auch deshalb sind viele Menschen gestorben. Es gab mehr als 50 Suizidfälle wegen der psychischen Belastungen. Zudem sind Erkrankungen infolge der langfristigen radioaktiven Belastungen in ihrer Kausalität sehr schwer zu erforschen, weil es sich hier um eine niedrige Strahlendosis handelt und man sie erst

viele Jahre später diagnostizieren kann. Dafür sind epidemiologische Studien notwendig, aber die japanische Regierung hat sich sehr früh gegen solche entschieden. Ich habe mit deutschen Expert*innen zusammengearbeitet. Um weitere gesundheitliche Folgen in Japan zu ermitteln, haben wir jährlich die Bevölkerungsstatistik analysiert. Demnach haben Geburten mit einem Gewicht unter 2.500 Gramm und die neonatale Sterblichkeit zugenommen (ab der 23. Schwangerschaftswoche bis zum 7. Tag nach der Geburt). Dieselben Phänomene zeigten sich auch nach der Tschernobyl-Katastrophe in Westdeutschland, aber die deutsche Öffentlichkeit nahm diese Tatsache nicht wahr. Sie haben beim Aufbau der unabhängigen »Bürgermessstellen« mitgewirkt. Was wird dort gemessen? tt Freunde von mir hatten damals nach der Tschernobyl-Katastrophe Bürgermessstellen in Westberlin gegründet und selbst Lebensmittel gemessen. Deshalb dachte ich sofort nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima, dass man auch in Japan Lebensmittel selbst messen sollte. Insgesamt sind über 100 Bürgermessstellen entstanden, die überwiegend Lebensmittel und Erde messen. Im Lauf der Jahre mussten sie um ihre Existenz kämpfen, da das Interesse an Informationen zu radioaktiv belasteten Nahrungsmitteln nachgelassen hat. Heute sind nur noch wenige Bürgermessstellen in der Präfektur Fukushima aktiv. Jetzt will die japanische Regierung den

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Japan

Grenzwert der Radioaktivität von derzeit einhundert Becquerel pro Kilogramm bei Lebensmitteln erhöhen. Ich halte das für nicht sicher. (Der Grenzwert in Deutschland und in der EU beträgt 600 Bq/kg).

denen höhere Entschädigungszahlungen gefordert wurden. Die Kläger*innen sind überwiegend sowohl Zwangs- als auch freiwillig Evakuierte, die nun überall in Japan wohnen. Es geht dabei um die Frage, wie viel ein Zuhause wert ist. Nichts ist mehr so, wie es früher war. Man hat die damit verbundene Gemeinschaft verloren. Derzeit lagern große Mengen mit Tritium verseuchten Kühlwassers in Wie ist so etwas zu entschädigen? Es ist unmöglich, den ursprüngFukushima. Die Regierung plädiert für eine Entsorgung in den Pazifik. lichen Zustand wiederherzustellen. Was bedeutet das für die Fischerei? Die Nutzung der Atomenergie wird vom japanischen Staat stark tt Die Fischereibetriebe haben bisher schon viel investiert, um die gefördert. Deshalb stellt sich die Frage, ob er auch für die Katastrophe verantwortlich ist. In der 1. Instanz wurden den Kläger*innen Fischerei wieder aufnehmen zu können. Die Entsorgung des kontaminierten Wassers ins Meer würde bedeuten, dass dies sinnlos mehr Entschädigungszahlungen zugesprochen, als die Betreiberwar. Deshalb sind die betroffenen Kommunen und Fischereiinnunfirma Tepco bereits zahlt, allerdings weniger als die Kläger*innen gen dagegen. Es gab einige Anhörungen, doch die Kritiker*innen gefordert hatten. Was die Entschädigungszahlungen angeht, war hatten dabei nur sehr begrenzte Redezeit. das Urteil durch das Oberlandesgericht Sendai im Oktober 2020 erfolgreicher, es entsprach annähernd den Forderungen der Wie ist die radioaktive Belastung der Umwelt aktuell einzuschätzen? Kläger*innen. tt Es ist sehr wahrscheinlich, dass die meisten radioaktiven Stoffe Für die Anti-AKW-Bewegung und die Betroffenen ist es sehr wichtig, dass die staatliche Verantwortung juristisch anerkannt wird. in den Boden eingedrungen sind und im Meer verteilt wurden. Im Pazifik ist der Verdünnungseffekt groß. Wie Durch die bisherigen Urteile ist dies viele radioaktive Stoffe bislang in welchen nur in einzelnen Fällen geschehen. Die japanische Energiepolitik Mengen ins Meer flossen, weiß man bis heute Die Justizneutralität ist gefährdet, weil nicht genau. In den Sperrgebieten bei Fukuzuständigen Richter*innen die Versetbleibt auch nach der Katastrophe shima wird weiterhin dekontaminiert. Trotzdem zung oder gar das Ende ihrer Karriere unverändert werden immer wieder sogenannte Hotspots droht. Deshalb scheuen sie sich, gegefunden, wo der Strahlenwert noch sehr hoch gen den Staat und bereits erteilte ist. Vielerorts werden große Mengen kontaminierter Erde in speziBetriebsgenehmigung zu entscheiden. In einem Fall wurde ein ellen Säcken gelagert und aktuell in zwei Zwischenlagern gesammelt. vorsitzender Richter versetzt, der eine Betriebsgenehmigung für Nach Absprache mit den betroffenen Kommunen, in denen Zwiungültig erklärt hatte. schenlager errichtet wurden, sollen bis 2030 alle Säcke mit kontaminierter Erde weggeräumt werden. Dafür muss die Regierung Welchen Stellenwert hat die Kernenergiepolitik in Japan heute? Endlager errichten, die aber keine Kommune will. tt Im Prinzip bleibt die japanische Energiepolitik auch nach der Katastrophe unverändert. Das Grundsatzenergiekonzept wird alle Im vergangenen Jahr wurden die Evakuierungserlasse für die Städte vier Jahre erneuert. Dort steht, dass man in Japan erneuerbare Futaba, Okuma und Tomioka aufgehoben. Sind damit die Risiken Energien als Hauptenergiequelle ausbauen will, während der Grundbehoben? laststrom mit Kohle und Atomenergie abgedeckt werden soll. Ich tt In diesen Städten befinden sich die meisten Gebiete, für die eine bin nicht sicher, ob die Regierung es wirklich ernst meint mit der Rückkehr lange ausgeschlossen wurde, da die Radioaktivität dort erneuerbaren Energie. noch fünf Jahre nach der Katastrophe 20 Millisievert pro Jahr überschreiten kann. Dort wurden einige für die Rückkehr ausgeschlosWo steht die Anti-Atomkraft-Bewegung heute? sene Gebiete für die Rücksiedlung freigegeben. Der Grenzwert für tt Die Anti-AKW-Bewegung ist nicht erst nach der Katastrophe in Fukushima entstanden, wir hatten auch vorher eine Bewegung die Freigabe beträgt 20 Millisievert pro Jahr und ist zwanzigfach gegen Atomwaffen und gegen die sogenannte friedliche Nutzung. höher als in Deutschland. Das ist viel zu hoch. Allerdings bleibt die Aber natürlich haben sich nach der Katastrophe mehr Menschen Rückkehrquote der ehemaligen Einwohner*innen mit 30 Prozent gering. Mancherorts liegt diese Quote unter zehn Prozent. Die gegen Atomenergie eingesetzt. Allerdings gab es in letzter Zeit auch Mehrzahl der Zurückgekehrten sind alte Menschen. Ein Jahr nach einen Zwiespalt. Innerhalb der Anti-AKW-Bewegung behaupten einige prominente Wissenschaftler*innen, es gäbe keine Klimakrise, der Freigabe für die Rücksiedlung werden monatliche Entschädigungszahlungen eingestellt, die bislang den Zwangsevakuierten die Atomindustrie hätte sie ausgedacht. Sie finden auch erneueraus den betroffenen Sperrgebieten zustanden. So wird Druck auf bare Energien nicht gut und nicht notwendig. Denn wer für den Ausbau von erneuerbaren Energien ist, wird oft als Atombefürworter*in ehemalige Bewohner*innen für die Rückkehr ausgeübt. betrachtet, auch wenn die Person gegen die Nutzung der AtomDas Oberlandesgericht in Tokyo hat Ende Januar 2021 den Betreiber energie ist. Das verkompliziert die Arbeit der Anti-AKW-Bewegung. des Atomkraftwerks Fukushima 1 dazu verurteilt, den evakuierten Anwohner*innen Schadensersatz zu zahlen. Zugleich wurde ein früheres Urteil des Bezirksgerichts Maebashi aufgehoben, das auch die tt Masao Fukumoto ist freier Journalist, Co-Herausgeber des Verantwortung der Zentralregierung für die Atomkrise 2011 anerkannt unabhängigen Informationsdienstes Strahlentelex für FUKUSHIMA hatte. Was bedeutet das Urteil für die Bewohner*innen? und Autor des in Japan erschienenen Buches »Deutschland, seit 28 tt Es war, wenn ich nicht irre, das zweite Urteil in der 2. Instanz. Jahren schwach verstrahlt« über die Reaktorkatastrophen von TscherEs gab insgesamt ungefähr 30 Sammelklagen in der 1. Instanz, mit nobyl und Fukushima. Das Interview führte Martina Backes (iz3w). iz3w • Mai / Juni 2021 q 384

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Ein Spiel für junge und alte Linke und eine Zeitreise in die Geschichte linker Parolen und Demosprüche

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Editorial

Aus eins mach’ sieben Vor dreißig Jahren zerfiel Jugoslawien. Das ist ein Anlass, die Gründe und Folgen der Zerteilung genauer anzu­ schauen. Welches Ereignis man als ‚Anfang vom Ende‘ Jugoslawiens definiert, hängt von der Perspektive des/der Betrachter­­*in ab. Zur Auswahl stehen: Die Unabhängigkeitserklärung von Slowenien und Kroatien im Juni 1991, der krachende ­Abbruch des Kongresses der Kommunis­ tischen Partei im Januar 1990 oder Slobodan Miloševićs Besuch im Kosovo 1987, wo er den ‚serbischen‘ Standpunkt vertrat … Der Beginn der Zerfallskriege ist hingegen eindeutig. Am 26. Juni 1991 begann der 10-Tage-Krieg in Slowenien. Erst zehn Jahre später, im August 2001, endete die mörderische Zerfallsgewalt mit dem Rahmenabkommen von Ohrid, wodurch auch die Aufstände in Mazedonien ihr Ende fanden. Sie gelten als letzter Konflikt der jugoslawischen Zerfallskriege.

Die Zerfallskriege beschäftigten auch Deutschland.

Mit dem Kosovokrieg beteiligte sich die Bundesrepublik Deutschland erstmals an einem Krieg, noch dazu ohne UN-Mandat. Die deutsche Linke stritt sich über den deutschen Kriegseinsatz: Für die einen zählte Joschka Fischers »Nie wieder Völkermord«, die anderen waren »gegen deutsches Großmachtstreben«, mitunter ohne dabei allzu intensiv nach (Post-) Jugoslawien zu blicken (S.28). Die Fluchtbewegungen aufgrund der zeitlich aufeinanderfolgenden Kriege hielten 1993 als Alibi für den deutschen ‚Asylkompromiss‘ her, der das Asylrecht massiv schwächte.

Die Berührungspunkte zwischen Deutschland und dem ehemaligen Jugoslawien sind vielfältig: Der Einmarsch der Wehrmacht jährte sich am 6. April zum achtzigsten Mal. Es gab Gastarbeiterabkommen in den 1960er-Jahren. Heute leben in Deutschland rund zwei Millionen Menschen mit familiären Verbindungen in die Region. Jugoslawien bleibt Projektionsfläche für kulinarische Spezialitäten vom Balkan-Grill, als Urlaubsort oder für den Tito-Kommunismus. Die jugoslawischen Nachfolgestaaten orientieren sich überwiegend stark in Richtung EU, Kroatien und Slowenien sind bereits Mitgliedsstaaten.

Wir bewegen uns in diesem Schwerpunkt zwischen

Geschichte und Gegenwart. Nicht nur in der Kultur leben die Zerfallskriege fort, wenn sich kroatische Theaterregisseur*­in­ nen mit deren Aufarbeitung und nationalistischen Mythen beschäftigen (S.36). Auch aktuelle Fußballfan-Kulturen haben Bezüge zur Kriegsgeschichte (S.34). Wir rekapitulieren den Zerfall Jugoslawiens (S.22) und schauen auf eine vorausgehende Balkanföderation (S.30). Außerdem betrachten wir Aspekte der post-jugoslawischen Gegenwart, über die selten berichtet wird. Es geht also nicht um die ‚Balkanroute‘ und nicht um Korruption, sondern um Punkrock (S.38) und LGBTIQ-Rechte (S.32). In der Gegenwart haben wir also sieben normale Länder in Südosteuropa mit den Problemen, die man im 21. Jahrhundert halt so hat. Oder sind es nur sechs Länder? Auch das ist eine Frage des Standpunkts. Die Republik Kosovo wird von etlichen Staaten (noch) nicht anerkannt, von Serbien sowieso nicht. Vielleicht doch nicht ganz normale Länder. die redaktion

Glossar Četniks: auch Tschetniks; Sammelbegriff für Angehörige monarchistischer bis faschistischer serbischer Milizen im Zweiten Weltkrieg. Darunter fiel auch die Jugoslawische Armee im Vaterland unter Dragoljub Mihailović. Sie kämpfte für die Wiedererrichtung des Königreichs Jugoslawien und ein ethnisch reines Großserbien. Viele Četnik-Verbände bekämpften ab 1941 die deutsche Besatzung, verbünden sich dann aber mit dieser gegen die Partisanenbewegung. Der Heimatländische Krieg: in Kroatien gebräuchliche, nationalistische Bezeichnung für den Kroatienkrieg 1991 bis 1995. Milošević, Slobodan: zunächst von 1986 bis 1989 Vorsitzender des Bundes der Kommunisten Serbiens, von 1989 bis 1991 Präsident der serbischen Teilrepublik und schließlich Präsident Restjugoslawiens. Nach Massenprotesten musste er am 5. Oktober 2000 zurücktreten und wurde anschließend vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugos­ lawien wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Milošević starb 2006, bevor das Verfahren abgeschlossen werden konnte.

Tito, Josip Broz: Partisanenführer und von 1945 bis zu seinem Tod 1980 Staatschef Jugoslawiens. Geboren als Josip Broz 1892 in Kroatien, nahm er 1934 den Kampfnamen Tito an und war zeitlebens als Josip Broz Tito bekannt. Vukovar: Stadt in Ostkroatien. Die Schlacht um Vu­ ko­­­var war eine der ersten Schlachten im Kroatienkrieg 1991. Die Stadt wurde insgesamt 87 Tage von der Jugoslawischen Volksarmee belagert und am 20. November 1991 eingenommen. Dabei wurden zahlreiche Kriegsverbrechen begangen. Ustaša: auch Ustascha; Kroatisch für ‚Der Aufstän­ dische‘. Ein von Ante Pavelić im Königreich Italien gegründeter, kroatischer nationalistisch-terroristischer Geheimbund, der sich zu einer faschistischen Bewegung entwickelte. Pavelić führte ab 1941 den deutschen Vasallen­staat Unabhängiger Staat Kroatien an, der sich am nationalsozialistischen Genozid beteiligte.

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Während der Belagerung von Sarajevo wurden aus Platzmangel Tote im ehemaligen Olympischen Dorf der Stadt begraben | Foto: MSGT Michael J. Haggerty

Der Preis war hoch Jugoslawiens Auflösung im Strudel des Nationalismus Vor dreißig Jahren zerfiel Jugoslawien. Aus einem Staat wurden sieben. Der »Übergang« war von Bürgerkrieg und Krieg geprägt. Was war da los auf dem Balkan?

22 von Larissa Schober Mit der Unabhängigkeitserklärung Sloweniens und Kroatiens am 25. Juni 1991 war der territoriale Zerfall Jugoslawiens besiegelt. Das Datum markiert den ersten Abschluss eines langen Auflösungsprozesses; und mit dem am folgenden Tag eröffneten Slowenienkrieg auch den Beginn der jugoslawischen Zerfallskriege. Der letzte dieser bewaffneten Konflikte, die albanischen Aufstände in Mazedonien, fand sein Ende erst zehn Jahre später mit der Unterzeichnung des Friedensabkommens von Ohrid im August 2001. Doch was war dieser Staat, der in den 1990er-Jahren auseinanderbrach, eigentlich? Dreißig Jahre nach dem Beginn seines Zerfalls kennt gerade die jüngere Generation bestenfalls noch die Zerfallstt

kriege. Manchmal beschränkt sich das Wissen nur auf touristische Highlights, etwa: In Belgrad kann man gut Party machen. Etwa für etliche ältere Linke wiederum war Jugoslawien lange ein positiver Bezugspunkt. Die 1990er-Jahre sind für sie untrennbar mit dem Streit um die Operation Allied Force der NATO gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien verbunden, insbesondere mit den Auseinandersetzungen um den Kosovokrieg in den 1990erJahren (siehe S. 28). Und jenseits aller Tito-Nostalgie war Jugos­lawien eine real existierende Alternative zur Sowjetunion, ein Experimentierfeld in der Selbstverwaltung von Betrieben und Vorreiterin in Sachen Frauenrechte – zumindest auf dem Papier.

Eine föderale Berg- und Talfahrt Die Grundlagen für die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (bis 1963 »Föderative Volksrepublik Jugoslawien«) wurden bereits 1943 durch die antifaschistische Partisanenregierung gelegt. Offiziell gegründet wurde der Staat am 29. November 1945. 23 tt

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Jugoslawien

Millionen Menschen lebten in den sechs Teilrepubliken Slowenien, Nach dem Zusammenbruch des Staatskommunismus wurden im Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro und MazeApril 1990 erste freie Wahlen in Slowenien und Kroatien abgehaldonien. Sie besaßen jeweils eigene Verfassungen und Parlamente ten, kurz darauf folgten die anderen Republiken. Aufgrund der eingeübten Quotenlogik gingen viele Wähler*innen davon aus, und bildeten zusammen den Bundesstaat. Hinzu kam ein zentralistischer Parteiapparat als Gegengewicht zur föderalen Struktur. dass nur ihre jeweilige nationale Partei sie vertreten könne. ÜberJugoslawien war nach Bevölkerungsgruppen auf kollektiven all wurde ein nationalistischer Wahlkampf betrieben. In Kroatien, Rechten aufgebaut. So kannte die jugoslawische Verfassung sechs Slowenien und Mazedonien gewannen nationalistische Parteien, Staatsvölker (die territoriale Vertretung durch eine Republik besaßen) in Serbien und Montenegro die nationalistisch gewendeten sowie zehn Nationalitäten und diverse ethnische Minderheiten, die Sozialist*innen. In Bosnien wurde eine Koalition aus drei ethnischalle besondere Schutzrechte besaßen. Mit der Verfassungsreform nationalistischen Parteien gebildet. von 1974 kamen zwei territoriale Einheiten unterhalb des Status Die neu gewählten Regierungen von Kroatien und Slowenien als Republik hinzu: der Kosovo und Vojvodina als autonome Proerklärten ihre Staaten am 25. Juni 1991 für unabhängig. Anfang vinzen innerhalb Serbiens. Anders als in der Sowjetunion und ihren 1992 erkannte die Europäische Gemeinschaft (EG) auf Drängen Satellitenstaaten sollten nicht allein die Kommunistische Partei und Deutschlands beide Staaten an. Der erste der Zerfallskriege, der anonyme Staatsorgane die Unternehmen und gesellschaftliche Zehn-Tage-Krieg, begann in Slowenien bereits einen Tag nach der Organisationen lenken, sondern demokratische Arbeiterräte, die Unabhängigkeitserklärung zwischen der Jugoslawischen Volksarmee sogenannte Arbeiterselbstverwaltung. (JNA) und slowenischen Truppen. Er endete rasch und verhältnisDie Verfassungsreform von 1974 sollte mehr Demokratie bringen. mäßig unblutig mit einem Abkommen. Durch die starke Dezentralisierung mit dem Fokus auf die sechs Anders in Kroatien: Dort trieb die nationalistische Partei HDZ Republiken stärkte sie jedoch die (binnen-)nationalistischen Linien. unter der Führung von Franjo Tuđman den positiven Bezug auf Probleme wie das wirtschaftliche Gefälle zwischen Nord- und den kroatischen faschistischen Ustaša-Staat massiv voran, der als Südjugoslawien konnten so nationalistisch aufgeladen Vasallen-Staat Deutschlands von 1941 bis 1945 existiert hatte. Im Juli 1991 werden und regionalistische Eliten machten den Bundesstaat für alle Probleme verantwortlich. Auf der Ebewurde per Verfassungsänderung der Nationalist*innen ne der Arbeiterselbstverwaltung führte die Dezentraliserbischen Minderheit der Status als nutzten die Krise zur sierung dazu, dass die einzelnen Betriebe letztendlich zweites Staatsvolk aberkannt. Nach Delegitimation des massiven Protesten, auf die Tuđman in Konkurrenz zueinander standen. Schlussendlich beSozialismus feuerte die Dezentralisierung Autoritarismus und Bürorepressiv reagierte, wurde auf serbischer kratie, denen sie eigentlich entgegenwirken sollte. Seite die Forderung nach territorialer Autonomie immer lauter. Es entstanden Sowohl die Legitimations- als auch die Wirtschaftskrise, die eine Verfassungsreform erforderten, verschlimmerten sich Parallelstrukturen zu den kroatischen staatlichen Strukturen. Am in den 1980er-Jahren. Besonders hart traf der Ölpreisschock 1979 19. Dezember 1991 erklärte das dortige De-facto-Regime die serbisch geprägten Gebiete in Ostslawonien als Republik Serbische die jugoslawische Wirtschaft, denn diese war auf die Schwerindustrie ausgerichtet. Und mit dem Ende des Kalten Krieges verlor Krajina zum unabhängigen Staat. Dieses kontrollierte während des Jugo­slawien als prominenter ‚blockfreier‘ Staat seine Scharnierfunkbis 1995 dauernden Kroatienkrieges zeitweise bis zu einem Drittel tion zwischen Ost und West. Diese Zwischenposition war bis dato des kroatischen Territoriums entlang der Grenze zu Bosnien und nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich ertragreich. Die Serbien. Wirtschaftskrise, die mit einer Inflation von über 2.000 Prozent die Ausgetragen wurde dieser Krieg um die serbisch geprägten Territorien in Kroatien zwischen der kroatischen Armee und der Bevölkerung hart traf, unterminierte den Glauben an das jugoslawische Modell massiv. Aus dieser Wirtschaftskrise entwickelte sich Armee der Republik Serbische Krajina (RSK). Letztere wurde von eine System- und Staatskrise. der JNA und durch serbische paramilitärische Einheiten und Freiwilligenverbände unterstützt. Nach einem von der EG vermittelten Waffenstillstand zog die JNA 1993 aus Kroatien ab, ließ aber ihre Die Ethnisierung des Sozialen Waffen zurück, mit denen die RSK wieterkämpfte. Während des tt Nationalistische Scharfmacher*innen nutzten die Krise zur DeKrieges kam es auf beiden Seiten zu Massakern an der Zivilbevöllegitimation des Sozialismus, wirtschaftliche Probleme wurden in kerung und zu sogenannten ethnischen Säuberungen. Nach Schätzungen von Human Rights Watch befanden sich knapp ethnische gewendet. Religionen gewannen als Reaktion auf den Zerfall der sozialen Ordnungs- und Identitätsmuster wieder an 400.000 Menschen während des Krieges auf der Flucht, insbesonBedeutung. Was gerade auch die Kirchen nutzten und mit einer dere im Zuge der Operation Oluja, mit der Kroatien im August 1995 den Großteil der serbischen Gebiete zurückeroberte. Formal nationalen Traditionspflege verbanden: Die Religion war einer der wenigen ‚Marker‘, anhand derer einzelne Bevölkerungsgruppen endete der Krieg am 12. November 1995 mit dem Abkommen unterscheidbar waren. Die wirtschaftliche Krise wurde so zum von Erdut. Motor einer umfassenden Desintegration Jugoslawiens, der Republiken-Nationalismus zum Mittel des Krisenmanagements. Mit dem Von Kroatien nach Bosnien ... dramatischen Abbruch des 14. Kongresses des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens am 22. Januar 1990, bei dem sich die Rett Der komplizierteste und verheerendste Zerfallskrieg sollte der publiken nicht auf einen Mechanismus zur Krisenbewältigung eiBosnienkrieg werden. In der heterogensten Teilrepublik Jugoslanigen konnten, endete nach 45 Jahren de facto die Herrschaft der wiens trafen die Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen, Kommunistischen Partei in Jugoslawien. Restjugoslawiens sowie dem inzwischen unabhängigen Kroatien iz3w • Mai / Juni 2021 q 384

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aufeinander. Nach langen Auseinandersetzungen erklärt im März sich ohne Widerstand Belgrads von Jugoslawien lossagen konnte. 1992 auch Bosnien-Herzegowina seine Unabhängigkeit. Dem Die größere Minderheit mit fast einem Viertel der dortigen Bevölvorausgegangen waren die Ausrufung der unabhängigen serbischen kerung war nicht serbisch, sondern albanisch. Daher diente Maze­ Republika Srpska auf bosnischem Territorium sowie ein Referendum, donien der UÇK teilweise als Rückzugsgebiet. Anfang 2001 trat das von der serbischen Minderheit größtenteils boykottiert wurde. die UÇK dort erstmals offen in Erscheinung und wurde von der Nach einer Gewalteskalation zwischen verschiedenen Milizen mazedonischen Regierung bekämpft. Der Konflikt wurde im Laufe des Sommers beigelegt. Das Ohrid-Abkommen leitete eine begann in der Nacht vom 4. auf den 5. April die fast vierjährige Belagerung der bosnischen Hauptstadt Sarajevo und damit der Dezentralisierung des mazedonischen Staates ein, die mehr Rechoffene Krieg. Die Armee der Republik Bosnien und Herzegowina te und Selbstverwaltung für die albanische Minderheit ermöglichte. Die mazedonische UÇK löste sich daraufhin auf. (ARBiH) kämpfte zunächst gemeinsam mit dem Kroatischen Verteidigungsrat (HVO) für einen bosnischen Staat Damit endeten die bewaffneten Konflikte, der gegen die Armee der Republika Srpska (VRS). territoriale Zerfall ging jedoch weiter. 2003 beDiese wurde von der JNA unterstützt und wollte nannte sich die Bundesrepublik Jugoslawien nach Massengewalt einem Staatsumbau in Serbien und Montenegro ein zusammenhängendes serbisches Territorium bricht nicht aus – schaffen: aus Restjugoslawien, der Republika Srpsum. Dieser Staatenverbund hielt nur bis 2006, sie wird generiert ka sowie den serbisch besiedelten Gebieten in dann erklärte sich Montenegro nach einem RefeKroatien. Im Laufe des Krieges stellte aber auch rendum für unabhängig. Eine wiederholte Unabhängigkeitserklärung erfolgte im Kosovo 2008. die HVO Gebietsansprüche und es kam zum sogenannten Krieg im Krieg zwischen der HVO und der ARBiH. Anders als die erste wird sie mittlerweile von der Mehrheit der Dieser Konflikt wurde vor allem in Zentralbosnien ausgetragen UN-Mitgliedsstaaten anerkannt. Serbien betrachtet das Kosovo und im Februar 1994 beigelegt. Danach verbündeten sich HVO jedoch weiterhin als Teil seines Staatsgebietes. Und in Bosnien und Herzegowina droht der bosnisch-serbische Nationalist Milorad und ARBiH erneut. Insgesamt kamen im Bosnienkrieg zwischen 97.000 und 200.000 Dodik immer wieder mit der Abspaltung der Republik Srpska. Menschen ums Leben, etwa zwei Millionen Einwohner*innen (knapp die Hälfte der damaligen Bevölkerung) befanden sich auf Balkanklischee-Spezialitäten der Flucht. Die brutalen ethnischen Säuberungen während des Bosnienkrieges, aber auch im Kroatien- und Kosovokrieg, waren tt Die Region kann sich derzeit so ökonomisch modernisieren, keine Folge der Kriege, sondern eines ihrer Ziele. Dahinter standen kulturell postmodern ausprägen und sozial internationalisieren, wie der bis zum Äußersten gedachte nationalistische Wille zu einer sie will: Die Balkan-Klischees haften ihr an wie Pech. Das ehemaliethnisch homogenen Bevölkerung sowie der Versuch, ein möglichst ge Jugoslawien hielt schon immer als Projektionsfläche her – und großes Territorium für die jeweilige Volksgruppe zu erhalten. Der auch heute, dreißig Jahre nach Beginn der Zerfallskriege, wird vor allem Negatives darauf projiziert. Die Region gilt als ‚Pulverfass‘ schiere Vernichtungswille gegenüber den Anderen ist angesichts der Massaker offensichtlich. Auch das von den Vereinten Nationen ‚Krisenherd‘ und als Hort ‚ewigen Hasses‘, der vom ‚Völkergefängals Genozid anerkannte Massaker von Srebrenica wurde in diesem nis‘ Jugoslawien nur bedingt eingehegt wurde und in der die JuGeist begangen. Nach dem Blutbad im Juli 1995, bei dem über goslawienkriege vielen folgerichtig erschienen. Die Stereotype sagen mehr über die Betrachter*innen als über die Region und ihre 8.000 Bosniak*innen getötet wurden, griff die NATO in den Krieg Geschichte aus. ein. Dieser endetet nach mehreren gescheiterten Friedensgesprächen offiziell am 14. Dezember 1995 mit der Unterzeichnung des Doch Massengewalt bricht nicht aus. Sie wird generiert. Auch Abkommen von Dayton. in Jugoslawien entlud sich nicht spontan ein ‚uralter Hass‘, vielmehr waren die Kriege organisierte und kalkulierte Gewalt, an der Politiker wie Tuđman und Milošević seit den 1980er-Jahren gefeilt ... und vom Kosovo nach Mazedonien hatten. Dass sie erfolgreich waren, lag nicht an den »Gespenstern tt Während in den Nachbarländern Krieg herrschte, schwelte der am Balkan« (wie der Bestsellerautor Peter Scholl-Latour 1995 untertitelte) des ethnischen Hasses, die zurückkehrten, sondern am ungelöste Konflikt im Kosovo bis Mitte der 1990er-Jahre vor sich hin. Als die Zerfallskriege ohne eine Lösung für das Kosovo zu Ende realen Spuk der verbreiteten Armut, der Verunsicherung und difgingen, zweifelte ein zunehmender Teil der albanischen Bevölkerung fuser Angst. Kaum jemand hat den Zusammenbruch Jugoslawiens am Sinn des bis dato gewaltlosen Widerstandes. Die paramilitärische vorausgeahnt, dennoch betrachteten ihn viele bald (und bis h ­ eute) UÇK gewann an Unterstützung. Sie trat ab 1996 mit gewaltsamen als logische Folge. Doch so funktioniert Geschichte nicht. Aktionen gegen die serbische Polizei in Erscheinung. RestjugoslaDie Vorstellung des Pulverfasses gründet auf Projektionen der wien bekämpfte diese Aufstände und es entwickelte sich eine Rückständigkeit auf diese Region. Dieses Herabblicken auf den Bürgerkriegsdynamik. Nach den gescheiterten Friedensverhand(gerade ex-jugoslawischen) Balkan dient vor allem dem Bedürfnis, lungen von Rambouillet griff die NATO ohne UN-Mandat in den sich der eigenen Zivilisation im ‚Westen‘ oder in Deutschland zu Konflikt ein und bombardierte ab dem 24. März 1999 Serbien versichern. Man scheint es nötig zu haben. Dabei ist der Begriff (siehe S. 25). Mit dem Abkommen von Kumanovo wurde der Koso­ Balkan unscharf und umstritten, negativ besetzt. Ungeklärt ist auch vokrieg am 9. Juni 1999 beendet. Das Kosovo blieb formal noch die Frage, wo er beginnt. In Slowenien? Kroatien? Erst in Bosnien? Teil der Bundesrepublik Jugoslawien, wurde aber unter UN-VerwalOder nicht doch schon in Österreich? tung gestellt. Wie schon von Kroatien nach Bosnien kam es auch mit dem tt Larissa Schober ist Redakteurin im iz3w und forscht zu inner­ Ende des Kosovokrieges zu einem ‚Überschwappen‘ des Konflikts staatlichen Konfliken. in ein Nachbarland. Mazedonien war die einzige Teilrepublik, die iz3w • Mai / Juni 2021 q 384


Jugoslawien

Elisa Satjukow | Foto: Sven Jaros

»I’m waiting« Interview mit Elisa Satjukow über die NATO-Luftangriffe 1999 Während des Zerfalls Jugoslawiens strebte auch das Kosovo den. Sie schreiben, dass mit seinem Amtsantritt im Jahr 1987 die nach Unabhängigkeit. 1998 eskalierten dort die Kampfhand»Rückkehr zu einer geschlossenen Gesellschaft« erfolgte. Was meinen Sie damit? lungen zwischen serbischer Armee und UÇK. Unter dem Eindruck der Menschenrechtsverbrechen in Bosnien drohte Elisa Satjukow: Die Zeit des sozialistischen Jugoslawiens unter Tito die Internationale Gemeinschaft mit einem militärischen Einwar für viele Menschen das, was in der New York Times einmal greifen. Am 24. März griff die NATO schließlich das heutige »credit card communism« genannt wurde. Wir hatten es auch hier Serbien an, der Kosovokrieg dauerte bis zum 9. Juni 1999. Der mit einem autoritären System zu tun, aber mit einem, dass unter umstrittene, weil völkerrechtswidrige NATOdem Credo »Brüderlichkeit und Einigkeit« Einsatz stellt bis heute eine Projektionsfläche für viele Menschen ein verhältnismäßig Nichts ist verbindender als für unterschiedlichste politische Projekte dar. gutes Leben erlaubte. Das erklärt auch Doch welche Bedeutung hat sie im Alltag der die bis heute starke Rückbesinnung auf ein gemeinsamer Feind Menschen in Serbien? Elisa Satjukow arbeitet die sozialistische Vergangenheit, die Mitam Lehrstuhl für Ost- und Südosteuropäische ja Velikonja als »Titonostalgie« bezeichnet. Geschichte der Universität Leipzig. Ihr Buch »Die andere Sie verschleiert mitunter, dass Jugoslawien schon lange vor Titos Seite der Intervention. Eine serbische Erfahrungsgeschichte Tod im Jahr 1980 an allen Enden und Ecken krankte. Mit dem der NATO-Bombardierungen 1999« ist im November 2020 Führungsvakuum, das Tito hinterließ, haben sich die politischen erschienen. Wir sprachen mit ihr über die Bombardierung, und wirtschaftlichen Probleme in voller Wucht Bahn gebrochen ihre Bedeutung bis heute und Parallelen zum aktuellen Umgang und alte Nationalismen, die schließlich in den kriegerischen Zerfall mit der Covid-19-Pandemie in Serbien. Jugoslawiens mündeten, neu aufleben lassen. Milošević war ein Symptom dieser Zeit. Er versprach Stabilität

iz3w: Der Zerfall Jugoslawiens und die Bombardierung Serbiens durch die NATO sind eng mit der Herrschaft von Slobodan Milošević verbun-

und Perspektiven in einer Phase der Neuorientierung. Was die Ära Milošević jedoch brachte, waren Gewalt, Chaos und Stagnation. Wenngleich Serbien lange Zeit nur indirekt von den Kriegen in den

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Nachbarländern betroffen war, waren die Auswirkungen im täglichen Leben deutlich spürbar. Sie schreiben auch über die »langen« und »wilden« 1990er-Jahren, die in Serbien als permanenter Ausnahmezustand erfahren wurden. Wie muss man sich diese Zeit vorstellen? tt In diesen chaotischen Zeiten etablierte sich eine neue Herrschaftsordnung, in der sich einige wenige stark bereicherten. Die Mehrheit der Bevölkerung sah sich jedoch mit Armut, Arbeits- und Perspektivlosigkeit konfrontiert. Der Begriff der wilden 90er stammt ursprünglich aus Russland, wo sich zur selben Zeit eine ähnliche Transformation vollzog. Der Anthropologe Jarret Zigon spricht mit Blick auf die ehemalige Sowjetunion von einem gesamtgesellschaftlichen moralischen Zusammenbruch, in dem es galt, einen kohärenten, allgemein akzeptierten und post-sozialistischen Begriff von Moral neu zu formulieren. Die Menschen in Serbien standen vor der gleichen Herausforderung. Diese Suche nach Normalität war gewissermaßen der kleinste gemeinsame Nenner einer tief gespaltenen Gesellschaft. Die NATO-Bombardierungen, so argumentiere ich in meinem Buch, markierten den Kulminationspunkt dieser Erfahrung eines permanenten Ausnahmezustandes der langen 90er Jahre.

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seitens der Opposition Bemühungen, national und international gehört zu werden. Davon zeugen zahlreiche Stellungnahmen, die sich gegen die Bombardierungen und auch gegen die Gewalt im Kosovo aussprachen und in Zeiten von Kriegspropaganda und Zensur zumeist im Internet ihre Verbreitung fanden.

Vor und während der Bombardierungen wurden im Kosovo systematisch Albaner*innen vertrieben. Wie hat sich die serbische Gesellschaft dazu verhalten? tt Wenngleich die Gewalt gegen die kosovo-albanische Bevölkerung nicht erst mit Beginn der Bombardierung einsetzte, so lässt sich dennoch feststellen, dass der Abzug sämtlicher internationaler Beobachter*innen aus dem Kosovo der serbischen Seite gewissermaßen eine Carte Blanche gegeben hat. Davon zeugt die schockierende Bilanz von etwa 7.000 Todesopfer (758 durch die Luftangriffe) und unzähligen vergewaltigten, traumatisierten und entwurzelten Menschen. In Serbien waren diese Verbrechen offiziell nicht bekannt. Das Feindbild NATO diente als Deckerzählung, um den Menschen zu verkaufen, dass die Bilder von flüchtenden Albaner*innen, die durch die internationalen Medien gingen, entweder eine Propagandalüge des Westens oder aber Folge der NATO-Luftangriffe waren. Aus serbischer Sicht gab es keinen Krieg im Kosovo, sondern Waren die NATO-Bombardierungen der Anfang vom Ende der Ära ein Vorgehen gegen die terroristische Vereinigung der UÇK. NaMilošević? türlich war den meisten Menschen, die über Satellitenfernsehen tt Nein. Der Anfang vom Ende der Ära Milošević waren meiner und Informationsquellen abseits der zensierten serbischen Medien Meinung nach die Proteste im Winter 1996/97. Damals gingen verfügten, klar, dass die Gewalthandlungen, die zeitgleich zur über drei Monate hinweg Hunderttausende Bombardierung in Kosovo stattfanden, täglich auf die Straße und forderten ein Ende weit größere Ausmaße hatten und die serDie Bombardierung als bische Seite daran massiv beteiligt war. der Kriegspolitik und der Milošević-Regierung. Doch bis auf wenige zivilgesellschaftliche Milošević nutzte den seit zwei Jahrzehnten moderner Kosovo-Mythos andauernden Konflikt in Kosovo, um seine eiOrganisationen, die sich auch schon vor gene Macht zu sichern. Nichts ist verbindender dem Krieg für die albanische Sache eingeals ein gemeinsamer Feind. Für die politische Opposition stellte die setzt hatten, war die Mehrheit der serbischen Gesellschaft mit Situation eine doppelte Herausforderung dar: Zwei in Vorbereitung ihrem eigenen Krieg, also den täglichen Bombenangriffen, beauf den Krieg in Kosovo im Jahr 1998 verabschiedete Gesetze schäftigt. beschnitten einerseits ihre Handlungsfähigkeit – die Einschränkung der Pressefreiheit sowie der Freiheit der Universitäten. Andererseits Wie sah der Alltag während der Bombardierungen aus? sahen sich die Menschen in Serbien zunehmend allein gelassen tt Der alltägliche Umgang mit der Bombardierung lässt sich grob vom demokratischen Ausland, das seit Beginn der 1990er-Jahre in drei Phasen unterteilen. Mit Beginn der ersten Luftangriffe am eine wichtige finanzielle und ideelle Unterstützung für die neu 24. März herrschten zunächst Panik und Unsicherheit. Mit was für formierte serbische Zivilgesellschaft bot. Mit der zunehmenden einem Krieg hatte man es zu tun? Wie akut war die Gefahr für Eskalation in Kosovo im Laufe des Jahres 1998 brach diese Untereinen selbst? Viele flüchteten sich in Luftschutzkeller oder zu ihren stützung immer weiter weg. Wenige Monate vor Beginn der BomFamilien aufs Land. Dann folgte eine Phase der Adaption. Die bardierung gründete sich noch die Otpor!-Bewegung, die zwei Menschen sahen, dass die Bomben vor allem nachts fielen und Jahre später zur entscheidenden Kraft beim Sturz von Milošević insbesondere militärstrategische Ziele trafen. Sie sahen aber auch, werden sollte. dass die NATO-Flugzeuge nicht immer präzise zielten. Es galt also, das eigene Gefahrenempfinden zu kalkulieren. Je nachdem, wie Wie haben die politische Opposition und die serbische Zivilgesellschaft ängstlich oder betroffen von potenziellen Luftangriffen man selbst auf die Bombardierungen reagiert? war, variierte auch das Verhalten. Die dritte Phase der Bombardiett Aus Angst vor der Willkürherrschaft der Milošević-Regierung rung war das Warten auf ihr Ende. Ab Mai verschärfte die NATO zogen sie sich mit Beginn der Bombardierung weitgehend ins innoch einmal ihr Vorgehen, es wurde auch über den Einsatz von nere oder äußere Exil zurück. Der serbische Soziologe Božidar Jakšić Bodentruppen diskutiert und die Bombardierungen nahmen an brachte das Dilemma der doppelten Handlungsunfähigkeit auf die Intensität zu. Mitunter lag das gesamte Energienetz lahm und die Formel: »NATO planes in the sky, Milošević on the ground«. Der Menschen waren tagelang ohne Wasser und Strom. Auch immer Fall des am Ostersonntag während der Bombardierung auf offener mehr Söhne kamen nicht mehr aus den Kämpfen im Kosovo zurück. Straße ermordeten regierungskritischen Verlegers Slavko Ćuruvija Es gab Proteste von Angehörigen, die Menschen waren müde und zeigt deutlich, wie akut die Gefahrenlage war. Dennoch gab es resignierten. Der Journalist Aleksandar Ćirić hat das treffend be-

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Jugoslawien

schrieben: »These days, when a Belgrader asked: ›How are you doing?‹, the answer is: ›I’m waiting.‹« In einem Kapitel schreiben Sie über die »Bombardierung als Happening«. Was meinen Sie damit? tt Während manche Personen jede Nacht der dreimonatigen Bombardierung im Luftschutzkeller verbrachten, boten bombenfreie Zeiten anderen eine willkommene Abwechslung. Sie lenkten sich ab, gingen feiern. Die Bombardierung bedeutete insbesondere für die jüngere Generation auch eine entgrenzte Zeit der Gemeinschaft, der Regellosigkeit und eines morbiden Hedonismus. Diesem Drang zu Vergemeinschaftung und Ablenkung machte sich auch Milošević zunutze, indem das Regime tagtäglich Konzerte auf großen Plätzen verschiedener Städte organisierte, die dann aber vor allem zur politischen Inszenierung eines gemeinsamen Widerstands gegen die NATO-Bomben dienten. Mit Zielscheiben, auf denen »TARGET« zu lesen war, versammelten sich die Leute auf den staatlich organisierten Konzerten, auf Plätzen und Brücken und wurden damit – bewusst oder unbewusst – zu »menschlichen Schutzschilden«.

zementiert wurde. Nach der demokratischen Wende bis zum erneuten Kurswechsel 2014 geriet das Gedenken zu Gunsten einer pro-europäischen Orientierung und eines Versöhnungskurses n ­ ahe­zu in Vergessenheit. Das änderte sich 2014 mit der Wiederwahl der Serbischen Fortschrittspartei (SNS) und der Ernennung Aleksandar Vučićs zum Ministerpräsidenten. Der 24. März 2015 ist hier als entscheidende erinnerungspolitische Zäsur zu begreifen. Wieder rückte das Martyrium der serbischen Gesellschaft ins Zentrum der öffentlichen Gedenkpolitik. In meinem Buch spreche ich von der politischen Instrumentalisierung der Bombardierungen als moderner Kosovo-Mythos.

Bei Ihren Schilderungen des »Alltags unter Bomben« musste ich an den aktuellen pandemiebedingten Ausnahmezustand denken. Sehen Sie Parallelen im Umgang mit den Bombardierungen und dem Management der aktuellen Pandemie? Auf jeden Fall! In Hinblick auf die oben beschriebenen Phasen des Umgangs mit einem Ausnahmezustand sehe ich viele Parallelen. In gewisser Weise – und das war für mich eine interessante Erkenntnis – macht es gar keinen so großen Unterschied, ob der Ausnahmezustand durch Bomben oder ein unbekanntes Virus Konnte Milošević von den Bombardierungen politisch profitieren? tt Ja und nein. Zunächst sammelten sich große Teile der Gesellherbeigeführt wird. Entscheidend ist vielmehr, wie die Angst der Menschen vor diesem großen Unbekannten individuell und politisch schaft hinter Milošević. Wenngleich dies nicht unbedingt aus gehandhabt wird. Umso mehr Wissen über die Gefahrenlage vorÜberzeugung für das Regime geschah, so mobilisierte dieser Krieg, handen ist, umso besser können wir uns der wie es Kriege stets tun, einen starken Patriotis­ neuen Situation anpassen. Die Soziologin mus innerhalb der Gesellschaft. Der Wunsch Vuč ić nutzt nun die Coronanach Vergemeinschaftung der Menschen ­Teresa Koloma Beck beschreibt das als Rekonfiguration einer neuen Normalität, in der angesichts einer Situation, der sich die meisKrise zum Machterhalt wir neben den destruktiven Dimensionen ten absolut hilflos gegenübersahen, wurde des Krieges – der Zerstörung von Körpern, von Milošević genutzt, um seinen Rückhalt Leben und Strukturen –, auch die produktiven und kreativen Fain der Gesellschaft nach außen hin sichtbar zu machen. Die oben beschriebenen sogenannten ›Antikriegskonzerte‹ dienten dafür cetten erkennen und uns in diesem neuen Alltag der Ausnahme einrichten. Zuletzt folgt dann die Phase der Ermüdung und des zunächst als ideale Plattform, wenngleich viele Menschen schon Wartens auf ein Ende des Ausnahmezustands. Da sind wir gerade. bald fernblieben, da das musikalische Rahmenprogramm immer mehr hinter die propagandistischen Botschaften zurücktrat. Wie wirkt sich die Pandemie auf die aktuelle Politik in Serbien aus? Milošević profitierte also kurzfristig von der NATO-Intervention, aber der Effekt verflüchtigte sich mit dem Fortschreiten der Bomtt Südosteuropa ist von der Corona-Pandemie aufgrund schlechter medizinische Infrastruktur stark betroffen. Am 24. März 2020, bardierung. Das Ende des Kosovokrieges am 9. Juni 1999 brachte dem jährlichen Gedenktag an die NATO-Bombardierung, titelte dann auch nur wenig Erleichterung. Das Land war zerstört, verdie größte serbische Tageszeitung Politika: »Strah od bombi zameschuldet, verschrien. Mit dieser sehr düsteren Bilanz formierte sich nila korona« (Die Angst vor Bomben ersetzt durch Corona). Das dann erneuter Protest, der im Sommer 2000 unter der allgegenwärtigen Faust der Otpor!-Bewegung (siehe iz3w 382) die entist genau das, was ich meine – es geht um den Umgang mit der Angst, individuell und gesellschaftlich. Anders als damals ist die scheidende Schlagkraft entwickelte, um einen politischen Wandel Gemeinschaft aber nicht Trost, sondern die potenzielle Gefahrenherbeizuführen. Natürlich lässt sich nur darüber spekulieren, inquelle. Das macht das Erleben und Überleben des Ausnahmezuwiefern die NATO-Bombardierung der entscheidende Tropfen war, standes so viel schwieriger. Politisch sehen wir in Serbien auch der das Fass zum Überlaufen brachte, oder ob es auch unter angerade die Reaktivierung bekannter Freund- und Feindbilder. So deren Vorzeichen einen Machtwechsel gegeben hätte. sind es die orthodoxen ‚Bruderstaaten‘ China und Russland, die in Seit 2014 ist der Populist Aleksandar Vučić serbischer Präsident. Er der Krise helfen und deren Impfstoff man eher vertraut als dem fungierte unter Milošević als Informationsminister und war während europäischen Markt. Vor noch nicht allzu langer Zeit demonstrierte die Protestbewegung »Einer von fünf Millionen« gegen die der Bombardierung für die Regierungspropaganda zuständig. Wie anhaltende politische Rechtsverschiebung. Vučić nutzt nun die haben sich die serbische Gesellschaft und die Erinnerungspolitik in Corona-Krise, um die eigene Macht zu sichern und zu erweitern. seiner Regierungszeit verändert? tt Die serbische Erinnerungspolitik lässt sich grob in drei Phasen Das sehen wir etwa in Hinblick auf die immer kritischere Situation einteilen: Da ist zunächst die Nachkriegsphase bis zum Sturz von unabhängiger serbischer Medien. Milošević im Oktober 2000, in der das hegemoniale Narrativ einer heldenhaften Verteidigung der serbischen Gesellschaft gegen die tt Das Interview führte Felix Schilk. Übermacht der NATO am 24. März in Form eines Gedenktages

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Protest für Gleichberechtigung in Sarajevo 2017 | Foto: Sarajevski Otvoreni Centar

»Heute gibt es viele, die den Kampf auf sich nehmen« Interview mit der LGBTIQ-Organisation Sarajevski Otvoreni Centar Sarajevski Otvoreni Centar (Sarajevo Open Centre, SOC) ist eine feministische Organisation aus Sarajevo, die sich seit etwa zehn Jahren für die Rechte von LGBTIQ (lesbians, gays, bisexual, transgender, intersex)-Personen einsetzt und unter anderem die erste Pride-Parade in Sarajevo 2019 mitorganisiert hat.

iz3w: Wie genau sieht eure Arbeit aus?

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SOC: Wir arbeiten direkt mit und für die LGBTIQ-Gemeinschaft, indem wir psychologische und rechtliche Beratung zur Verfügung stellen. Wir bauen die LGBTIQ-Bewegung weiter auf und setzen uns für Gesetze ein, die die Rechte von LGBTIQ-Menschen schützen. Ein besonderer Teil unserer Arbeit widmet sich der Sensibilisierung und Weiterbildung von Staatsakteur*innen hinsichtlich der Rechte und Anliegen von LGBTIQ-Personen. Wir arbeiten zusammen mit der Polizei, Sozialarbeiter*innen, Angestellten im öffentlichen Dienst und gewählten Politiker*innen mit einem klaren Ziel: Wir wollen sicherstellen, dass jeder positive Wandel, den wir herbeigeführt haben, auch in rechtlicher und politischer Hinsicht umgesetzt wird. Der vermutlich sichtbarste Teil unserer Arbeit zielt darauf, öffentliches Verständnis für unsere LGBTIQ-Identitäten, Lebensform und Subkulturen zu schaffen. Daran arbeiten wir in den letzten zehn Jahren mit Kampagnen, Festivals und Kunst.

Was sind die größten Herausforderungen, denen ihr euch gegenüberseht? tt Es gibt viele Hürden bei der Arbeit, die wir bewältigen: von homophoben und transphoben Einstellungen bis hin zu dem lähmenden Gefühl, viel zu wenig verändern zu können, vor allem nicht durch Aktivismus aus der Zivilgesellschaft. Aber wir waren uns all dieser Aspekte von Anfang an bewusst und haben das in unsere strategischen Überlegungen einbezogen. Grundlegend sieht ein typischer Tag bei uns genau so aus: mit all diesen Herausforderungen zu jonglieren. Auf der einen Seite müssen wir uns um die individuellen Bedürfnisse in unserer Gemeinschaft kümmern, auf der anderen Seite aber auch aktiv sein und politisch Einfluss nehmen. In Jugoslawien war es um Frauenrechte gut bestellt, viele Gesetze waren im Vergleich zu anderen europäischen Ländern progressiv. So war Vergewaltigung in der Ehe bereits in den 1970er-Jahren ein Straftatbestand, Frauen konnten ihren Namen bei einer Heirat schon in den 1960er-Jahren selbst wählen und viele Frauen hatten Arbeitsverträge. Hat das, gerade bei der älteren Bevölkerung, Spuren hinterlassen in Hinsicht auf Feminismus und Frauenrechte? tt Das hat es auf jeden Fall! Ein halbes Jahrhundert Emanzipation hat das Leben von so vielen Frauen in vielerlei Hinsicht verbessert. Aber es gab natürlich auch Grenzen. In der privaten Sphäre gab es sehr stark das, was wir heute als »gläserne Decken« bezeichnen.

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Jugoslawien

Sie begrenzten und verhinderten die volle Partizipation von Frauen In Bosnien hatten die meisten heterosexuellen Cis-Personen nie am öffentlichen Leben. Und es gab weiterhin viel Sexismus. Jugodie Gelegenheit, Menschen der LGBTIQ-Gemeinschaft kennenslawische Filme und andere Kulturgüter aus dieser Zeit sind oft sehr zulernen, die offen diesen Teil ihrer Identität lebten. Die Repräschlecht gealtert. Sie sind grässlich, wenn man sie heute mit femisentation von LGBTIQ-Personen, oder vielmehr das Fehlen einer nistischem Blick betrachtet. adäquaten Repräsentation ist ein großes Problem. Ebenso die negativen Stereotypen im Mainstream-Diskurs, die sich scheinbar Es ist jedoch erschreckend zu sehen, wie der gewaltvolle Zerfall Jugoslawiens, sowie der lange ökonomische und kulturelle Abstieg immer wieder vervielfachen. Gegen diese Vorurteile anzukommen die erreichten Fortschritte ins Gegenteil verkehrt hat. Es war wie ist sehr schwierig – insbesondere, wenn Teile der Gesellschaft ein eine Rückkehr in die dunklen Zeiten: Interesse daran haben, sie aufrecht­ Nationalismus, Konservativismus und zuerhalten und zu verstärken. Gemäß Unsere Arbeit hat die Anliegen von Traditionalismus gewannen die Oberdiesen Vorurteilen gelten LGBTIQhand. Manchmal fragt man sich, was Personen leider immer noch als ‚krank‘ LGBTIQ-Personen populär gemacht ohne die Kriege alles möglich gewesen und ‚unnatürlich‘. Diese falsche Darwäre, wenn der Anfangspunkt unserer stellung hat die Kraft, die betreffenden Menschen zu Sündenböcken zu machen, die im politischen RänKämpfe der Status Quo aus Jugoslawien gewesen wäre. Anstatt an kespiel in Bosnien missbraucht werden. Traumata von so viele Frauen (und Männern), hätten wir bei wirklich gleichen Rechten für alle ansetzen können. Wir hätten ein Vorbild für andere sein können. Doch nun sind wir hier. Kann eure Arbeit und die anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen dieser Entwicklung etwas entgegensetzen? In der internationalen Berichterstattung über Bosnien nach dem Krieg tt Natürlich, wir konnten das Bild der LGBTIQ-Gemeinschaft in wurden bosnische Frauen oft auf eines von zwei Bildern reduziert: den Augen der breiten Öffentlichkeit vermenschlichen. Wir konnEntweder die verzweifelte muslimische Frau, die mit ihren Kindern vor ten den konservativen Kräften, die ein Interesse daran haben die ethni­scher Säuberung flieht, oder das Opfer sexualisierter Kriegsgewalt. aktuelle politische Situation zu bewahren, etwas von ihrer Kraft Wie hat sich die Wahrnehmung von Frauen im Laufe der Zeit verändert nehmen. Sämtliche politische Akteur*innen, über die gesamte und was konnte getan werden, um Frauen von diesem Image zu beBandbreite des politischen Spektrums, reproduzieren sehr konfreien? servativen Werte und traditionelle Normen. Die vergangene Pride tt Das war und ist immer noch Teil unserer Realität. Dieses Bild stellt sich gegen diese konservativen Bemühungen, macht laut repräsentiert Frauen, die unvorstellbare Traumata überlebt und auf die negativen Effekte von Gewalt Ungleichheit aufmerksam selten Gerechtigkeit und Unterstützung erfahren haben. Es ist und zeigt, dass Familie und Identität auf anderen Säulen als Heschrecklich, wenn diese Frauen im politischen Diskurs instrumenteronormativität und Patriarchat aufbauen können: auf Verständtalisiert werden, um das Bild eines unterentwickelten und rücknis, Liebe und Respekt. wärtsgewandten Bosnien-Herzegowina zu zeichnen. In Bosnien werden diese Bilder auch oft genutzt, um nationalistischen Hass Was waren die schönsten und lohnendsten Momente während der letzten Jahre, bei denen ihr euch dachtet »Deshalb ist unsere Arbeit zu schüren. Es gibt mittlerweile viele Feministinnen, die Frauen wichtig«? neue Gesichter verleihen, etwa die Plattform Sve su to vještice (It‘s tt Innerhalb der letzten zehn Jahre haben wir einiges erreicht. Da all Witches) oder die lokale Nisam tražila (MeToo)-Initiative. Aber ist etwa die Einführung von Antidiskriminierungs- und Strafgesetwir schämen uns auch nicht für irgendeine Art von Kriegsbildern zen zum Schutz von LGBTIQ-Personen. Oder da sind Fortschritte – sie gehören ebenso zu unserer Realität und sollten nicht von den bei Staatsbeamt*innen, die langsam aber sicher LGBTIQ-PerspekBildern junger, erfolgreicher und glücklicher Frauen ohne Trauma tiven in die Entwicklung von Menschenrechtsgesetzen und öfersetzt werden. fentlichen Programme einbeziehen. Die LGBTIQ-Bewegung und 2008 gab es einen Angriff auf die Eröffnung des Queer Sarajevo Festiihre Verbündeten sind mittlerweile eine politische Kraft. vals, bei dem acht Personen verletzt wurden. Am 8. September 2019 Unser größter Erfolg ist, dass unsere Arbeit für die Rechte und fand die erste Sarajevo Pride statt. Was hat sich in den Jahren dazwiAnliegen von LGBTIQ-Personen Türen geöffnet und diese ­Kämpfe schen verändert? Wie präsent waren die Ereignisse von 2008 noch ,populär’ gemacht hat. Dies ist einer der offensichtlichsten Indiwährend der Durchführung der Sarajevo Pride? katoren für den Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung. Der tt In unserem Gespräch geht es viel um Trauma. Das Queer Sarawiderstandsfähige Ansatz des SOC hat es möglich gemacht, die jevo Festival war ein traumatisches Erlebnis für die LGBTIQ-Beweanfänglichen Hindernisse im Kampf für die LGBTI-Gleichstellung gung und unsere Rolle war es, der Bewegung und ihren Mitgliedern für die neue und nächste Generation von Aktivist*innen zu bedanach wieder ein Gefühl von Stärke, Stolz und Kraft zu vermitteln. seitigen. Vor zehn Jahren war das SOC nahezu die einzige OrgaDas haben wir mit der Pride-Parade geschafft. Trotz schmerzhafter nisation, die sich für diese Themen einsetzte. Heute gibt es sehr viele Einzelpersonen, zivilgesellschaftliche Organisationen und Momente und Stunden, die unsere Arbeit, unsere Vorbereitungen informelle Gruppen, die Teile dieses Kampfes auf sich nehmen. und unsere Beharrlichkeit auf die Probe gestellt haben, konnten wir eine erfolgreiche und friedliche Pride organisieren. Mit der zunehmenden Sichtbarkeit von LGBTIQ-Aktivismus werden die Protagonist*innen auch angreifbarer. Wo erfahrt ihr den stärksten Widerstand gegen eure Arbeit und wie versucht ihr damit umzugehen?

Das Interview führten Hannah Lilje und Larissa Schober (iz3w). Übersetzung aus dem Englischen: Hannah Lilje tt

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ISSN 1614-0095

t iz3w Kronenstraße 16a 79100 Freiburg www.iz3w.org

LE ZEITUNG für Weltpolitik Deutsche Ausgabe Deutsche Ausgabe Juli 2020 07/26. Jahrgang Deutschland: 4,70 EUR Ausland: 5,00 EUR

Minneapolis

Black Lives Matter

Airbus

Yucatán

Seltene Erden

hat ein liberales Image, dennoch grassiert auch hier der Rassismus. Richard Keiser über Ungleichheit und Polizeigewalt

Adam Shatz über Trumps Krieg gegen die USA und wie die neue Protestbewegung das weiße Amerika herausfordert

am Boden: Philippe Descamps über Flugscham, die Folgen der Pandemie für die Luftfahrt und die Chancen fürs Klima

wird für den Massentourismus erschlossen – per Eisenbahn. Dawn Marie Paley über Mexikos strittiges Großprojekt Tren Maya

stecken in jedem Smartphone. Camille Bortolini über Chinas Monopol und dessen Rolle im Handelskrieg gegen die USA

▶ S. 5

▶ S. 6/7

▶ S. 10/11

▶ S. 12/13

▶ S. 16

3 Mona te für 7,50 €*

Bolsonaro, das Virus und die Demokratie von André Singer

(zur Künstlerin siehe Seite 3)

Unter Verdacht

Frankreichs Polizei bekommt immer mehr Macht von Laurent Bonelli

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ie Bilder vom Todeskampf des George Floyd haben eine weltweite und anhaltende Protestwelle gegen Polizeigewalt ausgelöst. Floyd wurde am 25. Mai in Minneapolis im Bundesstaat Minnesota von einem Polizisten erstickt, während andere Polizisten ungerührt zusahen. Hunderttausende gingen in den USA auf die Straße, um mit Nachdruck, manchmal auch mit Gewalt, die diskriminierende Behandlung von Schwarzen und People of Color (PoC) durch die Ordnungskräfte anzuprangern. Wenige Tage später folgten in Paris und anderen französischen Städten Zehntausende dem Aufruf des Komitees „Wahrheit und Gerechtigkeit für Adama Traoré“, benannt nach einem jungen Mann, der im Juli 2016 nach seiner gewaltsamen Verhaftung durch die Polizei gestorben war. Neben einfachen Bürgern demonstrierten hochrangige Politiker; auch Film-, Fußball- und Musikstars unterstützten die Bewegung. Frankreichs Innenminister Christophe Castaner sah sich veranlasst, die Praxis des Polizeiwürgegriffs infrage zu stellen, und ließ sich das Versprechen abnötigen, es werde künftig „null Toleranz“ für Rassismus in der Polizei geben, was wiederum Proteste der Polizisten zur Folge hatte, die sich ungerecht behandelt fühlten. Das Ausmaß der Empörung und ihr Echo in Politik und Medien unterscheidet sich deutlich von früheren Protesten gegen Polizeigewalt. Youssef Khaïf, Lamine Dieng, Wissam El-Yamni, Ibrahima Bah, Zyed Benna, Bouna Traoré, Allan Lambin, Amine Bentounsi und viele andere – die Liste der jungen Männer, an deren Tod die Ordnungskräfte

direkt oder indirekt beteiligt waren, ist lang. Die Website bastamag.net zählt 676 von der Polizei getötete Personen für die Zeit von Januar 1977 bis Dezember 2019, das sind im Durchschnitt 16 pro Jahr. Die Hälfte von ihnen war unter 26, fast die Hälfte der Fälle betrafen den Großraum Paris und die Ballungsgebiete Lyon und Marseille.1 Die Reaktionen auf solche Dramen sind immer die gleichen: Ein paar Nächte lang brennt das Viertel, aus dem das Opfer stammte, die Angehörigen organisieren lokale Demonstrationen, dann beginnen langjährige juristische Kämpfe der Familien, unterstützt von einigen hartnäckigen Aktivisten, die nur selten zur Verurteilung der Beschuldigten führen. Bis vor Kurzem blieb jedes Bemühen, diesen Protesten ein breiteres Fundament zu geben, fruchtlos. Der Einsatz für diese Sache ist unpopulär, weil die Opfer der Polizeigewalt meistens schon vorher einmal Ärger mit der Polizei gehabt hatten. Die daraus folgende Abwertung durch die Behörden, aber auch die genüssliche Präsentation eventueller Vorstrafen durch die Presse wecken Zweifel am Ablauf der Ereignisse und stärken die Darstellung der Polizei. Sie erschweren auch das Engagement linker Parteien oder Gewerkschaften, die historisch zwar sehr sensibel für die Unterdrückung der Arbeiterklasse sind, sich aber mit denjenigen schwertun, die sich nicht in die Lohnordnung fügen: ebenjenen, die man früher „Lumpenproletariat“ nannte. Hinzu kommt die seit Jahrzehnten wachsende Distanz zwischen diesen Organisationen und

▶ Fortsetzung auf Seite 8

lamentarische Kräfte umgesetzt. Also keine Panzer auf der Straße und keine m 31. Mai verließ Präsident Militärjunta, die mit Gewalt die Macht Bolsonaro ro seinen sei Amtssitz, übernimmt. um sich auf einem ei Pferd der Verfassungsrichter V Ver fassungsrichter Rassismus Militärpolizei tärpoliz (Polícia tärpolizei als MiliWährungshüter: Frédéric plus Verarmung: V rarmung: Thomas Frank Ve Gouverneure Lordon über den Streit um die über den asymmetrischen tar, PM) einer Kundgebung ndge ndgebung gegen den widersetzen sich Brasília EZB, Karlsruhes Anmaßungen Lockdown und die zweite Nationalkongress und un nd den obersten und die Zukunft der EU Große Depression in den USA Gerichtshof anzuschließen. hließen. Die Legis- Bolsonaro hat offensichtlich beschlos▶ S. 3/4 / /4 ▶ S. 10 lative und die höchste hste ju juristische Ins- sen, den aus der Pandemie folgenden tanz des Landes sollten, so die Forde- Notstand zu nutzen, um den Abbau der Audun Alvestad Alve ve v stad rung der Demonstranten auf dem Platz Demokratie zu beschleunigen. Wähder drei Gewalten, mithilfe mithilf des Militärs rend andere Staatschefs mit diktato„auf Linie“ gebracht werden. w Es war be- rischen Ambitionen Ausgangssperren reits die vierte Demonstration Demons dieser verhängten, um der Bevölkerung ihre Art, seit die von Bolsonaro heftig kri- Macht zu demonstrieren, präsentierte der brasilianische Präsident sein tisierte Weltgesundheitsorganisation ltgesundhe ltgesundheit (WHO) am 11. März 2020 Covid-19 zur den Empfehlungen der Wissenschaft entgegengesetztes Vorgehen als einen Pandemie erklärt hatte. Auch wenn der ehemalige eh Fall- Kampf, der die Hinwendung zum Auschirmjäger Bolsonaro Bolsona nur ein einfa- toritären rechtfertigte. ches blaues Hemd trug ug und auf jegliche Inspiriert von seinem Vorbild, dem militärische Orden verzichtete, e erzic erinner- US-Präsidenten Donald Trump, stite sein Auftritt hoch zu Ross Ro fatal an die lisierte sich Bolsonaro sehr früh als Reiterporträts des italienischen alienisc Dikta- Verfechter der persönlichen Freiheit. tors Mussolini, von dem der brasiliani- Während die Gouverneure mehrerer Strangers in the park, 2019, Acryl auf Papier, r 32 x 24 cm r, sche Präsident wenig nig später folgendes brasilianischer Bundesstaaten die Be(zum Künstler siehe Seite 3) Zitat auf seiner Facebook-Seite book-Se postete: völkerung mit Unterstützung des Na„Lieber einen Tag als Lö Löwe denn hun- tionalkongresses und des obersten Ge1 dert Tage als Lamm leben.“ le leben. richtshofs dazu aufforderten, zu Hause Dies ist nur ein Beispiel B Beispie für Brasi- zu bleiben, propagierte Bolsonaro das genaue ma in denDie liens politisches Klima ersten aktuelle Ölkris Ölkrise riGegenteil. ris e und die Zukunft Zukunf unft unf ft der Op Opec O ec

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Billiger als Regen von Sadek Boussena

D Knapp und nd umkämpft

er 21. April 2020 dürfte in die Geschichte eingehen – als der Ta T g, an dem das Tag, „schwarze Gold“ billiger war als Regenwasser. r An der New Yorker r. Y ker Yor Rohstoffbörse ff ffbörse wurde das Barrel Wes W Westt Texas Intermediate bei Tagess Tagesschluss T chluss am Terminmarkt zum Negativpreis von miEin Viertel der Mensc Me Menschheit ist von Wasserknappheit nus 37,63 Dollar gehandelt. W Wegen der Coronapandemie ist derd wi dte bedroht. Großstädte wie São Paulo oder Kapstadt zeit die halbe Menschheit in ihrer Mourz vvor dembilität standen schon kurz „Day Zero“. Und Europa eingeschränkt. Die Erdölnachfrage liegt am Boden; aus Pipelines und e K er erlebt im Zuge der Klimakrise zwei Dürresommer Tankern fließt das überschüssige Öl in Speichertanks, die bald nichts ht w ht’s in Folge. Wie geht’s weiter mit dem Element, dasmehr aufnehmen können. Auf den Finanzw zum Luxusgut zu wer werden droht? märkten wissen die Ölpreisspekulanten nicht, wohin mit ihrem Rohöl. Ihre verzweife verzweifelte f lte Suche nach Abnehmern fe ging Mitte April deshalb so weit, dass sie ihnen Geld bezahlten, wenn sie ihr Öl kauften. Diese nie dagewesene Situation ist mindestens so erstaunlich wie die Kette von Ereignissen, die ihr vorausging. Alles fi ffing ng mit dem Kollaps der Ölnachfrage an. Dieser Kollaps war für einen shop@taz.de •T (030) (030 25 259 02 - 138 Markt, auf dem die Turb T Turbulenzen ulenzen normalerweise von der Angebotsseite ausgehen, ein ungewohnter Schock. Zu allem Überfl Überfluss fl f uss zettelte Saudi-Arabien mitten in der globalen Pandemie einen Preiskrieg an: Am 6. März gab Riad bekannt, dass das Land seine Preise senken und im April seine Exportmenge erhöhen wolle. Die USA waren von diesem Schritt,

monde-diplomatique.de/wasser o om

Regierung eigentlich nicht form fformell ell am Markt intervenieren. Angesichts der gravierenden Lage und der bevorstehenden Wahlen W schaltete der US-Präsident sich trotzdem persönlich in die Krisenbewältigung ein. Nachdem Donald Trump T ump den SauTr dis zunächst mit Sanktionen gedroht hatte, nahm er schnellstens Verb V Verbindung indung zu seinen Partnern in Riad auf; ebenso wie zu Russland, einem strategischen Washingtons. Feind Wa W shingtons. Am 12. April verständigte sich das ad hoc zusammengerufene f fene „Erdöl-T -Tr -T Triumvirat“ nach in„Erdöl-Triumvirat“ fformellen form ellen Gesprächen auf eine – historisch ebenfalls einmalige – Drosselung der Fördermenge um 9,7 Millionen BarT rel pro Ta Tag, g, was beinahe 10 Prozent der Weltproduktion W We ltproduktion entspricht. Die Einigung, die Trump T ump in einem Tr Tweet T Tw eet als „Big Oil Deal“ lobte, wurde bereits tags darauf von den G20-Staaten gebilligt – darunter wichtige Ölimporteure wie China, Indien und einige EUStaaten, die ein Interesse an niedrigen Preisen haben. Noch vor wenigen Wo W Wo-chen wäre eine solche Entwicklung unvorstellbar gewesen. Welche W lche Tendenzen We treten hier zutage, und welche Verände V Verände-rungen im weltweiten Ölmarktgefüge kündigen sich darin an? Erstens: Diese Krise beweist einmal mehr, r dass der Organisation erdölexr, portierender Länder (Opec) ihre Führungsrolle immer mehr entgleitet. Saudi-Arabien hielt es vor seiner Preisattacke nicht einmal für nötig, die zwölf

zeigen, dass es in den Krankenhäusern noch leere Betten gab; und er ignorierte sämtliche Informationen über die Verbreitung der Pandemie. Mit anderen Worten: Er richtete ein Praxistest Oman tödliches Chaos im Gesundheitswesen ffürr eine We fü W Welt lt ohne Kontakt: und der Krieg im Jemen: Julien BrygoJuni über Corona Sebastian tägCastelier und Quentin an. Mitte starben in Brasilien undetwa die totale Digitalisierung über humanitäre Hilfe f fe lich 1200 Menschen anMüller Covid-19, der französischen Gesellschaft f agwürdige Neutralität fr und fragwürdige während es in Argentinien nur 30 Tote ▶ S. 12/13 ▶ S. 17 1 pro Tag gab (die argentinische Bevölkerung beträgt ein Fünftel der brasilianischen). Mit 57 622 Covid-19-Toten (Stand: 29. Juni) folgt Brasilien gleich auf die USA, die mit 125 803 Toten die weltweite Statistik der Johns-HopkinsUniversität anführen – und keiner weiß, ob der Höhepunkt der Pandemie von Philip S. Golub ist. bereits erreicht Wie konnte Bolsonaro seinen prohervorgesie aus dieser Probe gestärkt hervorge Die weltweite ökonomische ökonomis mis mi che he Krise, Krise tofaschistischen Reiterumzug überhen, denn die anderen VolkswirtschafVolk V swirtschaf haf durch Coronapandemie die durc r h die Coron rc ron r ap a andemie ten werden vermutlich sehr viel mehr hr haupt durchsetzen? Zunächst einmal ausgelöst wurde, ausg sge sg gelöst wurd rd r e, könnte die on unktur zu unter der ungünstigen Konjunktur Konj onj mit Dreistigkeit. einess neuen,, bipolaren Entstehung hung hung eine bipolare bi r n leiden haben.“ re ging es um eine Analyse Ende April entließ er den Braudel Minister Gleichgewichts Gleichg hge hg gewichts zwischen den USA US der langsamen Bewegungen der De De-für undeunig öffentliche Sicherheit, und beschleunigen. dJustiz China beschleunig euni gen. ge zentralisierung und Neuausrichtung ung im europäischen Wirtschaft Wirtschaftsraum haft haf sraum se seit it Auch wenn sie nicht einem für seinen komeSérgio Moro, derzueinst dem 14. Jahrhundert und in der kapikapigrundlegenden Wandel g undleg gr egen eg genden W ndel dergesorgt talistischen Wa tenhaften Aufstieg hatte: Der W We Weltwirtschaft ltwirtschaft im 19. und Jahrhundert. In beiden Epochen hen gglobalen gl obalen Machtverteilung teilung teilung führt. führt. füh t. t und20. frühere Bundesrichter Leiter der wurden diese Bewegungen ihm zufolge folge folge durch „langanhaltende Krisen der allall„Operação Lava Jato“ (Operation Autoer französische Historiker gemeinen Ökonomie“ verursacht. Sein n waschanlage) der hielt SchmiergeldaffäFernand in Braudel im Urteil hat bis heute Bestand. Während ährend Finanzkrise von 2008 ist AprilOdebrecht-Konzern 1976 drei Vorles V un- der globalen Vorlesunre um den hat im

Die neue W We ltordnung Weltordnung

D

gen an der Johns Hopkins University in Baltimore, in denen er dreibändiges auf sein Opus Seite magnum Fortsetzung 4 über die „Sozialgeschichte des 15.– 18. Jahrhunderts“ skizzierte, das drei Jahre später erscheinen sollte. In der dritten Vorlesung V „Die Zeitlichkeit der Welt“ W We lt“ heißt es: „Eine anhaltende Krise ist eine Probe, welche die Starken bestehen, während die Schwachen daran scheitern.“1 „Das Zentrum“ breche also nicht bei jeder Schwierigkeit zusammen, so Braudel. Im Gegenteil: Die Krisen des 17. Jahrhunderts hätten in der Regel die Stellung Amsterdams noch weiter gefestigt. gefesti festi f gt. Und auf seine eigene Gegenwart bezogen, hielt Braudel fest: f „Seit einigen Jahren erleben wir eine weltweite Krise, die schwer und möglicherweise von Dauer ist. Sollte New York Y diese Probe nicht bestehen – was ich persönlich bezweifle –, so müßte sich die We W Welt lt ein neues Zentrum suchen f nden; falls dagegen die VereiV eioder erfinden; erfi fi Ver nigten Staaten erfolgr erfolgreich f folgr eich Widerstand leisten – wofür alles spricht –, können

das Zentrum jedenfalls nicht implo implomplodiert, auch wenn die Ver V Vereinigten einigten Staa Staaaa Welt bereits ten, deren Autorität in der We W lt bereit ts durch die Kriege der 2000er Jahre gelitgelit lit ten hatte, geschwächt aus ihr hervor hervororgingen. ANZEIGE

Produktionsstopp und eingebrochene Nachfrage Nachfr f age fr Gibt es Anlass zur Vermu V Vermutung, tung, dass es diesmal anders sein könnte? Dass die Coronapandemie die USA als Zentrum um in die Knie zwingt und China mit sei seiiner gelenkten Volkswirtschaft Volk V swirtschaft von die dieser beispiellosen Krise profitiert? Ange Angesichts des Versagens V der US-Regierung ung und der off of offensichtlichen fensichtlichen Defizite des fensi Wirtschaftsamerikanischen Wirtschaft haf s- und Sohaft So zialsystems sagen einige Beobachter hter genau das voraus. Die Krise könnte in der Tat das Ent Entstehen eines neuen Ost-West Ost-West-GleichgeW -Gleichge West hge wichts beschleunigen, doch die jeweijeweiiligen Stärken und Schwächen der USA und Chinas lassen keine komplette omplette Verschiebung V Vers chiebung des Zentrums erwarten. ten.

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Knapp und umkämpft

Ein Viertel der Menschheit ist von Wa W Wasserknappheit sserknappheit bedroht. Großstädte wie São Paulo oder Kapstadt standen schon kurz vor dem „Day ay a Zero“. Und Europa erlebt im Zuge der Klimakrise zwei Dürresommer in Folge. Wie geht’s weiter mit dem Element, das zum Luxusgut zu werden droht?

Srebrenica

und kein Ende: Meta Krese über das Massaker von 1995 und die andauernde Flüchtlingsexistenz der Überlebenden ▶ S. 20/21

14:31

taz-WLAN Viel wahrscheinlicher ist eine Umstrukturierung des globalisierten kapitalistischen Systems mit einer stärkeren Zersplitterung und wachsenden Rivalitäten. Der globale wirtschaftliche Einbruch, der durch die Coronapandemie ausgelöst wurde, fiel umso heftiger aus, weil er so plötzlich kam – und weil er sowohl die Angebots- wie auch die Nachfrageseite betraf: Wurden zunächst die Produktionsketten unterbrochen, die seit Ende der 1980er Jahre die kapitalistische Wirtschaft charakterisieren, brach wenig später auch die allgemeine Nachfrage ein, als die großen Volkswirtschaften weitgehend zum Stillstand kamen. Immerhin galten für mehr als 4 Milliarden Menschen auf der Welt in der einen oder anderen Form Ausgangsbeschränkungen. Die kommende globale Depression verspricht lang und tief zu werden. Dass dieser Schock weltweite Auswirkungen hat, ist durch die starke Verflechtung der Volkswirtschaften zu erklären. Globale Produktions- und Wertschöpfungsketten gehen einher mit der transnationalen Segmentierung der verschiedenen Produktionsstufen: Forschung und Entwicklung, Design, Rohstoffgewinnung, Herstellung der Vorprodukte oder Montage finden jeweils dort statt, wo sich im internationalen Wettbewerb Standortvorteile ergeben. Apple ist ein typisches Beispiel dafür. Das Unternehmen bezieht seine Produkte von 200 großen Zulieferern in 24 Ländern, von denen die meisten in China (39 Prozent), Taiwan und Südostasien (23 Prozent) sowie in Japan

Seite

Liberal und rassistisch in Minneapolis Auch nach dem gewaltsamen Tod George Floyds vertraut die Mehrheit der weißen USAmerikaner der Polizei – denn die sichert deren Privilegien

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und Vertriebs-GmbH • Friedrichstraße 21 • 10969 Berlin

Austellungsansicht, 2020, Mewo Kunsthalle Memmingen

In der Pandemie folgt olg lg lgt der Zwei Gesundheitsminister hat Boldrei Monaten der Pandemie. Für die Zeit davor scheint es sich im Fall Bol- sonaro schon entlassen, weil sie die s sident brasilianische Präsident seinem sonaro hingegen eher um einen „heim- Analysen der WHO unterstützt hatum Er spielt Vorbild Donald Trump. ump lichen Autoritarismus“ zu handeln. So ten. Am Ende bekam ein General den bezeichnet der marxistische Politologe Posten. Bolsonaro bewarb das Medikadie Gefahr herunter unter und un feuert Deutsche Ausgabe Adam Przeworski die langsame Erosion ment Chloroquin, obwohl dessen Nutalle, die zur Vorsicht h raten. ht r ra der Demokratie2, die sich durch folgen- zen nicht bewiesen war; er besuchte Deutsche Ausgabe Gleichzeitig nutzt er e den de Notstand, de Merkmale auszeichnet: 1. Sie schrei- verschiedene Produktionsstätten und Juni 2020 06/26. Jahrgang voran. 2. Der Rechtsstaat umarmte dort Menschen – ohne GeDeutschland: tet 4,70 allmählich EUR um die Institutionen ne anzugreifen nen an Ausland: 5,00 EUR wird formal anerkannt. 3. Die Umge- sichtsmaske und unter Missachtung und neue Anhängerr zu gewinnen. staltung wird durch gewählte Volks- aller Distanzregeln; er rief seine Anhäntan wächst. tand wä Aber der Widerstand vertreter und nicht durch außerpar- ger dazu auf, Videos zu drehen, um zu

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Çiğdem Aky

Minneapolis, 31. Mai 2020 JOHN MINCHILLO/picture alliance/ap

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