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Euro1 0 ,0 0 $ 9 ,5 0 £ 6 ,5 0 SFR 1 5 ,5 0 ¶ ISBN 978-3-928013-51-2
Edi °r
Jai7in Klassen
1
Grusswort
Rüdiger Nolte Kunst und Marketing
3 —
Wie funktioniert das?
Andrea Lanfer
4
ssikstars und Popkultur
age und Vermarktungsstrategien Ursula Plum hips tanzen Brahms
—
14
Klassik in der Werbung
Priska Schöner
22
ezttpft — Gekratzt — Geklopft
Spiel und Ausdruck in Cellostücken von Lachenmann und Kreidier Philipp Schiemenz
30
Fing rabdruck einer Frau Ein Lied von Maria Pawlowna Romanowa und Liszts h - Moll - Sonate Tibor Szeisz
36
>Denn der Eindruk darf nicht zweifelhaft seyn«
Zur Evolution von Schumanns Sinfonischen Etüden op. 13 hristine Goldstein
44
»Ernst, herzlich, überirdisch, ächt romantisch« ► te Altstimmen von Pauline Viardot-Garcia und AmalieJoachim
Johanna Rothaupt
56
Zwischen Verfolgung und Fügung
Dmitri" gostakovic's »Satiren — Bilder der Vergangenheit« und »Das Lied von den Wäldern« Corinna Mack
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Die Frage, wie sich Kunst finanziert und wovon Kunstschaffende leben sollen,
bleibt aus ästhetischen Diskursen gewöhnlich ausgeklammert. Kunst und Kommerz gelten dort als Antithesen. Trotzdem spielt das Thema auch an unserer Hochschule eine zentrale Rolle. Gleich mehrere Beiträge befassen sich damit.
Mit Empathie öffnet Andrea Lanfer die Welt des Musikmarketings. Wie stark sich inzwischen auch »Klassikstars« mit einem popkulturellen Image vermarkten, zeigt Ursula Plum an exklusiven Beispielen. Dass er einmal für Chips werben würde, hätte Brahms sich gewiss nicht träumen lassen. Priska Schöner führt es vor. Einen anderen Akzent künstlerischen Schaffens thematisiert Corinna Mack. Sie verfolgt §ostakoviCs nicht bloß ästhetische, sondern existentielle Gradwanderung zwischen Verfolgung und Fügung. Johanna Rothaupts Frage nach dem Image der Altstimme ist mit den Biografien zweier berühmter Sängerinnen verknüpft: Pauline Viardot-Garcia und Amalie Joachim. Ein emphatisches Plädoyer für die Auseinandersetzung mit neuer und neuster Musik Verwertbarkeit zu denken)
(ohne gleich an deren kommerzielle
verficht Peter Schiemenz. Tibor Szcisz entdeckt einen intertextuel-
len musikalischen Dialog Liszts mit seiner Weimarer »Chefin« Maria Pawlowna. Auch bei den vielfachen Versuchen, Schumanns Sinfonische Etüden op. 13 in eine ideale Linie zu bringen, geht es zu allererst um die Kunst, wie Christine Goldstein aufrollt. Ob Noten buchstabenadäquate Zeichen seien, musste in einem langen Rechtsstreit im 19. Jahrhundert erst geklärt werden. Hier wurden sie von Wolfgang Wick grafisch umgesetzt. Sie entstammen
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de m (Konzert für 12 Solisten und 1 Dirigenten (1984/85)) VO n
Wolfgang Motz, dem ich sehr herzlich danke. Die Klassik Stiftung Weimar erlaubte großzügig die Abbildung autographer Manuskripte. Ohne die Autorinnen und Autoren gäbe es kein Magazin. Und ohne Susanne Keßler und Martin Danneck wären viele Fehler unentdeckt geblieben. Ihnen gilt daher ebenso ein Riesendank wie den Studierenden der Freien Hochschule für Grafik-Design 8. Bildende Kunst Freiburg, die, begleitet von Wolfgang Wick, die »Artworks« entworfen haben. Mit ihnen allen das neue Heft zu stemmen, war wieder mal eine
(non-profit)
Bereicherung.
Janina Klassen Professorin für Musikwissenschaft
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ee Ein Musik-Studium als Training exzellenter Fingerfertigkeit? In der Freiburger Musikhochschule jedenfalls soll beides stattfinden: praktisches Studium und geregeltes Nachdenken über die Dinge der Musik.
Auch die jüngste Ausgabe des NOTENPAPIER zeigt, in welche Richtungen sich nachdenken lässt. Da findet sich das Ausloten elementarer Spannungen zwischen Kunst und Kommerz, da werden Ton- und Klangdetails des Violoncello untersucht, Motivforschung präsentiert, Zusammenhänge zwischen Musik und Marketing reflektiert und auch die zwischen kompositorischem Schaffen und dem Druck politischer Zwänge. Dass solches Nachdenken in Freiburg möglich ist, verdanken wir den verantwortlichen Lehrenden. Was die Hochschulleitung freut. Denn nach deren Überzeugung sollten Musik Studierende wissen, warum sie was wie spielen. Das mag schlicht und einfach klingen, formuliert aber einen hohen Anspruch. Ich wünsche allen Lesern die überraschenden Erkenntnisse, die mit den Texten angeboten werden. Ich danke allen Autoren dieses NOTENPAPIER und danke Frau Prof. Dr. Klassen für ihre umsichtige und effektive Betreuung. Dr. Rüdiger Nolte
Rektor der Hochschule für Musik Freiburg
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Fo tog ra fie: Ka lle J ipp / p ho tocase. com
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Kunst und 'Ruhting funktioniert das? Andrea Lan fer
Wie kann ein Publikum gewonnen und bei der Stange gehalten werden? Wie werden klassische Musikprojekte vermarktet? Muss Kunst verkäuflich sein und die Programmauswahl dem Publikumsgeschmack angepasst werden? Wie wird sie beworben? Während meines Studiums habe ich gemerkt, dass es für Musiker wichtig ist, schon früh zu lernen, wie man als Künstler an die Öffentlichkeit herantritt und sich vermarktet. Denn dies ist ein existentieller Bestandteil des Musikerdaseins.
Nultururirtschaft in Deutschland e) In Deutschland existiert eine in der Welt einmalige Orchester- und Theaterlandschaft. Selbständige Theater- und Kulturorchester geben jährlich über 5000 Konzerte. Hinzu kommen die vielen Veranstaltungen von Ensembles, die statistisch nicht erfasst sind, sowie Veranstaltungen im privaten Bereich. Allein diese Zahl zeigt, dass Kulturunternehmen und Kulturorganisationen einen wichtigen Teil in unserer Gesellschaft einnehmen. Durch den Inhalt der angebotenen Werke, die verwendete Form, die Intensität ihrer Präsenz sowie die Art, in der sie konsumiert werden sind),
(als Ereignis, an dem wir selbst mitwirken oder als eine Darbietung, bei der wir »nur« Publikum
spiegelt sich unsere kulturelle Identität wider. Der Begriff des Kulturunter-
nehmens im weiten Sinne bezieht sich auf die Medienlandschaft Radio und Printmedien)
(Fernsehen,
sowie auf die gesamte Kultur- und Filmindustrie, Verlagswesen,
Tonträger und Musicals. Im engeren Sinne bedeuten Kulturunternehmen Organisationen, die auf die darstellenden Künste wie Oper, Musik, Tanz sowie auf Visuelles, wie etwa Kunst in Museen und Ausstellungen, spezialisiert sind.
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▪
▪
Die Rolle lies Hünstiers
e Ohne Künstler gäbe es keine Kulturunternehmen. Aus wirtschaftlicher Perspektive sind Künstler kreativ tätige Personen, die auf dem Gebiet der Bildenden Kunst, der Angewandten Kunst, der Darstellenden Kunst und der Musik arbeiten. Man unterscheidet zwischen schaffenden Künstlern wie Choreographen, Komponisten, Malern, Designern usw. und darstellenden Künstlern. Zu ihnen gehören Musiker, Tänzer und Schauspieler. Der Künstler gilt als eine hoch spezialisierte Arbeitskraft (colbert, 5. 4).
formen von Kulturunternehmen Bei allen Unterschieden haben Kulturunternehmen zwei Merkmale gemeinsam: zum einen handeln sie mit dem Produkt eines »kreativen Akts«, zum anderen verleihen sie dem Künstler Bedeutung. Allerdings unterscheiden sie sich stark durch ihre Größe, Funktion und Sparte. Das erste Kriterium ist die Orientierung in Richtung Markt oder in Richtung Produkt. Produktorientierung bedeutet, dass allein aus diesem die Daseinsberechtigung des Unternehmens hervorgeht. Dem gegenüber steht das Unternehmen mit der Marktorientierung. Es richtet sich nach den Anforderungen des Marktes. Zwischen diesen beiden Extremen liegen diverse Mischformen. Als zweites unterscheidet man die Produktionsart der Kunstwerke, das heißt, ob es sich um die »Reproduktion eines Prototyps« oder ob es sich um die »Produktion eines Prototyps« handelt. während die Letztere von Anfang an nicht für die massenhafte Vervielfältigung gedacht ist, zielt die Erstere auf eine Massenproduktion und die gleichzeit ige Existenz vie ler Kopien (colbert, s. 6): Auf der eine Seite finden sich Unternehmen des so genannten »Kunstsektors«. Das bedeutet, sie sind produkt-orientiert, aber ihre Existenzgrundlage liegt auf dem Einzelstück bzw. Original. Dies sind in der Regel kleine Non-Profit-Organisationen. Auf der anderen Seite finden sich die Unternehmen der »Kulturindustrie«, das heißt kommerzielle, die ein Produkt (z.B. cis) reproduzieren. Dazwischen liegen Mischformen, etwa Organisationen, die stark marktorientiert sind aber dennoch einzigartige Produkte erzeugen wie Broadway-Musicals. Weitaus seltener ist der Typus, der produktorientiert handelt, dabei trotzdem Kopien herstellt. Nicht-kommerzielle Labels könnte man hier als Beispiele nennen.
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ee, Marketing bedeutet auf Deutsch »das Absatzwesen«, beinhaltet also die Gesamtheit der Maßnahmen, die unmittelbar auf Verkauf, Vertrieb und Distribution von Gütern gerichtet sind. Die häufige Gleichstellung mit dem Begriff Werbung ist nicht richtig, da Marketing weitaus mehr umfasst. Dazu zählen auch Absatzprozesse wie Planung und
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Analyse sowie Umsetzung und Kontrolle aller Unternehmensaktivitäten. Marketing ist das »Bindeglied zwischen den Bedürfnissen einer Gesellschaft und den industriellen Reaktionen auf diese Bedürfnisse« (Meffert, 5.
31).
Um Marketing erfolgreich betreiben
zu können, folgt es in der Praxis einem bestimmten Aufbau
(Tröndle/Schneidewind, S. 77 ff).
An erster Stelle steht die Definition der Ziele: was soll erreicht werden, in welcher Qualität und Quantität, in welchem Zeitraum usw. Als nächstes erfolgt die Marketinganalyse, die den Ist-Zustand des Markts wiedergibt und in vier Bereiche unterteilt ist: Die Potenzialanalyse untersucht die Leistungsstärke und die vorhandenen Ressourcen. Bei der Umfeldanalyse werden die relevanten Rahmenbedingungen näher betrachtet. Dieses Umfeld wie beispielsweise Staat, Sponsoren, Politiker und Wirtschaft, ist zwar so gut wie nicht beeinflussbar, aber es liefert wichtige Daten über Freizeitverhalten, Lebensstil und das Wertesystem der möglichen Kunden. Es trägt somit zur Einschätzung der Absatzchancen mit bei. Einer der Kernpunkte ist die Nachfrageanalyse. Sie wird häufig auch als Zielgruppenanalyse bezeichnet. Im Visier steht der Kunde. Die Frage lautet, wer sind diese Leute, die das Publikum bilden, was sind ihre Motive, ins Konzert zu kommen, und welche demografischen und soziografischen Merkmale haben sie. Hierzu gehören Kriterien, wie beispielsweise ihr Alter, Geschlecht, Beruf, Bildung oder ihre Herkunft. Die Konkurrenzanalyse beschäftigt sich mit der Frage, wie man sich durch genaue Kenntnis des Marktes von anderen abheben kann. Wie findet man Nischen und besetzt sie oder wie sehen die eigenen Wettbewerbsvorteile aus. Möglicherweise ergeben sich Anregungen und neue Ideen von Konkurrenten, die dann im eigenen Unternehmen eingeführt werden. Diese Strategie wird als Benchmarking bezeichnet
(Schmutz, S. 204).
Mit dem Vorschlag »Kultur für alle« wird die Zielgruppe zu groß und ungenau, so dass sich niemand wirklich angesprochen fühlt. Daher ist es die Aufgabe des Marketingmanagers, Klassifizierungsmerkmale zu finden, um die Zielgruppe einzugrenzen und sie dann genauer ansprechen zu können. Eine Lebensstil-Klassifizierung für Musikprojekte kann folgendermaßen aussehen: 1... Aufstiegsorientierte jüngere Menschen 2... Postmateriell- linksalternativ eingestellte junge Menschen 3... Linksliberale, integrierte Postmaterialisten 4... Unauffällige, eher passive Arbeitnehmer 5... Pflichtorientierte, konventionsbestimmte Arbeitnehmer 6... Aufgeschlossene und anpassungsfähige Normalbürger 7... Gehobene Konservative 8... Integrierte, ältere Menschen 9... Isolierte, ältere Menschen
(Heinrichs, S. 179 f).
Mit diesem Hintergrund können Werbung und Öffentlichkeitsarbeit wesentlich effektiver gestaltet, Kosten gesenkt, zeitgleich aber die Besucherzahlen gesteigert werden.
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Marketing-1111H ke
Kunst des Marketings besteht im besten und effektivsten Marketing-Mix, das
heißt im geschickten Balancieren zwischen den vier Marketinginstrumenten: Produkt-, Distributions-, Kommunikations- und Preispolitik (colbert, s.
21).
Die Komponenten
stehen in einer logischen Reihenfolge. Am Anfang steht die Suche und Auswahl des Produkts, etwa die Wahl eines Musikwerks. In zweiten Schritt geht es um die Verbreitung. In der Kulturbranche kommt der Besucher normalerweise zum Produkt bzw. zur Dienstleistung ( Konzert). Zur Distribution gehört im weiteren Sinne auch der Service: kundenfreundliche Öffnungszeiten, Ansprechpartner bei Problemen, komfortable Kartenbestellung
(beispielsweise online)
oder Absprachen und Kooperationen mit dem öffentlichen Per-
sonennahverkehr. Zur Kommunikationspolitik zählt die Werbung mit drei Komponenten: Plakatierung, Anzeigen und Werbespots. Des Weiteren gibt es kurzfristige, konkret verkaufsfördernde Maßnahmen wie Werbegeschenke, Sonderangebote und Aktionstage. Für die Pressearbeit oder Broschüren ist die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich.
»Ziehen Sie die Aufmerksamkeit der potentiellen Zuschauer auf sich; stellen Sie Name und Profil des Hauses in den Vordergrund der Werbestrategien. Wecken Sie in einem zweiten Schritt das inhaltliche Interesse an Ihrem Haus; berichten Sie von Ihrer Arbeit, von Ihrem künstlerischen Programm. Ihre Botschaft sollte so formuliert sein, dass in dem Adressaten der Wunsch entsteht, das Angebotene selbst zu erleben. Der letzte Schritt impliziert die Aufforderung zum aktiven Handeln« (Müller-Wesemann, S. 41).
Die sich hinter diesen Ausführungen verbergende Strategie der Marketingexperten wird »AIDA Schema« genannt. Es steht für die Schlüsselworte Attention (Aufmerksam-
keit), Interest (Interesse), Desire (Wunsch) und Action (Aktion). In der Realität ist es nach Heinrichs jedoch kaum möglich, Kunden durch eine einzige Werbemaßnahme zu gewinnen.
lion-Profitirganisations »Wie kann man das Publikum zurückgewinnen — und doch nicht zum Quotennarren werden?«
Oörder, in: Die Zeit, 12/2001).
Es herrscht der weit verbreitete Glaube, dass sich
ökonomischer Erfolg und ästhetische Spitzenleistung ausschließen
(Klein, S. 97).
Schließlich steht im Vordergrund der Arbeit öffentlich getragener oder subventionierter Kulturbetriebe stets bestmögliche Realisierung ihrer jeweiligen künstlerischen, ästhetischen, kulturellen, bildungspolitischen und sozialen Emanzipation und die gesellschaftliche Integration durch Kultur und nicht der finanzielle Gewinn. Was sich aber nun genau hinter dieser »Erfüllung eines kulturpolitischen Auftrags« verbirgt, ist juristisch
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gar nicht eindeutig definiert. Meist wird er vom Selbstverständnis Deutschlands als Kulturstaat abgeleitet, von dem viele fälschlicherweise annehmen, er sei im Grundgesetz verankert. Der öffentliche Kulturbetrieb würde die Legitimation der öffentlichen Subventionierungen verlieren, falls er seine Dienstleistungen und Produkte nur an der Nachfrage der Konsumenten orientieren würde. Der Zweck der öffentlichen Kultureinrichtungen wie Theater, Orchester, Museen, Musikschulen lautet »fördern, was es schwer hat«
(Klein, S. 25).
Allerdings kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass diese gewollte Konzentration auf die künstlerische und kulturelle Qualität schon in manchen Bereichen zu einem Rückgang der Zuschauer geführt hat. So läge der Schluss für die öffentlichen Einrichtungen nahe, dass die Qualität eben doch zu hoch für die Zuschauer war. Daher kann man für den Non-Profit-Kulturbereich Besucherorientierung folgendermaßen definieren:
Eine Kultureinrichtung arbeitet dann besucher-/ zuschauer-/ teilnehmerorientiert, wenn sie, im Rahmen ihrer künstlerischen, kulturellen und kulturpolitischen Zielsetzungen und finanziellen Bedingungen, jede Anstrengung unternimmt, Besucher-/ Zuschauer- oder Teilnehmerwünsche und Bedürfnisse wahrzunehmen, zu bedienen und vor allem langfristig zu befriedigen [...] (Klein. S. 26). Um diesem Ideal näher zukommen, gibt es das Guerilla-Marketing
(Carls).
Hinter
dem Begriff verbirgt sich ein innovativer Ansatz, der sich gerade im Non-Profit-Kultursektor durchaus als Lösungsmöglichkeit eignet. Die Strategie besteht darin, mit der Zielgruppe durch kreative, überraschende oder spektakuläre Maßnahmen zu kommunizieren, wobei der Aspekt geringer Kosten von großer Bedeutung ist. Daher wird GuerillaMarketing auch als Low-Budget-Marketing bezeichnet: Etwas Ausgefallenes starten, mit einfachen Mitteln große Wirkung erlangen und Mut zu Neuem und Unkonventionellem haben. Durch die Anwendung von Guerilla-Maßnahmen sollen emotionale Reaktionen hervorgerufen werden, was durch Überraschung, Sympathie oder auch Schockmomente erreicht werden kann. Dies setzt eine intensive Beschäftigung mit dem potentiellen Kunden voraus, um das Projekt auf ihn zuzuschneidern. Eine Guerilla-Marketing Taktik ist etwa die Suche von Schwächen oder Lücken der Konkurrenz, um darauf aufbauend Aktionen zum eigenen Vorteil zu starten. Des Weiteren können kleine Unternehmen
(hier zum Beispiel Ensembles)
eine Nische auf dem
Markt besetzen. Beim Ambient- oder Szenemarketing werden die Zielgruppen an typischen Treffpunkten angesprochen. Durch das Viral-Marketing sollen Informationen durch Mund-zu-Mund-Propaganda oder über E-Mails schnell in der Zielgruppe verbreitet werden. Das Ambush-Marketing, auch als »Schmarotzer-Marketing« bezeichnet, beinhaltet, sich auf Events kommunikativ zu präsentieren, ohne selbst offizieller Sponsor zu sein.
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Das Publikum als Kunde „eke, Wie lässt sich jemand dazu animieren, ein kulturelles Angebot wahrzunehmen? Man kann Menschen nur zu etwas bewegen, wenn man weiß, was sie bewegt. Das heutige Kulturpublikum muss stark motiviert und umworben werden, da es eher passiv ist und erst auf gezielte Angebote reagiert. Daher kommt beim Marketing der Nachfrageanalyse dem Besucher eine besondere Bedeutung zu. Wer sind die Besucher, warum kommen, was wollen und erwarten sie? Es gibt fünf Kriterien, Konsumenten einzuordnen: 1. Die Nicht-Besucher. Zu ihnen gehören all diejenigen, die unter keinen Umständen Kulturangebote nachfragen.
2.
Die Noch-Nicht-, also die potentiellen Besucher. Sie
sollen durch die unterschiedlichen Marketingmethoden angesprochen und so zum Konsum angeregt werden.
3.
Die Nicht-Mehr-Besucher.
Letztere lassen sich noch mal in Untergruppen differenzieren, die die unterschiedlichen Gründe benennen, nämlich
a)
äußere Gründe, wie ein Wohnortwechsel,
b)
Besucher,
die wegen negativer Vorzeichen die Kultureinrichtung verlassen haben. Hierfür kann es verschiedene Anlässe gegeben haben, beispielsweise, dass die Inhalte sie nicht
(mehr)
ansprechen, die Eintrittspreise oder Teilnehmergebühren zu hoch oder die Serviceleistungen zu schlecht sind. Dann c) Besucher, die ohne Negativerfahrung im Guten von der Kulturorganisation geschieden sind. Dies kann aufgrund stark geänderter persönlicher Lebensbedingung sein. Die Erstbesucher
d)
haben den entscheidenden Schritt
»über die Schwelle« getan. Der Kulturorganisation liegt daran, diesen Besucher langfristig zu gewinnen, damit sie
e) zu
Stammbesuchern werden, die regelmäßig in Kontakt
mit dem Kulturangebot stehen.
finamierung im Kultursektor tee In Deutschland gibt es ein ausgesprochen differenziertes System der Kulturfinanzierung. Sponsoring, Spenden, Verkaufserlöse, Stiftungserträge, Fremdkapital oder Eigenkapital sind Finanzierungsmittel, die allerdings im Gesamtkomplex der Finanzierung von öffentlicher Kultur wenig Gewicht haben. In kaum einem anderen Land werden kulturelle Aufgaben in so großem Maße von Bund, Ländern und Kommunen finanziert wie in Deutschland, da die öffentlichen Kultureinrichtungen nicht kostendeckend produzieren können
(Heinrichs, S. 165).
Neben den staatlichen Subventionen an Kultureinrichtungen und Künstlern Unterstützung)
kann der Staat zu privater Kulturförderung
(indirekte Unterstützung)
(direkte
anregen.
Als dritte Form der staatlichen Kulturförderung ist die »Verbesserung der Eigenfinanzierungsmöglichkeiten« (Heinrichs, S. 207 f.) zu nennen. Ziel der indirekten Unterstützung ist es, durch die Schaffung von Rahmenbedingungen private Personen oder Institutionen dazu zu veranlassen, mehr Mittel für die Förderung von Kunst und Kultur bereitzustellen.
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Hier spielen steuerliche Aspekte oftmals eine wichtige Rolle. Die Erlöse, das sind vor allem Eintrittgelder der öffentlichen Kulturbetriebe oder Waren, die in Verbindung mit der kulturellen Dienstleistung stehen
(Merchandising),
gehören im betriebswirtschaftlichen
Sinne genau genommen nicht zur Finanzierung, sondern sind «Zahlungsrückflüsse aus der Leistungsverwertung«. Sie werden im weiter gefassten Begriff der Instrumente zur Kulturfinanzierung trotzdem mit eingerechnet. Weitere Gelder kommen von Mäzenen. Nicht weit davon entfernt ist die Verbindung zum Fundraising, das das systematische und professionelle Sammeln von kleinen Einzelspenden zu einer Großspende für einen Kulturbetrieb darstellt. Häufig geschieht dies durch Mitglieder von Fördervereinen selbst oder durch das Sammeln von Spenden. Gegenleistungen bestehen nicht, zumindest in der Theorie. In der Praxis aber zeigt sich, dass Mäzene und Förderer häufig kleine Bevorzugungen erfahren, beispielsweise bei der Kartenvergabe und Beratung, beim Service oder durch ermäßigten Eintritt bei Sonderveranstaltungen. Insgesamt bedeuten diese Vergünstigungen aber weniger eine materielle, als vielmehr eine persönliche Bevorzugung. Von Stiftungen werden Gelder aus (Sonder)-Vermögen vergeben, die nach dem Willen des Stifters verwendet werden. Vorteil für den Stifter ist die Steuerfreiheit, da die Kulturförderung zu den gemeinnützigen Zwecken zählt. Sponsoring ist zum wahren Modewort geworden, obwohl Sponsoring in der Kulturfinanzierung je nach Berechnung nur bis fünf Prozent der Gesamtgelder ausmacht. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Finanzierungsinstrumenten ist Sponsoring ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, von dem beide Seiten profitieren
(Klein).
Kultursponsoring
sind die von Privaten oder Unternehmen ausgehenden Aktivitäten, nämlich Planung, Organisation, Bereitstellung von Geld, Sachmitteln, Know-How, Dienstleistungen usw. zur Unterstützung von Künstlern, Institutionen und Projekten im kulturellen Bereich, um positive Auswirkungen im Hinblick auf die Ziele der Unternehmenskommunikation zu erreichen. Unternehmen instrumentalisieren Sponsoring vor allem, um einen Imagetransfer von der Kultureinrichtung auf sich zu bewirken. Somit ist Kultursponsoring immer stark in das Marketingkonzept und in die PR des Unternehmens eingebunden.
Das lialthasarlieurtann-Ensemble be_ Als Beispiel möchte ich den von Thomas Hengelbrock gegründeten BalthasarNeumann-Chor (BNc) und das gleichnamige Ensemble (BNE) anführen. Ihr Anliegen ist, Werke vom Frühbarock bis zur Neuzeit auf der Grundlage historischer Aufführungspraxis zu realisieren. Dies geschieht in Form von Projekten, die an verschiedenen Veranstaltungsorten durchgeführt werden. Jeder Konzertabend soll sich einer programmatischen Idee folgend entwickeln. Der Name »Balthasar Neumann« ist Programm: Neumann 1753),
(1687-
einer der herausragenden Architekten des Barock, war ein vielseitig interessierter
Geist. Dieser Vielfalt haben sich die Ensembles verschrieben.
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Die Ilmset2u.ng des "lcultu.rpilitischen Auftrags" Ziel der Ensembles ist, mit und durch ihre Musik und Kunst Menschen anzusprechen und zu begeistern. Die Bandbreite des Repertoires reicht vom Barock bis zu zeitgenössischer Musik. Wichtig bleibt der Fokus, Musik so zu spielen, wie sie in ihrer Entstehungszeit verstanden wurde. Häufig werden Werke gespielt, die erst nach langer Zeit wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Das Unternehmen investiert viel, um Aufführungsmaterialien zu erstellen. Die Ergebnisse werden in Form der von Hengelbrock herausgegebenen »Edition Balthasar Neumann« zugänglich gemacht. Die Rechte liegen bei Hengelbrock und werden nach Möglichkeit bei der VG Musikedition geschützt (www.kulturprojekte.com/editionn.
Form und finamieru.n.g. Das Balthasar-Neumann-Ensemble ist ein eingetragener, gemeinnütziger Verein (e.V).
Gemeinnützig sind Vereine dann, wenn »ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die
Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern« (§52 Abgabenordnung).
Der BNC und das BNE sind jedoch kein eindeutiges Non-Profit Unter-
nehmen. Allein durch Eintrittsgelder können die hohen Kosten Konzerthäusern, Unterkünfte, Gagen usw.)
(Anmietung von Proberäumen,
nicht gedeckt werden. Die Ensembles werden teilweise
von Sponsoren finanziert und durch einen »Freundeskreis« unterstützt. Zudem fördert die Landesstiftung Baden-Württemberg gGmbH finanziell die Arbeit. Radio-, TV-Mitschnitte und TV-Ausstrahlungen leisten nur einen minimalen Beitrag zur Finanzierung des Unternehmens. Sie sind dagegen für die Öffentlichkeits- und Pressearbeit überaus wirkungsvoll und wichtig. Außerdem tragen die Nutzungsrechte der Edition, CD- und DVD-Vertrieb zur Finanzierung bei.
Vermarktung Bei den Balthasar-Neumann-Ensembles liegt die Hauptarbeit mehr in den Produktionen selbst als im Marketing. Ihre »Marke«
(herausragende Qualität) i
st selbst ein wichtiger
Marketingfaktor. So haben sie aufgrund der besonderen Aufführungspraxis, der repertoirepolitischen Besonderheit der Werke und der innovativen Kombination von Musik mit anderen Künsten eine spezifische Musikkultur geschaffen, die sich von der Konkurrenz deutlich unterscheidet. Zudem haben die beiden Ensembles in Form eines Logos ein Corporate Design entwickelt. »Corporate Communication« wird deutlich in den jährlich erscheinenden bik news, den Programmheften, den Editionsdesigns, der Homepage und der Broschüre verfolgt. Der Vertrieb von Aufnahmen, Radio- und TV-Auftritte gehören zu weiteren effektiven Marketingstrategien. Zusammenfassend kann man feststellen, dass eine Vielzahl von Komponenten und Aktivitäten notwendig ist, um die Finanzierung des Unternehmens Balthasar-Neumann zu sichern. (2s\\., Rotenpapier_20119
Zum
Weiter1esen
Carls, Nada: Guerilla-Marketing im Kulturbetrieb. Innovative Ansätze für die Kommunikation komplexer Produktionen, VDM Verlag Dr. Müller: Berlin 2007 Colbert, Francois: Marketing und Konsumentenverhalten im Bereich Kunst, in: Innovatives Kulturmarketing, Nomos Verlagsgesellschaft: Baden Baden 2002 Heinrichs, Werner: Kulturpolitik und Kulturfinanzierung. Strategien und Modelle für eine politische Neuorientierung der Kulturfinanzierung, Verlag C.H. Beck: München 1997 Klein, Armin: Der exzellente Kulturbetrieb, GWV Fachverlage GmbH: Wiesbaden 2007 Meffert, Heribert: Marketing. Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung. Konzepte — Instrumente — Praxisbeispiele. 8. Auflage, Gabler: Wiesbaden 1998 Tröndle, Martin / Schneidewind, Petra: Marketing für Musikschaffende, in: Selbstmanagement im Musikbetrieb. Handbuch für Musikschaffende,
Andrea Lanfer studierte Schulmusik und Englisch. Nach einem Engagement im Projekt- und Orchestermanagement bei der Jungen Deutschen Philharmonie 2008, arbeitet sie zur Zeit in einer Marketingagentur vor allem für Sony Music.
Ar twor k: An i ko Be rn har dt
hrsg. v. Tröndle /Schneidewind, transcript Verlag: Bielefeld 2003
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Klassikstars und Popkultur Image und Vermarktungsstrategien Ursula Plum
ieen Klassische Musik präsentiert sich in einem neuen Gewand. Eine CD von Anna Netrebko zwischen aktuellen Pop-CDs in einem Werbeprospekt zu finden gab den Anstoß, mich mit der Gestaltung moderner Klassik-CD-Covers und dem gewandelten Bild des Klassikstars zu beschäftigen. Die Verpackung klassischer Musik scheint sich der der Popbranche anzugleichen.
Stars und klassische Musik: Tonträger ee, Die jederzeit verfügbaren Tonträger in immer komfortableren Formaten haben die Rezeptions- und Hörgewohnheiten geprägt. Dabei beeinflusst der Tonträgermarkt den Kunstbetrieb. Die ständige Verfügbarkeit veränderte die Rolle von klassischer Musik im Alltag. Ihr Unterhaltungswert rückte ins Zentrum. Der kommerzielle Antrieb der Verbreitung klassischer Musik wurde ihr jedoch letztlich zum Verhängnis. Vor allem durch den Vergleich mit der Popmusik gerieten Klassiklabels zunehmend unter Druck. Die Klassikbranche war in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunächst geprägt durch Star-Dirigenten wie Karajan. In den achtziger und neunziger Jahren profitierte die Klassikindustrie von der Erfindung der CD. Der Aufschwung währte jedoch nur so lang, bis das Repertoire der Schallplatte auf CD übertragen und der Markt gesättigt war. Statt Neuproduktionen setzen die großen Firmen auf ihren Bestand, der in neuer Aufmachung erscheint, und sie verlagern sich auf Crossover-Produktionen, um eine möglichst breite Kundschaft anzusprechen. Luciano Pavarotti sorgte 1992 mit den sogenannten Pavarotti- and Friends-Konzerten für Aufsehen, als er an der Seite aktueller Popstars auftrat. Andrea Bocelli, der ebenfalls durch Produktionen mit Popstars auf sich aufmerksam gemacht hatte, löste in den Neunzigern eine Welle der Begeisterung für unterhaltsame Klassik aus. Seine Alben, die schon in ihren Titeln wie Sentimento, Romanza oder Sanctus — eine Hymne für die Welt ihre Bestimmung ausdrücken, wurden in Stückzahlen verkauft, die sonst nur Popalben erreichen. Riltenpapier_111119—)
Klassische Elusiker und das Massenpublikum Um ein Massenpublikum zu erreichen, ist heute die umfassende, absatzorientierte öffentlich-mediale Vermittlung eines komplexen Künstlerimages unerlässlich. Dabei werden dem Künstler Eigenschaften zugeschrieben, die nach aktuellen Wertvorstellungen erstrebenswert sind und ihm gleichzeitig etwas Einzigartiges und Neues beimessen, das ihn von anderen Interpreten unterscheidet. Idealerweise wird so ein prägnanter und attraktiver Gesamteindruck kreiert, wie etwa von Nigel Kennedy als Verkörperung des Rebellischen, Helene Grimaud als die »Schöne Mysteriöse« oder Rolando Villazön als heißblütiger Südländer.
Vermarktung „Marketing und klassische Musik: Was vor nicht allzu langer Zeit noch verpönt war, ist mittlerweile salonfähig geworden. Dass Marketing nichts per se Schlechtes kommerziell Orientiertes)
kommen«
(weil
sein muss, ist inzwischen bei den meisten Kulturschaffenden ange-
(Iloack, in: nmz 2006/7, S. 14).
Betrachtet man Musik als Ware, die sich auf dem
Markt gegen Konkurrenz durchzusetzen hat, ist ein umfassendes Marketingkonzept unverzichtbar. Im Zentrum steht das Bedürfnis des Verbrauchers. Marketing zielt darauf,
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dessen Kaufverhalten zu beeinflussen. Neben Konzertveranstaltungen und dem Radio spielen Printmedien, das Fernsehen und das Internet eine wichtige Rolle. Während in der Popmusik die Künstler meist ihre eigene Musik spielen und die Vermarktung daher sowohl Musik als auch Interpret einschließt, überwiegt in der klassischen Musik die Interpretation bekannter Werke. Marketingobjekt ist daher nur der Interpret.
Reue Strategien
ee- Stars von heute müssen jung, attraktiv und vor allem medientauglich sein. Gesucht werden Künstler, die offen für neue multimediale Vermarktungsstrategien sind, sich modern präsentieren und der klassischen Musik das Image eines leicht zugänglichen Unterhaltungsproduktes verleihen. Vor allem das Fernsehen wird marketingstrategisch genutzt: Moderne Klassikstars sind beliebte Talkshowgäste, Sendungen wie »Sunday Night Classics«, »Eine große Nachtmusik« oder »Klassik!«
(alle ZDF)
preisen
dem Massenpublikum mit einem beeindruckenden Staraufgebot populäre klassische Musik als »integralen und reizvollen Bestandteil des modernen Lebens« (Brembeck) an. Die absatzfördernde Fokussierung auf die Interpretenpersönlichkeit macht sich auch im Erscheinungsbild neuer Klassik-CDs bemerkbar. Sie gleichen sich nicht nur im Design Pop-CDs an, sondern auch im musikalischen Format: Analog zur Popmusik, werden anstelle bestimmter Werke einzelne Musiknummern unter einem Titel zusammengestellt, wie Russian Album und Sempre libera (Netrebko) oder Reflection (Grimaud). Umfangreiche
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Booklets liefern Fotoserien der Stars mit persönlichen Statements, die meist dem emotionalen Bezug zum interpretierten Werk gelten. Neue Alben werden aggressiv beworben. Auch Klassik-CDs werden mittlerweile wie Popmusik durch Videoclips beworben. Ein weiteres Marketinginstrument sind die Bestseller-Listen
(Charts).
Hier nutzt man die menschliche Schwäche aus, sich in Momenten
der Unsicherheit eher einer Mehrheitsentscheidung anzuschließen, statt ein eigenes Urteil zu bilden. So gilt die Verkaufsmarge gleichzeitig als Qualitätsgarant.
Die Interpreten als Marke ikee) Gerade im Hinblick auf die Vermarktung der Künstlerpersönlichkeit ist der Aufbau der Interpreten zu einer »zugkräftigen Marke« (weihser) wichtiger Bestandteil. Der Name des Künstlers wird zum Markennamen mit Wiedererkennungswert. Die Marke ruft positive Assoziationen hervor, verspricht Qualität und Zuverlässigkeit und wird durch das ihr verliehene Image zum Sympathieträger, wobei die emotionale Identifikation des potentiellen Käufers mit den Interpreten zum Kauf des Produktes ausgenutzt wird. Die Geigerin Anne-Sophie Mutter beispielsweise engagiert sich in Wohltätigkeitsprojekten unter dem Label ASM. »Dass das Engagement echt ist und seriös und von Herzen kommt, dafür bürgt Anne-Sophie Mutter sozusagen als ihr eigenes Label. Wo ASM draufsteht, soll auch ASM drin sein«
(Lemke-Matwey).
Nach dem Vorbild von Popstars wie Jennifer Lopez, Kylie Minogue, Prince oder Christina Aguilera werden auch Parfums oder Kosmetikartikel auf den Markt gebracht. Die Klassikbranche vertreten hier die Düfte »Pavarotti pour homme« und »Pavarotti Donna«. Über den Merchandise-Shop des Magazins KlassikAkzente sind auch Fanartikel wie Lang Lang- und Rolando Villazön-T-Shirts oder Lang Lang-Tassen erhältlich.
Pauarotti — Illegastars des industrialisierten llulturbetriebes eien Luciano Pavarotti trat in Stadien, Arenen, Messehallen und Flugzeughangars auf. 1993 versammelte er 500 000 Menschen im New Yorker Central Park. So viele Zuhörer hatte niemals zuvor ein Solist mit einem Klassikkonzert erreicht. Der Live-Mitschnitt seines Auftrittes mit Placido Domingo und Jose Carreras als »Die drei Tenöre« bei der Fußball-WM 1990 wurde mehr als zehn Millionen mal verkauft. Der Name Pavarotti wurde zur Marke und bezeichnet in verschiedenen Facetten seine Produkte, vornehmlich CDs: Pavarotti forever, Pavarotti & Friends, Pavarotti in Concert, Pavarotti The Best, Tutto Pavarotti, Pavarotti Plus.
Gemeinsam mit seinen Markenzeichen, dem bleckenden Lachen, dem »Finsterbart« (Goertz), dem großen weißen Taschentuch und der Geste, mit der er die Massen umschlang, steht sein Name für »das Produkt Pavarotti, diversifiziert als CD und Reklameseite für den bekannten Magenbitter, für Konzertkarten und Drucke seiner naiven Malerei, für Videos und Bücher«
(Kesting, S. 11).
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Pavarotti bot als Bäckersohn, der »aus dem Nichts heraus«, also fast ohne Gesangsausbildung, alles erreicht hat, ideale ldentifikationsmöglichkeit für einen Großteil der Bevölkerung. Seine enorme körperliche Fülle entsprach zwar nicht gerade dem gängigen Schönheitsideal, machte ihn aber unverwechselbar und zeigte eine menschliche Schwäche, mit der sich wiederum viele Menschen identifizieren konnten. Er hatte die Bedürfnisse der Konsumenten erkannt und machte sie sich in bis dato ungekannter Weise zunutze.
Visualisierung iee Als effektives Instrument zur marktorientierten Imagegestaltung und um den Aufmerksamkeitswert zu erhöhen, werden zunehmend Visualisierungsstrategien genutzt. Bilder bieten gegenüber Textinformationen schnellere und leichtere Informationen. Außerdem kommen sie dem Unterhaltungsbedürfnis der Konsumenten entgegen. Sie erfordern geringere aktive Beteiligung des Empfängers als Textbotschaften (Mayer, S. 191).
Um einen Musiker vermarkten zu können, ist es unverzichtbar, dass mit dem Namen
ein Gesicht verbunden wird. Neben Bühnenauftritten und der Präsenz in visuellen Medien bieten CD-Cover Raum zur Gestaltung des visuellen Erscheinungsbildes eines Musikers. In den vergangenen Jahrzehnten war zwar durchaus eine Kultur der CD- bzw. Schallplattencovergestaltung vorhanden, sie verfolgte allerdings eher das Ziel, einen Eindruck von Seriosität, Authentizität und intellektuellem Anspruch zu vermitteln. Informationen über das Werk standen im Vordergrund, daher die besondere Schriftgestaltung. Darüber hinaus bestimmten Naturszenen, Gemälde, Architektur oder Komponistenportraits das Erscheinungsbild von Klassikplatten. Interpreten, wenn überhaupt abgebildet, erschienen in konservativer Konzertkleidung, häufig bei der Arbeit aufgenommen. Inzwischen gelten andere Kriterien. Heute werden dagegen vermehrt Starporträts als emotionale Blickfänge eingesetzt, um Aufmerksamkeit zu wecken und Bedürfnisse zu schaffen. Sie lösen Assoziationen und Affekte aus, die auf das Produkt übertragen werden. Ein beliebtes Mittel ist die Nahaufnahme, die eine besondere Intensität des Motivs ermöglicht. »Die Nahaufnahme führt uns die plastischen, mimischen, sinnlichen, erotischen Qualitäten eines Gesichtes und seiner Merkmale vor Augen« (Thiele, S. 46). Außerdem kann durch Farbe, Überraschungseffekte und den geschickten Umgang mit gestaltpsychologischen Grundsätzen Aufmerksamkeit erzeugt werden (Mayer, S. 38 ff). Eine symmetrische Bildaufteilung vermittelt Ruhe und Statik, birgt aber die Gefahr der Langeweile, Asymmetrie dagegen bringt Spannung und Dynamik ins Bild. Unterbrochene, unvollständige Linien, Figuren oder Formen werden vom Auge, bzw. Gehirn des Betrachters ergänzt und führen seinen Blick durch das Bild. Waagerechte Linien bewirken ein Gefühl der Ruhe und Balance, senkrechte werden vom Betrachter häufig als Begrenzungen wahrgenommen. Am meisten Dynamik und Bewegung vermitteln Diagonalen. Farben können die Tiefenwirkung unterstützen. So werden hellere, wärmere und inten-
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sivere Farben als näher wahrgenommen als dunklere, kältere und blassere, welche die Illusion von Entfernung vermitteln. Des Weiteren werden Farben kulturspezifisch bestimmte Wirkungen und Gefühlsassoziationen zugeschrieben wie Schwarz als Farbe des Bösen, Weiß als die der Unschuld. Auch die Helligkeit eines Bildes beeinflusst seine Wirkung. So vermitteln helle Farbtöne einen optimistischeren und freundlicheren Eindruck als dunkle.
Das Spiel mit Gegensatzpaaren Realität und Fiktion)
(Nähe und Distanz,
machen sich die Cover von Janine
Jansen und Anna Netrebko zu Nutze: Beide scheinen Momentaufnahmen zu sein — die Flüchtigkeit des Augenblicks wird verstärkt durch die Betonung der Diagonalen und die Helligkeit. Janine Jansen (Abb.1) wurde scheinbar unbemerkt in einer alltäglichen Situation abgelichtet: der Betrachter wird für einen Moment zum »Voyeur«, der einen kurzen Einblick »hinter den Vorhang«, also in die Privatsphäre der Musikerin erhascht. Das Bild ist insgesamt sehr hell, nicht nur durch die beiden Randstreifen, sondern vor allem durch die strahlend weiße Kleidung der Künstlerin und die Lichtreflexe am oberen und unteren Rand, die die Illusion von Sonneneinstrahlung erwecken. Die Helligkeit wird als sehr freundlich und optimistisch empfunden, außerdem als besonders leicht
(Heller, S. 172).
Die Botschaft
dieses Covers könnte also Leichtigkeit sein, welche auf die Musik übertragen werden soll, die »ohne zu große Anstrengungen« genossen werden kann.
Da der Blick des Betrachters gewohnheitsbedingt von links nach rechts wandert, dürfte er in zweiten Beispiel
(Abb. 2)
zunächst an Anna
Netrebkos Augen hängen bleiben, die durch den Hell-dunkel-Kontrast besonders betont werden. Die Künstlerin wendet scheinbar im Vorübergehen kurz den Kopf zur Seite, und für einen Moment trifft ihr Blick auf den des Betrachtenden, der sich angesprochen fühlt und für einen Augenblick der Illusion erliegt, dem Star ganz nah zu sein. Aus der Schriftinformation tritt vor allem das Wort »russian« hervor, das größer und intensiver gefärbt als die anderen Textzeilen. So wie ihr Blick dem Betrachter ein Moment der Intimität vortäuscht, erweckt der Titel des Albums den Eindruck, der Star gebe darin einen Teil seiner russischen Seele preis.
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Ganz anders wird Anna Netrebko auf dem Cover ihrer CD Sempre liberal
(Abb. 3)
inszeniert.
Die deutliche Betonung der Diagonalen sowie das wehende Haar, das Assoziationen zu Boticellis »Geburt der Venus« wach werden lässt, vermitteln den Eindruck von Bewegung und Aktivität. Farbeffekte kommen zur Geltung: das helle Gesicht bildet einen starken Kontrast zur schwarzen Umrandung und dem blauen Hintergrund. Es leuchtet aus der dunklen Umgebung hervor und scheint dem Betrachter besonders nah. Der Star scheint aus dem Dunkel, der Tiefe hervorzutreten. Ein blauer Hintergrund schafft die Illusion von Raum, Ferne und Unendlichkeit. Um den Körper der Sängerin ist ein roter Schal gelegt. Rot drängt sich optisch in den Vordergrund, verstärkt durch den Kontrast zur schwarzen Umgebung. Die Farbe wird häufig als aktiv und dynamisch wahrgenommen, außerdem ist Rot die Farbe der Leidenschaft und der Erotik
(Heller, S. 26 ff).
All diese Attribute übertragen sich natürlich auf die
Künstlerin, die nicht zufällig einen roten Schal trägt. Zudem nimmt ihr energischer und entschiedener Auftritt Bezug auf den Titel des Albums Sempre libera
(immer frei).
Dieses Bild aus dem Booklet von Sempre libera (Abb. 4)
macht die Inszenierung der Sopranistin als
göttliche Erscheinung, also als Diva, noch viel deutlicher. Sie tritt aus der blauschwarzen Tiefe hervor — man weiß nicht, woher sie kommt — und ist von einem hellen Schein umgeben, der die Idee der Göttin imaginiert, eine implizite Anspielungen »Geburt der Venus« von Botticelli
(Vogel, S. 11 ff).
Das bekannte Gemälde zeigt die aus den Elementen von Wasser und Wind gezeugte Göttin auf einer Muschel stehend, sie wird vom Windgott Zephir und seiner Begleiterin ans Meeresufer geblasen. Der Wind bauscht Haare und Gewänder auf und kräuselt die Wasseroberfläche zu weißem Schaum, der als Lichtereignis oder dynamische, flüchtige Materie wahrgenommen wird. Eng anliegend lässt das Kleid aber auch die weiblichen Konturen des Körpers zum Vorschein kommen und die Diva als Verkörperung sinnlicher Sehnsüchte erscheinen.
Sehr ansprechend ist auch das Cover von Sol Gabettas CD II Progetto Vivaldi gestaltet. Eine geschickte Komposition aus Diagonalen (das
Cello sowie die von rechtem Arm und
Unterkiefer angedeutete Linie einerseits, die von linkem Arm, Hals und Gesicht der Musikerin angedeutete Linie andererseits)
und parallel geführten Linien
(z.B. Kontur des Hinterkopfes und Schnecke, Cellohals und
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Kontur des Unterkiefers sowie der Schädeldecke der Musikerin, linke Schulter und blonde Haarsträhne)
suggeriert Dynamik
und Frische (Abb.5). Dies wird durch das wehende Haar unterstützt. Musikerin und Instrument scheinen dabei miteinander zu verschmelzen. Die angesprochenen Linien treten vor allem durch recht starke Hell-dunkel-Kontraste zum Vorschein. Durch die nackten Schultern der Cellistin entbehrt das Bild natürlich auch nicht einer gewissen Erotik. Der weiß-transparente Schriftzug setzt sich vom dunkleren Hintergrund ab und wirkt frisch und schwerelos. Die Größenverhältnisse des Schriftzuges sind hier geradezu charakteristisch für die Interessengewichtung der Information: Im Fokus der Aufmerksamkeit steht die Interpretin, der Inhalt ihres Albums ist viel kleiner gedruckt und scheint dabei fast unbedeutend.
Einen ganz anderen Charme entfaltet das Cover von Helene Grimauds CD Credo (Abb.6). In seiner dezenten Grautönung und Weichzeichnung erinnert das Bild der Pianistin an frühe Fotographien. Bewegung und Spannung bewirken die asymmetrische Bildaufteilung sowie die angedeuteten Diagonalen
(z.B. das Revers der Jacke oder die untere
Begrenzung des Gesichtes, verstärkt durch die Schattierung).
Die Künstlerin erscheint hier ganz unauffällig gekleidet: unprätentiös, sachlich, ernst, nachdenklich. Sie wirkt sogar introvertiert und verschlossen. Umso größer wird die Spannung auf das vermeintliche Glaubensbekenntnis Credo. Hohe Stirn und große Augen, Merkmale des »Kindchenschemas«, lassen die Frau zart und anrührend wirken. Verfügt sie als Frau, die mit Wölfen lebt, schon über eine Aura des Geheimnisvollen und Mysteriösen, so verstärkt sich hier noch die Faszination des Gegensatzes von Zartheit und Stärke.
Die CD-Cover der beiden Pianisten Martin Stadtfeld
(Abb. 7 )
und Lang Lang
(Abb. 8)
wirken zwar auf den ersten Blick völlig unterschiedlich, im Grunde vermitteln sie jedoch eine ähnliche Botschaft: Die Künstler sind jung, dynamisch und zeitgemäß. Beide erscheinen sehr modebewusst gekleidet und frisiert. Martin Stadtfeld posiert lässig auf einem ebenso modisch designten Sessel. Markant ist die starke Tiefenwirkung des Bildes durch die zum oberen Bildrand zusammenlaufenden weißen Streifen des Untergrunds (Mayer, S. 45).
Unwillkürlich rufen sie im Betrachter das Bild einer mehrspurigen Straße, einer Autobahn hervor und assoziieren durch die rasche Abfolge der Streifen Geschwindigkeit. Der Künstler selbst vermittelt dabei Ruhe, Gelassenheit, Coolness. Das bewirkt vor allem seine Position: Die Körperhaltung ist entspannt, linker Arm und rechtes Bein deuten eine waagerechte und eine senkrechte Linie an und bringen so einen optischen Fixpunkt in das Bild.
Lang Lang (Abb. 8) scheint vor einen vorbeirasenden Hintergrund zu springen. Dabei erinnert er mehr an einen Actionhelden oder Popstar als an einen klassischen Musiker. In der zum Album gehörenden Bildergalerie lehnt er lässig an einer Hausecke, mitten im städtischen Alltagstrubel. Der Star zeigt sich scheinbar in ganz menschlicher Nähe, ohne Berührungsängste. Gleichzeitig aber ist er aus eigkeeiggpeeeer
der »Froschperspektive«, also aus einer tieferen Position fotografiert und erscheint so dem Betrachter dennoch überlegen.
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Aus der Analyse dieser Beispielcover lassen sich einige Charakteristika
erschließen, die für die Gestaltung moderner Klassik-CD-Cover typisch zu sein scheinen. Das Cover ist nicht Dekoration, sondern Bestandteil des Albums als »Gesamtkunstwerk«, inklusive eines umfangreichen Booklets, ähnlich wie im Popbereich. Bei genauer Betrachtung der Bildgestaltung erkennt man, dass häufig die die Faszination des Starphänomens ausmachenden Paradoxa genutzt werden. Während eine neue Generation junger, medientauglicher Stars als Auslöser eines Aufschwungs in der Klassikbranche gepriesen werden, bleibt es dennoch fraglich, ob man an ein dauerhaftes Aufleben der als Pop vermarkteten klassischen Musik glauben darf.
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Z u m
W e i t e r l
e s e n
Brembeck, Reinhard J.: Klassik ist geil. in: Süddeutsche Zeitung vom 03.04.2004 Goertz, Wolfram: Der Tenor für jede Gelegenheit. Zum Tod des italienischen Meistersängers Luciano Pavarotti, in: Die Zeit vom 13.09.2007, S. 48 Haack, Barbara: Marketing und klassische Musik, in: nmz 07/2006, auf: www.nmz.de/nmz/2006/07/muwirt-marketing.shtml (15.11.2007) Heller, Eva: Wie Farben auf Gefühl und Verstand wirken, Droemer Verlag: München 2000 Kesting, Jürgen: Luciano Pavarotti. Ein Essay über den Mythos der Tenorstimme, Düsseldorf, Wien, New York 1991 Lemke-Matwey, Christine: Das Schalentier. Eine Begegnung mit Anne Sophie Mutter, in: Die Zeit Nr. 46/1998 , auf: www.zeit .de/1998/46/199846.mutter_.xml (15.11.2007) Mayer, Horst: Einführung in die Wahrnehmungs-, Lern-, und Werbepsychologie, Oldenburg Verlag: München 2005 Thiele, Jens: Künstlerisch-mediale Zeichen der Starinszenierung, in: Der Star, hg. von
Vogel, Juliane: Himmelskörper und Schaumgeburt: Der Star erscheint, in: Stars. Annäherungen an ein Phänomen, hrsg. von Wolfgang Ullrich und Sabine Schirdewahn, Fischer: Frankfurt am Main 2002 Weihser, Rabea: Klassik, jetzt für alle!, in: ZEIT online vom 15.03.2007
B i l d n a c h w e i s e q
Abbildung 1: CD Cover Jansen, Janine: Bach Inventions & Partita, Decca 475 96 ; 2 ^ Abbildung 2: CD Cover: Netrebko, Anna: Russian Album, DG 4776151, 2006 -
Abbildung 3: CD-Cover: Netrebko, Anna: Sempre libera, DG 4748002, 2004
Abbildung 4: CD-Booklet: Netrebko, Anna: Sempre libera, DG 4748002, 2004 Abbildung 5: CD-Cover: Gabetta, Sol: I1 progetto Vivaldi, RCA 88697131692, 2007 Abbildung 6: CD-Cover: Grimaud, Helene: Credo, DG 4717692, 2004 Abbildung 7: CD-Cover: Stadtfeld, Martin: Bach Goldbergvariationen, Sony Classical SK93101, 2003
Abbildung 8: CD-Cover: Lang, Lang: Beethoven Klavierkonzerte Nr.1 &4, DG 4776719, 2007
D Ursula Plum Klarinettistin und Referendarin am Faust-Gymnasium Staufen, studierte von 2002 bis 2007 Schulmusik und machte ein Musiklehrerdiplom im Fach Klarinette. Sie unterrichtet außerdem an der Jugendmusikschule südlicher Breisgau.
Ar two r k: Ell
W. Faulstich und H. Korte, Fink, München 1997
2]
45
Chips tauen Brahms Nlassik in. der Terbung Priska Schöner
lIfirkung unn lusik auf den Menschen ee) »Es ist bereits häufig gezeigt worden, dass Musikhören mit messbaren physiologischen Veränderungen einhergeht«, schreibt Günther Rötter
274).
Versuche, die
Wirkung von Musik experimentell herauszufinden, reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück. Foster und Gamble weisen 1906 nach, dass laute Musik die Atemfrequenz erhöht und sanfte sie senkt. Weitere Untersuchungen galten Änderungen der Herzfrequenz, des Pulsschlages oder des Blutdrucks. Zusätzlich spielt außerdem das subjektive Gefallen an einem Musikstück eine Rolle. Doch »die Frage, ob es generell spezifische Erregungsmuster für Musik mit unterschiedlichem Ausdruck gibt, ist bisher noch nicht geklärt«, so Günther Rötter
(5. 276).
funktionale Musik ef,
Zur funktionalen oder funktionellen Kunst zählt man Musik, die in Kaufhäusern,
Restaurants, in der Werbung, am Arbeitsplatz sowie in vielen anderen Bereichen eingesetzt wird. Zahlreiche Vertreiberfirmen funktionaler Musik versprechen, Stimmung und Verhalten von Mitarbeitern zu beeinflussen. Doch »die Vielzahl der am Wirkungsergebnis beteiligten Variablen verbietet in jedem Fall eine eindimensionale Reiz-ReaktionsErklärung musikalischer Wirkung«, so Helmut Rösing (sp. 1584). Musik ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig und stößt deshalb größtenteils auf Akzeptanz. Viele kennen es gar nicht anders und sind daran gewöhnt, während des Musikhörens etwas anderes zu erledigen. Zusammenfassend kann man sagen, dass Musik bei monotonen Tätigkeiten und Nachtschichten durchaus positive Effekte erzielen kann. Bei anspruchsvollen, komplexen Tätigkeiten wirkt sie aber eher belastend und somit kontraproduktiv.
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Musik und Terbung »Musik ist nur einer der Bausteine, die einen Spot gestalten« (steiner-Hall,
5. 174).
Zunächst möchte ich einige wichtige Konstruktionsformen vorstellen, in denen Musik in der Werbung auftritt: a...
Kennmotive, Fanforen und Kennmelodien
Kennmotive bestehen nur aus wenigen Tönen, die den Produktnamen akustisch umsetzen sollen. Sie stehen oft am Anfang oder Ende eines Spots, also an sehr einprägsamen Stellen. Meist werden Kennmotive für ein Produkt über Jahre hinweg nicht verändert und werden so nach und nach zu einem »akustischen Signal«, bei dem der Zuhörer automatisch eine Verknüpfung zu dem beworbenen Produkt herstellt, auch wenn der Produktname nicht mehr genannt wird, wie etwa »Mei-ster Pro-per«. Fanfaren unterscheiden sich nur wenig von den Kennmotiven. Manchmal wirken nicht mit Text versehene Kennmotive fanfarenartig und stehen so als musikalische Floskel wie: »Rei-in-der-Tu-be«. Die so genannten Kennmelodien sind instrumentale Melodien, die denselben Zweck erfüllen wie die Kennmotive. b...
Jingle
Der gesungene Werbeslogan wird Jingle genannt. Er beinhaltet die kürzest mögliche gesungene Werbeaussage mit einprägsamem Rhythmus. Der Jingle taucht in fast jedem Spot auf und hat entscheidende Vorteile. »In nur zwei bis drei Sekunden der Spotzeit kann der Produktname in plakativster Weise, sogar nebst seiner hervorstechendsten Eigenschaft, so akustisch wahrnehmbar gemacht werden, dass die Wirkung von Musik und Wort aufeinander fällt. Musiksignal und Marktausruf erfolgen gleichzeitig. Der Jingle hat Auftakt und Schluss in sich, ist Doppelpunkt und Ausrufungszeichen in Einem, ist Ankündigung und Schlussapotheose. Sein Motiv, sein Thema, seine Melodie kann am Anfang, mehrmals in der Mitte oder am Schluss eines Spots auftauchen. Er kann selbständig neben der übrigen Musik stehen« (steiner-Hall, s.
63),
wie in der
Schokoladenwerbung: »Mil-ka, die zar-tes-te Versu-chung, seit es Scho-ko-la-de gibt«, oder »Haribo macht Kinder froh«. c...
Werbelieder und Werbeschlager
Kinderlieder, Volkslieder und Schlager sind Vorbilder von Werbeliedern und -schlagern. Sie dienen oft als Vorlage für Melodie und Form. Dem Zuschauer kommt das Gespielte bekannt vor. Es wird keine zusätzliche Gedankenleistung abverlangt. Problematisch (aus Sicht der Werbewirkung)
ist es jedoch, wenn mit der bekannten Melodie eine zuvor schon
vorhandene Assoziation geweckt wird. Sie durch die neue Werbebotschaft zu ersetzen, ist sehr schwierig.
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Klassische Musik
Neben Marsch- und Folkloremusik werden Spots auch mit klassischer Musik, oder besser ausgedrückt mit so genannter Kunstmusik unterlegt. Meist nimmt man populäre Motive in vereinfachter, überarbeiteter Fassung. Dieser Musik haftet etwas »Gehobenes« an, was dem Produkt ein Image des Besonderen, Erlesenen verleiht. Ein »Dauerbrenner« ist hier Rossinis Ouvertüre Wilhelm Tell, mit der der Renault »Twingo« beworben wird. Sowohl in der TV- als auch in der Radiowerbung spielt Musik eine wichtige Rolle. Spekuliert wird auf den Wiedererkennungseffekt in Verbindung mit dem beworbenen Produkt. Dabei haben TV-Werbespots gegenüber Rundfunkspots den Vorteil, dass der Zuschauer zusätzlich ein Bild vor Augen hat. Die Jingles sind oft so eingebaut, dass sie genau dann erklingen, wenn der Name des Produktes genannt wird. So entsteht automatisch und unbewusst eine Verknüpfung zwischen dem Produkt und der Musik. Außerdem wurde festgestellt, dass der Erinnerungswert schon allein dadurch erhöht wird, dass verschiedene Reize gleichzeitig aktiviert werden: in diesem Fall der visuelle und der akustische. »Musik in der Fernsehwerbung soll Gruppen von Konsumenten ansprechen und in ihnen Assoziationen wecken, die im Endeffekt zum Kauf führen sollen« (Rötter,
S. 329).
Studien haben ergeben, dass Musik in Verbindung mit Bildern oder Farben die emotionale Bewertung des Verbrauchers beeinflusst. So kann falsche Musik zur falschen Zeit auch negativ aufgenommen werden. Popmusik, HipHop oder Rockmusik werden von älteren Leuten meistens als störend empfunden, während jüngere Menschen die eher langsame, ruhige Werbemusik von Haushaltsartikeln oder Banken als langweilig und nicht ansprechend empfinden. Erstaunlich dabei ist, dass Hintergrundmusik in der Werbung meist gar nicht bewusst wahrgenommen wird, sie aber dennoch Einfluss auf die Haltung des Konsumenten zu haben scheint. Frauen fühlen sich beispielsweise von sanfter Musik und Pastellfarben angezogen. Werbung, die Männer, Jugendliche, ältere Menschen, Familien oder Alleinstehende ansprechen soll, wird mit jeweils unterschiedlicher Musik unterlegt. Der Einfluss insbesondere der Fernsehwerbung auf unser Leben ist enorm. Lässt man die Ziele der Werbekampagnen außer Acht, wirkt die »produzierte Werbung mit all ihren Faktoren auf die Sozialisierung ihrer Konsumenten ein, indem sie unter anderem Kommunikation inhaltlich beeinflusst oder indem musikalisch aufbereitete Werbeslogans in das ,Liedrepertoire` von Kindern übergehen« (Rötter,
S. 332).
In der Psychologie wird
Werbung definiert als ein »Kommunikationsprozess, der einen Sender, einen Empfänger, eine Botschaft und ein Medium umfasst, durch Kommunikationshilfen positiv oder negativ beeinflusst wird, sich in spezifischen Situationen abspielt und zu einem bestimmten Ergebnis führt« (steiner-Hall, 5.
20).
Musik in der Werbung funktioniert immer als
Gebrauchsgegenstand, als »Mittel zum Zweck«. Ästhetische Merkmale, die bei der Kunstmusik unerlässlich sind, sind hier bedeutungslos. Da Werbemusik als funktionale Musik eingeordnet wird, wird ihre Qualität daran gemessen, ob sie die Wirkung, die von den Produzenten beabsichtigt wurde, tatsächlich erreicht hat.
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fier nPringlesEr-5pot
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Das Produkt »Pringles — Rice Infusions« wird mit den drei Geschmacksrichtungen
»red paprika«, »hot 8. spicy« und »sour cream & onion« vertrieben. Im Spot erklingen als Hintergrundmusik Ausschnitte des fünften Ungarischen Tanzes von Johannes Brahms. Brahms hat den Tanz selbst orchestriert: Streicher, Triangel, Große Trommel, Becken, drei Posaunen, zwei Trompeten, vier Hörner, zwei Fagotte, zwei Klarinetten, zwei Oboen, zwei Flöten und eine Piccoloflöte. Davon bleibt im Spot lediglich der Streichersatz übrig. Tatsächlich nimmt man sogar nur die Ausschnitte der Melodiestimme in der 1. Violine bewusst wahr, obwohl der Streicherklang mit einem Schlagzeug-Beat unterlegt ist. Der Spot beginnt mit der Nahaufnahme einer Pringles-Dose, vor einem dunkelroten Vorhang und von beiden Seiten mit zwei Scheinwerfern angestrahlt. Sprecher:
»Neu und nur von Pringles:«
Musik:
Brahms, Takt 1-4 = erster Teil einer achttaktigen Phrase
f passionato Auf Zählzeit zwei im ersten Takt springt der Deckel mit einem »Plopp« von der Dose. Auf der eins von Takt vier reißt die Dose wie ein sich öffnender Vorhang auseinander. Man sieht eine Zirkusmanege, in die von rechts und links weiß gekleidete Turner hereinspringen und ein Herz bilden. Flugs werden die weißen Gestalten durch Reiskörner, gemischt mit roten Paprikaschoten, ersetzt. Sprecher:
»Pringles Rice Chips — die Geschmackssensation!«
Musik:
Takt 5-8 = zweiter Teil der achttaktigen Phrase
r2r In Takt acht auf Zählzeit eins erscheinen die Paprikaschoten im Herz. Die Form wandelt sich einen Regen von Reiskörnern. Sprecher:
»Die perfekte Kombination von leckeren Zutaten und Reis ...«
Musik:
Takt 9-12
'2
1
Der Aufschwung der 1. Violine von Takt 9 auf 10 wird im Spot durch das Heranzoomen des Paprika-Reis-Regens umgesetzt. Pünktlich auf Zählzeit eins in Takt 10 bleibt das Bild wieder stehen. Der Regen aus Reiskörnern bündelt sich und bildet ein Chip. Zwei Paprikaschoten stoßen darüber zusammen, zerfallen in kleine Stückchen und regnen als rotes Pulver auf das Chip herunter. In der Manege steht jetzt ein Turm aus Stapelchips, auf den das letzte herabsinkt.
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Sprecher:
»...sorgt für ein unvergessliches Geschmackserlebnis — und hat noch dazu weniger Fett!«
Musik:
Pause + Takt 95/96. Während das Chip gebildet wird, pausiert die Musik für mehr als eine Sekunde. Auch hier gleicht die Inszenierung einer Zirkusvorstellung. Es passiert etwas Spannendes, Atemberaubendes. Danach hört man plötzlich zwei Takte in einem sehr viel langsameren Tempo als in den Teilen davor. Auch bei konzertanten Aufführungen wird dies oft an genau dieser Stelle so interpretiert. Dadurch wird zusätzlich die eben beschriebene Spannungspause unterstützt. „.......„
P Die Dose »red Paprika« schließt sich um den Chipsstapel und im Hintergrund sieht man zwei weitere Dosen, die nacheinander mit einem von oben kommenden ScheinEnde wird das Pringles-Logo lebendig und beißt schwungvoll in einen Chip.
Sprecher:
»Die neuen Pringles Rice Chips: Super Geschmack — weniger Fett.«
Musik:
Schluss des Stückes (T 99-104). In Takt 99 auf Zählzeit zwei verschließt der Deckel die Dose wieder. In Takt 102 werden die beiden im Hintergrund stehenden Pringles-Dosen nacheinander auf Zählzeit eins und zwei angestrahlt. Auf der ersten Zählzeit im letzten Takt erfolgt der Biss in den Chip.
Es ist sehr beeindruckend, wie präzise die Musik und der bildliche Inhalt dieses Werbespots aufeinander abgestimmt sind. Viele Details nimmt man erst nach mehrmaligem aufmerksamem Studieren wahr, wie zum Beispiel die Tatsache, dass der Deckel der Dose gleich zu Beginn abspringt, wohlgemerkt im Takt. An dieser Stelle stellt sich unweigerlich die Frage, ob solche Kleinigkeiten überhaupt wichtig sein können, wenn es sowieso nicht gleich auffällt. Wer schaut sich schon einen Werbespot so genau und so oft an, um solche Details zu bemerken? Meiner Meinung nach ist es ein kleiner, scheinbar unwichtiger Teil, der sich jedoch mit all den anderen kleinen Teilen zu einem großen, harmonischen Ganzen zusammenfügt. Dieses in sich stimmige Ganze wirkt unbewusst auf den Rezipienten.
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werfer angestrahlt werden. Man erkennt die beiden anderen Geschmacksrichtungen. Am
Erst bei genauem Hören merkt man, dass die Szene mit dem kompletten Streichersatz von Brahms in der originalen Tonart ( g -m010 unterlegt ist. Zum neu hinzugefügten Beat kommen noch Geräusche wie zum Beispiel das Abspringen des Deckels der Pringles-Dose. Der Zuschauer soll über die mitreißende Melodie ein »feuriges Temperament« (Un garn, Paprika) assoziieren. Die Musik drängt nach vorne, sie lässt keine Atempause. An der Stelle mit dem Sprechertext »die perfekte Kombination von leckeren Zutaten und Reis«, ist ein musikalischer Höhepunkt erreicht mit einem arpeggienartigen Aufschwung der Melodie. Die wird durch die nachfolgende kurze Stille noch spannungsgeladener und mit zwei folgenden ruhigen, leisen Takten entsteht ein Übergang zu der lauten Schlussphrase, die wieder im Anfangsduktus folgt. So setzt die Musik einen Schlussakzent, in den hinein der abschließende Werbeslogan gesprochen wird. Beeindruckend ist bei Pringles die präzise Feinabstimmung zwischen der Musik und
Ar twor k: Kasp a r Lic htsc h lag
dem Geschehen. Selbst kleinste Nuancen werden ausgenutzt, indem zum Beispiel auf schwere Taktzeiten sich Bilder ändern oder der Sprechtext einsetzt. Die Musik ist nicht nebensächlich, sondern nimmt eine zentrale Stellung ein, da Bild und Text ihr angepasst sind. Trotzdem gewinnt man nicht den Eindruck, dass sie zu sehr im Vordergrund steht. Musik, Bild und Text ergänzen sich sehr gut und ergeben zusammen ein rundes Bild. Im Werbespot erklingt Musik, die durch ihren vorwärtsdrängenden, schwungvollen, mitreißenden Gestus das Aktivierungsniveau des Hörers erhöht und dessen Aufmerksamkeit durch ihre Prägnanz erregt. Die Musik reißt den Umworbenen mit. Der Pringles-Spot hat das alles noch durch die perfekte Symbiose von Sprache, Musik und Bild optimiert. Brahms' Ungarischer Tanz ist allgemein so bekannt und beliebt, dass die Werbemusik hier auch als Motiv fungieren könnte, sich die Spots überhaupt anzuschauen, beziehungsweise anzuhören. Die Zielgruppe dürfte ein eher jüngeres Publikum sein.
Zum
• Weiterlesen
Rösing, Helmut: Art. »Musikpsychologie«, III. Angewandte Musikpsychologie, in: MGG2, Sachteil Bd. 6, Kassel 1997, Sp. 1575-1589. Rötter, Günther: Musik und Emotion, in: Musikpsychologie (= Handbuch der Systematischen Musikwissenschaft 3), hrsg. von Helga de la Motte-Haber und Günther Rötter, Laaber 2005, S. 268-338. Steiner-Hall, Daniele: Musik in der Fernsehwerbung, 2. überarb. Aufl., Frankfurt 1990.
Priska Schöner studierte Schul- und Kirchenmusik (B) an der Musikhochschule Freiburg und arbeitet ab Februar 2009 als hauptamtliche Kirchenmusikerin in Achern.
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Deaupft — hkratat —Geklopft Spiel und Ausdruck in Cello stücken Iran Lachenmann und Huifier Philipp Schiemenz
Um die großen Werke der Vergangenheit zu erlernen und sich zu eigen zu machen, gibt es genügend Studienwerke ... Leider haben wir kein Studienwerk in Händen, das uns beim Erarbeiten der Musik unserer Zeit hilft, die Schwierigkeit zu bewältigen, die ohne Siegfried Palm jeden Zweifel vielen von uns als fast unüberwindbar vorkommen.
"en Angeregt durch dieses Zitat des »Mr. Cello«
(Max Nyffeler)
der Neuen Musik Siegfried
Palm und einer langjährigen Beschäftigung mit zeitgenössischer Musik, habe ich mein Thema entwickelt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgte ein regelrechter Boom an Cellokompositionen, was zum einen auf die Inspiration durch bedeutende Interpreten wie Palm und Rostropowitsch, zum anderen auf die besondere Eignung des Instruments für die Klang- und Geräuschkompositionen der postseriellen Musik ebenso wie für das Musikalische Theater zurückzuführen ist. Die spieltechnische Entwicklung der Streichinstrumente wurde im wesentlichen durch zwei Faktoren geprägt: Zum einen erhielt sie Impulse durch das schlagzeugbezogene Geräuschklavier von John Cage (um 1940), der auch die ästhetischen Voraussetzungen und die Enttabuisierung der direkten Geräuscherzeugung auf Streichinstrumenten entscheidend mitbestimmte, zum anderen wurde sie durch das Aufkommen der elektronischen Musik und deren klanglicher Übertragung auf die traditionellen Instrumente stark beeinflusst. Da über Celloliteratur bis hin zu den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts bereits einiges an Material zu finden ist, befasse ich mich speziell mit zwei Kompositionen der jüngeren Musikgeschichte: Helmut Lachenmanns Pression für einen Cellisten (1969/70) und windowed 3 (2006) für Cello und Computer von Johannes Kreidler. Zwar ist Pression schon älter. Das Stück darf aber aufgrund seiner bis heute gültigen, spielästhetische Grenzen überschreitenden Haltung nicht fehlen.
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Helmut Lachenmann, Pression für einen Cellisten [Mg]
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In wohl keinem anderen Stück für Cello solo werden die spielästhetischen Grenzen
so gekonnt überschritten. Dabei beschränkt sich Lachenmann auf wenige musikalische Ausdrucksqualitäten des Violoncellos und ihre »bis ins Feinste ausgetüftelte Variabilität«
()ahn, S. 57).
Ausgehend von der Erfahrung, dass den traditionellen Mitteln der
Klangsprache bereits ein expressives Gepräge anhaftet, dem das Ohr in seinen Hörgewohnheiten verfallen zu sein scheint, vermeidet Lachenmann in seinem Stück nahezu jegliches tonales Material. Lachenmann spricht in diesem Zusammenhang von einer musique concrete instrumental, unter deren Einfluss Pression entstanden ist:
Gemeint ist damit eine Musik, in welcher die Schallereignisse so gewählt und organisiert sind, daß man die Art ihrer Entstehung nicht weniger ins musikalische Erlebnis einbezieht als die resultierenden akustischen Eigenschaften selbst. Klangfarbe, Lautstärke etc. klingen also nicht um ihrer selbst willen, sondern sie kennzeichnen bzw. signalisieren die konkrete Situation: Man hört mit welchen Energien und gegen welche Widerstände ein Klang bzw. ein Geräusch entsteht. Ein solcher Aspekt wird nicht von selbst: Er muß durch eine Kompositionstechnik erst freigelegt und unterstützt werden, die den üblichen, aber hier störenden Hörgewohnheiten still-schweigend, aber konsequent den Weg verstellt. Das Ganze wird zur ästhetischen Provokation: Schönheit als verweigerte Gewohnheit (Lachenmann, S. 58). Aus diesen Vorüberlegungen heraus entwickelt Lachenmann eine Fülle an neuen Spieltechniken, die alle Vorstellungen des cellistischen Wohlklangs überwindet und somit dem Interpreten wie dem Zuhörer neue Dimensionen eröffnet. Das Cello erweist sich dabei als prototypisch, da es aufgrund seiner Beschaffenheit bezüglich Größe, Dicke der Saiten und Ambitus über ein wirkungsvolles Obertonregister und somit auch eine große Farbskala verfügt. Die kompositorische Arbeit besteht hierbei im Erfinden, Ausprobieren, Erfassen, Systematisieren und für den Instrumentalisten spielbar Notieren der differenten Geräuscharten und der Anforderungen ihrer Aufeinanderfolge. Den Titel Pression verdankt das Stück einer quasi kadenzartigen, mit »intensivstem Druck« des Bogens hinter dem Steg zu erzeugenden geräuschhaften Aktion, die sich in äußerstem Kontrast zu dem einzigen ordinario zu spielenden Ton im letzten Drittel der Komposition verhält.
Spnifi2ieru.ng der neuen Spieltechniken eie In wohl keiner anderen Komposition für Cello wird das traditionelle und gewohnte
spieltechnische Repertoire dieses Instruments so radikal umgangen und gänzlich Andersgeartetes neu definiert wie in Pression. Zusätzlich fordert Lachenmann eine ungewöhnliche Scordatura
(abweichende Stimmung).
Er gliedert die Aktionen in Viertelabstände
Rotenpapier_211111-3
und erreicht damit eine »Neutralisierung der rhythmischen und
(statt Takteinheiten)
prozesshaften Ereignisse zu statischen Feldern«
()ahn, S. 44).
Um die ungewöhnlichen Spieltechniken für den Interpreten realisierbar zu machen, verwendet Lachenmann eine eigens hierfür entwickelte prägnante Notation (Aktionsschrift). Unter Einsatz des so genannten »Stegschlüssels« zu Beginn des Stückes lässt sich der Ort jeder Aktion maßstabsgetreu abbilden
(Abb. 1).
Symbolisiert sind die
Saiten über Griffbrett bzw. Steg und schließlich der Saitenhalter. Zwei weitere Varianten des Stegschlüssels finden sich vor der 72. Viertel dem Steg angezeigt, und vor Viertel 93
(Abb. 3)
(Abb. 2),
hierbei sind die Saiten hinter
unter Darstellung der Saiten vor dem Steg
und der Corpus- und Stegwand.
v I. Sa
Steg
••
PP — Corpuswand vor Steg
Griff= brett
Hälse aufwärts. rechte Hand Hälse abwärts = linke Hand
Abb. 1
Bogen unter den Saiten vor Stegwand
1
hinterm StQ9
Abb. 2
Abb. 3
Die Notation zeigt »nicht an, was klingen soll, sondern, was der Spieler tun soll«, so Lachenmann im Vorwort zu Pression. Lachenmanns Anweisungen unterscheiden Aktionen in die der linken Hand auf Saiten/Griffbrett und Corpus und in die der rechten Hand hinsichtlich Bogenführung und Funktion der Finger. Daraus ergeben sich vier Qualitäten und durch deren sukzessive Abfolge insgesamt 37 Aktionen. Innerhalb der vier genannten spieltechnischen Aktionsfelder lassen sich wiederum fünf Klangbausteine, deren Eigenschaften durch vier Erzeugungsmechanismen geprägt sind, unterscheiden:
e Vier Glissandoarten auf den Saiten: ausgeführt mit einem Finger, mit zwei Fingern, mit Fingernagel und mit dem Bogenholz (col le gno). et Vier Kontaktstellen des Bogens: vor und hinter dem Steg, direkt auf dem Steg
und auf dem Saitenhalter. e, Vier »Wisch«-Bewegungen: mit der linken Hand auf den Saiten, auf dem Corpus, mit dem Bogenhaar auf dem Corpus und mit dem Bogenholz unter der Saite. et Vier Saltandoeffekte: auf den Saiten
sul tasto, unter der Saite, auf dem Steg
und auf dem Corpus.
Pizzicato: der leeren Saite ordinario, Saiten hinter dem Steg, Saiten im Wirbelkasten und Bartök-Pizzicato.
j, Vier Arten des
C.:X2 lintenpapier_21109
Ausgewählte Spieltechniken und deren Ausführung ey,
Für das eröffnende arco auf dem Steg verlangt der Komponist — obwohl im pp —
größtmögliche Intensität.
V 1-1
I. Saite Steg
P13 Griff= brett Hälse aufwar s = rechte Hand Hälse abwärts = linke Hand
mit Fingerkuppe locker - quasi flageolett auf der Saite hin und her fahren.
Abb. 4
Für die Ausführung bedeutet das, dass die Anstrichstelle nicht auf dem Steg zu wählen ist, sondern kurz davor, sodass zwar immer noch keine Tonhöhe erkennbar, jedoch das folgende Glissando der linken Hand gut hörbar ist. Eine weitere ungewöhnliche Spieltechnik ist das Gleiten des linken Daumennagels durch das Bogenhaar (Abb. 5). Der Bogen wird im Vorfeld dieser Aktion mit viel Armgewicht am Frosch auf den Steg gesetzt und zwar mittig auf Höhe der D-/ G- Saite. Das geräuschintensive Gleiten des Daumennagels ist durch leichte Pronation der linken Hand gut realisierbar. Im 53. Viertel (Abb. 6) soll der Bogen auf dem Steg mit »scharfem Ruck« losgezogen werden, dabei darf und soll nach Aussage des Komponisten ein Pfeif-Geräusch erklingen. In der Parallelstelle 281. (Abb. 7) muss der Bogen entgegen den notierten Spielanweisungen nicht von der Saite, sondern quasi saltando aus kurzer Distanz auf die Saite kurz vor dem Steg aufprallen, auch dabei entsteht ein »Pfiff«.
sub, orco
4-
Lj intensiv
r.H.
Abb. 5
es() scharfer Ruck
Bogen tonlos auf Steg, mit scharfem Ruck beginnen
Abb. 6
(,..2.Rotenpapier_211111—)
Linke mit Fingert Saiten IJcker bei
Abb. 7
Bei der nächsten Aktion
(58. Viertel)
wird das Bogenhaar durch Daumen und Zeigefinger
beider Hände gemäß der vorgeschriebenen Haarlänge abgeklemmt und so entlang der entsprechenden Saite vertikal gequetscht
(Abb. 8).
Dabei sollte möglichst jedes einzelne
»Knacken« der Saite hörbar sein. Dies gelingt zum einen durch richtig dosierten Druck, zum andern durch eine Ansatzstelle nicht zu nah am Steg, da dort die Saite aufgrund der höheren Spannung schwerer anspricht.
1 ), ...inth5.. 1 2 Har arliinge
II
III
Steg Bogen steil gequetscht
Abb. 8
Die nächste Stelle (68.ff) beinhaltet jene Pression auf die der Titel anspricht. Der Bogen wird dazu in die rechte Faust genommen und mit viel Druck entlang der Saite gequetscht. Im weiteren Verlauf streicht der Bogen
(in der gleichen Spielhaltung)
die Saiten
unterhalb des Steges nahe der Saitenumspinnung, was schließlich in jenem, mit intensivsten Druck zu spielenden »Fest«
(87. ff, Abb. 9)
mündet.
mindestens 60 Sek.
V
molto rit.
;ft>
lunga possibile
ptrzi.
sf : .
Abb. 9
intensivster Druck '.."----...... ■,,,„„,,,,......----...._,----Bogenwechsel ad lib. Dauer ad lib. ( ca. 60 Sek.)
J 14
......----# Schlag und sc Saiten
Der zweite Teil des Stückes beginnt mit einer längeren Episode
(101 bis 134),
in der
Lachenmann die Saltando-Technik durch verschiedene Aufprall-Flächen des Bogens am Instrument und deren Kombination variiert
(Abb. 10, 117.ff).
Entscheidend für ein präzises
Repetieren sind die Haltung des Bogens und die Kontrolle durch den kleinen Finger. Der Bogen sollte aus dem vorausgehenden Faustgriff wieder in eine »normale« Bogenhaltung gebracht werden, bei welcher der kleine Finger der rechten Hand die große Spannung, erzeugt durch den Hebel zur Saite, aufrecht erhalten muss. Durch Drehen des Handgelenkes erreicht man gut alle geforderten Positionen. Die Einheiten 119 ff. sind espressivo »wie Schumann« zu spielen.
(1.1
2 Ilatenpapier_211119—n
Iegno
Iegno
Iegno
0 -NNL
espr.
■■•■■■••■•
wand( Haar )
Abb. 10
)
---
Haar
Bogen weiterziehen
alle saltandi dicht nebeneinander
Die ab 178. geforderte Technik könnte man als »Morsen« bezeichnen (Abb. 11): Der Bogen streicht die Saite so geräuschhaft wie möglich
(mit viel Bogen)
kurz vor dem Steg
mit Bogenwechseln ad libitum, gleichzeitig dämpft der gespreizte Daumen der linken Hand immer die zu streichende Saite von unten ab und löst sich kurz für die notierten Dauern von der Saite. Diese unterschiedlich kurzen Töne unterbrechen so »morsend« das kontinuierliche Rauschen des Bogens. Die Dynamik der Töne entsteht dabei nicht etwa durch ruckartiges Beschleunigen der Bogengeschwindigkeit während des Tones (wie missverständlich aus der Partitur hervorgeht),
sondern durch Vorbereiten der entsprechend
schnelleren oder langsameren Geschwindigkeit vor der Note.
Steg II.Saite immer sehr geräuschaft (viel Bogen )
Abb. 11 Ein weiterer schöner Effekt ist das sog. »halb getretene Harfenpedal«
(334.ff, Abb. 12).
Diese Aktion wird von einem col Iegno Schlag auf der C-Saite eingeleitet, gefolgt vom sf-Anzupfen der übrigen Saiten. Die nach dem col Iegno auf der Saite ruhende Bogenstange berührt unmittelbar danach nacheinander die vom Pizzicato noch schwingenden übrigen Saiten. So ergeben sich die gewünschten »Schnarr«-Töne.
II
Abb. 12 Das kompositorische Material entwickelt sich aus dem instrumenten-spezifischen Material heraus, wobei dessen Variations- und Entwicklungsmöglichkeiten die Form und Struktur der Komposition bestimmen.
Retenpapier_211111-1)
Pression eröffnet dem Interpreten wie dem Instrumentalisten bei intensiver Beschäftigung mit dem Material völlig neue Dimensionen. Das Cello wird neu definiert bzw. entdeckt. Dabei verblüfft, wie Lachenmann aus den in der traditionellen Aufführungspraxis unterdrückten klanglichen Randbereichen
(»Abfallgeräuschen«)
eine derart schlüssige
Komposition schafft. Allein das präzise Resultat der Klänge ist dem Komponisten wichtig. Dabei hat ein ausdifferenzierter Klang immer ein gewisses Vorrecht vor dem Rhythmus. Auch die Dynamik ist in diesem Zusammenhang nur relativ zu sehen. Da Pression im Wesentlichen eine von extrem feinen Geräuschen bestimmte Komposition ist, erscheint das Abdämpfen aller Nebengeräusche produzierenden Teile des Cellos ein umso wichtigerer Aspekt bei der Aufführung. Und da oft beide Hände im Spielgeschehen involviert sind, bleibt an vielen Stellen nur das Abdämpfen mit Hilfe des Kinns übrig. Dies sei vor allem von Viertel 52 — 68 und 285 — 303 empfohlen, ansonsten übernimmt die linke Hand diese Aufgabe. Dazu sollte der Aufführungsraum von allen störenden Alltags-Geräuschen isoliert sein. Pression erfordert von Cellisten, »ihr gewohntes spielästhetisches Selbstverständnis nicht nur zu hinterfragen, sondern ... zu verändern« (Jahn, S. 58).
Johannes Nufilier, urinhured. 3 für Cello und Computer Kreidler, der sich selbst als »Kind der digitalen Revolution« (homepa ge) bezeichnet, arbeitet in windowed 3 mit konkretem Material und strukturalistisch-parametrischen Strukturen, unter Verwendung präexistenter Klangdateien (soundnies). Dabei erreicht er über die »Fensterung«
(windowed)
von Lautstärke verschiedene Grade der Erkennbarkeit
der Soundfiles, vom winzigen bunten Fetzen bis zur temporären Entfaltung eines Idioms. So lassen sich Übergänge anlegen von ‚absoluter', parametrisch organisierter Musik zu ,objekthafter` Musik, und umgekehrt. Die spieltechnischen Gegebenheiten stehen dabei in direktem Zusammenhang mit der Rolle des Cellos und seinem Verhältnis zum Computer: Das eine bedingt dabei das andere. Das Cello ist mit einem Kontaktmikrofon an den Computer angeschlossen, wo der Klang nicht verarbeitet oder verfremdet, sondern lediglich seine Lautstärke analysiert wird. So fungiert das Cello als »Auslöser« auf zwei gegensätzliche Arten: et 1. Überschreitet die Dynamik einen gewissen Wert
(ungefähr die Schwelle von Stille zu Klang),
erklingt der momentane Ausschnitt vor einem im Hintergrund ständig laufenden Soundfile. Davon gibt es im Stück über 10, die vom zweiten Spieler am Computer eingestellt werden und in der Partitur genau bestimmt sind. et 2. Als Umkehrung dieser Schaltung hört man im späteren Teil des Stückes genau dann ein Soundfile, wenn das Cello pausiert, es also den Schwellenwert unterschreitet. Diese beiden grundsätzlichen Arten der Koppelung werden unter spezieller Ausnützung der Dynamik im weiteren Verlauf der Komposition noch variiert bzw. verfeinert. Dafür folgen einige Beispiele:
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In T. 72-73 spielt das Cello eine wellenförmig aufsteigende Linie, zunächst in schnellen, deutlich zu akzentuierenden Sechzehntel-Repetitionen, dann im pizzicato accelerando. Dazu läuft im Computer eine Klangdatei ab, die durch die minimalen, spieltechnisch bedingten Pausen zwischen den Repetitionen bzw. Pizzicati unterbrochen bzw. ausgelöscht wird. Ab T. 85 ff. nutzt der Komponist verschiedene crescendi und decrescendi um einen direkten Übergang zwischen Celloklängen und den Soundfiles des Computers herzustellen: Es wird jeweils durch ein decrescendo (Dynamik unterschreitet bestimmten Wert) die Soundfile ausgelöst und durch ein crescendo wieder ausgelöscht (Cello und Computer wechseln sich ab). Ab T. 89 ff. entsteht der umgekehrte Prozess, d.h. in diesem Fall löscht das decrescendo die Soundfile aus, während das crescendo sie wieder auslöst. In T. 92 werden die oben beschriebenen Spielweisen durch Umschalten des Computers miteinander kombiniert. Zusätzlich gibt es auch Passagen, in denen Cello und Computer unabhängig voneinander agieren, also das freie Abspielen von Ausschnitten aus den Klangdateien durch den Computerspieler an der Tastatur. Der Spieler und sein Instrument sollten für den Zuhörer gut sichtbar sein. Die Verwendung des Kontaktmikrophons, das direkt auf dem Instrument befestigt wird, steht in enger Beziehung mit der Ausführung der gegebenen Spieltechniken. Für windowed 3 eignet sich besonders eine Befestigungsstelle am rechten Stegfuß, etwa auf halber Höhe des Steges. Aus der Tatsache des »Auslösens« bzw. »Auslöschens« resultieren spezielle spieltechnische Aspekte
(vor allem im Pizzicato)
und deren Ausdifferenzierung. Anfangs hört man
für die Dauer jedes gezupften Klanges einen Ausschnitt aus einer präexistenten Musik. Danach erklingen ganz verschiedene Pizzicati, in verschiedenen Registern und Dämpfungsgraden. Kreidler verlangt für die linke Hand sechs verschiedene Grade des Fingerdrucks, von Flageolett bis zum normalen Griff, wodurch die Saite in ihrer Schwingung mehr oder weniger gedämpft wird (Abb. 13). Außerdem werden extrem hohe Töne vorgeschrieben und schließlich mit dem Fingernagel gezupft. Diese Spieltechniken werden im weiteren Verlauf auch miteinander kombiniert.
Abb. 13 Jede dieser Aktionen bedingt eine andere Klangstruktur und -qualität, wodurch verschieden lange und so in ihrer Erkennbarkeit differente »Fetzen« aus der Konserve, den Soundfiles, hervorkommen. Klang und Semantik sind in einer »dissonanten« Art und Weise aufeinander abgestimmt. Das Material des Computers besteht aus Aufnahmen klassischer Kammermusikwerke, barocker, zeitgenössischer und außereuropäischer Musik. Der Lautsprecher des Computers soll dabei ein kleiner, quasi kammermusikalischer, sein. Der sich öffnende Dialog entsteht zwischen verschiedenen Musiken bzw. Auffassungen von Musik. Das Cello bringt Klänge und Idiome aus verschiedenen Epochen hervor, die je nach Kontext der Zuspielung wiederum eine andere Bestimmung erhalten.
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»Präpariertes Violoncello« Foto: Peter Schiemenz
Als Ganzes erfährt das Idiom »Cello« und die technische Aufzeichnung von Musik eine Dekonstruktion durch Fragmentierung und Resynthese durch Live-Elektronik. Das heißt, »Musik« wird zum Parameter anderer Musik. Und diese andere Musik ist, wie die »primäre« und doch grundsätzlich anders, entworfen aus den Bedingungen des Cellos, der Intensität und Dauer seiner Klänge in verschiedenen Bereichen, der strukturellen Beschaffenheit ihm eingeschriebener musikhistorischer Charaktere. Die Beispiele zeigen die Vielseitigkeit des Violoncellos, die die Komponisten im 20. Jahrhundert neu entdeckten. Obwohl der anfängliche Boom an Solo-Kompositionen seit den 90er Jahren etwas abgeebbt ist, lassen sich auch in der jüngsten Musikgeschichte einige interessante Beispiele finden. Die Evolution der musikalischen Sprache und die ständige Einführung anderer Kompositionsmethoden erfordern ein immer deutlicheres, präziseres, eindeutigeres Zeichensystem. Dieser gegenseitige Einfluss von kompositorischer Vorstellung und graphischer Darstellung zeigt sich am deutlichsten in Werken des 20. Jahrhunderts, die das Mehrdeutige in die Komposition, Notation und Interpretation einzubeziehen begannen. Leider werden die Qualitäten der Neuen Musik in der heutigen Instrumentalpädagogik noch viel zu wenig genutzt. Die spieltechnischen Errungenschaften bieten für den Instrumentalunterricht eine Fülle von Möglichkeiten, den Schüler das Instrument spielend entdecken zu lassen.
Zum -
Weiterlesen
Jahn, Hans-Peter: Pression, in: Helmut Lachenmann, hrsg. von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn, München 1988, S. 40-61
-
Kreidler, Johannes: www.kreidler-net.de
-
Lachenmann, Helmut: Musik als existentielle Erfahrung, Wiesbaden 1996
Philipp Schiemenz freischaffender Musiker, studierte Violoncello bei Christoph Henkel und Adriana Contino (Freiburg), Helga Winold und Janos Starker (Bloomington, USA). Er spielte zahlreiche Uraufführungen von jungen Komponierenden
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Fingerabdruck Einer Frau Ein Lied Iran Maria Paurlourna hmanoura und Lis2ts hila11-5onate Tibor Szäsz
„..e, Wahrscheinlich hat kein Werk von Franz Liszt mehr Streit unter Pianisten, Kritikern und Musikwissenschaftlern hervorgerufen als sein wohl größtes Werk für Klavier, die 1854 erschienene Sonate h-Moll. Anhand eines Briefes des bekannten Chopinologen Arthur Hedley und eigenen Nachforschungen ist es mir gelungen, tiefere Einsicht in die Gestalt und den Ursprung des thematischen Materials des »Andante sostenuto / Quasi Adagio« der Sonate zu erlangen. So scheint es, dass nicht nur die sogenannte »Stern-
Consolation«
(Consolation Nr. 4, Des-Dur, Takte 1-2, 6-7, 17-18, 19-20, 26-27)
»Andante sostenuto / Quasi Adagio« der h-Moll-Sonate
sondern auch das
(Takte 334-338, Andante sostenuto in
fis-Dur, T. 397-401, Quasi Adagio in fis-Dur, und T. 711-715, Andante sostenuto in H-Dur)
zurückzuführen
sind auf ein Lied von Maria Pawlowna (1786-1859), Tochter des russischen Zaren Paul I. und Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach. Sie galt als Fördererin der Künste und begabte Komponistin insbesondere für Lieder. Durch die Liedmelodie besteht eine Verwandschaft der Consolation mit dem Sonaten-Thema. Es existiert ein LisztAutograph, das eine Zwischenstufe in der Entwicklung des thematischen Materials darstellt, ausgehend von dem Lied Pawlownas über die Consolation bis zum »Andante sostenuto Quasi Adagio« der h-Moll Sonate. Aus den Ergebnissen meiner Recherche, die auf der Entdeckung zweier Dokumente beruhen, lassen sich insbesondere zwei Herausforderungen für die aktuelle Liszt-Forschung ableiten, nämlich 1.
Das Original der Komposition Maria Pawlownas, von Liszt als »L.D.S.A.I.M.P«
(Lied de son Altesse ImOriale Maria Paulowna)
bezeichnet, das ihn sowohl für die Consolation als
auch das »Andante sostenuto / Quasi Adagio« der h-Moll-Sonate inspirierte. 2.
Das heute verschollene Autograph Franz Liszts, das die kompositorische
Entwicklung des thematischen Materials aufzeigen könnte.
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‘.)
Die Entdeckungsgeschichte In einem Brief an William S. Newman schließt Hedley mit den folgenden Worten: »Liszt composed the Adagio theme of his Sonata in 1849 —I have the little note-book page an which he wrote it down, at the same time as Funerailles.« Selbst einem gut informierten Musikwissenschaftler oder Musikkritiker mag es schwer fallen, das Autograph einzig anhand der Beschreibung Hedleys zu identifizieren oder das auch nur das Thema zu nennen, das in Hedleys Brief mit dem »Adagio-Thema seiner Sonate« bezeichnet wird. Es ist gut möglich, dass der gegenwärtige Besitzer der kleinen »Notenbuch-Seite« sich der Kostbarkeit dieses Papiers nicht bewusst ist. Da Hedleys Brief in einem Atemzug ein »Adagio« von 1849, und kein näher identifizierbares »Thema seiner Sonate« beschreibt, durchsuchte ich Liszts Klavierwerk nach einem Werk, das diesen Anforderungen entspricht. Mit Erfolg: die so genannte SternConsolation Nr. 4 in Des-Dur ist mit »Quasi adagio« überschrieben und wurde 1849 komponiert und 1850 veröffentlicht. Ausgelöst wurde diese Suche durch einen Traum, aus dem ich eines Nachts mit den seltsamen Worten, »such nach einem Stück, dass mit einem Stern beginnt«, erwachte.
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Abb 1:
Vergleich der Consolation mit dem Andante sostenuto / Quasi Adagio – Thema der h-Moll Sonate
1. System:
Consolation Nr. 4, Quasi Adagio, Original in Des Dur, hier transponiert in Fis-Dur. Takte 1-2,6-7 ohne Verzierungen im Original; Verzierungsnoten nur in den Takten 17,19,26
2. System: h-Moll Sonate, Andante sostenuto (Takte 336-338, 713-715); Quasi Adagio (Takte 399-401)
Hedley schreibt lediglich von einem Adagio-Thema. Tatsächlich aber erscheint dieses Thema in der h-Moll-Sonate unter zwei unterschiedlichen Tempo-Bezeichnungen, erst als Andante sostenuto, dann als Quasi Adagio. Ein Vergleich der melodischen Gestalt der Consolation von 1849 und des Andante sostenuto Quasi Adagio-Themas der Sonate enthüllt darüber hinaus die Beziehung zwischen diesen beiden Werken und weist damit dem von Hedley erwähnten verschollenen Autograph eine bestimmte
(mittlere)
Position
im kompositorischen Prozess des thematischen Materials der Sonate zu. Wenn Liszt das Andante Sostenuto nach dem Vorbild des Quasi Adagio der Stern-Consolation gebildet hat, so müsste er notwendigerweise zwei Veränderungen am musikalischen Material des Modells vorgenommen haben:
Ilutenpapier_211119—D
Die Zweier-Metrik der 34 Takte des Consolation-Themas
1.
(C-Vorzeichnung)
muss an die 16 Takte lange Dreier-Metrik des Andante sostenuto / Quasi Adagio ( 3/4-Vorzeichnung)
2.
angepasst werden.
Die ursprüngliche tonale Umgebung
(Des-Dur)
der Consolation muss in den
Fis-Dur-Raum der Sonate transponiert werden. Eine genaue Analyse des Materials ergibt nun das folgende Ergebnis: Alle obigen Ausschnitte enden mit einer authentischen Kadenz (Dominate-Tonika)
1.
in der jeweiligen Tonart. Die melodische Gestalt einer ausgewählten Abschnittes der Sonate
2.
ist in der Consolation insgesamt fünf Mal zu finden oberen System; T. 17-18,19-20,26-27 im unteren System).
(Takte 336-38)
(Consolation Nr. 4, Des-Dur, Takte 1-2,6-7 im
Die exakte Korrespondenz der
Melodieverläufe zeigt sich deutlich anhand ihrer identischen Stufenfolge: V-IV-111-11-VI-V-V-III. Die Hauptmelodie des Andante (h-Moll
Sonate, Takte 336-338,
folglich eine wörtliche Transposition der Melodie in den Anfangstakten
obere Stimme) ist
der Consolation
(Consolation, Takte 1-2 ohne den Auftakt).
Nicht nur der melodische Verlauf ist identisch, sondern auch die Abfolge von Haupt(großgedruckten)
Noten und Verzierungsnoten ist in beiden Werken exakt die gleiche.
Eine weitere Bestätigung für die Annahme, dass Liszt das Consolation- und ehemals Pawlowna-Thema wörtlich übernommen hat ergibt sich aus den Untersuchungen von Winklhofer (1980/1978,5.193), die eine frühe Fassung der Pawlowna Melodie Liszts entdeckt hat. Leider bemerkte Winklhofer nicht, dass diese frühe Fassung Sonate)
(später T. 399-401 der
hundertprozentig mit dem Anfang der Melodie aus der Pawlowna-Consolation
übereinstimmt:
41 ex brr
BOIL
liomminedow MIIII
mr ,--■wwir All NI
11w'
aii
1.13.1■
■111111111111/11•11111MI
Abb 2: Die ursprüngliche Form des Quasi Adagio-Themas in Liszts Autograph der Sonate, versteckt unter einer »Pastiche«-Schicht (transkribiert von Sharon Winklhofer, S. 193)
Beiden — dem Consolations- und dem Sonaten-Thema — ist also die harmonische Grundgestalt
(vierstimmiger Choral, im Falle der Consolation auf der schweren Zeit der Takte 1 und 32-33
verstärkt durch plagale [AMEN] Kadenzen),
die melodische Formung und ein herausragendes
Detail der rhythmischen Gestaltung und Notation gleich. Nun stellt sich noch die Frage, wie Liszt zum Ausdruck gebracht hat, dass er den mehrfach verwendeten thematischen Gedanken jemand anderem verdankt, nämlich Maria Pawlowna. Eine frühere, von Liszt nicht verwendete Version der Consolation zeigt
llatenpapier_20111-n
einerseits die handschriftlichen Bezeichnungen Liszts »Quasi Adagio« und »cantabile con devozione« und trägt zudem am Kopfende der Seite ein Symbol, das auf eine Fußnote verweist
(vielleicht der Ursprung des Sternes in der deutsche Erstausgabe der Consolation bei
Breitkopf und Härtel):
Abb 3: Liszts handschriftliche Bemerkungen: »Quasi Adagio« und »cantabile con divozione«, (GSA 60/1 22, Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv)
Die Bedeutung der Fußnote »D'apres un L.D.S.A.I.M.P. ...« wurde bereits von Peter Raabe auf der Basis von einer ähnlichen handschriftlichen Bemerkung von Liszt entschlüsselt.
Abb 4: Liszts eigene Bearbeitung des Pawlowna Lieds »Es hat geflammt die ganze Nacht«, (GSA 60/D 69, Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv)
In diesem Manuskript finden sich Anmerkungen von Liszt zu einem von Maria Pawlowna komponierten Lied: »Lied de S.A.I.M.P«, was Raabe wie folgt dekodiert: »D'apres un Lied De Son Altesse Imperiale Maria-Paulowna«. Der obige Vergleich des musikalischen Materials und der Nachweis des Transpositions-Prozesses von der Consolation zur
ahat are all them papers? Open upt t tn that case"...etc. You oan just tal (" custcms of i' I gotta see hat y ay, if I oculd fix up a e it.) eite pei be posble one d e it OfFight nniveratty and collegelebtiaree— I krolor cultivated American andienees vould be enehentsd. re and beentiful IFSS ende timehing' pea-sonal of a unique gentue. 1 lock forward,to your third volume. By the omposed the Adagio thfflof hie Sonate 1849 e he in vrote nag e an wich the little note-book lles. the same time as Funirai
Arthur Hedley an William S. Newman, am 17. Mai 1967
'toure sinoere
(Auszug)
k
L
4.
Sonate erlauheri nun, anhand der gesicherten Kenntnis über den Ursprung des Themas der Consolation auch das Thema der Sonate auf einen musikalischen Gedanken Maria Pawlownas zurückzuführen. Es ist sicherlich eine der wichtigsten Aufgaben der gegenwärtigen Liszt-Forschung, das einst im Besitz von Arthur Hedley befindliche Liszt-Autograph, das in dieser Kette zwischen dem Lied Pawlownas, der Consolation und der Sonate ein Bindeglied darstellt, wiederzufinden. Zugleich ist es von herausragendem Interesse, nach dem Original des Liedes von Maria Pawlowna, das Liszt zu zwei seiner schönsten Klavierwerke angeregt hat, zu suchen.
zum
Weiterlesen
Szäsz, Tibor: Liszt's Symbols for the Divine and Diabolical: Their Revelation of a Program in the B minor Sonata, Journal of the American Liszt Society, June 1984 Winklhofer, Sharon: Liszt's Sonata in B Minor. A Study of Autograph Sources and Documents, Ann Arbor, ohne Jahr (1978) Tibor Szäsz, Pianist Nach seinem Studium bei der Cortot-Schülerin Eliza Ciolan, qualifizierte er sich bei Leon Fleisher, Theodore Lettvin, Russell Sherman, Miklös Schwalb und Charles Fisher weiter. Darüber hinaus promovierte er 1983 mit einer Arbeit über Liszt zum Doctor of Musical Arts an der University of Michigan in Ann Arbor /USA. Er lehrt seit 1993 an der Musikhochschule Freiburg.
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'denn der Eindruk darf nicht mgeifelhaft selnEc Zur Eualutian inut Schumanns Sinfonischen Etüden up. 13
Christine Goldstein
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Ein Grund für die Wahl von Schumanns Sinfonischen Etüden war der Wunsch, mich
musikwissenschaftlich mit einem Werk auseinanderzusetzen, mit dem ich mich auch praktisch beschäftigte. Vor allem interessierte mich die weit verzweigte Geschichte des Werkes. Über die beiden Druckausgaben hinaus ist eine Vielzahl von Fassungen erhalten. Nicht alle stammen vom Komponisten. Verwirrung und Spekulationen begleiteten die Suche nach einer »authentischen« Version. Inzwischen kann man sogar von einer verselbstständigten »Entwicklung« des Werkes sprechen, die nach Schumanns Tod begann und bis heute nicht abgeschlossen ist. Gerade hier erwies sich der Vorsatz, bei der musikwissenschaftlichen Arbeit die Praxis nicht aus den Augen zu verlieren, in verschiedener Hinsicht als aufschlussreich. Wie aus den handschriftlichen Quellen ersichtlich ist, hatte Schumann, bevor 1837 die »Frühfassung« von op.13 gedruckt wurde, nicht weniger als fünf vom Erstdruck abweichende Anordnungen mit immer wieder modifizierten Einzelstücken (auch Auswechseln einzelner Nummern) sowie fünf abweichenden Titeln erwogen.
Die Variations pathgtiques sur un thime de Mr. le Baron de Fricken, compos6es Fricken, nee p. Tour] I. Lel Pfte. [piano-forte] et dediges d Madame / la Baronne de comtesse de Zedtivitz. / par R. Schumann. CEuvre 9, gehört zu den frühen Versionen. Baron und Baronin von Fricken waren die Adoptiveltern von Schumanns erster Verlobter Ernestine von Fricken. Durch das von Baron von Fricken übernommene Thema von op.13 entsteht ein musikalischer Bezug zu Ernestine, wie er so oft in Schumanns Werken, direkt oder verschlüsselt, zu Personen seines Umfelds zu finden ist. Die Entstehung von op.13
(1834-1836)
fällt in die Zeit des Schumannschen Davids-
bunds, eine Tafelrunde von Jünglingen, die in ihren Sitzungen über höchste Kunstinteressen verhandelten. Allerdings existierte der Bund nur im Kopf seines Stifters als literarische Fiktion. Die beiden Hauptpersonen der Runde, Florestan und Eusebius, personifizieren verschiedene Seiten von Schumanns Charakter. Sie verfertigten Kritiken und Kompositionen, in denen ihre gegensätzlichen Charaktere deutlich hervortraten.
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Auch Opus 13 war von Schumann
(zumindest vorübergehend)
als Komposition von Florestan
und Eusebius geplant. In den Jahren 1836 und 1837 erwähnt Schumann in seiner Neuen Zeitschrift für Musik Zwölf Davidsbündleretüden und X Etüden im Orchestercharakter von Florestan und Eusebius op. 13. Jedoch erschienen die Druckfassungen unter
Schumanns Namen. Der Titel auf dem Erstdruck der Frühfassung vom Juni 1837 lautete schließlich: XII Etudes symphoniques pour le piano-forte dedi6es ä son ami William Sterndale Bennett ä Londres par Robert Schumann. Euvre 13. Inzwischen war die Verlo-
bung mit Ernestine von Fricken wieder gelöst worden. Nun wurden die Sinfonischen Etüden dem Engländer William Sterndale Bennett gewidmet, einem der jungen Musiker,
die nach Leipzig kamen, um bei Mendelssohn Bartholdy zu studieren, dort auch Schumann kennen lernten und von ihm gefördert wurden. Fünfzehn Jahre später, im Februar 1852, erschien eine Spätfassung von Opus 13 mit einschneidenden Veränderungen und dem neuen Titel: Etudes en forme de Variations pour le pianoforte dediges ä son ami William Sterndale Bennett par Robert Schumann. CEuvre 13. Anlass der Neuausgabe war vermutlich eine verlegerische. Anfang der
fünfziger Jahre bestand eine große Nachfrage nach Schumannschen Klavierwerken (womöglich wegen des erfolgreichen Albums für die Jugend op. 68),
der der Komponist damals nicht
nachkommen konnte. Deswegen richtete sich das Interesse verstärkt auf bereits erschienene Stücke, deren Verbreitung vom damaligen Verleger kaum mehr vorangetrieben wurde. Nach dem Tod Tobias Haslingers, des Herausgebers der Frühfassung von op.13, hatte sich dessen Sohn, der den Verlag übernahm, mehr auf Wiener Tanzmusik spezialisiert. Ein letztes Angebot Schumanns von Klaviermusik zu vier Händen und einem Heft Liedern war 1845 abgelehnt worden. In Julius Schuberth in Hamburg fand Schumann einen neuen Verleger. Mit einem weniger ungewöhnlichen Titel als dem der Frühfassung Etudes symphoniques nun Etudes en forme de Variations)
(statt
hoffte Schumann vielleicht, eine weitere
Verbreitung seines Werks zu erreichen. Die Fülle von Formen, die Schumann seinem Opus 13 gab und in die hier nur ein knapper und oberflächlicher Einblick gegeben werden konnte, muss tatsächlich verwirrend genannt werden. Doch liegen mit der Spätfassung und auch mit der Frühfassung zwei vollständige Versionen vor, die eine Aufführung von Opus 13 nach den Wünschen des Komponisten möglich machen. Warum also die Frage nach der »authentischen« Fassung? Wenige Jahre nach Schumanns Tod, 1861, erschien eine dritte Ausgabe. Der Herausgeber, Adolf Schubring, versicherte, eine
(inzwischen verlorene)
Stichvorlage mit Schumanns
Korrekturen zu kennen. Ferner behauptete Schubring, einschneidende Streichungen in der Spätfassung seien auf »anderseitige Veranlassung« und »Missverständnisse« zurückzuführen. Zwar sind keine Äußerungen Schumanns über derlei Missverständnisse bekannt, wobei nur schwer vorstellbar ist, dass ein Komponist sie einfach hingenommen hätte. Dennoch war Schubrings Ausgabe, in der die Früh- und Spätfassung gewissermaßen vermischt wurde, über achtzig Jahre lang am weitesten verbreitet.
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Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts kam eine neue Mode auf, vermutlich ausgelöst
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durch einen Vorschlag in Alfred Cortots » dition de travail« von 1948. Jetzt wurden in die Frühfassung und in Schubrings Ausgabe die so genannten posthumen Variationen integriert. Jene fünf im Laufe des Arbeitsprozesses von Schumann aus dem Zyklus entfernten Variationen waren erst 1873 von Clara Schumann veröffentlicht worden. Sie seien »als eine Fortsetzung oder vielmehr als eine Ergänzung« zu verstehen, wie es im Vorwort hieß. Für die Integration und Vermischung von nachgelassenen Varianten und Fassungen gibt es eine Fülle von Rechtfertigungen. Am verbreitetsten ist wohl der Glaube, eine Integration möglichst vieler der veröffentlichten Stücke werde den wahren Wünschen
In den neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts bemühten sich Damien Ehrhardt, Jean-Pierre Bartoli und Thomas Warburton in verschiedenen Aufsätzen dann um eine wissenschaftliche Beantwortung der Frage. Damit verbunden war die Rekonstruktion der verschiedenen von Schumann in Betracht gezogenen Fassungen und die Suche nach ihrer inneren Logik bzw. nach Erklärungen, warum immer wieder Stücke verändert, umgestellt, ausgeschieden oder ersetzt wurden. Die Autoren stützten sich auf unterschiedliche, zum Teil außermusikalische Anhaltspunkte: wenige Stellen aus den überlieferten Briefen Schumanns an den Hauptmann von Fricken, die in den verschiedenen Werktiteln angesprochenen Gattungsbereiche (Etüde, Variation, Fantasie, Sinfonie), die Gegensätzlichkeit von Florestan und Eusebius etc. Als intendierte Formprinzipien entschlüsselten die Wissenschaftler innerhalb der verschiedenen Anordnungen von Opus 13 Symmetrien, Steigerungsverläufe und Kontrastbildungen. Alle kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass nur eine bestimmte der frühen, unveröffentlichten Fassungen eine Einbeziehung aller posthumen Variationen erlaube und die Praxis der Einbindung der posthumen Variationen in die späteren Druckfassungen nicht sinnvoll sei. Doch hinsichtlich der Begründung der Stimmigkeit jeder einzelnen Fassung, die jeden nachträglich verändernden Eingriff fragwürdig erscheinen lässt, bleiben einige Fragen offen. Viele der außermusikalischen Inhalte können keinem bestimmten Notentext zugeordnet und somit höchstens spekulativ einbezogen werden. Die oben genannten Ordnungsprinzipien beschränken sich nicht selten auf ein bis zwei Parameter (Lage des Themas, Taktart, Rhythmik oder Tonart). Manche setzen nicht nachprüfbare Spekulationen voraus, um vollends aufzugehen. Es entstehen Zweifel daran, wie aussagekräftig die Beobachtung solcher Strukturen ist. Schließlich ist die Gefahr groß, diverse Formintentionen in einen Zyklus von nur maximal zwölf Stücken »hineinzusehen«. Kaum verwunderlich also, dass verschiedene Analysen ein und derselben Version des Zyklus' mitunter zu gegensätzlichen Ergebnissen führen. In dieser verfahrenen Sackgasse ist es vielleicht nützlich, sich dem Werk noch einmal aus einer anderen Richtung zu nähern, nicht aus der »Vogelperspektive« des alles
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des Komponisten gerecht, da sie das verwirkliche, was Schumann aus Sorge um die Publikumswirkung nicht gewagt hätte.
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zugleich überblickenden Analytikers, sondern aus der Sicht des Hörers oder Spielers, der die Musik in ihrem zeitlichen Ablauf erlebt. So zeigen sich andere einheitsstiftende Eigenschaften, die mit einer traditionellen Analyse nicht fassbar sind, der damaligen Schumannschen Kompositionsweise aber womöglich näher stehen. Einige Selbstzeugnisse von Schumann geben kleine Einblicke in seine damalige Arbeitsweise: »Am Klavier kam der Fandangogedanke über mich«
(Tagebücher 1, S.401);
»Ich habe das Meiste, fast
Alles, das kleinste meiner Stücke in Inspiration geschrieben [...] Erst vom Jr. 1845 an, von wo ich anfing alles im Kopf zu erfinden und auszuarbeiten, hat sich eine ganz andere Art zu componieren zu entwickeln begonen.«
(Tagebücher II, S.402);
»mit der >Absicht< beim
Schaffen trifft man oft fehl und wird zu materiell. Erfaßt mich aber mal der günstige Augenblick, so will ich mich wie ein Kind ihm hingeben«
(Briefe, S. 60).
Komponieren zeigt
sich in Schumanns Äußerungen nicht so sehr als Kopfarbeit mit einer Absicht, sondern hing offenbar viel mit Inspiration, günstigen Augenblicken, Fantasieren und Spielen zusammen. Interessant auch der Anspruch Schumanns an die Verständlichkeit eines Musikstücks beim Hören. Am 9. Juni 1832 notiert er seine Gedanken über die Reaktion eines Hörers, der zum ersten Mal die Papillons op.2 von Clara Wieck vorgespielt bekommen hatte. Darin erscheint die bemerkenswerte Aussage: »Denn der Eindruk darf nicht zweifelhaft seyn — ist er es, so sagte der Ungebildete: es gefällt mir oder gefällt mir nicht — Und wer verlangt vom Zuhörer, wenn ihm ein Stük zum erstenmal vorgetragen wird, daß er es zergliedert bis in's Mechanische oder Harmonische?«
(Tagebücher 1, S.407).
Mein persönlicher »Eindruk«, den ich als Hörerin und Spielerin gewonnen habe, lässt sich am besten mit dem Begriff eines Energieflusses fassen. Über eine längere Strecke aufrechterhalten, vermag er auch mehrere kurze, relativ eigenständige Stücke zu verbinden. Der Energiefluss ist unabhängig von einem einheitlichen Gestaltungsprinzip der Reihenfolge. Organische Übergänge nähren ihn ebenso wie überraschende Wechsel. Vermutlich wäre ein durchgehend beibehaltenes Prinzip wie Kontrastbildung oder der Versuch einer kontinuierlichen Steigerung ihm sogar eher hinderlich. Ordnungsmöglichkeiten durch Symmetrie können nicht wirksam werden, da sie meines Erachtens hörend nur schwer nachvollziehbar wären. Der Charaktervielfalt der Einzelstücke sind aus diesem Blickwinkel also kaum Grenzen gesetzt, eher der Anzahl von Stücken, die von einem Spannungsbogen getragen werden können. Davon abgesehen wären für den Zusammenhalt des Zyklus' vor allem die Reihenfolge der Einzelteile und die Gestaltung der Schnittstellen entscheidend. Opus 13 enthält für mich zwei Spannungsbögen. Daraus ergibt sich im Schritt von der Früh- zur Spätfassung eine deutliche Straffung des Ablaufs. Bei den verschiedenen anderen von Schumann erprobten Anordnungen sind wir nur über Abweichungen bezüglich der Reihenfolgen durch mehrere Analysen informiert. Ohne die genaue Kenntnis von Detailveränderungen, vor allem an jenen Schnittstellen, bleibt es aus meiner Sicht aber schwer, die jeweilige Wirkung nachzuvollziehen.
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Der Beginn eines durch neueste Forschungsergebnisse ausgelösten Trends zeichnet sich bereits in der Praxis ab. Neueinspielungen der jüngsten Zeit zeigen erste Versuche »authentischer« Wiederbelebungen früher Stadien des Werks in Schumanns Arbeitsprozess (Lev vinocour 2003). Auch eine neue Anordnung ist zu entdecken
(Ragna Schirmer 2006),
die zwar das Wissen um die verschiedenen Versionen nutzt, aber wiederum alle nun verfügbaren Einzelstücke einbeziehen und überdies mittels Programmierfunktion des CD-Players das Anhören verschiedener ermittelter Zwischenstadien möglich machen will, was in dieser Form aber nicht die Abweichungen der Fassungen in Feinheiten berücksichtigen kann. Vielleicht ist dies ein neuer Impuls für die Musikwissenschaft, eine in allen Einzelheiten genaue wissenschaftliche Rekonstruktion der Fassung des Werks bereitzustellen, die zumindest die Integration der posthumen Variationen bieten kann. (Eine Fassung mit allen verfügbaren Stücken ist, wie oben erläutert, nicht möglich.)
Meines Wissens liegt
eine solche Ausgabe nicht vor. Es wäre interessant, zu beobachten, ob das Angebot von drei »authentischen« Fassungen des Werks der Experimentierfreudigkeit der Pianisten ein Ende setzen würde. Ich glaube nicht. Die lange Tradition, die Gesamtheit von Schumanns Opus 13 als »Baukasten« zu betrachten, aus dem mehr oder weniger nach eigenem Geschmack ausgewählt und zusammengestellt werden kann, dürfte vielen längst lieb geworden sein.
Zum
Weiterlesen
Bartoli, Jean-Pierre: Les ütudes symphoniques op. 13 de Schumann: plaidoyer analytique pour le rejet des »Variations posthumes«, in: Analyse Musicale, Heft 27 (April 1992), S.76-86. Ehrhardt, Damien: Zur Genese der Symphonischen Etüden von Robert Schumann, in: Nauhaus, Gerd (Hrsg.): Schumann Studien 5. Köln: studio Verlag Dr. G. Schewe, 1996, S.41-54. Eismann, Georg und Nauhaus, Gerd (Hrsg.): Robert Schumann Tagebücher. 3 Bände, Leipzig: VEB Deutscher Verlag für Musik Leipzig, Bd. I (hg. v. Eismann), 1971; Bd. II (hg. v. Nauhaus), 1987; Bd. III (hg. v. Nauhaus), 1982 Jansen, F. Gustav (Hrsg.): Robert Schumanns Briefe. Neue Folge. 2. Auflage, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1904. Warburton, Thomas: Some performance alternatives for Schumann's opus 13. In: The journal of the American Liszt society. Heft 31 (Januar-Juni 1992), S.38-46.
Christine Goldstein studierte von 2003 bis 2008 Schulmusik und Diplom-Musikerziehung mit Hauptfach Klavier.
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45 »Ernst, heulich, überirdisch, ächt romantisch« ➢ ie Altstimmen unn Pauline Viardot - Garcia und Amalie Joachim Johanna Rothaupt
Maria Callas, Elisabeth Schwarzkopf, Jenny Lind, Anna Netrebko — sie genießen als »Jahrhundertsängerin«, »Nachtigall«, »Madonna des Klassikbetriebs« (Tagesspiegel, 16. Nov. 2007) oder »Diva« in der Öffentlichkeit einen grossen Grad der Bekanntheit.
Sopranistinnen rangierten seit jeher in der Gunst des Publikums ganz oben. Wer hingegen kennt Kathleen Ferrier, Marian Anderson, Ernestine Schumann-Heink oder Marijana Mijanovic? Letztere wurde im Sommer 2007 als stimmliche Reinkarnation des Kastraten Senesino vermarktet. Dennoch scheint es deutlich schwieriger zu sein, Menschen für den Klang einer tiefen Frauenstimme zu begeistern. Mich interessiert dagegen das Phänomen »Altstimme«. Am Beispiel zweier Sängerinnen aus dem 19. Jahrhundert, Pauline Viardot-Garcia (1821-1910) und Amalie Joachim (1839-1899), frage ich nach Inhalten, Charaktertypen und emotionalen Qualitäten. Was war ausschlaggebend für den Einsatz einer Altstimme? Beide Sängerinnen galten zu ihrer Zeit als »Vollblutmusikerinnen«. Sie inspirierten Komponisten wie Meyerbeer oder Brahms. Ihre Laufbahnen verliefen unterschiedlich: Während die Opernkarriere Amalie Joachims mit ihrer Eheschließung endete, trat Pauline Viardot weiter auf. Beide Frauen sangen Brahms' Altrhapsodie op. 53, die Rollen von Fides (Meyerbeer) und Orpheus (Gluck). In zeitgenössischen Rezensionen werden ähnliche Qualitäten gelobt: Darstellerisches Können und ein hohes Maß an Emotionalität. Dabei behauptete Hans von Bülow, Amalie Joachim sänge nicht »canarisch«, sondern — in Anspielung auf den italienischen Marmor — »carrarisch«. Und Pauline Viardots Stimme klang für Camille Saint-Saäns wie eine »bittersüße Orange«. Kein Zeitgenosse hätte eine von ihnen als »Diva« tituliert. Dennoch erlangten sie internationale Berühmtheit.
Die Altstimme Als wesentliche Voraussetzung für die Ausbildung einer Sängerstimme gilt die richtige Stimmdiagnose, d.h. die Entscheidung, welcher Stimmlage sie zuzuordnen ist.
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Diesem Thema widmet die Fachliteratur viele Kapitel mit abschreckenden Beispielen von Fehldiagnosen. Eines der frühesten Dokumente sind Nina d'Aubigny von Engelbrunners (1770-1848) Briefe an Natalie über den Gesang als Beförderung der häuslichen Glück-
seligkeit und des geselligen Vergnügens. Schon sie warnt vor einer falschen Stimmdiagnose. Ihr Lehrer hätte erkannt, dass »die Natur« sie »ganz entschieden zum Contrealt bestimmt hatte«. Ihr blieb daher erspart, aus der Stimme »einen künstlichen Sopran auf Kosten einer blühenden Gesundheit zu verpressen« (s. 1o5):
Hätte nie ein Sänger unternommen solche Töne zu singen, die ihm Zwang kosteten, indem sie ihm auch nur eine sehr leise wehe Empfindung verursachten, so würden gewiß weit weniger Stimmen und Menschen zu Grunde gerichtet worden seyn, wie dies doch so oft geschieht und geschehen ist. Eine unvernünftige Art zu singen ist wa[h]rlich ein tödtendes Mordgewehr, das um so schädlicher wird, da es so still verwundet, und den Menschen in seinem Innersten aufreibt, wo man die angegriffnen Teile nicht beschauen kann (s. 1o2). Männern bescheinigt sie eine genügend robuste Natur, um derartiges relativ unbeschadet zu überstehen, anders jedoch sei dies bei Frauen. Lebhaft beschreibt sie das Schicksal junger Mädchen, die an der Schwelle zum Erwachsenenalter sich ihre Sopranstimme krampfhaft zu erhalten suchten, infolgedessen an Vitalität verloren und dies nicht überlebt hätten!
Die ltaliäner kennen den Contrealt sehr gut, und schätzen ihn besonders für die Kirchenmusik, wo er die zweite Parthie zu übernehmen pflegt. Der Sopranstimme geben sie den Titel der prima Donna, und wenn sie dann und wann auch bei ihren musikalischen Zöglingen die tiefe Stimme unterdrücken, um ihnen, wie bei uns, einen oft schreienden Diskant dafür zu erzwingen, so mag es wohl zum Theil die Bewandniß haben, daß die prima Donna auf jeder Bühne gebraucht wird, und sich in alle Rollen fügen muß, während der weibliche Contrealt, wenn er nicht einen ungewöhnlichen Umfang hat, sich in den Ländern, wo die Reformation den musikalischen Gottesdienst schmälerte, auf die Kammermusik eingeschränkt sieht, weil in den neuere Opern noch zu wenig Rücksicht auf sie genommen wird (s. 92). Engelbrunners Briefe nehmen auf dem Gebiet der (weiblichen) Gesangspädagogik eine Vorreiterstellung ein. Noch 1849 liest man in Ga ßners Lexikon:
Dieses von neueren Componisten und Gesanglehrern mit Unrecht vernachlässigte Stimmfach (ist) in psychologischer Hinsicht von hoher Bedeutung; die Ausdrucksfähigkeit dieser seltenen Stimme ist so eigenthümlich, daß sie durch keine andere Gesangsstimme ersetzt werden kann; ihr Klang (...) ist ernst, duldsam, herzlich, überirdisch, ächt romantisch; (...) keine andere Stimme drückt weibliche Würde und Hoheit, religiöse Erhebung und Hingabe so entschieden aus.
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»eine Rachtigall und keine Rasur: Pauline Viardot-Garcia Pauline Viardot-Garcia war die erste Interpretin von Brahms Altrhapsodie op. 53. »Ihre außerordentlich kraftvolle Stimme mit einem bewunderungswürdigen Umfang, die sämtliche Schwierigkeiten der Gesangskunst durchbrach, diese wundervolle Stimme war nicht jedermanns Sache. Sie besaß nicht einen samtweichen Klang oder eine kristallene Klarheit, vielmehr wirkte sie ein wenig herb, so daß man sie mit dem Geschmack einer »bittersüßen Orange verglichen hat«, wie Camille Saint-Saüls in seinem Nachruf Lange-Brachmann/Draheim, S. 13).
Obwohl sich Viardot-Garcia schon früh als Sängerin
etablierte, war es wohl mehr die Vielseitigkeit ihres Schaffens, die sie in den Augen ihrer Zeitgenossen zu einer künstlerischen Instanz erhob: Franz Liszt etwa bezeichnete sie als »geniale und zugleich gelehrte Künstlerin, »die uns das so seltene Schauspiel eines für die Kunst um der Kunst willen wirklich begeisterten Frauenherzens bietet«
(in: Lange-Brachmann/Draheim, s . 12).
Außerdem lobte er ihre
kompositorischen Fähigkeiten, das Prima vista- und Partiturspiel, ihre pianistischen und organistischen Fähigkeiten sowie ihre Kenntnis verschiedenster Musikstile. Als Grundlage ihres Könnens galten ihm ihre »mit männlichem Geist bewältigten Studien«. Schönheit im klassischen Sinne besitze sie nicht, so Heine: Sie »ist keine Nachtigall (...), auch keine Rose, denn sie ist hässlich, aber von so einer Art Hässlichkeit, die edel, ich möchte fast sagen, schön ist«
(in: Lange-Brachmann/Draheim, S 10).
Besonders beeindruckt
zeigte sich der Schriftsteller von ihrer Art des Vortrags: Die Garcia »mahnt weniger an die civilisierte Schönheit und zahme Grazie unserer europäischen Heimat, als vielmehr an die schauerliche Pracht einer exotischen Wildniß, und in manchen Momenten ihres passionirten Vortrags (...) wird einem zu Muthe, als müßten auch die ungeheuerlichen Vegetationen und Thiergattungen Hindostans oder Afrika's zum Vorschein kommen; (...) und man würde sich nicht wundern, wenn plötzlich ein Leoparde, oder eine Giraffe oder sogar ein Rudel Elephantenkälber über die Scene liefe« (ebd, s. 10
f).
Sie entstammte einer durch und durch musikalischen Familie. Ihr Vater, der spanische Sänger und Gesangspädagoge Manuel Garcia, hatte eine Operntruppe. Auch sihr Bruder Manuel und ihre Mutter sangen. Das berühmteste Familienmitglied war indes ihre Schwester Maria Malibran. Die starb 1836 und blieb noch lange in den Köpfen der Menschen als Mythos präsent. Pauline Garcia kam 1821 in Paris zur Welt und tauchte von Kindesbeinen an die Opersphäre ein. So erlebte sie als Fünfjährige die amerikanische Erstaufführung von Mozarts
Don Giovanni in New York. 1839 war sie am TheEttre Italien in Paris, dessen Direktor Louis Viardot sie 1840 heiratete. Dass Ehe und sängerischen Karriere für Pauline ViardotGarcia keine Gegensätze waren, beweisen zahlreiche Konzertreisen und Auftritte in verschiedenen europäischen Hauptstädten, die gerade die ersten Jahre ihrer Ehe prägten. So trat sie am 19. August 1843 mit Clara Schumann und Felix Mendelssohn im Leipziger Debütkonzert des 12-jährigen Joseph Joachim auf. Extensive Kraft, glühende Leidenschaftlichkeit, unwiderstehliche Gewalt — solche Attribute einer (auch noch verheirateten) Frau zuzuschreiben, ist nicht nur für das
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19. Jahrhundert ungewöhnlich. Viardots Ausstrahlung und die persönliche und ansprechende Art ihres Vortrags sind Thema eines jeden Berichts über ihre Auftritte. Bis zu ihrem Tod 1910 lebte sie in Paris, wo sie unentgeltlich unterrichtete und am gesellschaftlichen Leben teilnahm. Sowohl ihr Ehemann als auch Liebhaber, Iwan Turgenjew, waren bereits 1883 gestorben.
Stimme des Engels: Die Altstimme in Felix Elendeiss ohn Earthuldls alias Mit »Engelsmusik« assoziiert man in der Regel den Klang von Harfen, Flöten und (hohen) Streichinstrumenten. Dies mag mit Darstellungen von Engeln auf barocken Orgelprospekten oder mittelalterlichen Gemälden zu tun haben. Aus der Höhe kommend, werden Engel mit dem hohen Klangregister in Verbindung gebracht. Wird eine Singstimme als »engelsgleich« bezeichnet, so sind in der Regel Eigenschaften wie »hoch«, »hell« und »klar« gemeint. Außerdem wird das Phänomen »Engel« mit der Sphäre von Jugend, mit Knaben-, Mädchen-, bzw. jungen Frauen-Stimmen konnotiert. Mendelssohn kreierte dagegen in seinem Oratorium Elias eine Engelspartie für eine tiefe Frauenstimme. Zwar ist die Rolle nicht umfangreich, sie fungiert aber als zentrales Motiv für das gesamte Oratorium: In zwei Arien (bzw. Arioso und Aria) sowie in drei Rezitativen ist der Engel »Sprachrohr« Gottes, überbringt dessen Weisungen, kommentiert und tröstet. Große Popularität erlangten das Doppelquartett »Denn er hat seinen Engeln«, das (Engels-) Terzett »Hebe deine Augen auf« sowie das (solistische) Frauenquartett mit Chor und Orchester »Heilig, Heilig« mit vorausgehendem (Alt-) Rezitativ »Seraphim standen über ihm«. Eröffnet wird der »Heilig-Chor« von einer Sopranstimme, unbegleitet und in hoher Lage. Hier sollen Heiligkeit, Freude und Jubel zum Ausdruck kommen. Die solistischen Partien des Engels jedoch überträgt Mendelssohn der Altstimme. So lautet der Text des Rezitativs Nr.6:
Elias! Gehe weg von hinnen und wende dich gen Morgen. Und verbirg dich am Bache Crith! Du sollst vom Bache trinken, und die Raben werden dir Brod bringen des Morgens und des Abends, nach dem Wort deines Gottes. Der Engel übermittel dem Propheten, was Gott mit ihm vorhabe. Teilweise ersetzt er die Figur des Erzählers. Begleitet wird der Engel durch einen vierstimmigen Streichersatz. Dadurch umgibt Mendelssohn den Engel mit einer charakteristischen Aura. Dieser Engel übt eine andere Funktion aus als der in Bachs Weihnachtsoratorium. Während der Weihnachtsengel viele Menschen erreichen soll und deswegen exponiert in hoher Stimmlage singt, tritt Mendelssohns Engel in den persönlichen Dialog mit Elias. Dabei wird eine mütterlich sorgende Komponente der Engelsfigur betont. Tatsächlich galt im 19. Jahrhundert die tiefe Frauenstimme als besonders geeignet für die Vermittlung religiöser Inhalte:
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Besonders charakterisiert den tiefen Alt (Alto deciso) eine weiche, ganz eigenthümliche Tonfülle und Stärke in den mittleren und unteren Tönen; keine andere Stimme drückt weibliche Würde und Hoheit, religiöse Erhebung und Hingabe so entschieden aus; (...) ja sie ist die versöhnende Geisterstimme aus höheren Welten (Geßler, in: Ehrmann-Herfort).
"liier ist Ein menschlicher Künstler Zugleich Ein künstlerischer Elenschrr: Amalie Joachim
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In der Zeitschrift Die Gartenlaube erschien 1873 unter dem Titel »Der Geigerkönig
und seine Königin« ein Artikel über Joseph und Amalie Joachim. »Beide verkörpern uns das Künstlertum in seiner lautersten Gestalt«
Borchard, S. 65).
Gelobt wird vor allem die
Uneigennützigkeit ihres Schaffens, alles gehe im »keuschen Altardienst der Schönheit« auf. Heute ist indes nur Joseph Joachim bekannt, als Brahmsinterpret und Widmungsträger mehrerer Violinkonzerte, während Amalie Joachim in Vergessenheit geriet. Dabei hat Amalie Joachim eine Reihe Brahmsscher Lieder uraufgeführt und ihre gesungene »Geschichte des deutschen Liedes« einem breiten Publikum vorgeführt. Außerdem sind ihr wichtige Liedausgaben zu verdanken. Anlässlich ihres Todes im Jahr 1899 in Berlin würdigten zahlreiche deutsche Zeitungen aus dem In- und Ausland die Sängerin und bezeichneten sie mehrfach als die »erste deutsche Liedersängerin«, das Prädikat »erste« sowohl im Sinne von »bedeutendste« als auch im wörtlichen Sinne verwendet
(Borchard, 5. 63).
Amalie Schneeweiss wurde 1839 in Marburg/ Steiermark als Tochter wohlhabender, musikliebender Eltern geboren und wuchs, wie sie in ihrer Autobiographie schrieb, in einer freien Atmosphäre auf. Ihr Vater unterstützte die Gesangsausbildung. Nach seinem frühen Tod schlug Amalie im Alter von 14 Jahren die Laufbahn als Opernsängerin ein. 1854 übernahm sie am Wiener Kärntnertortheater kleinere Sopranpartien wie etwas die der Fatime in Webers Oberon oder der Ines in Verdis Troubadour. Vier Jahre später, 1858/59, übernahm sie in Graz erste Altpartien: Azucena (Verdi, Troubadour), Rosine (Rossini, Barbier von Sevilla) sowie Lucrezia (Donizetti, Lucrezia Borgia). Nachdem ihr Wiener Vertrag 1862 auslief, bewarb sie sich als Mezzosopranistin in Hannover und debütierte dort als Fides in Meyerbeers Oper Der Prophet. Ein halbes Jahr später heiratete sie den hannoverschen Konzertdirektor Joseph Joachim. Ihre Opernkarriere war damit beendet. Brahms war »sehr entzückt« (Kalbeck) von Joachims Frau. Die Künstlerin »nahm ihn durch die ,schöne, sanfte Würde' ihres Orpheus [von Gluck] vollends gefangen. Sie besaß die edelste und reinste tiefe Altstimme, die er noch gehört hatte, und diese Stimme, welche an gesättigtem Glanz und dunklem Feuer mit jeder altitalienischen Bratsche wetteifern konnte, verleugnete trotz ihrer fast männlichen Kraft nicht die zart empfindende Seele des Weibes, sondern klang wie die Verkündigerin ungehobener, zum Lichte
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eines höhern Tages drängender Gemütsschätze. Bei vielen Liedern, die Brahms in der Folge komponierte, lag ihm ihr herrliches Timbre im Ohr, und Amalie Joachim teilte mit Julius Stockhausen die Ehre, die Brahmssche Lyrik vielfach inspiriert und befruchtet zu haben«
Neben ihrem Dasein als Ehefrau und Mutter (ihr erstes
(Kalbeck, in: Borchard, S. 233).
Kind wurde 1864 geboren, fünf weitere folgten) erarbeitete sich Amalie Joachim nun ein neues Repertoire aus Lied und Oratorium. Arien von Händel, Lieder von Schubert und Schumann, sowie die oratorischen Altpartien J.S. Bachs bildeten den Grundstock. Damals war ihr Name untrennbar mit der »Erbarme dich«-Arie aus Bachs Matthäuspassion verbunden. Am meisten sang sie jedoch Lieder von Brahms. Als ihre Ehe 1884
geschieden wurde, ergriff Brahms für sie Partei, gegen ihren Mann. Danach war es für Amalie Joachim schwierig, sich als Sängerin zu behaupten. In den folgenden Jahren konzipierte sie mit dem Musikwissenschaftler Heinrich Reimann eine vier Jahrhunderte durchmessende Gattungsgeschichte des deutschen Liedes als Serie von vier thematisch gruppierten Konzerten, in denen Volkslieder ebenso aufgenommen wurden wie neueste Kompositionen. Die Stücke wurden von ihr und Reimann auch publiziert. Amalie Joachim nahm damit eine »Vermittlerfunktion zwischen Konzertsaal und Wohnzimmer« ein
(Borchard, S. 475).
Die Kritik äußerte sich begeistert:
Die getreue Gemeinde, welche Frau Joachim während der vier von ihr gegebenen Liederkonzerte um sich versammelt hatte, würdigte in vollstem Maasse die große künstlerische That sowohl wie das ungewöhnliche künstlerische Vermögen der Sängerin, und (...)[sagten] Dank (...) für die Fülle von Genüssen, die sie ihnen dargeboten hat (AmZ 1894, in: Borchard, S: 475). Verhältnismäßig spät begann sie mit dem systematischen Aufbau ihrer Unterrichtstätigkeit. Ab 1890 gab sie Kurse und unterrichtete, doch erst 1897 eröffnete sie in Berlin eine eigene Schule. Die Aufzeichnungen ihrer Schülerin Olga Plaschke geben einen Einblick in Methode und Umstände ihrer Unterrichtsweise:
Mir ist oft die Frage durch den Sinn gegangen, was wohl aus Amalie Joachim geworden wäre, wenn die Natur ihr die Singstimme versagt (...) hätte. (...) Nicht ihre herrliche Stimme und deren vollendete Ausbildung war die Hauptsache, sondern der Umstand, dass ihr reicher Geist nach einem Ausdrucksmittel gerungen, und es im Gesange gefunden hatte. Es war ihre Seelensprache geworden, ihr Lebensbedürfnis und das Heilmittel, für alles gut' (in: Borchard, S. 488 f).
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zum
VVeiterlesen
Borchard, Beatrix: Stimme und Geige. Amalie und Joseph Joachim, Wien 2005 Ehrmann-Herfort, Sabine: Art. »Altus / Alt, bassus /Baß«, in: Handwörterbuch der musikalischen Terminologie, 26. Auslieferung, Wiesbaden 1997 ••"---"••••■■
Lange-Brachmann, Ute 1 Draheim, Joachim (Hg): Pauline Viardot-Garcia in Karlsruhe und Baden-Baden, Baden-Baden 1999
Johanna Rothaupt studiert nach ihrem Abschluss in Schul- und Kirchenmusik (B) Gesang an der Musikhochschule Freiburg.
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2urischen iferfulgung und Fügung Ilmitrij I nstakoiri ucs »Satiren —Bilder der Vergangenheit« und »Das Eid von den llfäldernu Corinna Mack
ee.)
Dmitrij §ostakoviC war einer der wenigen großen sovjetischen Komponisten, die
im Gegensatz zu Igor Stravinskij und Sergej Prokof'ev trotz aller zu befürchtenden Repressionen das Land nicht verlassen haben. §ostakoviC war ein Patriot und sicherlich — zumindest zeitweise auch überzeugter Kommunist. Er fühlte sich der Sovjetunion, deren Gründung in seinem elften Lebensjahr erfolgte, und ihrer Kultur in gewisser Weise verbunden und »wollte mit seinem Schaffen am Aufbau der neuen sozialistischen Gesellschaft mitwirken«
(Wildberger 1989, S. 44).
Dennoch konnte er auch seinen in-
dividuellen Stil und die avantgardistische Position des Modernen in seiner Musik nicht verleugnen, was ihn immer wieder in lebensbedrohliche Konflikte mit den Machthabern brachte. Trotz allem galt §ostakoviC sein Leben lang als der größte Komponist der Sovjetunion. Doch dies schützte ihn nicht vor den Gefahren, die den Künstlern und Intellektuellen drohten, wenn sie nicht die Vorgaben der sovjetischen Führung befolgten, sondern sich nach ihren eigenen ästhetischen Maßstäben richteten. immer wieder schrieb §ostakoviC gewagte Kompositionen und komponierte nach seinen individuellen Vorstellungen. Gleichzeitig versuchte er Werke zu schreiben, die die Kulturfunktionäre »besänftigen« und ihm das Publizieren seiner Werke ermöglichen sollten. Dabei musste er immer wieder Bekenntnisse machen, »die ihm offensichtlich fremd waren, die aber die Obrigkeit aus dem Munde ihres führenden Komponisten hören wollte«
(Meyer 1995, S. 350),
wie folgende:
»Allein große Kunstwerke können die Taten der Stalinschen Ära und die Größe unserer Zeit würdig wiedergeben. (...) Die sowjetische Kunst zeichnet sich durch ein hohes ideelles Niveau aus. Sie ist von tiefem Humanismus erfüllt. Ihr Optimismus ist unerschöpft, ihre Ziele sind edel, und die künstlerischen Formen müssen vollkommen sein. (...) Gerade die Partei und der große Führer Stalin haben uns, den Komponisten, gezeigt, dass ein Abgehen vom Weg des Dienstes am Volk den Künstler zum ideellen und schöpferischen Zusammenbruch führt«. (in: Meyer 1995, S. 350/351).
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§ostakoviCs Leben glich einer Gratwanderung zwischen eigenen musikalischen Vorstellungen und der Treue zum herrschenden Regime. Dies wird auch in seinem Schaffen deutlich. Neben Werken mit avancierten Stilmitteln schrieb §ostakoviC immer wieder auch Musik, die den Anforderungen des sozialistischen Realismus entsprach. An Hand zweier textgebundener Werke §ostakoviCs, dem Liederzyklus Satiren — Bilder der Vergangenheit und dem Oratorium Das Lied von den Wäldern, sollen die durch das kommu-
nistische Regime der Sovjetunion bedingten Kompositionsweisen verdeutlicht und darüber hinaus gezeigt werden, inwiefern sich der Komponist gleichzeitig dem widersetzt.
1. fier Lierler2milus 5atiren. —Bilder der Vergangenheit §ostakoviC komponierte den Liederzyklus Satiren Anfang des Jahres 1960, als die so genannte Tauwetterperiode gerade zu Ende gegangen war. Die textliche Grundlage des Liederzyklus Satiren bildeten die Anfang des Jahrhunderts in vorrevolutionärer Zeit geschriebenen »bissigen und sarkastischen«
(Meyer 1995, S. 400)
Texte des Satirikers
Aleksandr Glikberg, der unter dem Pseudonym Saga (ernyj (scischa schwarz) bekannt war. Der Zyklus besteht aus fünf Liedern, eingerichtet für Sopran und Klavierbegleitung, mit den Titeln An den Kritiker, Das Erwachen des Frühlings, Die Nachkommen, Missverständnis und Kreutzer-Sonate. In diesem Liederzyklus schlug §ostakoviC nach langer Zeit
wieder einen grotesk-satirischen Ton an. Der »ungebrochene Fluss der Sarkasmen und des schwarzen Humors« brachte die Sängerin Galina Vignevskaja, der das Werk gewidmet ist, auf die Idee, dem Titel den Zusatz Bilder der Vergangenheit zu geben. Dadurch sollte der Eindruck erweckt werden, die Dichtung sei eine Satire auf die Zarenzeit. Der Beiname war »eine Art Feigenblatt, mit dem gen Teile«
(Wischnewskaja 1997, S. 259)
(die für die Regierung)
anstößi-
bedeckt werden sollten. Trotz dieses Tricks konnte
schließlich die Uraufführung von §ostakoviCs neuestem Werk, am 22. Februar 1961, erst in letzter Minute am Moskauer Konservatorium realisiert werden, mit Galina Vignevskaja und Mstislav RostropoviC. Das Stück wurde mit großer Begeisterung aufgenommen — aber kurz nach der Uraufführung verboten. Das Gedicht Die Nachkommen (Nr. 4) beschreibt die Hoffnung mehrerer Generationen darauf, dass es den eigenen Kindern besser gehen wird. Das Gedicht ist durchgängig in einem vierfüßigen Trochäus und Kreuzreim geschrieben. Die Regelmäßigkeit des Gedichtes evoziert eine eher schleppende und tragische Atmosphäre und bringt dadurch die drückenden, von Generation zu Generation unveränderten Hoffnungen auf eine bessere, freiere und gerechtere Welt zum Ausdruck, die allerdings nie in Erfüllung gehen. Der Leser wird beinahe in eine Art Trance versetzt und somit Teil des nicht endenden Kreislaufs unerfüllter Hoffnungen. Das Wort potomki
(Nachkommen)
spielt auch innerhalb des Gedichtes eine zentrale
Rolle. Zwar erscheint die Vokabel selbst erst in der letzten Strophe wieder, doch in allen anderen Strophen schwingt die Bedeutung mit, vor allem weil potomki häufig mit nasi
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deti
(unsere Kinder)
umschrieben wird. Diese beiden kurzen Worte, die in sich schon den
trochäischen Rhythmus enthalten, verstärken den Eindruck der immer wiederkehrenden Hoffnung und spitzen sich in der letzten Strophe in dem alle Kinder umfassende Wort
potomki zu. Das Gedicht ist aus der Sicht eines Ich-Erzählers geschrieben, der zuerst über seine Vorfahren, dann über seine eigene und schließlich weiter die nachfolgende Generation nachdenkt. Diese Überlegungen werden nach und nach verallgemeinert. Die Erzählperspektive wandelt sich von einer bloßen Beschreibung der Zustände über die Darstellung des sich ständig wiederholenden Kreislaufs bis hin zu der Erkenntnis der Sinnlosigkeit solcher Hoffnungen in der letzten Strophe: »mögen die Nachkommen mit dem Kopf gegen die Wand stoßen«. Das Gedicht Die Nachkommen ist trotz der ausgedrückten Hoffnungen von einer sehr düsteren Stimmung beseelt, der jedoch auch ein gewisser Humor und Spott des Erzählers anhaftet. Man ist in erster Linie für die Zeit verantwortlich, in der man lebt, so die Aussage des Gedichts. Es ist sinnlos, für seine Kinder zu planen, ohne die Gegenwart zu berücksichtigen und verändern zu wollen. Um 1960, als §ostakoviCs Liederzyklus Satiren entstand, erhielten die Verse Saga (ernyjs noch eine andere Dimension. Zwar stammt sein Gedicht aus vorrevolutionärer Zeit
(1910),
doch ließen sich darin eindeutige Anspielungen auf gegenwärtige Ereignisse
in der Sovjetunion lesen. Obwohl als Satire auf das Spießbürgertum der Zarenzeit entworfen, konnte man es ebenso gut als »Anklage gegen das derzeitige Sowjetregime und seine unsinnige Ideologie«
(Wischnewskaja 1997, S. 258)
verstehen. Auch in der Sovjet-
union war die Hoffnung auf eine bessere Zukunft existent und vor allem im Rückblick auf die Zeit des Personenkultes (die Verbrechen Stalins und die »Säuberungen«) wirkte das Gedicht wie eine Anklage. Sie richtete sich aber nicht nur gegen Stalin, sondern auch gegen das Regime unter ChrugCev, das die Ansicht vertrat, die bessere Zukunft sei durch den Tod Stalins bereits gegenwärtig geworden. Aus dieser Perspektive war auch §ostakoviCs Vertonung angreifbar. §ostakoviCs Satire Die Nachkommen ist das dritte der fünf Lieder des Vokalzyklus und steht an zentraler Stelle. Durch ihren besonders anstößigen und gewagten Text und die Vertonung §ostakoviCs wird diese Rolle bekräftigt. Typisch für den gesamten Liederzyklus Satiren — Bilder der Vergangenheit ist, dass die Titel mitvertont werden. Die Nachkommen beginnt mit dem Titel als einem langsameren Einleitungs-Teil von sieben Takten. Erst dann erklingen die Verse in markantem Walzerrhythmus. Das gesamte Stück steht in einem 3/4 Takt. Es knüpft damit an die Regelmäßigkeit der textlichen Vorlage (ernyjs an. Nach der Einleitung festigen sich ab Takt 8 der Walzer und die Grundtonart g-Moll, ein schwingender Charakter, der das gesamte Werk durchzieht. Gleichzeitig erweckt die Regelmäßigkeit des Rhythmus den Eindruck einer Litanei oder eines Gebets. »In Totomki' (Descendants) the picture of a joyless life and unfulfillable hope for a distant better future becomes grotesque by the combination of swung waltz rhythms and melancholy psalmodising melody«, so Dorothea Redepenning
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‘.)
(1995, S. 213).
Der litaneiartige Charakter wird außerdem durch die häufige Verwendung
seufzerartig fallender kleiner Terzen verstärkt. Zusammen mit den schwingenden Tanzrhythmen im Allegro molto wirkt die Melodie grotesk, als strebten alle Parameter in verschiedene Richtungen und würden nur durch den gleichen Takt zusammengehalten. Der Tonumfang der Singstimme erweitert sich sukzessive, die ersten drei Strophen kommen noch mit einem kleinen Ambitus aus, erst mit der vierten Strophe wird er ausgeweitet. Die darauf folgenden zwei Strophen, die zum Ausdruck bringen, dass auch das eigene Glück von Bedeutung ist, bedienen sich der gleichen Melodie, die sich langsam um eine Oktave und vom piano zum forte hochschraubt. Nach einem längeren Zwischenspiel folgt die letzte Strophe, ganz im piano gehalten, als Reprise der ersten, allerdings wird die letzte Textzeile viermal wiederholt. Dazwischen brechen jeweils vier Takte, in denen im forte der Walzer-Rhythmus erklingt. Die Zwischenspiele enthalten über zwei Takte laufende Achtelketten, die über zwei Oktaven hoch- und wieder zurücklaufen, wie die immer wiederkehrenden Hoffnungen. Jedes Sichaufbäumen führt letzten Endes doch wieder zum Ausgangspunkt zurück und auch die künftige Generation wird das erhoffte Glück nicht sehen. Galina Visnevskaja fand, der Zyklus sei »für eine Varietesängerin mit Opernstimme« geschrieben S. 258),
(1997,
die den schwarzen Humor und die Groteske noch verstärkt. Diesen Eindruck be-
stätigt besonders das Gedicht Die Nachkommen. Der von den Kommunisten oft gepredigte Optimismus und die Lebensfreude werden hier negiert und als vollkommen sinnlos entlarvt. §ostakoviC gelingt es, (ernyjs Text in eine andere Zeit zu projizieren und mit Jahrzehnte zuvor entstandenen Versen die aktuellen Machthaber und ihre Phrasen an den Pranger zu stellen. »Die Worte: 'Ich bin wie ein Uhu auf den Trümmern zerschlagener Götter' traf als eine Anklage der Verbrechen Stalins und Berijas genau ins Schwarze: Einige der russischen Götter waren gestürzt worden, andere hatten ihren Thron eingenommen«
(Wischnewskaja 1997, S. 259).
Das hatoriurt Das Lid iron den llfäldern Das Oratorium Pesn' o lesach (Das Lied von den Wäldern) entstand 1949, ein Jahr nach den Resolutionen und Säuberungen Andrej idanovs, deren Folgen für die sovjetische Kultur und ihre Künstler so verheerend waren. Das Werk ist in besonderem Maße der spätromantischen Tradition und dem sozialistischen Realismus verbunden. Meyer nennt diese beiden Werke sogar »die wohl krasseste Widerspiegelung der in der Zeit des Personenkults gängigen Ästhetik«
(Meyer 1995, S. 347).
Dennoch lassen sich auch
in diesem Werk Abschnitte finden, die §ostakoviCs kompositorische und ästhetische Individualität zum Vorschein bringen. Formal gliedert sich das Werk für Tenor- und Bass-Solo, Knabenchor, gemischten Chor und Symphonisches Orchester in sieben abgeschlossene Teile mit den Titeln: Als der Krieg endete, Wir werden die Heimat in Wälder kleiden, Erinnerungen an die Vergangenheit, Die Pioniere pflanzen die Wälder, Die Komsomolzen ziehen voran, Zukünftiger
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Spaziergang und Ruhm. Dem Werk liegen »typisch propagandistische und völlig unergiebige Dichtungen«
(Meyer 1995, S. 347)
des linientreuen Dichters Evgenij Dolmatovskij zu-
grunde, von denen jeweils eine Dichtung in einem der Teile des Oratoriums vertont wurde. Das Oratorium wurde am 15. Dezember 1949 unter Leitung von Mravinskij in Leningrad uraufgeführt. Zwar vertraten einige die Ansicht, das Werk sei sehr von §ostakoviCs Stil abgewichen, von den meisten aber vor allem von den Funktionären — wurde das Oratorium für seine Einfachheit und »seinen klaren und logischen Aufbau«
(ebd., 5. 349)
gelobt.
Hier soll lediglich der fünfte Teil Die Komsomolzen ziehen voran betrachtet werden. Der Text entstand im selben Jahr wie die Komposition. 1949 litten nicht nur die Komponierenden, sondern auch die Literaten unten den Nachwirkungen der »Säuberungen« von 1948. Dolmatovskij genoss in dieser Zeit das Wohlwollen der Partei. Das Gedicht Das Lied
von den Wäldern behandelt ein propagandistisches Sujet, nämlich »Stalins große(n) Plan von der Umwandlung der Natur
(des)
Landes«
(Meyer 1995, S. 349).
Stalin wollte im ganzen
Land neue Wälder anpflanzen lassen. Dies war hauptsächlich Aufgabe der jungen Pioniere und Komsomolzen. In seinem Gedicht besingt Dolmatovskij die Heldentaten dieser sovjetischen Menschen, die ihrem großen Führer bei der Verschönerung des Landes zur Seite stehen, und er besingt zugleich die Schönheit der sovjetischen Natur, insbesondere der charakteristischen Birkenwälder. Formal ist es schwierig, das Gedicht eindeutig zu gliedern. Zwar sind einzelne Strophen erkennbar, die jeweils durch den mit »Höher die Fahne!« eingeleiteten Refrain getrennt werden. Allerdings weisen die zwischen den Refrains liegenden Zeilen keine Regelmäßigkeit auf. Auch der Refrain variiert, lediglich der erste Vers erscheint immer wieder. Die erste und längste Strophe ist der Aufruf an das sovjetische Volk, an Stalins Umgestaltung der Natur teilzunehmen und ihr Glück mit den eigenen Händen zu ergreifen. Bereits die erste Zeile des Gedichtes ist erfüllt von Optimismus und von Patriotismus. Wie vom Sozialistischen Realismus gefordert, werden die heldenhaften Taten der sovjetischen Völker gerühmt und die Sovjetunion als das schönste, größte und vor allem wunderbarste Land besungen. Eine wichtige Vokabel ist die Heimat, die für die Völker das ganze Glück ist und die durch Stalins Plan noch schöner und wundervoller gemacht werden soll. Die zweite Strophe, die direkt anschließt, verstärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl. Hier erscheint nicht nur das Pronomen »wir« besonders häufig, auch durch das Adjektiv »sovjetisch« sowie die Hervorhebung der gemeinsamen Basis der kommunistischen Ideologie wird das Gefühl der Gemeinschaft beschworen. Von Bedeutung sind hierbei vor allem die Verse 5 und 6, da sie Aufschluss darüber geben, welches Maß an ideologischem Patriotismus von den Menschen verlangt wurde. Die Bürger aller Republiken sollten sich allein als »einfache sovjetische Menschen« ansehen, die ihren Stolz nicht in ihre Bildung, sondern in ihre Arbeitskraft und vor allem in die kommunistische Ideologie setzten. Dolmatovskij verwendet die Kultur als Mittel, um Ruhm und Ehre des Kommunismus zu propagieren. Übergeleitet durch den Refrain folgt die dritte Strophe. Hier wird die Weite des Landes beschrieben und dann der Blick auf die Stalinsche Landbepflanzung gelenkt. Die vierte Strophe befasst sich mit der Beschreibung des gepflanzten Waldes und vergleicht ihn mit der sovjetischen Armee, die das Land vom Faschismus befreit hatte.
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Hier gelingt Dolmatovskij das Kunststück, gleichzeitig die Menge der gepflanzten Bäume und ein Loblied auf die sovjetische Armee zu besingen. Die letzte Strophe führt diese Achse fort, indem die Menschen mit Pygmäen verglichen werden, die neben den Wäldern so klein und unbedeutend sind. Die Wälder können hier aber auch die Sovjetunion darstellen, die als Ganzes so mächtig ist, in der aber dem Einzelnen keine große Bedeutung beigemessen wurde. »Stärker als eure Geschützläufe sind die Stämme unserer jungen Birken« (Vers 25). Dieses Loblied setzt sich in den nächsten Versen fort, in denen die großartigen Eigenschaften der Helden des Vaterlandes aufgezählt werden. Gleichzeitig lässt sich in der »Held-Stadt« aber auch die Stadt Stalingrad erkennen, die den Wendepunkt im Großen Vaterländischen Krieg zu Gunsten der sovjetischen Armee bezeichnete. Wie bereits mehrfach erwähnt, enthält Dolmatovskijs Gedicht Die Komsomolzen
ziehen
voran einen Refrain, es ist also in der Form eines Strophenliedes geschrieben.
Dieser dreizeilige, von Patriotismus beseelte Refrain verleiht dem Gedicht den Charakter eines Lobliedes auf die Sovjetunion, ihr Land und ihr Volk. Der Refrain vermehrt die in den Strophen angedeuteten Preisungen und tritt zu diesem Zweck oft auf, jedoch nicht immer in derselben Gestalt, auch wenn jeder Refrain mit den Worten »Höher die Fahne! Höher die Fahne!« beginnt. Die Fahne spielte in der Sovjetunion immer eine große Rolle. Die im Titel genannten Komsomolzen erscheinen nur im Refrain, in den Strophen sind sie durch das Personalpronomen »wir« ersetzt. Der Refrain wirkt wie der Gesang der ausziehenden »Komsomol-Scharen«, welche mit erhobenen Fahnen der Erfüllung von Stalins Plan entgegen marschieren. Dass §ostakoviC einen derartig sozialrealistischen Text nicht mit avantgardistischen Mitteln vertont, ist evident. Zwar bleibt erstaunlich, dass der Komponist überhaupt eine solch unergiebige Dichtung als Grundlage verwendet hat. Doch offensichtlich war die Lage nach idanovs großen Säuberungen in so hohem Maße angespannt, dass §ostakoviC es vorzog, mehr dem offiziellen Programm als seinen eigenen ästhetischen Vorstellungen zu folgen. Dabei ist es §ostakoviC gelungen, mit einem Text, dessen Aussage er mit Sicherheit nicht vollkommen vertreten konnte, ein großes Vokalwerk zu komponieren, das musikalisch nicht völlig gehaltlos ist. Schon die von §ostakoviC verwendete Besetzung lässt auf ein heroisches Genre schließen: zwei Chöre, Soli und ein großes romantisches Symphonieorchester mit Harfen. Auch der Beginn des hier als Beispiel gewählten fünften Teiles enttäuscht diesbezüglich nicht. Im fortissimo und volltaktig setzt das Orchester ein, wobei die Melodie unisono von den Bläsern gespielt wird. Die Streicher begleiten sie mit einem marschartigen Rhythmus, die beiden Harfen mit vollen Akkorden. Das im 2/4-Takt stehende Allegro con
brio erinnert durchgängig an einen Marsch, was nicht zuletzt dem Titel Rechnung trägt: »Die Komsomolzen ziehen voran«, sie marschieren. Der Chor setzt erst in Takt 33 ein. Die Hörner unterstützen die unisono geführte Melodie des Chors, wodurch der Charakter des Aufrufs »Erhebt euch zur Heldentat, Völker des großen sovjetischen Landes!« (v. 0 multipliziert wird.
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Die Chor-Melodie zeichnet sich ebenfalls durch einen marschartigen Charakter aus. Ihr charakteristischer Rhythmus aus Viertel, punktierter Achtel und Sechzehntel zieht sich gleichsam als roter Faden durch diesen Teil des Oratoriums. Die Chor- und SolistenStimmen zeichnen sich zudem durch häufige Oktavsprünge, einen streng homophonen Satz und syllabische Textverteilung aus. Formal lässt sich das Stück in strophische Abschnitte gliedern. Sie sind jeweils durch bestimmte musikalische Motive aus unterschiedlichen Rhythmen und melodischen Verläufen gekennzeichnet. Die letzte Strophe stellt eine Synthese aller charakteristischen Motive dar, indem sie miteinander kombiniert werden und so eine zunehmende Dichte erzeugen. Sie entlädt sich im letzten Refrain und sorgt für einen heroischen Schluss. Der Refrain enthält keine eigenen Motive. Ihm wird lediglich bei jedem Erscheinen ein anderes bereits bekanntes Motiv in der Begleitung zugeordnet. Die Melodie des Chores ist dabei immer gleich und stellt mit der Zeile »Höher die Fahne! Höher die Fahne!« einen heroischen Rahmen her. Der Schluß erhält dann ein gewisses bombastisches Pathos durch den Tutti-Einsatz von Orchester und vierstimmigem Chor im dreifachen forte mit der Kumulation der Motive zu einem crescendierenden Schluss. §ostakoviCs Oratorium weist beinahe alle Merkmale auf, die von einer Komposition nach den Prinzipien des Sozialistischen Realismus erwartet wurden. Mit Hilfe des Textes werden die Heldentaten der sovjetischen Menschen, das Land und sein Führer Stalin besungen. §ostakoviC setzt zudem das in der Romantik übliche Orchester ein und gibt dem Werk somit eine Verbindung zur Tradition. Der von Dolmatovskijs Gedicht vorgegebene Loblied-Charakter wird von §ostakoviC beibehalten und durch musikalische Mittel unterstrichen. Vor allem aber das dem Schluss innewohnende Pathos, welches die letzten Zeilen des Lobliedes fast buchstäblich in der Musik wiedergibt, mag der Grund dafür gewesen sein, dass das Werk so positiv beurteilt wurde.
2usammenfa5senfter Ungleich 4e, Beide Werke haben sehr unterschiedliche Entstehungsgeschichten. Während Das Lied von den Wäldern in einer für §ostakoviC schwierigen Zeit entstand, schrieb er die
Satiren in einer ideologisch nicht ganz so strengen Zeit. Das Oratorium hatte den ästhetischen Vorstellungen Stalins in der Zeit des Personenkultes zu genügen, der Liederzyklus hingegen entstand, nachdem ChrugCev die so genannte Tauwetterperiode eingeleitet hatte, welche die Aufdeckung der Stalinschen Verbrechen beinhaltete. Auch der Unterschied zwischen den literarischen Vorlagen könnte kaum größer sein. Saga üernyjs Satiren sind keineswegs optimistisch gestaltet, sondern erfüllt von Spott und schwarzem Humor, die §ostakoviC in die gegenwärtige Zeit projiziert und damit Stalins Verbrechen angeprangert hat. Da hingegen ist Evgenij Dolmatovskijs Gedicht Das Lied von den Wäldern erfüllt von Optimismus, Vaterlandsliebe und Heroismus. Auch die
formalen Unterschiede zwischen den beiden Gedichten sind augenscheinlich. Während Die Nachkommen geradezu eine ungewöhnliche Regelmäßigkeit an den Tag legt, ist
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Die Komsomolzen ziehen voran in Bezug auf Versmaß und Reimschema sehr unregelmäßig. Man könnte diese Aufzählung beliebig fortsetzen, fest steht aber, dass durch die enorme Verschiedenheit der literarischen Vorlagen auch die musikalischen Bearbeitungen dieser Dichtungen äußerst unterschiedlich sein müssen. §ostakoviC unterstreicht in beiden Werken die Aussage des jeweiligen Textes, jedoch auf vollkommen unterschiedliche Weise. Der bereits satirische Charakter von Die Nachkommen wird durch die groteske Walzerbegleitung um ein Vielfaches verstärkt und bringt den Gegenwartsbezug des bereits einige Jahrzehnte zuvor geschriebenen Gedichtes besonders deutlich zutage. Außerdem wird auch die Härte der Anklage an die »zerschlagenen Götter« Stalin und Berija, aber auch an diejenigen, die ihren Thron eingenommen haben, dem Hörer noch klarer vor Augen geführt. Die litaneiartige Melodie der Singstimme, die in ihrem Rhythmus und ihrem Tonraum beinahe gefangen scheint, erzeugt im Hörer ein Gefühl des Teufelskreises, auch wenn man die 'Götter' stürzt, werden andere kommen und ihre Stelle einnehmen. Bei der dreimaligen Wiederholung des Verses »mit dem Kopf an die Wand stoßen!« wird dem Hörer die Sinnlosigkeit der unerfüllbaren Hoffnungen auf ein besseres Leben so plastisch und direkt vermittelt, dass ein Ausweichen unmöglich ist. Dieser Schluss des Stückes nimmt dem Hörer durch seine groteske Wucht beinahe den Atem. §ostakoviCs Oratorium ist zwar ebenfalls von einer Wucht erfüllt, jedoch von einer freudigen, pathetischen und heldenhaften, die bombastisch wirkt, nicht bedrückend. Die Komposition Die Komsomolzen ziehen voran ist — wie es der Sozialistische Realismus verlangt—sehr leicht fassbar und durch die begrenzte Anzahl von Motiven, die sich durch das Stück ziehen, schnell verständlich. Charakteristisch ist hier nicht der Ausdruck des Grotesken, sondern die Untermalung des metaphorischen Vergleichs der Bäume mit den Soldaten der sovjetischen Armee. In Die Komsomolzen ziehen voran hat §ostakoviC der Musik eine verstärkende Rolle zugewiesen. In Die Nachkommen soll die Musik dagegen das Groteske der im Text beschriebenen Hoffnungen und den Bezug auf die Zeit der Entstehung des Werkes vermehren und dem Hörer auf diese Weise seine Entscheidungslosigkeit in Bezug auf das Glück demonstrieren. Anhand der beiden untersuchten Werke konnte verdeutlicht werden, dass §ostakoviC in der Lage war, sowohl recht avantgardistisch und gewagt, als auch sozialrealistisch zu komponieren, wenn es erforderlich war. Erstaunlich ist, dass er trotz dem enormen Druck, der auf die sovjetischen Kulturschaffenden ausgeübt wurde, nie mit dem Gedanken spielte, sein Land zu verlassen. Es gelang ihm, den Zorn der Funktionäre nicht zu enorm anwachsen zu lassen und immer wieder durch Werke, die die Vorgaben der Partei erfüllten, und ebensolche Reden, das Wohlwollen der sovjetischen Führung zurückzugewinnen. Vor allem aber und darin liegt sicherlich seine besondere Größe verlor §ostakoviC nie seine individuellen ästhetischen Vorstellungen, seinen persönlichen Kompositionsstil und die Fähigkeit, in jeder Situation schöpferisch tätig zu sein.
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Weiterlesen
Meyer, Krzysztof: Schostakowitsch — Sein Leben, sein Werk, seine Zeit, Bergisch-Gladbach 1995 Wischnewskaja, Galina: Erinnerungen einer Primadonna, München 41997 Lobanova, Marina: Art. „Rußland", Teil III, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Neuausgabe, Kassel und Stuttgart 1998, Bd. 8, S. 718-742 Redepenning, Dorothea: And art made tongue-tied by authority' — Shostakovich's songcycles, in: D. Fanning (Hg.): Shostakovich Studies, Cambridge University Press 1995
Corinna Mack schloss 2008 ihr Schulmusikstudium an der Musikhochschule Freiburg ab und absolvierte einen Magister in Slavistik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
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Das kotzt mich an Zum Selbstmord lasse ich mich nicht verleiten, vom Tod zu singen bin ich auch nicht scharf. Zuwider sind mir jene Jammerzeiten, wenn man malade ist, nicht saufen darf. Zutraulichkeit erweckt nicht mein Vertrauen. Von Zynikern im amtlichen Talar Laß ich mir ungern in die Karten schauen, von Schnüfflern lesen meine Briefe gar. Ich lasse mir nicht gern das Maul verschließen, schweig nicht, wenn man im Satz mich unterbricht. Nur ungern laß ich mich von vorn erschießen, doch auch von hinten lieb ich so was nicht. So wie ich Tratsch in allen Formen hasse, empfind ich Ehrennadeln nur als Stich, als kratz' ein Messer über Glas, als lasse ich streicheln mir das Fell gegen den Strich. Da ich nicht satte Sicherheit begehre, mag's sein, dass meine Bremse mal versagt, wenn man den wahren Sinn des Wortes »Ehre« vergri ßt, verfälscht und zu beschmutzen wagt. Für Demutstypen mit gebrochnen Flügeln Fühl ich zu Recht niemals Barmherzigkeit. Gewaltlos ist Gewalt zwar nicht zu zügeln, doch mir ist's gleich ... nur Christus tut mir leid.
Der ewige Zirkus, wo wie Seifenblasen Versprechen platzen, juble, wer da kann. Große Veränderungen? — Nichts als Phrasen. Das alles mag ich nicht, das kotzt mich an. Vladimir Vysockij (übersetzt von Martin Remane)
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Ar two r k: Ann i ka v o n Os ten
Als miesen Feigling würde ich mich hassen, ließe ich zu, dass man Unschuldige schlägt. Von keinem möcht ich mich lobhudeln lassen, der sonst auf Menschlichkeit zu spucken pflegt.
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